6

»Es gibt Viertel von Corcyrus, in die du mich noch nicht geführt hast«, sagte ich zu Drusus Rencius.

Wir standen auf den hohen Wehrmauern Corcyrus’, auf einer Steinabstufung hinter der Balustrade, und brauchten so nicht durch die Schießscharten zu schauen, sondern hatten einen freien Blick über die Mauerkrone auf die Felder außerhalb der Stadt.

»Nicht alle Viertel Corcyrus’«, sagte er, »sind sicher, und schon gar nicht bei Nacht. Und nicht alle nehmen auf die Empfindsamkeit einer freien Frau Rücksicht.«

Ein Windhauch wehte über die Mauer, der mir sehr willkommen war. Schleier bewegten sich vor meinem Gesicht.

»Du mußt deine Kapuze nach vorn ziehen«, sagte Drusus Rencius.

Zornig kam ich seiner Aufforderung nach. Drusus Rencius war ungeheuer vorsichtig.

Nervös blickte er sich um. Ich fragte mich, warum er so angespannt und nervös war.

Die Tarns, riesige Sattelvögel, hockten einige hundert Fuß entfernt auf ihren Stangen. Es waren fünf Tiere.

»Geh nicht zu nahe heran!« hatte mich Drusus gewarnt.

»Keine Angst!« hatte ich lachend erwidert, denn ich fürchtete solche Wesen.

Aber wenn er die Vögel so wenig mochte oder sich um meine Sicherheit sorgte, warum hatte er dann gerade diesen Teil der Stadtmauern erklimmen wollen? Er hatte mich hier in die unmittelbare Nähe der schrecklichen Monstren geführt.

»Ich sehe immer noch dein Haar«, sagte Drusus Rencius.

Ärgerlich zog ich mir die Kapuze noch enger um den Kopf, so daß von mir außer Nasenwurzel und Augen kaum noch etwas zu sehen war. Vor fünf Tagen hatte ich den Vorschlag gemacht, die Stadtmauer zu ersteigen, um nach draußen zu schauen. Ursprünglich hatte Drusus Rencius gezögert, sich dann aber beinahe ein wenig zu plötzlich besonnen und mich hierhergeführt. Und jetzt machte er einen ausgesprochen nervösen Eindruck.

»Wegen der Kaissa-Spiele bist du noch immer böse auf mich«, sagte ich.

»Nein.«

»Sie waren aber wirklich langweilig«, sagte ich.

»Centius aus Cos saß am Brett!« rief er. »Er ist einer der besten Spieler auf Gor!« Daß der berühmte Centius aus Cos an einem so unwichtigen Turnier teilgenommen hatte, ging bestimmt auf die Allianz zwischen Corcyrus und Cos zurück. Und obwohl er sicher interessant gespielt hatte, mußte mich Drusus Rencius früh nach Hause bringen.

»Ich wette«, sagte ich jetzt zu ihm, »daß du später noch einmal zu den Spielen zurückgekehrt bist.«

»Ja«, sagte er.

»Bitte sei nicht böse auf mich, Drusus!« sagte ich.

»Ich bin nicht böse auf dich«, antwortete er.

Ich fragte mich, warum ich so zu ihm sprach. Schließlich war ich die Tatrix dieser Stadt. Die Macht lag bei mir, nicht bei ihm. Trotzdem wollte ich nicht, daß er mir zürnte. Irgend etwas in mir wollte ihm gefallen.

Ich schaute über die weiten Felder, die einen prächtigen Anblick boten. In einer goreanischen Stadt fällt es einer Frau nicht schwer, sich inkognito zu bewegen. Die Verhüllungsroben verbergen ihr Gesicht. Heute abend trug ich die Robe einer Frau aus hoher Kaste, im Gelb der Hausbauer. Drusus Rencius hatte eine neutrale Tunika angelegt mit einem weiten kastanienbraunen Umhang. Es gefiel mir, mich frei in der Stadt bewegen zu können; wir brauchten keine Wächtertruppe, keine Sänfte, keine Trommeln und Pfeifen und die anderen Dinge, die zu meinem hohen Amt gehörten. Zuweilen fand ich die Pracht meines Hofstaates sehr anregend, doch wollte ich ihn nicht jedesmal um mich haben, wenn ich den Palast verließ.

