Der Horizont zeigte sich nicht mehr als sanft geschwungener, wohl abgerundeter Bogen; über dem Mondrand hatte sich ein zerklüftetes Gebirgsmassiv erhoben. Während der Kreuzer darauf zuraste, schien der Gebirgszug, wie von einem riesigen Lift getragen, langsam am Himmel emporzuschweben.
»Das Gebirge der Unzugänglichkeit«, verkündete Miss Wilkins. »Man nennt es so, weil es ringsum vom Meer umgeben ist. Sie werden auch bemerken, dass es im Vergleich zu den anderen Mondbergen beachtliche Höhen erreicht.«
Sie spann dieses Thema nicht weiter aus, da die überwiegende Mehrzahl der Mondgipfel als schwere Enttäuschung angesehen wurde. Die gewaltigen Kratergebirge, auf von der Erde aus aufgenommenen Fotografien ungeheuer eindrucksvoll, hatten sich bei näherem Hinsehen als sanft ansteigende Hügel entpuppt, deren Umrisse durch die zu den Dämmerungszeiten weit hingestreckten Schatten arg übertrieben wurden. Es gab nicht einen einzigen Krater, dessen Wälle steil anstiegen, und nur wenige Erhebungen hätten einem kräftigen Radfahrer Schwierigkeiten machen können. Aus den Veröffentlichungen der Touristenbehörde war das allerdings nicht zu entnehmen, denn hier fanden sich nur die spektakulärsten Klippen und Schluchten, von besonders günstigen Punkten aus fotografiert.
»Man hat es bisher nicht genau erforscht«, fuhr Miss Wilkins fort, »im vergangenen Jahr setzten wir eine Gruppe von Geologen auf diesem Vorgebirge drüben ab, aber sie konnten sich nur ein paar Kilometer ins Innere vorarbeiten. Niemand weiß also, was in diesen Bergen verborgen sein mag.«
Prima, Sue, dachte Pat; sie war eine erstklassige Führerin und wusste genau, was man der Phantasie überlassen und was man im Einzelnen erklären musste. Sie vermied den singenden Tonfall, wie er bei berufsmäßigen Reiseleitern häufig auftrat. Außerdem wusste sie wirklich gut Bescheid; es kam nur selten vor, dass sie eine Frage nicht beantworten konnte. Alles in allem war sie eine sehr tüchtige junge Dame, und obwohl Pat eine Schwäche für sie hatte, fürchtete er sich ein bisschen vor ihr.
Die Passagiere starrten fasziniert auf die näher rückenden Gipfel. Auf dem immer noch geheimnisumwitterten Mond gab es also noch große Rätsel. Wie eine Insel aus dem seltsamen Meer emporsteigend, stellte das Gebirge der Unzugänglichkeit für die nächste Forschergeneration eine Herausforderung dar. Ungeachtet des Namens, war es jetzt verhältnismäßig leicht, an die Berge heranzukommen — aber da immer noch Millionen Quadratkilometer leichter erreichbaren Geländes der Erforschung harrten, mussten sie eben warten, bis sie an die Reihe kamen.
Die Selene kurvte in den Schatten. Bevor die Fahrgäste begriffen hatten, was vor sich ging, war die tief am Himmel stehende Erde verdeckt. Das grelle Licht spielte immer noch über die hohen Gipfel, aber hier unten war es völlig dunkel.
»Ich werde die Kabinenbeleuchtung abschalten«, erklärte die Stewardess, »damit sie die Aussicht besser genießen können.«
Die Lampen erloschen, und jeder Reisende glaubte, in der Mondnacht allein zu sein. Selbst das reflektierte Erdlicht auf den Berggipfeln verschwand, als der Kreuzer tiefer in den Schatten raste. Minuten später waren nur noch die Sterne zu sehen — kalte, bewegungslose Lichtpunkte in einer unheimlichen Schwärze, gegen die sich der Verstand auflehnte.
Es fiel schwer, die vertrauten Sternbilder unter dieser Überfülle von Himmelskörpern herauszufinden. Der Blick verlor sich in einem glitzernden Irrgarten aus Sternhaufen und -nebeln. In diesem schimmernden Panorama gab es nur einen unverwechselbaren Merkpunkt — Venus, die alles andere überstrahlte und das Herannahen der Dämmerung ankündigte.
