10

Ein Wächter schob mich in meine Gemächer und schloß die Tür hinter mir. Eine Lampe schimmerte in meinem Zimmer.

Ich vernahm ein Wimmern.

»Susan!« rief ich.

Das Mädchen lag nackt auf dem Boden. Ihr Rücken war gerötet von Striemen.

»Was für Ungeheuer!« rief ich.

»Herrin, dies haben nicht die Wächter getan«, sagte das Mädchen schluchzend.

»Wer dann?«

»Der Sklavenmeister Ligurious’, auf Befehl seines Herrn.«

»Aber warum das?«

»Weil ich Ligurious nicht informiert habe, daß du heute nacht Drusus Rencius zu dir bestellt hattest.«

»Wie hat er davon erfahren?« wollte ich wissen.

»Sicher von einem Wächter.«

Anscheinend hatte es Ligurious sehr aufgeregt zu erfahren, daß ich den Palast verlassen hatte. Mit einigen laternenbewaffneten Wächtern war er mir und Drusus Rencius an dem kleinen Turmtor in der Ostwand des Palasts entgegengekommen. Drusus Rencius hatte dort bleiben müssen, während man mich eilig hierher zurückgebracht hatte.

Plötzlich wurde zweimal dröhnend gegen die Tür geschlagen. »Ligurious, erster Minister von Corcyrus!« verkündete ein Wächter von der anderen Seite.

Ich stand auf und ging in die Mitte des Raums. Ich versuchte eine sehr aufrechte Haltung zu bewahren.

»Tritt ein!« sagte ich.

Ligurious erschien auf der Schwelle und schickte Susan in ihr Gehege.

»Ja, Herr!« rief das Mädchen, sprang auf und verließ das Zimmer.

»Du bist noch spät auf«, sagte Ligurious dann zu mir.

»Ich war in der Stadt«, sagte ich trotzig.

»In der Stadt kann es sehr gefährlich sein«, erwiderte er, »besonders heutzutage, und bei Nacht. Du mußt verstehen, daß ich Verantwortung für deine Sicherheit trage.«

»Dazu brauchtest du aber Susan nicht so mißhandeln zu lassen«, sagte ich.

»Misch dich nicht in die Beziehung zwischen einem Mann und seinem Sklaven!« sagte er barsch.

Erschrocken trat ich einen Schritt zurück.

»Künftig«, fuhr er fort, »wirst du den Palast nicht mehr ohne meine Erlaubnis verlassen. Du wirst dich hier aufhalten.«

»Nein!« rief ich.

»Nimm den Schleier ab, zieh deine Robe und deine Schuhe aus!«

Ängstlich gehorchte ich. So stand ich dann vor ihm, in einem langen schulterfreien Unterkleid aus Seide.

»Lady Sheila, hier stehst du hier vor einem Mann, barfuß wie eine Sklavin.«

»Ich werde die Wächter rufen.«

»Und wem werden die wohl gehorchen?«

»Ich rufe Drusus Rencius.«

»Der ist von seinem Auftrag entbunden worden«, sagte Ligurious. »Er ist nicht dein Leibwächter.«

»Oh.«

»Und er scheint froh zu sein, dich los zu sein.«

»Oh«, wiederholte ich. Nun konnte ich Drusus nicht länger quälen.

»Und ich kann es ihm nicht verdenken«, sagte Ligurious, »denn du scheinst mir ein frigides kleines Biest zu sein.«

»Biest!« rief ich und erschauderte wimmernd, als er mich an den Oberarmen packte. »Wenn du mich ärgerst«, fauchte er, »verpasse ich dir im Handumdrehen ein Brandzeichen und einen Stahlkragen. Verstanden?«

Ich vermochte mich nicht aus seinem Griff zu befreien.

»Ja«, sagte ich. »Ja.«

Er ließ mich nicht los. Unverwandt starrte er mir in die Augen. »Du bist ihr so unheimlich ähnlich«, sagte er beinahe nachdenklich.