Unter Drusus’ Cape glaubte ich ein metallisches Klirren zu hören, wie schon mehrmals an diesem Abend.

Drusus Rencius hatte sich die Tarns angeschaut, die rechts von uns auf ihren Stangen saßen. Sie waren für den Patrouillendienst gesattelt und angeschirrt. Die dazugehörigen Stadtwächter, die Dienst hatten, befanden sich in einem Wachhaus am Fuße der Mauer. Sie konnten innerhalb weniger Ihn im Sattel sitzen.

Er schaute sich unbehaglich um. Die Unruhe war sehr untypisch für ihn.

»Hat man schon wieder etwas von den Sleen aus Argentum gehört?« fragte ich. Seit der Rückkehr Miles’ in seine Stadt waren mehrere Tage vergangen.

»Nein«, antwortete er.

»Nett von dir, mich hierherzubringen«, sagte ich. »Ein schönes Panorama.«

Er schwieg.

»Das Gesangsdrama gestern abend hat mir gefallen«, fuhr ich fort.

»Gut.«

Viel hatte ich von dem Gesang noch nicht verstehen können, zumal wegen des großen Theaters Verstärkungsmasken getragen wurden, die alle Laute verzerrten. Doch hatte mich die Art der Aufführung sehr interessiert, bei der Chöre und Einzelgestalten Wechselgesänge aufführten.

»Ein wunderschönes Panorama«, wiederholte ich. »Wir hätten schon früher herkommen sollen.«

»Mag sein«, sagte er.

Ich hatte in den letzten Tagen viel von Corcyrus zu sehen bekommen. Drusus Rencius war größtenteils ein aufmerksamer und entgegenkommender Begleiter. Besonders liebte ich die Märkte und Bazare, die Gerüche, die Farben, die Menschenmengen, die Vielfalt der aufgebauten Waren, die winzigen Läden, die Buden, die Geschäfte, die zuweilen nur aus einem kleinen Teppich bestanden, auf dem ein fliegender Händler seine Ware ausstellte. Drusus Rencius hatte mir sogar Münzen zur Verfügung gestellt und mich schachern lassen. Frohgemut war ich mit meinen kleinen Eroberungen in den Palast zurückgekehrt. Ich kaufte gern ein, ich schaute mich gern um. Mir zu folgen, während ich neugierig alle möglichen Winkel erkundete, mußte für Drusus sehr langweilig gewesen sein, doch er hatte sich nicht beschwert. Ich begann die goreanische Stadt zu lieben. Sie war so ungemein lebendig. Vor allem erregten mich die Sklavinnen, die barfuß und mit Eisenkragen beschwert unbeachtet durch die Menge gingen.

»Dort sind Wagen«, sagte ich und deutete über die Wehrbrüstung der Stadtmauer. Fünf Wagen näherten sich hintereinander der Stadt. Jeder wurde von zwei Reihen angeschnallter Sklaven gezogen, an jedem Seil zogen etwa zwanzig Sklaven.

»Sa-Tarna-Wagen«, erklärte Drusus. »Sie bringen Korn in die Stadt.«

»Was ist das für ein Wagen dort?« fragte ich. »Der kleinere, der zur Seite gefahren ist, um den Getreidetransport durchzulassen?« Ich glaubte zu wissen, was für ein Wagen das war; seine Fracht war jedenfalls so unwichtig, daß er allen anderen Fahrzeugen Vorfahrt gewähren mußte. Ein einzelner breiter Tharlarion, eine vierbeinige Zugechse, wie sie überall auf Gor anzutreffen ist, zog den kantigen flachen Wagen. Eine Plane verdeckte die Ladefläche.

»Ein Sklavenwagen. Er gehört einem Sklavenhändler«, antwortete Drusus Rencius.

