21

Lawrence entdeckte die Auriga aus einer Entfernung von fünfzehn Kilometern.

Was, zum Teufel, ist denn das?, dachte er, gab sich aber sofort selbst die Antwort. Es war offensichtlich ein Raumschiff, und er glaubte sich dunkel entsinnen zu können, dass irgendeine Nachrichtenagentur einen Flug zum Gebirge gechartert hatte. Das ging ihn nichts an, obwohl er selbst einmal daran gedacht hatte, einen Teil der Ausrüstung dort landen zu lassen. Unglücklicherweise war dieser Plan undurchführbar. Eine sichere Landung in Meereshöhe schied aus. Jener Sims, auf dem Anson die Auriga abgesetzt hatte, befand sich so hoch oben, dass Lawrence nichts damit anfangen konnte.

Der Chefingenieur wusste nicht recht, was er davon halten sollte, dass jede Bewegung von den Kameras eingefangen wurde — aber er hätte nichts dagegen unternehmen können. Dann sah er aber ein, dass es vielleicht ganz nützlich war, ein Raumschiff in der Nähe zu haben. Man konnte es zur Beschaffung von Informationen verwenden und seine Dienste vielleicht auch anderweitig in Anspruch nehmen.

Wo war die Markierung? Sie musste doch längst zu sehen sein! Einen lähmenden Augenblick lang glaubte Lawrence, die Sonde sei umgefallen und im Staub versunken. Das würde sie natürlich nicht daran hindern, die Selene zu finden, aber die fünf- oder zehnminütige Verzögerung war vielleicht entscheidend.

Er seufzte erleichtert auf. Gegen den grellen Hintergrund der Berge hatte er den dünnen Stab übersehen. Sein Pilot steuerte jedoch bereits darauf zu.

Die Staubschlitten kamen zu beiden Seiten der Markierung zum Stillstand, und sofort begann sich eine rege Tätigkeit zu entfalten. Acht Gestalten in Raumanzügen luden mit großer Geschwindigkeit genau nach Plan Tonnen und große Bündel ab. Das Floß nahm mit Windeseile Gestalt an, als das Gerüst zusammengeschraubt und darüber der Fiberglasboden angebracht wurde.

Während der ganzen Geschichte der Monderoberung war noch kein Bauvorhaben mit solcher Publizität bedacht worden. Aber die acht Männer auf den Schlitten vergaßen schon nach wenigen Augenblicken, dass ihnen Millionen Menschen über die Schultern sahen. Sie wollten jetzt nur das Floß vollenden und die Montagestelle aufbauen, mit denen die Bohrer zu ihrem Ziel gelenkt werden konnten.

Mindestens alle fünf Minuten rief Lawrence die Selene, um Pat und McKenzie über den Fortschritt der Arbeiten zu informieren. Die Tatsache, dass er eine ganze Welt informierte, kam ihm gar nicht zum Bewusstsein.

Endlich, nach unglaublich kurzen zwanzig Minuten stand der Miniaturbohrturm bereit, der erste Fünfmeterschaft wie eine Harpune gezielt. Aber diese Harpune sollte Leben, nicht den Tod bringen.

»Wir kommen hinunter«, sagte Lawrence. »Der erste Schaft wird eben hinabgelassen.«

»Beeilt euch«, flüsterte Pat, »ich kann mich nicht mehr lange halten.«

Er schien sich wie in einem Nebel zu bewegen. Abgesehen von dem dumpfen Schmerz in den Lungen, spürte er keine besonderen Beschwerden — er war nur unglaublich, unvorstellbar müde. Er glich einem Roboter, einer Beschäftigung hingegeben, deren Bedeutung er längst vergessen hatte. Er hielt einen Schraubenschlüssel in der Hand. Schon vor Stunden hatte er ihn der Werkzeugkiste entnommen, weil er wusste, dass er ihn brauchen würde. Vielleicht fiel es ihm wieder ein, wenn es so weit war. Aus weiter Entfernung hörte er Gesprächsfetzen, die nicht für ihn bestimmt schienen. Man hatte vergessen, die Frequenz zu wechseln.

