7.

Ich legte mich auf einem Eisberg schlafen; ich erwachte in einem klopfenden, hämmernden Inferno, mit rotem Feuer und brutal aussehenden Teufeln. Genau dorthin hätte ich einen Texter von Taunton geschickt. Es verwirrte mich, daß statt dessen ich hier war.

Die Verwirrung hielt nicht lange an. Einer der Teufel rüttelte mich roh an der Schulter und sagte: »Los, pack an, Schlafmütze. Ich muß meine Hängematte unterbringen.« Mein Kopf wurde klar. Es stand eindeutig fest, daß er nichts anderes als ein Verbraucher der unteren Klasse war – vielleicht Krankenpfleger?

»Was ist das hier?« fragte ich. »Sind wir wieder in Klein-Amerika?«

»Mann, du machst vielleicht Witze«, sagte er. »Faß an, ja?«

»Keinesfalls!« sagte ich zu ihm. »Ich bin ein Texter der Starklasse.«

Er blickte mich mitleidig an, sagte »Idiot« und verschwand in der hämmernden, rotglühenden Dunkelheit.

Ich stand auf, schwankte und packte einen an mir vorbeieilenden Mann am Ellenbogen. »Entschuldigen Sie«, sagte ich. »Wo bin ich hier? Ist das ein Krankenhaus?«

Auch dieser Mann war ein einfacher Verbraucher, ebenso schlechtgelaunt wie der erste. »Laß meinen Arm los!« grunzte er. »Wenn du dich krankmelden willst, warte, bis wir an Land sind.«

»Land?«

»Ja. Land. Hör mal, Kumpel, weißt du nicht, wofür du dich verpflichtet hast?«

»Verpflichtet? Nein; weiß ich nicht. Aber Sie werden ein bißchen zu persönlich. Ich bin ein Texter der Starklasse.«

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. »Aha«, sagte er wissend. »Da kann ich dir helfen. Sekunde, Kumpel. Bin gleich wieder da mit dem Zeug.«

Und er hielt Wort. »Das Zeug« war eine kleine grüne Kapsel. »Nur fünfhundert«, schwatzte er weiter. »Vielleicht die letzte an Bord. Kannst du wohl die Erschütterungen nicht ertragen, was? Das hier macht dich fit für die Landung.«

»Was für eine Landung?« rief ich. »Was soll das ganze? Ich habe keine Ahnung, und ich will Ihr Betäubungsmittel nicht. Sagen Sie mir, wo ich bin und wofür ich mich angeblich verpflichtet habe, das genügt.«

Er blickte mich prüfend an und sagte: »Dich hat’s ja schlimm erwischt. Vielleicht ein Schlag auf den Kopf? Na ja, Kumpel, du bist in Laderaum Nummer Sechs auf dem Arbeiterfrachter ›Thomas R. Malthus‹. Wind und Wetter, unwesentlich. Kurs 273 Grad. Geschwindigkeit 300, Bestimmungsort Costa Rica, Fracht: Arbeitskräfte für die Chlorella-Plantagen.« Es klang wie das Geleier eines abgelösten Wachoffiziers oder wie eine grobe Karikatur dessen.

»Sie sind…« Ich zögerte.

»Degradiert«, vollendete er bitter meinen Satz und starrte auf die grüne Kapsel in seiner Hand. Unvermittelt schluckte er sie und fuhr dann fort: »Aber ich komme zurück.« Ein Glitzern erschien in seinen Augen. »Ich werde in diesen Plantagen neue und wirksame Methoden einführen. Ich werde innerhalb einer Woche Vorarbeiter. In einem Monat bin ich Werksleiter. In einem Jahr Direktor. Und dann kaufe ich die Cunard Linie auf und verkleide alle Leuchtraketen mit purem Gold. Nur erstklassige Quartiere. Das beste für meine Passagiere. Sie war immer gut in Schuß auf der Atlantik-Route. Ich werde dir eine vergoldete Luxuskabine an Bord meines Flaggschiffes einrichten, Kumpel. Das beste ist gerade gut genug für meinen Freund. Wenn du kein Gold magst, nehme ich Platin. Wenn du kein…« Zentimeter für Zentimeter zog ich mich zurück, ohne daß er es bemerkte. Er leierte seine wirre Litanei herunter. Ich war froh, daß ich niemals Drogen genommen hatte. Ich kam an ein Schott, setzte mich und lehnte mich entmutigt dagegen. Jemand setzte sich neben mich und sagte: »Hallo«, es klang zutraulich.

