Sieben

»Der Senior-CEO der Syndiks in diesem Sternensystem drückt sein Mitgefühl über unseren Verlust aus«, meldete Rione ohne jede Betonung. »Er behauptet außerdem, nichts über die Identität der Kurierschiffe zu wissen, da die Syndik-Regierung alle diese Schiffe vor einer Weile verkauft habe. Wenn ich ihn nach der Identität der Käufer frage, werde ich zweifellos zur Antwort bekommen, dass man mit Schrecken festgestellt hat, dass der Käufer nur ein Strohmann war, der von einer unbekannten Gruppierung vorgeschoben wurde.«

»Würde mich nicht wundern«, sagte Geary, der gleichermaßen versuchte, seine Gefühle aus dem Spiel zu lassen. Sie befanden sich auf Riones Bitte im Konferenzraum, um sich ungestört unterhalten zu können. »Wie viel Zeit ist nach dem Angriff verstrichen, bis die Nachricht uns erreicht hat?«

»Gesendet wurde sie zwanzig Minuten nach dem Moment, als sie das Ende des Angriffs mitangesehen haben müssen«, antwortete sie. »Also mit genügend Verzögerung, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie von dem Angriff auf uns gleich nach unserem Eintreffen in diesem System gewusst haben. Sie haben allerdings noch nichts geleugnet, was den Angriff auf die Invincible betrifft.«

»Von der Zerstörung der getarnten Shuttles abgesehen gab es da nicht viel zu sehen, was sich außerhalb des Schiffs abgespielt hat«, betonte Geary. »Es wäre doch sehr verdächtig, die Beteiligung an etwas zu leugnen, was man gar nicht gesehen haben kann.«

»Was sollen wir ihnen über diesen Vorfall sagen?«, wollte Rione wissen, setzte sich ihm gegenüber hin und stützte sich mit einem Ellbogen auf dem Tisch ab.

Er betrachtete das Sternendisplay, das zwischen ihnen über dem Tisch schwebte. In der Mitte befand sich der Stern Sobek, der Kurs der Ersten Flotte führte in einem eleganten Bogen zu diesem Stern. In einigen Lichtstunden Entfernung von der Flotte zog die primäre bewohnte Welt ihre Bahnen durch das System – die Welt, auf der sich die CEOs befanden, die von dem Angriff der Kurierschiffe und der versuchten Kaperung der Invincible zweifellos gewusst und beides wahrscheinlich auch unterstützt hatten, weshalb sie ebenfalls für die Zerstörung der Orion verantwortlich waren.

»Gar nichts«, entschied er schließlich. »Sollen sie ruhig rätseln, was wohl passiert ist.«

Sie schürzte den Mund und schüttelte den Kopf. »Wir könnten ihnen sagen, dass wir Gefangene genommen haben, die wir als Beweis mit ins Allianz-Gebiet nehmen.«

»Als Beweis für was? Diese Gefangenen werden nichts verraten, was eine offizielle Beteiligung der Syndiks belegen könnte. Unsere Ärzte sagen, wenn wir sie hartnäckig genug befragen, werden sie dabei sterben.«

»Wir wissen das, aber die Syndiks nicht«, sagte Rione. »Die wissen zwar, was sie ihren Soldaten angetan haben, aber sie können nicht beurteilen, ob wir eine neue Methode entwickelt haben, um mentale Manipulationen rückgängig zu machen.«

»Hm.« Eine solche Andeutung könnte einige Syndik-CEOs sehr nervös machen, und vielleicht würde damit den Soldaten zukünftig eine solche Manipulation erspart bleiben, wenn die Syndiks erst einmal befürchten mussten, dass ihre Methoden nicht mehr ausreichten, um ihre Leute am Reden zu hindern. »Wenn Sie etwas in dieser Art indirekt vermitteln können, dann machen Sie das. Aber nennen Sie keine Details über den Angriff auf die Invincible

»Halten Sie mich für eine Anfängerin, Admiral?« Sie schaute auf das Sternendisplay. »Wir sollten sie auch wissen lassen, dass wir allen Anstrengungen zum Trotz leider nicht in der Lage waren, ihr Hypernet-Portal zu retten.«

»Haben Sie den für die Syndiks bestimmten Bericht gelesen, den Captain Smythe vorbereitet hat?«

»Smythe hat den Bericht nicht geschrieben. Mich würde interessieren, von wem er stammt.«

»Wieso?«

Rione musterte ihn eindringlich. »Weil derjenige über einige sehr nützliche Talente verfügt.«

Geary verzog den Mund zu einem kurzen und unübersehbar aufgesetzten Lächeln. »Die Identität dieser Person ist bis auf Weiteres mein Geheimnis.«

»Wie Sie wollen.«

Sie hatte zu schnell aufgegeben, was Geary verriet, dass sie verschiedene Hebel in Bewegung setzen würde, um Lieutenant Jamensons Identität zu enthüllen. »Gibt es sonst noch was?«

»Eine Sache, Admiral.« Sie sah ihn auf rätselhafte Weise an. »Wie fühlen Sie sich?«

»In Bezug auf was?«

»In Bezug auf die Zerstörung des Hypernet-Portals. Wie fühlen Sie sich jetzt?«

»Was soll diese Frage?«, konterte Geary, anstatt zu antworten.

»Sie sind einen Schritt zu weit gegangen, Admiral. Das wissen Sie so gut wie ich. Sie haben die Zerstörung des Portals angeordnet, obwohl Sie keinerlei rechtliche Handhabe dazu hatten. Der Kollaps des Hypernet-Portals in diesem System ist eine unmissverständliche Botschaft an die Adresse der Syndiks, mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie sich mit dieser Flotte anlegen. Aber Sie müssen sich darüber im Klaren sein, dass die Grenzen dessen, was Sie tun können und was nicht, von Ihnen selbst festgelegt sind.«

Fast hätte er sie angebrüllt und sie zum Teufel gewünscht, um ihr klarzumachen, dass hier anständige Männer und Frauen ihr Leben verloren hatten und dass die Syndiks in diesem System von Glück reden konnten, dass er kein orbitales Bombardement befohlen hatte, um jede Stadt, jede Siedlung und jede Einrichtung auszulöschen. Anstatt ihr das alles aber ins Gesicht zu brüllen, zählte er langsam bis zehn, dann gab er zurück: »Soweit ich mich erinnern kann, hat mich jemand auf die Idee zu genau dieser Aktion gebracht.«

»Ja, das hat jemand getan«, bestätigte Rione gelassen. »Ist das Ihre Rechtfertigung? Ich habe es zwar getan, aber die Idee dazu hatte ein anderer? Ich glaube, Sie sind zu etwas Besserem in der Lage.«

»Warum haben Sie mir dann überhaupt erst diesen Vorschlag gemacht, wenn Sie so besorgt sind, ich könnte hier einen Präzedenzfall geschaffen haben?«, hakte er nach.

»Weil ich Ihnen angemerkt habe, wie wütend Sie und alle anderen in dieser Flotte waren. Ich kann nur erahnen, was Sie nach dem Verlust dieses Schlachtschiffs hatten tun wollen. Das Portal bot eine Möglichkeit zu einem Gegenschlag, der die Syndiks schwer treffen würde, aber nicht im Sinne einer Vergeltungsmaßnahme, die nur noch mehr Probleme nach sich gezogen hätte.«

Er betrachtete wieder das Sternendisplay und überlegte, wie er eine direkte Antwort vermeiden konnte. Aber ihm war auch klar, dass ihre Warnung gerechtfertigt war. Darum will ich nicht antworten. Ich möchte nicht zugeben, dass sie recht hat. Ich hätte den Syndiks etwas viel Schlimmeres antun wollen, und vielleicht hätte ich das ja auch getan, wäre sie nicht mit dem Vorschlag gekommen, das Hypernet-Portal kollabieren zu lassen. Aber jene Form von Vergeltung, wie sie mir in den Sinn gekommen war, ist genau das, was wir vermeiden müssen. Das ist eine Syndik-Taktik, aber nichts, was unsere Vorfahren gutheißen würden. Das darf ich nicht vergessen. Ich habe mich über meine eigenen Regeln hinweggesetzt, aber weiter als das darf es nicht gehen. Wenn mir meine eigenen Grenzen entgleiten, dann könnte Black Jack mit Entscheidungen davonkommen, die ich niemals gutgeheißen hätte.

