Perrin war sich gar nicht darüber im Klaren, dass er etwas getan hatte, bis er sich über Trabers Hals gebeugt hinter Arganda hergaloppierend wiederfand. Der Schnee war nicht weniger tief, der Boden nicht gleichmäßiger und das Licht keinesfalls besser, aber Traber preschte durch die Schatten, nicht willens, dem Rotschimmel die Führung zu überlassen, und Perrin drängte ihn, noch schneller zu laufen. Der näher kommende Reiter war Elyas, sein Bart breitete sich auf seiner Brust aus, ein breitkrempiger Hut tauchte sein Gesicht in Schatten, und sein pelzverbrämter Umhang bedeckte seinen Rücken. Der Aiel an seiner Seite war eine der Töchter, die die dunkle Shoufa um den Kopf gewunden hatte und über dem Mantel und den Hosen in grauen, braunen und grünen Farbtönen einen weißen Umhang trug, der zur Tarnung im Schnee benutzt wurde. Elyas und eine Tochter, das bedeutete, dass sie Falle gefunden hatten. Es musste so sein.
Arganda trieb sein Pferd ohne Rücksicht darauf an, ob er dem Rotschimmel den Hals brach oder seinen eigenen, er sprang über Felsen und spritzte beinahe im Galopp durch den Schnee, aber Traber überholte ihn in dem Augenblick, in dem er Elyas erreichte und grob rief: »Habt Ihr die Königin gesehen? Lebt sie? Sagt es mir, Mann!« Die Tochter, Elienda, hob mit ausdruckslosem Gesicht eine Hand in Perrins Richtung. Es hätte ein Gruß sein können oder auch eine Geste des Mit gefühls, aber sie unterbrach ihren weit ausholenden Schritt nicht. Während Elyas ihm Bericht erstattete, würde sie den ihren den Weisen Frauen vortragen.
»Hast du sie gefunden?« Plötzlich war Perrins Kehle so trocken wie Sand. Er hatte so lange auf diese Nachricht gewartet. Arganda knurrte lautlos durch die Stahlstangen des Visiers, denn er wusste, dass Perrin nicht Alliandre meinte.
»Wir haben die Shaido gefunden, denen wir gefolgt sind«, sagte Elyas bedächtig und legte beide Hände auf den Sattelknauf. Selbst Elyas, der sagenhafte Langzahn, der unter Wölfen gelebt hatte, zeigte die Anstrengung von zu vielen Meilen und zu wenig Schlaf. Sein ganzes Gesicht wurde von einer Müdigkeit gezeichnet, die das gelbgoldene Glühen seiner Augen unter der Hutkrempe noch betonte. Sein dichter Bart war mit Grau durchsetzt, und sein Haar reichte bis zur Taille und war im Nacken mit einem Lederband zusammengebunden, und zum ersten Mal, seit Perrin ihn kannte, sah er alt aus.
»Sie lagern um eine mittelgroße Stadt, die sie eingenommen haben, in hügeligem Gelände, fast vierzig Meilen von hier entfernt. In unmittelbarer Nähe haben sie keine nennenswerten Wachen aufgestellt, und die Außenposten scheinen mehr nach Gefangenen Ausschau zu halten, die flüchten wollen, als nach sonst etwas, also konnten wir nahe genug heran, um einen eingehenden Blick auf sie werfen zu können. Perrin, es sind viel mehr, als wir dachten. Mindestens neun oder zehn Septimen, sagen die Töchter. Zählt man die Gai'schain hinzu, oder alle Leute in Weiß, könnten dort so viele Menschen sein wie in Mayene oder Ebou Dar. Ich weiß nicht, wie viele Speerkämpfer es sind, aber nach dem zu urteilen, was ich gesehen habe, dürfte zehntausend eine niedrige Schätzung sein.«
Verzweiflung verknotete Perrins Eingeweide. Sein Mund war so trocken, dass er nicht hätte sprechen können, wäre Falle jetzt wunderbarerweise vor ihm aufgetaucht. Zehntausend Algai'd'sisivai, und selbst Weber und Silberschmiede und alte Männer, die ihre Tage mit dem Austausch von Erinnerungen im Schatten verbrachten, würden zum Speer greifen, wenn sie angegriffen wurden. Er hatte weniger als zweitausend Lanzenreiter, und sie wären bei der gleichen Anzahl von Aiel unterlegen gewesen. Weniger als dreihundert Männer von den Zwei Flüssen, die aus der Ferne mit ihren Bögen große Vernichtung anrichten, aber keine Zehntausend aufhalten konnten. So viele Shaido würden Masemas mörderischen Abschaum zerfetzen wie ein Kater ein Mäusenest. Selbst wenn man die Asha'man und die Weisen Frauen und Aes Sedai hinzurechnete ... Edarra und die anderen Weisen Frauen hatten ihm nicht gerade viel über Weise Frauen erzählt, aber er wusste, dass zehn Septimen vermutlich über fünfzig Frauen verfügten, die die Macht lenken konnten, vielleicht sogar mehr. Vielleicht auch weniger — es gab keine feststehende Zahl —, aber nicht so viel weniger, dass es einen Unterschied gemacht hätte.
Mit einer großen Anstrengung erwürgte er die Verzweiflung, die in ihm aufstieg, drückte so lange, bis nur noch ein paar sich windende Fasern übrig waren, die sein Zorn verbrennen konnte. In einem Hammer war kein Platz für Verzweiflung. Zehn Septimen oder der ganze Clan der Shaido, sie hielten noch immer Falle gefangen, und er musste noch immer einen Weg finden.
»Was spielt es für eine Rolle, wie viele es sind?«, wollte Aram wissen. »Als Trollocs zu den Zwei Flüssen kamen, da waren es Tausende, Zehntausende, aber wir haben sie trotzdem getötet. Shaido können nicht schlimmer als Trollocs sein.«
Perrin blinzelte, völlig überrascht, den Mann hinter sich zu finden, ganz zu schweigen von Berelain und Gallenne und den Aes Sedai. In seiner Eile, Elyas zu erreichen, hatte er alles andere verdrängt. Zwischen den Bäumen hielten die kaum auszumachenden Soldaten, die Arganda herangeführt hatte, um Masema abzuwehren, noch immer ihre unregelmäßigen Reihen aufrecht, aber Berelains Leibwache bildete einen losen Kreis mit Elyas in der Mitte, die Lanzen auswärts gerichtet. Die Weisen Frauen standen außerhalb des Kreises und hörten Elienda mit ernsten Gesichtern zu. Sie sprach leise und schüttelte manchmal den Kopf. Ihre Einschätzung der Dinge war kein bisschen zuversichtlicher als die von Elyas. Perrin musste in der Eile den Korb verloren oder ihn weggeworfen haben, denn er hing jetzt an Berelains Sattel. Ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck von ... konnte es etwa Mitgefühl sein? Sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, er war zu müde, um vernünftig denken zu können. Aber jetzt musste er vernünftig denken, in diesem Augenblick mehr als jemals zuvor. Sein nächster Fehler konnte der letzte sein — für Faile.
»So wie man es mir erzählt hat, Kesselflicker«, sagte Elyas ruhig, »kamen bei den Zwei Flüssen die Trollocs zu euch, und es ist euch gelungen, sie in die Zange zu nehmen. Hast du irgendwelche großartigen Pläne, um die Shaido in die Zange zu nehmen?« Aram starrte ihn mürrisch an. Elyas hatte ihn schon gekannt, bevor er das Schwert ergriffen hatte, und trotz seiner hellbunten Kleidung mochte es Aram gar nicht, an diese Zeit erinnert zu werden.