»Hallo«, erwiderte ich. »Sind wir wirklich nach Costa Rica unterwegs? Muß unbedingt einen Schiffsoffizier sprechen, wie kann ich das anstellen? Das ganze ist ein unglaublicher Irrtum.«

»Oh«, sagte der Mann, »warum sich darüber Gedanken machen? Leben und leben lassen. Iß, trink und sei guten Mutes, das ist mein Wahlspruch.«

»Nimm deine gottverdammten Hände weg!« sagte ich.

Er wurde ausfallend und beleidigend, ich stand auf und ging weiter, stolperte über die Beine und Leiber.

»Entschuldigung, Kumpel«, sagte jemand mit heiserer Stimme zu mir. »Gehen Sie lieber beiseite.« Er begann sich zu erbrechen, und offenbar gab es an Bord eines Arbeiterfrachters keine Papiertüten oder andere Behälter.

Ich öffnete die Tür vom Notausgang und glitt ins Freie.

»Na?« brummte ein riesiger Wachtposten.

»Ich möchte einen Schiffsoffizier sprechen«, sagte ich.

»Ich bin irrtümlich hier. Ich heiße Mitchell Courtenay und bin Texter bei der Fowler Schocken AG.«

»Die Nummer«, bellte er.

»16-156-187«, erwiderte ich und muß gestehen, daß ein wenig Stolz in meiner Stimme lag. Man kann Geld, Gesundheit und Freundschaften verlieren, aber die niedrige Sozialversicherungsnummer kann einem niemand nehmen…

Er rollte meinen Ärmel auf, er tat es nicht roh. Im nächsten Augenblick wirbelte ich gegen das Schott, auf meinem Gesicht brannte eine Ohrfeige. »Zurück unter Deck, du Wanze!« brüllte der Mann. »Du bist hier nicht auf einem Vergnügungsdampfer, und ich halte nichts von dummen Scherzen.«

Ungläubig starrte ich auf meine Armbeuge. Die tätowierte Nummer lautete 1304-9974-1416-156-187.723. Meine eigene Nummer war darin vergraben; die Farbe paßte ausgezeichnet. Die Zahlen sahen ein wenig anders aus – aber außer mir konnte es niemandem auffallen.

»Worauf wartest du noch?« fragte der Wachtposten. »Haste deine Nummer noch nie gesehen?«

»Nein«, sagte ich gefaßt, aber meine Beine zitterten. Ich hatte Angst – entsetzliche Angst. »Ich habe diese Nummer noch nie gesehen. Sie ist um meine wirkliche Nummer herumtätowiert worden. Ich bin Courtenay, wenn ich es Ihnen doch sage! Ich kann es beweisen. Ich werde Sie bezahlen.« Ich suchte in meinen Taschen und fand kein Geld. Plötzlich fiel mir auf, daß ich einen merkwürdigen, schäbigen Anzug von Universal trug, befleckt mit Essensresten und Schlimmerem.

»Na, zahlen Sie doch«, sagte der Wachtposten ungerührt.

»Ich werde Ihnen das Geld später geben«, sagte ich. »Holen Sie einen Verantwortlichen.«

Ein schmucker junger Leutnant in Panagrauniform bog in den engen Gang ein. »Was ist hier los?« erkundigte er sich. »Das Licht in der Luke brennt noch. Können Sie an Deck keine Ordnung halten? Sie wissen doch, Ihre Agentur bekommt einen Fähigkeitsbericht über Sie.« Mich übersah er völlig.

»Tut mir leid, Mr. Kobler«, sagte der Wachtposten, nahm Haltung an und riß sich zusammen. »Dieser Mann scheint unter Drogen zu stehen. Er ist herausgekommen und behauptet, er wäre Texter der Starklasse, er wäre irrtümlich an Bord.«

»Schauen Sie, meine Nummer!« schrie ich den Leutnant an.

