11.

»… erwacht in wenigen Minuten«, hörte ich jemanden sagen. »Ist er bereit für Hedy?«

»Du lieber Himmel, nein!«

»Ich hab’ ja nur gefragt.«

»Das sollten Sie eigentlich besser wissen. Zuerst gebt ihr ihm Amphetamin, Plasma und vielleicht noch eine Megaeinheit Nikotin. Dann soll er für Hedy bereit sein. Sie kann es nicht leiden, wenn die Leute immerzu in Ohnmacht fallen. Sie bekommt davon schlechte Laune.«

Ein nervöses Gelächter erklang.

Ich öffnete die Augen und sagte: »Gott sei Dank!« Denn ich erblickte eine graue Decke, genau in dem Farbton, den man nur im ›Grübelzimmer‹ einer Werbeagentur findet. Ich war sicher in den Armen der Fowler Schocken AG – oder etwa nicht? Ich konnte das Gesicht, das sich über mich beugte, nicht erkennen.

»Warum denn so erfreut, Courtenay?« erkundigte sich das Gesicht. »Wissen Sie nicht, wo Sie sind?«

Jetzt war es leicht zu erraten. »Bei Taunton!« krächzte ich.

Ich merkte, daß meine Arme und Beine mir nicht gehorchten. Ich wußte nicht, ob das an Drogen lag oder an einer Plastikhülle. »Hören Sie«, sagte ich mit fester Stimme, »ich weiß zwar nicht, was Sie vorhaben, aber ich rate Ihnen, dieses Spiel, einzustellen. Offenbar ist dies eine Entführung aus geschäftlichen Gründen. Sie lassen mich entweder frei oder töten mich. Wenn Sie mich ohne Ankündigung töten, ist Ihnen das Cerebrin sicher. Sie werden mich also nicht umbringen. Sie müssen mich letztlich doch laufen lassen, ich schlage also vor, Sie tun es gleich.«

»Sie töten, Courtenay?« fragte das Gesicht mit gespieltem Erstaunen. »Wie sollten wir das wohl anstellen? Sie sind doch schon tot. Jeder weiß das. Sie sind auf dem Starrzelius-Gletscher erfroren, erinnern Sie sich nicht?«

Ich versuchte erneut, mich zu befreien, ohne Erfolg. »Man wird Ihnen das Gehirn ausbrennen«, sagte ich.

Das Gesicht sagte überheblich: »Sie werden überrascht sein.« Und zu einem Danebenstehenden: »Sag Hedy, daß er bald soweit ist.« Jemand hantierte an mir herum, es klickte, und dann half man mir, mich aufzurichten. Das Ziehen an meinen Gelenken bedeutete, daß ich in einer Plastikhülle steckte, und daß ich meine Kräfte sparen konnte. Es war sinnlos, zu versuchen, da herauszukommen.

Ein Summton erklang, und man sagte mir barsch: »Verhalten Sie sich respektvoll, Courtenay. Mr. Taunton kommt.«

B. J. Taunton torkelte betrunken ins Zimmer. Er sah genau so aus, wie ich ihn auf Hunderten von Veranstaltungen erlebt hatte: blühend, beleibt, zu gut angezogen – und betrunken.

Er musterte mich mit gespreizten Beinen. »Courtenay«, sagte er. »Pech gehabt. Aus Ihnen hätte wirklich etwas werden können, wenn Sie sich nicht mit diesem verlogenen Schweinehund Schocken zusammengetan hätten.«

»Sir«, sagte ich beherrscht, »es muß sich um ein Mißverständnis handeln. Niemand hat Taunton zu einem kommerziellen Mord provoziert… oder?«

»Nein«, sagte er mit schwerer Zunge. »Jedenfalls nicht in juristischem Sinn. Dieser Bastard Schocken hat mir nur meine Grundlage gestohlen, meine Senatoren abgeworben, meine Zeugen bestochen und die Venus gestohlen!« Seine Stimme mündete in einen abrupten Schrei. Normal fuhr er fort: »Nein, keine Provokation. Er hat sich zurückgehalten und keinen meiner Leute umgebracht – der gerissene Schocken – der ethische Schocken – der verfluchte Schocken!« brüllte er.

