Dreizehn

»Es müssen noch ein paar Leute mehr nach Ambaru, deshalb habe ich es so arrangiert, dass sie ebenfalls diesen Flug nehmen können«, merkte Desjani an, während sie darauf warteten, an Bord des Shuttles gehen zu können, das in Kürze an der Dauntless andocken würde.

»Ich wünschte, Sie hätten das zuvor mit mir abgesprochen«, grummelte Geary. »Ich freue mich überhaupt nicht auf dieses Treffen. Ich weiß nicht mal, welche Senatoren da sein werden, um den Großen Rat zu vertreten.«

»Das ist letztlich doch egal«, sagte Rione, die sich ihnen langsam näherte. »Einige vertrauen Ihnen, einige nicht, und jeder verfolgt irgendwelche eigenen Pläne. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie begleite? Ich habe eine recht dringende Einladung erhalten.«

Zwar wollte Desjani irgendetwas erwidern, aber sie kam nicht dazu, da in diesem Moment ein medizinisches Team den Hangar betrat und auf einer Trage Commander Benan mitbrachte. Riones Ehemann war bewusstlos, aber die Anzeigen an der Trage ließen erkennen, dass er körperlich gesund war. Man hatte ihn lediglich ruhiggestellt.

»Eine Einladung für mich, beim Treffen des Großen Rats anwesend zu sein«, redete Rione weiter. »Und eine … Einladung für meinen Mann für eine spezielle medizinische Notfallbehandlung.« Es war ein untypischer Unterton in ihrer Stimme, der Riones Gefühle erkennen ließ, als sie über Commander Benan redete.

»Ist es das, was wir gefordert haben?«, fragte Geary.

»Das ist es«, bestätigte Rione. »Das Übel wird entfernt werden.« Keiner von ihnen würde offen auf die mentale Blockade zu sprechen kommen, die die Allianz selbst Benan implantiert hatte, um sicherzustellen, dass er kein Wort über ein verbotenes Forschungsprogramm verlauten ließ. »Es wird den angerichteten Schaden nicht wiedergutmachen, aber er kann jetzt gezielt und wirkungsvoll behandelt werden.«

Einer der Sanitäter, die die Trage begleiteten, wandte sich zurückhaltend an Rione: »Ma’am, wir werden von unserem Andockpunkt auf Ambaru sofort zu einem anderen Dock gehen, wo ein Shuttle auf uns wartet, das uns auf die Oberfläche bringen wird. Wenn Sie ihm noch etwas sagen wollen, bevor Sie für eine Weile von ihm getrennt werden, können wir ihn so weit zu Bewusstsein kommen lassen, dass er ansprechbar ist.«

»Ich …« Sie sah zu Geary und Desjani. »Ja. Ich möchte nicht, dass er später in einem Krankenzimmer erwacht und keine Ahnung hat, wo er sich befindet.«

Der Sanitäter betätigte eine Reihe von Tasten, dann zogen sich er und sein Kollege weit genug zurück, um ihr und Benan ein wenig Privatsphäre zu gewähren. Geary und Desjani wollten sich ebenfalls ein paar Schritte entfernen, aber Rione gab ihnen ein Zeichen, das nicht zu tun.

»Paol«, flüsterte sie und hockte sich neben die Trage.

Benan schlug die Augen auf und sah sich verwundert um. »Vic?«

»Du bist auf dem Weg in eine medizinische Einrichtung, wo man dir die Blockade entfernen wird. Ich muss erst noch etwas anderes erledigen, dann komme ich sofort zu dir. Dir wird nichts passieren.«

Benan lächelte auf eine so sanfte Art, dass sie jeden in Erstaunen versetzte, der die Wutausbrüche miterlebt hatte, die durch die mentale Blockade ausgelöst worden waren. »Dann bin ich noch nicht völlig nutzlos?«, fragte er leise und mit heiserer Stimme. »Ich funktioniere zwar kaum noch, und trotzdem glaubst du, ich bin es wert, wieder zusammengeflickt zu werden?« Er zwinkerte ein paar Mal. »Du wirst da sein?«

»So schnell ich kann«, versicherte sie ihm.