Sein Gesicht verzog sich, als ich ihm meinen entblößten Ellenbogen unter die Nase hielt. Der Wachtposten packte mich und drohte: »Wagen Sie nicht…«

»Einen Augenblick«, unterbrach ihn der Offizier. »Ich erledige das schon. Er hat eine hohe Nummer. Was wollen Sie beweisen, indem Sie mir das zeigen?«

»Man hat vorn und hinten Zahlen angehängt. Meine wirkliche Nummer ist 16-156-187. Sehen Sie? Die anderen Zahlen sind etwas anders. Das ist eine Verfälschung!«

Mit angehaltenem Atem betrachtete der Leutnant die Nummer von nahem. Er sagte: »Hm. Kaum möglich… folgen Sie mir.«

Der Wachtposten öffnete hastig eine Korridortür für ihn und mich. Er machte einen verängstigten Eindruck.

Der Leutnant führte mich durch lärmende Maschinenräume in das kleine Büro des Zahlmeisters. Der Zahlmeister war ein Gnom mit scharfen Gesichtszügen, der seine Panagrauniform trug, als wäre sie ein Sack. »Zeigen Sie ihm Ihre Nummer«, forderte der Leutnant mich auf, und ich tat es. Zum Zahlmeister sagte er: »Die Geschichte dieses Mannes?«

Der Zahlmeister schob eine Spule in den Leseapparat und schaltete ein. »1304-9974-1416-187.723«, las er schließlich vor. »Groby, William George; 26, Junggeselle, gestörte häusliche Verhältnisse (Vater verließ die Familie); drittes von fünf Kindern; männlich; Gesundheit, 2.9; sieben Jahre Angehöriger der Berufsklasse 2; drei Monate 1.5; Ausbildung 9; Arbeitsvertrag B unterzeichnet.« Er schaute zum Offizier auf. »Ziemlich durchschnittlich, Leutnant. Gibt es einen bestimmten Grund, warum ich mich für diesen Mann interessieren sollte?«

Der Leutnant sagte: »Er behauptet, Texter zu sein, seine Anwesenheit an Bord sei ein Irrtum. Er sagt, jemand habe seine Nummer gefälscht. Und er spricht etwas kultivierter als in seiner Klasse üblich.«

»Tja«, sagte der Zahlmeister, »das will weiter nichts heißen. Er kommt aus gestörten Verhältnissen; Heranwachsende aus den unteren Schichten lesen und beobachten häufig besonders viel, um etwas weiterzukommen. Aber Sie werden schon merken…«

»Das reicht«, fuhr ich den kleinen Mann an, ich hatte genug. »Ich bin Mitchell Courtenay. Ich kann Sie kaufen und verkaufen, ohne mein Taschengeldbudget zu strapazieren. Ich arbeite bei der Fowler Schocken AG und leite das Venus-Projekt. Ich verlange, daß Sie auf der Stelle in New York anrufen, damit diese Farce ein Ende findet. Beeilen Sie sich, verdammt noch mal!«

Der Leutnant schien überrascht und griff nach dem Telefon, aber der Zahlmeister lächelte und nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Mitchell Courtenay wollen Sie sein?« erkundigte er sich freundlich. Er griff nach einer anderen Spule und schob sie in den Leseapparat. »Sehen Sie sich das mal an«, sagte er und kicherte. Der Leutnant und ich lasen.

Es war das Titelblatt der New York Times. In der ersten Spalte stand ein Nachruf auf Mitchell Courtenay, Leiter der Venus-Abteilung bei der Fowler Schocken AG. Man hatte mich erfroren auf dem Starrzelius-Gletscher in der Nähe von Klein-Amerika aufgefunden. Ich hatte mein Funkgerät unsachgemäß behandelt, und es hatte versagt. Ich las noch lange weiter, nachdem der Leutnant bereits das Interesse verloren hatte. Matt Runstead übernahm die Venus-Sektion. Man beklagte meinen Verlust. Meine Frau, Dr. Nevin, hatte sich geweigert, ein Interview zu geben. Fowler Schocken hielt einen glühenden Nachruf auf mich. Ich war ein persönlicher Freund des Venuspioniers Jack O’Shea, der bei der Nachricht von meinem Tode Bestürzung und Trauer empfand.

Der Zahlmeister sagte: »Das habe ich aus Kapstadt. Leutnant, bringen Sie diesen verrückten Schweinehund wieder hinunter, ja?«

Der Wachtposten kam. Den ganzen Weg zurück in den Laderaum Nummer Sechs schlug und trat er mich.

