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»Wir sind immer noch sehr guter Stimmung«, sagte Pat in das durch den Luftschacht herabgelassene Mikrofon. »Als wir das zweite Mal abrutschten, war das natürlich ein schwerer Schock — aber jetzt sind wir sicher, dass ihr uns bald herausholt. Wir können den Greifer deutlich hören und sind sehr froh, dass bald alles vorbei sein wird. Niemals werden wir vergessen«, fügte er ein wenig verlegen hinzu, »wie viele Menschen sich für uns eingesetzt haben. Was immer auch geschehen mag, wir danken Ihnen von ganzem Herzen. Und jetzt gebe ich das Mikrofon weiter, da ein paar von uns ihre Angehörigen verständigen möchten. Bei einem bisschen Glück ist das die letzte Sendung von der Selene.«

Als er das Mikrofon an Mrs. Williams weiterreichte, wurde ihm klar, dass er den letzten Satz auch ein bisschen anders hätte formulieren können. Er klang sehr zweideutig. Aber jetzt, da die Rettung so nahe war, weigerte er sich, an weitere Rückschläge zu glauben. Sie hatten so viel durchgemacht, da durfte einfach nichts mehr passieren.

Dabei wusste er aber, dass die Endphase der Rettungsaktion die größten Schwierigkeiten bringen würde. Seit Chefingenieur Lawrence ihnen vor ein paar Stunden den Plan erläutert hatte, gab es kein anderes Gesprächsthema mehr.

Oben wurde plötzlich ein schweres Poltern hörbar. Es konnte nur eines bedeuten: der Greifer hatte den Grund des Schachtes erreicht, im Caisson befand sich kein Staub mehr. Jetzt konnte man ihn an einen der Iglus anschließen und Luft hineinpumpen.

Der Anschluss und die erforderlichen Tests nahmen über eine Stunde in Anspruch. Der eigens präparierte Iglu, in den durch ein Loch im Boden das obere Ende des Caissons hineinragte, musste an die richtige Stelle gebracht und dann vorsichtig aufgepumpt werden. Das Leben der Passagiere und der Männer, die an der Rettung beteiligt waren, konnte davon abhängen.

Erst als Chefingenieur Lawrence alles überprüft hatte, legte er den Raumanzug ab und näherte sich dem gähnenden Loch. Er leuchtete mit einem Scheinwerfer hinein. Der Schacht schien sich in die Unendlichkeit zu erstrecken. Dabei waren es nur siebzehn Meter bis zum Grund. Selbst bei der geringen Schwerkraft des Mondes würde ein fallendes Objekt diese Entfernung in fünf Sekunden zurücklegen.

Lawrence wandte sich an seine Assistenten. Jeder trug einen Raumanzug, nur die Helme waren vorne geöffnet. Wenn irgendetwas schiefging, konnte man sie im Bruchteil einer Sekunde zuklappen und damit die Männer retten. Aber für Lawrence — und die zweiundzwanzig Personen an Bord der Selene bestand in diesem Falle keine Hoffnung.

»Ihr wisst genau, was ihr zu tun habt«, sagte er. »Wenn ich eilig raufwill, zieht ihr gemeinsam die Strickleiter hoch. Irgendwelche Fragen?«

Keiner meldete sich. Man hatte alles genau geprobt. Lawrence nickte seinen Männern zu und stieg in den Schacht.

Er ließ sich hinabfallen und bremste nur von Zeit zu Zeit, indem er die Strickleiter ergriff. Er konnte nichts sehen als die glatte Betonwandung. Und dann war er mit einem leichten Aufprall unten angekommen.

Er kauerte auf der kleinen Metallplattform von der Größe eines Kanaldeckels nieder und studierte sie genau. Das Klapptürventil leckte ein wenig, so dass sich ein feiner Rand aus grauem Staub gebildet hatte. Das gab nicht zur Besorgnis Anlass, aber Lawrence dachte einen Augenblick daran, was geschehen würde, wenn sich das Ventil durch den Druck von unten öffnete. Wie schnell mochte der Staub im Schacht steigen? Gewiss nicht so schnell, wie er dann die Strickleiter hinaufrasen würde …

Unter seinen Füßen, nur Zentimeter entfernt, befand sich das Dach des Staubkreuzers, um dreißig Grad nach unten abgesunken. Er musste jetzt das horizontale Ende des Schachtes mit dem schrägen Dach des Kreuzers verbinden — und zwar so, dass das Verbindungsstück staubdicht abschloss.