Er starrte mich aus glasigen Augen an, »Sie Bastard!« sagte er. »Von allen niedrigen, gemeinen, lausigen, ehrlosen billigen Tricks, die man mir je gespielt hat, war Ihrer der mieseste. Ich…« Er deutete mit dem Daumen auf seine Brust und gefährdete vorübergehend sein Gleichgewicht, »ich habe eine Möglichkeit gefunden, wie man einen kommerziellen Mord begehen kann, ohne ein Risiko einzugehen, und Sie haben sich so saudumm wie eine verängstigte gelbe Ratte verhalten. Sie sind gerannt wie ein Hase.«

»Sir«, sagte ich verzweifelt. »Ich bin sicher, Sie wissen nicht, was Sie tun.« Das jahrelange Trinken, schoß es mir durch den Sinn, hat ihn nun doch noch ruiniert. Das, was er sagte, konnte nur dem Gehirn eines Irren entspringen.

Unbedacht setzte er sich; einer seiner Männer konnte in letzter Sekunde einen Sessel unter seinen gedrungenen Körper schieben. Mit weitausholender Geste sagte B. J. Taunton zu mir: »Courtenay, eigentlich bin ich ein Künstler. Ich träume Träume. Ich webe Visionen.« Ich hatte das unwirkliche Gefühl, doppelt zu sehen. Mir war, als sähe ich Fowler Schocken hier sitzen und nicht seinen Rivalen, den Mann, der das absolute Gegenteil von Fowler Schocken verkörperte. »Ich wollte die Venus haben, Courtenay, und ich werde sie bekommen. Schocken hat sie mir gestohlen, aber ich werde sie wieder in meinen Besitz bringen. Die Art und Weise, wie Fowler Schocken das Venusprojekt handhabt, stinkt zum Himmel. Keine Rakete unter Schockens Regie wird jemals die Erde verlassen, und wenn ich jeden seiner Arbeiter einzeln besteche und die Abteilungsleiter umbringen muß. Denn eigentlich bin ich ein Künstler.«

»Mr. Taunton«, sagte ich mit fester Stimme, »sie können Abteilungsleiter nicht so ohne weiteres umbringen. Man wird Ihnen das Gehirn ausbrennen. Man wird Ihnen Cerebrin geben. Sie werden niemanden finden, der das Risiko auf sich nimmt. Niemand möchte zwanzig Jahre in der Hölle verbringen.«

Er sagte träumerisch: »Ich habe einen Mechaniker gefunden, der die Frachtkabine des Hubschraubers auf Sie geworfen hat, nicht wahr? Ich habe einen Kerl, der keine Beschäftigung fand, dazu gebracht, durch Ihr Fenster zu schießen, oder nicht. Leider haben beide ihr Ziel verfehlt. Und dann haben Sie unsere Pläne durchkreuzt mit Ihrer feigen Flucht auf dem Gletscher.«

Ich erwiderte nichts. Die Flucht vom Gletscher war nicht meine Idee gewesen. Gott allein wußte, wer veranlaßt hatte, daß Runstead mich niederschlug, verschleppte und eine Ersatzleiche an Ort und Stelle hinterließ.

