3.

Kathys Wohnung in Bensonhurst war nicht groß aber gemütlich. Sie war bequem, vernünftig und gleichzeitig geschmackvoll eingerichtet. Wer sollte das besser wissen als ich? Ich drückte auf den Knopf oberhalb des Schildes. »Dr. Nevin« und lächelte, als sie mir öffnete.

Sie erwiderte das Lächeln nicht. Sie sagte zwei Dinge: »Du kommst zu spät, Mitch«, und »ich dachte, du würdest vorher anrufen.« Ich ging hinein und setzte mich. »Ich komme zu spät, weil ich beinahe getötet worden wäre und habe nicht angerufen, weil ich zu spät komme. Ist die Sache damit erledigt?« Sie fragte genau das, was ich bezweckt hatte, und ich erzählte ihr, wie nah der Tod an mir vorbeigegangen war.

Kathy ist eine schöne Frau mit einem warmen, freundlichen Gesicht, das Haar ist stets makellos in zwei verschiedenen Blondtönen gefärbt, ihre Augen lächeln meistens. Ich habe viel Zeit damit zugebracht, sie anzuschauen, aber niemals habe ich sie aufmerksamer betrachtet als in dem Augenblick, als ich ihr erzählte, wie ich gerade um Haaresbreite der Frachtkanzel des Hubschraubers entgangen war. Insgesamt war ihre Reaktion enttäuschend. Sie machte sich tatsächlich Sorgen um mich, daran bestand kein Zweifel. Aber Kathys Herz öffnet sich Hunderten von Leuten, und ich konnte auf ihrem Gesicht nichts entdecken, das zu der Annahme berechtigte, sie kümmere sich um mich mehr als um andere Leute, die sie kannte.

Ich verkündete ihr also die andere große Neuigkeit, erzählte ihr vom Venusprojekt und meiner Beförderung zum Präsidenten der Abteilung. Das wirkte besser; sie war überrascht, aufgeregt und glücklich und küßte mich in einem Anflug von Überschwenglichkeit. Aber als ich sie küßte, was ich schon seit Monaten hatte tun wollen, zog sie sich zurück und ging unter dem Vorwand, Getränke zu holen, ins andere Ende des Zimmers.

»Das mußt du feiern, Mitch«, sagte sie lächelnd. »Mindestens mit Champagner. Lieber Mitch, das ist eine wunderbare Neuigkeit.«

Ich packte die Gelegenheit beim Schopf. »Hilfst du mir, das zu feiern? Richtig zu feiern?«

Ihre braunen Augen wurden vorsichtig. »Hm«, sagte sie, und nach einer Pause: »Natürlich, Mitch. Wir stellen die Stadt auf den Kopf – auf meine Kosten, keine Widerrede. Allerdings muß ich um Mitternacht wieder zu Hause sein. Ich schlafe heute nacht in der Klinik. Morgen früh habe ich eine schwierige Operation und darf nicht zu spät ins Bett gehen und auch nicht zuviel trinken.«

Aber sie lächelte.

Erneut beschloß ich, die Dinge nicht auf die Spitze zu treiben. »Fantastisch«, sagte ich und meinte es auch. Kathy ist eine Frau, mit der man ohne weiteres die Stadt auf den Kopf stellen kann. »Darf ich mal telefonieren?«

Als unsere Getränke kamen, hatte ich Karten für eine Show, einen Tisch fürs Diner und Plätze in einer Bar für unseren Schlummertrunk bestellt.

Ich fand, das Essen war ein Reinfall. Ich will nicht behaupten, daß ich einer jener Feinschmecker bin, die grundsätzlich nur Frischfleisch essen. Aber ganz entschieden bin ich ein Mensch, der sauer reagiert, wenn er frisches Protein bezahlt und künstliches Fleisch vorgesetzt bekommt. Das Schaschlik, das wir beide bestellt hatten, sah zwar ganz gut aus, doch der Beigeschmack ließ sich nicht leugnen. Ich strich das Restaurant von meiner Liste und entschuldigte mich bei Kathy. Aber sie lachte nur, und die Show danach war gut. Hypnose verursacht mir häufig Kopfschmerzen, aber diesmal geriet ich sofort in einen Trancezustand, als der Film begann, und fühlte mich auch hinterher ausgezeichnet.

