25

Der Thronsaal des Palasts von Argentum war kühl und unbeleuchtet. Angstvoll trat ich ein, eine Sklavin, die an einem solchen Ort eigentlich nichts zu suchen hatte. Hoch über mir spannte sich die Decke. Barfuß schritt ich über die Fliesen und näherte mich der Plattform mit dem Thronsessel.

Erschrocken fuhr ich plötzlich herum, denn die Tür fiel hinter mir zu. In dem Schatten konnte ich nicht ausmachen, wer sie geschlossen hatte.

»Herr?« fragte ich und kniete nieder, denn mir fiel nichts anderes ein. Es war der Nachmittag des großen Festtages, für den die Bankettsklavinnen angeblich von Ar geholt worden waren. Allerdings gehörte ich nicht mehr zu der Truppe. Ich war Arbeits- und Vergnügungssklavin im Eigentum von Miles aus Argentum. Heute abend sollte ich Claudius, dem Ubar von Argentum und dem Hohen Rat vorgestellt werden. Ich schaute zur Decke auf. Etwa vierzig Fuß über dem Boden hing an einem langen Seil ein goldener Sack. Das Gewicht des Sacks spannte das Seil. Zuweilen bewegte sich der Sack leicht hin und her, und man hörte das Seil quietschen.

Aus der Richtung der Tür vernahm ich ein Geräusch. Hastig schaute ich in diese Richtung.

Ich vermochte in der Dunkelheit nichts zu erkennen.

»Herr?« rief ich.

Ein Mädchen hatte mir ausgerichtet, ich solle mich im Thronsaal einfinden. Sie übermittle mir den Befehl eines freien Mannes, den sie nicht kannte. Er habe sehr bedeutsam und mächtig ausgesehen. Als Sklavin hatte ich gehorchen müssen.

Als sich meine Augen allmählich an das schwache Licht gewöhnten, konnte ich ihn in den Schatten erkennen. Er stand neben der Tür – ein großer Mann. »Senk den Blick«, sagte er.

Ich gehorchte sofort. Die Stimme kam mir bekannt vor, doch erriet ich nicht, wem sie gehörte. Sie klang seltsam angespannt. Vielleicht sprach der Mann mit verstellter Stimme.

Ich hörte Schritte hinter mir näherkommen. Plötzlich wurde ich gepackt, die Hände wurden mir auf dem Rücken gefesselt. Der Mann steckte mir sodann einen zusammengeknüllten Stoffetzen als Knebel in den Mund.

Dann erst wurde ich herumgedreht. Entsetzt starrte ich zu dem Mann auf.

»Ja«, sagte er, »ich bin es, ich, Ligurious, ehemals erster Minister von Corcyrus!«

Entsetzen durchflutete mich.

»Ich und zwei andere«, fuhr er fort, »konnten dem Angriff in Ar entkommen.« Ich erinnerte mich, daß ich in dem Haus Schwerterklirren gehört hatte. »Wie man sieht, bist du jetzt eine gebrandmarkte, kragentragende Sklavin«, sagte er. »Das ist angemessen. Es war nicht der Hauptgrund, weshalb du nach Gor gebracht wurdest, doch wäre es früher oder später ohnehin dein Schicksal gewesen, in einem Sklavenkragen zu dienen.« Hilflos starrte ich ihn an.

»Du bist die geborene Sklavin«, fuhr er fort. »Vielleicht weißt du das inzwischen. Als Sklavin bist du tausendmal schöner, als du es als freie Frau jemals warst.« Ich wand mich in seiner Fessel.

»Zu gern wüßte ich, wie du aus dem Lager Miles’ aus Argentum entkommen konntest«, sagte er. »In dieser Beziehung hast du unsere Pläne gründlich gestört. Diese Möglichkeit hatten wir überhaupt nicht in Betracht gezogen. Aber wie es aussieht, könnte sich die ehemalige Miß Collins von der Erde noch immer als sehr nützlich erweisen.«

Ich wimmerte unartikuliert.