»Beinahe wären Sie entkommen«, sagte Taunton. »Wenn ich nicht ein paar einfache, loyale Diener gehabt hätte – einen Taxichauffeur, ein paar andere – wir hätten Sie niemals zurückbekommen. Aber ich habe meine Werkzeuge, Courtenay. Sie könnten besser sein, sie könnten aber auch schlechter sein; es ist mein Schicksal, Träume zu träumen und Visionen zu weben. Die Größe eines Künstlers ist seine Schlichtheit, Courtenay. Sie sagen: ›Niemand will sich das Gehirn ausbrennen lassen.‹ Das sagen Sie, weil Sie nur mittelmäßig sind. Ich aber sage: Man suche sich jemanden, der sich das Gehirn ausbrennen lassen möchte, und benutze ihn als Werkzeug. Und das sage ich, weil ich einer der Großen bin.«

»… jemanden, der sich das Gehirn ausbrennen lassen möchte«, wiederholte ich benommen. »Der sich das Gehirn ausbrennen lassen möchte.«

»Erklären Sie es ihm«, sagte Taunton zu einem Assistenten. »Ich will ihn gründlich davon überzeugen, daß wir es ernst meinen.« Einer der Männer sagte sachlich: »Es ist eine Frage der Bevölkerung, Courtenay. Haben Sie jemals von Albert Fish gehört?«

»Nein.«

»Er war ein Phänomen der Frühzeit; in den ersten Anfängen des Zeitalters der Vernunft – so etwa um 1920. Albert Fish stach sich Nadeln in den Leib, brachte sich mit alkoholgetränkten Wattebäuschen Verbrennungen bei, peitschte sich – das gefiel ihm. Ich wette, ihm hätte auch Gehirnausbrennen gefallen. Es wären für ihn zwanzig köstliche Jahre voller Schmerzen, Würgen, Ersticken und Ekel gewesen. Ein Traum wäre für Albert Fish Wirklichkeit geworden.

Damals gab es nur einen Albert Fish. Ungewöhnliche Belastungen und Leistungsdruck sind nötig, um einen Albert Fish hervorzubringen. Es wäre unrealistisch, zu erwarten, die kleine, zerstreut lebende Bevölkerung jener Zeit – es waren weniger als drei Milliarden – hätte mehr als einen Albert Fish produzieren können. Bei der heutigen weitaus größeren Bevölkerung gibt es viele Leute vom Schlage des Albert Fish unter uns. Man muß sie nur finden. Mit unseren einmaligen Forschungsmöglichkeiten hier bei Taunton haben wir einige aufgespürt. Man findet sie in Kliniken, manchmal in unglaublichem Zustand. Sie sind willige potentielle Mörder; sie lechzen nach der Wonne der Bestrafung. Ein Mann wie Sie behauptet, wir könnten keine Mörder dingen, weil die Menschen Angst vor der Strafe haben. Mr. Taunton aber sagt, wir können durchaus einen Mörder dingen, wenn wir jemanden finden, dem es gefällt, bestraft zu werden. Und das Beste an der Sache ist, daß Menschen, die gern Schmerzen erleiden, auch anderen gern Schmerzen bereiten. Zum Beispiel – Ihnen.«

Mir stockte das Blut in den Adern.

»Haben Sie das Prinzip begriffen?« fragte Taunton. »Sehen Sie den Zusammenhang? Das Thema? Die Botschaft? Es läuft alles darauf hinaus, daß ich die Venus wieder in meinen Besitz bringen werde. Jetzt wollen wir von vorn beginnen. Erzählen Sie ein bißchen von der Schocken Agentur. All die kleinen Geheimnisse, all die kleinen Schwächen, Eingänge, Ausgänge, die bestechlichen Angestellten, Finanzen, Kontakte in Washington – Sie wissen schon.«

Ich war ein toter Mann und hätte ohnehin nichts mehr zu verlieren, dachte ich, »Nein«, sagte ich.

Einer von Tauntons Leuten sagte unvermittelt: »Er ist bereit für Hedy«, stand auf und ging hinaus.

