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Chefingenieur Lawrence hielt nichts von Ausschüssen. Aber diesmal machte er eine Ausnahme, weil es bei diesem Komitee keine Sekretäre, keine Denkschriften und Protokolle gab, weil die Empfehlungen unverbindlich waren und schließlich, weil er selbst den Vorsitz führte. Er allein leitete die Rettungsarbeiten, solange ihn der Chefverwalter nicht fristlos entließ — wozu er sich nur unter großem Druck entschließen würde. Das Komitee sollte lediglich technisches Wissen und Ideen liefern, gewissermaßen als privater Gehirntrust fungieren.

Nur ein halbes Dutzend Mitglieder war tatsächlich anwesend — die übrigen befanden sich irgendwo auf dem Mond, auf der Erde oder im Weltraum. Der Bodenexperte auf der Erde war im Nachteil, weil er infolge der begrenzten Geschwindigkeit der Funkwellen immer um eineinhalb Sekunden hinterherhinkte — und bis dann seine Bemerkungen den Mond erreichten, würden fast drei Sekunden vergangen sein. Man hatte ihn daher gebeten, sich Notizen zu machen und seine Ansichten bis zum Schluss aufzusparen.

»Für die neu Hinzugekommenen möchte ich die Situation noch einmal kurz schildern«, sagte Lawrence, nachdem sich alle Konferenzteilnehmer gemeldet hatten. »Die Selene liegt in einer Tiefe von fünfzehn Metern auf geradem Kiel. Sie ist unbeschädigt, alle Maschinen funktionieren, und die zweiundzwanzig Insassen fühlen sich wohl. Sie haben genug Sauerstoff für neunzig Stunden — diese äußerste Grenze müssen wir im Auge behalten.

Für diejenigen, denen nicht bekannt ist, wie die Selene aussieht, haben wir hier ein maßstabgerechtes Modell bauen lassen.« Er hob es hoch und drehte es vor der Kamera hin und her. »Sie gleicht einem Omnibus oder einem kleinen Flugzeug. Von besonderer Eigenart ist nur ihr Antrieb, für den diese breitflügeligen Schiffsschrauben verwendet werden.

Das entscheidende Problem ist natürlich der Staub. Wer ihn nie gesehen hat, kann sich keine Vorstellung davon machen. Alle Vergleiche mit Sand oder ähnlichem Material auf der Erde sind völlig abwegig. Die Substanz gleicht eher einer Flüssigkeit. Hier ist eine Probe davon.«

Lawrence zeigte einen großen, durchsichtigen Zylinder, der zu einem Drittel mit einer amorphen grauen Substanz gefüllt war. Er kippte den Zylinder — und der Sauerstoff begann zu fließen. Er bewegte sich langsamer als Wasser, aber schneller als Sirup, und es dauerte ein paar Sekunden, bis seine Oberfläche wieder eben wurde. Niemand hätte nur durch Betrachtung auf die Idee kommen können, dass es sich nicht um eine Flüssigkeit handelte.

»Der Zylinder wurde luftleer gepumpt, so dass der Staub sich wie in seiner natürlichen Umwelt verhält«, erklärte Lawrence. »In Luft ändert sich das, dabei verhält sich die Substanz wie sehr feiner Sand oder Puder. Ich möchte Ihnen gleich sagen, dass es unmöglich ist, das Zeug synthetisch herzustellen. Wenn Sie experimentieren wollen, schicken wir Ihnen Staub in jeder Menge zu. Wir haben wirklich genug davon.

Noch ein paar andere Dinge. Die Mindestentfernung der Selene zum Land — in diesem Fall zum Gebirge der Unzugänglichkeit — beträgt drei Kilometer. Die Staubtiefe unter ihr könnte mehrere hundert Meter betragen. Wir wissen es nicht. Wir können uns auch nicht darauf verlassen, dass keine Beben mehr stattfinden, obwohl die Geologen nicht daran glauben.

Wir können die Untergangsstelle nur mit Staubschlitten erreichen. Wir haben zwei davon hier, ein dritter wird von der Rückseite des Mondes hierhergeschickt. Jeder Schlitten kann bis zu fünf Tonnen tragen oder schleppen; Geräte oder Apparaturen mit einem Einzelgewicht von mehr als zwei Tonnen sind nicht mehr transportabel. Schwere Maschinen können also nicht an die Unglücksstelle gebracht werden.

