4.

Ich nahm all meinen Mut zusammen und schritt forsch über den Korridor auf Fowler Schockens Büro zu. Ich brauchte eine Antwort, und er kannte sie vielleicht. Vielleicht warf er mich auch hinaus. Aber ich brauchte eine Antwort.

Ich räusperte mich, klopfte kurz an und betrat Fowlers Büro. »Es dauert nur eine Minute, Fowler«, sagte ich. »Ich möchte gern wissen, ob Sie’s bei Taunton mit Gewalt versucht haben.«

»Ich gehe immer hart ran«, sagte er augenzwinkernd, »hart, aber sauber.«

»Ich meine sehr, sehr hart und sehr, sehr schmutzig. Haben Sie vielleicht zufällig versucht, ein paar von seinen Leuten zu erschießen!«

»Mitch! Ich muß doch wirklich bitten!«

»Ich frage deshalb«, sagte ich hartnäckig, »Weil gestern abend, als ich nach Hause kam, ein Scharfschütze, der an einer Strickleiter von einem Hubschrauber herunterhing, mich kaltzumachen versuchte. Ich habe keine Ahnung, aus welcher Ecke das kommen könnte, wenn es keine Vergeltungsmaßnahme von Taunton ist.«

»Taunton können Sie von Ihrer Liste streichen«, sagte er bestimmt.

Ich holte tief Luft. »Fowler«, sagte ich »von Mann zu Mann: Man hat Sie nicht etwa informiert? Vielleicht liege ich falsch, aber ich muß fragen. Es geht nicht nur um mich, sondern auch um das Venusprojekt.«

In diesem Augenblick waren Fowlers Wangen nicht mehr rosig, und ich konnte seinen Augen ablesen, daß mein Posten und meine Starklasse-Position an einem seidenen Faden hingen.

Er sagte: »Mitch, ich habe Sie in die Starklasse aufsteigen lassen, weil ich glaubte, Sie würden mit der Verantwortung, die diese Stellung mit sich bringt, fertig werden. Es ist nicht nur die Arbeit. Ich weiß, daß Sie der gewachsen sind. Ich dachte auch, Sie könnten sich an das allgemeine Verhalten und die Arbeitsmethoden gewöhnen.«

»Fowler«, sagte ich außerordentlich kühn. »Sie wissen, daß ich mich nicht über das System beklage. Es funktioniert; darüber braucht man kein Wort zu verlieren. Ich weiß auch, daß wir die Fehden brauchen. Und es ist selbstverständlich, daß man sich nach dem Kodex richtet, wenn zum Beispiel Taunton eine Fehde gegen uns vom Zaun bricht. Ich weiß, daß Sie die Nachricht nicht in die Welt hinausposaunen könnten; jeder einzelne Angestellte hier im Laden würde in Deckung gehen anstatt zu arbeiten. Aber – das Venusprojekt ist in meinem Kopf, Fowler. Auf diese Weise komme ich besser voran. Wenn ich alles schriftlich mache, komme ich langsamer vorwärts.«

»Natürlich«, sagte er.

»Angenommen, Sie wären informiert worden, und angenommen, ich wäre der erste, den die Tauntonleute abschießen wollen – was geschähe dann mit dem Venusprojekt?«

»Das ist ein Argument«, gab er zu. »Ich werde Ihnen reinen Wein einschenken, Mitch. Ich bin nicht benachrichtigt worden.«

»Danke, Fowler«, sagte ich herzlich. »Man hat aber auf mich geschossen. Und dann dieser Unfall in Washington – vielleicht war es gar kein Unfall. Könnten Sie sich vorstellen, daß Taunton ohne Ankündigung etwas unternehmen würde?«

»Soweit habe ich sie eigentlich nicht provoziert, und sie würden derartiges nicht wagen. Es sind billige Kerle, Betrüger, aber sie kennen die Spielregeln. Wenn man während einer Industriefehde tötet, so ist das ein minderes Delikt. Tötet man jedoch ohne Ankündigung, dann ist das ein Handelsvergehen. Sie haben nicht zufällig im falschen Bett gelegen?«

»Nein«, sagte ich. »Mein Leben ist ziemlich eintönig. Das Ganze ist einfach verrückt. Es muß ein Irrtum gewesen sein. Immerhin bin ich froh, daß der Scharfschütze nicht schießen konnte.«

»Ich auch, Mitch, ich auch. Genug über Ihr Privatleben. Wir sind hier im Dienst. Haben Sie O’Shea schon gesprochen?« Er hatte die Schießerei bereits aus seinen Gedanken verbannt.

»Ja. Er kommt heute hierher. Er wird eng mit mir zusammenarbeiten.«

»Vorzüglich! Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen, bleibt ein Teil seines Ruhms an Fowler Schocken hängen. Knien Sie sich rein, Mitch. Wie, das brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen.« Damit war ich entlassen.