Schließlich sah er Rione wieder an und nickte. »Ich habe verstanden. Ich weiß, was Sie meinen, und die potenziellen Risiken sind mir auch klar. Ich werde mir Ihre Worte zu Herzen nehmen.«

»Gut.« Rione ließ sich nicht anmerken, ob sie zufrieden darüber war, dass er ihre Warnung begriffen hatte. »Ich übermittle dem Senior-CEO der Syndiks auf Sobek eine Nachricht, in der ich offiziell gegen den Angriff auf unsere Streitkräfte protestiere und ihm erkläre, dass wir das während des Gefechts beschädigte Hypernet-Portal leider nicht retten konnten. Er wird natürlich wissen, dass das nicht stimmt, aber er kann nichts dagegen unternehmen. Der Bericht von Captain Smythe wird ihn vor Wut kochen lassen, weil er ihm nichts bietet, was er gegen uns verwenden könnte. Dieses Sternensystem ist zwar nicht arm, aber es verfügt über nur einen Sprungpunkt und stellt damit eine Sackgasse im All dar. Das Portal wird ihnen sehr fehlen.«

»Das will ich doch hoffen«, sagte Geary. »Ich hoffe, sie sehen in jeder Minute eines jeden Tages zum Himmel und denken immer daran, dass ihr Hypernet-Portal nicht mehr da ist und dass die Überreste der Syndikatwelten es sich nicht werden leisten können, ein neues Portal einzurichten. Und ich hoffe, dass sehr viele andere Systeme davon erfahren, die noch immer treu zur Syndik-Regierung halten, und dass sie sich überlegen, welche Befehle sie zukünftig vielleicht besser nicht befolgen sollten.«

»Auf eine solche Wirkung sollten Sie besser nicht hoffen«, sagte Rione und sah ihn ernst an. »Denken Sie daran, was Sie dieser Flotte alles vor Augen führen mussten. Töten und zerstören führt gar nicht so oft dazu, dass sich andere Ihrem Willen beugen. Viel wahrscheinlicher werden sie auf klassische menschliche Weise reagieren, indem sie den Entschluss fassen, sich nicht unterkriegen zu lassen, auch wenn alle Vernunft dagegenspricht. Durch die Zerstörung dieses Hypernet-Portals können wir durchaus bewirkt haben, dass die Syndikatwelten dieses Sternensystem fester im Griff haben als zuvor.« Sie hielt inne, um ihre Worte wirken zu lassen. Als sie merkte, dass Geary ihr nicht widersprechen wollte, fuhr sie fort: »Zu einem anderen Thema: Ich werde den Syndik-Behörden ausrichten, dass wir … ja, sagen wir, wir haben fünf Individuen gefangen genommen.«

»Wir konnten auf der Invincible nur zwei Syndiks gefangen nehmen«, machte Geary ihr klar.

»Haarspaltereien. Zwei Gefangene genügen nicht, um sie ans Schwitzen zu bringen. Fünf Gefangene sind genug, damit sie in Sorge geraten. Fünf Individuen, die nicht identifiziert werden können, die aber gut auf die Behandlung ansprechen und die uns bereits erste Fragen beantworten können.«

»Danke«, sagte Geary. »Ich bin froh, dass Sie auf meiner Seite sind.«

»Erliegen Sie nicht diesem Irrtum, Admiral«, warnte sie ihn nachdrücklich. »Ich bin nicht auf Ihrer Seite, sondern auf der Seite der Allianz. Daran hat sich nichts geändert. Eine Sache noch: Ich werde dem Senior-CEO sagen, dass die Allianz-Regierung die Syndikatwelten für jeden weiteren Angriff zur Rechenschaft ziehen wird, der mit der Hilfe von Syndik-Schiffen oder anderer Syndik-Ausrüstung ausgeführt wird, ohne Rücksicht darauf, wer hinter diesen Angriffen steckt.«

»Dürfen Sie das?«, fragte Geary. »Dann drohen Sie doch mit Krieg für den Fall, dass wir erneut angegriffen werden.«

Lächelnd spreizte sie die Hände. »Bis zu unserer Rückkehr in Allianz-Gebiet bin ich offiziell die Stimme der Regierung. Es mag sein, dass die Regierung meine Drohungen nach unserer Rückkehr zurücknehmen wird, aber bis dahin müssen die Syndiks sie ernst nehmen.« Plötzlich schaute Rione ihn fragend an, dabei legte sie den Kopf schräg, als könnte sie ihn so besser betrachten. »Irgendeine andere Sache macht Ihnen noch zu schaffen, Admiral.«

»Ja, ganz richtig.« Geary ballte die Faust und sah nach unten, während er redete: »Abgesehen von der Tatsache, dass Sie mir vor Augen geführt haben, wie leichtfertig ich meine eigenen Regeln missachtet habe, nur um Rache zu üben.«

»Sagen Sie sich, die Zerstörung des Hypernet-Portals war ein Vergeltungsakt für den Verlust der Orion, nicht mehr und nicht weniger. Und erwarten Sie nicht irgendeinen Vorteil aus diesem Akt. Sie sind auch nur ein Mensch, Black Jack. Nehmen Sie sich diese Lektion zu Herzen und schauen Sie wieder nach vorn.«

»Also gut. Aber die andere lässt sich nicht so leicht aus der Welt schaffen. Selbst wenn die Syndiks Ihnen Ihre Drohung abnehmen, muss die sich erst mal bis zu den richtigen Leuten herumsprechen. So etwas dauert, da ein Schiff diese Nachricht zur Syndik-Regierung auf Prime bringen muss. Dann muss es sich von Prime herumsprechen, und allein durch diese Zeitverzögerung werden Monate verstreichen, bis Ihre Drohung allgemein bekannt ist. Deshalb wird alles, was sie noch gegen uns geplant haben, auch ausgeführt werden, weil nichts davon noch rechtzeitig rückgängig gemacht werden kann.«

»Das ist richtig«, räumte Rione ein. »Vielleicht sind meine Drohungen ja meine eigene Art von Vergeltungsschlag. Etwas, von dem ich weiß, dass es keine Wirkung zeigen kann, aber wodurch ich mich trotzdem etwas besser fühle.«

»Nein, die Drohung ist auf jeden Fall eine gute Idee. Sie wird erst langfristig Wirkung zeigen, was bedeutet, dass wir davon noch nicht profitieren werden, aber es könnte die Pläne der Syndiks in den kommenden Monaten beeinflussen. Und es besteht die Chance, dass wir von einem weiteren möglichen Hinterhalt in diesem Sternensystem verschont bleiben. Wenn die lokalen Behörden von Ihrer Drohung erfahren, reicht die Zeit noch, um einen nächsten Angriff abzublasen.«

Sie nickte, als würde sie über etwas ganz anderes nachdenken, dann wechselte sie abrupt das Thema: »Der Umweg über Sobek kostet uns Zeit, nicht wahr? Wie viel?«

»Nicht allzu viel«, antwortete Geary. Er wusste, Rione wollte das wissen, weil sie um ihren Mann besorgt war, der ruhiggestellt auf der Krankenstation der Dauntless lag. »Der Weg ist etwas länger als der über Indras, den wir ursprünglich nehmen wollten, aber solange wir bei Simur und Padronis nicht auf nennenswerte Hindernisse stoßen, werden es nur etwa zehn Tage mehr sein. Atalia liegt so dicht am Allianz-Gebiet, da dürften die Syndiks nicht in der Lage sein, irgendeine Falle für uns vorzubereiten, ohne dabei entdeckt zu werden – selbst dann nicht, wenn wir davon ausgehen, dass Atalia mit den Syndiks kooperiert.«

»Zehn Tage können eine lange Zeit sein, Admiral«, sagte Rione und ließ eine der seltenen Gelegenheiten erkennen, bei denen sie den Druck einräumte, der auf ihr lastete.

Geary nickte nur, aber sagte nichts, da er nicht wusste, wie eine angemessene Erwiderung darauf aussehen sollte. Stattdessen fragte er sich, welche Hindernisse bis Varandal wohl noch auf sie warteten.