»Wem?«

»Einer Frau, die mich schwach werden läßt«, antwortete er lächelnd, »einer Frau, die mein Schicksal ist.«

»Wer ist sie?«

»Du kennst sie nicht.« Dann ließ mich Ligurious los. »Charakterlich unterscheidest du dich natürlich sehr von ihr. Sie ist überlegen, hochmütig, edel, vornehm. Mädchen wie du findet man dagegen auf jedem Markt. Wahrscheinlich ist sie auch schöner als du, selbst wenn die Ähnlichkeit verblüffend ist. Und natürlich kann man euch nach dem Intellekt absolut nicht vergleichen.«

»Vielleicht sollte sie Tatrix von Corcyrus sein und nicht ich«, sagte ich zornig.

»Vielleicht«, erwiderte er lächelnd.

»Du weißt, ich stamme von der Erde«, fuhr ich fort. »Warum wurde ich hierhergebracht, um Tatrix zu werden?«

»Wir wollten jemanden von außerhalb haben«, antwortete er. »Jemand, der nicht aus der Stadt stammt, der ohne Verbindungen und Verbündete ist, sollte uns weise und objektiv lenken.«

»Ich verstehe«, sagte ich. »Dann bin ich also wirklich Tatrix von Corcyrus?«

»Selbstverständlich.«

»Gibt es Spione in der Stadt?« fragte ich.

»Zweifellos hat Argentum Spione entsandt«, antwortete er.

»Ich meine eigene Spione«, sagte ich. »Leute, die unsere eigenen Leute bespitzeln.«

»Natürlich. Das ist in jeder Stadt eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme.«

»Und an wen richten diese Spione ihre Berichte?«

»An die entsprechenden Befehlsgeber«, antwortete er.

»Ich weiß nichts davon, solche Spionageberichte erhalten zu haben.«

»Du befindest dich ja auch noch in der Ausbildung, was das Regierungsamt angeht«, sagte er.

»Wie entwickelt sich der Krieg?«

»Gut, wie ich dir schon melden konnte.«

»Der Feind«, sagte ich stockend, »steht zwanzig Pasang vor Corcyrus.«

»Dies dürfte einigermaßen zutreffen.«

»Das ist zu nahe!« sagte ich erschaudernd.

»Mit solchen Fragen braucht sich die Tatrix nicht zu befassen«, sagte er. »Sie sind Sache unserer Generäle. Wir werden dem Gegner bald die Versorgung abschneiden. Sei unbesorgt, Lady Sheila, wir werden in Kürze siegen.«

»Ar ist in den Krieg eingetreten!«

»Das stimmt«, erwiderte er, »aber wir erwarten jeden Augenblick Verstärkung aus Cos.«

»Ich habe Angst, Ligurious«, sagte ich.

»Du hast nichts zu befürchten«, sagte er. »Die Stadt ist sicher. Der Palast ist uneinnehmbar.«

»Ich will diesen Krieg nicht«, sagte ich. »Das Kämpfen soll aufhören. Ich möchte einen Waffenstillstand verhandeln.«

Ligurious blickte mich an und begann zu lachen. Dieses Lachen bestürzte mich. Vielleicht hatte ich etwas unglaublich Naives oder Dummes gesagt

»Ich möchte, daß wir uns um den Frieden bemühen«, sagte ich.

»Diese Entscheidung liegt nicht bei dir.«

»Bin ich nicht die Tatrix von Corcyrus?«

»Selbstverständlich!«

»Herrsche ich nicht in dieser Stadt?«

»Aber ja«, sagte Ligurious.

»Ich herrschte in Corcyrus«, sagte ich.

»Ja.«

»Und wer herrscht über mich?«

»Ich«, sagte Ligurious.

Ich erschauderte.

»War das gewürzte Vulofleisch zum Abendessen schmackhaft?« fragte er.

»Ja«, flüsterte ich.

Dann ging er.

Ich begab mich an das Gitterfenster und schaute hinaus. Ich war in meinen Gemächern eingesperrt. Irgendwo dort draußen vor den Mauern, irgendwo in der Dunkelheit stand der Feind.

Anscheinend war ein Waffenstillstand nicht möglich.

Ich fragte mich, was dieser Feind in Corcyrus suchte.

Ich hatte Angst. Vielleicht würden uns die Truppen Cos’ retten. Es beruhigte mich, im Palast in Sicherheit zu sein.

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