18.

Ohne Runstead hätte ich es nie geschafft – jedenfalls nicht rechtzeitig. Er kam sofort von Chi zurück, dort hielt er sich seit seinem vorgetäuschten Selbstmord versteckt; Kathy hatte ihm eine Geheimbotschaft geschickt. Er platzte mitten in eine Konferenz herein; wir schüttelten einander die Hand, und die Anwesenden schluckten die Geschichte von einem Geheimauftrag, der sein Verschwinden erklären sollte, ohne weiteres.

Sie hatten es schließlich schon einmal geglaubt. Er wußte, worum es ging; er stürzte sich förmlich auf seine Arbeit.

Natschu oder nicht, ich traute Runstead noch immer nicht über den Weg. Aber ich mußte zugeben, daß die Dinge vorankamen. Die Fowler Schocken AG hatte einen gigantischen Slogan-Wettbewerb für alle Kunden ausgeschrieben. Fünfzehnhundert erste Preise – jeweils ein Platz in der Venusrakete. Insgesamt gab es achthunderttausend Preise, aber die übrigen waren unwichtig. Die Auslosung wurde einer neutralen Firma übertragen, der zufällig der Schwager eines Freundes von Runstead vorstand. Nur vierzehnhundert Gewinner waren laut Matt tatsächlich Mitglieder der Natschu-Bewegung. Die übrigen hundert waren erfundene Namen, so blieb uns Spielraum für eventuelle Notfälle.

Ich flog mit Kathy nach Washington, um die letzten Vorbereitungen für den Raketenstart zu treffen, während Runstead sich in New York um die Dinge kümmerte. Ich war oft genug zu einem Essen oder für einen Nachmittag in Washington gewesen, diesmal jedoch wollten wir zwei Tage bleiben: ich freute mich wie ein Kind. Ich setzte Kathy im Hotel ab, und sie mußte mir versprechen, nicht ohne mich loszugehen, um sich die Stadt anzuschauen; dann nahm ich ein Taxi zum State-Department. Ein mürrischer kleiner Mann mit einem Bowler wartete im Vorzimmer; als er meinen Namen hörte, erhob er sich hastig und bot mir seinen Platz an. Das ist was anderes als die Zeit bei Chlorella, Mitch, sagte ich mir. Unser Attaché kam aufgeregt herbeigeeilt und begrüßte mich; ich beruhigte ihn und erklärte, was ich wollte.

»Die einfachste Sache der Welt, Mr. Courtenay«, versicherte er mir. »Noch heute nachmittag passiert das Ermächtigungsgesetz den Ausschuß, und mit etwas Glück erteilen heute abend beide Häuser ihre Zustimmung.«

»Großartig«, sagte ich. »Brauchen Sie Rückendeckung?«

»Oh, nein, das glaube ich nicht, Mr. Courtenay. Es wäre aber vielleicht ganz nett, wenn Sie morgen früh eine kurze Ansprache hielten, falls Sie Zeit dafür erübrigen können. Man würde es gern von Ihnen selbst hören, und es würde eine schnellere Abwicklung der Angelegenheit sicher begünstigen.«

»Ja, gern«, erwiderte ich und griff nach meiner Tasche. Der Mann mit dem Bowler kam mir zuvor und reichte sie mir mit einer kleinen Verbeugung. »Setzen Sie eine Zeit fest, Abels«, sagte ich zum Attaché. »Ich werde kommen.«

»Vielen Dank, Mr. Courtenay!« Er öffnete mir die Tür. Der kleine Mann sagte fragend:

»Mr. Abels?«

Der Gesandte schüttelte den Kopf. »Sie sehen doch, daß ich beschäftigt bin«, sagte er, nicht unfreundlich. »Kommen Sie morgen wieder.«

Der kleine Mann lächelte dankbar und folgte mir durch die Tür. Wir warteten beide auf ein Taxi, als eins kam, öffnete er mir die Tür. Sie wissen ja, wie es in Washington um Taxis bestellt ist. »Kann ich Sie irgendwo absetzen?« fragte ich. »Das ist sehr nett von Ihnen«, erwiderte er und stieg ein. Der Fahrer lehnte sich zurück und sah uns fragend an.