O’Shea wartete im Vorraum meines Büros. Er konnte sich nicht gerade beklagen; der größte Teil des weiblichen Personals hatte sich um ihn geschart und bewunderte ihn, wie er da auf dem Schreibtisch saß und barsch und autoritär daherredete. Der Ausdruck in den Augen der Damen war eindeutig. Er war ein Knirps, einen Meter groß, aber er besaß Geld und Ruhm, die beiden Dinge, die wir den Leuten als wichtig einbläuen. O’Shea hätte sich die besten aussuchen können. Ich fragte mich im stillen, wie viele er sich bereits ausgesucht hatte, seit er ruhmreich zur Erde zurückgekehrt war.

Bei uns im Büro geht es eigentlich recht straff zu, doch die Mädchen kicherten und schwatzten, bis ich mich räusperte. »Morgen, Mitch«, sagte O’Shea. »Den Schock überwunden?«

»Gewiß. Und sofort einen neuen erlitten. Jemand hat versucht, mich zu erschießen.« Ich erzählte ihm die Geschichte, und er brummte nachdenklich vor sich hin.

»Haben Sie schon mal daran gedacht, sich eine Leibwache zuzulegen?« erkundigte er sich.

»Natürlich. Ich tu’s aber nicht. Es muß ein Irrtum sein.«

»Wie die Sache mit dem Hubschrauber?«

Ich schwieg. »Jack, können wir bitte von etwas anderem sprechen? Sonst krieg’ ich es mit der Angst.«

»Genehmigt«, strahlte er. »Machen wir uns an die Arbeit – was liegt an?«

»Zuerst einmal Wörter. Wir wollen Wörter, die mit der Venus zusammenhängen, Wörter, die die Leute kitzeln. Sie von den Sesseln reißen. Sie veranlassen, sich einmal Gedanken zu machen, über Veränderung, Weltraum und dergleichen. Wörter, die sie ein wenig unzufrieden machen mit dem, was sie sind, und die andeuten, was sie sein könnten. Wörter, die ihnen das Gefühl vermitteln, edel zu sein, weil sie so fühlen, wie sie es tun. Wörter, die all dieses hervorrufen und die Leute obendrein glücklich machen, daß es Indiastries und Starrzelius Verily und die Fowler Schocken AG gibt. Wörter, die all dieses veranlassen und sie gleichzeitig unglücklich machen über die Existenz der Universal Produkte und Taunton AG.«

Er starrte mich mit offenem Munde an. »Sie scherzen«, brachte er schließlich heraus.

»Jetzt wissen Sie Bescheid«, sagte ich einfach. »So arbeiten wir. So haben wir auch Sie bearbeitet.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie tragen Kleider und Schuhe von Starrzelius Verily, Jack. Das bedeutet, daß wir Sie erreicht haben. Taunton und Universal haben Sie bearbeitet; Starrzelius und Schocken haben Sie bearbeitet. Sie haben sich für Starrzelius entschieden. Wir haben Sie erreicht. Leise, ohne daß Sie sich darüber klar wurden, was geschah, haben wir Sie davon überzeugt, daß Starrzeliuskleider und -schuhe schön sind, während Universalkleider und -schuhe häßlich sind.«

O’Shea lachte unsicher. »Und das alles haben Sie mit Worten gemacht?«

»Worte und Bilder. Sehen, hören, riechen, schmecken und fühlen. Und das wichtigste sind Worte. Lesen sie Gedichte?«

»Mein Gott, natürlich nicht; wer tut das denn schon?«

»Ich meine nicht den heutigen Kram; da haben Sie völlig recht. Ich meine Keats, Swinburne, Wylie – die großen Lyriker.«

»Die habe ich mal gelesen«, gestand er vorsichtig. »Was ist damit?«

»Ich wollte Sie bitten, den Vormittag und den Nachmittag mit einem der größten Lyriker der Welt zu verbringen: einem Mädchen namens Tildy Mathis. Sie weiß nicht, daß sie eine Dichterin ist; sie hält sich für die Chef-Texterin. Schenken Sie ihr keinen reinen Wein ein. Sie könnte unglücklich darüber sein. Vor dem großen Aufschwung der Werbung hätte sie Lyrik geschrieben. Der Zusammenhang ist klar. Die Werbung steigt im Kurs, Poesie fällt. Es gibt immer nur eine begrenzte Zahl von Menschen, die bewegende, rührende, klingende Worte aneinanderfügen können. Als es möglich wurde, sich mit dieser Fähigkeit in der Werbung einen guten Lebensunterhalt zu verdienen, überließ man die lyrische Poesie untalentierten Exzentrikern, die nach Aufmerksamkeit schrien und durch ihre Exzentrik auffallen wollten.«

»Warum erzählen Sie mir das alles?« fragte er.

