22

»O nein!« flehte ich. »Bitte nicht zu ihm, Herr!«

»Dies sieht dir gar nicht ähnlich«, sagte der Bankettleiter. »Du gehörst zu unseren besten Mädchen. Was ist los mit dir?«

»Er macht mir Angst, Herr!« schluchzte ich und kniete abrupt vor dem Bankettmeister nieder. Meine Sklavenglocken klirrten. Beschwörend blickte ich zu ihm auf. »Bitte nicht, Herr!« flehte ich.

»Er hat Interesse an dir bekundet«, sagte der Bankettmeister.

»Bitte nicht, Herr!«

»Geh zu ihm, Sklavin!«

»Ja, Herr.« Ich erhob mich und versuchte mich zusammenzunehmen. Der Bankettmeister hatte sich bereits abgewandt.

Seit dem erfolgreichen Abschluß unserer Ausbildung waren zwei Monate vergangen. Alles in allem waren es schöne Monate gewesen. Zu Anfang hatten wir nur alle drei oder vier Tage bei Banketten oder sonstigen Festen dienen müssen, doch in dem Maße, wie sich unser Ruf herumsprach, steigerte sich die Zahl unserer Einsätze. Die Sklavenaufseher des Aemilianus mußten nun schon freie Tage in unserem Kalender vormerken, damit wir uns ausruhen konnten. Im Augenblick mußte man sich schon einige Tage im voraus um unsere Dienste bemühen. Anscheinend hatte ein Bedarf an Bankettsklaven bestanden, die zu guten Preisen angeboten wurden. Mit dem Geschäftssinn, der in seiner Familie verbreitet zu sein schien, hatte Aemilianus diese Marktlücke erspürt. Dank Aemilianus fand die Angewohnheit, vornehme Feste zu feiern, weitere Verbreitung als zuvor. Kein Gastgeber brauchte mehr einen ganzen Haushalt voller Sklaven oder den Reichtum eines Mintar zu besitzen, um Musiker, Dienstsklavinnen und Unterhalter bieten zu können, ganz zu schweigen von den Speisen und Getränken. Gewiß, billig waren wir nicht. Wie die meisten anderen Mädchen freute es mich alles in allem sehr, Aemilianus zu gehören und diese Form der Sklaverei erleben zu können. Die Arbeit fiel uns leicht, und der Zuspruch der Männer machte uns ausgeglichen. Nach der ersten Woche in der Agentur, in der wir untergebracht waren, wenn wir nicht dienten, hatten wir sogar gewisse Freiheiten zugeteilt bekommen. Unter Tage durften wir oft frei in der Stadt herumwandern. Wir brauchten uns nur die Erlaubnis des Türwächters der Agentur zu besorgen und am frühen Abend zurück zu sein, um uns beim Bankettmeister melden zu können. Ansonsten konnten wir uns frei in der Stadt bewegen. Natürlich durften wir die Stadttore nur in Begleitung einer freien Person durchschreiten. Bei diesen Ausflügen trugen wir im allgemeinen weitgeschnittene weiße Tuniken.

Ich schaute auf den Mann am Tisch, der angeblich Interesse an mir bekundet hatte.

Er war der Ehrengast dieser Veranstaltung, ein Essen, das von Eito gegeben wurde, einem Orientalen, Mitglied der Kaufmannskaste, Bürger von Ar, Salzhändler, der Verbindungen zu Städten in der Nähe der Tahari hatte. Einige seiner Salzlieferungen kamen angeblich aus Klima, das irgendwo tief in der Tahari lag. Der Ehrengast kam aus der Flußhafenstadt Kasra, das am Unteren Fayeen liegt: westlich von Tor am Nordwestrand der Tahari, der großen Wüste, dem Ödland. Welcher Rasse der Gast angehörte, vermochte ich nicht genau zu bestimmen. Vielleicht war er Orientale, wie Eito, vielleicht mischte sich in ihm aber auch orientalisches und Tahari-Blut. Jedenfalls unterschied er sich äußerlich und in seinem Auftreten sehr von Eito. Eito war zuvorkommend, zivilisiert, großzügig, liebenswürdig. Der Gast zeigte sich häßlich, riesig und skrupellos. Die mächtige Brust war entblößt. Er trug dicke, mit Eisenknöpfen besetzte Lederarmbänder. Den Kopf hatte er sich bis auf einen Nackenwirbel zusammengebundenen schwarzen Haars kahlrasieren lassen. Er gehörte nicht der Kaufmannskaste an, sondern verdiente sich seinen Unterhalt mit anderen Dingen. Er war angeblich eine Art Berühmtheit, was sein Hiersein erklärte. Außerdem kam er aus Kasra. Ein Großteil des Salzhandels wird durch Kasra abgewickelt. Er mochte zwar orientalischer Herkunft sein, sein Name klang aber nicht danach. Er war in ganz Gor bekannt. Ich hatte von ihm gehört, und Sklaven sprachen voller Angst von ihm. Er hieß Hassan, Hassan der Sklavenjäger.

