7 Scharfkantige Rätselspiele

Als das Gelächter abrupt verstummte, setzte Aram ein selbstzufriedenes Grinsen auf, und der Furchtgeruch, der zuvor von ihm ausgegangen war, war verschwunden. Jeder hätte geglaubt, dass er die Spuren bereits selbst gesehen hatte und alles wusste, was es darüber zu wissen gab. Aber alle hatten nur Augen für die riesigen Pfotenabdrücke auf dem Stein, und keiner beachtete das Grinsen oder sonst etwas, nicht einmal Perrins Erklärung, dass die Schattenhunde schon lange fort waren. Natürlich konnte er ihnen nicht verraten, woher er das wusste, aber diesen Mangel schien keiner zu bemerken. Ein schräger Sonnenstrahl fiel direkt auf die graue Platte und erhellte sie deutlich. Traber hatte sich an den vergehenden Geruch nach verbranntem Schwefel gewöhnt — zumindest schnaubte er nur und legte die Ohren an —, aber die anderen Pferde scheuten vor dem schrägen Stein. Abgesehen von Perrin konnte keiner der Menschen den Geruch wahrnehmen, und die meisten fluchten über das Verhalten ihrer Reittiere und betrachteten den seltsam gezeichneten Felsen, als wäre er eine von einem Wanderzirkus zur Schau gestellte Kuriosität.

Berelains mollige Dienerin schrie auf, als sie die Spuren sah, und schwankte so auf ihrer dickbäuchigen, nervös tänzelnden Stute herum, dass sie hinunterzufallen drohte, aber Berelain bat Annoura lediglich gedankenverloren, auf sie aufzupassen, und starrte die Pfotenabdrücke so regungslos an, als wäre sie selbst eine Aes Sedai. Aber ihre Hände verkrampften sich um die Zügel, bis sich das dünne rote Leder um ihre Knöchel spannte. Bertain Gallenne, der Lordhauptmann der Geflügelten Wachen, dessen roter Helm mit den herausgehämmerten Flügeln von drei dünnen roten Federn gekrönt wurde, hatte an diesem Morgen persönlich das Kommando über Berelains Leibwache, und er trieb seinen großen schwarzen Wallach an den Felsen heran, schwang sich aus dem Sattel in den knietiefen Schnee und nahm seinen Helm ab, um die Platte mit seinem einen Auge zu betrachten. Die leere Augenhöhle wurde von einer scharlachroten Klappe bedeckt, deren Riemen durch sein schulterlanges graues Haar führte. Seine Grimasse verkündete, dass er Ärger sah, aber er sah immer zuerst die Probleme. Perrin vermutete, dass das bei einem Soldaten besser war, als immer nur das Gute zu sehen.

Auch Masuri stieg ab, aber sobald sie auf dem Boden stand, blieb sie mit den Zügeln in der einen behandschuhten Hand stehen und sah unsicher zu den drei sonnenverbrannten Aielfrauen hinüber. Ein paar mayenische Soldaten murmelten unbehaglich, aber mittlerweile hätten sie sich daran gewöhnen müssen. Annoura verbarg ihr Gesicht tiefer in der grauen Kapuze, als wollte sie den Felsen nicht sehen, und schüttelte Berelains Dienerin energisch; die Frau starrte sie erstaunt an. Masuri andererseits wartete scheinbar geduldig neben ihrem Pferd, aber ihr unablässiges, unbewusstes Glätten des rotbraunen Seidenreitrocks verriet ihre Nervosität. Die Weisen Frauen wechselten so ausdruckslos wie die Schwestern stumme Blicke. Carelle stand zwischen Nevarin, einer dürren Frau mit grünen Augen, und Marline, deren Augen das Blau des Zwielichts aufwiesen und deren schwarzes Haar — eine Seltenheit unter den Aiel — unter dem Tuch hervor schaute. Alle drei waren hochgewachsene Frauen, so groß wie Männer, und keine von ihnen schien mehr als ein paar Jahre älter als Perrin zu sein, aber ihre ruhige Gelassenheit wäre nicht möglich gewesen, ohne mehr Jahre gelebt zu haben, als ihre Gesichter verkündeten. Abgesehen von den langen Ketten und schweren Armreifen aus Gold und Elfenbein hätten ihre schweren dunklen Röcke und die dunklen Schultertücher auch zu Bäuerinnen gepasst, aber es bestand nicht der geringste Zweifel, wer hier das Kommando hatte, die Aes Sedai oder sie. Wenn man ehrlich war, schienen manchmal sogar Zweifel zu bestehen, wer den Oberbefehl hatte, Perrin oder sie.

Schließlich ruckte Nevarin und zeigte ein warmes und zustimmendes Lächeln. Perrin hatte sie noch nie lächeln gesehen. Nevarin ging nie mit finsterer Miene umher, aber für gewöhnlich schien sie nach jema ndem Ausschau zu halten, den sie ausschimpfen konnte.

Masuri hatte auf das Nicken gewartet, bevor sie ihre Zügel einem Soldaten gab. Ihr Behüter war nirgendwo in Sicht, und das musste das Werk der Weisen Frauen sein. Für gewöhnlich klebte Rovair an ihr wie Pech. Sie hob ihren Reitrock und stapfte durch den Schnee, der in der Nähe des Steins immer tiefer wurde, dann strich sie mit den Händen über die Pfotenabdrücke und lenkte offensichtlich die Macht, obwohl nichts passierte, das Perrin sehen konnte. Die Weisen Frauen beobachteten sie genau, aber sie konnten Masuris Gewebe sehen. Annoura zeigte kein Interesse. Die Enden ihrer schmalen Zöpfe zuckten, als würde sie in der Kapuze den Kopf schütteln, und die Graue Schwester lenkte ihr Pferd von der Dienerin fort und aus der Sichtweite der Weisen Frauen, obwohl sie das auch weiter von Berelain fortbrachte, die vielleicht gerade jetzt ihren Rat gebraucht hätte. Annoura ging den Weisen Frauen so gut aus dem Weg, wie sie nur konnte.

