Neun

Simur war noch nie ein außergewöhnliches Sternensystem gewesen, und die Kombination aus Krieg und Einrichtung des Syndik-Hypernets hatte keine Aussichten auf eine Besserung seines Status mit sich gebracht. Durch seine Lage nahe der Grenze zur Allianz war das System wiederholt das Ziel von Angriffen gewesen. Reichtum hatte man hier nie anhäufen können, und dann war Simur auch besonders schwer vom Bau des Hypernet-Portals bei Sobek getroffen worden. Ehedem hatten die Schiffe Simur durchqueren müssen, um den Sprungpunkt nach Sobek zu erreichen, doch durch das Portal wurde es möglich, direkt nach Sobek zu springen. In den letzten Jahrzehnten hatte sich die ohnehin nicht rosige Lage in Simur kontinuierlich nach unten entwickelt.

Die vom Geheimdienst beim letzten Angriff durch die Allianz vor acht Jahren gesammelten Daten hatten reihenweise stillgelegte Fabriken, verlassene oder zusehends schwächer besiedelte Städte und noch immer nicht behobene Schäden vom letzten, sechs Jahre davor durchgeführten Angriff ans Tageslicht gebracht.

Simur verfügte nur über ein halbes Dutzend Planeten, die eine solche Bezeichnung tragen durften. Vier davon waren entweder glutheiß, weil sie in zu geringem Abstand um die Sonne zogen, oder sie waren zu weit entfernt von ihr und von Eiswüsten überzogen. Von den restlichen zwei Planeten war der eine gut eine Lichtstunde vom Stern entfernt, aber kaum groß genug, um als Gasriese eingeordnet zu werden, während der andere und letzte Himmelskörper in sieben Lichtminuten Entfernung seine Bahnen um den Stern zog. Für Menschen war er kaum erträglich, da seine Achse so geneigt war, dass es auf der nördlichen Halbkugel unangenehm heiß und auf der südlichen Halbkugel unerfreulich kalt war.

»Wenigstens wird der Mangel an nennenswerten Zielen uns von Bombardements als Vergeltungsschlag abhalten, falls wir wieder attackiert werden«, merkte Desjani an, während sie darauf warteten, dass die Dauntless den Sprungraum verließ. »Es sei denn, die Syndiks haben Geld und Ressourcen nach Simur gelenkt, seit die Allianz das System zum letzten Mal besucht hatte. Ansonsten gibt es hier nichts, wofür man auch nur einen einzigen Stein vergeuden könnte. Warum hat man Simur nicht einfach aufgegeben?«

»Vielleicht war es bequemer, das System einfach langsam verkümmern zu lassen. Sonst hätte man kostspielig die verbliebenen Bewohner evakuieren müssen«, überlegte Geary. »Hoffen wir, dass da keine weiteren Überraschungen auf uns warten. Möglicherweise haben die Syndiks ja alle ihre Anstrengungen auf Sobek konzentriert.«

»Glauben Sie das wirklich?«

»Nein.«

»Eine Minute bis zum Verlassen des Sprungraums«, meldete Lieutenant Castries.

»Alle Waffen feuerbereit, Schilde auf Maximum«, ergänzte Lieutenant Yuon.

»Und wir«, murmelte Desjani vor sich hin, »kehren im Schritttempo in den Normalraum zurück.«

»Wenn wir ein Empfangskomitee der Syndiks in Verwirrung stürzen wollen, dann auf diese Weise«, sagte Geary. »Hoffe ich jedenfalls.«

Er sah auf sein Display und wartete auf den Moment, in dem die Dauntless und der Rest der Flotte den Sprungraum verließen, den Moment, in dem das konturlose, unendliche Grau durch das von Sternen übersäte Schwarz des Normalraums ersetzt wurde.

Die seltsamen Lichter des Sprungraums kamen und gingen wie gewohnt in völlig unregelmäßigen und unberechenbaren Zeitabständen, doch gerade als Geary hinsah, konnte er gleich mehrere von ihnen beobachten, die ganz in der Nähe der Dauntless aufleuchteten.

»Eine ganze Gruppe?«, fragte Desjani ungläubig. »Diese Lichter tauchen doch sonst nicht in Gruppen auf, oder?«

»Zumindest habe ich davon noch nie gehört«, sagte er.

»Diesmal sind sie häufiger aufgetaucht«, meldete sich Lieutenant Castries zögerlich zu Wort. »Viel häufiger als üblich. Das sagen jedenfalls die Älteren an Bord.«

Gab es vielleicht einen Zusammenhang zwischen der Anwesenheit der Tänzer im Sprungraum und dem untypischen Verhalten der Lichter? Beinahe hätte er die Frage laut ausgesprochen, aber dann bemerkte er, dass sie in wenigen Sekunden in den Normalraum zurückkehren würden.

Desjani sah das Gleiche wie er. »Jeder konzentriert sich auf seine Aufgaben!«

Der Augenblick war gekommen, und Geary bemühte sich, das Gefühl der Desorientierung zu unterdrücken, das ihn jedes Mal ereilte, wenn er vom Normalraum in den Sprungraum überwechselte oder umgekehrt. In der letzten Zeit war das oft genug geschehen, sodass er sich schneller erholen konnte und diese Phase nur noch ein paar Sekunden dauerte.

Noch bevor sich seine Augen auf die Umgebung konzentrieren konnten, hörte er den Alarm der Gefechtssysteme einsetzen.

Doch als er sich zwang, den Blick auf sein Display zu werfen, drang noch eine andere Tatsache zu ihm durch. Die Dauntless hatte nicht das Feuer eröffnet. Das bedeutete, der Grund für den Alarm befand sich außerhalb der Waffenreichweite und war damit hoffentlich auch zu weit entfernt, um seinerseits die Dauntless oder eines der anderen Schiffe unter Beschuss nehmen zu können.

Dann endlich gelang es Geary, sein Display nicht nur zu betrachten, sondern auch gedanklich zu erfassen, was es ihm anzeigte.