»Ich bin nicht als Gefangener hier«, berichtete Ligurious, »ebensowenig bin ich heimlich in den Palast eingedrungen. Ich bin freiwillig gekommen. Man hat mir Immunität zugesichert, dafür werde ich bei der Identifizierung der Tatrix von Corcyrus für den Staat von Argentum aussagen. Wer kennt sie wohl besser als ich? Meine beiden Gefolgsleute, die mir treu ergeben waren und mit mir aus dem Haus in Ar fliehen konnten, befinden sich derzeit ebenfalls im Palast – verkleidet als Gesandte aus dem fernen Turia. So wie ich hier meine Aufgabe zu erfüllen habe, müssen auch sie etwas erledigen. Es gibt da nämlich eine gewisse Unsicherheit, wer die echte Tatrix von Corcyrus ist – die Frau, die im goldenen Sack unter der Decke dieses Saales hängt – oder du, die du hier hilflos vor mir liegst. Zeugen werden aussagen. Zum Beispiel ist Drusus Rencius aus Ar angereist. Zweifellos wird er dich – wie schon einmal – als die echte Tatrix identifizieren. Wir sorgten dafür, daß er wie auch etliche andere nur dich als Tatrix kennenlernte. Dementsprechend habe ich auch Kleidung aus Corcyrus herüberschmuggeln lassen, die du damals am Leibe trugst. Sleen werden dich als die Frau erkennen, die diese Kleidung trug. Claudius und sein Hoher Rat werden es bei ihrer Entscheidung natürlich noch etwas leichter haben, denn wenn der goldene Sack herabgelassen und geöffnet ist, wird nicht die echte Sheila darin stecken, sondern du, ihr Doppel. Daran wird uns der Sklavenjäger Hassan nicht hindern, da er das Bankett versäumen wird. Meine beiden Männer werden dafür sorgen. Ebensowenig rechnen wir mit Einwänden von Miles aus Argentum. Er wird Informationen erhalten, angeblich von Hassan, daß er das falsche Mädchen hatte und daß du die echte Tatrix bist. So hat dich Hassan in den Sack gesteckt und in seiner Verlegenheit und Sorge um seine Ehre den Palast verlassen, das andere Mädchen mitnehmend, das eine geeignete Verwendung als Sklavin finden soll. Auf diese Weise gedenken wir Miles aus Argentum zufriedenzustellen. Wie du wohl weißt, ist er ohnehin überzeugt, daß du die echte Tatrix warst, und nicht die andere Frau – eben weil wir dafür sorgten, daß er als Tatrix immer nur dich zu Gesicht bekam. Er wird dich als echte Tatrix identifizieren, denn er weiß es nicht besser, mit derselben Überzeugungskraft wie Drusus Rencius und andere. All dies entspricht unseren Planungen. Und natürlich werde auch ich dich als echte Tatrix wiedererkennen, darauf kannst du dich verlassen. Unterdessen wird die echte Sheila in meinem Quartier versteckt sein, um später als freie Frau verkleidet aus dem Palast geschmuggelt zu werden, als Gefährtin eines meiner Gefolgsleute, angeblich Gesandter aus Turia. Die Sklavin, die in dieser Rolle in den Palast geholt wurde, ist bereits an einen Offizier der Palastgarde verkauft. Er konnte dem günstigen Preis nicht widerstehen.«

Tränen ließen meine Umgebung verschwommen erscheinen. Vergeblich zerrte ich an meinen Handfesseln.

»Als Sklavin bist du sehr hübsch«, sagte er nachdenklich. »Man könnte in Versuchung kommen. Aber nein – das wäre zu sehr, als besäße ich sie. Bestimmt ist sie in dem Sack unbekleidet«, fuhr er fort. »Nackt wie eine Sklavin! Bestimmt haben ihr die Ungeheuer so etwas angetan! Ich darf sie nicht länger anschauen, als unbedingt nötig.«

Er richtete sich auf und ging zu einer Seitenwand des Saals. Dort löste er das Seil, das zu einem Ring in der Decke führte, und von dort zu dem Sack.

Verzweifelt versuchte ich mich zu befreien, doch es gelang mir nicht.

Hand über Hand ließ er den goldenen Sack herab, bis das Gebilde auf den Bodenfliesen stand. Dann öffnete er den Stoff und zog den verwundbaren, zitternden Körper einer nackten Frau heraus. Sie starrte ihn hilflos an. Sie war an Händen und Füßen gefesselt und trug einen Knebel.

»Sie haben dich in einen Sklavenkragen gesteckt!« rief er. »Wie konnten sie es wagen!«

Sie bemühte sich, vor ihm zu knien. In seiner Erregung schien ihm das gar nicht aufzufallen.

Der Eisenkragen gehörte natürlich Hassan. Er hatte ihr das Metall in Ar angelegt und es ihr seither offenbar nicht wieder abgenommen.