Taunton sagte: »Sie haben Frühgeschichte studiert, Courtenay. Sie erinnern sich vielleicht an Gilles de Rais.« Ich erinnerte mich und verspürte ein Prickeln auf der Kopfhaut, so als trüge ich einen langsam schrumpfenden Helm. »In der frühgeschichtlichen Zeit leben, alle Generationen zusammengenommen, insgesamt schätzungsweise fünf Milliarden Menschen«, sagte Taunton. »Sie alle brachten nur einen einzigen Gilles de Rais hervor, im Volksmund auch Blaubart genannt. Heute steht uns von diesem Typ eine ganze Auswahl zur Verfügung. Von all den Leuten, die mir für diese spezielle Aufgabe geeignet schienen, habe ich Hedy auserwählt. Sie werden sehen, warum.«

Die Tür öffnete sich und ein bleiches, offenbar drüsenkrankes Mädchen mit dünnem blonden Haar erschien. Sie hatte ein albernes Grinsen auf dem Gesicht; die Lippen waren schmal und blutleer. In einer Hand trug sie eine fünfzehn Zentimeter lange Nadel mit einem Plastikgriff.

Ich blickte in ihre Augen und begann zu schreien. Ich kam erst wieder zu mir, nachdem man sie rausgebracht und die Tür wieder geschlossen hatte; ich war völlig fertig.

»Taunton«, flüsterte ich schließlich. »Bitte…«

Er beugte sich herablassend vor und sagte: »Heraus damit.«

Ich versuchte zu sprechen, brachte jedoch kein einziges Wort heraus. Meine Stimme gehorchte mir nicht, mein Gedächtnis ließ mich im Stich. Ich konnte mich zum Beispiel nicht erinnern, ob meine Firma Fowler Schocken hieß oder Schocken Fowler.

Taunton gab es schließlich auf und sagte: »Wir legen Sie eine Weile auf Eis, Courtenay, damit Sie wieder zu sich kommen. Ich könnte auch einen Drink vertragen.« Er schüttelte sich unwillkürlich, dann strahlte er wieder. »Schlafen Sie mal drüber«, riet er mir und ging schwankend aus dem Zimmer.

Zwei seiner Leute schoben mich aus dem Arbeitsraum über einen Korridor durch eine sehr solide Tür in ein winziges leeres Zimmer. Es war offenbar Nacht. In den Büros, an denen wir vorbeikamen, rührte sich nichts; die Lichter brannten schwach, und ein einsamer Wächter gähnte hinter seinem Schreibtisch. Ich fragte unsicher: »Nehmen Sie mir die Plastikhülle ab? Sonst bleibt von mir nicht mehr viel übrig.«

»Ist nicht befohlen worden«, sagte einer der Männer kurz; sie warfen die stabile Tür zu und schlossen ab.

Mitchell Courtenay, Texter. Mitchell Courtenay, Schlüsselfigur der Venusabteilung. Mitchell Courtenay, zukünftiger Vernichter der Natschus. Dieser Mitchell Courtenay wälzte sich auf dem Fußboden der miesesten, übelsten Agentur, die es jemals in unserer Branche gegeben hat; bar jeder Hoffnung, verraten und verloren; das Beste, was ihm noch passieren könnte, wäre ein schneller Tod.

Kathy wenigstens würde niemals etwas davon erfahren. Sie würde glauben, ich sei wie ein Narr auf dem Gletscher gestorben, hätte an der Funkanlage herumgespielt…

Jemand rüttelte am Türschloß. Sie wollten mich holen. Als sich aber die Tür öffnete erblickte ich vom Boden aus nicht, wie erwartet, einen Wald von Männerbeinen; sondern nur zwei streichholzdünne Fußgelenke in Nylonstrümpfen.

»Ich liebe dich«, sagte eine fremde, tote Frauenstimme. »Ich habe zwar Befehl noch zu warten, aber ich kann nicht mehr warten.« Das war Hedy. Sie hatte ihre Nadel mitgebracht. Ich versuchte, um Hilfe zu rufen, aber meine Brust war wie gelähmt, als sie mit glitzernden Augen neben mir niederkniete. Die Zimmertemperatur schien um zehn Grad zu sinken. Sie preßte ihre blutlosen Lippen auf meinen Mund, sie waren wie glühendes Eisen, und dann glaubte ich, meine linke Gesichts- und Kopfhälfte werde abgerissen. Das dauerte einige Sekunden, und dann ging alles in einem roten Nebel und in Bewußtlosigkeit unter. »Wach auf«, sagte die tote Stimme. »Ich will dich besitzen. Wach auf.« Mein rechter Ellenbogen brannte wie Feuer; ich kam zu mir und warf meinen Arm herum. Mein Arm bewegte sich – er bewegte sich wirklich.