Der Nachtklub war überfüllt, und der Oberkellner hatte sich bei der Reservierung versehentlich in der Zeit geirrt. Wir mußten fünf Minuten im Vorraum warten und Kathy schüttelte sehr entschieden den Kopf, als ich um eine Verschiebung des Zapfenstreichs bat. Aber als uns der Oberkellner schließlich unter vielen Entschuldigungen und Verbeugungen an unsere Plätze zur Bar führte und die Getränke kamen, neigte sie sich zu mir herüber und küßte mich noch einmal. Ich war glücklich.

»Danke«, sagte sie, »das war ein herrlicher Abend, Mitch. Bitte laß dich oft befördern. Mir gefällt’s.«

Ich zündete ihr eine Zigarette an, für mich auch eine, und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Ich hielt inne.

Kathy sagte: »Na los, heraus damit.«

»Nun ja, ich wollte gerade sagen, daß wir eigentlich immer Spaß miteinander hatten.«

»Das habe ich gewußt. Und ich wollte gerade sagen, daß ich weiß, worauf du hinaus willst, und daß die Antwort noch immer nein lautet.«

»Das habe ich gewußt«, sagte ich düster. »Gehen wir.«

Sie zahlte. Nachdem wir unsere Anti-Ruß-Stöpsel eingesetzt hatten, traten wir auf die Straße. »Taxi, Sir?« fragte der Portier. »Ja, bitte«, sagte Kathy. »Ein Tandem.«

Er pfiff ein Zweimann-Pedicab heran und Kathy gab dem ersten der Jungen die Adresse der Klinik. »Du kannst mitkommen, wenn du willst, Mitch«, sagte sie, und ich kletterte hinein. Der Portier schob uns an, und ächzend setzte sich das Vehikel in Bewegung.

Ungefragt schloß ich das Verdeck. Einen Augenblick lang war es wieder wie in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft: die freundliche Dunkelheit, der leicht staubige Geruch des Segeltuchverdecks, das Quietschen der Federn. Aber dieses Gefühl dauerte nur einen Augenblick. »Paß auf, Mitch«, sagte sie warnend.

»Bitte, Kathy«, sagte ich vorsichtig, »ich möchte es trotzdem sagen. Es dauert nicht lange.« Sie erwiderte nichts. »Wir sind seit acht Monaten verheiratet – gut«, sagte ich schnell, als sie mich unterbrechen wollte, »es war keine endgültige Heirat. Aber wir haben den vorläufigen Eid abgelegt. Erinnerst du dich, warum wir das taten?«

Nach einem Augenblick sagte sie ruhig. »Wir waren ineinander verliebt.«

»Stimmt«, sagte ich. »Ich liebte dich und du liebtest mich. Und beide dachten wir an unsere Arbeit und wußten, daß es manchmal ein bißchen schwer sein würde, miteinander auszukommen. Darum entschieden wir uns für eine vorläufige Ehe. Der Vertrag muß ein Jahr laufen, bevor wir uns entscheiden, ob er endgültig sein soll.« Ich berührte ihre Hand und sie zog sie nicht zurück. »Kathy, Liebling, meinst du nicht, daß wir wußten, was wir taten? Können wir nicht – können wir es nicht wenigstens ein Jahr lang versuchen? Es sind noch fünf Monate. Laß es uns versuchen. Wenn das Jahr abgelaufen ist und du nicht willst – na ja, dann kann ich wenigstens nicht sagen, du hättest mir keine Chance gegeben. Was mich betrifft, ich brauche nicht zu warten. Mein Zertifikat liegt bereits bei den Akten, und ich werde meinen Entschluß nicht ändern.«