Ich sagte: »Ich will zum Park Starr. Aber diesen Herrn setzen wir vorher ab.«

»Gewiß«, nickte der Fahrer. »Zum Weißen Haus, Herr Präsident?«

»Ja, bitte«, erwiderte der kleine Mann. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, daß ich Sie getroffen habe, Mr. Courtenay«, fuhr er fort. »Ich habe, wie Sie wissen, Ihre Unterhaltung mit Mr. Abels mitangehört. Es war sehr interessant zu erfahren, daß die Venusrakete so dicht vor ihrer Vollendung steht. Der Kongreß ist von seiner Gewohnheit abgegangen, mich auf dem laufenden zu halten. Ich weiß natürlich, daß die Untersuchungen und Vorarbeiten laufen. Aber…« Er lächelte. Spitzbübisch sagte er: »Ich habe auch an Ihrem Wettbewerb teilgenommen, Mr. Courtenay. Mein Slogan war: ›Die Starr, die Starr, die schmeckt so wunderbar‹. Ich glaube allerdings nicht, daß ich hätte mitfliegen können, selbst wenn ich gewonnen hätte.« Ich sagte aufrichtig: »Ich glaube auch, das wäre nicht möglich gewesen.« Und ein bißchen weniger aufrichtig: »Außerdem haben Sie hier unten ja ziemlich viel zu tun.«

»Ach, eigentlich nicht. Der Januar ist nicht leicht; ich berufe den Kongreß ein, wissen Sie, und dann verliest man den Bericht zur Lage der Nation. Aber der Rest des Jahres vergeht langsam. Wollen Sie morgen wirklich vor dem Kongreß eine Rede halten, Mr. Courtenay? Das würde bedeuten, daß man eine Hauptversammlung abhält, und normalerweise lädt man mich dazu ein.«

»Ich würde mich freuen, wenn Sie kämen«, sagte ich herzlich. Der kleine Mann schenkte mir ein warmes Lächeln und blinzelte hinter seiner Brille. Das Taxi hielt an, der Präsident schüttelte mir herzlich die Hand und stieg aus. Er steckte den Kopf noch einmal durch die Tür. »Hm«, sagte er und schaute besorgt zum Fahrer. »Sie waren sehr nett. Vielleicht verstoße ich jetzt ein wenig gegen die Regel, aber falls ich einen Vorschlag machen dürfte – ich verstehe etwas von Astronomie, das ist eine Art Hobby von mir; ich hoffe, Sie verzögern den Start des Raumschiffes nicht; er sollte während der gegenwärtigen Konjunktion stattfinden.«

Ich starrte ihn an. Die Venus befand sich in einer Gegenstellung von zehn Grad und entfernte sich – das spielte allerdings keine Rolle, weil der größte Teil des Flugs ohne Energie stattfinden würde.

Er legte den Finger an die Lippen. »Auf Wiedersehen, Sir«, sagte er. Ich starrte die restliche Fahrt auf die behaarten Ohren des Fahrers und überlegte, worauf der kleine Mann angespielt hatte.

Abends schauten Kathy und ich uns die Stadt an. Ich war nicht allzusehr beeindruckt. Die berühmte Kirschblüte war herrlich, das stimmte schon, aber für meine neu erwachten Naturschutzgefühle war sie doch zu prunkvoll. »Ein Dutzend hätte gereicht«, wandte ich ein. »Daß man sie hier überall auf Vasen verteilt hat, war eine Verschwendung der Steuergelder. Weißt du, was sie bei Tiffany kosten?«

Kathy kicherte. »Mitch, Mitch«, sagte sie. »Warte nur, bis wir die Venus übernommen haben. Hast du dir jemals überlegt, was es bedeutet, wenn einem ein ganzer Planet zur Verfügung steht und man ihn bepflanzen kann? Viele Morgen voller Blumen, Bäume und allem möglichen?«