Als mich der Wachtposten unsanft durch die Tür in die rote Dunkelheit stieß, prallte ich gegen einen Menschen. Nach der verhältnismäßig reinen Luft draußen war der Gestank unerträglich.

»Was hast du gemacht?« fragte mich das menschliche Kissen freundlich und richtete sich auf.

»Ich habe versucht ihm zu erzählen, wer ich bin…« Das würde mich auch nicht weiter bringen. »Was geschieht als nächstes?« fragte ich.

»Wir landen. Wir werden einquartiert. Wir müssen arbeiten. Welchen Kontrakt hast du unterschrieben?«

»Arbeitskontrakt B sagen sie.«

Er pfiff durch die Zähne. »Dann hatten sie dich wohl ganz schön in der Mangel, was?«

»Was meinen Sie damit? Was hat das alles zu bedeuten?«

»Du hast wohl blind unterschrieben, was? Pech gehabt. Kontrakt B dauert fünf Jahre. Für Flüchtlinge, Idioten und alle, die sich beschwindeln lassen. Es gibt eine Führungsklausel. Mir hat man Kontrakt B auch angeboten, aber ich habe ihnen gesagt, wenn sie mir nichts besseres bieten können, gehe ich wieder und melde mich freiwillig bei Brink’s Express. Ich konnte sie zu einem F-Kontrakt bringen; sie müssen wirklich dringend Arbeitskräfte gebraucht haben. Das ist für ein Jahr; ich kann außerhalb der betriebseigenen Läden kaufen und so.«

Ich hielt meinen Kopf, weil ich das Gefühl hatte, er würde sonst explodieren. »So schlimm kann es doch gar nicht sein«, sagte ich. »Landleben – Landarbeit – frische Luft und Sonnenschein.«

»Hm«, sagte der Mann etwas zurückhaltend. »Besser als Chemikalien bestimmt. Vielleicht nicht so gut wie Bergbau. Du wirst es schon merken.«

Er ging und ich fiel in leichten Schlummer, anstatt Pläne zu schmieden.

Es gab kein Landesignal. Wir landeten einfach und zwar ziemlich unsanft. Eine Luke öffnete sich, und blendendes tropisches Sonnenlicht flutete in den Laderaum. Es schmerzte nach der langen Dunkelheit in den Augen. Herein wehte nicht etwa frische Landluft, sondern eine Wolke von Desinfektionsmitteln. Ich löste mich aus einem Knäuel fluchender Arbeiter und trieb im Strom der Menschen auf den Hafen zu.

»Halt, du Idiot«, sagte ein Mann mit harten Gesichtszügen; sein Abzeichen ließ erkennen, daß er zum Fabrikschutz gehörte. Er warf eine Kordel mit einer Plakette, auf der eine Nummer stand, um meinen Hals. Jeder bekam so eine und stellte sich dann hinter dem Schiff vor einem Tisch an. Der Kai lag direkt im Schatten der Chlorella-Plantage, ein achtzig Stockwerke hohes Gebäude, das aussah wie die aufeinandergestapelten Kästen für ein- und ausgehende Post in den Büros. Überall an den Terrassen waren Spiegelblenden angebracht. Im weiteren Umkreis um das große Gebäude waren massenhaft weitere Spiegelblenden aufgestellt, die das Sonnenlicht auffingen, um es auf die Spiegel der Terrassen zu reflektieren, die es ihrerseits zu den Fotosynthesetanks weiterleiteten. Von oben gesehen ein spektakulärer, wenn auch nicht ungewöhnlicher Anblick; von unten einfach höllisch. Ich hätte Pläne schmieden sollen. Aber mein Verstand wurde blockiert von den Worten: »Aus den sonnendurchtränkten Plantagen Costa Ricas, gezüchtet von den geschickten Händen freier Farmer, die ihrer Arbeit mit Freude und Stolz nachgehen, kommt das saftige, reife Chlorella-Protein…« Ja; ich selbst hatte diese Worte geschrieben.

»Weitergehen!« brüllte ein Mann vom Fabrikschutz.

