12 Ein Handel

Ein Bad war nicht schwer aufzutreiben, obwohl Elayne im Korridor stehen bleiben und im Licht der flackernden Kandelaber die mit geschnitzten Löwen versehenen Türen ihrer Gemächer stirnrunzelnd anstarrten musste, während Rasoria und zwei Gardistinnen eintraten, um alles zu durchsuchen. Sobald sie sich vergewissert hatten, dass dort keine Attentäter lauerten und im Korridor und dem äußeren Raum Wachen aufgestellt waren, trat Elayne ein und fand im Schlafgemach die weißhaarige Essande vor; sie wurde von Naris und Sephanie begleitet, zwei jungen Kammerzofen, die sie ausbildete. Essande war gertenschlank, auf ihrer linken Brust war Elaynes Goldene Lilie aufgestickt. Sie war die Würde in Person, was von der anmutigen Art ihrer Bewegungen noch unterstrichen wurde, allerdings trug auch ihr Alter und der Schmerz in ihren Gelenken dazu bei, den sie beharrlich ignorierte. Naris und Sephanie waren Schwestern, derb, mit rosigen Gesichtern und scheuen Blicken, sie trugen ihre Livree mit Stolz und waren glücklich, für diese Arbeit auserwählt worden zu sein, statt Korridore putzen zu müssen, aber sie hatten fast genauso viel Ehrfurcht vor Essande wie vor Elayne. Es gab erfahrenere Kammerzofen, Frauen, die seit Jahren im Palast arbeiteten, aber leider waren Mädchen, die irgendeine Arbeit gesucht hatten, viel sicherer. Man hatte einen der Teppiche zusammengerollt und ihn auf den rosafarbenen Fliesen mit einer dicken Schicht Handtücher ersetzt, auf denen zwei Kupferwannen standen, der Beweis dafür, dass die Nachricht von Elaynes Ankunft ihr vorausgeeilt war. Diener hatten ein Talent, Dinge zu erfahren, um das sie die Augen-und-Ohren der Weißen Burg beneidet hätten. Ein ordentliches Feuer im Kamin und die dichten Fensterflügel ließen den Raum nach den Korridoren warm erscheinen, und Essande wartete nur, bis sie Elayne eintreten sah, bevor sie Sephanie im Laufschritt losschickte, die Männer mit dem heißen Wasser zu holen. Das würde man in Kübeln bringen, die aus zwei Schichten Holz gefertigt und mit Deckeln versehen waren, damit ihr Inhalt auf dem Weg aus der Küche nicht abkühlte; allerdings würde sich ihr Eintreffen möglicherweise etwas verschieben, weil die Gardistinnen sie nach im Wasser verborgenen Messern durchsuchen würden.

Aviendha betrachtete die zweite Badewanne fast so misstrauisch, wie Essande Birgitte ansah; die eine fühlte sich noch immer unbehaglich dabei, sich in Wasser zu setzen, und die andere konnte noch immer nicht akzeptieren, dass während eines Bads mehr Personen als unbedingt nötig anwesend waren, aber die weißhaarige Frau verlor keine Zeit und drängte Elayne und Aviendha stumm in das Ankleidezimmer, in dem ein weiteres Feuer in einem großen Marmorkamin die Luft ihrer Kälte beraubt hatte. Es war für Elayne eine große Erleichterung, dass Essande ihr aus dem Reitgewand half, denn sie wusste, dass mehr auf sie wartete als ein hastiges Bad und gespielte Gelassenheit, während sie sich darüber sorgen musste, wie schnell sie ihr nächstes Ziel erreichen konnte. Weitere Täuschungen warteten und — beim Licht! — andere Sorgen, aber sie war zu Hause, und das zählte viel. Beinahe konnte sie das im Westen leuchtende Fanal vergessen. Beinahe. Gut, nicht mal annähernd, aber sie konnte aufhören, sich deswegen verrückt zu machen, solange sie nicht darüber nachdachte.

Als sie ausgezogen waren — Aviendha schlug Naris' Hände weg, nahm ihren Schmuck selbst ab und gab sich alle Mühe, so zu tun, als wäre die Kammerzofe gar nicht da und ihre Kleidung würde sich irgendwie von selbst ablegen —, als man sie in bestickte Seidenroben gehüllt und ihre Haare mit weißen Handtüchern zu Turbanen hochgewickelt hatte — Aviendha unternahm drei Versuche, und erst als die Konstruktion das dritte Mal zusammenbrach, erlaubte sie Naris, es zu tun, wobei sie etwas davon murmelte, so verweichlicht zu werden, dass sie bald jemanden brauchen würde, der ihr die Stiefel zuschnürte, bis Elayne anfing zu lachen und sie mit einfiel, wobei sie den Kopf zurückwarf und Naris wieder von vorn anfangen musste —, als das alles erledigt war und sie in das Schlafgemach zurückkehrten, waren die Badewannen gefüllt, und der Duft von Rosenöl, das man dem Wasser hinzugefügt hatte, schwängerte die Luft. Die Männer, die das Wasser gebracht hatten, waren natürlich weg, und Sephanie wartete mit hochgeschobenen Ärmeln für den Fall, dass jemand den Rücken gewaschen haben wollte. Birgitte saß auf der Truhe mit den Intarsien aus Türkis am Fuß des Bettes, die Ellbogen auf die Knie gestützt.

Elayne erlaubte Essande, ihr aus der hellgrünen Robe zu helfen, und tauchte sofort bis zum Hals in das Wasser ein, das fast zu heiß war, aber eben nur fast.

Zwar ließ das ihre Knie herausragen, aber es hüllte den größten Teil von ihr in die Wärme ein, und sie seufzte, als sie fühlte, wie die Müdigkeit aus ihr heraus und Ermattung in sie hinein kroch. Heißes Wasser musste das größte Geschenk der Zivilisation sein.

Aviendha starrte die andere Wanne an und zuckte zusammen, als Naris ihre lavendelfarbene und mit aufgestickten Blumen auf den Ärmeln verzierte Robe ausziehen wollte. Mit einer Grimasse erlaubte sie es schließlich und trat behutsam in das Wasser, aber sie riss Sephanie die runde Seife aus der Hand und fing an, sich energisch einzuseifen. Energisch, aber achtsam, um nicht auch nur einen Tropfen Wasser über den Wannenrand zu spritzen. Die Aiel benutzten Wasser zum Waschen, so wie sie es auch in den Schweißzelten taten, vor allem, um das Haarwaschmittel auszuspülen, das sie aus einem in der Wüste wachsenden Gewächs herstellten, aber das Schmutzwasser wurde verwahrt, um das Getreide zu wässern. Elayne hatte ihr zwei der großen Zisternen unterhalb von Caemlyn gezeigt, die von unterirdischen Flüssen gespeist wurden und groß genug waren, dass das andere Ufer inmitten eines Waldes aus dicken Säulen und Schatten verschwand, aber die trockene Wüste lag Aviendha im Blut.