Ein untersetzter Schullehrertyp, der neben uns am Geländer lehnte, richtete sich auf, warf uns einen starren Blick zu, schnaufte empört und ging fort. »Du bringst uns in Verruf«, sagte ich zu Kathy. »Laß uns ins Hotel zurückgehen, bevor wir Schwierigkeiten bekommen.«

Ein aufgeregter Schrei von Kathy weckte mich. »Mitch«, rief sie aus dem Badezimmer, und zwei runde Augen schauten verwundert unter dem Handtuch hervor, das sie um sich herumdrapiert hatte. »Hier gibt es eine Badewanne! Ich wollte die Tür zur Dusche öffnen, aber das war gar keine Dusche! Darf ich, Mitch? Bitte!«

Es gibt Augenblicke, da hat selbst ein aufrichtiger Anhänger des Naturschutzes sein Vergnügen daran, sich als Leiter der Fowler Schocken AG geben zu können. Ich gähnte, warf ihr eine Kußhand zu und sagte: »Gewiß. Und – nimm nur frisches Wasser, hörst du?«

Kathy tat, als fiele sie in Ohnmacht, doch ich bemerkte, daß sie keine Zeit verlor, den Zimmerkellner zu rufen. Während das Bad eingelassen wurde, kleidete ich mich an. Wir frühstückten gemütlich und schlenderten Hand in Hand zum Capitol.

Ich besorgte Kathy einen Platz in der Pressekabine und ging ins Erdgeschoß. Unser Lobbychef in Washington bahnte sich einen Weg durch die Menge. Er trug einen Papierstreifen in der Hand. »Hier steht alles, Mr. Courtenay«, sagte er. »Wie ist es – alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung«, sagte ich. Ich entließ ihn mit einer Handbewegung und schaute mir das Papier an. Es war von Dicken, über den augenblicklichen Stand der Dinge bei der Rakete: »Passagiere und Mannschaft startbereit. Beladen des Raumschiffs beginnt um 11.45 Uhr EST, Ende gegen 16.45 Uhr EST. Raumschiff getankt, versorgt und mit Verpflegung ausgestattet seit 9.15 Uhr. Sicherheitsvorkehrungen getroffen, MIA, CIC und Time-Life haben jedoch verschlüsselte Berichte durch Strohmänner weitergeleitet. Navigationsraum bittet daran zu erinnern: Start nur in den Vormittagsstunden möglich.«

Ich rieb den Streifen zwischen meinen Handflächen; er zerfiel zu Asche. Als ich das Podium bestieg, zupfte mich jemand am Ärmel. Es war der Präsident, der sich aus seiner Ehrenloge herauslehnte. »Mr. Courtenay«, flüsterte er, und das Lächeln lag starr wie eine Maske auf seinem Gesicht. »Ich vermute, Sie haben verstanden, was ich Ihnen gestern im Taxi sagen wollte. Ich bin froh, daß die Rakete startklar ist.« Sein Lächeln verstärkte sich, und seine Kopfbewegungen waren die eines Staatsmannes, der Belanglosigkeiten mit einem Ehrengast wechselt. »Wahrscheinlich wissen Sie es, aber – er ist auch hier.«

Ich hatte keine Gelegenheit festzustellen, wer ›er‹ war. Als der Sprecher des Hauses mit ausgestreckten Armen auf mich zukam und vom Parkett Applaus erklang, zwang ich ein Lächeln auf mein Gesicht. Aber es war nichts weiter als eine Muskelbewegung. Es gab wenig zu lächeln, wenn die Nachrichten über die Venusrakete bereits zum Präsidenten durchgedrungen waren.