Ich beschattete meine Augen und schlurfte vorwärts, während die Reihe am Tisch vorbeimarschierte. Ein Mann mit Sonnenbrille fragte nach meinem Namen.

»Mitchell Court…«

»Das ist der, von dem ich Ihnen erzählt habe«, sagte die Stimme des Zahlmeisters.

»Gut, vielen Dank«, und zu mir: »Groby, wir hatten schon früher mal Leute, die versuchten, aus dem B-Kontrakt herauszukommen. Die haben es hinterher bitter bereut. Wissen Sie zufällig, wie hoch der Jahresetat von Costa Rica ist?«

»Nein«, murmelte ich.

»Er beläuft sich auf einhundertdreiundachtzig Milliarden Dollar. Und wissen Sie vielleicht, wie hoch die jährlichen Steuern der Chlorella-Gesellschaft sind?«

»Nein, verdammt, Mensch…«

Er unterbrach mich: »Etwa einhundertundachtzig Milliarden Dollar. Und daraus kann ein kluger Bursche wie Sie schließen, daß die Regierung – und die Gerichte – von Costa Rica genau das tun, was Chlorella verlangt. Wenn wir an einem Kontraktbrüchigen ein Exempel statuieren wollen, dann tun sie das für uns. Da können Sie Ihr Leben drauf wetten. Wie ist also Ihr Name, Groby?«

»Groby«, sagte ich heiser.

»Vorname? Ausbildung? Klasse?«

»Ich weiß nicht. Aber wenn Sie mir das mal auf ein Stück Papier schreiben, werde ich mir die Daten merken.« Ich hörte den Zahlmeister lachen; er sagte: »Der wird schon werden.«

»Gut, Groby«, sagte der Mann mit der Sonnenbrille jovial. »Alles in Ordnung. Hier sind Ihre Unterlagen und der Vertrag. Wir machen einen Abschöpfer aus Ihnen. Weitergehen.«

Ich ging weiter. Ein Mann vom Fabrikschutz nahm mir den Vertrag ab und brüllte: »Abschöpfer da entlang.« ›Da entlang‹ führte in das unterste Stockwerk in noch grelleres Licht, über einen Gang, vorbei an übelriechenden flachen Tanks und schließlich durch eine Tür in die Kernsäule des Gebäudes in einen hellerleuchteten Raum, der nach der dreifach reflektierten tropischen Sonne draußen in Dämmerlicht getaucht zu sein schien.

»Abschöpfer?« fragte ein Mann. Ich blinzelte und nickte ihm zu. »Ich bin Mullane – Verlader. Ich habe eine Frage, Groby.« Er sah sich meine Karte an. »Wir brauchen einen Abschöpfer im siebenundsechzigsten Stock, und wir brauchen einen Abschöpfer im einundvierzigsten Stock. Ihre Schlafstelle ist im dreiundvierzigsten Stock der Kernsäule. Wo möchten Sie lieber arbeiten? Ich muß noch hinzufügen, daß es für Abschöpfer und Mitglieder der Klasse 2 keine Aufzüge gibt.«

»Den Job im einundvierzigsten«, sagte ich und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu enträtseln.

»Das ist sehr vernünftig«, sagte er. »Sehr, sehr vernünftig.« Und dann stand er einfach da, die Zeit verstrich. Schließlich fügte er hinzu: »Ich hab’s gern, wenn ein vernünftiger Mensch vernünftig handelt.«

Wieder entstand eine lange Pause.

»Ich habe kein Geld bei mir«, sagte ich.

»Schon gut«, sagte er. »Ich leihe Ihnen was. Unterschreiben Sie hier, dann können wir die Sache am Zahltag regeln. Es ist ein einfacher Schuldschein über fünf Dollar.«

Ich las den Zettel durch und unterschrieb. Ich mußte erneut auf meine Karte blicken; ich hatte meinen Vornamen vergessen. Mullane kritzelte hastig ›41‹ und seine Anfangsbuchstaben unter den Schein und eilte davon, ohne mir die fünf Dollar zu leihen. Ich lief ihm nicht nach.