»Wandelnde Lagerfeuergeschichten«, murmelte Gallenne und zog mit einem Seitenblick auf Masuri seinen Wallach von dem Felsen fort. Er verehrte Aes Sedai, aber nur wenige Männer wollten in der Nähe einer Aes Sedai sein, wenn sie die Macht lenkte. »Obwohl ich eigentlich gar nicht weiß, warum ich noch überrascht bin nach all dem, was ich gesehen habe, seit wir Mayene verlassen haben.« Masuri schien ihn nicht zu bemerken, sie konzentrierte sich auf die Spuren.

Eine Unruhe ging durch die Lanzenreiter, so als hätten sie ihren eigenen Augen nicht getraut, bis ihr Befehlshaber ihnen eine Bestätigung gab, und ein paar von ihnen fingen an, nach unbehaglicher Furcht zu riechen, als rechneten sie jeden Augenblick mit dem Angriff von Schattenhunden.

Gallenne schien zu spüren, was Perrin roch; er hatte seine Fehler, aber er führte schon lange Zeit Soldaten. Er hängte seinen Helm auf den langen Schwertknauf und grinste. Die Augenklappe verlieh dem Grinsen eine grimmige Note, da war ein Mann, der im Angesicht des Todes etwas witzig finden konnte und erwartete, dass andere es ebenso sahen. »Wenn uns die Schwarzen Hunde ärgern, salzen wir ihre Ohren ein«, verkündete er mit energischer Stimme. »Das macht man doch in den Geschichten, oder? Streue ihnen Salz auf die Ohren, und sie verschwinden.« Ein paar Lanzenreiter lachten, allerdings hatte das auf den Gestank nach Furcht keinen großen Einfluss. Geschichten am Lagerfeuer waren eine Sache, wenn die Gespenster einem leibhaftig begegneten, eine ganz andere.

Gallenne führte seinen Schwarzen zu Berelain und legte eine behandschuhte Hand auf den Hals ihres Braunen. Er warf Perrin einen fragenden Blick zu, den dieser ruhig erwiderte, denn er dachte nicht daran, nach diesem Köder zu schnappen. Was auch immer der Mann zu sagen hatte, konnte er vor ihm und Aram sagen. Gallenne seufzte. »Die Geflügelten Wächter werden die Nerven nicht verlieren, meine Lady«, sagte er leise, »aber die Tatsache bleibt bestehen, dass unsere Lage unsicher ist; wir sind von allen Seiten von Feinden umgeben, und unsere Vorräte gehen zur Neige. Schattengezücht kann alles nur noch verschlimmern. Meine Pflicht liegt bei Euch und Mayene, meine Lady, und bei allem Respekt Lord Perrin gegenüber, vielleicht wollt Ihr ja Eure Pläne ändern.« Zorn loderte in Perrin empor — der Mann wollte Falle im Stich lassen! —, aber Berelain ergriff das Wort, bevor er das sagen konnte.

»Es wird keine Änderung geben, Lord Gallenne.« Manchmal fiel es leicht zu vergessen, dass sie eine Herrscherin war, wie klein Mayene auch sein mochte, und in ihrer Stimme lag ein majestätischer Klang, der zu einer Königin von Andor gepasst hätte. Aufrecht dasitzend ließ sie ihren Sattel wie einen Thron erscheinen, und sie sprach laut genug, damit auch jeder ihre Entscheidung hören konnte, und entschieden genug, dass auch jeder wusste, dass es sich um eine endgültige Entscheidung handelte. »Wenn wir von Feinden umzingelt sind, dann ist der Vorstoß genauso sicher wie der Rückzug. Und selbst wenn es zehnmal sicherer wäre, sich zurückzuziehen, würde ich weitermarschieren. Ich will, dass Lady Falle gerettet wird, und wenn wir uns den Weg durch tausend Schattenhunde freikämpfen müssen, und Trollocs obendrein. Das habe ich geschworen!«

Lauter Jubel antwortete ihr, die Geflügelten Wächter brüllten und stießen ihre Lanzen in die Luft, sodass die roten Wimpel tanzten. Der Furchtgeruch blieb bestehen, aber sie klangen bereit, sich lieber einen Weg durch eine beliebige Anzahl von Trollocs zu bahnen, als in Berelains Augen an Ansehen zu verlieren. Gallenne führte sie an, aber sie empfanden mehr als nur Zuneigung für ihre Herrscherin, und das trotz ihres Rufes, was Männer anging. Vielleicht sogar deswegen. Berelain hatte verhindert, dass Mayene von Tear geschluckt wurde, indem sie einen Mann, der sie wunderschön fand, gegen den nächsten ausgespielt hatte. Perrin musste sich beherrschen, sie nicht überrascht anzustarren. Sie klang so entschlossen wie er! Sie roch so entschlossen! Gallenne neigte den grauen Kopf in unwilligem Einverständnis, und Berelain zeigte ein schnelles, zufriedenes Nicken, bevor sie ihre Aufmerksamkeit auf die Aes Sedai neben der Felsplatte richtete.

Masuri hatte aufgehört, mit den Händen herumzufuchteln, tippte sich nachdenklich mit einem Finger gegen die Lippen und starrte die Pfotenabdrücke an. Sie war eine hübsche Frau, ohne dabei eine Schönheit zu sein, obwohl das auch an der Alterslosigkeit der Aes Sedai liegen konnte, und sie verfügte über eine anmutige Eleganz, die möglicherweise ebenfalls darin begründet war. Es fiel oft sehr schwer, eine Schwester, die auf einem Bauernhof geboren war, von einer aus einem Palast zu unterscheiden. Perrin hatte sie mit rotem Gesicht und zornig gesehen, erschöpft und am Ende ihrer Beherrschung, aber trotz der beschwerlichen Reise und dem Leben in den Aielzelten sahen ihr dunkles Haar und ihre Kleidung aus, als stünde auch ihr eine Zofe zur Verfügung. Sie hätte genauso gut in einer Bibliothek stehen können.