»Zehn Septimen oder fünfzig«, knurrte Arganda, »es muss eine Möglichkeit geben, die Königin zu befreien. Und die anderen natürlich auch.« Sein hartes Gesicht war zu einer wütenden Grimasse verzogen, aber er roch ungestüm, wie ein Fuchs, der bereit war, sich das eigene Bein abzunagen, um aus einer Falle zu entkommen. »Würden ...? Würden sie ein Lösegeld akzeptieren?« Der Ghealdaner sah sich um, bis er Marline entdeckte, die sich an den Geflügelten Wachen vorbeischob. Trotz des Schnees schritt sie gleichmäßig daher, geriet nicht ein einziges Mal ins Stolpern. Die anderen Weisen Frauen waren nicht länger zwischen den Bäumen zu sehen, genauso wenig wie Elienda. »Würden diese Shaido ein Lösegeld annehmen ... Weise Frau?« Die Nennung ihres Titels klang wie ein nachträglicher Einfall. Arganda war nicht länger der Überzeugung, dass die sich bei ihnen befindlichen Aiel von der Entführung gewusst hatten, aber da gab es noch immer ein tiefsitzendes Misstrauen.
»Das weiß ich nicht.« Marline schien seinen Tonfall nicht zu bemerken. Mit vor der Brust verschränkten Armen stand sie da und blickte Perrin an und nicht Arganda. Es war einer jener Blicke, mit denen eine Frau einen maß und abschätzte, bis sie einem einen Anzug hätte nähen oder sagen können, wann man das letzte Mal die Unterwäsche gewaschen hatte. Als er noch Zeit für solche Dinge gehabt hatte, hätte ihm das Unbehagen bereitet. Als sie weitersprach, war ihr Tonfall keinesfalls belehrend; sie stellte lediglich die Fakten dar. Möglicherweise meinte sie es sogar so. »Die Zahlung von Lösegeld, wie ihr Feuchtländer es nennt, entspricht nicht unseren Bräuchen. Gai'schain können als Geschenk weitergereicht werden oder gegen andere Gai'schain eingetauscht werden, es sind jedoch keine Tiere, die man verkauft. Aber es hat den Anschein, als würden die Shaido nicht länger dem Ji'e'toh folgen. Sie machen Feuchtländer zu Gai'schain und nehmen jeden, statt nur jeden fünften. Vielleicht setzten sie einen Preis fest.«
»Meine Juwelen stehen Euch zur Verfügung, Perrin«, warf Berelain mit fester Stimme und unbewegtem Gesicht ein. »Falls nötig, können Grady oder Neald aus Mayene auch Gold holen.«
Gallenne räusperte sich. »Altaraner sind an Plünderer gewöhnt, meine Lady, ob es nun benachbarte Adlige oder Banditen sind«, sagte er langsam und schlug die Zügel in die Handfläche. Obwohl er zögerte, Berelain zu widersprechen, hatte er sich offensichtlich dazu entschlossen. »So weit von Ebou Dar entfernt gibt es kein Gesetz, wenn man einmal davon absieht, was die örtlichen Lords oder Ladies bestimmen. Adlige oder Gemeine, sie sind daran gewöhnt, jeden zu bezahlen, den sie nicht abwehren können, und sie sind geübt darin, schnell zu erkennen, was im Einzelfall erforderlich ist. Es ist wider jede Vernunft, dass keiner von ihnen versucht hat, sich Sicherheit zu erkaufen, und doch haben wir auf dem Pfad dieser Shaido nur Zerstörung gesehen, haben nur von Plünderungen gehört. Möglicherweise akzeptieren sie ein Lösegeld, aber kann man ihnen vertrauen, dass sie auch die Gegenleistung erbringen? Allein schon ein Angebot gibt unseren einzigen wahren Vorteil preis, nämlich dass sie nichts von uns wissen.« Annoura schüttelte kaum merklich den Kopf, aber Gallenne bemerkte es, und er runzelte die Stirn. »Ihr widersprecht, Annoura Sedai?«, fragte er höflich. Und mit einer Spur von Überraschung. Manchmal war die Graue beinahe scheu, vor allem für eine Schwester, aber sie zögerte nie, ihre Meinung zu sagen, wenn sie mit einem für Berelain bestimmten Rat nicht einverstanden war.
Aber diesmal zögerte Annoura und verbarg es, indem sie ihren Umhang enger zog und die Falten sorgfältig richtete. Das war unbeholfen von ihr; wenn sie wollten, konnten Aes Sedai Hitze oder Kälte ignorieren und blieben unberührt, während alles um sie herum schweißgebadet war oder darum kämpfte, ein Zähneklappern zu unterdrücken. Eine Aes Sedai, die der Temperatur Aufmerksamkeit schenkte, schindete Zeit zum Nachdenken, für gewöhnlich, um zu verbergen, was sie gerade dachte. Sie schenkte Marline ein leises Stirnrunzeln und kam endlich zu einer Entscheidung, und die paar Falten auf ihrer Stirn verschwanden.
»Verhandeln ist immer besser als kämpfen«, sagte sie in ihrem kühlen tarabonischen Akzent, »und bei Verhandlungen ist das Vertrauen stets eine Sache der Vor — sichtsmaßnahmen, oder? Wir müssen sorgfältig die Vorsichtmaßnahmen bedenken, die sie ergriffen haben müssen. Und es ist die Frage, wer sich ihnen nähert. Die Weisen Frauen sind vielleicht nicht länger unberührbar, seit sie an der Schlacht bei den Quellen von Dumai teilgenommen haben. Eine Schwester oder eine Gruppe von Schwestern könnte da besser sein, aber selbst das sollte sorgfältig vorbereitet sein. Ich biete mich an ...«
»Kein Lösegeld«, sagte Perrin, und als alle ihn anstarrten, die meisten verblüfft, Annoura mit unleserlichem Gesicht, wiederholte er es mit harter Stimme.
»Kein Lösegeld.« Er würde diese Shaido nicht auch noch dafür bezahlen, dass sie Faile hatten leiden lassen. Sie würde Angst haben, und dafür mussten sie bezahlen und nicht profitieren. Nichts von dem, was Perrin in Altara oder Amadicia oder davor in Cairhien gesehen hatte, wies auch nur im mindesten darauf hin, dass man den Shaido vertrauen konnte, einen Handel einzuhalten. Da konnte man genauso gut den Ratten im Kornspeicher vertrauen. »Elyas, ich will ihr Lager sehen.« Als Junge hatte er einen blinden Mann gekannt. Nat Torfinn mit seinem faltigen Gesicht und dem dünnen weißen Haar konnte jedes Rätselspiel allein durch seinen Tastsinn lösen. Jahrelang hatte Perrin versucht zu lernen, wie man dieses Bravourstück nachahmen konnte, aber es war ihm nie gelungen. Er musste sehen, wie die Stücke zusammenpassten, bevor er sie begriff. »Aram, findet Grady und sagt ihm, er soll so schnell wie möglich an der Reisestelle zu mir kommen.« So nannten sie mittlerweile die Stelle, an der sie nach jedem Sprung ankamen und von der sie auch wieder aufbrachen. Es fiel den Asha'man leichter, ein Wegetor an einem Ort zu weben, der bereits von einem früheren Tor berührt worden war.