Die blutlosen Lippen neigten sich wieder zu mir herab, erneut rammte sie die Nadel in meinen Kiefer, wahrscheinlich suchte sie den Trigeminusnerv. Sie fand ihn. Ich kämpfte gegen den roten Nebel, der mich wieder zu verschlingen drohte. Mein Arm hatte sich bewegt. Sie hatte die Membrane des Plastikkokons durchlöchert und ich konnte ihn zerreißen. Die Nadel suchte erneut, diesmal zog der Schmerz bis in meinen rechten Arm. Mit einem heftigen Ruck war ich frei.

Ich glaube, ich packte ihren Hals und drückte zu. Ich bin nicht sicher. Ich will es nicht genau wissen. Aber nach fünf Minuten spielten sie und ihre Liebe keine Rolle mehr. Ich zerriß den Kunststoff und befreite mich, dann stand ich vorsichtig auf und stöhnte vor Steifheit und Schmerz.

Die Wache im Flur konnte kein Hindernis mehr sein. Wenn der Mann auf meine Schreie nicht reagiert hatte, würde er nie mehr kommen. Ich verließ den Raum und fand den Wächter scheinbar schlafend an seinem Schreibtisch. Ich beugte mich über ihn und entdeckte ein kleines Rinnsal von einem Gemisch aus etwas Blut und Serum an seinem faltigen, alten Nacken. Ein einziger Stich ins Rückenmark hatte Hedy genügt. Ich konnte bezeugen, daß ihre Kenntnis des Nervensystems vollkommen war.

Der Wächter trug eine Waffe. Einen Augenblick zögerte ich, verwarf den Gedanken wieder. In seinen Taschen fand ich ein paar Dollar, die würden nützlicher sein. Ich eilte zur Treppe. Die Schreibtischuhr zeigte sechs Uhr fünf an.

Meine Lektion im Treppenhinaufsteigen hatte ich bereits hinter mir; jetzt lernte ich, wie man Treppen hinuntersteigt. Wenn mit dem Herzen alles in Ordnung ist, macht es kaum einen Unterschied aus. Bei meiner Verfassung brauchte ich etwa dreißig Minuten, bis ich die oberen Stockwerke der leitenden Angestellten hinter mir hatte und wieder unten auf den belebten Treppen war. Die ersten Verbraucher befanden sich bereits auf dem Weg zur Arbeit. Ich überstand ein Dutzend erbitterter Faustkämpfe und trug einen Messerstich davon. Die Leute, die im Taunton-Gebäude übernachteten, waren eine primitive, schmutzige Bande, die das Schocken-Hochhaus niemals hätte betreten dürfen, augenblicklich aber hatte das auch seine Vorteile. Ich erregt in meinen schmutzigen Kleidern und mit der frischen Wunde im Gesicht kein Aufsehen. Einige unverheiratete Mädchen pfiffen mir sogar nach, aber das war auch alles. Die Leute in den alten, heruntergekommenen Slumgebäuden wie R. C. A. und Empire State hätten mich fertiggemacht, wenn ich ihnen unter die Augen gekommen wäre.

Ich hatte Glück. Ich verließ die Halle in einer dichten Menge, die sich brodelnd durch die Türen wälzte und auf die Bahn zusteuerte, die sie zu ihren scheußlichen Arbeitsplätzen bringen würde. Es kam mir vor, als suchten Männer in Zivilkleidern aus den Fenstern des zweiten Stockwerks die Menge ab, ich schaute jedoch nicht hinauf und gelangte unbehelligt zur Bahnstation.