»Ich bin Mrs. Horrocks, verantwortlich für die Unterbringung«, sagte eine Frau mit sanfter Stimme. »Willkommen in der Chlorella-Familie, Mr. Groby. Ich hoffe, Sie werden viele glückliche Jahre bei uns verbringen. Und nun zur Arbeit. Mr. Mullane sagte Ihnen wohl schon, daß die Bande – ich meine die gegenwärtige Gruppe von Vertragsarbeitern – im dreiundvierzigsten Stock untergebracht wird. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß Sie in eine für Sie passende Gruppe von Kollegen kommen.«

Ihr Gesicht ließ mich an eine Tarantel denken, als sie fortfuhr: »Wir haben ein leeres Bett in Zimmer Sieben. Alles nette junge Männer. Vielleicht gefällt es Ihnen dort. Es ist so wichtig, daß man unter seinesgleichen ist.«

Ich begriff, worauf sie anspielte, und erwiderte, ich hätte kein Interesse an Zimmer Sieben.

Strahlend fuhr sie fort: »Dann haben wir noch Zimmer Zwölf. Eine ziemlich rohe Bande, fürchte ich, aber Bettler haben schließlich keine Wahl, nicht wahr? Die von Zimmer Zwölf würden sich freuen, wenn ein so netter junger Mann zu ihnen zöge. Und wie! Aber Sie können ja ein Messer oder ähnliches bei sich tragen. Soll ich Sie für Zimmer Zwölf eintragen, Mr. Groby?«

»Nein«, sagte ich. »Was haben Sie noch? Übrigens, könnten Sie mir vielleicht bis zum Zahltag fünf Dollar leihen?«

»Ich werde Sie für Zimmer Zehn buchen«, sagte sie und kritzelte etwas auf einen Block. »Natürlich kann ich Ihnen Geld leihen. Zehn Dollar? Sie brauchen nur zu unterschreiben und diesen Schuldschein mit Ihrem Fingerabdruck zu versehen, Mr. Groby. Vielen Dank.« Sie eilte davon, auf der Suche nach dem nächsten Neuling.

Ein rotgesichtiger Mann packte meine Hand und sagte: »Bruder, ich heiße dich willkommen in den Reihen der Vereinigten Schleimstoff Protein Arbeiter von Panamerika, Ortsgruppe Chlorella, Costa Rica. Diese Broschüre wird dich darüber informieren, wie die V. S. P. A. die Arbeiter auf dem Feld vor den zahllosen Gefahren und Unannehmlichkeiten schützt, die es in dieser Branche gibt. Dein Einstand und die Beiträge werden automatisch vom Lohn abgezogen, diese wertvolle Broschüre ist nicht einbegriffen.«

Ich fragte ihn: »Bruder, was kann mir schlimmstenfalls passieren, wenn ich sie nicht kaufe?«

»Man fällt hier ganz schön tief«, sagte er schlicht. Er lieh mir fünf Dollar, damit ich die Broschüre kaufen konnte.

Ich brauchte nicht zu Fuß in den einundvierzigsten Stock zu steigen, um zu Zimmer Zehn zu gelangen. Es gab zwar keinen Aufzug für Leute der Klasse 2, statt dessen aber ein ständig kreisendes Frachtnetz, von dem wir uns transportieren lassen konnten. Es war ein wenig gefährlich, auf- und abzuspringen, und die Luken waren recht klein. Wenn man seinen Hintern nicht schnell genug einzog, konnte man mit ziemlicher Sicherheit damit rechnen, daß er einem abrasiert wurde.

Der Schlafraum war vollgestopft mit etwa sechzig Kojen, jeweils drei übereinander. Die Produktion lief nur bei Tageslicht, es wurde nicht schichtweise geschlafen, jeder hatte also sein eigenes Bett. Meine Koje gehörte mir allein, vierundzwanzig Stunden am Tag. Tolle Sache.

Ein mißgelaunter alter Mann scheuerte nachlässig den Hauptgang, als ich ankam. »Ein Neuer?« fragte er und besah meine Papiere. »Da ist deine Koje. Ich bin Pine. Sorg hier für Ordnung. Weißt du, wie man schöpft?«

»Nein«, sagte ich. »Sagen Sie, Mr. Pine, wo kann man hier telefonieren?«

»Im Tagesraum«, sagte er und deutete mit dem Daumen in eine Richtung. Ich ging in den angrenzenden Tagesraum. Dort stand ein Telefon, und ein riesiger Hypnoteleapparat, außerdem lagen Bücher, Spulen und Zeitschriften aus. Ich knirschte mit den Zähnen, als mir »Taunton’s Weekly« vom Zeitungsstand entgegenschillerte. Zum Telefonieren brauchte ich natürlich Münzen.

