»Ich bin immer noch der Meinung, dass diese Fahnen kein guter Einfall sind«, sagte Pat, als der Staubkreuzer Port Roris verließ. »Sie sehen so unecht aus, wenn man weiß, dass sie sich im Vakuum befinden.«
Aber er musste zugeben, dass die Illusion perfekt war, denn die über dem Hafengebäude aufgezogenen Wimpel flatterten, obwohl es hier keinen Wind gab. Der Effekt wurde durch Federn und Elektromotoren hervorgerufen. Die Zuschauer auf der Erde würden sich wundern.
Es war ein großer Tag für Port Roris, ja, für den ganzen Mond. Er wünschte, dass Sue hier sein könnte, aber ihr Zustand erlaubte es nicht. Als sie ihn heute morgen zum Abschied küsste, hatte sie gesagt: »Ich versteh gar nicht, wie die Frauen auf der Erde ihre Babies kriegen konnten. Stell dir das vor, bei dieser Schwerkraft.«
Pat schob die Gedanken an seine bevorstehende Familie beiseite und ließ die Selene II mit Vollgas dahinrasen. Aus der Kabine hinter ihm hörte man das »Oh« und »Ah« der zweiunddreißig Passagiere, als die grauen Staubwirbel wie einfarbige Regenbögen hinter dem Staubkreuzer hochstiegen. Diese Jungfernfahrt wurde bei Tageslicht durchgeführt. Den Reisenden würde das magische Leuchten des Meeres entgehen, die Nachtfahrt durch die Schlucht zum Kratersee, das grünliche Schimmern der reglosen Erde. Aber das Erstmalige, die Neuigkeit, galt als Hauptattraktion. Dank ihrer unglücklichen Vorgängerin war die Selene II das bekannteste Fahrzeug im Sonnensystem.
»Halten Sie sie auf diesem Kurs«, sagte Pat zu seinem Kopiloten. »Ich gehe nach hinten und unterhalte mich mit den Passagieren.«
Er war noch jung und eitel genug, die bewundernden Blicke der Reisenden zu genießen. Pat wusste genau, dass andere das Verdienst mit ihm teilten, aber er verkleinerte die Rolle, die er während der letzten Stunden der Selene I gespielt hatte, nicht durch falsche Bescheidenheit. Als seinen wertvollsten Besitz betrachtete er das kleine goldene Modell des Staubkreuzers, ein Hochzeitsgeschenk für Mr. und Mrs. Harris, mit der Widmung: »In aufrichtiger Dankbarkeit von allen Passagieren der Selene.« Das war das einzige Zeugnis, das für ihn zählte. Ein anderes brauchte er nicht.
Auf halbem Weg durch die Kabine blieb er plötzlich stehen.
»Guten Tag, Captain«, sagte eine unvergessene Stimme. »Es überrascht Sie wohl, mich hier zu sehen?«
Pat erholte sich schnell und lächelte liebenswürdig.
»Das ist wirklich ein unerwartetes Vergnügen, Miss Morley. Ich wusste gar nicht, dass Sie auf dem Mond sind.«
»Es ist sogar für mich eine Überraschung — aber eine Zeitung hat mich gebeten, für sie einen Artikel über diese Fahrt zu schreiben.«
»Ich kann nur hoffen«, sagte Pat, »dass es diesmal nicht ganz so aufregend wird. Stehen Sie übrigens mit den anderen noch in Verbindung? Dr. McKenzie und die Schusters haben vor ein paar Wochen geschrieben, aber ich frage mich oft, was mit dem armen kleinen Radley geschah, nachdem ihn Harding verhaftet hatte.«
»Nichts — er hat nur seine Stellung verloren. Seine Firma überlegte sich, dass viele Leute mit Radley sympathisieren würden. Sie hielt es daher für klüger, ihn nicht vor Gericht zu stellen. Er verdient sich jetzt sein Brot, indem er vor seinen Glaubensbrüdern Ansprachen hält. Und ich möchte eine Voraussage riskieren, Captain Harris.« — »So?«
»Eines Tages wird er wieder auf den Mond kommen.«
»Ich hätte nichts dagegen, denn ich habe nie erfahren, was er eigentlich im Mare Crisium zu finden hoffte.«
Sie lachten. Dann sagte Miss Morley: »Ich habe gehört, dass Sie die Stellung hier aufgeben?«
»Das stimmt«, gab Pat etwas verlegen zu. »Ich habe mich bei der Raumfahrtbehörde gemeldet. Allerdings weiß ich noch nicht, ob ich die Pilotenprüfungen überhaupt bestehe.« Er war wirklich nicht davon überzeugt, aber er wusste, dass er es versuchen musste. Sue und der Commodore hatten ihn davon überzeugt, dass andere Aufgaben auf ihn warteten. Und da gab es noch einen anderen Grund …
Er hatte sich oft gefragt, welche Veränderungen im Leben der anderen Passagiere der Selene I durch die Katastrophe hervorgerufen worden waren.
Rawson war ein großer Fernsehstar geworden. Er zerfetzte seine Gegner bei wissenschaftlichen Diskussionen, und viele Millionen Zuschauer schienen ihn in ihr Herz geschlossen zu haben.
Lawrence arbeitete hart an seinen Memoiren — und bedauerte, sich jemals darauf eingelassen zu haben.
»Sie entschuldigen mich doch bitte«, sagte Pat. »Ich muss mich um die anderen Passagiere kümmern. Aber besuchen Sie uns doch bitte, wenn Sie wieder nach Clavius City kommen.«
»Gerne«, versprach Miss Morley erfreut.
Pat schlenderte weiter durch die Kabine, beantwortete hier eine Frage, tauschte dort eine Begrüßung aus. Dann erreichte er die Luftschleuse und schloss die Tür hinter sich.
Man hatte hier mehr Platz als in der Kombüse der Selene I, aber sonst war nicht allzu viel verändert worden. Kein Wunder, dass ihn die Erinnerung überflutete. Das hier hätte der Raumanzug sein können, dessen Sauerstoffflasche ihm und McKenzie das Leben gerettet hatte. Das hätte die Wand sein können, gegen die er sein Ohr presste und in der Nacht das Wispern des aufsteigenden Staubes gehört hatte.
Es gab eine Neuerung bei diesem Modell — das kleine Fenster in der Außentür. Er legte die Stirn an die Scheibe und starrte auf das Meer hinaus.
Er befand sich auf der im Schatten liegenden Seite des Kreuzers. Vor ihm lag das Dunkel des Weltraums. Nach einer Weile konnte er die Sterne sehen. Nur die helleren, denn es war noch nicht ganz dunkel, aber da waren sie — dort Jupiter, der hellste aller Planeten nächst der Venus.
Bald würde er dort draußen sein, weit entfernt von zu Hause.
Er liebte den Mond, aber dieser hatte versucht, ihn zu töten. Nie würde er sich auf der ungeschützten Oberfläche ganz sicher fühlen.
Die Tür der Kabine öffnete sich, und die Stewardess kam mit einem Tablett leerer Tassen herein. Pat lächelte sie an und meinte mit einer Handbewegung: »Das ist jetzt Ihr Reich, Miss Johnson. Hoffentlich macht's Ihnen Spaß.«
Dann ging er zum Steuer zurück und führte die Selene II auf seine letzte und ihre Jungfernreise über das Meer des Durstes.