Wir kamen an einer Straßenlaterne vorbei und ich konnte erkennen, daß sich ihr Mund verzog. »Oh, verdammt noch mal, Mitch«, sagte sie unglücklich. »Ich weiß, daß du deinen Entschluß nicht änderst. Das macht ja alles so schrecklich. Muß ich dir erst Schimpfwörter an den Kopf werfen, um dich davon zu überzeugen, daß es keinen Zweck hat? Muß ich dir sagen, daß du ein launisches, ränkeschmiedendes, machiavellistisches, egoistisches Schwein bist, mit dem man nicht zusammen leben kann? Ich hielt dich zuerst für einen liebenswürdigen Kerl, Mitch. Für einen Idealisten, dem Prinzipien und Ethik mehr bedeuten als Geld. Ich hatte allen Grund, das anzunehmen. Du hast es mir selbst gesagt, sehr überzeugend sogar. Du warst auch begeistert von meiner Arbeit. Du hast dich in die Medizin hineingekniet, hast mir dreimal die Woche beim Operieren zugeschaut und all deinen Freunden in meiner Gegenwart gesagt, wie stolz du darauf seiest, mit einer Chirurgin verheiratet zu sein. Ich brauchte drei Monate, um herauszufinden, was du damit gemeint hast. Jeder x-beliebige kann ein Mädchen heiraten, das Hausfrau sein möchte. Aber nur ein Mitchell Courtenay kann eine erstklassige Chirurgin heiraten und sie zur Hausfrau machen.« Ihre Stimme bebte. »Ich konnte es nicht ertragen, Mitch. Ich werde es nie können. Auch die Streitereien kann ich nicht ausstehen, deine schlechte Laune und das ewige Argumentieren. Ich bin Arzt. Manchmal liegt ein Leben in meiner Hand. Wenn ich innerlich derart von Streitereien mit meinem Mann zerrissen bin, ist dies Leben nicht sicher, Mitch. Verstehst du das?«

Es klang, als schluchzte sie.

Ich fragte ruhig. »Kathy, liebst du mich noch?«

Sie war einen Augenblick absolut still. Dann lachte sie abrupt und heftig auf. »Hier ist die Klinik, Mitch«, sagte sie. »Es ist Mitternacht.«

Ich schlug das Verdeck zurück, und wir stiegen aus. »Warten Sie«, sagte ich zum Fahrer und brachte sie zur Tür. Sie gab mir keinen Gutenachtkuß, und wir verabredeten uns auch nicht. Ich stand zwanzig Minuten in der Halle, um sicher zu sein, daß sie wirklich über Nacht in der Klinik blieb, dann stieg ich in das Taxi und ließ mich zur nächsten Station bringen. Ich war miserabler Laune.

Meine Laune hatte sich nicht gebessert, als ich am nächsten Morgen ins Büro kam. Hester mußte ihren ganzen Takt aufwenden, um mich daran zu hindern, ihr nicht gleich in den ersten Minuten den Kopf abzureißen, und Gott sei Dank war an diesem Tage keine Direktorenkonferenz. Nachdem meine Post und die Berichte, die sich über Nacht angesammelt hatten, vor mir lagen, verschwand Hester klugerweise für eine Weile. Als sie zurückkehrte, brachte sie mir eine Tasse Kaffee – echten Kaffee, auf einer Plantage gewachsen. »Die Wärterin in der Damentoilette kocht ihn heimlich«, erklärte sie mir. »Gewöhnlich dürfen wir ihn nicht mitnehmen, weil sie vor dem Coffiest-Team Angst hat. Aber jetzt, wo Sie in der Starklasse sind….«

Ich bedankte mich und gab ihr das Tonband mit Jack O’Sheas Bericht. Dann ging ich an die Arbeit.

Zuerst beschäftigte ich mich mit dem Testgebiet, und dafür brauchte ich Matt Runstead, er machte mir Schwierigkeiten. Er war in der Marktforschung, und ich mußte auf jeden Fall mit ihm zusammenarbeiten. Aber er zeigte sich wenig kooperativ. Ich schob eine Landkarte von Südkalifornien in den Projektor, während Matt und zwei seiner gesichtslosen Assistenten Zigarettenasche auf meinen Fußboden streuten.

