Ich stand in einer langen Reihe von etwa zwanzig Mädchen. Wir waren alle unbekleidet und standen im Hof einer der Webereien Mintars aus Ar.
Das zweite der dicken Tore schloß sich hinter uns. Ich ließ meine Blicke durch den Hof wandern, der von hohen Mauern umschlossen und von Wachstationen gesichert war.
»Jeder Gedanke an Flucht wäre sinnlos, Tiffany«, sagte ein Mädchen hinter mir, das Emily hieß.
»Hier gibt es nur einen Ausweg«, sagte ein anderes Mädchen weiter hinten, »und zwar muß man nett sein zu den Männern.«
»Das ist aber auch gefährlich«, meinte ein drittes Mädchen, »denn wenn man den Peitschenmeistern zu sehr gefällt, verstecken sie einen irgendwo, um die Annehmlichkeit ganz für sich zu haben.«
»Ihr seid doch alles Dirnen!« sagte eine große häßliche Frau, Luta genannt, die ein Stück weiter hinten stand.
Eine Peitsche knallte, und wir zuckten zusammen. Ich hatte Angst vor Luta. Sie war groß und kräftig, und ich spürte, daß sie mich nicht mochte.
»Die nächste«, sagte ein Mann an einem Tisch, und wir rückten um eine Position vor.
In meiner Reihe stammten nur zwei Mädchen – Emily und Luta – aus dem Sklavenwagen, den ich auf der Argentum-Straße eingeholt hatte. Mein Vorhaben, Hilfe zu erbitten, war schiefgegangen, denn man hatte mich sofort gefangen und frohgemut in die Kette der Mädchen eingereiht.
»Die nächste«, sagte der Mann am Tisch, und wir rückten auf.
Im Augenblick trug ich keinen Kragen. Der Sklavenwagen, zu dessen Besitz ich geworden war, gehörte Mintar aus Ar, der ein weitverzweigtes Wirtschaftsreich unterhielt. Unsere Fahrt war in einem Gebäudekomplex außerhalb Ars zu Ende gewesen, wo die Mädchen aufgeteilt werden sollten. Ich erlebte dort eine ganz besondere Behandlung: Ich wurde ganz offiziell zur Sklavin gemacht.
»Die nächste«, sagte der Mann am Tisch.
Nun stand ich vor ihm.
»Schenkel«, sagte er.
Ich wandte mich zur Seite, damit er meinen linken Oberschenkel sehen konnte.
»Das einfache Kajirazeichen«, sagte er und nahm auf seinem Papier eine Eintragung vor. »Schau mich an, Mädchen.«
Ich gehorchte.
»Bei Einlieferung kurzgeschoren«, sagte er und notierte etwas. »Wie hat man dich zuletzt genannt?« fragte er.
»Tiffany«, antwortete ich.
»Dann heißt du jetzt auch ›Tiffany‹«, sagte er.
»Ja, Herr.« Er schrieb etwas auf, vermutlich den Namen, der jetzt mein Sklavenname war. Den Namen »Tiffany Collins« hatte ich vor wenigen Ahn verloren, als ich das Brandzeichen erhielt, als ich Sklavin wurde. Dieser Name war Vergangenheit, als sich das fauchende, qualmende Eisen von meinem Fleisch löste. Eine freie Person war im Brandgestell angeschnallt worden, eine Sklavin wurde daraus befreit.
»Hast du schon einmal in einer Weberei gearbeitet, Tiffany?« fragte er.
»Nein, Herr.«
»Komm hier zu mir herum an die Seite des Tisches und knie nieder«, sagte er. Ich gehorchte. Mit einem Fettstift brachte er vier Zeichen über meiner linken Brust an. »Das ist deine Weberei-Nummer, Tiffany«, sagte er. »Viertausendunddreiundsiebzig.«
»Ja, Herr.«
»Nun gehst du dort hinüber«, befahl er und deutete auf einen mehrere Meter entfernten Tisch an der Mauer.