»Frachter?«

»Müllfrachter«, brummte Desjani. »Und uralte Kriegsschiffe.«

Dicht am Sprungpunkt und in der direkten Flugrichtung der Flotte befindlich wimmelte es von Schiffen, die alle auf der Stelle verharrten. »Die Schiffe befinden sich fast unmittelbar vor dem Sprungpunkt«, berichtete Lieutenant Castries. »Sie müssen ihre Steuerdüsen benutzen, um ihre Position zu halten. Von allen Schiffen empfangen wir Energieanzeigen. Die leben alle.«

»Das mag ja sein«, gab Desjani zurück. »Aber sie sehen aus, als hätten sie ihr Leben schon längst hinter sich – als hätte man sie vom Schrottplatz geholt und notdürftig zusammengeflickt. Sechs Lichtsekunden entfernt. Wären wir mit 0,1 Licht aus dem Sprungraum gekommen …«

»… dann säßen wir jetzt mittendrin«, beendete Geary den Satz für sie. »Bei 0,1 Licht hätten wir nicht schnell genug abdrehen können, um ihnen auszuweichen, nicht mal wenn wir ein solches Manöver vorprogrammiert hätten.« Es war ihm noch nicht möglich gewesen, alle angezeigten Informationen zu verarbeiten, aber zumindest konnte er sehen, dass sich oberhalb der Allianz-Flotte kein Hindernis befand. »An alle Einheiten der Ersten Flotte: Drehen Sie sofort null neun null Grad nach oben.«

Die Dauntless hob die Nase an, dann wurden die Steuerdüsen aktiviert, und das Schiff setzte zu einem Steilflug an, der es über die Ebene dieses Sternensystems brachte. Aufmerksam verfolgte Geary mit, wie die anderen Schiffe die gleiche Kursänderung vornahmen. Nicht alle konnten Vektoren so schnell wechseln wie die Dauntless, was dazu führte, dass die ordentliche Formation zu zerfasern begann. Dank der niedrigen Geschwindigkeit, mit der sie ins System gekommen waren, geriet aber keines seiner Schiffe in das als Gefahrenzone markierte Gebiet rings um die alten Frachter und Kriegsschiffe gleich vor dem Sprungpunkt.

Dieses Manöver brachte die Flotte zwar in Sicherheit vor der potenziellen Gefahr, die vor ihr lauerte, aber zugleich kam sie dadurch anderen Bedrohungen näher, die auf den Displays gekennzeichnet waren.

Vier Schiffsformationen, von denen keine sonderlich groß war, hielten sich jeweils drei Lichtminuten vom Hypernet-Portal auf. Sie waren so angeordnet, dass sie die vier Ecken eines gedachten Quadrats vor dem Portal besetzten.

Drei Gruppen bestanden je aus einem Schweren Kreuzer, zwei Leichten Kreuzern und fünf Jägern, die vierte Gruppe verfügte über zwei Schwere Kreuzer und sechs Jäger.

»Unsere Systeme stufen diese Kriegsschiffe als nahezu neu ein«, meldete Lieutenant Castries. »Minimale Gefechtsschäden und in allen Fällen die aktuellen Modelle der Syndik-Kriegsschiffe. Aber … Captain, sie senden einen Ident-Code, wonach sie keine Syndiks sind.«

»Noch ein Sternensystem, das sich gegen die Syndikatwelten erhoben hat?«, überlegte Geary. »Vielleicht hält sich dieses Empfangskomitee ja für den Fall hier auf, dass Syndik-Streitkräfte herkommen, um die Rebellen gefügig zu machen. Immerhin können sie nicht wissen, dass das Hypernet-Portal nicht mehr existiert und ihnen aus Richtung Sobek keine Gefahr mehr droht.«

»Mir gefällt das gar nicht«, entgegnete Desjani. »Wo soll ein Sternensystem, das gegen die Syndikatwelten rebelliert, so viele Syndik-Kriegsschiffe neuester Bauart herbekommen? Und dann nur mit minimalen Beschädigungen? Haben Sie Captain Bradamonts Berichte über die Kämpfe bei Midway gelesen, als man sich dort zur Revolte entschloss?«

»Ja«, murmelte Geary. »Erbitterte Kämpfe und einige sehr unerfreuliche Geschehnisse. Sie haben recht. Der Zustand dieser Kriegsschiffe passt nicht, wenn die Ereignisse bei Midway stellvertretend für alle Revolten in von den Syndiks kontrollierten Sternensystemen sind.«

Ein Alarm ertönte, und neben Geary öffnete sich ein virtuelles Fenster, in dem das Gesicht von Lieutenant Iger zu sehen war. »Admiral, alles, was wir von den alten Schiffen unmittelbar vor dem Sprungpunkt empfangen, ist völlig routinemäßig. Mit Blick auf den armseligen Zustand der Schiffe muss das alles simuliert sein.«

»Und was ist mit den neuen Schiffen?«, wollte Geary wissen, während er die beiden Gruppen an der oberen Kante des Quadrats beobachtete, die der Flotte am nächsten waren.

»Deren Ident-Codes behaupten, dass es sich bei ihnen allen um Einheiten der Gefechtsstreitkräfte des Simur-Sternensystems handelt.«

Desjanis ungläubiges Schnauben war so laut, dass Iger es auch hören konnte und zustimmend nickte, während er fortfuhr: »In diesem System findet sich sehr viel interessanter Nachrichtenverkehr, Admiral. Allerdings nichts, was auf eine Revolte gegen die Syndikatwelten hindeuten würde. Was wir auffangen, wurde kurz vor unserer Ankunft gesendet und besteht zu einem großen Teil aus Spekulationen, was diese Syndik-Kriegsschiffe hier zu suchen haben. Die Schiffe sind vor ein paar Wochen hier eingetroffen, und allem Anschein nach haben sie die Kommunikation mit jedermann in diesem System verweigert.«

»Sie haben mit niemandem Kontakt aufgenommen?«, wiederholte Geary ungläubig. »Nicht mal mit dem Senior-CEO der Syndiks in Simur?«

Iger musste lächeln, auch wenn er es sich zu verkneifen versuchte. »Da die Syndik-Kriegsschiffe sich seit ihrer Ankunft hier in der Nähe zum Sprungpunkt aufhalten, konnten wir mühelos die Nachrichten auffangen, die ihnen geschickt worden sind. Sie sind natürlich verschlüsselt, aber wir konnten eine davon so weit knacken, dass wir sagen können, dass der Senior-CEO des Systems von den Schiffen wissen will, in welcher Mission sie hier unterwegs sind. Und es gibt da noch ein Bruchstück einer Nachricht, die den Anschein erweckt, als hätte man diesem CEO irgendwelche Anweisungen geschickt, die er nicht befolgen will.«

»Aber es gibt keinen Zweifel daran«, fragte Geary, »dass all diese Schiffe zu den Syndikatwelten gehören, auch wenn sie behaupten, dass sie im Auftrag des hiesigen Systems unterwegs sind?«

»Antworten Sie nicht darauf, Lieutenant«, meldete sich plötzlich eine Stimme zu Wort, ehe Iger etwas sagen konnte.