Mit einem Zipfel meiner Sklavenseide wischte ich mir die Tränen aus den Augen. Dann richtete ich mich auf und eilte zu dem Gast, der rechts vom Gastgeber Eito saß. Ich kniete vor dem Gast nieder und verneigte mich.

»Zieh dich aus«, sagte er, »und komm zu mir um den Tisch. Erfreue mich.«

»Ja, Herr«, sagte ich.

Gleich darauf kniete ich neben ihm, der im Schneidersitz hinter dem Tisch saß, und begann ihn zu küssen und zu liebkosen. Er beachtete mich kaum. Vielmehr trank er weiter aus seinem Kelch, der von Zeit zu Zeit von Crystal, einer anderen Bankettsklavin nachgefüllt wurde, und aß und unterhielt sich angeregt mit Eito. Für ihn war ich nichts anderes als eine Sklavin, die sich an ihn schmiegte. Er hatte einen breiten Rücken und kräftige Muskeln an Schultern und Armen. Sein Körper war praktisch unbehaart.

»Es heißt, du hast die besten Jagd-Sleen auf Gor«, sagte Eito.

»Sie verstehen sich auf die Jagd«, erwiderte Hassan. »Sie sind entsprechend gezüchtet worden.«

»Die Fährte des Sklaven Asdan war angeblich zwei Monate alt«, sagte Eito.

»Und die des Sklaven Hippias sogar drei Monate«, erwiderte Hassan.

»Erstaunlich!«

Ich drückte mich an Hassans Schulter und küßte ihm liebevoll den Nacken.

»Darf ich fragen, was dich nach Ar führt?« fragte Eito.

»Ich jage«, sagte Hassan. »Ich, meine Männer und die Tiere.«

»Und welcher unglückselige Sklave ist diesmal dein Opfer?«

»Kein Sklave«, antwortete Hassan und biß in einen gerösteten Vulo-Schenkel.

»Ich dachte, du jagst nur Sklaven«, wandte Eito ein.

»Kassim, der rebellische Thronräuber in Tor, den meine Tiere in Stücke rissen, war kein Sklave«, gab Hassan zu bedenken.

Ich erschauderte und setzte behutsam meine Tätigkeit fort. Ich wollte mich ihm nicht zu sehr aufdrängen. Ich mußte zwar seine Anordnung erfüllen, doch durfte ich mich nicht zu sehr in das Gespräch einmischen. Ich mußte im Hintergrund bleiben, bis ich gerufen wurde. Meine Liebkosungen blieben auf mich selbst nicht ohne Wirkung. Wie stark er doch war!

»Wer ist denn dein Opfer?« fragte Eito. »Wer ist er?«

»Er ist kein Mann«, antwortete Hassan und warf den Vuloknochen auf seinen Tisch, »sondern eine Frau.«

Erschrocken lehnte ich mich zurück.

»Eine, die man gut kennt?« fragte Eito.

»Ja.«

»Dürfte ich mich nach dem Namen erkundigen?«

»Es ist kein Geheimnis«, sagte Hassan. »Ich jage Sheila, die ehemalige Tatrix von Corcyrus.«

Ich wich noch mehr zurück. Unwillkürlich begann ich zu zittern.

»Aber warum bist du in Ar?« fragte Eito. »Gewiß findest du sie nicht in Ar. Ar wäre sicher einer der letzten Orte auf dieser Welt, an dem man sie suchen sollte.«

»Das meint sie gewiß auch«, sagte Hassan. »Deshalb bin ich sicher, daß sie sich hier befindet.«

»Soweit ich weiß, ist auf ihre Ergreifung eine hohe Belohnung ausgesetzt«, sagte Eito.

»Ja«, sagte Hassan. »Sie beläuft sich inzwischen auf fünfzehnhundert Goldstücke. Mehr noch interessiert mich allerdings diese stolze, hochmütige Frau. Ich gedenke sie meinem Willen zu unterwerfen.«

»Ich verstehe«, sagte Eito.

Nun wandte sich Hassan mir zu und sah mich an. »Entschuldige mich«, sagte er zu Eito.

»Natürlich«, sagte Eito und begann ein Gespräch mit dem Mann zu seiner Linken.

»Was ist denn?« fragte Hassan und beugte sich dabei über mich.

»Verzeih mir, Herr«, sagte ich. »Ich habe Angst vor dir. Außerdem tut es mir leid um die arme Sheila, Tatrix von Corcyrus.«

»Deine Erregung ist mir nicht unbemerkt geblieben«, sagte Hassan.