Er fand im Plan keinen Fehler. Man hatte sogar die Möglichkeit einbezogen, dass die Selene, sich noch einmal um ein paar Zentimeter senkte, während er hier arbeitete. Aber zwischen Theorie und Praxis bestand ein großer Unterschied.

Die Metallscheibe, auf der Lawrence hockte, besaß am äußeren Rand sechs große Flügelschrauben, die er jetzt, wie ein Trommler beim Stimmen seines Instruments, der Reihe nach festzuziehen begann. An der Unterseite der Metallplattform war ein kurzes Stück eines ziehharmonikaähnlichen Schlauches angebracht, der nahezu den Durchmesser des Caissons erreichte. Zunächst war er flach zusammengepresst. Als Lawrence die Flügelschrauben anzuziehen begann, öffnete sich der Schlauch langsam.

An der einen Seite musste er die vierzig Zentimeter bis zum schräg abfallenden Dach überbrücken, auf der anderen brauchte er sich kaum zu bewegen. Lawrence' Hauptsorge war gewesen, dass sich der Ziehharmonikaschlauch infolge des Staubwiderstands nicht öffnen würde, aber die Schrauben setzten sich gegen diesen Druck durch.

Nun konnten sie nicht mehr festergezogen werden. Das untere Ende des Faltbalges musste jetzt auf dem Dach der Selene aufsitzen und durch die Gummidichtung dort festgesaugt sein. Er würde gleich erfahren, ob die Abdichtung ausreichte.

Lawrence starrte zur Schachtöffnung empor. Die Strickleiter wirkte beruhigend.

»Ich hab das Anschlussstück hinuntergelassen«, brüllte er zu seinen unsichtbaren Kollegen hinauf. »Es scheint auf dem Dach fest anzuliegen. Ich mache jetzt das Ventil auf.«

Jetzt ein kleiner Fehler, und der Staub würde den Schacht hochfluten. Langsam und vorsichtig öffnete Lawrence die Klapptür, durch die der Staub beim Hinabsinken des Kolbens hatte gleiten können. Nichts rührte sich. Der Faltbalg unter seinen Füßen hielt.

Lawrence griff durch die Öffnung — und seine Finger berührten das Dach der Selene, das zwar immer noch unter dem Staub verborgen, aber jetzt nur noch eine Wandbreit entfernt war. Nur selten hatte er während seines ganzen Lebens so eine Befriedigung verspürt. Die Aufgabe war noch lange nicht gelöst, aber er hatte den Kreuzer erreicht. Einen Augenblick lang kauerte er am Grunde dieses Schachtes, und er kam sich vor wie ein Goldgräber, der beim Schein seiner Lampe den ersten Goldklumpen entdeckt.

Er hämmerte dreimal gegen das Dach; sofort wurde sein Signal erwidert. Es hatte jetzt keinen Sinn, mit Morsesignalen eine Unterhaltung zu führen, weil er ja auch über das Mikrofon sprechen konnte, aber er bedachte die psychologische Wirkung dieses Klopfzeichens. Die Männer und Frauen an Bord der Selene wussten jetzt genau, dass die Rettung nur mehr Zentimeter entfernt war.

Aber es mussten immer noch erhebliche Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Als Erstes der Schachtdeckel, auf dem er saß. Er hatte seinen Zweck erfüllt und den Staub ferngehalten, während der Caisson entleert wurde, aber jetzt musste man ihn entfernen, sonst konnte niemand die Selene verlassen. Dabei durfte man aber das flexible Verbindungsstück nicht beschädigen.

Um das zu ermöglichen, war der Deckel so konstruiert worden, dass man ihn wie einen Pfannendeckel herausheben konnte, sobald acht große Bolzen abgeschraubt waren. In ein paar Minuten hatte Lawrence es geschafft. Er band ein Seil an den jetzt losen Metalldeckel und schrie dann hinauf: »Hochziehen!«

Er presste sich an die Wandung, während die Metallscheibe vertikal an ihm vorbei nach oben gezogen wurde. Falls jetzt der Faltbalg versagte und der Staub hereindrang, konnte man den Schacht nicht mehr abdichten.