Aram nickt knapp, dann zog er seinen Grauen herum und galoppierte in Richtung Lager, aber Perrin konnte von den ihn umgebenden Gesichtern Einwände, Fragen und Forderungen ablesen. Marline musterte ihn noch immer, so als wäre sie sich plötzlich nicht mehr genau darüber im Klaren, was er war, und Gallenne betrachtete mit finsterer Miene die Zügel in seiner Hand; zweifellos malte er sich schon aus, dass die Dinge schlimm ausgehen würden, ganz egal, was Perrin auch machte. Aber Berelain zeigte einen beunruhigten Ausdruck, der ihre Einwände deutlich zutage treten ließ, und Annouras Lippen waren zu einem schmalen Strich verzogen. Aes Sedai mochten es gar nicht, wenn man sie unterbrach, und ob sie nun für eine Aes Sedai scheu war oder nicht, sie sah bereit aus, ihrem Ärger Luft zu machen. Argandas Gesicht verfärbte sich rot, und er öffnete den Mund mit der klaren Absicht, sofort loszubrüllen. Arganda hatte oft herumgebrüllt, seit seine Königin entführt worden war. Es war sinnlos, sich das wieder anzuhören.
Perrin stieß Traber die Fersen in die Flanken, ließ ihn die Reihe der Geflügelten Wachen durchbrechen und hielt auf die Bäume zu. Nicht im Galopp, aber auch nicht in gemütlichem Tempo — ein schneller Trab durch den Wald, die Zügel fest in der Hand, mit dem Blick bereits auf der Suche nach Grady. Elyas schloss sich ihm wortlos auf seinem Wallach an. Perrin war davon überzeugt gewesen, in seinem Inneren keinen Platz mehr für auch nur eine weitere Unze Furcht zu haben, aber Elyas' Schweigen machte die Last noch schwerer, die auf ihm ruhte. Elyas sah nie ein Hindernis, ohne zugleich einen Weg zu sehen, wie man es umgehen konnte. Sein Schweigen schrie geradezu von unpassierbaren Bergen. Aber es musste einen Weg geben. Als sie den Ort des Tors erreichten, führte Perrin seinen Hengst durch die Sonnenstrahlen an den umgestürzten Bäumen vorbei und zwischen den stehenden hindurch, nicht dazu in der Lage, einfach stehen zu bleiben. Er musste in Bewegung bleiben. Es musste einen Weg geben. Seine Gedanken schössen hin und her wie eine Ratte im Käfig.
Elyas stieg ab und hockte sich auf die Fersen; er musterte stirnrunzelnd die Felsplatte und achtete nicht auf seinen Wallach, der an den Zügeln zerrte und vor ihr zurückweichen wollte. Neben dem Felsen ruhte der dicke Stamm einer Kiefer, die gute fünfzig Fuß in die Höhe geragt hatte, auf den zersplitterten Überresten ihres Stumpfs; hoch genug, dass Elyas darunter aufrecht hätte hindurchgehen können. Grelle Sonnenstrahlen, die an anderen Stellen das Blätterdach durchstießen, schienen die Schatten um den mit Spuren versehenen Stein fast in eine undurchdringliche Finsternis zu verwandeln, aber das störte ihn genauso wenig wie Perrin. Er rümpfte die Nase wegen des Gestanks nach verbranntem Schwefel, der noch in der Luft hing. »Ich habe mir auf dem Weg hierher doch gedacht, diesen Gestank gerochen zu haben. Ich schätze, du hättest es erwähnt, wenn du nicht andere Dinge im Kopf haben würdest. Ein großes Rudel. Größer als alles, was ich je gesehen habe. Oder von dem ich gehört habe.«
»Das hat Masuri auch gesagt«, erwiderte Perrin gedankenverloren. Was hielt Grady bloß auf? Wie viele Menschen gab es in Ebou Dar? Das war die Größe des Shaido-Lagers. »Sie hat gesagt, sie sei sieben Rudeln begegnet, aber dieses ist ihr unbekannt.«
»Sieben«, murmelte Elyas überrascht. »Selbst eine Aes Sedai muss weit herumkommen, um das zu erreichen. Hinter den meisten Geschichten von Schattenhunden stecken bloß Leute, die sich vorm Dunkeln fürchten.« Er starrte die Pfotenspuren an, die sich über den glatten Stein zogen, und schüttelte den Kopf. Trauer stahl sich in seine Stimme, als er sagte: »Einst waren sie Wölfe. Jedenfalls die Seelen von Wölfen, die der Schatten eingefangen und verzerrt hat. Das war der Kern, aus dem die Schattenhunde entstanden, die Schattenbrüder. Ich glaube, darum müssen die Wölfe bei der Letzten Schlacht dabei sein. Oder vielleicht wurden die Schattenhunde auch erschaffen, weil die Wölfe dort sein werden, um gegen sie zu kämpfen. Manchmal lässt das Muster die feine Spitze aus Sovarra wie aus einem Stück Bindfaden gewoben aussehen. Wie dem auch sei, es war vor langer Zeit, soweit ich weiß, während der Trolloc-Kriege, und davor dem Schattenkrieg. Wölfe haben weit zurückreichende Erinnerungen. Was ein Wolf weiß, gerät nie wirklich in Vergessenheit, solange noch andere Wölfe leben. Aber sie ver meiden es, über die Schattenhunde zu sprechen, und sie meiden auch die Schattenhunde selbst. Hundert Wölfe könnten bei dem Versuch sterben, einen Schattenbruder zu töten. Schlimmer, wenn sie scheitern, kann der Schattenhund die Seelen derjenigen fressen, die noch nicht verendet sind, und ein Jahr später gäbe es ein neues Rudel Schattenbrüder, die sich nie mehr daran erinnern würden, dass sie einmal Wölfe waren. Ich hoffe jedenfalls, dass sie sich nicht mehr daran erinnern.«
Perrin zügelte Traber, obwohl es ihn in den Fingern juckte, weiter in Bewegung zu bleiben. Die Bezeichnung der Wölfe für Schattenhunde hatte eine zusätzliche grimmige Note erhalten. »Können sie die Seele eines Menschen fressen, Elyas? Sagen wir, von einem Mann, der zu den Wölfen sprechen kann?« Elyas zuckte mit den Schultern. Soweit beide wußten, konnten nur eine Hand voll Leute das tun, was sie taten. Eine Antwort auf diese Frage würde es möglicherweise erst im Augenblick des Todes geben. Was aber jetzt viel wichtiger war, wenn sie einst Wölfe gewesen waren, dann mussten sie auch intelligent genug sein, um Bericht über das zu erstatten, was sie gesehen hatten. Masuri hatte etwas in der Art angedeutet. Es wäre närrisch gewesen, etwas anderes anzunehmen. Wie lange, bevor sie es taten? Wie lange blieb ihm, um Falle zu befreien?
Die Laute von im Schnee knirschenden Hufen verkündeten das Eintreffen von Reitern, und er setzte Elyas schnell darüber in Kenntnis, dass sie das La — ger umrundet hatten und über ihn Bericht erstatten würden, wem auch immer sie Rechenschaft schuldig waren.
»Ich würde mir deswegen keine großen Sorgen machen, mein Junge«, erwiderte der ältere Mann und hielt argwöhnisch nach den herannahenden Pferden Ausschau. Er bewegte sich von dem Stein fort und fing an sich zu strecken und dehnte Muskeln, da er zu lange im Sattel gesessen hatte. Elyas war zu vorsichtig, um sich dabei erwischen zu lassen, wie er etwas studierte, was für andere Augen von Schatten verhüllt wurde. »Klingt, als würden sie jemanden Wichtigeres jagen als dich. Sie werden weitermachen, bis sie ihn finden, und wenn es das ganze Jahr dauert. Mach dir keine Sorgen. Wir werden deine Frau befreien, bevor die Schattenhunde berichten können, dass du hier warst. Ich sage nicht, dass es einfach werden wird, aber wir werden es schaffen.« Entschlossenheit lag in seiner Stimme und in seinem Geruch, aber nicht viel Hoffnung. Eigentlich sogar gar keine.