»Ich kenne deinen Ruf als Jäger«, flüsterte ich. »Ich fürchte, sie hat kaum mehr Chancen als eine Sklavin.«

»Sie ist eine stolze freie Frau«, sagte Hassan, »aber ich werde sie jagen wie eine Sklavin.«

Ich stöhnte.

»Wieso kümmert sie dich?« fragte er.

»In letzter Konsequenz sind wir beides Frauen, die dem Manne dienen müssen.«

»Du bist eine hübsche Sklavin«, sagte er.

»Danke, Herr.«

»Wirklich interessant. Vorhin schienst du ein heißes kleines Luder zu sein. Jetzt aber kommst du mir zurückweisend und verkrampft vor.«

»Verzeih mir, Herr«, sagte ich leise. »Herr, hast du die Tatrix von Corcyrus jemals gesehen?« fragte ich.

»Nein«, sagte er.

»Ooohh!« sagte ich.

»Natürlich habe ich genaue Beschreibungen. Zum Beispiel dürfte es dich interessieren, daß du ihr ganz allgemein zu ähneln scheinst.« Er beugte sich zurück. »Genau genommen dürftest du ihr sehr ähnlich sehen.«

»Herr?«

»Die gleiche Augen- und Haarfarbe und der gleiche Teint. Außerdem scheinst du ihr auch figürlich zu entsprechen, in Größe und Gewicht.«

»Offenbar besitzt du eine ziemlich genaue Beschreibung von ihr.«

»Ja, und du scheinst dieser Beschreibung gut zu entsprechen.«

»Vielleicht bin ich Sheila«, sagte ich.

»Vielleicht.« Wieder beugte er sich über mich. Ich drehte meinen Kopf zur Seite. Ich spürte seine Hände an meinem Körper.

»Woher willst du wissen, daß ich es nicht bin?« fragte ich. »Oh, oh!«

»Es erscheint mir kaum wahrscheinlich, daß sie eine ergebene Sklavin ist«, sagte er.

»Oh!« rief ich. »Aber du hast sie ja nie gesehen!«

»Nein.«

»Wie willst du sie dann erkennen?« fragte ich.

»Ich werde sie nicht erkennen«, sagte er. »Vielmehr werden das die Sleen für mich erledigen.«

»Herr?« fragte ich.

»In Corcyrus«, fuhr er fort, »wurde mir Kleidung überlassen, die sie getragen hat. Ich habe sie bei mir, hier in Ar, wie auch meine Männer und die Sleen. Die Jagd beginnt morgen.«

»Aber Ar ist eine große Stadt«, sagte ich. »Gewiß lebt hier mehr als eine Million Menschen.« Und Millionen von Fährten, neue und alte, die durch- und übereinander verliefen. In einem solchen Universum von Düften war es sicher unmöglich, eine bestimmte Spur zu verfolgen.

»Leicht wird es nicht, soviel steht fest«, sagte Hassan.

»Vielleicht ist sie gar nicht in Ar«, sagte ich.

»Sie ist hier. Aber es ist schon unheimlich«, sagte er. »Die gleiche Augenfarbe, die gleiche Haarfarbe, der Teint, und alles andere.«

»Du wirst sie nie finden!« schluchzte ich im Banne meiner Gefühle.

Im nächsten Moment klammerte ich mich verzweifelt an ihm fest. Die Tiefe meiner Empfindungen war überwältigend. Nie zuvor war ich mir meiner Weiblichkeit so sehr bewußt worden. Hassan setzte Dinge in mir frei, die ich bisher nur andeutungsweise geahnt hatte.


Als ich wieder zu mir kam, ging das Fest bereits zu Ende, und die meisten Gäste, so auch Hassan, brachen auf.

»Alles in Ordnung, Tiffany?« fragte der Bankettmeister.

»Ja, Herr«, sagte ich.

Er war ein freundlicher Mann. Er ließ mich ruhen.

So lag ich denn in der Küche und versuchte das Erlebte psychologisch zu bewältigen. Allmählich ergriff ein überraschendes Hochgefühl von mir Besitz. Ich hatte in den Armen des Mannes gelegen, der Sheila, Tatrix von Corcyrus, suchte, und er hatte mich nicht erkannt. Selbst Drusus Rencius oder auch Miles aus Argentum, die mich tatsächlich gesehen hatten, mochten mich nicht mehr erkennen. Vielleicht würde sogar die kleine Susan keinen Vergleich ziehen können zwischen der hochmütigen Sheila, Tatrix von Corcyrus, und der gebrandmarkten, ausgebildeten, freudig arbeitenden Vergnügungssklavin Tiffany, Bankettsklavin aus der Firma des Aemilianus am Platz der Tarns.

Ich war in Sicherheit.

Ich brauchte vor Hassans Sleen keine Angst zu haben. Sie würden mich in Ar niemals finden.

Ich war in Sicherheit.

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