Im Verlauf der nächsten Stunden wurde Geary mit Nachrichten der Syndik-Behörden im Sobek-System bombardiert. Man wollte wissen, was genau den Kollaps des Hypernet-Portals ausgelöst hatte, und warum die Allianz-Kriegsschiffe quer durch das System flogen, wenn sie doch eigentlich auf einem viel direkteren Weg den Sprungpunkt erreichen konnten. Sie verlangten, dass die Flotte jeden Bürger der Syndikatwelten im Gewahrsam der Allianz auslieferte, und in einer besonders dreisten Nachricht forderten sie, dass die Allianz-Flotte für die Benutzung des Hypernet-Portals bezahlen sollte.

Geary befand sich auf der Brücke der Dauntless, als Rione ihn über die jüngste Forderung informierte. Ehe er darauf reagierte, überprüfte er zunächst, ob die Privatsphäre um ihn herum aktiv war, damit keiner der Brücken-Wachhabenden mithören konnte. »Gesandte Rione, antworten Sie den Syndik-Behörden bitte, dass sie sich zum Teufel scheren können. In der Hölle werden sie ganz sicher alles bekommen, was ihnen zusteht.«

»Soll ich das in eine diplomatische Antwort umformulieren?«, fragte sie.

»Wenn Sie das wollen. Mir macht es nichts aus, sie vor den Kopf zu stoßen. Was ist denn die angemessene Antwort zum Thema Gefangene?«

Sie hob entschuldigend die Hände. »Die Individuen in unserem Gewahrsam können nicht belegen, dass sie Syndik-Bürger sind. Also müssen wir davon ausgehen, dass sie staatenlos sind. Es sei denn, die Behörden hier erklären sie zu Angehörigen der Syndikatwelten. Aber wenn sie das machen, müssen sie auch die Verantwortung für deren Handeln übernehmen.«

»Damit kann ich leben«, meinte er und schaute auf sein Display. »Lieutenant Iger und seine Leute konnten in diesem Sternensystem keinen Hinweis auf ein Gefangenenlager finden, in dem noch Allianz-Angehörige festgehalten werden. Das ist auch gut so, weil die Syndiks sonst wahrscheinlich versuchen würden, einen Tausch gegen die Gefangenen zu erreichen, die sich in unserer Gewalt befinden.«

»Darauf hat es keinerlei Hinweise gegeben«, erklärte Rione.

»Was ist mit den getarnten Shuttles, die wir zerstören konnten? Irgendwelche Erklärungen der CEOs dazu?«

»Die Syndik-Behörden hier schieben das und alle anderen Vorkommnisse auf abtrünnige Elemente und unbekannte Akteure, deren Handlungen nicht von den Syndikatwelten autorisiert wurden. Mit anderen Worten: Sie sind völlig entsetzt darüber, dass militärische Ausrüstung in die Hände von Kriminellen fallen konnte, die uns damit aus welchen Gründen auch immer angegriffen haben.«

»Zu schade, dass man sein virtuelles Gegenüber nicht würgen kann«, merkte Geary an.

»Das ist wirklich bedauerlich. Ich bin auch ein wenig enttäuscht darüber, dass sie sich nicht etwas mehr Mühe und nicht ganz so offensichtlich lügen.« Ihr Gesichtsausdruck hatte einen grimmigen Zug angenommen. »Vielleicht wollen sie ja, dass wir überreagieren, damit sie den Friedensvertrag für gebrochen erklären können. Oder aber das Gegenteil trifft zu, und sie sind davon überzeugt, dass Black Jack schon nicht überreagiert, selbst wenn sie uns immer wieder kleine Verletzungen zufügen, die sich irgendwann zu schweren Verletzungen addieren werden.«

»Die Orion war keine kleine Verletzung«, hielt er dagegen. »Wie sehen Sie meine Optionen?«

»Das ist ein Drahtseilakt, Admiral. Schlagen Sie härter zurück, als sie es erwarten, aber nicht so hart, dass sie Ihnen übertriebenes Handeln vorwerfen können.«

»Wie soll ich wissen, was hart genug, aber noch nicht zu hart ist?«

Rione lächelte ihn an. »Dabei kann ich Ihnen behilflich sein. Machen Sie es wie bei dem unerfreulichen Verlust des hiesigen Hypernet-Portals.«

»Ich verstehe.« Geary sah sie fragend an. »Was genau sagen die Syndiks denn über das Portal?«

»Sie wollen ja bloß wissen, wie sehr Sie sie damit getroffen haben. Nun, es wird Sie freuen zu hören, dass die Syndiks vor Wut toben. Sie verlangen Daten, die den Kollaps des Portals erklären und die belegen, dass es nicht unsere Ingenieure waren, die die Schäden vorsätzlich herbeigeführt haben. Sie verlangen Entschädigung, sie zeigen sich über einen solch aggressiven Akt tief bestürzt. Nun gucken Sie doch nicht so, Admiral. Wenn Sie mit diesem Gesichtsausdruck diese Mitteilungen empfangen hätten, dann wäre das ein eindeutiger Beweis für deren … absurde Vorwürfe.«

»Ich muss zugeben, die Dreistigkeit so mancher Syndiks beginnt meine Geduld über Gebühr zu strapazieren«, erwiderte Geary, als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte.

Erneut lächelte Rione ihn an. »Ich bin daran schon gewöhnt. Ich reagiere mit Erstaunen, Entsetzen oder Bestürzung auf ihre Vorwürfe. Ich bitte sie um Beweise, ich berufe mich auf eine Schlichtungsklausel im Friedensvertrag. Ich verspreche ihnen, mich mit der Angelegenheit zu beschäftigen. Dabei wissen sie, dass ich mit ihnen spiele und dass gar nichts geschehen wird, dass ihr Hypernet-Portal nicht mehr da ist und dass sie uns diesen Verlust niemals werden nachweisen können. Ich versichere, es macht sie völlig rasend.«

Er erwiderte das Lächeln und meinte: »Sie sind gut darin, Leute zur Raserei zu bringen, wie?«

»Das ist eine Gabe.«

»Wieso sind Sie wieder so hilfsbereit? Hat die Begegnung mit den Kiks und den Tänzern denn tatsächlich so viel verändert?«

»Was so viel verändert hat«, entgegnete sie, nachdem sie kurz weggeschaut hatte, »ist Ihre Entdeckung, was mit meinem Ehemann nicht stimmt. Was man Commander Benan angetan hat, und der Grund, wieso man es ihm angetan hat – das geht so weit über jegliches Verhalten hinaus, das die Öffentlichkeit der Allianz-Regierung zutrauen und vielleicht auch zubilligen würde, dass ich jetzt im Besitz eines ungeheuren Druckmittels bin. Das werden die wissen, die versucht haben, mich zu benutzen und mich zu erpressen.«

»Aber wenn Sie damit an die Öffentlichkeit gehen, dann könnte das Ihren Ehemann buchstäblich umbringen.«

Sie nickte gelassen. »Das würden sie an meiner Stelle sowieso machen, und deswegen werden sie glauben, dass ich auch so vorgehen will. Hüten Sie sich vor Leuten, die davon überzeugt sind, dass sie recht haben, Admiral. Diese Überzeugung erlaubt es ihnen, bei der Verfolgung ihrer Ziele beinahe jedes Handeln zu rechtfertigen.«

»So wie die Syndik-CEOs in diesem System?«, fragte Geary und hörte die Verbitterung aus seinen Worten heraus. Wäre es doch nur möglich, sie persönlich für das bezahlen zu lassen, was sie der Orion angetan haben …

Sie schüttelte den Kopf. »Mich würde es sehr wundern, wenn auf deren Seite irgendwelcher Idealismus zu finden wäre; oder irgendein Gespür dafür, was richtig und was verkehrt ist. Diese CEOs haben das getan, wovon sie glaubten, dass sie persönlich davon am meisten profitieren. Es mag auch ein privates Rachemotiv eine Rolle gespielt haben, falls sie jemanden im Krieg verloren haben. Aber durch meine Gespräche mit Ex-CEO Iceni in Midway habe ich einen besseren Einblick in die Denkweise der CEOs bekommen. Ihr interner Sicherheitsdienst hat Menschen hervorgebracht, die wirklich an das System glaubten. Aber alle anderen wurden entweder durch Eigeninteresse oder Angst motiviert.«

»Wie kann ein solches System überleben?«, wollte Geary wissen.