Es dauerte ein paar Minuten, bevor die Fahrgäste begriffen, dass Wunder nicht nur am Himmel zu schauen waren. Hinter dem dahinschießenden Kreuzer erstreckte sich eine lange, phosphoreszierende Kielspur, als würde mit Zauberhand eine leuchtende Linie über die dunkle, staubige Oberfläche des Mondes gezogen. Die Selene führte einen Kometenschweif mit sich, wie nur irgendein Schiff, das sich seinen Weg durch die tropischen Ozeane der Erde bahnte.
Aber hier gab es keine Mikroorganismen, die dieses tote Meer mit ihren winzigen Lichtern zum Glühen bringen konnten. Nur zahllose Staubkörnchen, die ihre durch die schnelle Fahrt der Selene hervorgerufene statische Elektrizität entluden. Es war ein herrlicher Anblick, auch wenn man die wissenschaftliche Erklärung kannte — in die Nacht hinauszusehen und dieses leuchtende, elektrische Band zu beobachten, das sich ständig erneuerte, ständig erstarb, als spiegele sich die Milchstraße auf dieser Fläche wider.
Die schimmernde Spur verlor sich im grellen Licht, als Pat den Scheinwerfer einschaltete. Fast beängstigend nahe glitt eine riesige Felswand vorbei. An dieser Stelle stieg die Bergflanke fast senkrecht aus dem Staubmeer empor, hinauf bis zu unbekannten Höhen, denn nur jene Stellen, über die der grellweiße Lichtkegel glitt, wurden zur Realität.
Hier gab es also Berge, gegen die der Himalaja, die Rocky Mountains, die Alpen verblassten. Auf der Erde nagte die Erosion an allen Erhebungen, so dass sie nach ein paar Millionen Jahren nur noch geisterhafte Abbilder ihrer selbst waren. Aber der Mond kannte weder Wind noch Regen. Nichts konnte die Felsen hier abtragen als das unermesslich langsam fortschreitende Zerbröckeln der Oberflächen, die sich durch die Nachtkühle zusammenzogen. Diese Berge waren so alt wie die Welt, die sie erschaffen hatte.
Pat führte seine Regie mit einigem Stolz und hatte auch den nächsten Akt sorgfältig geplant. Es sah gefährlich aus, war aber völlig sicher, denn die Selene hatte diesen Kurs schon über hundert Mal zurückgelegt. Das Elektronengedächtnis ihres Steuersystems kannte den Weg besser als jeder Pilot. Pat schaltete plötzlich den Scheinwerfer ab — und jetzt konnten die Passagiere erkennen, dass das Gebirge auf der anderen Seite drohend herangerückt war, während sie das Licht des Scheinwerfers auf der einen Seite geblendet hatte.
In fast völliger Dunkelheit raste die Selene durch eine enge Schlucht, und nicht einmal auf geradem Kurs, denn von Zeit zu Zeit wich sie unsichtbaren Hindernissen aus. Ein paar davon waren nicht nur unsichtbar, sondern überhaupt nicht vorhanden; Pat hatte diesen Kurs bei geringer Geschwindigkeit und Tageslicht in das Elektronengedächtnis programmiert, um bei seinen Passagieren größte Wirkung zu erzielen. Das vielfache »Ah!« und »Oh!« aus der verdunkelten Kabine bewies, dass er gute Arbeit geleistet hatte.
Hoch oben war ein schmaler, sternenbesetzter Streifen alles, was von der Außenwelt zu sehen blieb; er schwenkte bei jeder abrupten Kursänderung scharf von rechts nach links und wieder zurück. Der Nachtritt, wie Pat diese Fahrt bei sich nannte, nahm bisher fünf Minuten in Anspruch, aber er schien weitaus länger zu dauern. Als Pat schließlich die Leuchtstrahler wieder einschaltete, so dass der Kreuzer inmitten eines großen Lichtteichs dahinglitt, hörte er von den Passagieren einen zwischen Erleichterung und Enttäuschung schwankenden Seufzer. Dieses Erlebnis würden sie sobald nicht vergessen.
Sie konnten jetzt sehen, dass sie durch ein schmales Tal fuhren, dessen Wände langsam auseinanderwichen. Bald darauf hatte sich die Schlucht zu einem annähernd ovalen Amphitheater mit einem Durchmesser von etwa drei Kilometern geweitet — das Herz eines erloschenen Vulkans, der vor Äonen, als der Mond noch jung gewesen war, Lava zum Himmel emporgeschleudert hatte.