»Was habt Ihr erfahren, Masuri?«, fragte Berelain.

»Masuri, bitte? Masuri?«

Ihre letzten Worte klangen etwas schärfer, und Masuri zuckte zusammen, als würde sie plötzlich überrascht erkennen, dass sie nicht allein war. Möglicherweise war sie tatsächlich überrascht; in vielerlei Hinsicht schien sie eher den Grünen Ajahs zu entsprechen als den Braunen, neigte eher zum Handeln statt zum Nachdenken, kam immer direkt zur Sache, aber sie war noch immer dazu fähig, sich völlig in dem zu verlieren, was gerade ihre Aufmerksamkeit fesselte. Sie faltete die Hände in Hüfthöhe und öffnete den Mund, aber statt zu sprechen zögerte sie und blickte fragend zu den Weisen Frauen hinüber.

»Macht schon, Mädchen«, sagte Nevarin ungeduldig und stemmte mit klirrenden Armreifen die Fäuste in die Hüften. Ein Stirnrunzeln ließ sie so mürrisch wie immer erscheinen, aber keine der anderen Weisen Frauen sah freundlicher aus. Drei finstere Mienen in einer Reihe wie drei helläugige Krähen auf einem Zaun. »Wir lassen Euch nicht einfach Eure Neugier stillen. Macht schon, sagt uns, was Ihr erfahren habt.«

Masuris Gesicht rötete sich, aber sie sprach sofort, den Blick auf Berelain gerichtet. Es konnte ihr nicht gefallen, in der Öffentlichkeit zurechtgewiesen zu werden, gleichgültig, was über ihre Beziehung zu den Aes Sedai nach außen gedrungen war. »Über die Schattenhunde ist nur wenig bekannt, aber ich habe sie studiert. Im Laufe der Jahre bin ich sieben Rudeln begegnet, fünf von ihnen zweimal und zwei weiteren dreimal.« Die Farbe schwand aus ihren Wangen, und langsam klang sie, als würde sie einen Vortrag halten. »Einige der alten Chronisten behaupten, dass es nur sieben Rudel gibt, andere wiederum neun oder dreizehn oder eine andere Zahl, die ihrer Meinung nach eine besondere Bewandtnis hat, aber während der TrollocKriege schrieb Sorelana Alsahhan von den ›Hunderten Rudeln von Schattenhunden, die die Nacht heimsuchen^ und davor schrieb Ivonell Bharatiya von ›aus dem Schatten geborenen Hunden, deren Anzahl so groß ist wie die Albträume der Menschheit^ Obwohl Ivonell, um die Wahrheit zu sagen, apokryph sein könnte. Wie dem auch sei, der ...« Sie gestikulierte, als würde sie nach einem passenden Ausdruck suchen.

»Geruch ist nicht das richtige Wort. Die Ausstrahlung, die von jedem Rudel ausgeht, ist einzigartig, und ich kann mit Sicherheit sagen, dass mir dieses hier noch nie begegnet ist, also wissen wir, dass die Zahl sieben falsch ist. Ob die korrekte Zahl nun neun oder dreizehn oder anders ist, es gibt viel mehr Geschichten über Schattenhunde als Schattenhunde selbst, und so weit südlich von der Großen Fäule sind sie äußerst selten. Und da ist noch eine zweite Ausnahme: dieses Rudel dürfte fast fünfzig Tiere umfasst haben. Für gewöhnlich sind zehn oder zwölf die Grenze. Eine nützliche Maxime: zwei Ausnahmen, die zusammentreffen, verlangen nähere Aufmerksamkeit.« Sie hielt inne und hob einen Finger, um den Punkt zu unterstreichen, dann nickte sie, als sie davon überzeugt war, dass Berelain es begriffen hatte, und faltete wieder die Hände. Ein heftiger Wind stieß ihr den gelbbraunen Umhang von einer Schulter, aber sie schien den Wärmeverlust nicht zu spüren.

»Von den Spuren der Schattenhunde geht immer das Gefühl von Dringlichkeit aus, aber das ändert sich durch eine Vielzahl von Faktoren, die ich nicht alle mit Sicherheit benennen kann. Diese hier weisen eine intensive Beimischung von ... ich schätze, man könnte es Ungeduld nennen. Das trifft es zwar nicht einmal annähernd — genauso gut könnte man eine Stichwunde als Nadelstich bezeichnen —, aber es muss reichen. Ich würde sagen, ihre Jagd dauert schon eine Weile, und ihr Wild entgeht ihnen irgendwie. Was die Geschichten auch behaupten mögen — übrigens, Lord Gallenne, Salz kann den Schattenhunden nicht im mindesten schaden.« Also war sie doch nicht völlig in Gedanken versunken gewesen. »Den Geschichten zum Trotz jagen sie niemals zufällig, obwohl sie töten, wenn sich die Gelegenheit bietet und sie nicht die Jagd behindert. Bei den Schattenhunden kommt die Jagd an erster Stelle. Ihr Opfer ist dem Schatten immer wichtig, auch wenn uns der Grund dafür manchmal verborgen bleibt. Sie sind dafür bekannt, die Großen und Mächtigen links liegen zu lassen, um eine Bauersfrau oder einen Handwerker zu töten, oder ein Dorf oder eine Stadt zu betreten und ohne zu töten wieder zu verschwinden, obwohl sie doch offensichtlich aus einem bestimmten Grund kamen. Mein erster Gedanke, was sie hergeführt hat, musste verworfen werden, da sie weitergelaufen sind.« Ihr Blick glitt zu Perrin herüber, so schnell, dass er sich nicht sicher war, ob es jemand bemerkt hatte. »Darum bezweifle ich sehr, dass sie zurückkommen werden. O ja, und sie sind eine Stunde oder länger weg. Ich fürchte, das ist alles, was ich euch sagen kann.« Nevarin und die anderen Weisen Frauen nickten zufrieden, als sie endete, und in ihre Wangen trat wieder eine Spur Farbe, die allerdings schnell verschwand, als sie die gelassene Maske der Aes Sedai aufsetzte. Eine Veränderung der Windrichtung trug ihren Geruch an Perrin heran; sie war überrascht und erfreut — und aufgebracht, dass sie erfreut war.