Desjani presste die Lippen zusammen, schwieg jedoch, während sich Geary umdrehte und feststellte, dass Rione auf die Brücke gekommen war. »Warum sollte Lieutenant Iger nicht auf meine Frage antworten?«, wollte Geary wissen.

»Aus dem einfachen Grund, Admiral«, erwiderte sie in einem Tonfall, als sei das alles doch offensichtlich, »dass die Allianz einen Friedensvertrag mit den Syndikatwelten geschlossen hat, der unser Vorgehen gegen Schiffe oder Sternensysteme der Syndikatwelten erheblich einschränkt. Aber die Allianz hat keinen individuellen Friedensvertrag mit dem Simur-Sternensystem. Wenn diese Schiffe behaupten, zu Simur zu gehören, aber nicht zu den Syndikatwelten, und wenn sie sich feindselig oder in irgendeiner Weise bedrohlich verhalten, dann können Sie darauf jede Ihnen angemessen erscheinende Maßnahme ergreifen, ohne sich Gedanken über den Vertrag mit den Syndikatwelten machen zu müssen.«

Das konnte noch von Nutzen sein. Geary behielt die am nächsten gelegene Gruppe Syndik-Kriegsschiffe im Auge und sagte: »Warum sollten uns die Syndiks eine solche Gelegenheit bieten?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht haben sie diese Möglichkeit bloß nicht in Erwägung gezogen. Wir wissen vieles nicht. Gewissheit können wir nur in dem Punkt haben, dass die Syndiks Sie höchstwahrscheinlich zu Handlungen verleiten wollen, die Sie eigentlich nicht zu begehen wünschen.«

Ein weiterer Alarm ertönte, diesmal vom Display, gleichzeitig meldete Lieutenant Castries, was angezeigt wurde: »Die Schiffsgruppen Alpha und Bravo beschleunigen und gehen auf Abfangkurs.«

Die automatischen Schiffssysteme hatten den vier Gruppen die Bezeichnungen Alpha, Bravo, Cable und Delta zugewiesen. Alpha und Bravo waren dabei die beiden Gruppen an der Oberkante des gedachten Quadrats, die sich der Allianz-Flotte am nächsten befanden, nachdem die ihren Steilflug begonnen hatten.

»Weitere Selbstmordangriffe?«, fragte Geary. Wegen der geringen Entfernung zu diesen beiden Gruppen würde es nur gut zwanzig Minuten dauern, bis sie in die Reichweite seiner Schiffe gelangten, die seit Verlassen des Sprungraums immer noch mit nur 0,003 Licht unterwegs waren und sich damit deutlich im Nachteil befanden. »An alle Einheiten der Ersten Flotte: Beschleunigen Sie sofort auf 0,1 Licht. Die Kriegsschiffe, die sich uns nähern, sind als feindselig eingestuft worden. Sie haben die Erlaubnis, sie unter Beschuss zu nehmen und sie notfalls zu zerstören, sobald sie sich in Ihrer Waffenreichweite befinden.«

Dann folgte die nächste Übermittlung, diesmal auf allen Standard- und Notruffrequenzen. »An die unbekannten Kriegsschiffe, die sich der Ersten Flotte der Allianz nähern: Es wird Ihnen hiermit untersagt, sich bis zur Waffenreichweite eines unserer Schiffe zu nähern. Wenn Sie so nahe herankommen, dass Ihre Waffen uns erreichen können, werden wir das Feuer auf Sie eröffnen und alle notwendigen Maßnahmen zu unserer Verteidigung ergreifen. Es wird keine weiteren Warnungen geben.«

Und was hatten die Tänzer vor?

Deren sechs Schiffe umkreisten beständig die Invincible und passten sich jeder Bewegung des gewaltigen Superschlachtschiffs an, das mit der Flotte geschleppt wurde. Ich habe zwar keine Ahnung, welchen Grund sie für ihr Verhalten haben, aber solange sie in der Nähe der Invincible bleiben und die sich tief im Inneren meiner Formation befindet, muss ich mir um die Tänzer zumindest keine Sorgen machen.

Desjani schüttelte den Kopf und hatte eine ausdruckslose Miene aufgesetzt: »Normalerweise wäre es verdammt schwierig, einen Schweren Kreuzer zu stoppen, aber da wir so nah zu ihnen von 0,003 Licht beschleunigen müssen, wird unsere kombinierte Geschwindigkeit bei unter 0,2 Licht liegen, wenn wir auf sie treffen. Mit unserer geballten Feuerkraft werden wir sie regelrecht abschlachten.«

»Und das missfällt Ihnen?«, fragte Geary erstaunt.

»Ich habe nichts dagegen, Syndiks zu töten. Aber mir gefällt die Vorstellung nicht, dass Leuten der Befehl erteilt wird, sich selbst umzubringen, während die Vorgesetzten weit entfernt und in Sicherheit sind.«

Erneut ertönte ein Alarm, da eine Nachricht von hoher Priorität einging. Geary sah, von wem sie kam, und nahm sie an. Jane Geary sah ihn an und fragte: »Admiral, was, wenn das kein Selbstmordangriff ist? Was, wenn diese Kriegsschiffe überleben wollen?«

Das war die gesamte Nachricht. Geary sah immer noch auf die Stelle, an der sich Jane Gearys Bild befunden hatte. »Tanya?«

Sie machte eine genauso verdutzte Miene wie er. »Wenn sie überleben wollen? Das könnten sie nur bewerkstelligen, wenn … oh verdammt! … wenn sie ein paar Einheiten treffen, die am Rand der Formation ungeschützt sind.«

Gearys sofortiger Blick auf sein Display ergab, dass es genügend Einheiten in dem Abschnitt seiner Formation gab, auf die die Gruppen Alpha und Bravo Kurs genommen hatten. Mehrere Zerstörer und Leichte Kreuzer befanden sich dort, um kostbarere Einheiten im Inneren der Formation zu schützen. Wenn diese Zerstörer und Leichten Kreuzer aber selbst zum Ziel wurden, dann waren sie extrem gefährdet. Selbst diese kleinen Gruppen Syndik-Schiffe genügten, um bei einem Vorbeiflug ein oder zwei Zerstörer zu eliminieren, wenn sie ihr Feuer darauf konzentrierten.