Perrin kämpfte die erneut aufsteigende Verzweiflung nieder und ließ Traber umherschreiten, als Berelain mit ihrer Leibwache zwischen den Bäumen erschien. Marline saß hinter Annoura auf dem Pferd. Sobald die Aes Sedai die Zügel anzog, rutschte die Weise Frau zu Boden und schüttelte die voluminösen Röcke zurecht, um ihre dunklen Strümpfe zu bedecken. Einer anderen Frau wäre es möglicherweise peinlich gewesen, ihre Beine entblößt zu haben, aber nicht Marline. Sie richtete lediglich ihre Kleidung. Annoura war diejenige, die aufgebracht aussah, eine griesgrämige Verstimmung, die ihre Nase noch mehr wie einen Schnabel aussehen ließ. Sie sagte kein Wort, aber ihr Mund lauerte förmlich darauf, zubeißen zu können. Sie musste fest davon überzeugt gewesen sein, dass man ihr Angebot, mit den Shaido zu verhandeln, annehmen würde, vor allem, weil Berelain es unterstützte und sich Marline anscheinend schlimmstenfalls neutral verhalten hätte. Graue waren Vermittler und Unterhändler, sie sprachen Recht und handelten Verträge aus. Möglicherweise waren das ihre Beweggründe gewesen. Oder doch nicht? Ein Problem, das er im Moment beiseite schieben musste, aber keineswegs vergessen durfte. Er musste alles, was sich zu einem Hindernis für Failes Befreiung entwickeln konnte, in seine Pläne mit einbeziehen, aber das Problem, das er lösen konnte, lag vierzig Meilen im Nordosten.
Während die Geflügelten Wachen zwischen den riesigen Bäumen um den Wegetorplatz herum ihren Schutzkreis bildeten, lenkte Berelain ihren Braunen neben Traber und versuchte, Perrin in ein Gespräch zu verwickeln und ihn mit dem Rest des Rebhuhns zu locken. Der Geruch von Unsicherheit ging von ihr aus, Zweifel an seiner Entscheidung. Vielleicht hoffte sie, ihn doch zu einem Lösegeldangebot überreden zu können. Er ließ Traber weitergehen und hörte einfach nicht zu. Der Vorschlag mit dem Lösegeld kam dem Versuch gleich, alles auf einen Würfelwurf zu setzen. Er konnte nicht mit Falle als Einsatz spielen. Es musste so methodisch wie die Arbeit in einer Schmiede gemacht werden. Beim Licht, war er müde. Er umarmte den Zorn in ihm noch fester, zog aus der lodernden Hitze Energie.
Gallenne und Arganda trafen kurz nach Berelain mit einer Zweierreihe ghealdanischer Lanzenreiter in ihren funkelnden Brustpanzern und hellen Spitzhelmen ein, die sich zwischen den Bäumen zu den Mayenern gesellten. Ein Hauch von Gereiztheit trat in Berelains Geruch, und sie verließ Perrin und ritt zu Gallenne hinüber. Die beiden führten ihre Pferde aneinander, bis sich ihre Knie fast berührten, der Einäugige beugte den Kopf vor, um verstehen zu können, was Berelain sagte. Ihre Stimme war leise, aber Perrin war klar, worüber sie sprach, jedenfalls teilweise. Gelegentlich warf einer von ihnen einen Blick in seine Richtung, während er Traber unablässig auf und ab gehen ließ. Arganda ließ seinen Rotschimmel stehen und starrte an den Bäumen vorbei nach Süden, in Richtung des Lagers, einerseits so unbeweglich wie eine Statue, strahlte er dennoch Ungeduld aus wie ein Feuer Hitze. Mit seinen Helmfedern, dem Schwert und der silbernen Rüstung und dem versteinerten Gesicht verkörperte er das Bild eines Soldaten, aber sein Geruch verkündete, dass er am Rand der Panik stand. Perrin fragte sich, wie er selbst wohl roch. Nur in einem abgeschlossenen Raum konnte man den eigenen Geruch wahrnehmen. Er glaubte nicht, dass er nach Panik roch, bloß nach Furcht und Zorn.
Alles würde wieder gut, sobald er Falle zurückhatte.
Dann würde wieder alles gut sein. Auf und ab. Auf und ab.
Endlich erschien Aram mit einem gähnenden Jur Grady auf einem braunen Wallach, der so dunkel war, dass die Blässe auf seiner Stirn ihn beinahe schwarz erscheinen ließ. Hinter ihm ritten Dannil und zwei Dutzend Männer von den Zwei Flüssen, die ihre Speere und Hellebarden für den Augenblick gegen ihre Langbögen eingetauscht hatten, aber sie blieben immer ein Stück hinter ihm. Grady war ein untersetzter Bursche mit wettergegerbtem Gesicht, in dem sich bereits die ersten Falten zeigten, obwohl er noch nicht einmal seine mittleren Jahre erreicht hatte, und er sah trotz des Schwerts an seiner Taille und dem schwarzen Mantel mit dem silbernen Schwertanstecker an dem hohen Kragen wie ein verschlafener Bauer aus, aber er hatte seinen Hof für immer hinter sich gelassen, und Dannil und die anderen hielten immer gebührenden Abstand zu ihm ein. Genau wie zu Perrin; sie blieben ein Stück weit entfernt stehen und schauten zu Boden, manchmal warfen sie ihm oder Berelain auch peinlich berührte Blicke zu. Es spielte keine Rolle. Alles würde wieder gut werden.
Aram wollte Grady zu Perrin bringen, aber der Asha'man wusste, warum er geholt worden war. Mit einem Seufzen stieg er neben Elyas aus dem Sattel, der in einem Flecken Sonnenlicht kauerte, mit dem Finger eine Karte in den Schnee malte und von Entfernung und Richtung sprach, den Ort, zu dem er wollte, in allen Details beschrieb; eine Lichtung auf einem Hügel, die fast genau nach Süden ausgerichtet war, und der weiter oben befindliche Hügelkamm wies an drei Stellen Einkerbungen auf. Entfernung und Richtung reichten, wenn Entfernung und Richtung präzise waren, aber je besser sich der Asha'man das Bild vorstellen konnte, desto besser würde er die genaue Stelle treffen.
»Für einen Fehler bleibt da kein Spielraum, mein Junge.« Elyas' Augen schienen vor Intensität zu funkeln. Was auch immer die anderen von den Asha'man hielten, ihn konnten sie nicht einschüchtern. »In dieser Gegend gibt es viele Hügel, und das Hauptlager liegt auf der anderen Seite dieses Hügels und ist kaum eine Meile entfernt. Es wird Wachen geben, kleine Gruppen, die jede Nacht an einer anderen Stelle lagern, vielleicht weniger als zwei Meilen in der anderen Richtung. Setzt Ihr uns ein gutes Stück weiter ab, wird man uns mit Sicherheit entdecken.«
Grady erwiderte seinen Blick, ohne zu blinzeln. Dann nickte er, fuhr sich mit den dicken Fingern durch die Haare und holte tief Luft. Er sah so müde wie Elyas aus. So erschlagen, wie sich Perrin fühlte. Wegetore zu erschaffen und lange genug aufzuhalten, dass Tausende von Leuten und Pferden sie passieren konnten, war eine mühsame Arbeit.