»Oh!« sagte ich und tat überrascht. Natürlich hatte ich gewußt, daß es sich um einen Sklavenwagen handelte; die blau-gelbe Kennzeichnung war deutlich zu sehen, die Farben der Sklavenhändler.

Ich richtete mich hinter der Mauerbrüstung auf und atmete tief durch. Wie froh ich doch war, frei zu sein! Wie schrecklich wäre es gewesen, Sklavin zu sein!

»Du scheinst heute nervös zu sein, Drusus«, sagte ich.

»Verzeih mir, Lady Sheila!« antwortete er.

»Stimmt etwas nicht?«

»Nein.«

»Was scheppert da unter deinem Mantel?« fragte ich. »Es klingt nach Metall.«

»Nichts«, entgegnete er.

Einer der Tarns bewegte sich unruhig auf seiner Stange. Ich wußte noch immer nicht, warum mich Drusus ausgerechnet an diese Stelle geführt hatte; die Nähe der Tarns stimmte mich unbehaglich.

»Du hältst nicht viel von mir, nicht wahr, Drusus?« fragte ich.

»Ich verstehe nicht, was du meinst«, sagte er erstaunt.

»Du hältst mich für hübsch und dumm, nicht wahr?«

»Ich werde dafür bezahlt, die Lady Sheila zu bewachen«, erwiderte er, »nicht um mir eine Meinung über ihren Charakter zu bilden.«

»Magst du mich?«

»Zuerst unterstellst du, ich hielte wenig von dir, dann fragst du, ob ich dich mag?«

»Unmöglich wäre es nicht.«

Er lächelte.

»Na, magst du mich?«

»Wäre das wichtig?«

»Nein, natürlich nicht«, sagte ich zornig.

»Dann ist eine Antwort ja auch sinnlos.«

»Du verachtest und haßt mich!« rief ich.

»Das könnte mir einerseits leichtfallen, andererseits auch wieder nicht, wenn ich nämlich bedenke, was ich über die Tatrix von Corcyrus und ihre Herrschaft in der Stadt gehört habe. Doch nachdem ich dich nun persönlich kenne, kann ich wirklich nicht behaupten, daß ich dich hasse.«

»Wie schmeichelhaft!« rief ich.

»Dein öffentliches Ich und dein privates Ich scheinen sehr voneinander abzuweichen.«

»Mag sein«, sagte ich gereizt.

»So ist das zweifellos bei vielen Menschen.«

»Zweifellos.«

Drusus Rencius schaute links und rechts auf der Mauerkrone entlang. Wir waren praktisch allein hier oben. Die nächsten Leute, ein Pärchen, standen gut hundert Meter entfernt links von uns. Wieder blickte Drusus Rencius auf die Tarns, ehe sein Blick zu mir wanderte. Zornig wandte er sich schließlich ab. Er hatte die Fäuste geballt.

Tränen standen mir in den Augen. Ich wollte Drusus Rencius gefallen. Er sollte mich unbedingt mögen. Doch was ich auch sagte oder tat – alles schien falsch zu sein. Im nächsten Moment stieg Zorn über mich selbst in mir auf. Ich war doch keine Sklavin zu seinen Füßen, halb nackt in seinem Kragen, voller Angst vor seiner Peitsche! Ich war Tatrix und er ein einfacher Wächter. Erschaudernd fragte ich mich, wie es wohl wäre, von einem solchen Mann versklavt zu werden.

»Das Czehar-Konzert war schön«, sagte ich leichthin.

»Gut«, erwiderte er.

Die Czehar ist ein langes, flaches, rechteckiges Instrument, das man beim Spielen auf den Knien hält. Es verfügt über acht Saiten, die mit einem Stück Horn gezupft werden. Vorgestern abend hatte Lysander aus Asperiche ein Konzert gegeben.

»Was hat der Eintritt gekostet?« fragte ich.

»Einen Silber-Tarsk für uns beide«, antwortete er.

»Wenn ich mich richtig erinnere, ist das mehr, als ich deiner Meinung nach als Sklavin wert wäre«, sagte ich entrüstet.