»Sieht so aus, als hätten Sie recht, Tanya.« Wechselnde Taktiken, die darauf abzielten, die Flotte Schiff um Schiff zu dezimieren, bis sie so geschwächt war, dass die Syndiks den Rest mit einem konventionellen Angriff auslöschen konnten. »Im All können sich die Syndiks nicht so verstecken, wie es Bodentruppen auf einem Planeten möglich ist, aber sie versuchen nach wie vor, uns zu verunsichern, indem sie mit immer neuen Bedrohungen und Taktiken aufwarten.«

Die Zeit reichte nicht aus, um sich an einzelne Schiffe zu wenden oder um auf dem Display Manöver zu planen. »Viertes Zerstörergeschwader, Siebzehntes Zerstörergeschwader, Zehntes Leichte Kreuzergeschwader, drehen Sie sofort null drei null Grad nach Backbord. Achtes Schwere Kreuzergeschwader, drehen Sie sofort null eins null Grad nach Steuerbord.«

Kostbare Sekunden würden verstreichen, ehe diese Nachricht die Schiffe erreichte, dann vergingen noch einmal etliche Sekunden, ehe seine Befehle ausgeführt waren. Er konnte nur hoffen, dass danach noch genügend Sekunden übrig waren, um etwas zu bewirken. Und ebenso blieb ihm nichts als die Hoffnung, dass diese abrupten Positionsänderungen die Formation insgesamt nicht verwundbarer machten, falls die Syndiks auch hier mit Selbstmordabsicht unterwegs waren.

»Sie ist eine echte Geary«, murmelte Desjani bewundernd, während sie auf ihrem Display das Geschehen verfolgte. »Wir alle haben nur daran gedacht, was beim letzten Mal passiert ist, aber sie hat überlegt, was diesmal passieren könnte.«

»Und was bin ich dann noch?«, wollte Geary wissen, während er sich am liebsten dafür geohrfeigt hätte, weil ihm nicht aufgefallen war, was Jane gesehen hatte. Weil er von irgendwelchen Annahmen ausgegangen war, was der Gegner tun würde, anstatt …

»Unvollkommen«, erwiderte Desjani. »Und klug genug, um zuzuhören, wenn jemand Sie auf etwas aufmerksam macht, was Sie übersehen haben könnten.«

Ihre Worte konnten ihm nicht viel Trost spenden, wenn er sah, wie die beiden Gruppen auf seine Formation zuhielten, die im Steilflug immer höher über die Ebene des Sternensystems aufstieg. Die gefährdeten Zerstörer und Leichten Kreuzer waren in Bewegung, ihre Vektoren brachten sie näher an die Formation heran, während die Kriegsschiffe des Schweren Kreuzergeschwaders in deren Nähe ein Stück von der Formation abrückten, um ihnen etwas Deckung zu geben. Hatte er zeitig reagiert? Hatte Jane Geary richtig vermutet? Und was würden die Syndiks nun tatsächlich machen?

Die Gruppen Alpha und Bravo jagten an der Allianz-Formation vorbei. Ihre Flugbahn änderte sich erst in letzter Sekunde, um sich wieder von der Flotte entfernen zu können, während ihre Waffen auf den einen Leichten Kreuzer niederprasselten, der noch immer allzu mühelos unter Beschuss genommen werden konnte.

»Die Pectoral hat einen Treffer durch die Schilde hindurch abbekommen«, meldete Lieutenant Yuon. »Geringe Schäden, ein Höllenspeer ausgefallen.«

Die Gruppen Alpha und Bravo beschrieben unterdessen ein Wendemanöver, das Geary nur zu gut kannte. »Sie greifen noch mal an.«

»Die Gruppen Cable und Delta beschleunigen und gehen auf Abfangkurs«, meldete Lieutenant Castries im gleichen Moment, als auf dem Display ein Warnlicht zu blinken begann.

Mit finsterer Miene starrte Geary auf das Bild, das sich ihm bot.

Wenn ich eine dieser Gruppe verfolgen lasse, setze ich meine Verfolger der Gefahr aus, von den drei anderen Gruppen angegriffen zu werden, während die einzelne Gruppe jeden Kontakt vermeidet und entkommt. Wenn meine Verfolgergruppe stark genug ist, um mit dieser Bedrohung zurechtzukommen, dann ist sie zu langsam, um die leichter manövrierbaren Syndik-Gruppen zu erwischen. Außerdem schwäche ich damit die Hauptformation.

Tanya beobachtete, fest davon überzeugt, dass er eine wie auch immer geartete Verfolgung befehlen würde, doch Geary schüttelte den Kopf. »Sie bringen uns dazu, auf sie zu reagieren. Sie wollen, dass ich Schiffe aus der Formation ausscheren lasse, um sie zu verfolgen. Aber ich werde genau das Gegenteil machen, damit wir Zeit zum Überlegen bekommen.« Die notwendige Formation war die älteste, die er kannte: eine Kugel. Aber er musste die Einheiten zuordnen, die die Oberfläche dieser Kugel bilden sollten. »Armadillo«, sagte er zu Desjani.