»Durch Eigeninteresse und Angst.«

»Meine Frage war ernst gemeint.«

Rione reagierte wieder einmal mit diesem herablassenden Blick. »Meine Antwort ebenfalls. Eigeninteresse plus Angst funktionieren gut, zumindest eine Zeit lang. Und zwar so lange, bis das Eigeninteresse, das nicht durch eine übergeordnete Loyalität gebändigt wird, zerstörerischer wird, als das System es aushalten kann. Und bis die Angst, sich gegen das System zu erheben, von der Angst verdrängt wird, weiter in diesem System leben zu müssen. Früher oder später läuft es immer darauf hinaus. Im Fall der Syndikatwelten versetzte der Krieg ihre Anführer in die Lage, die Angst vor uns zu nutzen, um die Angst davor zu schüren, sich gegen das eigene System zu erheben. Die Syndikatwelten zerfallen nicht nur, weil der Krieg eine so große Belastung dargestellt hat, und auch nicht, weil sie den Krieg und infolgedessen einen erheblichen Teil ihres militärischen Personals verloren haben. Sie zerfallen auch, weil die Angst vor der Allianz nicht länger benutzt werden kann, um die einzelnen Individuen und die einzelnen Sternensysteme an die Syndik-Regierung zu binden.«

»Ich verstehe«, sagte Geary nachdenklich. »Die Allianz sieht sich ganz ähnlichen Belastungen ausgesetzt, weil die Angst vor den Syndiks für unseren Zusammenhalt gesorgt hat.«

»Ein Feind von außen ist für jeden Politiker das Beste, was er sich wünschen kann«, kommentierte sie ironisch. »Indem sie auf einen solchen Feind zeigen, können sie sehr vieles entschuldigen und rechtfertigen. Aber das heißt nicht, Feinde von außen seien nie real. Wie heißt diese alte Redewendung doch gleich noch? Nur weil man paranoid ist, bedeutet das noch lange nicht, dass nicht doch jemand da ist, der einem was will.«

»Und die Syndiks tun, was sie können, um uns was zu wollen«, fügte Geary an. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: »Ich habe mich gefragt, welches Ziel die Syndiks verfolgen. Warum greifen sie uns auf diese Weise an? Sie müssen doch wissen, dass sie nicht gewinnen können. Aber ich glaube, Sie haben mich soeben auf die Antwort gebracht.«

»Das mache ich ganz wundervoll, nicht wahr?«, meinte Rione daraufhin. »Wenn Sie nicht noch mehr von meinen weisen Ratschlägen benötigen, würde ich jetzt gern meine Antwort auf die jüngsten Forderungen der Syndiks formulieren.«

Geary kehrte auf die Brücke zurück und nahm in seinem Sessel Platz, wobei er zum x-ten Mal versuchte, beim Blick auf sein Display das Fehlen der Orion in der Flottenformation nicht zur Kenntnis zu nehmen. Nachdem er monatelang die Orion im Blick gehabt hatte, weil sie wegen der immer falschen Befehlshaber für die Flotte eher im Weg gewesen war, hatte sie unter Commander Shen eine Wende um hundertachtzig Grad bewältigt und sich zu einem wertvollen Mitglied der Flotte entwickelt. Unwillkürlich schaute er auf die Stelle, wo die Orion sich hätte befinden müssen, aber nicht mehr zu sehen war.

Er warf Desjani einen Seitenblick zu. Sie erledigte verbissen ihre Arbeit, ohne sich ihre Trauer anmerken zu lassen. Trotzdem wusste er, dass Shen ein guter Freund von ihr gewesen war. Jetzt war er nur noch ein weiterer Kamerad, dessen Name auf der Tafel in ihrem Quartier zu finden sein würde, ein weiterer Eintrag auf der Liste derer, die gestorben waren und die Desjani niemals vergessen wollte.

»Ja, Admiral?«, fragte Desjani plötzlich. Sie hatte ihn nicht angesehen, ihr war nicht anzumerken gewesen, dass sie seinen Blick wahrgenommen hatte, und doch musste sie es irgendwie gespürt haben.

»Ich habe nur … nachgedacht«, erwiderte er.

Sie sah ihm in die Augen, dabei wurde ihm klar, dass sie genau wusste, was er gedacht hatte. Manchmal war es ihm unheimlich, wie leicht Tanya ihn durchschauen konnte. »Wir müssen die Erinnerung bewahren, aber wir können es uns nicht leisten, zu viel über Dinge nachzudenken, die uns von den Dingen ablenken, über die wir nachdenken müssen

»Glauben Sie mir, ich denke über fast nichts anderes nach als darüber, was die Syndiks noch alles geplant haben könnten. Ich habe eine Flottenkonferenz bislang nur vor mir hergeschoben, weil ich mir erst ein paar Themen zurechtlegen wollte, über die ich reden möchte, um alle von unseren Verlusten abzulenken.«

Sekundenlang sah sie ihn schweigend an. »Ich bezweifle, dass sich irgendjemand ablenken lassen könnte, Admiral. Nicht von solchen Ereignissen. Aber wenn uns nichts einfällt, sollten wir vielleicht noch andere Denker dazuholen. Haben Sie mit Roberto Duellos gesprochen? Oder Jane Geary? Mit irgendjemandem außer mir und dieser Frau?«

»Ja, ich habe mit anderen Leuten gesprochen. Und diese Frau hat gerade eben ein interessantes Bild gezeichnet, was die Syndik-Regierung langfristig planen könnte.« Er fuchtelte wütend mit den Händen. »Aber was die lokale Bedrohung angeht, muss ich mich mit der Tatsache abfinden, dass wir hier niemanden haben wie … na, wie diese beiden Colonels, die für General Drakon arbeiten. Jemanden, der wie ein Syndik denkt und der erahnen könnte, zu welcher List sie als Nächstes greifen werden.«

»Sie wollen ja nur Colonel Morgan wiedersehen«, sagte Desjani. »Oh, regen Sie sich nicht auf, das war nur ein Scherz. Allmählich sollten Sie wissen, dass ich zu Scherzen greife, wenn ich mit einer schwierigen Situation klarkommen muss. Also gut, wir haben keine Syndiks in der Flotte, abgesehen natürlich von unseren Gefangenen an Bord der Invincible. Aber die geben ja gar nicht erst zu, dass sie Syndiks sind. Trotzdem heißt das nicht, dass uns keine listigen Denker zur Verfügung stehen.« Desjani betätigte eine Taste. »Master Chief Gionnini, ich benötige jemanden mit einer verschlagenen Denkweise.«

Minuten später tauchte das Gesicht des Master Chief vor ihr in einem virtuellen Fenster auf. »Jemanden mit einer verschlagenen Denkweise? Sie wollen, dass ich jemanden für Sie ausfindig mache, auf den das zutrifft, Captain?«, fragte Gionnini todernst.

»Ich glaube, ich begnüge mich mit Ihnen, Master Chief. Sie sind doch über die Ereignisse in diesem Sternensystem auf dem Laufenden, nicht wahr?«

»Ja, Captain. Jedenfalls habe ich mich bei allem auf dem Laufenden gehalten, was meiner Position innerhalb der Flotte entspricht …«

»Verschonen Sie mich mit Ihrer falschen Frömmigkeit, Master Chief«, unterbrach Desjani ihn. »Ich möchte, dass Sie sorgfältig über die folgende Frage nachdenken: Wenn Sie dieser Flotte weiteren Schaden zufügen wollten, solange sie sich noch in diesem System befindet, was würden Sie dann versuchen?«

»Sie meinen, wenn ich ein Syndik wäre, Captain?«

»Wenn es Ihnen lieber ist, stellen Sie sich vor, dass dies hier eine Syndik-Flotte ist, und sie wollen ihr unbedingt noch eins auswischen, bevor sie das Sternensystem verlässt.«

»Minen am Sprungpunkt«, antwortete Gionnini, ohne zu zögern. »Wir können das System auf jedem beliebigen Weg durchqueren, aber wir müssen zu diesem Sprungpunkt dort. Und das wissen die Syndiks, Captain.«

»Und wie würden Sie verhindern, dass wir die Minen frühzeitig entdecken und sie umfliegen?«, wollte Desjani wissen. »Die Syndiks wissen, dass wir nach den ersten Attacken umso wachsamer sein werden und auf jede Auffälligkeit achten. Deren Tarntechnologie für Minen ist zwar gut, aber nicht so gut, dass wir sie nicht entdecken könnten, wenn wir an der richtigen Stelle danach suchen. Und von der richtigen Stelle sind wir jetzt nicht mehr so weit entfernt.«

»Ein Täuschungsmanöver«, lautete Gionninis nächste Antwort. »Etwas, das uns abermals ablenkt. Etwas, das ihnen hilft, die Minen besser vor unseren Sensoren zu verbergen. So wie bei einem Zaubertrick. So was funktioniert nicht etwa, weil niemand sehen kann, was Sie machen, sondern weil Sie auch noch etwas anderes machen, auf das sich die Leute konzentrieren, die Ihnen zusehen.«

»Irgendeine Idee, was für eine Ablenkung das sein könnte?«, fragte Desjani.

