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An Bord der Selene war es immer noch sehr still, aber es war die Ruhe des Schlafes, nicht des Todes.

Pat Harris stand auf der Rückenlehne eines Sitzes und reparierte die Lichtleitung. Glücklicherweise hatte der Bohrer das Dach nicht fünf Millimeter weiter links durchstoßen, sonst wäre das Funkgerät ebenfalls ausgefallen.

»Drücken Sie auf Trenntaste drei, Doc«, rief er, während er das Isolierband zusammenrollte. »Jetzt müsste es klappen.«

Gleich darauf wurde es in der Kabine strahlend hell. Im selben Augenblick gab es ein explosionsartiges Geräusch, und Pat erschrak so, dass er von der Lehne fiel.

Noch während des Fallens begriff er. Es war ein Niesen.

Die Passagiere begannen langsam zu erwachen — und er hatte die Kühlung offensichtlich etwas übertrieben.

Wer würde wohl als Erster ins Bewusstsein zurückkehren? Hoffentlich Sue, weil sie sich dann wenigstens ein paar Minuten ungestört unterhalten konnten.

Unter den Decken begann sich jemand zu regen. Pat eilte hinzu, aber plötzlich erstarrte er und flüsterte: »O nein!«

Na ja, nicht alles ging eben nach Wunsch, und ein Captain hatte seine Pflichten. Er beugte sich über die Gestalt und fragte besorgt: »Wie fühlen Sie sich, Miss Morley?«


Fernsehstar zu werden war zugleich das Schlimmste und Beste, was Dr. Rawson zustoßen konnte. Es steigerte sein Selbstvertrauen, weil es ihn davon überzeugte, dass sich die Welt für seine Fähigkeiten und sein Wissen interessierte. Er konnte seine ernsthafte Neigung zur Astronomie unter Beweis stellen — und außerdem verdiente er ziemlich viel Geld.

Aber die Sendung, in der er erschien, bestätigte seine Ansicht, dass die Dummheit unter den Menschen weithin grassierte.

Die Tatsache, dass sich Rawson auf dem Mond, seine Opfer aber auf der Erde befanden, bot ein nur unbedeutendes technisches Problem, dessen die Fernsehingenieure längst Herr geworden waren. Die Sendung konnte nicht live gebracht werden. Man musste sie vorher aufzeichnen und die ärgerlichen Zweieinhalbsekundenpausen herausschneiden.

Chefingenieur Lawrence lauschte dieser Sendung, während er auf dem Rücken im Meer des Durstes lag und zum leeren Himmel emporstarrte. Zum ersten Mal seit vielen Stunden hatte er Zeit, sich etwas auszuruhen, aber er konnte nicht schlafen. Außerdem war es ja immerhin möglich, dass einer der Amateure in dieser Sendung wirklich auf eine gute Idee kam. Er hörte den Vorschlägen jedenfalls weitaus geduldiger zu als Dr. Rawson — der es einfach nicht fertigbrachte, die Dummheit der Menschen hinzunehmen.

Er hatte eben einen Amateurtechniker aus Sizilien am Boden zerstört, der den Staub mit Pressluft wegblasen wollte.

»Ich schätze, dass Sie mindestens fünf Tonnen Luft pro Minute brauchen, Signor Gusalli, um ein so großes Loch zu schaffen, dass das Ganze wirklich einen Sinn hätte«, erklärte Rawson. »Es ist aber völlig unmöglich, derartige Mengen zur Unglücksstelle zu bringen.«

»Schon, aber Sie könnten die Luft ja immer wieder verwenden!«

»Vielen Dank, Signor Gusalli«, meldete sich die Stimme des Diskussionsleiters. »Hier kommt nun Mr. Robertson aus London. Welchen Plan haben Sie, Mr. Robertson?«

»Ich schlage Vereisung vor.«

»Einen Moment«, protestierte Rawson. »Wie wollen Sie Staub zum Gefrieren bringen?«

»Zuerst würde ich ihn mit Wasser sättigen. Dann könnte man Kühlschlangen hinunterlassen und die ganze Masse in Eis verwandeln. Dann könnte man größere Bohrungen vornehmen.«

»Eine interessante Idee«, gab Tom widerwillig zu. »Jedenfalls nicht so verrückt wie einige andere. Aber die erforderlichen Wassermengen wären riesengroß. Vergessen Sie nicht, dass der Kreuzer sich in einer Tiefe von fünfzehn Metern befindet. Sie hätten es also mit einer Säule von mindestens einem Meter zu tun — das wären ungefähr fünfzehn mal zehn hoch zwei mal zehn hoch vier Kubikzentimeter, das sind — natürlich fünfzehn Tonnen Wasser. Dabei ist aber noch kein Verlust mitgerechnet. In Wirklichkeit würden Sie ein Vielfaches davon brauchen, vielleicht sogar bis zu hundert Tonnen. Und was, glauben Sie, würde das Gefriersystem wiegen?«

Lawrence war beeindruckt. Tom konnte Theorien sofort in die Praxis umsetzen und außerdem sehr schnell rechnen.