Also, das ist die Lage. Wir haben neunzig Stunden. Irgendwelche Vorschläge? Ich habe selbst ein paar Ideen, möchte aber zuerst Ihre Meinung hören.«

Es blieb lange still, während die Mitglieder des Komitees nachdachten. Dann meldete sich der Chefingenieur, Mond Rückseite, aus Joliot-Curie.

»Ich glaube, dass wir im Verlauf von neunzig Stunden nichts Wesentliches ausrichten können. Wir müssen eigene Geräte bauen, und das nimmt immer Zeit in Anspruch. Also — es bleibt uns nichts anderes übrig, als an die Selene einen Sauerstoffschlauch anzuschließen.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, wie Sie in einer Tiefe von fünfzehn Metern den Schlauch anschließen wollen. Außerdem ist ja alles mit Sand verstopft.«

»Ich habe eine bessere Idee«, warf jemand ein. »Treiben Sie ein Rohr durch das Dach.«

»Man braucht zwei Rohre«, erklärte ein anderer. »Eines, um Sauerstoff hineinzupumpen, das andere, um die verbrauchte Luft abzusaugen.«

»Das bedeutet also den Einsatz einer kompletten Luftreinigungsanlage. Die brauchen wir doch gar nicht, wenn wir die Leute innerhalb der neunzig Stunden herausholen können.«

»Damit setzen wir zu viel aufs Spiel. Sobald die Sauerstoffversorgung einmal gesichert ist, können wir in aller Ruhe arbeiten. Wir brauchen uns dann nicht von der Neunzigstundengrenze hetzen zu lassen.«

»Ich stimme zu«, sagte Lawrence. »Ein paar meiner Leute überprüfen das Problem schon in dieser Hinsicht. Die nächste Frage ist — versuchen wir, den Kreuzer mit allen Insassen zu heben, oder holen wir die Passagiere einzeln heraus? Vergessen Sie nicht, dass nur ein Raumanzug an Bord ist.«

»Wie wär's mit einem Senkkasten, der groß genug ist, dass er den ganzen Kreuzer einschließt? Wir könnten ihn hinunterlassen und dann den Staub herausschaufeln.«

»Dazu bräuchte man tonnenweise Stützen und Verstrebungen. Und vergessen Sie nicht — er müsste auch unten geschlossen sein, weil der Staub sonst schneller hineinläuft, als wir ihn oben herausholen können.«

»Kann man das Zeug pumpen?«, fragte jemand.

»Ja, aber man kann es natürlich nicht hochsaugen. Es muss gehoben werden. Eine normale Pumpe nützt da nichts.«

»Dieser Staub hat die unangenehmsten Eigenschaften von festen und flüssigen Stoffen, ohne dagegen ihre Vorteile zu besitzen«, murrte der Ingenieur aus Port Roris. »Er fließt nicht, wenn er soll, und er bleibt nicht an der Stelle, wenn es erforderlich wäre.«

»Darf ich etwas einflechten?«, sagte Pater Ferraro. »Das Wort ›Staub‹ ist völlig irreführend. Wir haben hier eine Substanz, die es auf der Erde nicht gibt, also haben wir in unserer Sprache auch keinen Namen dafür. Der letzte Kollege hatte völlig recht. Manchmal muss man sie als nichtnässende Flüssigkeit, ähnlich dem Quecksilber, aber wesentlich leichter, betrachten. Bei anderen Gelegenheiten ist sie ein fließender Feststoff, wie Pech — nur, dass sie sich natürlich viel schneller bewegt.«

»Könnte man das Zeug auf irgendeine Weise verfestigen?«, erkundigte sich jemand.

»Ich denke, das ist eine Frage für die Erde«, meinte Lawrence. »Doktor Evans — hätten Sie dazu etwas zu sagen?«

Man wartete drei Sekunden. Dann antwortete der Physiker so klar und deutlich, als säße er im selben Zimmer: »Darüber hab ich mir schon den Kopf zerbrochen. Vielleicht gibt es organische Bindemittel — Klebstoff, wenn Sie wollen, der die Substanz festigt, so dass man leichter mit ihr umgehen könnte. Wie wäre es beispielsweise mit Wasser? Haben Sie das schon versucht?«

»Nein, aber wir werden es tun«, erwiderte Lawrence und machte eine Notiz.

»Ist das Zeug magnetisch?«, fragte ein anderer.