Diesmal antwortete Gionnini erst nach einer kurzen Pause. »Darüber muss ich erst mal ein bisschen nachdenken, Captain. Es muss etwas sein, das die automatische Gefahrenerkennung der Flottensensoren ebenso täuschen kann wie das Personal, das die Sensoren bedient.«

»Denken Sie bitte schnell darüber nach, Master Chief. Vielen Dank für Ihre hilfreiche Antwort. Gibt es sonst noch etwas zu berichten?«

»Ja, eine Sache wäre da noch, Captain. Es ist eher privater Natur.«

Desjani betätigte eine Taste. »Ich habe die Privatsphäre um mich herum aktiviert.«

Und um ihn herum ebenfalls, wie Geary in dem Moment feststellte, da er sie laut und deutlich reden hörte. Er äußerte sich aber nicht dazu, um Gionnini nicht darauf aufmerksam zu machen.

»Ja, Captain. Also, Sie haben mich doch gebeten, die Augen offen zu halten, ob in einem bestimmten Teil der Flotte etwas Ungewöhnliches festzustellen ist.«

»Die Hilfsschiffe. Ja, richtig. Was gibt es da?«

»Also, ich habe einen ziemlich zuverlässigen Hinweis darauf, dass eine große Menge an hochkarätigem Alkohol auf eines der Hilfsschiffe geliefert worden ist …«

»Tanuki?«

»Das ist das, was mir zu Ohren gekommen ist, Captain. Das ist Zeugs von Syndik-Planeten, für das ein Embargo verhängt wurde. Zeugs, das zu Hause sehr gefragt ist.«

»Verstehe. Und wie sind Sie darauf aufmerksam geworden, Master Chief?«

»Der gleiche Lieferant hat mir auch eine Ladung angeboten, Captain. Natürlich habe ich mich darauf nicht eingelassen.«

»Wollte der Lieferant so viel dafür haben, dass nicht mal Sie ihn runterhandeln konnten?«, gab Desjani zurück.

»Captain, wenn man überzogene Einkaufspreise bezahlt, kann man keine Gewinne mehr erzielen. Nicht, dass ich mich jemals an solchen Transaktionen beteiligen würde, die ja – wie Sie selbst wissen – gegen die Flottenbestimmungen verstoßen. Aber ich fühlte mich dazu veranlasst, so viel wie möglich über diesen Deal in Erfahrung zu bringen. Immerhin könnte ja eine Bedrohung für die Flotte oder ihr Personal bestehen«, fügte Gionnini scheinheilig an.

»Ihr Pflichtbewusstsein ist strahlendes Vorbild für uns alle«, sagte Desjani. »Haben Sie auch eine Ahnung, was die Tanuki für die Schwarzmarktware bezahlt hat?«

»Nein, Captain, das konnte ich nicht herausfinden.«

»Danke, Master Chief. Gibt es sonst noch was?«

»Nur eine winzige Kleinigkeit, Captain«, sagte Gionnini und lächelte sie strahlend an. »Eine Frage, um genau zu sein. Werden wir vor Erreichen des Sprungpunkts noch irgendwelche größeren Kurswechsel vornehmen?«

»Das ist schwer zu sagen, Master Chief, und das hängt einzig und allein von Admiral Geary ab.«

»Verstehe schon, Captain. Es ist nur eben so, dass ich wegen des unerwarteten Umwegs alle Wetten auf den richtigen Sprungzeitpunkt streichen und von vorn anfangen musste.«

»Das war bestimmt sehr viel Arbeit, Master Chief«, entgegnete sie mit gespieltem Mitgefühl.

Von Gionnini unbemerkt musste Geary grinsen. Diese Wetten existierten schon so lange, wie es den Sprungantrieb gab. Crewmitglieder setzten einen kleinen Betrag auf den exakten Zeitpunkt, an dem das Schiff zum Sprung ansetzte. Wer dem Zeitpunkt am nächsten kam, der gewann die gesamten Einsätze. Aus einem unerfindlichen Grund war die Flotte nie gegen diese Wetten vorgegangen. Vielmehr hatte sie sogar deren Bedeutung für die Moral der Truppe anerkannt, die ansonsten wohl ihr Geld auf Unerfreulicheres als den richtigen Sprungzeitpunkt gesetzt hätte. Soweit Geary wusste, hatten Vorgesetzte nur in einigen Fällen offizielle Verbote verhängt, etwa wenn einzelne Einsätze zu hoch ausfielen.

»Master Chief, ich werde dafür sorgen, dass der Admiral die Folgen für Ihre Arbeitsbelastung berücksichtigt, wenn er die nächste Kursänderung in Erwägung zieht«, sagte sie.

»Kommen Sie, Captain«, protestierte Gionnini »Sie wissen doch genau, dass niemand an Bord dieses Schiffs so hart arbeitet wie ich. Sie und der Admiral natürlich ausgenommen.«

»Das kommt ganz darauf an, wie Sie und ich den Begriff ›arbeiten‹ definieren, Master Chief. Nochmals danke für Ihre Informationen und Vorschläge.«

Desjani warf Geary einen eindringlichen Blick zu. »Was halten Sie davon?«

»Von den Wetten, vom Alkoholschmuggel oder von den Plänen der Syndiks?«

»Ich habe Ihnen ja gesagt, dass Sie Smythe nicht aus den Augen lassen sollten.«

»Und das machen Sie auch sehr gut«, betonte Geary. »Wussten Sie eigentlich, dass die Hilfsschiffe bei Midway auch einen Vorrat an wichtigen Seltenen Erden erwerben konnten? Von einem der Asteroiden können sie nicht stammen, aber wir benötigen sie, und deshalb habe ich keine lästigen Fragen gestellt. Smythe hat vermutlich gegen die Hälfte aller bestehenden Regeln verstoßen, aber das macht er oft nur, damit er seine Arbeit erledigen kann.«

»Und deshalb sind Sie bereit, über alle anderen Regelverstöße hinwegzusehen?«

»Ja. Solange er der Flotte nicht schadet. Ich werde ein paar Fragen in den Raum werfen, was illegalen Syndik-Alkohol angeht, damit er weiß, dass er nicht völlig unbeobachtet ist und am Ende noch irgendwelche kriminellen Spielchen treibt.« Er sah Desjani an, dass sie seine Argumente nicht gelten lassen wollte. »Ich handle nicht anders als sie, wenn Sie Master Chief Gionnini bestimmte Fragen nicht stellen, weil seine besonderen Fähigkeiten für die Dauntless von großem Nutzen sein können.«

Sie wollte zum Reden ansetzen, hielt inne und nickte betreten. »Jetzt haben Sie mich ertappt. Und was ist mit seinen Überlegungen, was die Syndiks tun könnten?«

»Ich denke, damit dürfte er ziemlich richtigliegen«, antwortete Geary. »Sie und ich hätten auch darauf kommen müssen. Wir waren zu sehr auf mögliche Bedrohungen links und rechts unseres Weges fixiert gewesen, dass wir gar nicht erkannt haben, dass nur das Gebiet unmittelbar vor dem Sprungpunkt die einzige Region im System ist, die wir tatsächlich passieren müssen.« Er ließ von seinem Display rasch eine Anfrage durchrechnen. »Seit unserer Ankunft haben ein paar Handelsschiffe das System durch den Sprungpunkt verlassen, aber die kann man vorsätzlich auf Routen losgeschickt haben, auf denen sie die Minen umgehen, damit wir die vorhandene Bedrohung nicht wahrnehmen.«

»Aber wenn wir uns dem Sprungpunkt nähern, müsste da irgendetwas sein, das uns ablenkt. Was könnte da funktionieren? Getarnte Shuttles sind teuer und nicht in großen Mengen vorrätig. Außerdem haben wir die Zahl dieser Shuttles bereits deutlich dezimiert. Und dass sie die Invincible entern konnten, war auch nur möglich, weil wir durch einen anderen Angriff abgelenkt waren.«

»Es muss etwas anderes sein«, überlegte Geary. »Sie wissen, dass wir jetzt darauf achten. Also werden sie nicht das Gleiche noch einmal versuchen. Sie werden etwas zu unternehmen versuchen, worauf wir nicht achten. Was immer das auch sein könnte. Na gut, dann werde ich eine Flottenkonferenz einberufen.«

Er konnte sich auf diese Konferenzen nie freuen, selbst wenn es nur gute Dinge oder Routineangelegenheiten zu besprechen gab. Und bislang hatte Sobek nicht einmal Gutes oder Routinemäßiges hervorgebracht.