»Was?«

»Formation Armadillo.«

»Gibt es die wirklich?« Sie gab die Anfrage ein, dann riss sie erstaunt die Augen auf. »Ist das Ihr Ernst? Eine vollkommene Kugel? Diese Formation ist …«

»Ganz übel, ich weiß. Sie kostet uns Feuerkraft, und gegen einen starken Widersacher angewandt ist sie eine Katastrophe, weil der Gegner sich auf jeden beliebigen Punkt der Kugel konzentrieren kann. Aber wenn der Gegner deutlich schwächer ist, findet er in einer Kugel keine Schwachstelle mehr, weil jeder Punkt gleich gut verteidigt werden kann.«

»Wir gehen in die Defensive?«, gab sie fast aufgebracht zurück. »Wenn die Syndiks das sehen, werden sie glauben, wir haben Angst. Sie werden denken, wir igeln uns ein, weil wir uns davor fürchten, gegen sie zu kämpfen. Die Flotte wird ein solches Verhalten gegenüber dem Feind nicht verstehen.«

Ihr Tonfall und ihre vorwurfsvollen Bemerkungen lösten bei ihm Verärgerung aus. »Jawohl, Captain Desjani. Wir gehen in die Defensive, damit ich Zeit zum Nachdenken bekomme und damit ich mir ein Bild davon machen kann, was in diesem System los ist. Wir werden der Taktik der Syndiks einen Strich durch die Rechnung machen, mit der sie unsere Eskortschiffe zu zerstören versuchen, und wir werden auch jeden anderen Plan vereiteln, mit dem sie mich dazu provozieren wollen, blindlings irgendwelche Entscheidungen zu treffen.«

Sie verstummte und bekam einen roten Kopf, was Geary im ersten Moment für Verärgerung hielt. Als er dann aber sah, wie sie beharrlich seinem Blick auswich, hielt er es eher für Verlegenheit. »Ich bitte um Entschuldigung, Admiral.«

»Schon gut. Wenn ich nicht auf Ihre Wut reagieren müsste, wäre ich wahrscheinlich auf mich selbst sauer. Helfen Sie mir, die Vorbereitungen zu treffen. Zwischenzeitlich werde ich unseren Angreifern die Arbeit noch ein wenig erschweren.« Geary tippte auf seine Komm-Taste. »An alle Einheiten der Ersten Flotte: Drehen Sie sofort eins acht null Grad nach unten.«

Damit würden sie sich zwar wieder den Schrottraumschiffen am Sprungpunkt nähern, jedoch auf der anderen Seite davon auskommen, da sie dieses Hindernis praktisch übersprungen hatten. Dennoch würde er darauf achten müssen, dass keine Einheit diesen alten Schiffen zu nahe kam.

Es sei denn …

»Wenn ich mir diese alten Schiffe nahe dem Sprungpunkt ansehe, stelle ich fest, dass sie keinen Ident-Code senden. Ist das richtig?«

»Ja, Sir«, antworteten Lieutenant Castries und Lieutenant Yuon gleichzeitig.

»Gesandte Rione, steht im Friedensvertrag mit den Syndiks irgendwas darüber, ob ich bei Gefahren für die Navigation entsprechende Maßnahmen einleiten darf?«

Sie sah ihn irritiert an. »Das muss ich erst nachprüfen, Admiral.« Rione begann Abfragen einzugeben, dann betrachtete sie ihr Display aufmerksam.

Desjani unterbrach ihre Arbeit, den Schiffen eine Position in der Armadillo-Formation zuzuweisen. »Eine Gefahr für die Navigation? Heißt es das, was ich glaube, was es heißt?«

»Ich will’s hoffen«, erwiderte er und entlockte ihr ein flüchtiges Lächeln. Vielleicht würde ihre Verärgerung ja bald wieder verraucht sein.

Rione konzentrierte sich wieder auf Geary. »Admiral, die Friedensvereinbarung besagt nur, dass alle üblichen Navigationspraktiken zu beachten sind. Ich glaube, das steht da auch nur drin, weil es irgendwann mal in den Standardtext für Friedensverträge aufgenommen wurde.«

»Danke, Madam Gesandte. Captain Desjani, haben sich in den letzten hundert Jahren die Regeln für den Umgang mit Gefahren für die Navigation geändert?«

Ihr Lächeln wurde etwas breiter, während sie den Kopf schüttelte. »Nein, Sir. Ein Schiff, das auf eine Gefahr für die Navigation stößt, muss entweder Warnbojen aussetzen oder alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Gefahr zu eliminieren.«

»Ich finde, wir sollten hier keine Warnbojen vergeuden«, erklärte Geary. »Vor allem, da sich diese Wracks in unmittelbarer Nähe zum Sprungpunkt befinden. Ein eintreffendes Schiff wird auf eine Warnboje nicht schnell genug reagieren können, um den Wracks noch auszuweichen.« Er warf kurz einen Blick auf sein Display und betrachtete die immer weiter zerfasernde Formation der Ersten Flotte, die sich auf der Ebene des Sternensystems nun nach unten bewegte.

So wie die Schiffe angeordnet waren, befand sich eine seiner Schlachtkreuzerdivisionen auf der Seite, die die alten Schiffe passieren würde, wenn die Flotte am Sprungpunkt vorbeiflog.

»Captain Tulev, hier spricht Admiral Geary. Die Schiffe, die ich soeben als Wracks gekennzeichnet habe, stellen eine Gefahr für die Navigation dar. Ihr Befehl lautet, den Kurs der Zweiten Schlachtkreuzerdivision so zu ändern, dass es möglich wird, die Wracks als Ziele zu erfassen und sie mit Phantomen zu zerstören. Gehen Sie nicht bis auf Reichweite für Höllenspeere heran. Nach dem Abfeuern der Phantome kehren Sie in die Formation zurück. Geary, Ende.«

Zehn Sekunden später meldete sich Captain Tulev von der Leviathan: »Ich verstehe. Wir werden die Wracks zerstören.«

Desjani nickte zustimmend. »Diese kleinen Syndik-Gruppen werden sich nicht mit Tulevs Division anlegen wollen. Darf ich eine Frage stellen?«

»Verdammt, Tanya …«

»Ich werte das als ein Ja, Admiral. Warum zerstören wir diesen Weltraumschrott? Nicht, dass ich etwas dagegen einzuwenden hätte.«

Er warf ihr einen verärgerten Blick zu. »Wir zerstören diese Schiffe, Captain Desjani, weil ich mir nicht länger Gedanken über sie machen will. Außerdem kann ich so etwas aus dem Weg räumen, was sehr wahrscheinlich eine Sprengfalle der Syndiks sein dürfte, ohne dass die einen Grund haben, sich darüber zu beschweren.«

»Sind Sie davon überzeugt, dass diese Wracks gefährlich sind?«, fragte Rione.