Plötzlich zuckte Commander Benan, und der Monitor der Trage ließ ein leises Summen ertönen. Der Sanitäter kam zu ihm geeilt. »Sein Gehirn kommt wieder auf Touren, Ma’am. Wir müssen ihn ruhigstellen, sonst verliert er die Kontrolle.« Innerhalb von Sekunden, nachdem der Mann ein paar Einstellungen verändert hatte, schloss Benan die Augen und versank abermals in Bewusstlosigkeit.

Das Shuttle war mittlerweile gelandet und hatte die Rampe ausgefahren. Geary nickte Rione und den Sanitätern mit der Trage zu. »Gehen Sie zuerst an Bord.«

Desjani stand da und sah ihnen nach, wie sie sich an Bord des Shuttles begaben. Ihre Miene war vor Wut wie versteinert. »Niemand sollte so benutzt werden.«

»Die Blockade meinen Sie?«

»Ja, und das auch noch einem von den eigenen Leuten anzutun. Was wollen wir wetten, dass derjenige, der diese Blockade bei einem Flottenoffizier angeordnet hat, sich erst recht über die Vorschriften hinwegsetzen wird, wenn er einen Syndik-Gefangenen vor sich hat?«

»Viel Glück bei der Suche nach jemandem, der dagegen wettet. Ich werde das ganz bestimmt nicht machen.«

»Manchmal tut mir diese Frau leid«, gestand Desjani ihm ein. »Manchmal kommt sie mir fast menschlich vor.«

»Manchmal ist sie das auch«, sagte Geary. »Aber lassen Sie sie nicht wissen, dass Ihnen das aufgefallen ist.«

Er und Desjani gingen die Rampe hinauf und betraten das Shuttle. Gearys Missfallen darüber, mit anderen reisen zu müssen, verflüchtigte sich in dem Moment, als er Dr. Shwartz und Admiral Lagemann an Bord entdeckte.

»Sie beide verlassen uns?«, fragte Geary, als er sich hinsetzte und den Gurt anlegte.

Lagemann lächelte. »Man hat mir das Kommando entzogen. Die gute Invincible ist offiziell als Artefakt eingestuft worden.«

»Ich dachte, die Techniker der Regierung hätten das Schiff schon vor einer Woche übernommen.«

»Das haben sie auch gemacht.« Lagemann zwinkerte ihm amüsiert zu. »Wir haben ihnen vorgeschlagen, sich ein wenig Zeit zu lassen, um sich an das Schiff zu gewöhnen, aber sie haben sich nicht für unsere abergläubischen Bedenken interessiert, sondern kamen an Bord und wollten uns wegschicken. Aber kurz darauf kamen sie zurückgerannt und verließen das Schiff schneller, als sie gekommen waren. Nachdem sie sich eine Woche lang überlegt haben, wie sie mit den Kik-Geistern umgehen sollen, sind die letzten Matrosen, Marines und ich heute Morgen von Bord gegangen.«

»Vielleicht kommen die Techniker ja dahinter, was es mit diesen Geistern auf sich hat.«

Lagemann blickte auf einen weit entfernten Punkt. »Würden Sie es als sonderbar ansehen, wenn ich wollte, dass die Geister ein Rätsel bleiben? Dass sie sich vielleicht nach und nach in Luft auflösen und niemand je erfahren wird, um was genau es sich bei ihnen gehandelt hat?«

»Mich würde es nicht wundern«, warf Desjani ein, »wenn es genauso kommen würde.«

»Kehren Sie heim?«, fragte Geary Lagemann.