»Ich sagte doch, Sie gehören jetzt zu den Eingeweihten, Jack. Macht bringt Verantwortung mit sich. In unserem Beruf erreichen wir die Seelen der Menschen. Wir bringen bestimmte Saiten zum Klingen – und funktionieren sie um. Niemand sollte mit Menschenleben spielen wie wir es tun, es sei denn, er wird von den höchsten Idealen geleitet.«

»Ich habe verstanden«, sagte er leise. »Machen Sie sich keine Sorgen wegen meiner Motive. Ich bin nicht wegen Geld oder Ruhm in die Sache eingestiegen. Ich möchte, daß die menschliche Rasse wieder ein wenig Ellbogenfreiheit und Würde erlangt.«

»Richtig«, sagte ich und setzte Gesichtsausdruck Nummer Eins auf. Innerlich jedoch war ich verwirrt. Das ›höchste Ideal‹, an das ich gedacht hatte, war der Verkauf.

Ich läutete nach Tildy. »Sprechen Sie mit ihr«, sagte ich. »Beantworten Sie ihre Fragen. Fragen Sie selbst. Machen Sie eine lange, freundliche Unterhaltung daraus. Teilen Sie ihr Ihre Erfahrungen mit. Ohne es zu wissen, wird sie lyrische Fragmente niederschreiben, die direkt in die Herzen und Seelen unserer Leser eindringen. Verheimlichen Sie ihr nichts.«

»Gewiß nicht. Hm, Mitch, wird sie mir etwas verheimlichen?«

Sein Gesichtsausdruck glich dem eines hoffnungsvollen jungen Satyrs.

»Nein«, versprach ich feierlich. Jedermann wußte über Tildy Bescheid.

An diesem Nachmittag rief Kathy zum erstenmal seit vier Wochen an.

»Ist etwas geschehen?« fragte ich schnell. »Kann ich etwas für dich tun?«

Sie kicherte. »Nein, es ist nichts passiert, Mitch. Ich wollte dir nur Guten Tag sagen und mich für den herrlichen Abend bedanken.«

»Wie war’s mit einer Wiederholung?« erkundigte ich mich prompt.

»Wäre es dir recht, bei mir zu Hause zu essen?«

»Aber sicher. Gern. Welche Farbe hat das Kleid, das du trägst? Ich werde dir eine richtige Blume schenken!«

»Oh, Mitch, du brauchst nicht gleich extravagant zu werden. Wir sind nicht in den Flitterwochen, und ich weiß bereits, daß du mehr Geld hast als der liebe Gott. Aber du sollst nicht mit leeren Händen kommen.«

»Nun?«

»Bring Jack O’Shea mit. Kannst du das einrichten? Ich weiß aus den Nachrichten, daß er heute morgen angekommen ist. Vermutlich arbeitet er mit dir zusammen.«

Sehr gedämpft erwiderte ich: »Ja, das stimmt. Ich will ihn fragen und rufe dann wieder an. Bist du in der Klinik?«

»Ja. Und vielen Dank. Ich möchte ihn wirklich gern kennenlernen.«

Ich rief O’Shea in Tildys Büro an.

»Haben Sie heute abend etwas vor?« fragte ich.

»Hm… könnte schon sein«, erwiderte er. O’Shea lernte Tildy offensichtlich gerade näher kennen.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ein ruhiges Abendessen mit meiner Frau und mir. Sie ist wunderschön, eine gute Köchin, eine erstklassige Chirurgin und eine ausgezeichnete Gesellschafterin.«

»Sie haben gewonnen.«

Ich rief also Kathy wieder an und teilte ihr mit, daß ich den Salonlöwen gegen sieben Uhr mitbringen würde.

Um sechs Uhr trat er brummend in mein Büro. »Also, das Abendessen muß schon besonders gut werden, Mitch. Ihre Miß Mathis gefällt mir. Ein einziger Rausch! Hat sie auch Verstand genug, gelegentlich wieder zu sich zu kommen?«

»Keine Ahnung«, sagte ich. »Aber Keats ließ sich von einer ränkevollen Dame angeln, und Byron hatte auch nicht genug Verstand, um die Finger von diesen Dingen zu lassen. Swinburne, verpfuschte tragischerweise sein Leben. Muß ich noch mehr aufzählen?«

»Bitte nicht. Was für eine Ehe führen Sie?«

»Eine vorläufige«, sagte ich ein wenig gequält.