Fowler Schocken war ein frommer Heuchler, Fowler Schocken war ein grinsender Schwindler; aber ohne Fowler Schocken hätte ich diese Ansprache niemals durchgestanden. Ich. hörte seine Stimme in meinen Ohren: »Gib’s ihnen, Mitch; du kannst ihnen alles verkaufen, wenn du nur daran denkst, daß sie kaufen wollen.« Und ich verkaufte der gesamten anwesenden Regierung genau das, was sie haben wollte. Ich erwähnte kurz den amerikanischen Unternehmungsgeist; ich bot ihnen eine Welt zum Plündern und ein ganzes Universum zum Ausbeuten; das alles würde auf sie warten, wenn Fowler Schockens tapfere Pioniere erst einmal den Weg geebnet hätten. Ich entwarf ein Bild von Fließbandplaneten, die uns gehörten und auf denen wir wirkten, wir, die unternehmungslustigen amerikanischen Geschäftsleute, die der Zivilisation zu wahrer Größe verhelfen hatten. Es gefiel ihnen. Der Beifall war fantastisch.

Als die ersten Begeisterungsstürme verebbten, standen etwa ein Dutzend Gestalten in der Halle, klatschten in die Hände und baten um Gehör. Ich nahm es kaum wahr: merkwürdigerweise war Kathy aus der Pressekabine verschwunden.

Der Parlamentssprecher wählte den weißhaarigen alten Colbee aus, dem vier Jahrzehnte Dienst Haltung und Würde verliehen hatten.

»Der Vertreter vom Yummy-Cola hat das Wort.«

»Vielen Dank, Herr Vorsitzender.« Ein höfliches Lächeln lag auf Colbees Gesicht; aber seine Augen hatten etwas ausgesprochen Schlangenhaftes. Yummy-Cola war offiziell eines der wenigen großen unabhängigen Unternehmen; aber ich erinnerte mich, daß Fowler einmal bemerkt hatte, daß sie Taunton erstaunlich nahestünden. »Wenn ich es wagen darf, für die Oberste Kammer zu sprechen, dann möchte ich unserem verehrten Gast für seine wohlgesetzten Worte danken. Ich bin sicher, daß es uns allen Vergnügen bereitet hat, einem Mann seines Kalibers und Standes zuzuhören.« Geh noch mal zur Berlitz-School, du Schwindler aus Westchester, dachte ich erbittert. Ich spürte förmlich, was kam, als Colbee in seinem fürchterlichen Slang fortfuhr. »Mit Erlaubnis des Vorsitzenden möchte ich unserem Gast einige Fragen stellen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Gesetz stehen, über das wir heute beraten sollen.« Ja wirklich, beraten, du Idiot. Ich überlegte. Inzwischen hatte man sogar auf der Galerie begriffen, was hier gerade vor sich ging. Ich brauchte den Rest kaum zu hören.

»Es ist vielleicht Ihrer Aufmerksamkeit entgangen, aber wir haben das Glück, einen weiteren Gast unter uns zu haben. Ich meine damit natürlich Mr. Taunton.« Er deutete elegant zur Besuchergalerie hinüber, wo B.J.s rotes Gesicht zwischen zwei untersetzten Gestalten auftauchte, die ich auf den ersten Blick als seine Leibwache hätte erkennen müssen. »In einer kurzen Unterhaltung vor der Sitzung war Mr. Taunton so freundlich, mir einige Informationen zu geben, über die ich gern mit Mr. Courtenay sprechen möchte. Zunächst…«, die Schlangenaugen waren jetzt stählern, »möchte ich Mr. Courtenay fragen, ob ihm der Name George Groby, gesucht wegen Mordes und Vertragsbruch, bekannt ist. Zweitens möchte ich wissen, ob Mr. Courtenay mit Mr. Groby identisch ist. Drittens möchte ich Mr. Courtenay fragen, ob etwas Wahres an dem Bericht ist, den ich durch eine Vertrauensperson erhielt, der, wie mir Mr. Taunton bestätigte, durchaus vertraut werden kann. In diesem Bericht heißt es, Mr. Courtenay sei ein angesehenes Mitglied der Welt-Naturschutz-Organisation, einer Organisation, die den meisten von uns, die wir loyale Amerikaner sind, als…«

Selbst Colbee kann die letzen Worte seines Satzes nicht verstanden haben. Der Aufruhr brach los wie eine wahre Explosion.

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