»Ja, für einen kurzen Besuch bei all jenen, die mich für tot gehalten haben. Danach muss ich für eine umfassende Nachbesprechung zur Verfügung stehen und alles schildern, was ich während meiner Zeit als befehlshabender Offizier der Invincible über das Schiff herausgefunden habe.«

»Das wird bestimmt unterhaltsam werden«, kommentierte Geary. »Und was ist mit Ihnen, Doctor?«

Shwartz ließ sehnsüchtig ihren Blick durch das Shuttle schweifen. »Mir wird das hier fehlen, Admiral. Hier auf diesen Schiffen, wo es keinerlei Luxus gibt, wo das Essen noch schlimmer ist als in der Cafeteria der übelsten Universität. Aber ich hatte endlich die Gelegenheit, auf meinem Fachgebiet richtige Arbeit zu leisten! Und es hat mir tatsächlich gefallen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, trotz aller Vorbehalte gegen starrköpfige Militärs und Institutionen. Jetzt trennen sich unsere Wege, aber kämpfen müssen wir beide.«

»Sie müssen kämpfen?«

»Oh ja«, bestätigte sie. »Ich muss gemeine und hässliche Kämpfe austragen. Der Kampf um die akademische Vorherrschaft, der Kampf darum, wem welche Entdeckungen, Funde und Auslegungen zugeschrieben werden. Und der Kampf um Plätze in Gremien und Arbeitsgruppen. Es wird Hinterhalte geben, um die Unvorsichtigen auszuschalten, die Kämpfer werden sich gegenseitig und die unschuldigen Umstehenden in Wort und Schrift mit Boshaftigkeiten überschütten. Bei unendlichen Debatten wird man sich gegenseitig mit einem schrecklichen rhetorischen Sperrfeuer unter Beschuss nehmen, bis es irgendwelchen blutverschmierten Gestalten gelingt, aus den qualmenden Trümmern der Wahrheit zu entsteigen und sich zu den Fachleuten über den gelehrten Schutthaufen zu erklären, den sie hinterlassen haben.«

Geary musste lächeln. »Wenn ich Ihre Beschreibung höre, könnte man meinen, dass ein echter Krieg dagegen harmlos ausfällt.«

»Seit es mir möglich ist, den akademischen mit dem realen Krieg zu vergleichen, muss ich sagen, Admiral, dass ich die relative Ehrlichkeit eines echten Konflikts als viel annehmbarer empfinde.« Shwartz beschrieb eine vage Geste. »Der Kampf um das Superschlachtschiff der Kiks hat gerade erst begonnen, und das akademische Blutvergießen darüber wird um ein Vielfaches heftiger ausfallen als das, was Ihre Marines durchgemacht haben. Ich kann nur hoffen, dass niemand auf die Idee kommt, das Schiff zur streng geheimen Verschlusssache zu erklären und keinen Wissenschaftler an Bord zu lassen.«

»Das Militär und die Regierung würden nicht auf eine so dumme Idee kom–«

»Bedauerlicherweise«, fiel Lagemann ihm ins Wort, »glaube ich, dass die Techniker genau das vorhatten, bevor ihnen vor Augen geführt wurde, was sie im Inneren dieses Schiffs erwartet. Bevor ich es verlassen habe, lautete der häufigste Kommentar der Techniker: ›Wir werden sehr viel Hilfe nötig haben.‹«

»Gut so«, fand Desjani. »Ich muss sagen, dass die Grenzen des Enigma-Territoriums leichter zu finden waren als die Grenzen der Dummheit in den höchsten Ebenen von Regierung und Militär.«

»Wissen Sie«, gab Dr. Shwartz mit einem schelmischen Lächeln zurück, »Sie werden sich vielleicht noch wünschen, dass sich jemand das Kik-Schiff unter den Nagel reißen will. Dieses Superschlachtschiff sieht so unglaublich gewaltig aus, und zugleich ist es so hilflos, dass es für jeden eine Last darstellt, der es in seinem Besitz hat.«

»Oh ja«, stimmte er ihr zu und musste an die lange und schwierige Reise denken, um die Invincible unversehrt herzubringen. »Das Schiff hat uns sehr viel Kopfzerbrechen bereitet.«