»Wenn sich Lady Sheila an unser Gespräch erinnert, so sagte ich damals, daß sie in den intimen Künsten der Sklavin nicht ausgebildet ist, was sich natürlich auf den Preis auswirkt.«

»Künste?« fragte ich.

»Ja, die komplexen, subtilen und sinnlichen Künste, einem Mann voll und ganz zu gefallen.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Da ist es nur natürlich, daß manche Frauen einen höheren Preis bringen als andere.«

»Ich fand jedenfalls, daß Lysander gut gespielt hat«, sagte ich.

»Er gilt auch als einer der besten Czehar-Spieler auf ganz Gor.«

»Oh«, sagte ich. Wieder schien ich bei Drusus Rencius ins Fettnäpfchen getreten zu sein. Bei ihm wollte mir auch gar nichts gelingen!

Wieder schaute ich in die Weite.

»Geht es Lady Sheila gut?« fragte Drusus Rencius.

»Ja«, sagte ich.

Die letzten Tage waren sehr angefüllt gewesen. Ich hatte nicht nur die Märkte und Bazare und Theater dieser Stadt gesehen, sondern so manches andere in der Stadt. Es war sehr angenehm gewesen, durch die kühlen Säle der Bibliotheken zu schreiten mit den vielen tausend Schriftrollen, die sorgfältig katalogisiert und abgelegt waren, und durch die Galerien an der Straße des Iphicrates. Die Brunnen auf den Plätzen beeindruckten mich sehr. Man konnte bei ihrem Anblick beinahe vergessen, daß sie nicht nur als Zierde gedacht waren, sondern nach goreanischer Art einen sehr konkreten Zweck hatten. Von den Brunnen mußten die meisten Leute ihr Wasser holen. Ganz besonders gefielen mir die öffentlichen Gärten. Je nach Pflanzenart blühen in den meisten Gärten ständig Blumen. Hier gibt es auch viele gewundene, beinahe abgeschirmte Wege. Hier findet man Farbe, Schönheit und an vielen Stellen Einsamkeit. Ich kannte nur wenige der Blumen und Bäume; doch zu meiner Überraschung wußte Drusus Rencius alle Pflanzen zu benennen, nach denen ich ihn fragte. Anscheinend achteten die Goreaner sehr auf ihre Umwelt. Sie bedeutet ihnen etwas. Sie leben darin. Dagegen war auf der Erde die Zahl derjenigen, denen Namen und Arten von Bäumen und Büschen, von Pflanzen, Insekten und Vögeln beigebracht wurden, verschwindend gering. Es überraschte mich auch, festzustellen, daß Drusus Rencius Blumen liebte. Aufgrund meiner irdischen Erfahrungen hätte ich mir nicht vorstellen können, daß ein Mann von seiner Kraft und Macht sich für etwas so Zartes und Unschuldiges begeistern konnte wie eine Blume. In einem abgelegenen Winkel des Parks war ich dicht vor Drusus stehengeblieben und hatte getan, als müsse ich meinen Schleier festmachen; er aber war einen Schritt zurückgetreten und hatte den Blick abgewandt. Geküßt hatte er mich nicht. Ärgerlich hatte ich meinen Schleier wieder festgemacht. Warum hatte er mich nicht geküßt? Weil ich seine Tatrix war? Ich fragte mich, wie es wohl wäre, in seinen Armen zu zerschmelzen.

Der über die Stadtmauer wehende Wind bewegte meinen Schleier.

Die Tage in Drusus Rencius’ Gesellschaft hatten mir Spaß gemacht, doch nachts, wenn ich allein in meinem Gemach lag, war ich oft unruhig und fühlte mich einsam. Und ich ersehnte mir Dinge, die ich niemandem einzugestehen gewagt hätte, weder Drusus noch Susan.