»Eimer!«, brüllte er. Aber das Metallgefäß schwebte bereits nach unten.

Vor vierzig Jahren habe ich am Strand von Kalifornien mit Eimer, Schaufel und Sand gespielt, dachte Lawrence. Und jetzt bin ich hier auf dem Mond — sogar Chefingenieur — und schaufle im Ernst, während mir die ganze Menschheit über die Schulter sieht.

Als der volle Eimer zum ersten Mal hochgezogen wurde, hatte Lawrence bereits ein beträchtliches Stück des Dachs freigelegt. Die Staubmenge innerhalb des Faltbalgs war nicht allzu groß. Sie füllte den Eimer nur noch zweimal.

Vor ihm lag jetzt der dünne Stoff der Sonnenabschirmung, der unter dem Druck bereits nachgegeben hatte. Lawrence konnte ihn mit den Händen auseinanderreißen und das etwas aufgeraute Fiberglas der äußeren Wandung freilegen. Es wäre sehr einfach gewesen, sie mit einer kleinen Motorsäge zu durchschneiden, aber die Gefahr war zu groß.

Denn seit der Beschädigung des Daches musste zwischen Innen- und Außenwand der Selene Staub eingedrungen sein. Bei dem kleinsten Einschnitt würde er unter starkem Druck herausspritzen. Diese dünne, aber tödliche Schicht Staub musste zum Erstarren gebracht werden, bevor er es wagen konnte, sich Zugang zur Selene zu verschaffen.

Lawrence klopfte auf das Dach. Wie erwartet, wurde das Geräusch durch den Staub gedämpft. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war das dringende Hämmern, das sein Klopfen beantwortete.

Er begriff sofort, dass das Meer des Durstes den letzten Versuch unternahm, seine Beute zu behalten.


Weil Karl Johanson Ingenieur für Nukleonik war, eine empfindliche Nase hatte und zufällig ganz hinten saß, entdeckte er als Erster die herannahende Katastrophe. Er blieb einige Sekunden lang mit gerümpfter Nase reglos sitzen, dann sagte er zu seinem Nachbarn: »Entschuldigen Sie bitte«, und schlenderte langsam zum Waschraum. Er wollte nicht unnötig Aufregung verursachen. Aber in seinem Beruf hatte er gelernt, den Geruch schmorender Isolierung nie zu ignorieren.

Er hielt sich nicht einmal eine Viertelstunde im Waschraum auf. Als er herauskam, ging er sofort zu Pat Harris, der sich mit Commodore Hansteen besprach.

»Captain«, sagte Johanson leise, »es brennt. Sehen Sie in der Toilette nach. Ich habe es noch keinem gesagt.«

Pat und Hansteen zögerten keine Sekunde. Im Weltraum wie auf dem Meer gab es keine Diskussion, wenn von einem Brand die Rede war.

Die Toilette war typisch für solche Örtlichkeiten in jedem Land-, Wasser- oder Raumfahrzeug. Man konnte von der Mitte aus jede Wand mit der Hand erreichen. Nur die Rückwand konnte man in diesem Fall nicht mehr berühren. Auf dem Fiberglas zeigten sich bereits Hitzeblasen. Die ganze Wand begann zu krachen und sich zu werfen.

»Mein Gott!«, sagte der Commodore. »In einer Minute bricht sie auf. Woher kommt das?«

Aber Pat war bereits verschwunden. Ein paar Sekunden später kehrte er mit den beiden kleinen Feuerlöschgeräten der Kabine zurück.

»Commodore«, sagte er, »verständigen Sie sofort das Floß. Erklären Sie den Leuten, dass wir vielleicht nur noch ein paar Minuten haben. Ich bleibe hier, für den Fall, dass die Wand bricht.«

Hansteen gehorchte. Einen Augenblick später hörte Pat seine Stimme ins Mikrofon rufen. Unter den Passagieren machte sich steigende Unruhe bemerkbar. Die Tür wurde aufgerissen, und McKenzie kam herein.