Geary stand im Konferenzraum und betrachtete die versammelten Bilder der ihm unterstellten Befehlshaber. Der Raum selbst war recht klein. Er erweckte nur durch die Konferenzsoftware den Eindruck, er sei geräumig genug, dass er jedem Platz bot. Dabei wurde auch der Tisch vor Geary virtuell in die Länge gestreckt, damit Hunderte Männer und Frauen virtuell an ihm sitzen konnten. Die Senioroffiziere, die Captains und Commander der Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer, General Carabali von den Marines und die Senioringenieure der Flotte saßen Geary am nächsten, aber wenn er sich an einen der weiter entfernten Offiziere wandte, genügte ein Blick in dessen Richtung, damit er von der Software automatisch herangezoomt wurde, wobei ihm Name, Dienstgrad und Schiff angezeigt wurden.

Das alles machte solche Treffen sehr einfach, was für Geary aber in den meisten Fällen genau den Nachteil dieser Software darstellte. Für Geary war eine Konferenz immer etwas gewesen, das mühselig zu leiten und für alle Beteiligten ebenso mühselig zu erreichen sein sollte, damit man in einem stickigen, übervollen Raum zusammenkam, aus dem jeder wieder so schnell wie möglich verschwinden wollte. Aber manchmal musste er einfach ausführliche Treffen abhalten, und dann erwies sich die Software doch als sehr angenehm.

»Sie sind alle mit der Situation vertraut«, sagte Geary. »Der Verlust der Orion war für uns alle ein schwerer Schlag, aber ihre Crew ist einen ehrenvollen Tod gestorben, sie hat in Erfüllung ihrer Pflicht gehandelt, und jeder Einzelne von ihnen wird zweifellos von den Lebenden Sternen willkommen geheißen.«

»Ein schwerer Verlust«, stimmte Captain Duellos vom Schlachtkreuzer Inspire ihm ungewohnt schroff zu. »Wir haben zu viele Kameraden im Gefecht verloren. Ich wünschte, die Orion wäre in der Lage gewesen, mehr Feinde mit in den Tod zu reißen. Und ich wünschte, wir hätten die Möglichkeit gehabt, diejenigen teurer dafür bezahlen zu lassen, die diesen Angriff angeordnet haben. Und was für eine Schande, dass bei dieser Attacke auch noch das Hypernet-Portal hier im System so schwer beschädigt wurde.«

»Ja«, stimmte ihm Captain Badaya von der Illustrious zu, dessen Gesicht vor Wut gerötet war. »Aber nicht Schande genug. Es ist zu schade, dass nicht ein paar verirrte Projektile die wichtigsten Syndik-Einrichtungen in tiefe Krater verwandelt haben.«

Zustimmendes Gemurmel machte sich an dem riesigen virtuellen Tisch breit.

»Wieso nicht?«, wollte Commander Neeson von der Implacable wissen. »Warum lassen wir sie nicht teurer dafür bezahlen? Sie haben uns angegriffen, und sie haben die Orion zerstört. Warum sollten wir nicht zurückschlagen?«

Geary wartete ab, bis die nächste Welle an zustimmenden Äußerungen abebbte, anstatt sie mithilfe der Software zum Verstummen zu bringen. Sollen sie ruhig ein bisschen Dampf ablassen. Das tut uns allen gut. »Ich habe keinen derartigen Vergeltungsschlag angeordnet, weil die Syndik-Führer genau das von uns erwarten. Sie wollen, dass wir auf eine Weise gegen die Friedensvereinbarungen verstoßen, die sie in die Lage versetzt, uns den ersten Angriff in die Schuhe zu schieben.«

Diese Aussage löste bei den Anwesenden verdutztes Schweigen aus, bis sich Captain Tulev von der Leviathan zu Wort meldete. »Warum sollten die Syndiks einen erneuten Krieg gegen die Allianz provozieren wollen, wenn sie nicht mal mehr die militärischen Mittel besitzen, um all ihre Sternensysteme dazu zu zwingen, loyal zu ihnen zu stehen?« Tulev klang nicht so, als wollte er mit seiner Frage provozieren.

»Weil sie wieder einen Feind von außen haben wollen«, erklärte Geary. »Die Syndik-Führer wissen, dass sie mit den ihnen verbliebenen Kräften die Reste der Syndikatwelten nicht auf Dauer zusammenhalten können. Aber sie wissen auch, dass die Angst vor der Allianz während des Krieges verhindert hat, dass einzelne Sternensysteme gegen sie aufbegehrten.«

Badaya schüttelte den Kopf. »Dieser Trick kann nicht mehr ziehen. Selbst wenn wir uns durch Syndik-Gebiet pflügen und rechts und links alles bombardieren würden, wird das Syndik-Imperium nicht wiederauferstehen.«

»Dessen bin ich mir nicht so sicher«, wandte Carabali ein und sprach dabei sehr bedächtig. »So geschwächt sie jetzt nach dem Krieg auch sind, können die Syndikatwelten einzelnen Sternensystemen immer noch ein höheres Maß an Sicherheit bieten als das, wozu diese Systeme in Eigenregie in der Lage sind. Dieser bessere Schutz gegen Bedrohungen von außen und das Versprechen innerer Stabilität sind das Einzige, was die Syndiks diesen Sternensystemen jetzt noch bieten können.«

»Damit ergibt sich wieder die Wahl zwischen mehreren Feinden«, sagte Duellos. »Da jetzt Frieden mit der Allianz herrscht, sehen diese Sternensysteme ausschließlich die Herrscher der Syndikatwelten als ihre Feinde an, also ihre eigenen Herrscher. Bricht der Krieg wieder aus, gibt es auf einmal noch andere Feinde, die einem Sorgen bereiten. Ja, das könnte funktionieren.«

»Ja, stimmt«, pflichtete Tulev ihm bei. »Wenn auch erst einmal nur im Kleinen. Aber aus kleinen Vorteilen können mit der Zeit große Veränderungen werden. Ich kann Ihre Logik nachvollziehen, Admiral.«

Badaya war immer noch wütend, aber auch er hatte begonnen nachzudenken. »Sie wollen uns zu einem Gegenschlag verleiten, und dafür gibt es keine andere vernünftige Erklärung als das, was Sie ausgeführt haben, Admiral. Das ist alles sehr überzeugend. Trotzdem ist es bitter, dass wir die Orion nur mit dem Kollaps des Hypernet-Portals vergelten konnten.«

»Das sehe ich auch so«, sagte Geary. »Es scheint keine angemessene Vergeltung zu sein. Doch der Verlust des Hypernet-Portals wird gravierende Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft haben, und vor allem werden die Syndiks in ihrer Fähigkeit eingeschränkt, militärisches Personal schnell zu verlegen.«

»Soweit wir wissen, war das hier das letzte funktionstüchtige Portal der Syndik-Welten, mit Ausnahme von Midway. Und das steht nicht unter ihrer Kontrolle«, warf Neeson ein.

»Ja, und deshalb sind die Syndiks hier so außer sich und …« Geary brach mitten im Satz ab, als ihm klar wurde, dass da etwas überhaupt nicht zusammenpasste.