»Danke, Masuri Sedai«, sagte Berelain förmlich und machte im Sattel eine kleine Verbeugung, die Masuri mit einem leichten Nicken entgegennahm. »Ihr habt uns unsere Sorgen genommen.«

Tatsächlich begann die Furcht unter den Soldaten zu verblassen, obwohl Perrin hörte, wie Gallenne leise murmelte: »Sie hätte uns das Letzte auch zuerst sagen können.«

Perrins Ohren nahmen durch das Stampfen der Pfer — dehufe und das leise, erleichterte Gelächter der Männer hindurch allerdings noch etwas anderes wahr. Im Süden ertönte das Trillern eines Blaufinken, das sonst keiner wahrnehmen konnte, dicht gefolgt vom summenden Ruf eines Maskenspatzen. Ein weiterer Blaufink ertönte, wieder gefolgt von einem Maskenspatzen, und dann rief das Paar aus noch größerer Nähe. Es mochte in Altara Blaufinken und Maskenspatzen geben, aber er wusste, dass diese Vögel Langbogen aus den Zwei Flüssen trugen. Der Blaufink bedeutete, dass Männer kamen, mehr als nur ein paar und möglicherweise mit unfreundlichen Absichten. Der Maskenspatz andererseits, der zu Hause auch Diebvogel genannt wurde, weil er gern funkelnde Gegenstände stahl ... Perrin fuhr mit dem Daumen über die Axtschneide, wartete aber auf weitere Rufe, die nahe genug ertönten, dass sie auch den anderen auffielen.

»Hört Ihr das?«, sagte er und schaute nach Süden, als wäre es ihm gerade erst aufgefallen. »Meine Posten haben Masema entdeckt.« Das führte dazu, dass sich Köpfe hoben und lauschten, und mehrere Männer nickten, als die Rufe aus noch größerer Nähe wiederholt wurden. »Er kommt hier entlang.«

Gallenne stülpte sich unter Flüchen den Helm auf den Kopf und stieg in den Sattel. Annoura zog die Zügel enger, und Masuri stapfte zurück zu ihrem Pferd. Die Lanzenreiter rutschten in den Sätteln umher und fingen an, nach Wut zu riechen, in die sich wieder Furcht mischte. In ihren Augen schuldete Masema den Geflügelten Wachen eine Blutschuld, aber keiner war darauf versessen, sie mit nur fünfzig Mann einzufordern, nicht, wenn Masema immer mit hundert Mann ritt.

»Ich werde nicht vor ihm davonlaufen«, verkündete Berelain. Sie starrte mit einem kalten Blick nach Süden.

»Wir werden hier auf ihn warten.«

Gallenne öffnete den Mund und schloss ihn wieder, ohne etwas gesagt zu haben — jedenfalls zu ihr. Er holte tief Luft, dann begann er, Befehle zu brüllen, um seine Männer zu gruppieren. Das war nicht einfach. Auch wenn die Bäume weit voneinander entfernt standen, ein Wald war kein guter Ort für einen Lanzenreiter. Jeder Ausfall würde von Anfang an unzusammenhängend sein, und es war schwer, einen Mann mit der Lanze aufzuspießen, wenn er sich hinter einem Baumstamm verstecken und einem in den Rücken fallen konnte. Gallenne versuchte, sie vor Berelain aufzustellen, vor ihr und den näher kommenden Männern, aber sie warf ihm einen missbilligenden Blick zu, und der Einäugige änderte seine Befehle und stellte die Lanzenreiter in einer einzigen, leicht schrägen Reihe auf, die sich um große Bäume ballte, aber sie in die Mitte nahm. Gallenne schickte einen Soldaten ins Lager zurück; er duckte sich tief in seinen Sattel, hielt die Lanze wie bei einem Angriff gesenkt, und ritt so schnell, wie es Schnee und Gelände erlaubten. Berelain nahm das mit einer erhobenen Braue zur Kenntnis, sagte aber nichts.

Annoura fing an, ihren Braunen auf Berelain zuzusteuern, hielt aber inne, als Masuri ihren Namen rief. Die Braune Schwester hatte ihr Pferd geholt, stand aber noch immer von den Weisen Frauen umgeben im Schnee. Verglichen mit ihr waren sie so groß, dass sie wie eine Halbwüchsige erschien. Annoura zögerte, bis Masuri sie erneut rief, diesmal etwas schärfer, und Perrin glaubte sie seufzen zu hören, bevor sie zu ihnen ritt und abstieg. Was auch immer die Aielfrauen zu sagen hatten — ihre Stimmen waren zu leise, als dass Perrin sie verstehen konnte, und sie drängten sich vor Annoura und steckten die Köpfe zusammen —, es gefiel der Schwester aus Tarabon nicht. Ihr Gesicht blieb in der Kapuze verborgen, aber ihre dünnen Zöpfe wirbelten immer schneller umher, je länger sie den Kopf schüttelte, und schließlich wandte sie sich abrupt ab und schob einen Fuß in den Steigbügel. Masuri hatte still dagestanden und die Weisen Frauen reden lassen, aber jetzt legte sie Annoura eine Hand auf den Ärmel und sagte leise etwas, das Annouras Schultern nach vorn sacken und die Weisen Frauen nicken ließ. Annoura stieß die Kapuze zurück und wartete, bis Masuri aufgesessen war, bevor sie auf ihr Pferd stieg, und dann ritten die beiden Schwestern zusammen zu der Reihe der Lanzenreiter und schoben sich auf der anderen Seite von Perrin neben Berelain, während sich die Weisen Frauen dazwischendrängten. Annouras Mundwinkel hingen mürrisch nach unten, und sie rieb sich nervös ihre Daumen.