»Kann ich helfen?«, fragte der Wissenschaftler.

»Ich glaube nicht«, erwiderte Pat, den Feuerlöscher auf die Wand gerichtet.

»Was liegt denn hinter diesem Schott?«, erkundigte sich McKenzie.

»Unser Hauptstromerzeuger. Zwanzig Großzellen.«

»Leistung?«

»Nun, zu Anfang waren es fünftausend Kilowattstunden. Jetzt haben wir ungefähr noch die Hälfte.«

»Das ist die Antwort. Kurzschluss, wahrscheinlich schmort das Zeug schon durch, seit die Leitungen herausgerissen wurden.«

Die Erklärung schien plausibel. Der Staubkreuzer war vollkommen feuersicher, so dass ein normaler Brennvorgang ausschied. Aber in den Stromerzeugungszellen befand sich genug elektrische Energie, die bei Umwandlung in Hitze eine Katastrophe herbeiführen konnte.

Aber das war ja unmöglich. Eine solche Netzüberlastung hätte sofort alle Sicherungen herausgedrückt — außer sie waren verklemmt.

McKenzie sah in der Luftschleuse nach. »Alle Sicherungen sind durch«, berichtete er wenige Augenblicke später, »und alle Stromkreise unterbrochen. Ich begreif es einfach nicht.«

Die Falttür öffnete sich, und Hansteen kam herein.

»Lawrence meint, dass er es in etwa zehn Minuten geschafft hat«, erklärte er. »Wird die Wand noch so lange halten?«

»Das weiß der Himmel«, erwiderte Pat. »Sie kann noch eine Stunde halten — oder in den nächsten fünf Sekunden platzen. Das kommt darauf an, wie sich das Feuer ausbreitet.«

»Gibt es denn keine automatische Feuerlöschanlage?«

»Sie wäre völlig sinnlos — das ist unser Druckschott, und auf der anderen Seite befindet sich normalerweise ein Vakuum. Einen besseren Feuerlöscher kann man sich gar nicht wünschen.«

»Ich habs!«, rief McKenzie. »Begreifen Sie denn nicht? Das ganze Schott ist mit Staub angefüllt. Als das Dach aufriss, drang der Staub ein, und jetzt schließt er die elektrischen Leitungen kurz.«

Pat wusste, dass McKenzie recht hatte. Der Staub war durch die Risse im Dach hereingeflutet, hatte sich über der Innenwandung ausgebreitet und war dann zu den Sammelschienen in der Stromanlage vorgedrungen. Der Staub enthielt so viel Meteoriteisen, dass er gut leitete.

»Würde es etwas nützen, wenn wir die Wand mit Wasser bespritzten?«, fragte der Commodore, »oder bricht das Fiberglas dann auseinander?«

»Ich denke, wir sollten es versuchen«, meinte McKenzie, »aber ganz vorsichtig.« Er füllte einen Papierbecher mit Wasser und sah die anderen fragend an. Da keiner Einspruch erhob, spritzte er ein paar Tropfen auf die Wand.

Das sofort einsetzende Knirschen und Knacken klang so entsetzlich, dass er sein Vorhaben sofort wieder aufgab. Das Risiko war zu groß. Bei einer Metallwand hätte man es sich leisten können, aber dieser nichtleitende Kunststoff würde unter der durch die Hitzeunterschiede hervorgerufenen mechanischen Spannung reißen.

»Hier können wir nichts tun«, sagte der Commodore. »Selbst die Feuerlöscher helfen nicht viel. Am besten gehen wir hinaus und schließen die Tür. Sie wird als Brandschutz dienen und uns noch ein bisschen Zeit geben.«

Pat zögerte. Die Hitze war fast schon unerträglich, aber es schien feige, sich einfach zurückzuziehen. Hansteen hatte jedoch recht. Wenn er hierblieb, bis das Feuer durchbrach, würden ihn sofort die Gase überwältigen.

»Also gut — verschwinden wir«, sagte Pat. »Wir wollen mal sehen, welche Barrikade sich vor der Tür errichten lässt.«

Es würde ihnen wohl nicht sehr viel Zeit bleiben. Die Wand, hinter der ein Inferno tobte, konnte nicht mehr lange standhalten.

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