Der Kühlungsspezialist konnte nur mit Mühe dazu gebracht werden, seinen Platz aufzugeben. An seine Stelle trat ein Erfinder aus Afrika, der die entgegengesetzte Technik vorschlug — Hitze. Er wollte mit einem riesigen Konkavspiegel den Staub zu einer festen Masse zusammenschmelzen.

Man merkte deutlich, dass Tom sich nur unter größten Anstrengungen beherrschen konnte. Der Hitzefreund war einer jener hartnäckigen »Experten«, die grundsätzlich nicht zugeben, dass ihre Berechnungen Fehler enthalten könnten. Es entwickelte sich eine hitzige Auseinandersetzung. Aber plötzlich meldete sich eine Stimme ganz aus der Nähe.

»Die Schlitten kommen, Mr. Lawrence.«

Lawrence kletterte wieder auf das Floß. Ja, das war Schlitten Eins — und dahinter Schlitten Drei, der eine weite Reise vom Meer der Dürre auf der Rückseite des Mondes bis hierher zurückgelegt hatte.

Jedes Fahrzeug zog zwei hochbeladene Lastschlitten. Als sie neben dem Floß zum Stillstand kamen, wurde als Erstes die große Kiste mit dem Iglu abgeladen — alles Weitere ging automatisch. Man erbrach ein Siegel, betätigte zwei Hebel und wartete.

Aber nicht lange. Die Seitenwände der Kiste klafften auseinander und gaben den Blick auf eine eng zusammengepresste Masse aus silbrigem Stoff frei. Sie begann sich zu rühren, ja, sie glich einer Motte, die der Puppe entschlüpft. Das Insekt braucht dazu fast eine ganze Stunde, der Iglu nur drei Minuten.

Während der Generator Luft in die schlappe Hülle blies, weitete er sich ruckhaft, wurde starr. Jetzt war der Iglu einen Meter hoch. Er begann sich mehr in die Breite auszudehnen. Als er hier die Grenze erreicht hatte, blähte er sich oben auf, und die Luftschleuse schnellte aus der Hauptkuppel heraus.

Jetzt hatte der Bau fast seine endgültigen Ausmaße erreicht, und man begriff, warum nur der Name »Iglu« passte.

Dann wurden die Einrichtungsgegenstände hineingetragen — Betten, Stühle, Tische, Schränke, elektronische Apparate. Jedes Stück einzeln durch die Luftschleuse. Endlich kam ein Funksignal aus der Kuppel.

»Wir sind so weit! Kommt herein!«

Lawrence verlor keine Zeit. Noch im äußeren Teil der Zweistufenluftschleuse nestelte er an seinem Raumanzug, und er nahm den Helm ab, sobald er Stimmen in der Kuppel hören konnte.

Es war wunderbar, sich wieder frei bewegen und mit seinem Mitmenschen von Angesicht zu Angesicht sprechen zu können. Er stellte sich kurz unter die Dusche, zog Shorts an — etwas anderes trug man in einem Iglu nicht — und setzte sich mit seinen Assistenten zu einer Besprechung zusammen.

Fast das ganze bestellte Material war bei dieser Lieferung dabei gewesen. Der Rest musste im Laufe der nächsten Stunden vom Schlitten Zwei gebracht werden. Während er die Nachschublisten durchging, fühlte er sich wieder eher Herr der Lage. Abgesehen von einer unvorstellbaren Katastrophe, war die Sauerstoffversorgung gesichert. Der Wasservorrat in der Selene ging langsam zu Ende. Hier konnte er sofort Hilfe schaffen. Mit den Nahrungsmitteln ging es schon etwas schwieriger, aber das war nur eine Frage der Verpackung. Schokolade, komprimiertes Fleisch, Käse und sogar stangenförmige Semmeln — alles in Zylindern mit einem Durchmesser von drei Zentimetern untergebracht. Man würde das alles sobald wie möglich durch die Luftröhre hinunterschießen.

Aber all das war nicht so wichtig wie die Empfehlung des Ingenieurstabs, versehen mit einem Dutzend technischer Zeichnungen und einem sechsseitigen Bericht. Lawrence las ihn sorgfältig durch und nickte von Zeit zu Zeit zustimmend. Er war bereits im Wesentlichen zu denselben Schlussfolgerungen gelangt. Eine andere Möglichkeit schien undenkbar.

Was immer auch mit ihren Passagieren geschehen mochte, die Selene hatte ihre letzte Reise hinter sich.

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