Captain Hiyen erkannte den Widerspruch vor allen anderen: »Warum sind die Syndiks hier so außer sich, dass sie ihr Hypernet-Portal verlieren, wenn sie doch nur nach Midway hätten gelangen können? Das Portal war doch ohnehin nutzlos für sie geworden.«

Der Gesandte Charban hatte den Blick auf das Sternendisplay gerichtet, das über dem Konferenztisch schwebte. »Wenn sie so verärgert sind, dann muss das Portal für sie immer noch von Nutzen gewesen sein. Also muss es möglich gewesen sein, von hier aus andere Systeme zu erreichen.«

»Wir haben alles überprüft«, bekräftigte Desjani. »Das einzige zugängliche Portal war Sobek.«

Hiyen schüttelte den Kopf. »Das einzige von Midway aus zugängliche Portal war Sobek«, sprach er sehr betont. »Das haben wir feststellen können.«

Commander Neeson sah Hiyen an. »Haben die Syndiks eine Methode entwickelt, mit der man innerhalb des Hypernets den Zugriff auf die Portale einschränken kann? Ist so etwas überhaupt möglich?«

»Ich weiß es nicht«, räumte Hiyen ein. »Ich weiß auch nicht, ob sich schon irgendwann jemand mit dieser Frage befasst hat. Warum hätten wir das tun sollen?«

»Warum sollten die Syndiks das machen? Was hätten sie davon?«, merkte Badaya an.

»Oh verflucht!«, rief Desjani aufgebracht in die Runde. »Die Antwort darauf befindet sich an Bord der Dauntless, und da befindet sie sich schon, seit wir von diesem angeblichen Überläufer den Schlüssel für das Hypernet der Syndiks erhalten hatten.«

Duellos verzog das Gesicht. »Aber natürlich. Als wir der Falle entkommen waren, die sie bei Prime für uns vorbereitet hatten, wussten die Syndiks, dass die Allianz-Flotte mit einem Schlüssel zu ihrem Hypernet unterwegs war. Wir hatten die ganze Zeit über angenommen, dass sie diesen Vorteil ausgleichen wollten, indem sie versuchten, diese Flotte zu vernichten. Aber warum sollten sie sich darauf beschränken? Warum sollten sie nicht auch nach einem Weg suchen, die Brauchbarkeit dieses Schlüssels einzuschränken, damit wir in ihrem Hypernet nicht hinfliegen können, wo wir gerade hinwollen?«

»Daran arbeiten sie schon, seit wir ihnen bei Prime entwischt sind«, erklärte Neeson wütend. »Und uns ist nie der Gedanke daran gekommen.«

»Wir haben gewonnen«, hielt Charban dagegen. »Warum hätten wir nach weiteren Fähigkeiten suchen sollen?«

»Wir wissen nicht, ob das wirklich das Werk der Syndiks ist«, gab Tulev zu bedenken. »Es ist zwar ein naheliegender Gedanke, das muss ich zugeben. Aber eine Bestätigung dafür existiert nicht.«

Geary sah kurz zu Rione, und als sie nickte, wandte er sich wieder an die anderen. »Wir wissen, dass die Syndiks mit neuen Forschungen am Hypernet beschäftigt waren. Sie haben eine Methode entwickelt, wie sich verhindern lässt, dass ein Portal mittels Fernsteuerung kollabiert, also genau das, was Kalixa ausgelöscht hat. Mir ist nicht bekannt, ob die Allianz ähnliche Forschungen betrieben hat.«

»Wir hatten keine Veranlassung dazu, oder?«, fragte Duellos in die Runde. »Bei uns wurde kein Sternensystem in ein Inferno verwandelt so wie Kalixa bei den Syndiks.«

»Die Enigmas haben das Gleiche mit dem Sternensystem Petit in der Allianz versucht«, betonte Desjani.

»Aber es ist nicht gelungen, weil unsere geschätzte und leider viel zu früh von uns gegangene Kollegin Jaylen Cresida das Gerät entwickelt hat, mit dem der Kollaps verhindert werden konnte. Ein Sternensystem ohne Hypernet-Portal ist etwas völlig anderes als ein von seinem Hypernet-Portal vernichtetes Sternensystem.«

Geary sah sich um, aber niemand sonst schien noch etwas vorschlagen zu wollen. Hat das etwas mit dem gescheiterten Versuch des Flottenhauptquartiers zu tun, unmittelbar vor der Abreise aus Varandal jeden von Bord zu holen, der Kenntnisse über das Hypernet besitzt? Ich dachte, es ging nur darum, uns daran zu hindern, etwas über die Möglichkeiten zu erfahren, wie man das gesamte Hypernet der Syndiks per Fernsteuerung zusammenbrechen lassen kann. Aber steckte vielleicht mehr dahinter?

Jane Geary hob erstaunt den Kopf. »Lakota. Sprachen Sie nicht davon, Admiral, dass bei Lakota Syndik-Verstärkungen durch das Portal eintrafen, die völlig überrascht waren, weil sie vor dem Eintritt ins Hypernet ein ganz anderes Ziel angegeben hatten?«

»Ja, das ist richtig.«

»Wie viel wissen die Syndiks eigentlich darüber? Die Syndiks bei Lakota hatten doch zwischen der Abreise unserer Flotte aus Lakota und der Rückkehr dorthin – als die zweite Schlacht dort ausgetragen wurde – immer noch Zeit, den Vorfall zu melden. Die Syndik-Regierung dürfte davon erfahren haben, dass es eine Möglichkeit geben muss, das Zielportal eines Schiffs auch dann noch zu ändern, wenn es sich bereits im Hypernet befindet. Was, wenn sie versucht haben herauszufinden, wie sie das selbst auch bewerkstelligen können?«

»Das wird ja immer besser«, schnaubte Badaya. »Unsere einzige Trumpfkarte, mit der wir das Syndik-Hypernet benutzen können, ohne dass sie in unser Hypernet gelangen können, wird zu einem reinen Glücksspiel.«

»Vielleicht forscht die Allianz-Regierung ja an etwas ganz Ähnlichem«, überlegte Charban. »Wenn wir zurück in Varandal sind, bekommen wir ja womöglich zu hören, dass die entsprechenden Gegenmaßnahmen längst in die Wege geleitet worden sind.«

Nach einer kurzen Pause war von verschiedenen Seiten leises spöttisches Lachen zu hören.

»Bei allem Respekt vor Ihren Leistungen als Offizier der Bodenstreitkräfte«, sagte Duellos schließlich, »aber wollen Sie damit vielleicht sagen, wir sollten darauf vertrauen, dass unsere Regierung ein Problem hat kommen sehen und dass sie eine Lösung gefunden hat, bevor ihr alles um die Ohren fliegen konnte?«

Charban erwiderte mit einem freundlichen Lächeln: »Das klingt ziemlich unglaublich, nicht wahr? Aber vergessen Sie nicht, dass die Syndiks von vielen Problemen geplagt werden, zu denen auch ihre Führer gehören, und trotzdem haben sie forschen und Ergebnisse zutage fördern können«

»Einige der Antworten werden wir finden, wenn wir andere Syndik-Sternensysteme durchqueren«, sagte Geary, »und auch, wenn wir zurück in Varandal sind. In welchem Zustand sich das Hypernet der Syndiks befindet und was die Syndiks mit ihm machen können, ist für uns jetzt nicht mehr von Bedeutung, da es bis ins Allianz-Gebiet nicht mehr weit ist. Den restlichen Weg legen wir mit Sprüngen von System zu System zurück. Wir wissen nicht, was die Syndiks unterwegs noch alles versuchen werden, aber bei ihrem Angriff auf die Invincible haben sie viele Kurierschiffe, viel Spezialpersonal und Tarntechnologie verloren. Das alles werden sie so schnell nicht ersetzen können, und sie können diese Dinge auch nicht mehr gegen uns oder gegen ihre eigenen Leute einsetzen.«

»Das genügt aber nicht«, erklärte Captain Vitali von der Dragon. »Wir haben ein Schlachtschiff mitsamt der kompletten Besatzung verloren, und zwar ohne jede Vorwarnung durch einen nicht von uns provozierten Angriff. Vor lauter Spekulationen über das Hypernet der Syndiks dürfen wir diese Tatsache nicht aus den Augen verlieren.«

Diesmal war das zustimmende Gemurmel mehr ein wütendes Fauchen, ausgelöst durch die wieder geweckte Erinnerung an den Verlust der Orion. Wie soll ich jetzt darauf reagieren? Geary schaute zu Tanya Desjani, die ihn verärgert ansah, als sei die Antwort offensichtlich und als benötige er viel zu lange, um zu begreifen.

Oh.