»Ein guter Einfall«, meinte Lawrence. »Nun, Pater Ferraro, ist es magnetisch?«

»Ein bisschen. Es enthält Meteoriteisen. Aber ich glaube nicht, dass wir damit weiterkommen. Ein Magnetfeld würde sämtliche Metallbestandteile herausziehen, aber den Staub als solchen nicht beeinflussen.«

»Wir versuchen es mal.« Lawrence notierte sich diesen Punkt. Er hatte die Hoffnung, dass sich aus diesem Widerstreit eine brillante Idee, ein genialer Plan, ergeben würde, der sein Problem mit einem Schlag löste. Denn es war sein Problem, ob ihm das gefiel oder nicht.

»Ich fürchte doch«, meinte der Flugsicherungsbeamte von Clavius City, »dass sich als größtes Problem der Nachschub erweisen wird. Jeder einzelne Ausrüstungsgegenstand muss mit den Schlitten hinaustransportiert werden, die für Hin- und Rückfahrt mindestens zwei Stunden brauchen — ja mehr, wenn sie vollbeladen sind. Bevor Sie überhaupt mit der Arbeit anfangen, müssen Sie eine Arbeitsplattform — also eine Art Floß — bauen, die Sie an der Unglücksstelle belassen können. Es wird schon einen Tag dauern, bis diese Plattform errichtet ist. Wesentlich länger brauchen Sie, um alle Geräte hinauszuschaffen.«

»Einschließlich von Notunterkünften«, fügte jemand hinzu. »Die Arbeiter werden an der Untergangsstelle bleiben.«

»Das sehe ich ein. Sobald wir ein Floß gebaut haben, können wir einen Iglu auf ihm hochpumpen.«

»Dann brauchen Sie ja kein Floß. Ein aufgepumpter Iglu geht nicht unter.«

»Angenommen, wir bauen das Floß doch«, meinte Lawrence, »dann brauchen wir widerstandsfähige aufblasbare Einheiten, die man an der Unglücksstelle zusammenmontieren kann. Irgendwelche Vorschläge?«

»Leere Brennstofftanks?«

»Zu groß und zu empfindlich. Vielleicht lässt sich in unseren Lagern etwas finden.«

Es wurde heftig weiterdiskutiert. Lawrence hatte vor, noch eine halbe Stunde zu warten, dann wollte er sich für einen Plan entscheiden.

Viele Menschenleben standen auf dem Spiel, die Minuten vergingen, man durfte nicht zu viel reden. Aber mit hastigem, überstürztem Vorgehen konnte man andererseits alles verderben.

Auf den ersten Blick schien die Aufgabe zu eindeutig zu sein. Da war die Selene, nicht einmal hundert Kilometer von einem gut ausgerüsteten Stützpunkt entfernt. Man kannte ihre Lage genau, und sie befand sich nur fünfzehn Meter tief. Aber diese fünfzehn Meter stellten Lawrence vor die schwersten Probleme in seiner ganzen Laufbahn.

Es war eine Laufbahn, die sehr bald zu Ende sein konnte. Denn wenn diese zweiundzwanzig Männer und Frauen starben, würde er den Misserfolg kaum begründen können.

Es war sehr bedauerlich, dass nicht ein einziger Zeuge die Auriga landen sah, denn der Anblick war überwältigend.

Captain Anson verließ sich nicht auf raffinierte Navigationskünste, zumal die Kosten für den Treibstoff ja von anderer Seite getragen wurden. Im amtlichen Handbuch stand nichts darüber, wie man ein Raumschiff über eine Strecke von hundert Kilometern zu fliegen hatte, obwohl die Mathematiker sicher mit Vergnügen bereit gewesen wären, eine Flugbahn zu errechnen. Aber Anson ließ sein Schiff einfach tausend Kilometer weit in die Höhe schießen und landete dann wie üblich vertikal unter Einsatz der Radarsteuerung. Das Elektronengehirn und das Radargerät kontrollierten einander, und beide wurden ihrerseits von Captain Anson beobachtet. Jeder von den dreien hätte die Aufgabe auch allein lösen können, so einfach und ungefährlich war sie — wenn es auch nicht danach aussah.

Vor allem für Maurice Spenser, der große Sehnsucht nach den sanften grünen Hügeln der Erde verspürte, als diese zerklüfteten Gipfel dem Schiff entgegenzurasen schienen. Warum hatte er sich auf dieses Abenteuer eingelassen.