Birgitte ignorierte Essandes viel sagende Blicke — sie sagte selten zwei Worte mehr als nötig und hielt Bäder für eine Zeit des Schweigens — und redete, während sie badeten, obwohl sie darauf achtete, was sie vor Naris und Sephanie sagte. Es war unwahrscheinlich, dass sie im Sold eines anderen Hauses standen, aber Zofen klatschten fast so ungeniert wie Männer — das schien fast schon eine Tradition zu sein. Trotzdem waren es einige Gerüchte wert, sie zu nähren. Birgitte erzählte hauptsächlich von zwei großen Handelszügen, die am Vortag aus Tear eingetroffen waren und deren Wagen schwer mit Korn und gepökeltem Rindfleisch beladen waren, und einem weiteren mit Öl und Salz und Räucherfisch aus Illian. Es war immer nützlich, die Leute daran zu erinnern, dass auch weiterhin Nahrung in die Stadt strömte. Im Winter wagten sich nur wenige Kaufleute auf die Straßen von Andor, aber die Wegetore bedeuteten, dass Arymilla so viele Kaufleute wie sie wollte abfangen konnte und ihre Streitkräfte dennoch lange verhungert sein würden, bevor Caemlyn den ersten Hunger verspürte. Die Windsucherinnen, die die Wegetore erschufen, hatten berichtet, dass Hochlord Darlin — der in Tear ausgerechnet den Titel Verwalter für den Wiedergeborenen Drachen beanspruchte! — im Stein von Tear von Adligen belagert wurde, die den Wiedergeborenen Drachen ganz aus Tear heraushaben wollten, aber es war unwahrscheinlich, dass sie versuchen würden, einen lohnenden Getreidehandel zu unterbinden, vor allem, weil sie die Kusinen im Gefolge der Windsucherinnen für Aes Sedai hielten. Nicht, dass jemand hier eine absichtliche Täuschung in die Wege geleitet hätte, aber die Kusinen, die die Prüfung für die Aufgenommenen bestanden hatten, bevor man sie aus der Burg wies, hatten ihre Großen Schlangenringe erhalten, und auch wenn jemand die falschen Schlüsse zog, hatte ihn doch niemand angelogen.

Elayne kam zu dem Schluss, dass das Wasser seine Wärme verlieren würde, wenn sie zu lange wartete, also nahm sie von Sephanie die nach Rosen duftende Seife entgegen und gestattete Naris, ihr mit einer langstieligen Bürste den Rücken zu schrubben. Falls es Neuigkeiten von Gawyn oder Galad gegeben hätte, dann hätte das Birgitte am Anfang erwähnt. Sie wartete darauf genauso begierig wie Elayne, und sie hätte es nicht für sich behalten können. Gawyns Rückkehr war ein Gerücht, von dem sie sich verzweifelt wünschten, es unter die Leute bringen zu können. Birgitte erfüllte ihre Pflichten als Generalhauptmann hervorragend, und Elayne wollte sie auch in dieser Position behalten, falls sie sich überzeugen ließ, aber Gawyns Anwesenheit hätte beiden Frauen erlaubt, sich etwas zu entspannen. Bei den meisten Soldaten in der Stadt handelte es sich um Söldner, und sie reichten gerade aus, um die Tore in voller Stärke zu besetzen und entlang der meilenlangen Stadtmauern um die Neustadt Präsenz zu zeigen, aber es waren dennoch mehr als dreißig Kompanien, und jede davon verfügte über ihren eigenen Hauptmann, der unweigerlich davon besessen war, vor anderen den Vorzug zu erhalten, und bereit war, wegen eingebildeten Kränkungen mit anderen Offizieren sofort Streit anzufangen. Gawyn hatte sein ganzes Leben damit verbracht, zu lernen, wie man Heere führte. Er konnte sich mit den Streithähnen auseinander setzen, was ihr die Freiheit gab, sich um die Sicherung des Throns zu kümmern.

Davon abgesehen wollte sie einfach, dass er von der Weißen Burg wegkam. Sie betete, dass einer ihrer Boten durchgekommen und er mittlerweile ein ordentliches Stück flussabwärts war. Egwene belagerte seit mehr als einer Woche Tar Valon mit ihrem Heer, und es würde eine grausame Fügung des Schicksals sein, wenn Gawyn zwischen seinem Eid, die Burg zu beschützen, und seiner Liebe zu Egwene gefangen gewesen wäre. Schlimmer noch, er hatte diesen Eid bereits einmal gebrochen oder ihn zumindest gedehnt, aus Liebe zu seiner Schwester und vielleicht auch aus Liebe zu Egwene. Sollte Elaida jemals Verdacht schöpfen, dass Gawyn bei Siuans Flucht geholfen hatte, würden sämtliche Verdienste, die er errungen hatte, indem er ihr half, Siuan als Amyrlin zu ersetzen, dahinschwinden wie ein Tautropfen in der Morgensonne. Und sollte er noch in Elaidas Reichweite sein, wenn sie davon erfuhr, würde er sich in einer Zelle wieder finden und Glück haben, wenn er der Axt des Scharfrichters entging. Elayne nahm ihm seine Entscheidung, Elaida zu helfen, keineswegs übel; damals konnte er nicht über genügend Informationen verfügt haben, um sich anders zu entscheiden. Selbst viele Schwestern waren von den Geschehnissen verwirrt gewesen. Viele schienen es noch immer zu sein. Wie konnte sie da von Gawyn verlangen, das zu erkennen, was die Aes Sedai selbst nicht erkannten?