Mit dem Zeigestock deutete ich auf die Testgebiete und Kontrollpunkte: »San Diego bis Tijuana, die Hälfte der Gemeinden um Los Angeles und der untere Teil von Monterey. Das sind die Kontrollpunkte. Den Rest von Los Angeles abwärts nehmen wir als Testgebiet. Sie werden wohl an Ort und Stelle sein müssen, Matt; ich würde unser Büro in Diego als Hauptquartier vorschlagen. Turner leitet es, und der ist ein fähiger Mann.«

Runstead grunzte. »Das ganze Jahr über nicht eine einzige Schneeflocke. Selbst wenn man eine Sklavin als Zugabe böte, könnte man dort unten keinen Mantel verkaufen. Um Himmels willen, Mensch, warum überlassen Sie die Marktforschung nicht jemandem, der was davon versteht? Sehen Sie denn nicht, daß Ihnen das Klima einen Strich durch die Rechnung macht?«

Der jüngere der starrgesichtigen Assistenten wollte seinen Chef unterstützen, aber ich schnitt ihm das Wort ab. Runstead mußte über das Testgebiet Auskunft geben – das war sein Job. Aber die Venus war mein Projekt, und ich würde es durchziehen. Ich sagte ein bißchen gereizt: »Regional- und Welteinkommen, Alter, Bevölkerungsdichte, Gesundheit, psychische Eigenarten, Verteilung der Altersgruppen, Todesfälle und -quoten – alles fantastische Durchschnittswerte, Matt. Dieser Zipfel wurde vom lieben Gott höchstpersönlich als perfektes Testgebiet entworfen. In einem winzigen Universum von weniger als hundert Millionen ist jedes wichtige Segment Nordamerikas vertreten. Ich werde mein Vorhaben nicht aufgeben, wir bleiben wie vorgesehen bei diesem Gebiet.« Ich betonte das Wörtchen ›mein‹.

Matt erwiderte: »Es wird nicht funktionieren. Die Temperatur ist der Hauptfaktor. Das müßte doch jeder einsehen können.«

»Ich bin aber nicht jeder, Matt. Ich trage die Verantwortung für das Projekt.«

Matt Runstead drückte seine Zigarette aus und erhob sich. »Reden wir mit Fowler darüber«, sagte er und verließ das Zimmer.

Mir blieb nichts übrig, als ihm zu folgen.

Aber Fowler Schocken hatte eine zuverlässige Methode, interne Streitigkeiten beizulegen. Er nahm uns den Wind aus den Segeln. Als wir eintraten, rief er überschwenglich: »Da sind Sie ja! Genau die beiden Männer, die ich sprechen möchte! Matt, können Sie für mich die Kastanien aus dem Feuer holen? Es geht um die A.I.G. Leute. Sie behaupten, die Tatsache, daß wir GravNon betreuen, beeinträchtige ihren Umsatz. Sie drohen, zu Taunton zu gehen, wenn wir GravNon nicht fallenlassen. Ihr Etat ist nicht besonders hoch, aber ich habe den leisen Verdacht, daß Taunton ihnen diesen Floh ins Ohr gesetzt hat.« Er setzte uns ausführlich die Feinheiten unserer Verbindung zum Amerikanischen Institut für Gynäkologie auseinander. Ich hörte nur mit einem Ohr zu; unsere Kampagne ›Junge oder Mädchen gefällig?‹ für ihr Geschlechtsbestimmungsprojekt hatte die normale Geburtenrate um mindestens zwanzig Prozent gesteigert. Demzufolge müßten sie eigentlich sichere Kunden sein. Runstead war derselben Meinung.

Er sagte: »Einen konkreten Grund haben sie nicht, Fowler. Wir verkaufen ja auch Alkohol und gleichzeitig Anti-Kater-Mittel. Unsere anderen Geschäfte gehen sie überhaupt nichts an. Im übrigen, was zum Teufel hat das mit Marktforschung zu tun?«

Fowler lachte übermütig. »Da liegt der Hase im Pfeffer!« krächzte er. »Wir drehen den Spieß um. Sie erwarten, daß sich die Buchhaltung um sie kümmert. Statt dessen werden Sie höchstpersönlich den Fall übernehmen. Überschütten Sie die Leute mit Tabellen und Statistiken, die beweisen, daß GravNon keinesfalls Ehepaare daran hindert, ein Baby zu bekommen; das Präparat ermöglicht es ihnen lediglich, Schwangerschaften auf einen ihren Plänen entsprechenden Termin zu verschieben. Mit anderen Worten, die Verkaufseinheit steigt, das Volumen bleibt dasselbe. Und – damit haben wir Taunton eins ausgewischt. Rechtsanwälte werden vom Gericht ausgeschlossen, wenn sie widersprüchliche Interessen vertreten. Das hat vielen von ihnen eine Stange Geld gekostet. Wir müssen ganz sicher sein, daß jeder Versuch, dasselbe Prinzip in unsere Branche einzuführen, im Keim erstickt wird. Glauben sie, daß Sie das für einen alten Mann tun können, Matt?«