»Nein!« rief Ligurious. »Diese Ungeheuer! Sie haben deinen schönen Schenkel unter das Brandeisen gezwungen!«

Ich mußte daran denken, daß Hassan ihr in Ar gesagt hatte, sie würden noch einen kurzen Besuch machen, ehe sie seine Unterkunft aufsuchten. Dieser Besuch mußte einer Werkstatt der Metallarbeiter gegolten haben, wo man das Brandzeichen angebracht hatte.

Ligurious hantierte fahrig an ihren Fesseln herum. Er hatte zu schwitzen begonnen. Angstvoll kniete sie am Boden und hatte ihm den Rücken zugewendet.

»Was hat man mit dir gemacht!« rief er. »Was hat man mit dir gemacht!«

Sah er denn nicht, was aus ihr geworden war?

Sie war nicht mehr die Frau, die er zuletzt gesehen hatte. Er hatte sie als kalte, hochmütige, arrogante Frau gekannt, mürrisch und barsch, grausam, streng und fordernd. Mit jener Frau hatte das Mädchen, das da vor ihm kniete, nicht mehr viel gemein.

Es gab viele Unterschiede. Sie kniete, sie war nackt, sie trug einen engen Sklavenkragen und ein Brandzeichen. Ihr Herr Hassan hatte sie außerdem offenbar einem sorgfältig überlegten Diät- und Trainingsprogramm unterzogen, und ihr Körper strömte Lebenskraft und Gesundheit aus. All diese Dinge aber waren eher nebensächlich und äußerlich. Die wichtigsten Unterschiede betrafen innere Dinge, die Grundeinstellung, das Auftreten dieser Frau. Sie war nachgiebig und verwundbar, sie war äußerst weiblich geworden, sie war, wie es sich für eine Frau am besten auswirkte, eine Sklavin im ureigensten Sinne des Wortes.

Ligurious zerrte ihr den Knebel aus dem Mund.

»Herr!« schluchzte sie.

»Du kennst mich«, sagte er. »Ich bin Ligurious!«

»Ja, Herr«, sagte sie.

»Nenn mich nicht ›Herr‹!« rief er heiser vor Rührung. Dabei war er in Wirklichkeit begierig, dieses Wort aus ihrem Munde zu hören. Er stand im Widerstreit mit sich selbst. Zu lange hatte er diese Frau angebetet. Noch wollte er die Augen vor dem verschließen, was sie geworden war, vor der Tatsache, daß sie sich verwirklicht hatte; anscheinend wollte er nichts daran ändern, daß sie sich über ihm unerreichbar isolierte. Sein Hin- und Hergerissensein war früher von ihr offenbar rücksichtslos ausgenutzt worden. Er begehrte sie einerseits, wollte sie beherrschen, sah sie andererseits aber als ein eiskaltes Ideal, als etwas, das besser und anders war als alle anderen Frauen, als etwas, dessen es kaum würdig war, als etwas, das er womöglich gar nicht erstreben durfte, als etwas beinahe Unberührbares und Abstraktes. In seinem Verstand zwang er sie in die Vollkommenheit und übersah dabei ihre Rolle als Frau. Hassan dagegen sah sie nicht so. In seinen Armen würde sie sich nicht um sich selbst betrogen finden. Eine solche Situation ist übrigens gar nicht so selten. Eine Frau, die von einem Mann als Göttin verehrt wird, ist oft die unterwürfige, flehende Sklavin eines anderen.

»Aber du bist ein freier Mann«, flüsterte sie. »Was machst du hier? Was machst du? Wo ist Hassan, mein Herr?«

»Möchtest du aufgespießt werden?« fragte er.

»Nein!«

»Dein Körper!« rief er plötzlich los. »Es ist der Körper einer Sklavin!«

»Ja, Herr!« schluchzte sie und versuchte sich niederzuducken und ihre Brüste zu bedecken.

»Und der Kragen um deinen Hals, und das Brandzeichen, großartig!«

»Danke, Herr«, sagte sie schluchzend.

»Nein!« sagte er plötzlich zu sich selbst. »Das darf nicht sein!« Dann schaute er sie an, deutete zornig auf meine Tunika, die neben mir auf dem Boden lag. »Zieh das an!« befahl er. »Schnell! In den Sälen wird man dich für sie halten.«

»Ja, Herr«, sagte sie.