»Seid Ihr dazu ausgeruht genug?«, fragte Perrin. Müde Männer machten Fehler, und Fehler bei der Einen Macht konnten tödlich sein. »Soll ich Neald holen lassen?«
Grady starrte kurzsichtig zu ihm hoch, dann schüttelte er den Kopf. »Fager ist nicht ausgeruhter, als ich es bin. Vielleicht sogar weniger. Ich bin etwas stärker als er. Besser, ich mache es.« Er wandte sich der nordöstlichen Richtung zu, und neben dem mit Pfotenspuren übersäten Stein erschien ohne Vorwarnung ein senkrechter, silberblauer Strich. Annoura riss ihre Stute mit einem lauten Stöhnen aus dem Weg, als sich der Lichtbalken zu einer Öffnung verbreiterte, einem Loch in der Luft, das eine sonnenbeschienene Lichtung auf einer steilen Anhöhe zeigte, die von Bäumen gesäumt wurde — kleineren als jenen, die sich um Perrin und die anderen herum befanden. Die zersplitterte Kiefer erbebte, als sie einen weiteren schmalen Keil verlor, und landete ächzend mit einem vom Schnee gedämpften Krachen, das die Pferde schnauben und scheuen ließ, auf dem Boden. Annoura warf dem Asha'man einen finsteren Blick zu, ihr Gesicht verfärbte sich dunkel, aber Grady blinzelte nur und sagte: »Ist das der richtige Ort?« Elyas richtete den Hut, bevor er nickte.
Perrin hatte nur auf dieses Nicken gewartet. Er zog den Kopf ein und ritt mit Traber in Schnee, der ihm bis zu den Fesseln reichte. Es war eine kleine Lichtung, aber der mit weißen Wolken gefüllte Himmel ließ sie nach der Enge des Waldes riesig erscheinen. Das Licht war fast blendend, dabei wurde die Sonne noch immer von dem bewaldeten Hügelkamm verborgen. Das Shaido-Lager befand sich auf der anderen Hügelseite. Er starrte voller Sehnsucht die Anhöhe hinauf. Es kostete ihn seine ganze Beherrschung, an dem Ort zu bleiben, an dem er war, statt loszugaloppieren, um endlich zu sehen, wo Faile war. Er zwang sich dazu, Traber zum Tor zu drehen, als Marline herauskam.
Sie musterte ihn immer noch, nahm den Blick kaum lange genug von ihm, um sich ohne zu stolpern den Weg durch den Schnee zu bahnen, und trat zur Seite, um Aram und die Männer von den Zwei Flüssen durchreiten zu lassen. Mittlerweile hatten sie sich so sehr an das Schnelle Reisen gewöhnt — wenn auch nicht an den Asha'man —, dass sie kaum die Köpfe senkten, um die Oberseite des Tors nicht zu berühren, und nur der größte von ihnen tat es. Es fiel Perrin auf, dass das Wegetor größer als jene war, die Grady zuerst erschaffen hatte. Damals hatte er noch absteigen müssen. Es war aber nur ein flüchtiger Gedanke, nicht wichtiger als eine vorbeisummende Fliege. Aram ritt auf geradem Weg zu Perrin; er roch ungeduldig und entschlossen. Sobald Dannil und die anderen aus dem Weg waren — sie stiegen ab und spannten Pfeile in die Bögen, während sie die umliegenden Bäume betrachteten —, erschien Gallenne und starrte grimmig um sich, als erwartete er jeden Augenblick, den Feind aus dem Wald stürmen zu sehen. Ihm folgten ein halbes Dutzend Mayener, die ihre mit roten Wimpeln versehenen Lanzen senken mussten.
Ein langer Augenblick verging, in dem das Tor leer blieb, aber gerade als Perrin beschlossen hatte zurückzugehen, um zu sehen, was Elyas aufhielt, führte der bärtige Mann sein Pferd hindurch, gefolgt von Ar — ganda und sechs Ghealdanern, deren Gesichter deutlich Unmut verrieten. Ihre funkelnden Helme und Brustpanzer waren nirgendwo in Sicht, und sie schauten so finster drein, als hätte man sie gezwungen, ihre Hosen zurückzulassen.
Perrin nickte. Natürlich. Das Shaido-Lager war auf der anderen Seite dieses Hügels, genau wie die Sonne. Die funkelnden Rüstungen wären wie Spiegel gewesen. Daran hätte er denken müssen. Noch immer ließ er zu, dass ihn die Angst zur Ungeduld verleitete und seinen Verstand vernebelte. Er musste einen klaren Kopf behalten, in diesem Moment noch mehr als je zuvor. Das Detail, das er jetzt übersah, konnte ihn töten und Faile den Shaido überlassen. Aber seine Angst loszulassen war leichter gesagt als getan. Wie konnte er denn aufhören, Angst um Faile zu haben? Das musste doch zu schaffen sein, bloß wie?
Zu seiner Überraschung ritt Annoura direkt vor Grady durch das Wegetor, der seinen Braunen an den Zügeln führte. Wie immer, wenn er sie ein Tor durchqueren sah, lag sie so flach auf ihrer Stute, wie es der hohe Sattelknauf erlaubte, und betrachtete die Öffnung, die mit der verdorbenen männlichen Hälfte der Einen Macht erschaffen worden war, mit einer Grimasse, und sobald sie sie hinter sich gelassen hatte, galoppierte sie den Hügel so weit hinauf, wie sie nur konnte, ohne den Wald zu betreten. Grady ließ das Wegetor zuschnappen, was in Perrins Augen einen Moment lang das purpurfarbene Nachbild eines vertikalen Strichs funkeln ließ, und Annoura zuckte zusammen, schaute weg und starrte Marline und dann Perrin böse an. Wäre sie keine Aes Sedai gewesen, hätte er gesagt, sie würde vor Wut kochen. Berelain musste ihr befohlen haben, die anderen zu begleiten, aber sie gab nicht der Ersten von Mayene die Schuld dafür, dass sie hier war.
»Ab jetzt gehen wir zu Fuß«, verkündete Elyas mit leiser Stimme, die kaum das gelegentliche Aufstampfen eines Pferdehufs übertönte. Er hatte gesagt, dass die Shaido unvorsichtig waren und kaum Wachen aufgestellt hatten, aber er sprach, als würden sie keine zwanzig Schritte entfernt lauern. »Ein Mann auf einem Pferd ist auffällig. Die Shaido sind nicht blind, nur blind für Aiel, was bedeutet, dass sie doppelt so gut sehen können wie jeder von euch, also zeigt euch oben auf dem Kamm nicht. Und versucht, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Sie sind auch nicht taub. Irgendwann werden sie unsere Spuren finden — da kann man wegen des Schnees nichts machen —, aber wir dürfen sie jetzt nicht wissen lassen, dass wir hier sind.«
Arganda, der bereits über den Verlust seiner Rüstung verstimmt war, fing an sich zu beschweren, dass Elyas jetzt die Befehle gab. Da er kein kompletter Narr war, tat er es mit leiser Stimme, die nicht weit trug, aber er war seit seinem fünfzehnten Lebensjahr Soldat, er hatte Soldaten gegen Weißmäntel, Altaraner und Amadicianer in den Kampf geführt, und, wie er gern betonte, er hatte im Aiel-Krieg gekämpft und in Tar Valon den Blutigen Schnee erlebt. Er wusste über die Aiel Bescheid, und er brauchte keinen Waldläufer, der ihm sagte, wie er die Stiefel anzuziehen hatte. Perrin ließ es geschehen, da er sich erst beschwerte, nachdem er zwei Männer dazu abkommandiert hatte, auf die Pferde aufzupassen. Er war kein Narr, er hatte nur Angst um seine Königin. Gallenne ließ seine Männer alle zurück und murmelte etwas darüber, dass Lanzenreiter ohne ihre Pferde weniger als nutzlos waren und sich vermutlich den Hals brechen würden, wenn er sie zu Fuß losschickte. Auch er war kein Narr, aber er sah zuerst immer die schlechte Seite. Elyas übernahm die Führung, und Perrin wartete nur lange genug, um sein Fernglas aus Trabers Satteltasche in seine Manteltasche zu stecken, bevor er ihm folgte.