Was Galad betraf ... Ihre ganze Kindheit über hatte sie den Mann nicht ausstehen können, sicherlich verabscheute er sie und vor allem Gawyn. Bis zu Gawyns Geburt hatte Galad damit rechnen dürfen, eines Tages der Erste Prinz des Schwertes zu werden. Ihre frühesten Erinnerungen an ihn waren die an einen Jungen, der sich bereits mehr wie ein Vater oder Onkel benahm als wie ein Bruder und der Gawyn den ersten Fechtunterricht erteilte. Sie erinnerte sich, dass sie Angst gehabt hatte, er würde Gawyn mit dem Übungsschwert den Kopf einschlagen. Aber er hatte nie mehr als die üblichen blauen Flecke ausgeteilt, mit denen jeder Junge rechnen musste, der den Schwertkampf erlernte. Galad wusste, was richtig war, und er war auch dazu bereit, das Richtige zu tun, was es auch kostete, und er nahm sich selbst davon nicht aus. Beim Licht, er hatte einen Krieg angefangen, um ihr und Nynaeve bei der Flucht aus Samara zu helfen, und vermutlich war er sich von Anfang an über die Gefahr im Klaren gewesen! Galad hatte sich in Nynaeve verliebt oder war es zumindest eine Zeit lang gewesen — es war schwer vorstellbar, dass er noch immer so empfand; da er ein Weißmantel war, wusste allein das Licht, wo er war und was er tat —, aber es war die Wahrheit, er hatte einen Krieg angezettelt, um seine Schwester zu retten. Sie konnte ihn nicht verurteilen, weil er zu den Kindern des Lichts gehörte, sie konnte ihn nicht mögen, und doch hoffte sie, dass er in Sicherheit war und es ihm gut ging. Und sie hoffte, dass auch er den Weg nach Hause fand. Neuigkeiten über ihn wären beinahe so willkommen gewesen wie Neuigkeiten über Gawyn. Das überraschte sie, aber es stimmte.

»Während deiner Abwesenheit sind zwei weitere Schwestern eingetroffen. Sie wohnen im Silbernen Schwan.« Birgitte ließ es klingen, als würden sie lediglich im Gasthaus wohnen, weil im Palast jedes Bett belegt war. »Eine Grüne mit zwei Behütern und eine Graue mit einem. Sie kamen getrennt voneinander. Am gleichen Tag sind eine Gelbe und eine Braune aufgebrochen, also sind es noch immer zehn. Die Gelbe ist nach Süden gereist, in Richtung Far Madding. Die Braune ging nach Osten.«

Sephanie, die geduldig neben Aviendhas Wanne stand und nichts zu tun hatte, wechselte über Elaynes Kopf hinweg einen Blick mit ihrer Schwester und grinste. Wie so viele in der Stadt wusste sie, dass die Anwesenheit von Aes Sedai im Silbernen Schwan die Unterstützung der Weißen Burg für Elayne und das Haus Trakand bedeutete. Essande, die die beiden Mädchen wie ein Raubvogel beobachtete, nickte ebenfalls; auch sie wusste das. Jeder Straßenfeger und Müllsammler wusste, dass die Burg gespalten war, aber der Name hatte noch immer Gewicht und vermittelte das Bild einer Stärke, die nie versagte. Jeder wusste, dass die Weiße Burg jede rechtmäßige Königin von Andor unterstützt hatte. Tatsächlich warteten die meisten Schwestern auf eine Monarchin, die gleichzeitig eine Aes Sedai war; es wäre die erste seit tausend Jahren und die erste seit der Zerstörung der Welt gewesen, von der öffentlich bekannt war, dass sie eine Aes Sedai war, aber es hätte Elayne nicht überrascht, wenn es in Arymillas Lager eine Schwester gegeben hätte, die sich diskret zurückhielt. Die Weiße Burg setzte niemals alle Münzen auf ein Pferd, es sei denn, der Ausgang des Rennens stand bereits fest.

»Das genügt«, sagte sie und wich gereizt den Borsten aus. Das gut ausgebildete Mädchen legte die Bürste auf einen Stuhl und reichte ihr einen großen illianischen Schwamm, mit dem sie sich die Seife abspülte.

Sie wünschte, sie hätte gewusst, was die Schwestern hier wollten. Sie waren wie ein Sandkorn in ihrem Pantoffel, ein so winziges Ding, dass man sich schwer vorstellen konnte, dass es einen störte, aber je länger es da war, desto größer erschien es. Die Schwestern im Silbernen Schwan wurden allein dadurch zu einem Stein von beträchtlicher Größe, weil sie da waren.

Schon vor ihrem Eintreffen in Caemlyn hatte sich die Anzahl im Gasthof häufig geändert, jede Woche reisten ein paar Schwestern ab, während andere eintrafen, um sie zu ersetzen. Die Belagerung hatte nichts daran geändert; die Soldaten um Caemlyn würden genauso wenig versuchen, eine Aes Sedai aufzuhalten, wie die aufrührerischen Adligen in Tear. Eine Zeit lang hatte es in der Stadt auch Rote gegeben, die sich nach Männern auf dem Weg zur Schwarzen Burg erkundigten, aber je mehr sie erfuhren, desto offener hatten sie Verärgerung gezeigt, und das letzte Paar war einen Tag nach Arymillas Aufmarsch vor den Mauern aus der Stadt geritten. Jede Aes Sedai, die die Stadt betrat, wurde sorgfältig überwacht, und keine der Roten war auch nur in die Nähe des Silbernen Schwans gekommen, darum erschien es unwahrscheinlich, dass Elaida die Schwestern geschickt hatte, um sie zu entführen. Aus irgendeinem Grund stellte sie sich kleine Gruppen von Aes Sedai vor, die von der Fäule bis zum Meer der Stürme verstreut waren und zwischen denen sich ein beständiger Strom von Schwestern bewegte, die Informationen sammelten und teilten. Ein seltsamer Gedanke. Schwestern benutzten Augen-und-Ohren, um die Welt zu beobachten, und teilten nur selten, was sie erfahren hatten, es sei denn, es handelte sich um eine Bedrohung für die Burg. Vermutlich gehörten die Frauen im Silbernen Schwan zu den Schwestern, die angesichts der Spaltung der Burg abwarteten, ob am Ende Egwene oder Elaida auf dem Amyrlin-Sitz saß, bevor sie Partei ergriffen. Das war falsch — eine Aes Sedai sollte für das eintreten, was sie für richtig hielt, ohne sich darüber Sorgen machen zu müssen, ob sie die Gewinnerseite unterstützte! —, aber diese Schwestern bereiteten ihr noch aus einem anderen Grund Unbehagen.