Gelegentlich führte mich Drusus Rencius auch zu Wettbewerben: Rennen, Wurfspießwerfen, Steinschleudern. Lange hielt ich es bei diesen Veranstaltungen nicht aus. Nur die Schwertkämpfe faszinierten mich, die allerdings mit lederumhüllten Klingen ausgefochten wurden. Wie die bronzehäutigen muskulösen Männer gegeneinander antraten, beobachtet von zwei Schiedsrichtern, konnte ich mir kaum vorstellen, was einen Schwertkampf auf Leben und Tod ausmachen würde; allein der Gedanke daran erfüllte mich mit Entsetzen. Besonders erregten mich die Kämpfe, bei denen es um ein Mädchen ging, das dem Sieger zugesprochen wurde. Unwillkürlich versetzte ich mich in ihre Lage und fühlte, wie sich in mir etwas regte.

Nach einem solchen Kampf folgte ich Drusus Rencius, der von meinem vibrierenden Zustand nichts zu ahnen schien. In einem verlassenen Korridor des Palasts blieb ich stehen. Ich wollte dem Mann noch eine Chance geben, mich zu küssen. »Dieser Schleier ist locker«, sagte ich gereizt und begann daran herumzufingern. Nicht ohne Absicht löste ich eine Nadel und ließ den Stoff auf einer Seite herabfallen. Ich trat dicht vor Drusus Rencius hin.

»Ich kann kaum etwas sehen«, sagte ich. »Würdest du mir den Schleier bitte festmachen?«

»Natürlich«, erwiderte er und nahm die Nadel.

Ich hob ihm den Kopf entgegen. Er war groß und kräftig. Als er an meine rechte Schläfe griff, um den Stoff zu befestigen, hielt ich seine Hand fest. »Ich erlaube dir, mich zu küssen«, sagte ich.

»Befiehlt mir Lady Sheila, sie zu küssen?« fragte er.

»Nein, natürlich nicht!«

»Ich brauche nicht die Erlaubnis einer Frau«, sagte er und befestigte meinen Schleier. Dann führte er mich in meine Gemächer.

Hinterher hatte ich mich sehr über seine Zurückweisung aufgeregt. Er hatte mich verschmäht! War ich denn irgendeine Dirne, von der er sich abwenden konnte? Ich war eine verzweifelte, unerfüllte Frau, die sich zu ihren Bedürfnissen zu bekennen wagte! Wie sehr ich ihn haßte! Ich war Tatrix, er nur ein Soldat, ein Wächter!

Auf Gor war mein Körper zur Fülle seiner Weiblichkeit erblüht, doch war ich trotz dieser neuen Vitalität in mancher Beziehung unzufrieden, bekümmert. Ich bekämpfte die heftigen Bedürfnisse, die in mir erwuchsen, Regungen, mich zu unterwerfen, total und rückhaltlos zu lieben, alles zu geben, nichts zu verlangen. Wie oberflächlich erschienen mir plötzlich Selbstsucht und Eigenliebe. Immer wieder fragte ich mich, woher diese anderen überwältigenden Gefühle kommen mochten. Sie erschreckten mich, standen sie doch so sehr im Gegensatz zu der irdischen Erziehung, der ich unterworfen gewesen war.

Auf der hohen Stadtmauer wandte ich mich um und schaute über die Dächer der Stadt. Zwischen Bäumen sah ich die verschiedenen Theater und das Stadion. Auch den Palast konnte ich ausmachen, ebenso einige Parks und das Dach der Bibliothek an der Straße des Iphicrates.

»Die Stadt ist schön«, sagte ich.

»Ja«, antwortete Drusus Rencius.

Ich liebte Gor, auch wenn es mir in mancher Beziehung Angst einflößte. Angesichts der Überlegenheit des männlichen Elements in der Natur war es wohl ganz natürlich, daß in einer der natürlichen Ordnung entsprechenden Zivilisation die Institution der weiblichen Sklaverei entstand: als zivilisatorischer Ausdruck der biologischen Beziehung, vielleicht auch eine Verfeinerung, Stärkung und, im soziologischen und juristischen Sinn, eine Klarstellung und Konsolidierung dieser Beziehung. Jedenfalls war auf diesem Planeten die Sklaverei Realität.