Am Wechselschalter wechselte ich die Banknoten und betrat den Waschraum. »Wollen wir uns eine Dusche teilen?« fragte mich jemand. Ich wollte auf jeden Fall unter die Dusche und wäre gern ein wenig allein gewesen, aber ich fürchtete, mich durch vornehme Allüren zu verraten. Die Frau und ich warfen unsere Münzen zusammen für fünf Minuten Salzwasser und dreißig Sekunden Frischwasser mit Seife. Ich stellte fest, daß ich wieder und wieder meine rechte Hand schrubbte. Ich merkte, daß meine linke Gesichtshälfte noch immer unerträglich schmerzte, wenn sie mit kaltem Wasser in Berührung kam.

Nach dem Duschen zwängte ich mich in die Bahn und fuhr zwei Stunden kreuz und quer unter der Stadt hin und her. Schließlich stieg ich am Times Square, mitten im Herzen des Marktviertels aus. Es war hauptsächlich eine Frachtstation. Während fluchende Verbraucher Proteinkisten für verschiedene Stadtteile auf die Förderbänder schleppten, versuchte ich erneut, Kathy zu erreichen. Wieder ging niemand ans Telefon.

Ich erreichte Hester im Schocken-Hochhaus und sagte ihr: »Ich möchte, daß Sie jeden Cent, den Sie kriegen können, zusammenraffen, leihen Sie Geld, nehmen Sie Ihre Ersparnisse, kaufen Sie mir eine Starrzelius-Ausrüstung, und kommen Sie so schnell wie möglich dorthin, wo Ihre Mutter sich vor zwei Jahren das Bein brach. Genau an die Stelle, erinnern Sie sich.«

»Mitch«, sagte sie. »Ja, ich erinnere mich. Aber mein Vertrag…«

»Wollen Sie, daß ich erst lange bitte, Hester?« drängte ich. »Vertrauen Sie mir. Ich helfe Ihnen später. Um Himmels willen, beeilen Sie sich. Und – sollte ich bereits festgenommen sein, wenn Sie ankommen, dann kennen Sie mich nicht. Und jetzt los.«

Ich legte auf und versuchte mich in der Telefonzelle etwas auszuruhen, bis der Nächste ungeduldig gegen die Tür hämmerte. Langsam trat ich auf den Bahnsteig, trank Coffiest, aß ein Käsebrot und lieh mir am Stand eine Zeitung. Meine Geschichte war ein langweiliger kurzer Artikel auf Seite drei, der vorletzten also: GESUCHT WEGEN HV & FRAUENMORD. Es stand darin zu lesen, George Groby sei nicht an seinen Arbeitsplatz bei der Chlorella-Gesellschaft zurückgekehrt; er habe seine Freizeit dazu benutzt, ins Angestelltenterritorium des Tauntongebäudes einzubrechen; sei dabei von einer Sekretärin überrascht worden, habe sie ermordet, und sei dann geflohen.

Hester erschien eine halbe Stunde später an der Laderampe, von der vor zwei Jahren eine Kiste heruntergerutscht war und ihrer Mutter das Bein gebrochen hatte. Sie machte einen sehr verängstigten Eindruck; sie hatte sich ebenso des Vertragsbruchs schuldig gemacht wie ›George Groby.‹ Ich nahm ihr die Schachtel mit der Kleidung ab und fragte:

»Haben Sie noch fünfzehnhundert Dollar übrig?«

»Ja, ungefähr. Meine Mutter war außer sich…«

»Reservieren Sie uns Plätze auf der nächsten Mondfähre; wenn möglich noch heute. Wir treffen uns hier wieder; ich trage dann die neuen Kleider.«

»Wir? Zum Mond?« brachte sie mühsam hervor.

»Ja, wir. Ich muß weg von der Erde, bevor man mich umbringt. Denn diesmal wird es endgültig sein.«

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