»Das bin ich, Madam Gesandte. Erinnern Sie sich daran, wie wir bei Lakota schwer beschädigte Schiffe so präpariert haben, dass sie explodierten? Als wir in Midway waren, haben Sie mir gesagt, Präsidentin Iceni habe davon gesprochen, dass hochrangige Syndiks Zugang zu detaillierten Berichten über die von mir angewandten Taktiken hatten, seit ich das Kommando über die Flotte übernommen habe.«

»Und jetzt glauben Sie, die Syndiks versuchen, Ihre eigenen Methoden gegen Sie anzuwenden?«, hakte Rione nach.

»Nach allem, was wir bei Midway gehört haben, werden die Syndiks ihr Bestes geben.«

Die plötzliche Kehrtwende der Allianz-Flotte hatte die vier Syndik-Gruppen zu extremen Änderungen ihrer Vektoren gezwungen. Die Gruppen Alpha und Bravo waren am weitesten abgeschlagen und mussten in einen drastischen Sinkflug übergehen. Die Gruppen Cable und Delta, die sich der Formation von unten näherten, sahen sich mit dem gegenteiligen Problem konfrontiert, drohte ihr Abfangkurs doch zu einem viel früheren Zusammentreffen mit der Allianz-Flotte zu führen als geplant, das mit einer deutlich höheren relativen Geschwindigkeit aufwarten würde.

Geary ließ Cable und Delta nicht aus den Augen, da er wissen wollte, wie die beiden Gruppen reagierten. Würden sie ihre Flugbahn anpassen, damit es schneller zu einer dann viel riskanteren Begegnung kam, oder würden sie die Annäherung abbrechen und unter berechenbareren Bedingungen einen neuen Versuch wagen?

»Wir haben ihnen Angst gemacht«, merkte Desjani in neutralem Tonfall an, als Cable und Delta auf einen neuen Kurs gingen, um den Kontakt mit den Allianz-Schiffen zu vermeiden. »Was halten Sie hiervon?«

Er sah sich an, welche Vorarbeit sie für die Formation Armadillo geleistet hatte. Die Allianz-Flotte würde in sich zusammenschrumpfen und eine sehr kompakte Kugel bilden, in deren Mitte sich die Sturmtransporter, die Invincible und die Hilfsschiffe befanden, während Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer die Hülle bildeten und das enge Gitter durch kleinere Kriegsschiffe verstärkt wurde. »Sieht gut aus. Erkennen Sie jetzt den Nutzen?«

»Ja, Sir.« Sie zuckte mit den Schultern. »Was immer die auch vorhaben, mit so etwas werden sie auf keinen Fall rechnen. Ich habe so eine Formation noch nie in Aktion erlebt.«

»Ich auch nicht, sie ist eine einzige große Zielscheibe. Wir halten die Formation gerade lange genug aufrecht, um uns zu überlegen, was wir als Nächstes unternehmen werden.«

Er sah zu, wie Tulevs Schlachtkreuzer Leviathan, Dragon, Steadfast und Valiant aus der augenblicklichen Formation ausscherten und ihren Kurs weit genug änderten, um in Feuerreichweite der Wracks zu gelangen. Die alten Schiffe mussten immer noch auf irgendeine Art zu steuern sein, sonst hätten sie nicht ihre Position so unmittelbar vor dem Sprungpunkt halten können, doch das würde nicht genügen, um den Phantomen auszuweichen, die in Kürze auf sie abgefeuert werden sollten.

»Befinden sich an Bord eigentlich Besatzungen?«, fragte Charban, der von allen unbemerkt auf die Brücke gekommen war.

Desjani gab Lieutenant Castries ein Zeichen zu antworten.

»Es ist sehr zweifelhaft, dass irgendeines dieser Schiffe bemannt sein könnte«, antwortete Castries. »Automatische Systeme können problemlos dafür sorgen, dass diese alten Pötte ihre Position halten. Außerdem haben wir bei keinem dieser Schiffe Hinweise auf Lebenszeichen entdecken können.«

»Vielen Dank«, sagte Charban. »Und was ist, wenn sich trotzdem Leute an Bord befinden?«

»Wenn es … Sir, wenn jemand an Bord ist, kann er die Raketen früh genug entdecken, um sich mit einer Rettungskapsel in Sicherheit zu bringen.«

»Was denjenigen auch nicht weiterhelfen wird, wenn die Einschätzung des Admirals zutrifft und die Wracks als Sprengfallen präpariert worden sind«, machte Rione klar.

Daraufhin drehte sich Geary zu ihr um und warf ihr einen energischen Blick zu. Ich weiß, sie hat meiner Entscheidung zugestimmt, diese Wracks zu eliminieren. Manchmal widerspricht diese Frau einfach, nur um widersprechen zu können.

Er sah mit an, wie Tulevs vier Schlachtkreuzer pro Wrack zwei Phantome abfeuerten, und unwillkürlich zuckten seine Finger zur Komm-Kontrolle. Die Hilfsschiffe produzieren Munition, so schnell sie nur können, aber bei den Phantomen sind wir noch immer nicht auf Sollstärke angelangt. Ich hätte ihn anweisen sollen, nur ein Phantom pro Wrack abzufeuern …

»Admiral«, sagte Desjani. »Sie können darauf zählen, dass Captain Tulev seine Befehle richtig ausführt, ohne dass Sie ihm im Detail sagen müssen, wie er es machen soll. Zwei Raketen pro Wrack sind zwar eigentlich zu viel, aber so stellt er sicher, dass wirklich jedes Ziel Ihrem Befehl entsprechend zerstört wird.«

Diesmal sah er sie argwöhnisch an. »Woher wussten Sie …? Schon gut, Sie haben recht. Wir sind quitt.«

»Ich halte nichts nach.«

»Von wegen.« Geary setzte die unterbrochene Handbewegung fort und betätigte die Komm-Kontrollen. »An alle Einheiten der Ersten Flotte, hier spricht Admiral Geary. Bei Zeit zwei null drehen alle Einheiten null acht null Grad nach oben und drei fünf Grad nach Steuerbord. Nehmen Sie Formation Armadillo entsprechend dem Anhang zu dieser Nachricht ein. Geary, Ende.«

Die Flotte würde gleichzeitig nach oben und ein wenig zu einer Seite fliegen, um Kurs auf den nächsten Sprungpunkt zu nehmen. Gleichzeitig würden die Schiffe dabei enger zusammenrücken und die Formation Armadillo einnehmen. Um alle Flugbewegungen für ein solches Manöver mit Hunderten Schiffen gleichzeitig zu koordinieren, hätten Menschen ein paar Tage benötigt, doch die Steuersysteme der Flotte erledigten es in Sekunden.