»Wir hätten es so einrichten sollen, dass man das Bohrstück von hier oben aus abschrauben kann. Wenn er nun so schwach ist, dass er es nicht mehr schafft?«

»Dieses Risiko mussten wir eingehen. Der Umbau hätte mindestens eine weitere Stunde erfordert. Geben Sie mir …«

Dann brach das Gespräch ab. Aber Pat hatte genug gehört. Er war wütend — so wütend jedenfalls, wie man es in seinem Zustand sein konnte. Er würde es ihnen schon zeigen — er und sein guter Freund Dr. Mc — Mc –? Er konnte sich nicht mehr an den Namen erinnern.

Er drehte sich langsam mit seinem Sessel und starrte in die Kabine. Zuerst konnte er den Physiker nicht finden; dann bemerkte er, dass der Australier neben Mrs. Williams kniete. McKenzie hielt ihr die Sauerstoffmaske vors Gesicht, ohne dahinterzukommen, dass die Oxygenflasche längst leer war.

»Wir sind schon fast unten«, tönte es aus dem Funkgerät. »Jeden Augenblick müssen wir euch erreicht haben.«

So schnell geht das?, dachte Pat. Aber natürlich, ein schweres Rohr musste ja beinahe widerstandslos durch den Staub gleiten. Wie klug er war, dass er das zu erkennen vermochte.

Peng! Auf dem Dach stieß etwas an. Aber wo?

»Ich kann euch hören«, flüsterte er. »Ihr habt uns erreicht.«

»Das wissen wir«, erwiderte die Stimme. »Es lässt sich von oben aus fühlen. Aber das Übrige ist Ihre Sache. Können Sie erkennen, wo der Bohrer ungefähr aufsitzt? Er darf nicht über den elektrischen Leitungen liegen. Wir versetzen das Bohrstück ein paarmal, damit Sie sich leichter tun.«

Pat war beleidigt. Es kam ihm ziemlich unfair vor, dass er eine so komplizierte Frage entscheiden sollte.

Das Bohrstück hämmerte ein paar Mal gegen das Dach. Er konnte die Stelle einfach nicht ausmachen. Nun ja, sie hatten nichts zu verlieren …

»Nur los«, murmelte er. »Es geht schon.« Er musste es zweimal wiederholen, bevor sie ihn verstanden.

Augenblicklich begann sich der Bohrer in die äußere Hülle hineinzufressen. Er konnte das Geräusch deutlich hören. Es erschien ihm schöner als jede Musik.

In nicht ganz einer Minute hatte das Bohreisen das erste Hindernis überwunden. Der Motor wurde abgeschaltet. Der Schaft senkte sich ein paar Zentimeter zur inneren Wandung hinab, und der Bohrer begann von neuem zu surren. Das Geräusch war jetzt wesentlich lauter, und die Stelle ließ sich genau bezeichnen. In der Mitte des Daches, ganz in der Nähe des Hauptkabels. Wenn es von dem Bohrer durchschnitten wurde …

Langsam und unsicher stand er auf, taumelte in die Kabine hinaus. Er hatte die Stelle eben erreicht, als Staub von der Decke fiel, ein Blitz am Dach entlangzuckte — und die Lampen erloschen.

Glücklicherweise brannte die Notbeleuchtung noch. Pat brauchte ein paar Sekunden, um seine Augen an das schwache rötliche Glimmen zu gewöhnen. Dann sah er, dass eine Metallröhre durch das Dach herabglitt. Sie drang etwa einen halben Meter in die Kabine und kam dann zum Stillstand.

Im Hintergrund tönte eine Stimme aus dem Funkgerät. Sie erklärte ihm etwas, das sehr wichtig sein musste. Er versuchte sich darüber klarzuwerden, als er den Schraubenschlüssel über den Bohrkopf schob und ihn festklemmte.

»Schrauben Sie das Bohrstück erst ab, wenn wir es Ihnen sagen«, verkündete die Stimme. »Wir hatten nicht die Zeit, ein Sicherheitsventil einzubauen — die Röhre endet hier oben im Vakuum. Wir teilen Ihnen mit, sobald wir bereit sind. Ich wiederhole — schrauben Sie das Bohrstück nicht ab, bis wir es ausdrücklich genehmigen.«

Pat ärgerte sich darüber, dass ihn die Stimme störte. Er wusste genau, was er zu tun hatte. Wenn er sich mit ganzer Kraft gegen den Schraubenschlüssel stemmte — so wie jetzt — würde sich das Bohrstück lösen, und er konnte wieder atmen.

Warum rührte es sich nicht? Er versuchte es noch einmal.