Das Unterholz — hauptsächlich Kiefern, Tannen und andere Baumgruppen, jetzt wintergrau und blattlos — war nicht besonders dicht, und das Gelände war nicht steiler als die Sandhügel zu Hause, wenn auch etwas felsiger, also stellte es für Dannil und die Männer von den Zwei Flüssen kein Hindernis dar; geistergleich und fast so lautlos wie der Nebel ihres Atems schwärmten sie mit eingespannten Pfeilen und wachsamen Blicken den Hügel hinauf. Aram hielt sich mit gezogenem Schwert in Perrins Nähe; auch ihm waren Wälder nicht fremd. Einmal fing er an, ein Dickicht aus braunen Schlingpflanzen aus seinem Weg zu hacken, bis Perrin ihn mit einer Berührung innehalten ließ, dennoch machte er kaum mehr Lärm als Perrin, von dem nur das leise Knirschen von Stiefeln im Schnee zu hören war. Es war keine große Überraschung, dass sich Marline zwischen den Bäumen bewegte, als wäre sie in einem Wald statt in der Aiel-Wüste aufgewachsen, wo alles, das die Bezeichnung Baum verdiente, selten und Schnee völlig unbekannt war; eigentlich hätte man annehmen sollen, dass ihre Ketten und Armbänder bei ihren Bewegungen klirrten, aber das taten sie nicht.
Annoura stieg mit beinahe der gleichen Mühelosigkeit den Hang hinauf; zwar musste sie sich mit ihren Röcken manchmal etwas abmühen, aber sie wich geschickt den scharfen Dornen von Katzenklauen und Schlingpflanzen aus. Aes Sedai fanden für gewöhnlich eine Möglichkeit, einen zu überraschen. Sie schaffte es sogar, Grady misstrauisch im Auge zu behalten, dabei schien sich der Asha'man lediglich darauf zu konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Gelegentlich seufzte er tief, blieb eine Minute lang stehen und schaute stirnrunzelnd zum Kamm hinauf, aber irgendwie fiel er nie zurück. Gallene und Arganda waren keine jungen Männer mehr und auch nicht daran gewöhnt zu gehen, wenn sie reiten konnten, und ihre Atmung wurde schwerer, je höher sie kamen, manchmal zogen sie sich sogar von einem Baum zum nächsten, aber sie beobachteten einander fast so oft wie den Boden, keiner von ihnen war ber eit, sich von dem anderen überholen zu lassen. Die vier ghealdanischen Lanzenreiter hingegen rutschten aus und stolperten über vom Schnee verborgene Wurzeln, verfingen sich mit ihren Schwertscheiden im Gestrüpp und knurrten Flüche, wenn sie auf Steinen landeten und von Dornen geritzt wurden. Perrin zog langsam in Betracht, sie zurück zu den Pferden zu schicken. Entweder das, oder ihnen eins über den Schädel zu verpassen und sie auf dem Rückweg wieder einzusammeln.
Plötzlich kamen vor Elyas zwei Aiel aus dem Unterholz. Dunkle Schleier verhüllten ihre Gesichter bis zu den Augen, weiße Umhänge bedeckten ihre Rücken, in Händen hielten sie Speere und Schilde. Der Größe nach zu urteilen, waren es Töchter des Speers, was sie keineswegs weniger gefährlich machte als jeden anderen Algai'd'siswai, und im nächsten Augenblick wurden neun Langbögen gespannt, und breite Pfeilspitzen zielten auf ihre Herzen.
»Ihr könntet Euch auf diese Weise verletzten, Tuandha«, murmelte Elyas. »Sulin, Ihr solltet es besser wissen.« Perrin bedeutete den Männern von den Zwei Flüssen, die Bogen zu senken, und Aram, das Schwert herunterzunehmen. Er hatte ihre Gerüche im gleichen Augenblick wie Elyas erkannt, bevor sie aus ihrem Versteck getreten waren.
Die Töchter wechselten einen überraschten Blick, aber sie nahmen die Schleier ab und ließen sie auf der Brust hängen. »Ihr habt scharfe Augen, Elyas Machera«, sagte Sulin. Drahtig und mit einem Gesicht wie Leder, das auf einer Wange eine Narbe aufwies, hatte sie scharfe blaue Augen, die so durchdringend wie eine Nadel blicken konnten, aber jetzt schauten sie noch immer überrascht. Tuandha war größer und jünger, und möglicherweise war sie hübsch gewesen, bevor sie das rechte Auge verloren und die wulstige Narbe erhalten hatte, die vom Kinn unterhalb ihrer Shoufa nach oben führte. Sie verzerrte ihren Mundwinkel zu einem halben Lächeln, aber das war auch das einzige Lächeln, das sie je zeigte.
»Eure Mäntel sind anders«, sagte Perrin. Tuandha blickte stirnrunzelnd an sich herab, ihr Mantel war grau und grün und braun, genau wie Sulins Kleidung.
»Eure Umhänge auch.« Elyas war müde. So einen Fehler zu machen. »Sie sind doch nicht etwa aufgebrochen?«
»Nein, Perrin Aybara«, sagte Sulin. »Die Shaido scheinen eine Zeitlang an diesem Ort bleiben zu wollen. Letzte Nacht haben sie die Menschen aus der Stadt dazu gezwungen, sie zu verlassen und nach Norden zu gehen, zumindest jene, die sie weggelassen haben.«
Sie schüttelte den Kopf, noch immer verwirrt darüber, dass die Shaido Leute dazu zwangen, Gai'schain zu werden, die nicht dem Ji'e'toh folgten. »Eure Freunde Jondyn Barran und Get Ayliah und Hu Marwin sind ihnen gefolgt, um zu sehen, ob sie etwas in Erfahrung bringen können. Unsere Speerschwestern und Gaul umrunden wieder das Lager. Wir haben hier darauf gewartet, dass Elyas Machera mit Euch zurückkehrt.« Sie ließ nur selten Gefühle in ihrer Stimme zu, und es waren auch jetzt keine herauszuhören, aber sie roch nach Traurigkeit. »Kommt, ich zeige es Euch.«
Die beiden Töchter wandten sich dem Hügel zu, und er eilte ihnen hinterher und vergaß alles andere um sich herum. Ein kurzes Stück vor dem Kamm gingen sie in die Hocke, dann auf Hände und Knie, und er machte es ihnen nach und kroch die letzten paar Handspannen, um oben auf dem Kamm an einem Baum vorbei durch den Schnee zu spähen. Der Wald endete hier und ging auf dem Abhang in verstreut wachsende Büsche und vereinzelte Schösslinge über. Perrin konnte mehrere Meilen weit sehen, hinweg über Bodenwellen, die wie baumlose Hügel aussahen, bis zu der Stelle, an der das dunkle Band des Waldes wieder begann. Er konnte alles sehen, was er sehen wollte, mehr, als ihm lieb gewesen wäre.