Nicht mal eine Minute später erreichten Geary die ersten Fragen. Er warf einen Blick auf die Eingangsliste, auf der so gut wie jeder Senior-Offizier der Flotte zu finden war. Man musste kein Genie sein, um zu wissen, welche Frage ihm da hundertfach gestellt wurde.

Desjani schaute auf seine Anzeige, die die eingehenden Nachrichten auflistete, und warf Geary einen ›Ich hab’s doch gleich gesagt‹-Blick zu, ehe sie wieder auf ihr Display sah.

Ich dachte, diesen Zirkus hätte ich hinter mir, dachte Geary mürrisch. Offen zu sein für Ratschläge und Vorschläge ist eine Sache, aber es ist etwas ganz anderes, wenn meine Entscheidungen infrage gestellt werden.

Seine Hand hing über der Komm-Kontrolle in der Luft, aber aus irgendeinem Grund fühlte er sich veranlasst, zu Desjani zu sehen, deren Seitenblick Bände sprach. Wollen Sie sich das wirklich antun, Admiral?

Gearys Hand sank ein Stück weit nach unten. Niemand macht mir das Recht streitig, diese Flotte zu befehligen. Jedenfalls heute nicht mehr – oder zumindest nicht so unverblümt wie früher. Sie sind besorgt, was mein vorgesehenes Handeln angeht. Größtenteils habe ich es hier mit guten Offizieren zu tun, die meine Befehle befolgt und ihre Arbeit gut erledigt haben. Ich muss ihre Bedenken respektieren, anstatt ihnen zu sagen, sie sollen die Klappe halten und das tun, was ich sage. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, betätigte er die Taste für den Kanal, auf dem er von jedem befehlshabenden Offizier der Ersten Flotte gehört werden konnte.

»Hier spricht Admiral Geary. Ich kann verstehen, dass es einige Bedenken gibt, was meine jüngsten Befehle angeht. Ich kann Ihnen versichern, dass der Zweck dieser neuen Formation darin besteht, jeden Plan zu durchkreuzen, den die Syndiks hier bei Simur für uns vorbereitet haben. Nachdem wir so erst einmal sicherstellen, dass der Gegenseite kein erfolgreicher Schlag mehr gelingen kann, werden wir die Situation gründlich analysieren und feststellen, was die Syndiks vorhaben. Dann werden wir unsere Formation wieder ändern und alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um nicht nur deren Pläne zu vereiteln, sondern auch entsprechende Antworten zu liefern. Geary, Ende.«

Er hielt kurz inne und überlegte. »Madam Gesandte, würden Sie mit dem Senior-CEO in diesem Sternensystem Kontakt aufnehmen und eine formale Beschwerde einlegen, dass sich diese Kriegsschiffe der Allianz-Flotte gegenüber aggressiv verhalten?«

Rione zog eine Braue hoch. »Sie kennen doch die Antwort. Der Senior-CEO wird darauf beharren, dass diese Kriegsschiffe nicht der Kontrolle durch die Syndiks unterstehen.«

»Ja, ich weiß«, sagte Geary und nickte nachdrücklich. »Aber diese Schiffe behaupten ja schließlich, der Kontrolle dieses Sternensystems zu unterstehen. Damit wäre der Senior-CEO letztlich also doch wieder verantwortlich. Ich will wissen, was er dazu zu sagen hat.«

»Ein interessanter Vorschlag, Admiral.« Rione gab Charban ein Zeichen. »Kommen Sie, schicken wir ihnen eine Nachricht. Während wir zum Konferenzraum gehen, können wir uns überlegen, wie wir sie formulieren.«

Auf dem Weg zur Luke blieb Rione dann aber noch einmal stehen, da die von Tulevs Schlachtkreuzern abgefeuerten Phantome die Wracks erreicht hatten. Einige Explosionen entsprachen dem, was man erwarten konnte, wenn die Explosion des Sprengkopfs mit der kinetischen Energie vom Einschlag des Projektils zusammenwirkte, während ein bereits beschädigtes Schiff getroffen wurde.

Vier der sieben Wracks wurden allerdings von einer viel größeren und heftigeren Explosion zerrissen. Als Geary zusah, wie die Trümmerstücke dieser Schiffe in allen Richtungen weggeschleudert wurden, verspürte er eine kühle Befriedigung darüber, dass er richtiggelegen hatte. Diese Wracks waren Waffen gewesen, die man der Allianz-Flotte in den Weg gelegt hatte und die von automatischen Systemen vor dem Sprungpunkt gehalten worden waren, was bei einem Minenfeld nicht möglich gewesen wäre.

Rione deutete einen halb ironisch gemeinten Salut in Gearys Richtung an, dann verließ sie mit Charban die Brücke.

Geary wandte seinen Blick nicht von dem Display vor ihm ab, während sich seine Flotte zur Armadillo-Formation umbildete. Die vier Syndik-Gruppen, die anscheinend nicht so recht wussten, was sie von der Aktion der Allianz-Schiffe halten sollten, gingen rings um die Formation in Stellung. Vor seinem geistigen Auge sah er einen Schwarm frustrierter Moskitos, die um ein undurchdringliches Netz schwirrten und einen Durchlass suchten.

Nein, das ist das falsche Bild, denn es vermittelt den Eindruck, als wenn die Syndik-Kriegsschiffe nicht länger eine Bedrohung darstellen. Aber davon kann ich nicht ausgehen. Ich weiß nicht, zu welchen Mitteln sie noch greifen werden, nachdem sie gemerkt haben, dass sie mich mit konventionellen Taktiken nicht schlagen können. Bei Sobek haben sie es mit Selbstmordattacken versucht, mit einem Enterteam und einem Minenfeld. Das sind die Dinge, von denen wir wissen. Vielleicht hatten sie noch mehr vorbereitet. Die Frage ist, was lauert hier noch alles auf uns?