»Das ist nicht das erste Mal, dass ich mit einem nicht provozierten Angriff ohne jede Vorwarnung zu tun habe«, sagte Geary. Die jedem Anwesenden bekannte Tatsache, dass er beim ersten Angriff des Krieges bei Grendel dabei gewesen war, als es zu einem Überraschungsangriff durch die Syndiks kam, ließ alle Teilnehmer an dieser Konferenz aufhorchen. »Die Frage ist doch die, ob wir das tun, wozu sie uns zu verleiten versuchen, oder ob wir das tun, was wir selbst wollen. Lassen wir sie gewinnen, obwohl wir sie beide Male geschlagen haben, als wir von ihnen angegriffen wurden?«

Das Argument war zwar logisch, und Geary konnte den meisten Offizieren ansehen, dass sie sich dieser Ansicht anschließen wollten, doch sie zögerten, weil zu viele Emotionen hineinspielten.

Noch während er nach weiteren Argumenten suchte, um seine Haltung zu unterstreichen, meldete sich Captain Jane Geary zu Wort. Seit dem verzweifelten Kampf bei Honor war sie deutlich ruhiger geworden und hatte sich damit begnügt, die meiste Zeit zuzusehen und zuzuhören, anstatt sich in eine Diskussion einzumischen. Jetzt dagegen sprach sie so nachdrücklich, dass alle aufhorchten: »Solange der Friedensvertrag Gültigkeit hat, müssen die Syndiks alle noch inhaftierten Kriegsgefangenen ausliefern. Und sie müssen uns Zugang zu ihrem Gebiet gewähren, damit wir diese Kriegsgefangenen abholen können. Bedenken Sie, was es für die Männer und Frauen bedeuten wird, die noch immer in einem der Arbeitslager sitzen, wenn wir uns auf das Spiel der Syndiks einlassen.«

Das war das emotionale Argument, das Geary gesucht hatte, und er merkte sofort, dass sie damit ins Schwarze getroffen hatte.

Badaya nickte energisch. »Captain Geary hat völlig recht. Wir könnten jeden einzelnen Syndik in diesem Sternensystem töten, und nicht ein einziger Allianz-Bürger würde aus der Gefangenschaft entlassen werden. Verdammt, wir haben doch schon längst versucht, jeden einzelnen Syndik zu töten, und was hat uns das gebracht? Hundert Jahre Krieg. Ehren wir lieber das Andenken der Orion-Crew, indem wir schwören, dass wir jeden einzelnen Allianz-Gefangenen befreien, ganz gleich wie sehr die Syndiks auch versuchen werden, uns zu provozieren. Wir töten jeden, den sie auf uns hetzen, und wir befreien unsere Leute!«

Diesmal ertönte von allen Seiten lauter Jubel, während Desjani Captain Badaya so entgeistert ansah, als hätte ein Felsblock auf einmal begonnen, mit ihr über Philosophie zu diskutieren.

Geary hatte selbst auch Mühe, sein Erstaunen über Badayas Äußerungen zu verbergen. »Das hätte ich nicht besser ausdrücken können. Das wird unsere Strategie sein. Wir werden diese Flotte nach Hause bringen, wir werden die Invincible unversehrt abliefern, wir werden die Allianz mit den Tänzern bekannt machen, und wir werden nicht ruhen, bis all unsere Leute befreit sind, die sich noch in der Hand der Syndiks befinden!«

Ein fast tumultartiger Jubel brach los, den er erst nach einer Weile zum Verstummen brachte und dann erklärte: »Solange wir uns in diesem System befinden, könnten die Syndiks wieder zuschlagen. Jeder muss daher extrem wachsam sein. Wir rechnen zwar vor allem kurz vor dem Sprungpunkt nach Simur damit, aber das heißt nicht, dass man sonst keine Überraschungen für uns vorbereitet hat. Wie Sie sehen, befinden wir uns auf einem Kurs, der uns weit von dem direkten Weg zum Sprungpunkt wegführt. Damit wollen wir alle Fallen vermeiden, die uns unter Umständen auf der kürzesten Route erwarten. Vielen Dank.«

Seine Offiziere kehrten auf ihre Schiffe zurück. Ein paar, die weit hinten am virtuellen Tisch saßen, jubelten laut, dann salutierten sie mit entschlossenen Mienen. Je mehr Befehlshaber sich aus der Konferenzsoftware ausklinkten, umso kleiner wurde automatisch die virtuelle Darstellung des Konferenzraumes.

Geary gab Badaya und Geary ein Zeichen, dass sie noch blieben, bis er mit ihnen und der real anwesenden Desjani allein war. »Ich wollte Ihnen beiden noch danken, dass Sie mir bei dieser Konferenz den Rücken gestärkt haben. Sie haben beide gewichtige Argumente angeführt.«

»Ich war Ihnen noch was schuldig, Admiral«, erwiderte Jane Geary. »Außerdem ist mein Bruder Michael noch irgendwo da draußen. Wir müssen ihn finden.« Dann salutierte sie und verschwand.

Badaya reagierte mit einer abwehrenden Geste. »Ich hielt es für das Richtige, das ist alles. Die einfachsten Antworten sind so ansprechend, gerade weil sie so einfach sind. Aber das heißt auch, dass Sie noch viel genauer hinsehen müssen, nicht wahr?«

»Das ist die Erfahrung, die ich bislang gemacht habe«, stimmte Geary ihm zu.

»Na ja, Sie haben uns das eine oder andere beigebracht.« Dann sah Badaya zu Desjani und begann auf eine Weise zu lächeln, die den alten Badaya zum Vorschein kommen ließ. »Und Sie, Tanya … ich würde sagen, das Eheleben hat Sie weichherziger werden lassen. Die alte Tanya hätte darauf bestanden, dass wir jedem Syndik den Kopf abschlagen und ihn aufspießen.«

Geary merkte ihr an, wie sie sich innerlich anspannte, doch sie erwiderte nur sein Lächeln und sagte: »Wenn Sie glauben, ich wäre auf einmal verweichlicht, dann können Sie ja mal versuchen, mir in die Quere zu kommen.«

»Das würde mir nicht im Traum einfallen«, konterte er, grinste auf seine übliche lümmelhafte Weise, salutierte und verschwand dann.

»Was sollte denn das?«, fragte Geary, als sich das Bild des Mannes vollständig aufgelöst hatte.

»Das würde ich auch gern wissen«, merkte Desjani an. »Als er anfing, davon zu reden, dass wir erst nachdenken sollten, bevor wir zuschlagen, da dachte ich, entweder ich bin verrückt geworden, oder ich befinde mich in einer alternativen Realität, in der es einen intelligenten Badaya gibt! Ausgerechnet Badaya!«

»Seit Honor hat er sich irgendwie verändert«, stellte Geary fest.

»Es kursieren Gerüchte, dass Badaya versucht hat, seinen Posten aufzugeben«, berichtete Desjani und sah ihn dabei aufmerksam an. »Und es heißt, Sie hätten sein Gesuch abgelehnt und ihm gesagt, dass er noch immer Ihr Vertrauen genießt.«

»Ich kann mich zu Gerüchten ebenso wenig äußern wie zu privaten Unterhaltungen mit anderen Offizieren. Nicht mal Ihnen gegenüber, und das wissen Sie.«

»Hat er versucht, seinen Posten aufzugeben?«

»Tanya …«

»Er hat damit gerechnet, bei Honor zu sterben. Er hat erwartet, dass er und jeder andere auf jedem Schiff dieser Flotte bei Honor sterben würde«, sagte sie. »Wenn etwas einen Menschen verändern kann, dann eine solche Situation.«

»So wie Jane«, stimmte Geary ihr zu. »Sie hat mir gesagt, dass sie schreckliche Angst hatte und dass sie davon überzeugt war, bei Honor zu sterben.«

»Tja, entweder man stirbt oder man stirbt nicht«, kommentierte Desjani. »Wenn man Glück hat und überlebt, dann versucht man, das zu würdigen.« Unwillkürlich hob sie ihre Hand und berührte das Flottenkreuz-Abzeichen auf der linken Brust.

»Was ist mit Ihnen passiert, Tanya? Wofür haben Sie diese Auszeichnung erhalten?«

Sie stand auf und wich seinem Blick aus. »Dafür, dass ich nicht gestorben bin.«

»Tanya …«

»Nicht jetzt, Admiral. Ich werde es Ihnen eines Tages erzählen … jedenfalls vielleicht.« Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn auf eine rätselhafte Weise an. »Wenn wir beide lange genug leben.«

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