»Was habt Ihr vor?«, fragte Perrin und versuchte nicht, sein Misstrauen zu verbergen. Vielleicht hatten die Weisen Frauen ja erlaubt, dass sich Masuri mit Masema traf, aber sie behaupteten noch immer, der Meinung zu sein, dass dieser Mann sterben sollte. Die Aes Sedai konnten die Macht nicht als Waffe verwenden, solange sie nicht in Gefahr schwebten, aber die Weisen Frauen kannten diese Beschränkung nicht. Er fragte sich, ob sie einen Zirkel gebildet hatten. Er wusste mehr über die Eine Macht, als ihm lieb war, und genug über die Weisen Frauen, um sicher zu sein, dass Nevarin in diesem Fall den Befehl über einen Zirkel hatte.

Annoura öffnete den Mund, ließ ihn nach einer warnenden Berührung von Carelle zuschnappen und warf Masuri einen finsteren Blick zu. Die Braune Schwester schürzte die Lippen und schüttelte kaum merklich den Kopf, was Annoura nicht zu beschwichtigen schien.

Ihre Hände griffen die Zügel so fest, dass sie zitterten.

Nevarin schaute an Berelain vorbei zu Perrin hoch, als würde sie seine Gedanken lesen. »Wir wollen dafür sorgen, dass Ihr wieder sicher ins Lager zurückkommt, Perrin Aybara«, sagte sie entschieden, »Ihr und Berelain Paeron. Wir wollen dafür sorgen, dass so viele wie möglich den heutigen Tag überleben, und die kommenden Tage auch. Habt Ihr Einwände?«

»Unternehmt nichts, bevor ich es auch sage«, erwiderte er. Diese Antwort konnte alles mögliche bedeuten. »Aber auch gar nichts.«

Nevarin schüttelte angewidert den Kopf, und Carelle lachte, als hätte er einen großartigen Witz erzählt. Keine der Weisen Frauen schien zu glauben, dass eine weitere Erwiderung notwendig war. Man hatte ihnen befohlen, ihm zu gehorchen, aber ihr Verständnis von Gehorsam stimmte mit keinem überein, das er kannte. Schweinen würden Flügel wachsen, bevor er eine bessere Antwort aus ihnen herausbekam.

Er hätte dem ein Ende setzen können. Er wusste, er hätte es tun sollen. Was die Weisen Frauen auch geplant haben mochten, Masema so weit entfernt vom Lager zu treffen, obwohl der Mann wissen musste, wer seinen seanchanischen Brief gestohlen hatte, war so ähnlich wie die Hoffnung, die Hand vom Amboss reißen zu können, bevor der Hammer traf. Berelain war beinahe genauso schlimm wie die Weisen Frauen, wenn es darum ging, Befehle zu befolgen, aber er glaubte, sie würde auf ihn hören, wenn er befahl, sich ins Lager zurückzuziehen. Er glaubte es, obwohl ihr Geruch verkündete, dass sie die Absätze tief in den Boden gerammt hatte. Hier zu bleiben war ein sinnloses Risiko. Er war zuversichtlich, sie davon überzeugen zu können. Und doch wollte auch er nicht vor dem Mann davonlaufen. Ein Teil von ihm sagte ihm, dass er ein Narr war. Der größere Teil schwelte mit einem Zorn, der sich kaum bändigen ließ. Aram drängte sich mit finsterer Miene neben ihn, aber immerhin hatte er das Schwert nicht gezogen. Mit dem Schwert herumzufuchteln mochte eine glühende Kohle in den Heuschober werfen, und der Zeitpunkt für die Konfrontation mit Masema war noch nicht gekommen. Perrin legte eine Hand auf die Axt. Noch nicht.

Trotz der schrägen Sonnenstrahlen, die ihren Weg durch das dichte Blätterdach hindurchfanden, war der Wald in dämmerige Schatten gehüllt. Selbst am Mittag würde es hier düster sein. Zuerst hörte er die Geräusehe, das gedämpfte Stampfen von Hufen im Schnee, das heisere Schnauben von Pferden, die angetrieben wurden, und dann erschien eine Masse von Reitern, eine wilde Horde, die trotz Schnee und unwegsamem Gelände fast im Galopp an den gewaltigen Bäumen vorbeiströmte. Es waren keine Hundert, sondern zwei- oder dreimal soviel. Ein Pferd stürzte mit schrillem Wiehern und blieb zuckend auf seinem Reiter liegen, aber keiner verlangsamte auch nur das Tempo, bis ein siebzig oder achtzig Schritte vorausreitender Mann die Hand hob, und sie rissen an den Zügeln, und Schnee spritzte auf, und die schwitzenden Pferde schnaubten und dampften. Hier und da ragten bei den Reitern Lanzen in die Höhe. Die meisten trugen keine Rüstung, viele bloß einen Brustpanzer oder einen Helm, aber an ihren Sätteln hingen Schwerter und Äxte und Keulen. Sonnenstrahlen beleuchteten ein paar Gesichter, grimmige Männer, die aussahen, als hätten sie nie in ihrem Leben gelächelt und würden es auch niemals tun.