»Ein weißer Elefant.« Sie lächelte ihn noch etwas breiter an. »Ich werde jetzt in die Rolle der Akademikerin schlüpfen und Ihnen einen Vortrag halten. Wissen Sie, woher der Begriff ›weißer Elefant‹ stammt, Admiral? Er hat auf der Alten Erde seinen Ursprung. Er bezeichnet buchstäblich einen Elefanten, der weiß ist. In einer bestimmten Zivilisation der Antike wurde ein von Natur aus weißer Elefant als heilig angesehen. Ein solches Tier musste ständig umsorgt, gehegt und gepflegt werden. Es waren alle möglichen Rituale und besonderen Behandlungen erforderlich. Das Ganze war ausgesprochen teuer. Wenn ein weißer Elefant geboren wurde, machte der Herrscher des jeweiligen Landes ihn seinem ärgsten, reichsten und mächtigsten Feind zum Geschenk, da er dann nach Gesetz und Gebräuchen gezwungen war, sein Vermögen für den Unterhalt des Tiers aufzubrauchen. Niemand konnte ein solches Geschenk verweigern, und niemand konnte es sich leisten. Haben Sie irgendwelche mächtigen Feinde, die von diesem weißen Elefanten profitieren könnten, Admiral? Falls ja, sollten Sie vielleicht versuchen, ihnen diese Beute schmackhaft zu machen?«

»Ich kann mir bestimmt den einen oder anderen vorstellen, der davon profitieren könnte«, sagte er lachend und wechselte dann das Thema. »Falls sich die Gelegenheit ergibt, wären Sie daran interessiert, zur weiteren Arbeit mit den Tänzern eingeladen zu werden?«

»Admiral, wenn Sie eine solche Einladung aussprechen, dann werde ich so schnell wieder hier sein, dass das Hypernet dagegen langsam aussieht.« Shwartz zögerte. »Admiral, ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken kann. Sie haben sie gefunden: drei intelligente nichtmenschliche Spezies, und obwohl nur eine davon mit uns reden will, haben Sie trotzdem drei entdeckt.«

»Wir alle haben sie gefunden. Ich kann nur froh sein, dass wir diese Erfahrung überlebt haben.«

Nachdem das Shuttle angedockt hatte, machten sich die Sanitäter mit der Trage als Erste auf den Weg; Rione sah ihnen mit regungslosem Gesichtsausdruck hinterher. Dr. Shwartz verließ das Shuttle und winkte ihnen zum Abschied zu, während sie sich wie eine Touristin alles ansah.

Admiral Lagemann salutierte vor Geary, dann schüttelte er ihm die Hand. »Dank sei den Lebenden Sternen, ich bin wieder zu Hause. Und ich danke Ihnen. Eine Rettung, ein erstaunliches Abenteuer und ein letztes Kommando, das niemand überbieten kann. Ich hoffe, ich sehe Sie und Ihre … ähm … und Captain Desjani wieder.«

»Das würde uns freuen, Admiral«, erwiderte Desjani. Während Lagemann wegging, sah sie Geary an: »Gern geschehen. Ich dachte mir schon, Sie könnten auf diesem Flug etwas Abwechslung gut gebrauchen, anstatt sich den Kopf über Politiker und Politik zu zerbrechen.«

»Und wie immer hatten Sie recht. Da kommt unsere Eskorte.«

Diesmal waren es keine bewaffneten Soldaten, die Geary festnehmen wollten, sondern Militärpolizisten, die vor allem damit beschäftigt waren, die Menge zurückzuhalten, die sich in aller Eile eingefunden hatte, um Black Jack zu sehen. Nach der Stimmung der Leute zu urteilen, stand Black Jack zumindest auf der Station noch hoch in der Gunst der Allianz-Bürger.