Der Krater war, an den Maßstäben des Mondes gemessen, außerordentlich klein, aber in seiner Art einmalig. Der Staub war hineingeflutet, hatte sich in endlosen Jahrhunderten durch das Tal hinaufgearbeitet, so dass die Touristen von der Erde jetzt in aller Bequemlichkeit diesen Kessel befahren konnten, in dem einst alle Höllenfeuer loderten.
Als die Selene an den steil aufragenden Wänden des Kessels entlangzufahren begann, dachte mehr als einer ihrer Passagiere an eine Kreuzfahrt auf irgendeinem Bergsee der Erde. Hier gab es dieselbe heimelige Stille, das gleiche Gefühl, dass unter dem Boden endlose Tiefen lagen. Die Erde besaß viele Kraterseen, der Mond nur einen — obwohl er weitaus mehr Krater aufzuweisen hatte.
Pat ließ sich Zeit und wiederholte die Rundfahrt, während die Lichtkegel der Scheinwerfer auf den Felswänden tanzten. Während des Tages, solange die Sonne das Gebirge mit Licht und Hitze bombardierte, war von diesem Zauber nicht viel zu spüren. Aber jetzt schien es ins Reich der Phantasie zu gehören. Wieder und wieder glaubte man seltsam geformte Gestalten aus dem Augenwinkel zu erkennen. Aber das war natürlich reine Einbildung; außer den Schatten von Sonne und Erde bewegte sich in dieser Landschaft nichts. Auf einer Welt, die von Anbeginn leblos war, konnte es keine Geister geben.
Es war Zeit, umzukehren und nach einer Fahrt durch die Schlucht wieder das offene Meer zu gewinnen. Pat richtete den breiten Bug der Selene auf die schmale Öffnung zwischen den Bergen, und wieder wurden sie von den hohen Felswänden eingeschlossen. Auf der Rückfahrt blieben die Scheinwerfer eingeschaltet, damit die Passagiere den Weg verfolgen konnten. Außerdem wirkte der Nachtritt ein zweites Mal nicht mehr so aufregend.
Weit voraus, außer Reichweite der Strahler des Bootes, wuchs ein Licht, pflanzte sich sanft über Felsblöcke und zerklüftete Wände fort. Selbst wenn sie im Abnehmen begriffen war, besaß die Erde immer noch die Leuchtkraft eines Dutzends von Vollmonden, und als die Selene die Bergschatten verließ, behauptete die Erde wieder ihren ersten Rang am Himmel. Alle zweiundzwanzig Männer und Frauen an Bord der Selene starrten zu dieser blaugrünen Sichel hinauf, bewunderten ihre Schönheit, staunten über ihr Leuchten. Wie seltsam, dass die vertrauten Felder, Seen und Wälder der Erde so majestätisch schimmerten, wenn man sie von weitem betrachtete! Vielleicht sollte man das als Lehre auffassen; vielleicht vermochte der Mensch seinen Heimatplaneten nicht zu schätzen, ehe er ihn nicht vom Weltraum aus gesehen hatte.
Und auf der Erde waren sicher viele Augen dem Mond zugewandt — jetzt noch mehr als früher, da er der Menschheit so viel bedeutete. Möglich, dass in diesem Augenblick auch durch gewaltige Teleskope dieser winzige Punkt beobachtet wurde, wie er langsam durch die lunare Nacht dahinzog. Aber niemand würde etwas dabei finden, wenn dieser Funke plötzlich zu flackern begann und dann erstarb.
Seit vielen tausend Jahren hatte sich die Gasblase wie ein riesiger Abszess unter dem Gebirgsstock ausgedehnt. Während der ganzen Menschheitsgeschichte war Gas aus dem noch nicht völlig toten Inneren des Mondes durch schwache Stellen gedrungen und hatte sich in Höhlungen angesammelt, die Hunderte von Metern unter der Oberfläche lagen. Auf der Erde waren die Eiszeiten nacheinander vorübergegangen, während die unterirdischen Höhlen wuchsen, Verbindung suchten und sich schließlich vereinigten. Und nun war der Abszess nahe daran, aufzuplatzen.