Er hatte versucht, sich das Lager der Shaido aufgrund von Elyas' Beschreibung vorzustellen, aber die Wirklichkeit machte dieses Bild zunichte. Eintausend Schritte unter ihm lag eine Masse aus niedrigen Aielzelten und jeder anderen Art von Zelt, eine Masse aus Wagen und Karren, Menschen und Tieren. Sie breitete sich fast über eine Meile von den grauen Mauern der Stadt bis zur Hälfte des Weges zur nächsten Anhöhe in alle Richtungen aus. Ihm war klar, das es auf der anderen Seite genauso aussehen musste. Es handelte sich um keine der großen Städte, sie war nicht wie Caemlyn oder Tar Valon; auf der Seite, die er sehen konnte, maß sie weniger als vierhundert Schritte und war auf der anderen offensichtlich noch schmaler, doch es war dennoch eine Stadt mit hohen Mauern und Türmen und allem Anschein nach einer Festung am nördlichen Ende. Aber das Lager der Shaido verschluckte sie völlig. Faile befand sich irgendwo in diesem riesigen Meer aus Menschen.
Er zog das Fernglas aus der Tasche und dachte im letzten Augenblick daran, eine Hand über das andere Ende zu wölben, um für Schatten zu sorgen. Die Sonne war eine goldene Kugel fast direkt vor ihm und hatte fast den halben Weg zum Zenit erklommen. Eine zufällige Spiegelung der Linse konnte alles verderben. Gruppen aus Menschen sprangen ihm in dem Fernglas entgegen, ihre Gesichter waren deutlich zu erkennen, zumindest für seine Augen. Langhaarige Frauen mit dunklen Schultertüchern und Dutzenden langer Halsketten, Frauen mit weniger Ketten, die Ziegen molken, Frauen im Cadirisor und manchmal mit Speer und Schild, Frauen, die aus den Tiefen der Kapuzen schwerer weißer Roben blickten, während sie durch matschigen Schnee eilten. Da waren auch Männer und Kinder, aber sein Auge glitt an ihnen vorbei. Tausende über Tausende von Frauen, und da waren nur die in Weiß gezählt.
»Zu viele«, flüsterte Marline, und er senkte das Glas, um sie böse anzustarren. Die anderen hatten sich zu den Töchtern und ihm gesellt, sie alle lagen entlang des Kamms in einer Reihe im Schnee. Die Männer von den Zwei Flüssen unternahmen große Anstrengungen, ihre Bogensehen vom Schnee fernzuhalten, ohne ihre Bogen über den Kamm zu heben. Arganda und Gallenne studierten das Lager mit ihren eigenen Ferngläsern, und Grady starrte mit auf den Händen aufgestütztem Kinn den Abhang hinunter; er war genauso konzentriert wie die beiden Soldaten. Vielleicht benutzte er auf irgendeine Weise die Macht. Auch Marline und Annoura starrten hinunter zum Lager, die Aes Sedai befeuchtete sich die Lippen, und die Weise Frau runzelte die Stirn. Perrin glaubte nicht, dass Marline beabsichtigt hatte, das laut zu sagen.
»Wenn Ihr glaubt, ich gehe wieder, nur weil dort unten mehr Shaido als erwartet sind ...«, begann er hitzig, aber sie unterbrach ihn und erwiderte seinen Blick gleichmütig.
»Zu viele Weise Frauen, Perrin Aybara. Wo ich auch hinsehe, entdecke ich eine Frau, die die Macht lenken kann. Nur für einen Augenblick hier, einen Augenblick da — Weise Frauen lenken nicht ununterbrochen die Macht —, aber sie sind überall, wo ich hinsehe. Zu viele, um die Weisen Frauen von zehn Septimen zu sein.«
Er holte tief Luft. »Was glaubt Ihr, wie viele sind es?«
»Ich glaube, dass da unten alle Weisen Frauen der Shaido versammelt sind«, erwiderte Marline so ruhig, als würde sie über den Haferpreis sprechen. »Alle, die die Macht lenken können.«
Alle? Das ergab keinen Sinn! Wie konnten sie alle dort versammelt sein, wo die Shaido doch in alle Winde verstreut waren? Immerhin hatte er Geschichten von Shaido-Raubzügen in ganz Ghealdan und Amadicia gehört, Geschichten von Raubzügen hier in Altara, und zwar lange vor Failes Entführung. Warum sollten sie alle zusammengekommen sein? Falls die Shaido sich hier sammeln wollten, der ganze Clan ... Nein, er musste von dem ausgehen, was ihm als Tatsache bekannt war. Das war schlimm genug. »Wie viele?«, fragte er noch einmal, diesmal in vernünftigem Tonfall.
»Knurrt mich nicht an, Perrin Aybara. Ich kann nicht genau sagen, wie viele Weise Frauen der Shaido am Leben geblieben sind. Selbst Weise Frauen sterben an Krankheiten, Schlangenbissen, Unfällen. Einige sind bei den Quellen von Dumai gestorben. Wir haben zurückgelassene Leichen gefunden, und sie müssen jene, die sie mitschleppen konnten, für ein angemessenes Begräbnis mitgenommen haben. Nicht einmal die Shaido können alle Sitten aufgegeben haben. Wenn alle Überlebenden dort unten sind, und die Lehrlinge, die die Macht lenken können, dann würde ich sagen, etwa vierhundert. Vielleicht auch mehr, aber weniger als fünfhundert. Bevor die Weisen Frauen der Shaido das Rückgrat der Welt überquert haben, gab es weniger als fünfhundert von ihnen, und vielleicht fünfzig Lehrlinge.« Die meisten Bauern hätten lebhafter über Hafer gesprochen.
Annoura, die noch immer das Lager der Shaido anstarrte, gab einen erstickten Laut von sich, der zur Hälfte ein Schluchzen war. »Fünfliundert? Beim Licht! Die Hälfte der Weißen Burg in einem Clan? Oh, Licht!«
»Wir könnten uns nachts hineinschleichen«, murmelte Dannil von seiner Position ein Stück weiter in der Reihe, »so wie Ihr zu Hause in das Lager der Weißmäntel geschlichen seid.« Elyas gab ein Grunzen von sich, das alles hätte bedeuten können, aber nicht hoffnungsvoll klang.
Sulin schnaubte verächtlich. »Wir könnten uns nicht in dieses Lager schleichen, wir hätten kaum eine Hoffnung, wieder heil herauszukommen. Euch würde man verschnüren wie eine Ziege auf dem Bratspieß, bevor Ihr an den ersten Zelten vorbei seid.«
Perrin nickte langsam. Er hatte auch schon daran gedacht, im Schutz der Dunkelheit hineinzuschleichen und Faile irgendwie dort herauszuschaffen. Und die anderen natürlich. Sie würde nicht ohne die anderen gehen. Aber er glaubte nicht, dass das gut gehen würde, nicht bei Aiel, und die Größe des Lagers hatte die letzten Funken Hoffnung erstickt. Er hätte dort tagelang zwischen den Menschen umherwandern können, ohne sie zu finden.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er keine Verzweiflung mehr niederkämpfen musste. Die Wut blieb, aber sie war jetzt so kalt wie Stahl im Winter, und er konnte nicht einen Tropfen von der Hoffnungslosigkeit entdecken, die zuvor gedroht hatte, ihn zu ersticken. In diesem Lager hielten sich zehntausend Algai'd'siswai auf, und fünfhundert Frauen, die die Macht lenken konnten — Gallenne hatte Recht, bereite dich auf das Schlimmste vor, und du wirst nur noch angenehme Überraschungen erleben —, fünfhundert Frauen, die nicht zögern würden, die Eine Macht als Waffe zu benutzen. Faile war verborgen wie eine Schneeflocke auf einer schneebedeckten Wiese, aber wenn man so viel auftürmte, dann war Verzweiflung nur noch sinnlos.