Perrin kam der Gedanke, dass es ein Fehler gewesen war, Berelain nicht zu überstimmen. Das kam davon, wenn man hastige Entscheidungen traf, der Wut das Denken überließ. Jeder wusste, dass sie morgens oft ausritt, und Masema wollte möglicherweise sein seanchanisches Dokument verzweifelt wiederhaben. Selbst mit den Aes Sedai und den Weisen Frauen konnte ein Kampf in diesen Wäldern zu einem blutigen Handgemenge werden, bei dem Männer und Frauen sterben konnten, ohne zu sehen, wer sie getötet hatte. Wenn keine Zeugen übrig blieben, konnte man alles auf Banditen oder sogar die Shaido schieben. Das war schon zuvor geschehen. Und falls Zeugen übrig blieben, würde Masema nicht zögern, ein paar Dutzend seiner eigenen Männer aufzuhängen und zu behaupten, die Schuldigen seien bestraft worden. Allerdings würde er Perrin Aybara vermutlich noch eine Weile am Leben lassen wollen, und er würde nicht mit den Weisen Frauen gerechnet haben, oder einer zweiten Aes Sedai. Kleine Punkte, um daran fünfzig Leben festzumachen. Sehr kleine Punkte, um daran Failes Leben festzumachen. Perrin lockerte die Axt im Gürtel. Berelain neben ihm roch nach kühler Ruhe und steinerner Entschlossenheit. Seltsamerweise war da keine Furcht. Nicht mal ein Hauch. Aram roch ... aufgeregt.

Die beiden Gruppen musterten sich schweigend, bis Masema schließlich von nur zwei Männern gefolgt nach vorn ritt; alle drei schoben die Kapuzen zurück. Keiner trug einen Helm oder eine Rüstung. Wie Masema kamen auch Nengar und Bartu aus Schienar, aber genau wie er hatten sie die Haarknoten abrasiert und waren jetzt kahlköpfig, was ihnen das Aussehen von Totenschädeln verlieh. Das Auftauchen des Wiedergeborenen Drachen hatte alle Bande zerstört, einschließlich der Eide dieser Männer, an der Grenze der Fäulnis gegen den Schatten zu kämpfen. Nengar und Bartu trugen jeder ein Schwert auf dem Rücken und ein zusätzliches am Sattelknauf, und Bartu, der kleinere der beiden, hatte ein Futteral mit einem Reiterbogen und einen Köcher am Sattel befestigt. Masema trug keine sichtbaren Waffen. Der Prophet des Wiedergeborenen Lord Drachen brauchte keine. Perrin war froh, dass Gallenne die von Masema zurückgelassenen Männer im Auge behielt, denn der Prophet hatte etwas an sich, das die Blicke auf sich zog. Vielleicht war es nur das Wissen, wer er war, aber das reichte schon aus.

Masema zügelte seinen schlanken Fuchs ein paar Schritte von Perrin entfernt. Der Prophet war ein Mann von durchschnittlicher Größe mit einer strengen Miene, dessen eine Wange von einer verblassten Pfeilnarbe gezeichnet wurde. Er trug einen abgetragenen braunen Wollmantel und einen dunklen Umhang mit ausgefransten Säumen. Masema kümmerte sich nicht um das äußere Erscheinungsbild, am wenigsten um das seine. Nengar und Bartu hinter ihm hatten einen fiebrigen Blick, aber Masemas tiefsitzende, beinahe schwarze Augen erschienen so heiß wie die Kohlen in einem Schmiedefeuer, als würde der Wind sie gleich zum Glühen anfachen, und sein Geruch war die zerrissene Schärfe unverfälschten Wahnsinns. Er ignorierte die Weisen Frauen und Aes Sedai mit einer Verachtung, die er nicht einmal verbarg. In seinen Augen waren die Weisen Frauen noch viel schlimmer als die Aes Sedai; nicht nur, dass sie Blasphemie betrieben, indem sie die Eine Macht lenkten, sie waren außerdem auch noch wilde Aiel, also eine zweifache Sünde. Die Geflügelten Wachen unter den Bäumen hätten genauso gut Schatten sein können. »Macht ihr ein Picknick?«, fragte er mit einem Blick auf den Korb, der an Perrins Sattel hing. Normalerweise war Masemas Stimme so intensiv wie sein Blick, aber jetzt klang sie trocken, und seine Lippen verzogen sich, als er zu Berelain hinüber — schaute. Natürlich hatte er die Gerüchte gehört.

Wut loderte in Perrin emp or, aber er zwang sie zurück. Seine Wut hatte ein Ziel, und er würde sie nicht verschwenden, indem er nach einem anderen schlug. Traber nahm die Stimmung seines Reiters wahr und schien nach Masemas Wallach schnappen zu wollen, und Perrin musste ihn scharf zügeln. »Hier waren Schattenhunde in der Nacht«, sagte er nicht besonders elegant, aber besser brachte er es nicht zustande. »Sie sind weg, und Masuri glaubt nicht, dass sie zurückkehren, also gibt es keinen Grund zur Sorge.«

Masema roch nicht im mindesten besorgt. Er roch nie nach etwas anderem als Wahnsinn. Der Fuchs stieß heftig mit dem Kopf nach Traber, aber Masema zog ihn mit einem brutalen Ruck zurück. Masema war ein guter Reiter, aber er behandelte seine Tiere genauso, wie er Menschen behandelte. Zum ersten Mal sah er Masuri an. Sein Blick wurde noch etwas brennender, falls das möglich war. »Man kann den Schatten überall finden«, sagte er, die hitzige Verkündigung einer unzweifelhaften Wahrheit. »Keiner, der dem Wiedergeborenen Lord Drachen folgt — möge das Licht seinen Namen leuchten lassen —, muss den Schatten fürchten. Selbst im Tode werden sie den endgültigen Sieg des Lichts finden.«