»Jawohl, Herr«, sagte ich und ging in die angegebene Richtung. Kurze Zeit später stand ich vor dem angegebenen Mann, der auf einem Tisch hinter sich zahlreiche Sklavenkragen verwaltete. Neben ihm stand ein Helfer.
Der Mann las die Ziffern auf meiner linken Brust.
»Vier-null-sieben-drei«, sagte er und nahm aus der Hand seines Helfers einen Sklavenkragen entgegen.
»Name?« fragte er.
»Tiffany, wenn es dem Herrn recht ist.«
»Kannst du lesen?«
»Nein, Herr.«
Daraufhin zeigte er mir den Kragen und die Gravur, die darauf angebracht war. »Dies ist ein Firmenkragen«, erklärte er. »Darauf steht: ›Ich gehöre Mintar aus Ar. Ich arbeite in Weberei 7. Meine Nummer ist viertausendunddreiundsiebzig.«
»Ja, Herr.« Die Kragen unterschieden sich also nur in der Nummer.
»Heb das Kinn, Tiffany.«
Ich gehorchte, und der Kragen wurde mir um den Hals gelegt. Klickend rastete das Schloß ein.
»Willkommen in Weberei 7, Tiffany«, sagte der Mann.
»Danke, Herr.«
Der Mann reichte mir aus einem Korb zwei zusammengefaltete Tuniken, die ich an mich preßte. Später sollte ich erfahren, daß es sich um ziemlich gewöhnliche Sklavengewänder handelte mit dem eingestickten Zeichen »Mu« als erstem Buchstaben des Namens Mintar. »Geh dort hinüber«, sagte der Mann sodann. »Stell dich zu der Reihe an der gelben Flagge. Du wirst zur Kette Borkons gehören. Er wird dein Peitschenmeister sein.«
»Ja, Herr«, sagte ich. Wer immer Borkon auch war – er war der Mann, mit dem ich mich künftig gut stellen mußte.
Hastig wandte ich mich ab und eilte zu der Mädchenreihe an der gelben Flagge. Kurze Zeit später kamen Emily und Luta nach. Die anderen Mädchen wurden zu anderen Gruppen geschickt.
Einige Ehn später näherte sich ein kleiner, muskulöser Mann in einer Halbtunika. Er hatte eines der Webereigebäude verlassen und kam über den Hof auf uns zu. Er besaß ungewöhnlich dicke Arme. An seinem Gürtel hing eine Peitsche.
Als er bei uns stehenblieb, knieten wir nieder, wie es sich für Sklavinnen in der Gegenwart eines freien Mannes gehörte.
»Steht auf«, sagte er und ging langsam um uns herum.
»Da hätten wir ja den üblichen Haufen Urts und Tarsks. Na, immerhin sind zwei interessante Mädchen dabei. Wie heißt du?«
»Tiffany, Herr«, sagte ich angstvoll.
»Wir werden gut miteinander auskommen, nicht wahr, Tiffany?«
»Ja, Herr«, sagte ich erschaudernd.
»Und wie heißt du?«
»Emily«, sagte das Mädchen hinter mir.
»Auch wir werden uns gut verstehen, nicht wahr, Emily?« fragte er.
»Ja, Herr.«
Dann trat er einen Schritt zurück. »Ihr seid Sklavinnen!« rief er. »Ich bin Borkon, euer Peitschenmeister. Innerhalb dieser Mauern seid ihr praktisch meine persönlichen Sklavinnen, in jeder Beziehung. Verstanden? Ich dulde keinen Widerstand, keine Störrigkeit. Dafür wird auch meine Peitsche sorgen. Nun sagt: Wen liebt ihr?«
»Borkon!« sagten wir.
»Lauter!«
»Borkon!« brüllten wir.
Gleich darauf folgten wir Borkon über den Hof auf eines der Gebäude zu. Ich wußte, ich würde mir bei ihm Mühe geben müssen. Er war mein Peitschenmeister.