Er hob die Augenbraue ein wenig. »Vielleicht hängt es mit meiner Erziehung zusammen, aber derartige Absprachen bringen mich immer zur Weißglut.«

»Mich auch«, sagte ich, »wenigstens in meinem Fall. Falls Tildy es Ihnen noch nicht erzählt hat, meine wunderschöne, talentierte Frau will die Ehe nicht für gültig erklären lassen, wir leben nicht zusammen, und wenn es mir nicht gelingt, innerhalb der nächsten vier Monate ihre Einstellung zu ändern, ist es vorbei.«

»Das hat Tildy mir nicht erzählt«, sagte er. »Das macht Ihnen ziemlich zu schaffen, scheint mir.«

»Ziemlich«, sagte ich. »Gehen wir, Jack. Es ist Zeit für einen Drink, anschließend fahren wir.«

Kathy hatte niemals hübscher ausgesehen, und ich wünschte, ich hatte mir nicht ausreden lassen, bei Gratier für das Gehalt einiger Tage einen Blumenstrauß zu kaufen.

Sie begrüßte O’Shea, und er sagte sofort: »Sie gefallen mir. Kurz, Sie mögen mich und ich mag Sie.«

Sie haben richtig vermutet: er war ein wenig betrunken. »Sie werden jetzt etwas Kaffee trinken, Mr. O’Shea«, sagte sie. »Ich habe mich ruiniert und echtes Schweinefleisch mit Apfelsauce beschafft; es wird Ihnen schmecken.«

»Kaffee?« sagte er. »Coffiest für mich, Madam. Wenn ich Kaffee tränke, so wäre das treulos gegenüber der großen Firma Fowler Schocken AG, mit der ich zusammenarbeite. Stimmt das nicht, Mitch?«

»Dieses eine Mal will ich Ihnen verzeihen«, sagte ich.

Der Kaffee wurde serviert und löschte O’Sheas milde Glut. Das Essen war fantastisch. Hinterher fühlten wir uns alle entspannter.

»Sie waren sicher schon auf dem Mond?« fragte Kathy O’Shea.

»Bisher nicht. Aber es wird dieser Tage geschehen.«

»Da oben ist überhaupt nichts los«, sagte ich. »Es ist glatte Zeitverschwendung. Eines unserer langweiligsten, inhaltslosesten Projekte. Ich nehme an, wir haben es nur der Erfahrungen wegen unternommen, im Hinblick auf die Venus. Ein paar Tausend Menschen im Bergbau – weiter nichts.«

»Entschuldigen Sie mich«, sagte O’Shea und zog sich zurück. Ich packte die Gelegenheit beim Schöpf. »Kathy, Liebste«, sagte ich. »Es war sehr lieb von dir, mich einzuladen. Hat das etwas zu bedeuten?«

Sie rieb Daumen und Zeigefinger der rechten Hand aneinander, und ich wußte, daß sie lügen würde. »Vielleicht, Mitch«, sagte sie freundlich. »Du mußt mir Zeit lassen.«

Ich verriet meine Geheimwaffe. »Du lügst«, sagte ich aufgebracht. »Das tust du immer, bevor du mich anlügst – ich weiß nicht, wie es bei anderen Leuten ist.« Ich zeigte es ihr, und sie lachte kurz auf.

»Fair ist fair«, sagte sie bitter. »Du hältst immer den Atem an und schaust mir direkt in die Augen, wenn du mich belügst – ich weiß nicht, wie es bei deinen Kunden und Kollegen ist.«

O’Shea kehrte zurück und spürte die Spannung sofort. »Ich sollte jetzt lieber gehen«, sagte er. »Mitch, gehen wir zusammen?« Kathy nickte und ich sagte: »Ja.«

An der Tür wurden die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht, und Kathy gab mir einen Gutenachtkuß. Es war ein langer, warmer, zärtlicher Kuß; alles in allem von jener Sorte, mit der ein Abend beginnen und nicht enden sollte. Ihr Puls ging schneller – ich spürte es! – aber kühl schloß sie hinter uns die Tür.

»Haben Sie noch einmal über eine Leibwache nachgedacht?« fragte O’Shea.

»Es war ein Irrtum«, beharrte ich dickköpfig.

»Gehen wir noch auf einen Drink zu Ihnen«, sagte er geschickt. Die Situation war fast rührend. Der winzige Jack O’Shea beschützte mich. »Gewiß«, sagte ich. Wir fuhren zu mir. Er betrat mein Zimmer zuerst und drehte das Licht an. Nichts geschah. Während er einen sehr schwachen Whisky mit Soda schlürfte, ging er durch meine Wohnung, untersuchte Fensterverschlüsse, Türangeln und ähnliches. »Dieser Sessel würde sich da drüben besser machen«, sagte er. Natürlich, dort war er nämlich aus der Feuerlinie. Ich schob ihn beiseite.

»Passen Sie auf sich auf, Mitch«, sagte er, als er ging.

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