Masuris Stute scheute, als hätte sie der Blick verbrannt, aber sie zügelte das Tier und erwiderte Masemas Blick mit der Unergründlichkeit einer Aes Sedai, so ruhig wie ein zugefrorener Teich. Nichts wies darauf hin, dass sie mit dem Mann ein Geheimtreffen gehabt hatte. »Wenn sie gut kontrolliert wird, ist Furcht ein nützlicher Antrieb für das Urteilsvermögen und die Entschlossenheit. Wenn wir uns vor unseren Feinden nicht fürchten, bleibt nur Verachtung übrig, und Verachtung führt zum Sieg des Feindes.« Man hätte glauben können, sie würde mit einem einfachen Bauern sprechen, dem sie noch nie zuvor begegnet war. Annoura sah aus, als sei ihr leicht übel. Fürchtete sie, ihr Geheimnis würde ans Tageslicht kommen? Dass ihre Pläne für Masema durchkreuzt werden könnten?

Masema verzog erneut die Lippen; es konnte genauso gut ein Lächeln wie ein verächtliches Grinsen sein. Die Aes Sedai schienen für ihn nicht länger zu existieren, als er seine Aufmerksamkeit wieder Perrin zuwandte. »Einige von denen, die dem Lord Drachen folgen, haben eine Stadt namens So Habor gefunden.« So nannte er seine Anhänger: natürlich folgten sie in Wirklichkeit dem Wiedergeborenen Drachen und nicht etwa ihm. Die Tatsache, dass Masema ihnen sagte, was sie wann und wie zu tun hatten, war nur eine Nebensächlichkeit. »Ein hübscher Ort mit drei- oder viertausend Einwohnern, etwa einen Tag oder weniger im Südwesten. Anscheinend waren sie abseits vom Weg der Aiel, und trotz der Dürre haben sie letztes Jahr eine gute Ernte eingefahren. Sie haben Speicher voller Gerste, Hirse und Hafer, und noch anderer nützlicher Dinge, wie ich glaube. Ich weiß, dass Ihr nur noch wenig Vorräte habt. Sowohl für Eure Männer wie auch für die Tiere.«

»Warum sollten ihre Speicher zu dieser Jahreszeit voll sein?« Berelain beugte sich mit einem Stirnrunzeln nach vorn; ihr Tonfall war nicht weit von einem Befehl entfernt und klang fast ungläubig.

Nengar legte mit einem finsteren Blick die Hand auf das Sattelschwert. Keiner gab dem Propheten des Lord Drachen einen Befehl. Und erst recht stellte ihn keiner in Frage. Keiner, der weiterleben wollte. Leder ächzte, als die Lanzenreiter in ihren Sätteln das Gewicht verlagerten, aber Nengar ignorierte sie. Der Gestank von Masemas Wahnsinn kroch in Perrins Nase. Masema musterte Berelain. Er schien sich weder Nengar noch den Lanzenreitern noch der Möglichkeit bewusst zu sein, dass die Männer jeden Augenblick damit anfangen konnten, einander zu töten.

»Eine Sache der Habgier«, sagte er schließlich. »Anscheinend glaubten die Kornhändler von So Habor, sie könnten größere Profite machen, wenn sie ihre Vorräte zurückhalten, bis der Winter die Preise in die Höhe treibt. Aber normalerweise verkaufen sie in den Westen, nach Ghealdan und Amadicia, und die Geschehnisse dort und in Ebou Dar haben in ihnen die Befürchtung geweckt, dass man ihre Lieferungen beschlagnahmen könnte. Ihre Habgier hat dazu geführt, dass sie volle Speicher und leere Geldbeutel haben.« Ein zufriedener Ton stahl sich in Masemas Stimme. Er verabscheute Habgier. Aber er verabscheute jede menschliche Schwäche, ob groß oder klein. »Ich glaube, dass sie sich jetzt sehr billig von ihrem Korn trennen werden.«

Perrin witterte eine Falle, und dazu brauchte er nicht die Spürnase eines Wolfs. Masema musste seine eigenen Männer und Tiere ernähren, und wie gründlich sie das Umland auch geplündert hatten, sie konnten kaum in besserer Verfassung sein als Perrins Leute. Warum hatte Masema nicht ein paar Tausend seiner Anhänger in die Stadt geschickt und sich genommen, was es dort zu holen gab? Einen Tag entfernt. Das würde ihn weiter von Faile wegbringen und den Shaido vielleicht Zeit verschaffen, um weiter an Boden zu gewinnen. Was war der Grund für dieses seltsame Angebot? Oder sollte es nur eine weitere Verzögerung sein, damit Masema im Westen bleiben konnte, in der Nähe seiner seanchanischen Freunde?

»Vielleicht werden wir Zeit genug haben, dieser Stadt einen Besuch abzustatten — nachdem meine Frau befreit ist.« Wieder nahmen Perrins Ohren vor allen anderen die kaum wahrnehmbaren Geräusche von Männern und Pferden wahr, die sich durch den Wald bewegten, diesmal von Westen her aus dem Lager. Gallennes Bote musste die ganze Strecke im Galopp zurückgelegt haben.