Captain Harris hatte die Selene auf automatische Steuerung gestellt und unterhielt sich mit den Passagieren, als das erste Zittern durch die Bootswände lief. Für den Bruchteil einer Sekunde fragte er sich, ob eine Schiffsschraube an ein verborgenes Hindernis geraten war, dann verlor er buchstäblich den Boden unter den Füßen.
Der Fall ging langsam vor sich, wie immer auf dem Mond. Vor der Selene begann die glatte Ebene in einem riesigen Umkreis Wellen zu schlagen. Das Meer wurde lebendig, es bewegte sich, angeregt von den Kräften, die aus dem endlosen Schlaf erwacht waren. Im Zentrum des Kreises bildete sich ein Trichter, als entstünde im Staub ein riesenhafter Strudel. Jede Einzelheit dieser albtraumhaften Veränderung wurde gnadenlos von der Erde beleuchtet, bis der Krater so tief war, dass sich die gegenüberliegende Wand im Schatten verlor, und es schien, als rase die Selene in die gewölbte, tintige Schwärze hinein — um dort ausgelöscht zu werden.
Die Wahrheit war fast ebenso schlimm. Als Pat die Steuerung endlich erreichte, rutschte und schleuderte das Boot den irrsinnigen Abhang hinunter. Die eigene Schwungkraft und das beschleunigte Treiben des Sandes darunter trug die Selene kopfüber in die Tiefe. Pat konnte nichts tun, als sein Boot auf Kiel zu halten und zu hoffen, dass seine Geschwindigkeit sie auf der anderen Seite des Kraters wieder hinauftragen würde, bevor er einstürzte.
Pat wusste nicht, ob die Passagiere aufgeschrien hatten. Er war sich nur des furchtbaren Hinabrutschens und seiner eigenen Versuche bewusst, das Boot vor dem Kippen zu bewahren. Aber während er noch fieberhaft die Steuerung bediente und abwechselnd die Schiffsschrauben anließ, um die Selene auf geradem Kurs zu halten, meldete sich eine seltsame, halb verschwommene Erinnerung. Irgendwo, irgendwie hatte er das schon einmal erlebt …
Das war natürlich Unsinn, aber er konnte die Erinnerung nicht loswerden. Erst als er den Tiefpunkt des Trichters erreicht hatte und den gewaltigen Abhang aus Staub vor sich sah, hob sich für einen Augenblick der Schleier.
Er war wieder ein kleiner Junge und spielte an irgendeinem Sommertag im Sand. Er hatte eine winzige Grube gefunden, völlig symmetrisch und glattwandig, in deren Tiefe sich etwas verbarg — vergraben bis auf die wartenden Kiefer. Der kleine Junge hatte zugesehen, staunend, schon in der Erkenntnis, dass sich hier ein kleines Drama abspielte. Er hatte beobachtet, wie eine Ameise über den Rand des Kraters geriet und den Abhang hinabrutschte.
Sie hätte leicht entkommen können — aber als das erste Sandkorn auf den Grund des Trichters gerollt war, hatte das wartende Ungeheuer eingegriffen. Mit den Vorderbeinen schaufelte es eine Sandflut zu der sich abmühenden Ameise hinauf, bis sie von der Lawine überwältigt wurde und gänzlich hinabglitt.
Wie die Selene jetzt, die hinabrutschte. Kein Ameisenlöwe hatte diesen Trichter auf der Oberfläche des Mondes gegraben, aber Pat kam sich jetzt so hilflos vor wie jene vor vielen Jahren beobachtete, zum Tode verurteilte Ameise. Wie sie bemühte er sich, die Sicherheit des Trichterrandes zu erreichen. Während die hinabgleitende Wand ihn in die Tiefen hinabriss, wo der Tod wartete. Ein schneller Tod für die Ameise, ein lange hinausgezögerter für ihn und seine Begleiter.
Die aufheulenden Motoren trugen die Selene vorwärts, aber es reichte nicht. Der fallende Staub beschleunigte seine Geschwindigkeit, und — was schlimmer war — er stieg an den Außenwänden des Bootes empor. Jetzt hatte er den unteren Rand der Fenster erreicht, jetzt kroch er an den Scheiben hoch, und schließlich hatte er sie völlig eingeschlossen. Harris schaltete die Motoren ab, bevor es zu einem Kurzschluss kam, und in diesem Augenblick verdeckte die steigende Sandflut die sichelförmige Erde. In Dunkelheit und völliger Stille sanken sie in den Mond hinab.