Kürzlich hatte einer ihrer Beobachter im Silbernen Schwan einen beunruhigenden Namen aufgeschnappt, der gemurmelt worden war, und man hatte die Sprecherin schnell zum Schweigen gebracht, so als befürchte man Lauscher. Cadsuane. Kein gewöhnlicher Name. Und Cadsuane Melaidhrin hatte Rand in Cairhien eng umgarnt. Vandene hielt nicht viel von der Frau, sie hatte sie als engstirnig bezeichnet, aber Careane war bei der Erwähnung des Namens beinahe vor Ehrfurcht in Ohnmacht gefallen. Anscheinend waren die Geschichten, die Cadsuane umgaben, fast schon so etwas wie Legenden. Den Wiedergeborenen Drachen ganz allein zu bezwingen schien genau die Art von Unternehmen sein, die Cadsuane Melaidhrin in Angriff nehmen würde. Nicht, dass sich Elayne Sorgen wegen Rand und einer Aes Sedai machte, er würde sie höchstens so in Rage bringen, dass sie die Kontrolle verlor — manchmal war der Mann sogar zu stur, um zu erkennen, wo seine Vorteile lagen! —, aber warum sollte eine Schwester in Caemlyn ihren Namen erwähnen?

Und warum hatte eine andere sie zum Schweigen gebracht?

Trotz des heißen Badewassers fröstelte sie und dachte an all die Netze, die die Weiße Burg im Laufe der Jahrhunderte gesponnen hatte und die so fein waren, dass sie keiner wahrnehmen konnte — abgesehen von den Schwestern, die sie gesponnen hatten —, und die so kompliziert waren, dass auch nur diese Schwestern sie wieder auflösen konnten. Die Burg webte ihre Netze, die Ajahs webten ihre Netze, sogar einzelne Schwestern webten Netze. Manchmal verschmolzen diese Gewebe miteinander, als wären sie von einer einzigen Hand geführt worden. Manchmal hatten sie einander auch zerrissen. Auf diese Weise war die Welt dreitausend Jahre lang geformt worden. Jetzt hatte sich die Burg sauber in Drittel von annähernd gleicher Größe gespalten, ein Drittel für Egwene, eines für Elaida und eines, das auf der Seitenlinie stand. Wenn das letzte miteinander in Verbindung stand, Informationen austauschte — Pläne schmiedete? —, waren die Implika — tionen ...

Ein plötzlicher Tumult von Stimmen, gedämpft von der geschlossenen Tür, ließ sie sich gerade aufsetzen. Naris und Sephanie kreischten auf und sprangen aufeinander zu, um sich aneinander festzuklammern und mit weit aufgerissenen Augen auf die Tür zu starren.

»Was zur verdammten ...?« Birgitte schoss knurrend von der Truhe hoch und aus dem Zimmer heraus und knallte die Tür hinter sich zu. Die Stimmen wurden noch lauter.

Es hörte sich nicht so an, als würden die Gardistinnen kämpfen, sondern nur mit voller Lautstärke debattieren, und der Bund übermittelte zusammen mit den verdammten Kopfschmerzen hauptsächlich Zorn und Empörung, aber Elayne stieg aus der Wanne und streckte die Arme aus, damit Essande ihr die Robe überstreifen konnte. Die Ruhe der weißhaarigen Frau und vielleicht auch Elaynes beruhigte die beiden Zofen so weit, dass sie erröteten, als Essande sie ansah, aber Aviendha sprang aus der Wanne, verspritzte überall Wasser und stürmte tropfend in das Ankleidezimmer. Elayne rechnete damit, dass sie mit ihrem Gürtelmesser zurückkam. Aber stattdessen umgab sie das Glühen Saidars, während sie die Bernsteinschildkröte in der Hand hielt. Mit der anderen gab sie Elayne das Angreal, das in ihrer Gürteltasche gewesen war, die alte Elfenbeinschnitzerei einer Frau, die nur mit ihrem Haar bekleidet war. Abgesehen von dem Handtuch auf ihrem Kopf trug Aviendha nur einen feuchten Schimmer am Leib, und sie winkte Sephanie ärgerlich fort, als sie versuchte, ihr die Robe anzulegen. Messer oder nicht, Aviendha neigte noch immer dazu, so zu denken, als würde sie mit der Klinge kämpfen und sich plötzlich bewegen müssen.

»Bringt das in den Ankleideraum zurück«, sagte Elayne und gab Essande das Elfenbein-Angreal.

»Aviendha, ich glaube wirklich nicht, dass wir ...«

Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Birgitte steckte stirnrunzelnd den Kopf herein. Naris und Sephanie zuckten zusammen, offenbar waren sie doch nicht so beruhigt, wie es den Anschein gehabt hatte.

»Zaida will dich sehen«, knurrte Birgitte Elayne an.

»Ich habe ihr gesagt, sie soll warten, aber ...« Mit einem plötzlichen Aufschrei stolperte sie ins Zimmer hinein, gewann nach zwei Schritten das Gleichgewicht wieder und wirbelte herum, um sich der Frau zu stellen, die sie gestoßen hatte.

Die Herrin der Wogen vom Clan Catelar sah allerdings keineswegs so aus, als hätte sie jemanden gestoßen. Die Enden ihrer auf komplizierte Weise verknoteten roten Schärpe baumelten in Kniehöhe, als sie gemächlich das Zimmer betrat. Ihr folgten zwei Windsucherinnen, von denen eine der wütenden Rasoria die Tür vor der Nase zuschlug. Alle drei schwankten beim Gehen fast so sehr wie Birgitte in ihren hochhackigen Stiefeln. Zaida war klein, ihr dichtes lockiges Haar wies graue Strähnen auf, aber ihr dunkles Gesicht gehörte zu der Sorte, die mit den Jahren an Schönheit gewann, und ihre Schönheit schien von der goldenen, mit kleinen Medaillons übersäten Kette, die einen ihrer dicken goldenen Ohrringe mit dem Nasenring verband, nur noch unterstrichen zu werden. Aber weitaus wichtiger war ihr befehlsgewohntes Auftreten. Ihm lag keine Arroganz zugrunde, sondern das Wissen, dass man ihr gehorchte. Die Windsucherinnen musterten Aviendha, die noch immer vom Schein der Macht umgeben wurde, und Chanelles ebenmäßiges Gesicht spannte sich an, aber abgesehen von Shielyns Murmeln, dass »das Aielmädchen« zum Weben bereit war, verhielten sie sich stumm und abwartend. Die acht Ohrringe zeichneten Shielyn als Windsucherin einer Herrin der Wogen aus, und Chanelles Ehrenkette trug fast so viele Medaillons wie Zaidas. Beide waren Frauen mit Autorität, was durch die Art und Weise ihrer Haltung deutlich gemacht wurde, aber man musste nichts über die Atha'an Miere wissen, damit einem klar wurde, dass hier Zaida din Parede das Sagen hatte.