»Eure Frau«, sagte Masema tonlos und warf Berelain einen Blick zu, der Perrins Blut kochen ließ. Selbst Berelain wurde rot, obwohl ihr Gesicht völlig reglos blieb. »Glaubt Ihr wirklich, Ihr werdet heute etwas über sie erfahren?«

»Das tue ich.« Perrins Stimme war genauso tonlos wie Masemas, nur härter. Er umfasste den Sattelknauf, oberhalb der Henkel von Berelains Korb, um nicht nach seiner Axt zu greifen. »Ihre Befreiung kommt an erster Stelle. Ihre und die der anderen. Sobald das vollbracht ist, können wir unsere Bäuche bis zum Platzen füllen, aber das kommt zuerst.«

Die näher kommenden Pferde waren jetzt für alle hörbar. Im Westen erschien eine lange Reihe Lanzenreiter, die gefolgt von einer weiteren Reihe an den im Schatten liegenden Bäumen vorbeizog. Die roten Wimpel und Brustpanzer von Mayene wurden durchsetzt von den grünen Wimpeln und glänzenden Brustpanzern Ghealdans. Die Reihen erstreckten sich von der gegenüberliegenden Seite Perrins und dann entlang der Reiterhorde, die auf Masema wartete. Unberittene Männer huschten geisterhaft von Baum zu Baum, die Langbögen der Zwei Flüsse in Händen. Perrin hoffte, dass sie nicht zu viele Männer vom Lager abgezogen hatten. Der Diebstahl des seanchanischen Dokuments hatte Masema zum Handeln gezwungen, und er war ein Veteran, der an der Fäule und gegen die Aiel gekämpft hatte. Möglicherweise hatte er nicht weiter gedacht, als einfach loszureiten und Berelain aufzuspüren. Es war wie ein weiteres Rätselspiel. Man musste ein Teil bewegen, um ein anderes gerade genug verschieben zu können, dass ein drittes freikam. Ein Lager mit einer geschwächten Verteidigung konnte überrannt werden, und in diesen Wäldern konnte die Anzahl genauso viel bedeuten wie die Frage, wem Leute zur Verfügung standen, die die Macht lenken konnten. Wollte Masema sein Geheimnis so sehr bewahren, dass er den Versuch unternahm, es hier und jetzt aus der Welt zu schaffen? Perrin wurde sich bewusst, dass er seine Hand auf die Axt gelegt hatte, aber er ließ sie da.

In Masemas Horde tänzelten Pferde nervös umher, weil ihre Reiter an den Zügeln zogen, brüllten Männer und fuchtelten mit Waffen herum, aber der Prophet selbst musterte die herannahenden Lanzenreiter und Bogenschützen ohne die geringste Gefühlsregung. Sie hätten genauso gut Vögel sein können, die von einem Ast zum nächsten hüpften. Sein Geruch wirbelte wie verrückt, veränderte sich um keinen Hauch.

»Was getan wird, um dem Licht zu dienen, muss getan werden«, sagte er, als die Neuankömmlinge etwa zweihundert Schritte entfernt anhielten. Das war eine mühelose Reichweite für die Bogenschützen von den Zwei Flüssen, und Masema hatte Demonstrationen ihrer Kunst gesehen, aber er gab durch nichts zu erkennen, dass die breiten Pfeilspitzen möglicherweise auf sein Herz zielten. »Alles andere ist Abfall und Unrat. Vergesst das nie, Lord Perrin Goldauge. Alles andere ist Abfall und Unrat!«

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, riss er seinen Fuchs herum und ritt begleitet von Nengar und Bartu zu seinen wartenden Männern zurück und dann weiter, und alle drei trieben ihre Pferde ohne Rücksicht auf gebrochene Beine oder angeschlagene Köpfe an. Der Rest schloss sich ihnen an, eine Horde, die nach Süden strömte. Ein paar Männer aus der letzten Reihe hielten an, um eine schlaffe Gestalt unter dem verletzten Pferd hervorzuziehen und das Tier mit einem schnellen Dolchhieb von seinen Qualen zu befreien. Dann fingen sie mit dem Schlachten an. So viel Fleisch durfte man nicht umkommen lassen. Den Reiter ließen sie dort zurück, wo sie ihn hatten fallen lassen.

»Er glaubt jedes Wort, das er sagt«, hauchte Annoura, »aber wo führt ihn sein Glaube hin?«

Perrin zog in Betracht, sie geradeheraus zu fragen, wo Masemas Glaube ihn denn ihrer Meinung nach hinführen würde, wo sie ihn hinführen wollte, aber plötzlich setzte sie wieder die undurchdringliche Beherrschung der Aes Sedai auf. Ihre Nasenspitze hatte sich durch die Kälte gerötet; sie betrachtete ihn mit einem energischen Blick. Eher hätte man die von Schattenhunden markierte Felsplatte mit bloßen Händen aus der Erde gezogen als eine Antwort von einer Aes Sedai erhalten, die diesen Blick zeigte. Er würde die Fragen Berelain überlassen müssen.

Der Mann, der die Lanzenreiter herbeigeführt hatte, trieb plötzlich sein Pferd nach vorn. Gerard Arganda war ein kleiner stämmiger Bursche mit einem silbern funkelnden Brustpanzer und einem Helm mit Gittervisier; er war ein Soldat, der sich von ganz unten hochgearbeitet hatte, um gegen alle Wahrscheinlichkei — ten zum Ersten Hauptmann von Alliandres Leibwache aufzusteigen. Er hatte nichts für Perrin übrig, der seine Königin aus nichtigen Gründen nach Süden gebracht und dann zugelassen hatte, dass man sie entführte, aber Perrin erwartete, dass er anhielt und Berelain seinen Respekt erwies, bevor er sich vermutlich mit Gallenne besprach. Arganda empfand großen Respekt für Gallenne, die beiden saßen oft zusammen und rauchten eine Pfeife. Aber stattdessen trabte sein Rotschimmel an Perrin und den anderen vorbei, und dann stieß Arganda dem Tier seine Absätze in die Flanken. Als Perrin sah, wo der Mann hinwollte, begriff er. Aus dem Osten näherte sich in gemächlichem Tempo ein einzelner Reiter auf einem mausgrauen Tier, und an seiner Seite schlurfte ein Aiel auf Schneeschuhen.

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