»Teufel auch, natürlich«, brummte Runstead. »Und was ist mit dem Venus-Projekt?«

Fowler zwinkerte mir zu. »Wie steht’s? Können Sie Matt für eine Weile entbehren?«

»Für immer«, erwiderte ich. »Aus diesem Grund wollte ich Sie nämlich sprechen. Matt hat Angst vor Südkalifornien.« Runstead ließ seine Zigarette fallen; er hob sie nicht wieder auf, die Glut versengte den Nylonveloursteppich. »Was zum Teufel…« begann er wütend.

»Immer mit der Ruhe«, sagte Fowler, »berichten Sie, Matt.«

Runstead warf mir einen zornigen Blick zu. »Ich habe lediglich gesagt, Südkalifornien sei nicht das richtige Testgebiet. Was ist denn der große Unterschied zwischen der Venus und der Erde? Die Hitze! Wir brauchen ein Testgebiet mit durchschnittlichem Kontinentklima. Jemand aus Neuengland findet die Hitze auf der Venus vielleicht attraktiv, jemand auf Tijuana keinesfalls. Dem ist es schon in Südkalifornien viel zu heiß.«

»Hm«, sagte Fowler Schocken. »Ich will Ihnen was sagen, Matt. Wir müssen anfangen, und Sie werden mit der A.I.G.-Angelegenheit alle Hände voll zu tun haben. Suchen Sie einen guten Mann aus, der Sie beim Versuchsprojekt vertritt, solange Sie nicht da sind. Wir sprechen morgen nachmittag bei der Konferenz noch einmal über die Sache. Einstweilen…«, er blickte auf die Uhr, »Senator Danton wartet bereits seit sieben Minuten. Fertig?«

Matt war offensichtlich nicht zufrieden, und das stimmte mich für den restlichen Tag recht heiter. Die Dinge liefen gut. Die Abteilung ›Entwicklung‹ legte einen Bericht über O'Sheas Tonband und alles vorhandene Material vor. Man hatte die Proben untersucht; die organischen Stoffe, die in der ›Luft‹ der Venus, wie wir es scherzhaft nannten, herumschlagen, waren inzwischen analysiert worden.

Die Abteilung Industrie-Anthropologie verdarb mir meine gute Laune wieder. Ben Winston schimpfte: »Man kann die Leute nicht dazu bringen, in einer dampfbeheizten Sardinenbüchse wohnen zu wollen. Alle Lebensweisen sprechen dagegen. Wer will schon sechzig Millionen Meilen weit reisen, um den Rest seines Lebens in einer Blechbaracke zu verbringen – wenn er hier auf der Erde bleiben kann mit Korridoren, Aufzügen, Straßen, Dachgärten und all dem freien Raum, der dem Menschen zur Verfügung steht? Das ist wider die menschliche Natur, Mitch.«

Ich diskutierte mit ihm. Es nützte nicht viel. Er fuhr fort, mir vom amerikanischen Leben zu erzählen, trat mit mir ans Fenster und zeigte auf das schier endlose Meer von Dachgärten, dort konnten Männer und Frauen die frische Luft genießen, sie brauchten nur einfache Anti-Ruß-Stöpsel in die Nase zu stecken – von den unbequemen Sauerstoffhelmen war nicht mehr die Rede.

Schließlich wurde ich ärgerlich. Ich sagte: »Irgend jemand muß aber auf die Venus wollen. Warum kaufen die Leute denn wie verrückt Jack O'Sheas Buch? Warum befürworten die Wähler noch immer mehr als eine Milliarde für Raketenbau? Eigentlich sollte ich Ihnen Ihre Arbeit nicht abnehmen und Sie mit der Nase drauf stoßen, aber Sie sollten folgendes tun: sehen Sie sich die Leute an, die das Buch kaufen, sprechen Sie mit den Leuten, die sich wiederholt die Sendungen von O'Shea im Fernsehen anschauen, und mit denen, die schon vorzeitig zu seinen Vorträgen erscheinen und umherstehen und sich hinterher im Foyer unterhalten. O'Shea steht auf unserer Lohnliste – holen Sie alles aus ihm heraus, was möglich ist. Erkundigen Sie sich über die Mondkolonie – stellen Sie fest, was für Menschen das sind. Und dann wissen wir, an wen wir uns wenden müssen. Noch irgendwelche Einwände, zum Donnerwetter?«