»Ihr müsst über Eure Stiefel gestolpert sein, Generalhauptmann«, murmelte sie mit einem schmalen Lächeln, während eine ihrer dunklen, tätowierten Hände mit dem goldenen Duftkästchen spielte, das auf ihrer Brust hing. »Beengende, alberne Dinger, diese Stiefel.« Sie und die beiden Windsucherinnen waren wie immer barfuß. Fußsohlen der Atha'an Miere waren so hart wie Schuhsohlen und störten sich genauso wenig an rauen Decks wie an kalten Bodenfliesen. Zusätzlich zu ihren Blusen und Hosen aus hellem, farbigem Seidenbrokat trug jede der Frauen seltsamerweise eine breite weiße Stola, die über die Taille reichte und die vielen Ketten fast verbarg.

»Ich habe gerade ein Bad genommen«, sagte Elayne mit angespannter Stimme. Als könnten sie das nicht sehen, wo ihr Haar vom Handtuch verhüllt wurde und die Robe ihr feucht am Leib klebte. Essande zitterte fast vor Empörung, was bedeuten musste, dass sie außer sich vor Wut war. So wie Elayne beinahe auch. »Und ich werde wieder ein Bad nehmen, sobald Ihr gegangen seid. Ich spreche mit Euch, wenn ich mit dem Bad fertig bin. Wenn es dem Licht gefällt.« So! Wenn sie sich schon in ihr Zimmer drängten, dann mussten sie auf das übliche Zeremoniell eben verzichten!

»Möge auch Euch das Licht strahlen, Elayne Sedai«, erwiderte Zaida glatt. Sie hob eine Braue und sah Aviendha an, aber sie konnte damit nicht den flackernden Schein Saidars meinen, da sie nicht die Macht lenken konnte, und auch nicht ihre Nacktheit, da das Meervolk damit ausgesprochen lässig umging, zumindest außerhalb der Sicht von Küstenbewohnern. »Mich habt Ihr nie zu einem gemeinsamen Bad eingeladen, obwohl das höflich gewesen wäre, aber darüber wollen wir nicht reden. Ich habe erfahren, dass Nesta din Reas Zwei Monde tot ist, ermordet von den Seanchanern. Wir betrauern ihren Verlust.« Die drei Frauen berührten die weißen Stolen und führten die Fingerspitzen an die Lippen, aber Zaida schien mit dem Zeremoniell genauso ungeduldig zu sein wie Elayne. Sie machte einfach weiter, ohne die Stimme zu heben oder schneller zu sprechen, was für eine vom Meervolk beinahe schockierend abrupt war.

»Die Ersten Zwölf der Atha'an Miere müssen zusammenkommen, um eine neue Herrin der Schiffe zu erwählen. Die Geschehnisse im Westen machen deutlich, dass es keine Verzögerung geben darf.« Shielyn verzog die Lippen zu einem schmalen Strich, und Chanelle hob das Duftkästchen an die Nase, als wollte sie einen bestimmten Geruch vertreiben. Das würzige Parfüm war scharf genug, um den Duft des Rosenöls zu überlagern. Obwohl sie Zaida über ihre Wahrnehmungen unterrichtet hatten, zeigte diese weder Unbehagen noch etwas anderes als Selbstsicherheit. Sie hielt den Blick fest auf Elaynes Gesicht gerichtet. »Wir müssen für alles bereit sein, und darum brauchen wir eine Herrin der Schiffe. Ihr habt mir im Namen der Weißen Burg zwanzig Lehrerinnen versprochen. Ich kann weder Vandene in ihrer Trauer oder Euch nehmen, aber ich werde die anderen drei mitnehmen. Den Rest schuldet mir die Weiße Burg, und ich erwarte, dass diese Schuld bezahlt wird. Ich habe nach den Schwestern im Silbernen Schwan schicken lassen, um mich zu erkundigen, ob sie die Schuld der Burg erfüllen wollen. Aber ich kann nicht auf ihre Antwort warten. Wenn es dem Licht gefällt, werde ich heute Abend zusammen mit den anderen Herrinnen der Wogen im Hafen von Illian baden.«

Elayne musste hart darum ringen, ihr Gesicht reglos zu halten. Die Frau hatte gerade verkündet, dass sie jede ungebundene Aes Sedai in Caemlyn einsammeln und mitnehmen wollte. Und es klang auch nicht so, als wollte sie auch nur eine Windsucherin zurücklassen. Das ließ Elaynes Mut sinken. Bis zu Reannes Rückkehr gab es sieben Kusinen, die stark genug waren, ein Wegetor zu weben, aber zwei von ihnen schafften keines, das groß genug war, einen Pferdekarren hindurchzulassen. Ohne Windsucherinnen wurden die Pläne, Caemlyn von Tear und Illian aus zu versorgen, bestenfalls zweifelhaft. Der Silberne Schwan*. Beim Licht, wen auch immer Zaida losgeschickt hatte, würde den von ihr abgeschlossenen Handel in jeder Einzelheit verraten! Egwene würde nicht dankbar sein, diesen Schlamassel an die Öffentlichkeit gebracht zu haben. Elayne konnte sich nicht erinnern, jemals mit einer kurzen Erklärung so viele Probleme in den Schoß geworfen bekommen zu haben.

»Ich bedauere Euren Verlust, wie auch den Verlust der Atha'an Miere«, sagte sie und dachte rasend schnell nach. »Nesta din Reas war eine große Frau.« Auf jeden Fall war sie eine mächtige Frau gewesen, mit einer starken Persönlichkeit. Elayne hatte sich glücklich geschätzt, nach ihrer einzigen Begegnung mit noch mehr am Leib als ihrem Unterhemd gehen zu können.

Und nebenbei bemerkt, Unterhemd, sie konnte sich keine Zeit zum Ankleiden erlauben. Zaida würde vielleicht nicht warten. Sie band die Robe fester zu. »Wir müssen uns unterhalten. Essande, lasst für unsere Gäste Wein bringen und Tee für mich. Schwachen Tee«, seufzte sie, als ein Sturm der Vorsicht durch Birgittes Bund drang. »Im kleinen Wohnzimmer. Werdet Ihr Euch zu mir gesellen, Herrin der Wogen?«

Zu ihrer Überraschung nickte Zaida bloß, so als hätte sie das erwartet. Das brachte Elayne darauf, über Zaidas Teil des Vertrages nachzudenken. Die Vereinbarungen; eigentlich waren es ja zwei, und das konnte der Schlüssel zu allem sein.