Ich eilte zurück in den Schlafraum. »Mr. Pine«, sagte ich, »können Sie mir etwa zwanzig Dollar in Münzen leihen? Ich muß ein Ferngespräch führen.«

»Fünfundzwanzig für zwanzig?« fragte er gerissen.

»Gewiß. Wie Sie wollen.«

Umständlich schrieb er einen Schuldschein aus, ich unterzeichnete und versah ihn mit meinen Fingerabdrücken. Dann zählte er sorgfältig das Geld aus seinen ausgebeutelten Taschen ab. Ich wollte Kathy anrufen, wagte es jedoch nicht. Vielleicht war sie in ihrer Wohnung, vielleicht in der Klinik. Ich würde sie vermutlich nicht antreffen. Ich wählte die fünfzehnstellige Nummer der Fowler Schocken AG, nachdem ich einen klingelnden Strom von Münzen eingeworfen hatte. Ich wartete darauf, daß die Telefonzentrale sagen würde: »Fowler Schocken AG; guten Tag; für Fowler Schocken-Angestellte und ihre Kunden ist stets ein guter Tag. Was kann ich für Sie tun?«

Doch das hörte ich nicht. Aus dem Telefon erklang es vielmehr »Su número de prioridad, por favor?«

Dringlichkeitsnummer für Ferngespräche. Ich hatte keine. Eine Firma mußte mit mindestens einer Milliarde eingestuft sein und einen Haufen Geld zahlen, bevor sie eine vierstellige Dringlichkeitsnummer für Ferngespräche erhielt. Derart überlastet waren die Telefonleitungen der Welt, daß es für einen Privatmann ganz unmöglich war, eine Nummer zu bekommen. Das hatte mir natürlich nichts ausgemacht, solange ich meine Ferngespräche von der Firma aus, und zwar über die Dringlichkeitsnummer von Fowler Schocken, erledigen konnte. Eine Dringlichkeitsnummer gehörte offenbar zu jenen kleinen Luxusartikeln, auf die zu verzichten ich jetzt lernen mußte.

Ich legte langsam den Hörer auf. Die Münzen kamen nicht wieder heraus.

Ich kann ja schreiben, dachte ich. Ich konnte an Kathy und Jack O’Shea und Fowler und Collier und Hester und Tildy schreiben. Ich mußte alles versuchen. Liebe Frau (oder Chef): Hiermit teile ich Dir mit, daß Dein Mann (Ihr Angestellter), der nach Deinen Informationen tot ist, in Wirklichkeit lebt und auf rätselhafte Weise als Vertragsarbeiter für Chlorella in Costa Rica gelandet ist; bitte, laß alles liegen und stehen und hol ihn heraus. Gezeichnet, Dein Dich liebender Mann (oder Mitarbeiter) Mitchell Courtenay.

Aber da gab es die Fabrikzensur.

Entmutigt ging ich wieder in den Schlafraum. Allmählich füllte sich das Zimmer.

»Ein Neuer!« schrien sie, als sie mich sahen.

»Das Gericht ruft zur Ordnung!« trompetete ein anderer. Ich habe vergessen, was im einzelnen geschah. Es war Tradition, eine Unterbrechung der Monotonie, eine Möglichkeit, sich vor jemandem aufzuspielen, der noch schlechter dran war, als man selbst; etwas, das alle durchgemacht hatten. Ich nehme an, in Raum Sieben wäre es ein unvergeßliches, bösartiges Erlebnis gewesen, und in Zimmer Zwölf hätte ich vielleicht nicht überlebt. In Zimmer Zehn herrschte einfach Hochstimmung. Ich entrichtete meinen ›Tribut‹ – noch mehr Schuldscheine – und ließ die Prügel über mich ergehen, ich sprach den blasphemischen Eid nach und war dann ein wertvolles Mitglied des Schlafraumes.

Als die anderen zum Essen in den Speisesaal gingen, blieb ich in meiner Koje liegen und wünschte, ich wäre tot, so wie es der Rest der Welt glaubte.

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