Entweder man machte sich ans Werk oder wurde untergepflügt. Außerdem begriff er jetzt das Rätsel. Nat Torfinn hatte immer behauptet, dass jedes Rätsel zu lösen sei, sobald man herausgefunden hatte, wo man schieben und wo man ziehen musste.
Im Norden und Süden der Stadt hatte man das Land wesentlich weiter als bis zu dem Hügel, auf dem er lag, gerodet. Vereinzelte Bauernhäuser, aus deren Schornsteinen kein Rauch aufstieg, sprenkelten die Landschaft, und Zäune markierten die unter dem Schnee liegenden Felder, aber wären aus diesen Richtungen mehr als nur eine Handvoll Männer angerückt, hätten sie genauso gut Fackeln und Banner schwingen und Fanfarenstöße von sich geben können. Es gab eine Straße, die ungefähr im Süden an den Höfen vorbeiführte; für den Norden galt das gleiche. Vermutlich nutzte ihm das nichts, aber das konnte man nie sagen.
Möglicherweise brachte Jondyn ein paar Informationen über die Stadt mit, aber was das nutzen würde, wo sie doch vom Lager der Shaido umgeben war, wusste Perrin nicht. Gaul und die Töchter, die das Lager umrundeten, würden ihm sagen können, was hinter dem nächsten Hügel lag. Sein Kamm wies einen Sattel auf, der dem äußeren Anschein nach eine Straße vermuten ließ, die nach Osten führte. Seltsamerweise stand etwa eine Meile nördlich von dem Sattel eine Gruppe Windmühlen, deren lange weiße Flügel sich langsam drehten, und auf dem dahinterliegenden Hügel schien es eine weitere Gruppe von Windmühlen zu geben. Eine Reihe von Steinbögen, die an eine lange schmale Brücke denken ließen, erstreckten sich von der vordersten Mühle den Hügel hinunter bis hin zur Stadtmauer.
»Weiß jemand, was das ist?«, fragte er und zeigte in die Richtung. Der Blick durch das Fernglas hatte ihm nicht mehr verraten als die Tatsache, dass die Bögen anscheinend aus dem gleichen grauen Stein wie die Stadtmauer erbaut waren. Die Konstruktion war viel zu schmal für eine Brücke. Es fehlten Seitenmauern, außerdem schien es hier nichts zu geben, wofür eine Brücke notwendig gewesen wäre.
»Das ist für den Transport von Wasser«, erwiderte Sulin. »Es erstreckt sich über fünf Meilen bis zu einem See. Ich weiß nicht, warum sie ihre Stadt nicht nä — her herangebaut haben, aber der größte Teil des Landes um den See herum sieht aus, als bestünde er aus Schlamm, wenn die Kälte weg ist.« Sie stolperte nicht länger über unvertraute Worte wie Schlamm, aber bei »See«, der Vorstellung von so viel Wasser an einem Ort, schwang noch immer eine Spur von Ehrfurcht mit.
»Ihr denkt daran, ihre Wasserversorgung zu unterbrechen? Das wird sie sicherlich hervor locken.« Ein Kampf um Wasser, das konnte sie verstehen. In der Wüste nahmen die meisten Kämpfe wegen Wasser ihren Anfang. »Aber ich glaube nicht ...«
Die Farben explodierten in Perrins Kopf, und zwar so stark, dass Sicht- und Hörvermögen verschwand.
Die Farben einmal ausgenommen, was die Sicht anging. Sie kamen als eine riesige Welle, als hätten die viele Male, die er sie aus seinem Kopf gedrängt hatte, einen Damm errichtet, den sie nun in einer stummen Flut zerschmetterten, um in lautlosen Strudeln zu kreisen, die ihn in die Tiefe zu reißen drohten. Mittendrin nahm ein Bild Gestalt an, Rand und Nynaeve, die einander gegenüber auf dem Boden saßen, und es war so klar, als säßen sie direkt vor ihm. Er hatte keine Zeit für Rand, nicht jetzt. Nicht jetzt! Er krallte die Farben beiseite, wie ein Ertrinkender das Wasser zur Seite krallte, um zur Oberfläche zu gelangen, er ... zwang ...
sie ... aus ... seinem ... Kopf!
Sicht- und Hörvermögen, die ganze Welt schlug über ihm zusammen.
»... ist Wahnsinn«, sagte Grady besorgt. »Niemand kann so viel Saidin lenken, dass ich es aus dieser Entfernung noch spüre! Niemand!«
»Und niemand kann so viel Saidar lenken«, murmelte Marline. »Aber jemand tut es.«
»Die Verlorenen?« Annouras Stimme zitterte. »Die Verlorenen, die ein Sa'angreal benutzen, von dem wir nichts wußten. Oder ... der Dunkle König selbst.«
Alle drei schauten nach Nordwesten, und wenn Marline beherrschter als Annoura oder Grady aussah, roch sie doch genauso verängstigt. Mit Ausnahme von Elyas beobachteten alle sie mit dem Gesichtsausdruck von Männern, die die Ankündigung erwarteten, dass die erneute Zerstörung der Welt ihren Anfang genommen hatte. Elyas' Miene drückte Akzeptanz aus. Ein Wolf würde nach einem Erdrutsch schnappen, der ihn in den Tod riss, aber ein Wolf wusste auch, dass der Tod früher oder später kam, und gegen den Tod konnte man nicht kämpfen.
»Es ist Rand«, murmelte Perrin heiser. Der Versuch der Farben, ihn erneut zu überschwemmen, ließ ihn erbeben, aber er hämmerte sie nieder. »Das ist seine Sache. Er wird sich darum kümmern, was auch immer es ist.« Alle starrten ihn an, selbst Elyas. »Sulin, ich brauche Gefangene. Sie schicken sicher Jagdexpeditionen aus. Elyas hat gesagt, dass sie Wachen ein paar Meilen weit ausgesandt haben, kleine Gruppen. Könnt Ihr mir Gefangene besorgen?«
»Hört mir genau zu«, stieß Annoura hervor. Sie erhob sich weit genug aus dem Schnee, um über Marline hinweg eine Handvoll von Perrins Umhang zu ergreifen. »Etwas geschieht gerade, vielleicht etwas Wunderbares, vielleicht auch etwas Schreckliches, aber auf jeden Fall etwas Gewaltiges, und zwar weitaus bedeutsamer, als alles in der überlieferten Geschichte! Wir müssen wissen, was das ist! Grady kann uns nahe genug heranbringen, um es zu beobachten. Ich könnte uns dort hinbringen, wenn ich wüsste, wie man das Gewebe erschaffen muss. Wir müssen es wissen!«
Perrin erwiderte ihren Blick und hob die Hand, und sie verstummte mit offenstehendem Mund. So leicht ließen sich Aes Sedai sonst nicht zum Schweigen bringen, aber sie ließ es geschehen. »Ich habe Euch gesagt, was zu tun ist. Unsere Arbeit liegt direkt vor uns.
Sulin?«
Sulin sah von ihm zu der Aes Sedai und dann zu Marline. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. »Ihr werdet nur wenig Nützliches erfahren, selbst wenn Ihr sie der Befragung unterzieht. Sie werden den Schmerz umarmen und Euch auslachen. Und Scham wird nur langsam wirken — falls diese Shaido überhaupt noch zu beschämen sind.«
»Was auch immer ich erfahre, wird mehr sein, als ich jetzt weiß«, erwiderte er. Seine Arbeit lag vor ihm ausgebreitet. Ein Rätsel musste gelöst, Faile musste befreit und die Shaido vernichtet werden. Das war alles, was auf der Welt zählte.