Niemand hatte damit gerechnet, dass das kleine Wohnzimmer in nächster Zeit benutzt werden würde, darum war die Luft auch noch frostig, nachdem Sephanie mit einem Funkenrad herbeigeeilt war, um die Späne unter der Eiche in dem breiten weißen Kamin zu entzünden und danach sofort aus dem Raum zu eilen.

Flammen tänzelten in die Höhe und griffen auf das Holzstück auf dem Feuereisen über, während die Frauen vor den mit schlichten Schnitzereien verzierten Stühlen mit den niedrigen Lehnen Aufstellung nahmen, die im Halbkreis vor dem Kamin aufgestellt waren. Nun ja, Elayne und die Meervolk-Frauen nahmen Aufstellung. Elayne drapierte die Robe sorgfältig über den Knien und wünschte sich, Zaida hätte ihr eine Stunde Zeit gelassen, um sich vernünftig anzuziehen. Die Windsucherinnen warteten unbewegt darauf, dass die Herrin der Wogen Platz nahm, dann setzten sie sich neben sie. Birgitte stand mit finsterer Miene und in die Hüften gestemmten Fäusten vor dem Schreibtisch. Der Bund übermittelte das deutliche Verlangen, einer Atha'an Miere den Hals umzudrehen.

Aviendha lehnte lässig an einer Kommode, und selbst als Essande ihr die Robe brachte und sie ihr eindringlieh entgegenhielt, streifte sie sie einfach nur über und nahm mit unter den Brüsten verschränkten Armen die gleiche Pose ein. Sie hatte Saidar losgelassen, hielt aber noch immer die Schildkröte, und Elayne vermutete, dass sie bereit war, die Macht unverzüglich zu umarmen. Jedoch konnten weder Aviendhas stechender Blick noch Birgittes finstere Miene die Meervolk-Frauen auch nur im Geringsten beeindrucken. Sie waren, wer sie waren, und sie wussten, wer sie waren.

»Den Atha'an Miere wurden zwanzig Lehrerinnen versprochen«, sagte Elayne mit leichter Betonung. Zaida hatte gesagt, dass man sie ihr versprochen hatte, dass sie die Bezahlung entgegennehmen würde, aber der Handel war mit Nesta din Raes abgeschlossen worden. Natürlich war Zaida überzeugt, die nächste Herrin der Schiffe zu werden. »Vernünftige Lehrerinnen, ausgesucht vom Amyrlin-Sitz. Ich weiß, dass die Atha'an Miere stolz darauf sind, ihre Abmachungen bis in die letzte Einzelheit einzuhalten, und die Burg wird ihre Seite erfüllen. Als sich die Schwestern bereit erklärten, den Unterricht aufzunehmen, war Euch klar, dass das nur eine vorübergehende Maßnahme ist. Und eine Vereinbarung, die eigentlich nichts mit dem Handel zu tun hatte, der mit der Herrin der Schiffe abgeschlossen wurde. Das habt Ihr so gut wie zugegeben, als Ihr Euch bereit erklärt habt, Eure Windsucherinnen Wegetore weben zu lassen, um von Illian und Tear Lebensmittel nach Caemlyn zu schaffen. Sicherlich hättet Ihr Euch nicht in die Angelegenheiten der Küstenbewohner verwickeln lassen, wenn Ihr es nicht als Euren Teil dieser Vereinbarung betrachtet hättet. Aber wenn Ihr geht, ist Eure Hilfe beendet, und damit auch unsere Verpflichtung zum Unterricht. Und ich fürchte, Ihr werdet auch im Silbernen Schwan keine Lehrerinnen finden. Die Atha'an Miere werden warten müssen, bis die Amyrlin Lehrer schickt, wie es die Abmachung vorsieht, die mit der Herrin der Schiffe getroffen wurde.« Schade, dass sie von ihnen nicht verlangen konnte, sich vom Gasthof fern zu halten, aber dafür war es möglicherweise schon zu spät, und sie konnte diese Bitte sowieso nicht vernünftig begründen. Ein Argument, das mangels Masse nicht standhielt, würde Zaida nur ermutigen. Die Atha'an Miere konnten gna — denlos feilschen. Sie waren gewissenhaft, aber gnadenlos. Sie würde sehr langsam und sehr vorsichtig vorgehen müssen.

»Meine Schwester hat Euch am Ohr gepackt, Zaida din Parede«, kicherte Aviendha und schlug sich auf den Oberschenkel. »Sie hat Euch an den Füßen aufgehängt!« Das war eine Bestrafung des Meervolks, die sie aus irgendeinem Grund unglaublich amüsant fand.

Elayne unterdrückte einen gereizten Ausbruch. Aviendha genoss es, dem Meervolk in die Nase zu kneifen — sie hatte während ihrer Flucht aus Ebou Dar damit angefangen und nie mehr aufgehört —, aber jetzt war nicht der Augenblick dafür.

Chanelle versteifte sich, ihr ausdrucksloses Gesicht verzog sich zu einer finsteren Miene. Die schlanke Frau war mehr als einmal die Zielscheibe für Aviendhas Nasenkneifer gewesen, einschließlich einer bedauernswerten Episode mit Oosquai, dem sehr starken Aielgetränk. Das Leuchten Saidars hüllte sie ein! Zaida konnte das nicht sehen, aber sie wusste von dem Oosquai und dass man Chanelle ins Bett hatte tragen müssen, wobei sie sich die ganze Zeit über erbrochen hatte, und sie hob vorausschauend die Hand. Das Leuchten verblasste, und Chanelles Gesicht wurde dunkel. Es hätte ein Erröten oder auch Wut sein können.

»Es mag alles sein, wie Ihr behauptet«, sagte Zaida, was nicht weit von einer Beleidigung entfernt war, vor allem einer Aes Sedai gegenüber. »Auf jeden Fall gehört Merilille nicht dazu. Sie hat eingewilligt, als Lehrerin zu arbeiten, lange bevor sie nach Caemlyn gekommen ist, und sie wird mich begleiten, um mit ihrem Unterricht fortzufahren.«

Elayne holte tief Luft. Sie brauchte nicht einmal versuchen, Zaida das auszureden. Der Einfluss der Weißen Burg beruhte größtenteils auf der Tatsache, dass sie ihr Wort genauso unverbrüchlich hielt wie das Meervolk. Dass allgemein bekannt war, dass sie ihr Wort hielt. Oh, die Leute behaupteten, man müsse ganz genau zuhören, um sicher zu sein, dass eine Aes Sedai auch das versprochen hatte, was man annahm, und das stimmte auch oft, aber sobald das Versprechen eindeutig war, war es so bindend wie ein unter dem Licht abgelegter Schwur. Die Windsucherinnen würden Merilille niemals gehen lassen. Sie ließen sie ja kaum aus den Augen. »Vielleicht müsst Ihr sie mir zurückgeben, falls ich sie brauche.« Falls Vandene und ihre beiden Helferinnen Beweise fanden, dass sie eine Schwarze Ajah war. »Sollte das passieren, sorge ich für einen Ersatz.« Und sie hatte nicht die geringste Vorstellung, wer das wohl sein sollte.