»Dort ist das Theater des Kleitos«, sagte Drusus Rencius, »und dort liegen die Bibliothek und das Stadion. Und dort, wo man die Bäume sieht, befindet sich der Garten von Antisthenes.«

»Ja«, sagte ich. »Es gibt aber viele Orte in Corcyrus, die du mir noch nicht gezeigt hast«, sagte ich.

»Mag sein.«

»Vor zwei Tagen kamen wir an einem gewissen Haus vorbei«, sagte ich.

»Du hast sicher die Musik gehört, die im Innern gespielt wurde.«

»Ja«, sagte ich. Es würde mir nicht leichtfallen, diese Musik zu vergessen, die melodisch und erregend-sinnlich geklungen hatte.

»Drinnen tanzte ein Mädchen«, fuhr er fort. »Es war eine Paga-Taverne.«

»Du hast mich nicht eintreten lassen«, sagte ich.

»Solche Mädchen tragen beim Tanz oft nichts anderes als Schmuck oder Ketten«, sagte er. »Es ist sicher besser, wenn freie Frauen nicht sehen, wie solche Mädchen die Männer betrachten und sich vor ihnen bewegen.«

»Ich verstehe«, sagte ich. »Manchmal tun mir Sklavinnen leid.«

»Das darf aber nicht sein! Oder identifiziert sich Lady Sheila mit Sklavinnen?«

»Nein, natürlich nicht!«

»Gut.«

»Warum ist das gut?«

»Es heißt, wer sich mit Sklavinnen identifiziert wünscht sich selbst einen Sklavenkragen – ist selbst bereits Sklavin.«

»Nein!«

»Es ist ja nur Gerede!«

Angstvoll wandte ich mich ab und schaute wieder über die Felder. »Aber Soldaten müssen manchmal gehorchen wie Sklaven, nicht wahr?« fragte ich nach kurzem Schweigen.

»Lady?« fragte er.

»Wenn ich künftig einen Ort aufsuchen oder etwas tun möchte, erwarte ich, daß du meine Wünsche respektierst.«

»Wenn Lady Sheila mit mir nicht zufrieden ist«, antwortete er, »braucht sie dies nur gegenüber Ligurious zu erwähnen. Dann könnte ein Ersatzmann bestimmt werden, der dir vielleicht besser gefällt.«

»Solange du mir als Wächter zugeteilt bist, wirst du mir gehorchen. Ich allein werde entscheiden, ob oder wann du deiner Pflichten enthoben wirst – oder vielleicht ganz aus Corcyrus verschwinden mußt!«

»Ja, Tatrix«, sagte er.

»Mit deinen Diensten bin ich nicht völlig unzufrieden«, sagte ich, »doch gedenke ich sie auf jeden Fall noch zu verbessern. Ich bin die Tatrix von Corcyrus.«

»Jawohl, Tatrix«, sagte er.

»Sollte ich zum Beispiel eine Paga-Taverne besuchen wollen«, fuhr ich fort, »wirst du mich begleiten.«

»In den meisten Paga-Tavernen«, erwiderte er, »haben freie Frauen keinen Zutritt. In manchen schon.«

»Ich verstehe.« Sich in einem solchen Lokal gewaltsam Zutritt zu verschaffen, hätte zu Auseinandersetzungen geführt, in deren Verlauf ich mich als Tatrix zu erkennen geben mußte.

»Außerdem«, fuhr er fort, »dürfte ich dich nicht bewußt in Gefahr bringen, selbst wenn du es mir befiehlst. Es ist meine Aufgabe, die Tatrix zu beschützen, nicht, sie in Gefahr zu bringen.«

»Du bist ein ausgezeichneter Wächter, Drusus«, sagte ich. »Natürlich hast du recht.«

»Ich könnte dich in eine Taverne bringen, in der Familien bedient werden.«

»An eine solche Taverne habe ich aber nicht gedacht. Sklaven dürfen doch aber Tavernen betreten.«

»Wenn sie einen Auftrag haben oder in Begleitung einer freien Person sind«, antwortete er.

»Wenn ich mich nun als Sklavin kleidete?«

»Undenkbar!« rief er sofort.