Das Schlimmste war der freie Fall zwischen den Bremsperioden. Angenommen, die Raketen zündeten nicht sofort und das Schiff stürzte auf den Mond hinab. So etwas war schon mehr als einmal vorgekommen.

Nicht jedoch bei der Auriga. Das Feuer aus den Bremsdüsen fauchte über die Felsen und blies den Staub himmelwärts, der seit Milliarden von Jahren unberührt geblieben war. Einen Augenblick schwebte das Schiff Zentimeter über dem Boden, dann zogen sich die Flammenspeere beinahe widerstrebend zurück. Das Schiff setzte auf.

Maurice Spenser war zum zweiten Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden auf dem Mond gelandet. Das konnten nur sehr wenige Menschen von sich sagen.

»Hoffentlich sind Sie mit der Aussicht zufrieden«, sagte Captain Anson. »Sie kostet Sie eine Stange Geld — und da ist noch die Sache mit den Überstunden. Die Raumfahrergewerkschaft …«

»Haben Sie denn kein Gefühl, Captain? Wie können Sie mich in einem solchen Augenblick mit Kleinigkeiten belästigen? Aber wenn ich etwas sagen darf, ohne dass mir dadurch Mehrkosten entstehen: Die Landung war großartig.«

»Das ist doch eine Selbstverständlichkeit«, erwiderte Anson. »Übrigens — würden Sie hier im Logbuch unterschreiben?«

»Warum denn?«, fragte Spenser argwöhnisch.

»Als Beweis dafür, dass wir richtig gearbeitet haben.«

»Ein mit der Hand geschriebenes Logbuch scheint mir aber doch ziemlich altmodisch zu sein«, meinte Spenser. »Ich dachte, heutzutage wird alles automatisch gemacht.«

»Na ja, das stimmt auch«, erwiderte Anson. »Der elektronische Flugzeichner schreibt alles mit, aber nur im Logbuch stehen die Einzelheiten, durch die sich eine Reise von der anderen unterscheidet — wie ›um sechs Glasen wurde der weiße Wal an Steuerbord gesichtet.‹«

»Ich nehme alles zurück, Captain«, sagte Spencer. »Sie sind doch nicht gefühllos.« Er unterschrieb im Logbuch und ging dann zum Aussichtsfenster.

Die Steuerkabine, hundertfünfzig Meter über dem Boden, besaß die einzigen Fenster im ganzen Schiff. Spenser bot sich ein herrlicher Anblick. Hinter ihm erhoben sich nach Norden zu die steilen Wände des Gebirges der Unzugänglichkeit. Der Name passte nicht mehr, dachte Spenser, er hatte es schließlich erreicht, und da das Raumschiff schon einmal hier war, konnte die Mannschaft vielleicht gleich ein paar Gesteinsproben mitnehmen.

In der anderen Richtung konnte er mindestens vierzig Kilometer weit das Meer des Durstes überblicken. Aber das, was ihn interessierte, war nicht einmal ganze fünf Kilometer entfernt.

Durch das Fernglas klar sichtbar, zeigte sich der Metallstab, den Lawrence als Markierung hinterlassen hatte und der zugleich die Verbindung zwischen der Selene und der Welt aufrechterhielt. Es war kein eindrucksvoller Anblick — eine einsame, aus der endlosen Ebene herausragende Spitze — aber trotzdem irgendwie ans Herz greifend. Ein guter Beginn für die Übertragung, dachte Spenser. Ein Symbol für die Einsamkeit des Menschen in diesem gewaltigen, feindseligen Universum, das er zu erobern versuchte. In ein paar Stunden würde er auf dieser Ebene keineswegs einsam sein, aber bis dahin konnte der Stab zur Einführung dienen, während die Kommentatoren über die Rettungsaktion sprachen und die Zeit mit Interviews ausfüllten. Das war nicht sein Problem. Die Reporter in Clavius City und die Studios auf der Erde hatten dafür zu sorgen. Es gab für ihn nur eine Aufgabe — hier in seinem Adlernest zu sitzen und dafür zu sorgen, dass die richtigen Bilder geliefert wurden. Mit der neuen Gummilinse konnte er selbst von hier aus beinahe Nahaufnahmen machen, sobald sich etwas rührte.

Er starrte nach Südwesten, wo die Sonne ganz langsam am Himmel emporstieg. Fast zwei Wochen würde es noch hell sein. Sorgen um die Beleuchtung brauchte er sich also nicht zu machen. Die Bühne stand bereit.

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