Hester hatte mit der Aufstellung des Terminplanes für diesen ersten Tag ein wahres Wunder vollbracht, und jedes Gespräch mit den einzelnen Abteilungsleitern brachte mich ein Stück weiter. Aber schließlich konnte sie nicht für mich lesen, und am Ende der offiziellen Arbeitszeit hatte sich ein zwanzig Zentimeter hoher Papierstapel auf meinem Schreibtisch angesammelt.

Es war schon elf, als ich endlich fertig war. Bevor ich mich auf den Heimweg machte, ging ich in das Restaurant im fünfzehnten Stock, das die ganze Nacht über geöffnet ist. Im Restaurant, einem fensterlosen Kasten, roch der Kaffee nach Hefe, aus der er auch hergestellt wurde, und der Schinken sah nach Soja aus. Doch das fand ich nicht weiter schlimm und vergaß es gleich wieder. Als ich dann die Tür zu meiner Wohnung öffnete, gab es ein klickendes Geräusch und eine Explosion, und neben meinem Kopf schlug etwas in den Türrahmen. Ich duckte mich und schrie. Vor dem Fenster pendelte eine Gestalt an einer Strickleiter und verschwand gerade, die Waffe noch in der Hand.

Ich war dumm genug, ans Fenster zu laufen, um der Gestalt, die von einem Hubschrauber herabhing, nachzustarren. Ich gab ein großartiges Ziel ab, zum Glück schlingerte der Kerl so stark, daß er nicht schießen konnte.

Überrascht von meiner Ruhe, rief ich den Städtischen Bewachungsschutz an.

»Sind Sie Mitglied, Sir?« fragte die Dame in der Zentrale.

»Ja, verdammt. Seit sechs Jahren. Schicken Sie einen Mann her! Schicken Sie eine ganze Mannschaft!«

»Einen Augenblick, Mr. Courtenay… Mr. Mitchell Courtenay? Texter, Starklasse?«

»Nein«, sagte ich erbost. »Ich bin von Beruf Zielscheibe. Würden Sie bitte jemanden herüberschicken, am besten, bevor der Typ, der auf mich geschossen hat, zurückkommt?«

»Entschuldigen Sie, Mr. Courtenay,«, säuselte die süße Stimme unbeeindruckt. »Sagten Sie nicht Sie wären Texter, Starklasse?«

Ich knirschte mit den Zähnen. »Ja, ich bin Starklasse«, sagte ich.

»Vielen Dank, Sir. Ich habe Ihre Karte vor mir liegen. Tut mir leid, Sir, aber Sie sind mit der Zahlung im Rückstand. Starklasse führen wir nicht zu den normalen Beitragsraten, weil da das Risiko der Industriefehden besteht.« Sie nannte eine derart hohe Summe, daß sich mir jedes Haar einzeln sträubte.

Ich regte mich nicht weiter auf; sie war schließlich nur ein Werkzeug. »Danke«, sagte ich schweratmend und legte auf. Ich schob die Spule ›Programmdruck bis Quarzhandel‹ in den Apparat und wählte die Sparte ›Protektionsfirmen‹. Drei oder vier Detekteien wiesen mich ab, schließlich jedoch erklärte sich ein Privatdetektiv mit schläfriger Stimme einverstanden, für ein gesalzenes Honorar herüberzukommen.

Er erschien nach einer halben Stunde, und ich bezahlte ihn gleich. Als Dank dafür belästigte er mich mit Fragen, die ich nicht beantworten konnte, und hielt nach nicht vorhandenen Fingerabdrücken Ausschau. Nach einer Weile ging er wieder, nachdem er mir mitgeteilt hatte, er würde an dem Fall weiterarbeiten.

Ich legte mich ins Bett und schief schließlich ein; eine offene Frage ging mir unaufhörlich durch den Kopf: wer hatte schon Interesse daran, einen einfachen, harmlosen Werbemenschen wie mich zu erschießen?

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