Es freute mich, daß dieser Gedanke ihn offenbar empfindlich berührte. Unwillkürlich überlegte ich, ob er sich insgeheim gefragt hatte, wie ich wohl als Sklavin aussähe.

»Außerdem würde man dich sofort erkennen. Zumindest würde deine Ähnlichkeit mit der Tatrix auffallen.«

»Natürlich hast du wieder recht«, sagte ich.

Er schwieg.

»Drusus«, sagte ich, »ich würde gern einmal das Haus eines Sklavenhändlers von innen sehen. Ich möchte die ›Gehege‹ sehen.«

»So etwas würde die Empfindungen einer freien Frau verletzen«, sagte er.

»Trotzdem möchte ich es sehen«, sagte ich. »Ich erwarte, daß du eine entsprechende Tour arrangierst.«

»Interessiert sich die Lady Sheila für ein bestimmtes Gehege?«

»Du hast die freie Wahl«, sagte ich von oben herab.

»Sehr wohl. Ich will sehen, daß ich morgen etwas einrichten kann. Aber warum möchtest du einen solchen Ort sehen? Warum interessiert dich so etwas?«

»Ich bin einfach neugierig«, sagte ich. Im gleichen Moment hörte ich wieder das leise Klirren unter seinem Umhang.

»Warum hast du so lange damit gewartet, mich hier auf die Mauer zu führen?« fragte ich. Zu plötzlich, so schien mir nach der ursprünglichen Ablehnung, hatte er mich dann doch auf die Mauer gebracht. Es war beinahe, als hätte er sich zu einer bestimmten Handlungsweise entschlossen. Er war mir ungewöhnlich nervös vorgekommen. Was gab es hier oben, das ihn nervös machte – abgesehen von den Tarns, denen wir uns ja nicht zu nähern brauchten?

»Du kommst mir heute irgendwie seltsam vor, Drusus Rencius«, sagte ich. »Du bist wortkarger als sonst. Nach langem Zögern bringst du mich hier auf die Mauer, in die unmittelbare Nähe der Tarns. Sie machen mich nervös.«

»Ich bin ein schlechter Wächter, Lady Sheila«, antwortete er. »Heute bin ich zugleich ein schlechter Gesellschafter. Verzeih mir! Und was noch schlimmer ist: Ich fürchte, ich bin auch ein schlechter Soldat.«

»Warum sagst du das?« fragte ich.

»Ich hatte mich lange mit dem Gedanken getragen, dich an diese Stelle zu bringen, Lady Sheila, noch ehe du selbst diesen Wunsch äußertest. Immer wieder schlug ich mir den Gedanken aus dem Kopf. Dann aber kam dein Vorschlag, und ich hielt es dann für das beste, dich hierher zu begleiten.«

»Ich verstehe nicht, was du mir damit sagen willst«, meinte ich.

»Dies ist ein Ort, an dem ich mit der Tatrix von Corcyrus allein wäre, in unmittelbarer Nähe gesattelter Tarns. Was ich zu tun hätte, schien klar auf der Hand zu liegen. Es wäre leicht durchzuführen. Auch jetzt noch könnte ich es mühelos in die Tat umsetzen, und vielleicht sollte ich es tun. Aber ich werde es nicht tun. Ich widersetze mich keinem Befehl. Vielmehr lasse ich das Spiel seinen Lauf nehmen.«

»Du sprichst in Rätseln«, sagte ich tadelnd.

»Wir wollen von der Mauer steigen und in den Palast zurückkehren«, sagte er.

»Was klirrt da unter deinem Umhang?«

»Nichts.«

»Zeig es mir!«

Widerstrebend öffnete er den Stoff seines Capes. An seinem Gürtel hing eine lange, dünne Kette mit einem schmalen metallenen Halsring.

»Was ist denn das?« fragte ich.

»Eine Sirikfessel«, antwortete er. »Aber jetzt sollten wir die Mauer verlassen und in den Palast zurückkehren.«

»Wie du willst«, antwortete ich.

Загрузка...