»Sie muss den Rest ihres Jahres abdienen. Der Vereinbarung zufolge mindestens ein Jahr.« Zaida gestikulierte, als würde sie ein Zugeständnis machen. »Ihr Ersatz muss vor ihrer Abreise da sein. Ich werde sie nicht gehen lassen, ohne dass zuvor jemand ihren Platz eingenommen hat.«

»So soll es geschehen«, erwiderte Elayne ruhig. Das würde es verflucht noch mal auch müssen, da sie keine andere Wahl hatte!

Zaida lächelte flüchtig und schwieg. Chanelle scharrte mit den Füßen, aber mehr aus Ungeduld als um aufzustehen, und die Herrin der Wogen rührte sich nicht.

Vermutlich hatte sie noch einen anderen Handel im Sinn, und offensichtlich wollte sie, dass Elayne den Anfang machte. Elayne beschloss, ihr Gegenüber warten zu lassen. Das Feuer loderte mittlerweile, es schickte Funken den Kamin hinauf und strahlte eine behagliche Wärme in das Zimmer, aber Elaynes feuchte Robe schluckte die in der Luft liegende Kühle und übertrug sie auf ihre Haut. Es war schön und gut, die Kälte zu ignorieren, aber wie sollte man ignorieren, kalt und nass zu sein? Sie erwiderte Zaidas Blick ungerührt und zeigte das gleiche flüchtige Lächeln. Essande trat ein, gefolgt von Naris und Sephanie, die Tabletts trugen. Auf dem einen standen eine silberne Teekanne in der Form eines Löwen und dünne grüne Tassen aus Meervolk-Porzellan, auf dem anderen gehämmerte Silberpokale und ein hoher Weinkrug, aus dem der Duft von Gewürzen strömte. Jeder nahm Wein, mit Ausnahme von Elayne, die ihn nicht einmal angeboten bekam. Sie schaute in ihren Tee und seufzte. Sie konnte den Tassengrund deutlich sehen. Hätten sie ihn noch schwächer aufgegossen, hätten sie ihr genauso gut Wasser geben können!

Einen Moment später durchquerte Aviendha das Zimmer, um ihren Weinpokal auf dem Tablett abzustellen, das seinen Platz auf einer Kommode gefunden hatte, und schenkte sich eine Tasse Tee ein. Sie widmete Elayne ein Nicken und ein Lächeln, eine Kombination aus Mitgefühl und der Andeutung, dass sie allen Ernstes wässrigen Tee Wein vorzog. Unwillkürlich lächelte Elayne zurück. Erstschwestern teilten sowohl das Gute wie das Schlechte. Birgitte grinste über den Rand ihres Pokals und leerte ihn mit einem Schluck bis zur Hälfte. Der Bund vermittelte ihre Heiterkeit über den Missmut, der von Elayne ausging. Und er vermittelte noch immer ihre Kopfschmerzen, die nicht nachgelassen hatten. Elayne rieb sich die Schläfe. Sie hätte darauf bestehen sollen, dass Merilille die Frau Heilte, und zwar in dem Moment, in dem sie ihr über den Weg lief. Einige Kusinen übertrafen Merilille in der Kunst des Heilens, aber sie war im Palast die einzige Schwester, die halbwegs gut darin war.

»Ihr benötigt Frauen, die Wegetore erschaffen«, sagte Zaida unvermittelt. Ihre vollen Lippen lächelten nicht mehr. Es gefiel ihr nicht, als Erste das Wort ergreifen zu müssen.

Elayne schlürfte ihren schaurigen Tee und schwieg.

»Es könnte dem Licht gefallen, wenn ich eine oder zwei Windsucherinnen hier zurücklasse«, fuhr Zaida fort. »Für einen festgesetzten Zeitraum.«

Elayne legte die Stirn in Falten, als müsste sie da — rüber nachdenken. Sie brauchte diese verdammten Frauen, und zwar mehr als eine oder zwei. »Was würdet Ihr als Gegenleistung erwarten?«, fragte sie schließlich.

»Eine Quadratmeile Land am Fluss Erinin. Gutes Land. Keinesfalls feucht oder sumpfig. Es muss den Atha'an Miere für unbegrenzte Dauer gehören. Und es muss unter unseren Gesetzen stehen, nicht unter denen von Andor«, fügte sie dann hinzu, als wäre das ein kaum erwähnenswerter nachträglicher Einfall.

Elayne verschluckte sich an ihrem Tee. Die Atha'an Miere hassten es, das Meer verlassen zu müssen, sie , hassten es, außer Sichtweise von ihm zu sein. Und Zaida bat um Land, das tausend Meilen vom nächsten Meer entfernt war? Und bat auch noch darum, dass man es in jeder Hinsicht an sie abtrat? Cairhiener und Murandianer und sogar Altaraner hatten den Versuch, sich Teile von Andor einzuverleiben, mit Blut bezahlt, und Andoraner hatten geblutet, um sie rauszuhalten. Andererseits war eine Quadratmeile nicht viel, und obendrein ein kleiner Preis, um Caemlyn weiterhin zu versorgen. Nicht dass sie Zaida das wissen lassen würde. Und wenn das Meervolk direkte Handelsbeziehungen zu Andor aufnahm, dann würden andoranische Waren überall dorthin gelangen, wohin das Meervolk segelte, und da s war die ganze bekannte Welt. Das war Zaida mit Sicherheit klar, aber es brachte nichts, sie wissen zu lassen, dass Elayne daran gedacht hatte. Der Behüterbund riet zur Vorsicht, aber es gab Augenblicke, in denen Wagnisse gefragt waren, wie Birgitte besser als sonst jemand hätte wissen sollen.

»Manchmal bekommt man Tee in den falschen Hals.« Das war keine Lüge, lediglich eine Ausflucht.