»Mein Gott«, sagte die Stimme. »Aufhören! Wir sind noch nicht so weit! Ihre ganze Luft wird abgesaugt!«

Einen Augenblick, dachte Pat, ohne auf die Worte zu reagieren. Irgendetwas stimmt hier nicht. Vielleicht drehe ich in der falschen Richtung?

Es war furchtbar kompliziert. Er starrte die rechte Hand, dann die linke an. Es schien nichts zu helfen. Na ja, er würde es andersherum probieren. Vielleicht war es besser.

Würdevoll marschierte er einmal um die Röhre herum. Als er den Schraubenschlüssel von der anderen Seite her erreichte, packte er ihn mit beiden Händen, um nicht zusammenzubrechen. Einen Augenblick lang ruhte er sich aus.

»Periskop ausfahren«, murmelte er. Was sollte denn das heißen? Er wusste es nicht, aber irgendwie schienen die Worte zu passen. Er machte sich immer noch Gedanken darüber, als das Bohrstück unter seinem Gewicht nachgab. Er begann es abzuschrauben.

Fünfzehn Meter darüber waren Chefingenieur Lawrence und seine Leute einen Augenblick starr vor Entsetzen. Kein Mensch hatte an diese Möglichkeit gedacht. An hundert andere Unfälle ja, aber nicht an diesen …

»Coleman, Matsui!«, schrie Lawrence. »Sofort die Sauerstoffleitung anschließen, um Himmels willen!«

Aber er wusste, dass es schon zu spät sein würde. Bevor die Sauerstoffzuleitung funktionierte, mussten noch zwei Anschlüsse aneinandergeschraubt werden.

Pat lief im Kreis um das Rohr herum, den Schraubenschlüssel vor sich herschiebend. Das Bohrstück hatte sich bereits zwei Zentimeter weit abschrauben lassen — noch ein paar Sekunden, dann …

Ah — fast geschafft. Er hörte ein schwaches Zischen, das rasch an Lautstärke zunahm. Der Sauerstoff natürlich. In ein paar Sekunden würde er wieder atmen können, und alle Sorgen waren vorbei.

Aus dem Zischen wurde ein unheimliches Pfeifen, und zum ersten Mal begann sich Pat zu fragen, ob er wirklich alles richtig machte. Er hielt inne, starrte den Schraubenschlüssel nachdenklich an und kratzte sich am Kopf. Wenn ihm das Funkgerät jetzt Befehle erteilt hätte, wäre er folgsam gewesen, aber es schwieg.

Nun zurück an die Arbeit. Seit Jahren hatte er nicht mehr einen solchen Katzenjammer gehabt. Er stemmte sich noch einmal gegen den Schraubenschlüssel — und stürzte zu Boden, als sich das Bohrstück löste.

Im selben Augenblick begann es in der Kabine zu dröhnen, und ein orkanartiger Wind fegte alle losen Blätter umher. Ein weißlicher Kondensnebel bildete sich, als die Luft durch ihre plötzliche Ausdehnung Feuchtigkeit abgab. Pat drehte sich auf den Rücken. Der Nebel wurde so dicht, dass er kaum noch sehen konnte. Zum ersten Mal begriff er, was geschehen war.

Er musste etwas Flaches finden, das er über das Loch schieben konnte — irgendetwas, wenn es nur stark genug war.

Seine Augen wanderten hilflos hin und her. Der rötlich durchglühte Nebel wurde bereits dünner, während die Luft in das Vakuum hinausschoss. Der Lärm war ohrenbetäubend. Es schien unglaublich, dass aus einer so kleinen Röhre ein derart brüllendes Geräusch dringen konnte.

Er taumelte zwischen den bewusstlosen Passagieren hin und her, schleppte sich von Sitz zu Sitz. Er wollte die Hoffnung schon aufgeben, da — ein dickes Buch — dort auf dem Boden. So durfte man mit Büchern eigentlich nicht umgehen, dachte er, aber er war froh, dass jemand so schlampig gewesen war, sonst hätte er es nie gesehen.

Als er die Öffnung erreichte, durch die kreischend die Luft aus dem Kreuzer entwich, wurde ihm das Buch aus der Hand gerissen. Es klatschte gegen das Rohrende. Sofort erstarb das Geräusch, der Wind legte sich. Einen Augenblick lang schwankte Pat wie ein Betrunkener. Dann knickte er in den Knien ein und stürzte auf den Boden.

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