Im nächsten Moment zerrte mich Ligurious zu dem goldenen Sack. Dort drehte er mich auf den Bauch und ersetzte meine Fesseln durch jene, die Sheila getragen hatte. Auch der Knebel wurde ausgetauscht. Mit den Füßen voran wurde ich schließlich in den goldenen Sklavensack geschoben. Der Stoff wurde hochgezogen und über meinem Kopf zugebunden. Gleich darauf wurde ich hilflos in dem Sack in die Luft gezogen. Schließlich wurde das Seil festgebunden. In der Dunkelheit des Beutels pendelte ich hin und her, bis ich schließlich zur Ruhe kam und nur mein gelegentliches Zucken für neue Schwingungen sorgte.


Ich spürte, wie der Sack herabgelassen wurde. Ich hatte nicht das Gefühl, länger als eine Ahn darin gesteckt zu haben. Auf keinen Fall konnte das große Fest schon begonnen haben.

Wieder lag das Behältnis auf dem Boden und wurde geöffnet.

Ich riß die Augen auf.

Wegen des Knebels konnte ich nicht aufschreien. Drusus Rencius zerrte mich aus der Stoffhülle. Hinter ihm kniete nackt und gefesselt Sheila, die ehemalige Tatrix von Corcyrus.

Drusus Rencius nahm mir die Fesseln und schließlich auch den Knebel ab. »Still«, sagte er.

Ich nickte und kniete vor ihm nieder.

Dann sah ich, wie er Sheila unsanft die Fesseln und den Knebel anlegte, die er mir abgenommen hatte. Anschließend stieß er sie in den Sack, schloß ihn und hatte sie wenige Ihn später als hilflose Gefangene wieder unter das Dach des Saals gehievt.

Schüchtern streckte ich eine Hand aus und berührte Drusus Rencius. »Darf ich etwas sagen?« flüsterte ich.

»Ja.«

»Ich bin nicht die Tatrix von Corcyrus«, sagte ich.

»Davon bin ich überzeugt«, sagte er. »Ich war ein Dummkopf und ein Narr – aber das gilt für viele andere ebenso!«

»Wo ist Ligurious?« wollte ich wissen.

»Bei seinen Genossen aus Corcyrus, die sich als Turia-Gesandte ausgeben«, antwortete er. »Zum Glück haben sie mich nicht gesehen. Ich erkannte sie natürlich sofort. Überhaupt habe ich Ligurious im Auge behalten, seit ich merkte, daß er im Palast ist. So bekam ich mit, daß er den Thronsaal betrat, und sah dich, wie du ihm folgtest. Später kam er mit der anderen Frau heraus, der Frau, die ich mir später aus seinem Quartier holte, nachdem er gegangen war. Ich mußte sie wieder in den Sack stecken, wohin sie gehört! Als er seine Unterkunft verließ, trug er bereits seine Festkleidung. Ich nehme also an, daß er ihren Verbleib erst herausfinden wird, wenn der Sack geöffnet wird.«

»Ligurious’ Genossen haben die Absicht«, sagte ich, »Hassan daran zu hindern, an dem Bankett teilzunehmen.«

»Hassan kann auf sich selbst aufpassen«, sagte Drusus Rencius.

Ich blickte ihn verzweifelt an.

»Steh auf«, befahl er. »Ich glaube, dies gehört dir. Zieh es an.« Und er warf mir meine Tunika hin.

»Du bist sehr hübsch«, sagte er.

»Danke, Herr.«

»Die andere Sheila ist auch sehr hübsch«, sagte er. »Es wird interessant sein, euch heute abend zu vergleichen, wenn ihr Claudius und dem Hohen Rat präsentiert werdet.«

»Gewiß, Herr.«

Er hielt mich an den Oberarmen und schaute mir tief in die Augen. »Corcyrus ist lange her«, sagte er nachdenklich.

»Ja, Herr«, sagte ich.

»Vielleicht bist du ja doch die Tatrix von Corcyrus«, sagte er. »Wäre das möglich?«

»Nein, Herr!« rief ich. »Nein!«

»Es ist lange her, seit du mich als freier Mann gequält hast«, sagte er.

»Verzeih mir, Herr.«

»Zweifellos hast du damit weniger Glück gehabt, seit du den Kragen trägst.«

»Ja, Herr.« Ich war Sklavin.

Er drehte mich grob herum und stieß mich zur Tür. »Was wirst du mit mir tun?«

»Dafür sorgen, daß du das Sklavenquartier deines Herrn Miles aus Argentum erreichst«, antwortete er.

»Ich war nicht Tatrix von Corcyrus!« rief ich.

»Das wird man heute abend feststellen!« sagte er grimmig.

Загрузка...