»Für eine Quadratmeile von Andor verdiene ich mehr als zwei Windsucherinnen. Für die Benutzung der Schale der Winde haben die Atha'an Miere zwanzig Lehrerinnen und noch andere Hilfe erhalten, und wenn sie gehen, werdet ihr zwanzig bekommen, die sie ersetzen. In Eurem Gefolge sind einundzwanzig Windsucherinnen. Für eine Meile von Andor sollte ich alle einundzwanzig bekommen, und solange Aes Sedai das Meervolk unterrichten, einundzwanzig weitere als Ersatz, wenn sie gehen.« Es war besser, die Frau nicht glauben zu lassen, dass sie das Angebot auf diese Weise ohne nachzudenken ablehnte. »Natürlich würden sämtliche Waren, die von diesem Land nach Andor transportiert werden, den üblichen Zöllen unterliegen.«

Zaida hob den Silberpokal an die Lippen, und als sie ihn senkte, zeigte sie ein winziges Lächeln. Aber Elayne hielt es eher für ein Lächeln der Erleichterung statt des Triumphs. »Waren, die nach Andor transpor tiert werden, aber nicht die Waren, die über den Fluss in unser Land kommen. Und ich könnte drei Windsucherinnen zurücklassen. Sagen wir, für ein halbes Jahr. Und sie dürfen nicht bei Kämpfen eingesetzt werden. Ich werde nicht zulassen, dass meine Leute für Euch sterben, und ich werde nicht zulassen, dass andere Andoraner auf uns wütend sind, weil das Meervolk welche von ihnen getötet hat.«

»aber sie müssen es dort tun, wo immer ich es von ihnen verlange.« Beim Licht! Als hätte sie vor, die Eine Macht als Waffe zu benutzen! Das Meervolk tat das, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, aber sie gab sich alle Mühe, sich so zu benehmen, wie Egwene es verlangte, so als hätte sie die Drei Eide bereits abgelegt. Davon abgesehen, würde sich ihr nicht ein Haus von Andor anschließen, sollte sie die Heerlager außerhalb der Mauern mit Saidar angreifen oder zulassen, dass es ein anderer tat. »Sie müssen bleiben, bis meine Krone sicher ist, ob das nun ein halbes Jahr dauert oder auch länger.« Die Krone müsste ihr in viel weniger Zeit gehören, aber wie ihre alte Amme Lini immer zu sagen pflegte, man zählte seine Pflaumen im Korb und nicht am Baum. Aber sobald die Krone ihr gehörte, würde sie die Windsucherinnen nicht mehr brauchen, um die Stadt zu versorgen, und wenn sie ehrlich war, würde sie froh sein, sie gehen zu sehen. »Aber drei sind nicht einmal annähernd genug. Ihr werdet Shielyn behalten wollen, da sie Eure Windsucherin ist. Ich behalte den Rest.«

Die Medaillons an Zaidas Ehrenkette baumelten leise, als sie den Kopf schüttelte. »Talaan und Metarra sind noch immer Lehrlinge. Sie müssen ihre Ausbildung fortsetzen. Auch die anderen haben Pflichten. Man könnte vier von ihnen entbehren, bis Euch Eure Krone sicher ist.«

Von dem Punkt an war es nur noch eine Sache des Verhandeins. Elayne hatte nie damit gerechnet, die Lehrlinge behalten zu können, und die Windsucherinnen der Herrin der Wogen des Clans waren ebenfalls unabkömmlich, was sie erwartet hatte. Den meisten Herrinnen der Wogen dienten ihre Windsucherinnen und Schwertmeister als enge Berater, und man würde sich genauso leicht von ihnen trennen wie sie sich von Birgitte. Zaida versuchte auch andere auszuschließen, beispielsweise Windsucherinnen, die auf großen Schiffen wie Gleitern und Klippern fuhren, aber damit wäre die größte Anzahl sofort ausgenommen gewesen, und Elayne weigerte sich, und sie weigerte sich auch, ihre Forderungen herunterzuschrauben, bis Zaida ihr entgegenkam. Was sie nur langsam tat, und jedes Zugeständnis wurde mürrisch gemacht. Aber es geschah nicht so langsam, wie Elayne erwartet hätte. Offensichtlich brauchte die Herrin der Wogen diese Abmachung so nötig, wie sie Frauen brauchte, die Wegetore erschaffen konnten.

»Unter dem Licht, einverstanden«, konnte sie schließlich sagen, die Fingerspitzen der rechten Hand küssen und sich nach vorn beugen, um sie Zaida auf die Lippen zu drücken. Aviendha grinste, offensichtlich beeindruckt. Birgitte verzog keine Miene, aber der Bund verriet, dass sie es kaum glaubte, dass Elayne so gut dabei weggekommen war.

»Unter dem Licht, einverstanden«, murmelte Zaida. Ihre Finger auf Elaynes Lippen waren hart und schwielig, obwohl sie seit vielen Jahren kein Tau mehr in den Händen gehabt haben konnte. Für eine Frau, die neun von vierzehn Windsucherinnen abgegeben hatte, sah sie recht zufrieden aus. Elayne fragte sich, bei wie vielen dieser neun es sich um Frauen handelte, deren Schiffe in Ebou Dar von den Seanchanern zerstört worden waren. Unter den Atha'an Miere war der Verlust eines Schiffes eine ernste Sache, aus welchem Grund auch immer, und vielleicht Anlass genug, eine Weile länger von zu Hause fortzubleiben. Aber das spielte jetzt keine Rolle.

Chanelle sah missmutig aus, ihre tätowierten Hände umfassten die Knie ihrer roten Hose, aber sie sah bei weitem nicht so missmutig aus, wie man von einer Meervolkfrau hätte erwarten sollen, die noch eine Zeit benden Windsucherinnen zugeteilt worden, und es gefiel ihr nicht, dass Zaida eingewilligt hatte, dass sie unter Elaynes und Birgittes Kommando stand. Es würde keine Atha'an Miere mehr geben, die durch den Palast schritten, als würde er ihnen gehören, und eine Forderung nach der anderen stellten. Aber Elayne hatte den Verdacht, dass Zaida vor diesem Treffen gewusst hatte, dass sie einige Angehörige ihrer Gruppe würde zurücklassen müssen, und Chanelle hatte gewusst, dass sie ihre Anführerin sein würde. Aber auch das spielte weiter keine Rolle, so wie es auch keine Rolle spielte, welche Vorteile Zaida sich zu verschaffen glaubte, um zur Herrin der Schiffe aufzusteigen. Dass sie welche sah, war so klar wie Glas. Wichtig war allein, dass Caemlyn nicht hungern würde. Das und das verdammte ... Fanal, das noch immer im Westen loderte. Nein, sie würde Königin sein, und sie konnte kein verliebtes Mädchen sein. Caemlyn und Andor, das war alles, was zählte.

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