»Bislang haben sie sich nicht wiederholt«, überlegte Desjani.

Hatte er eben laut gedacht, oder las sie schon wieder seine Gedanken? »Was können diese Kriegsschiffe sonst noch machen?«, fragte Geary.

»Uns ablenken?«, gab sie die Frage in dem Moment zurück, als ein Alarm ausgelöst wurde.

Die Vektoren aller vier Raumschiffgruppen veränderten sich, da sie eine Kurve flogen und Kurs nahmen auf vier verschiedene Bereiche der Allianz-Formation.

»Sie sollten nicht in der Lage sein, die Haut des Allianz-Armadillos zu durchdringen«, erklärte Desjani mit übertriebener Gewissheit. Gedämpftes Lachen von den Lieutenants und den anderen Wachhabenden auf der Brücke war zu hören, als der Witz ihres Captains bei ihnen ankam.

Geary ignorierte das Geplänkel und ließ in der Zwischenzeit in aller Eile einige Simulationen durchlaufen. »Selbst wenn sie auf einen selbstmörderischen Vektor gehen sollten, haben wir genug Feuerkraft, um sie zu vernichten, bevor es ihnen gelingen kann, unsere … ähm … Formation zu durchdringen.« Beinahe hätte er »Haut« gesagt und damit nur noch Desjanis Witz unterstrichen.

Dabei beschlich ihn schon jetzt das Gefühl, dass der Allianz-Armadillo ihn noch auf Jahre hinaus verfolgen würde.

Trotz der Gewissheit, dass die Angreifer an der defensiven Anordnung der Schiffe scheitern würden, verspürte Geary Unbehagen, als die vier feindlichen Gruppen weiter auf verschiedene Bereiche der Formation zuhielten. Die Syndiks kamen näher, gelangten in Waffenreichweite, und sofort wurden von den Allianz-Schiffen in unmittelbarer Nähe Phantome auf sie abgefeuert.

Doch im nächsten Moment wichen die Syndiks in alle Richtungen aus, sodass Geary hilflos und wütend mitansehen musste, wie Dutzende von Raketen ins Nichts flogen, da ihre Ziele schnell wieder die Reichweite verlassen hatten.

»Ich hätte ahnen müssen, dass sie auf eine solche Idee kommen würden«, brummte er.

»Damit kommen sie aber nicht noch mal durch«, versicherte Desjani ihm. »Sie sollten den Schiffen sagen, dass sie das Feuer erst eröffnen sollen, wenn sie zu nahe sind, um noch entwischen zu können.«

»Gute Idee.« Er übermittelte den Befehl und schaute finster auf sein Display. Es war keine Pattsituation. Solange die Allianz-Schiffe in Bewegung waren, konnten sie sich weiter dem Sprungpunkt nähern, der sie aus Simur wegbringen würde. Trotzdem kam es ihm wie ein Patt vor, als die Syndik-Kriegsschiffe erneut Kurs auf die Allianz-Flotte nahmen. »Sie sind zwar nicht in der Lage, uns wehzutun, aber sie haben die Initiative in der Hand. Ich will ihnen nicht genug Zeit lassen, dass sie sich irgendwas Neues ausdenken können.«

»Hm«, machte Desjani. Ihr ging ein Gedanke durch den Kopf, sie zögerte kurz, dann beugte sie sich vor und betrachtete aufmerksam ihr Display, während sie eine Reihe von Befehlen eingab. »Ich bin mir sicher, dass sie ihre Schiffe automatisch steuern lassen.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Die Bewegungen sind äußerst präzise. Jedes Schiff bewegt sich exakt im gleichen Moment, und es sind bei allen Schiffen identische Bewegungen. Lassen Sie sich die Flugbahnen der Schiffe bei ihrer letzten Annäherung anzeigen, und dann legen Sie die Flugbahnen aller vier Gruppen übereinander.«

»Alle identisch«, bestätigte Geary. »Nicht nur bei jedem Schiff, sondern bei der gesamte Formation. Exakt der gleiche Annäherungsvektor und der gleiche Ausweichvektor.«

»Die sind neu«, beharrte Desjani. »Nicht nur die Schiffe, sondern auch die Crews. Sie sind nicht darin ausgebildet, manuell zu steuern, sondern lassen das von den automatischen Systemen erledigen. Vielleicht haben sie auch den Befehl erhalten, so vorzugehen. Aber wenn sie solche Systeme einsetzen, dann arbeiten diese Systeme nach bestimmten Mustern.«

»Wie lange wird es dauern, um diese Muster zu analysieren?«

Sie hielt inne und beschrieb eine vage Geste. »Eine Weile. Wir benötigen einige Beispiele für ihre Angriffsmuster. Wie viele Muster, kann ich nicht sagen. Aber letztlich werden unsere Gefechtssysteme in der Lage sein, ihre Bewegungen vorauszusagen.«

»Letztlich«, murmelte er. Es klang nicht nach einer allzu sinnvollen Strategie, auf unbestimmte Zeit in Simur zu bleiben und wiederholt die Syndik-Kriegsschiffe abzuwehren, bis die Gefechtssysteme endlich genug Informationen hatten. Seine Flotte würde gar nicht erfreut sein, weiter in der Defensive zu verharren, während die Syndiks immer wieder kleine Attacken gegen die Formation flogen. Wenn die Flotte dabei wenigstens weiter auf dem Heimweg war, würde das dieser Unzufriedenheit jedoch ganz erheblich entgegenwirken. Schließlich war ja da immer noch das Ziel, die Tänzer und die Invincible sicher ins Allianz-Gebiet zu bringen. »Tanya, lassen Sie uns Kurs auf den Sprungpunkt nach Padronis nehmen. Berechnen Sie einen Kurs am Rand des Systems entlang, nur für den Fall, dass in diesem Sternensystem noch mehr Überraschungen auf uns warten.«

Desjani zögerte erneut, aber was auch immer sie hatte sagen wollen, wurde durch eine dringende Mitteilung aus der Geheimdienstabteilung der Dauntless unterbrochen.

Lieutenant Iger sah ihn fast betreten an. »Admiral, es gibt hier ein neues Kriegsgefangenenlager. Ein sehr großes, auf dem bewohnbaren Planeten. Es befindet sich militärisches Personal der Allianz dort.«

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