»Admiral, Captain, Madam Gesandte«, begrüßte Admiral Timbale sie. »Ich wurde aufgehalten, weil die Unterbringung der Delegation des Großen Rats geregelt werden musste. Ich bringe Sie jetzt sofort zu ihnen. Das heißt … ich bringe Admiral Geary zu ihnen.«

»Ich habe in letzter Minute eine Einladung erhalten«, sagte Rione. »Jemandem muss aufgefallen sein, dass es nicht verkehrt wäre, jemanden anwesend zu haben, der umfassend mit den Tänzern gesprochen hat. Ich hatte auch empfohlen, den Gesandten Charban einzuladen, aber das wurde abgelehnt.«

»Ich werde zu solchen Treffen nie eingeladen«, warf Desjani ein. »Aber ich bin mir sicher, dass ich dadurch ein glücklicherer Mensch bin.«

Timbale grinste und bedeutete ihnen, ihm zu folgen, dann ging er vor ihnen her durch einen Gang, der für alle anderen Personen vorübergehend gesperrt worden war. »Haben Sie schon die letzten Nachrichten mitbekommen?«, fragte er.

»Ich habe versucht, das zu vermeiden«, räumte Geary ein.

»Kann ich gut verstehen. Trotzdem sollten Sie wissen, was sich hier abgespielt hat, ehe Sie vor den Großen Rat treten.« Timbale atmete angestrengt durch und sah zur Decke. »Gesehen haben die Menschen hier Folgendes: niedliche Aliens. Richtig niedliche Aliens. Ganz viele von der Art. Die haben wir umgebracht. Dann waren da noch hässliche Aliens. Richtig hässliche Aliens. Von denen haben wir ein paar mit nach Hause gebracht.«

Desjani stieß ein aufgebrachtes Zischen aus. »Wissen die, dass die richtig hässlichen Aliens uns geholfen haben, die richtig niedlichen Aliens umzubringen?«

»Zum Glück nicht. Obwohl die Aufzeichnungen Ihrer Begegnungen mit den Kiks von der Regierung als streng geheim eingestuft wurden, sind einige Ausschnitte davon irgendwie der Presse zugespielt worden, vor allem die Szenen, in denen zu sehen ist, wie Sie vergeblich versuchen, mit den Kiks zu reden, um Blutvergießen zu vermeiden.«

»Irgendwie?«, hakte Geary nach.

Timbale zuckte flüchtig mit den Schultern und gab sich alle Mühe, völlig ahnungslos dreinzuschauen. »Fakt ist, dass die Menschen überall in der Allianz verunsichert sind. Hat Black Jack sich richtig verhalten? Oder haben seine massiven Fehltritte einen neuen Krieg ausgelöst? Viele der akademischen Experten, die Sie begleitet haben, sind mit Andeutungen an die Öffentlichkeit gegangen, dass Sie vor allem auf sie hätten hören sollen, dann wäre das alles nicht passiert.«

»Was sagt man über die Enigmas?«

»Hurra! Black Jack hat die Menschheit vor den Enigmas gerettet! Ebenfalls von der Regierung streng unter Verschluss gehalten, ebenfalls auf mysteriöse Weise an die Öffentlichkeit gelangt.« Nachdenklich kratzte sich Timbale an der Nasenspitze. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass die undichte Stelle auf Unity zu finden ist. Entweder haben Sie in der Regierung einen Freund sitzen, oder jemand spielt sein eigenes Spiel, und Sie profitieren auch davon. Darüber hinaus bleiben die Enigmas weiterhin rätselhaft, aber der zweite Angriff auf von Menschen bewohntes Territorium und der Versuch der Aliens, einen von Menschen besiedelten Planeten vom All aus zu bombardieren, das hat enorme Empörung ausgelöst.«

Geary schüttelte verwundert den Kopf. »Niemand regt sich auf, wenn wir einen von Menschen besiedelten Planeten bombardieren, aber es geht nicht, wenn Aliens das machen?«

»Solche Sachen müssen einfach in der Familie bleiben«, erwiderte Timbale spöttisch. »Ach ja, die hässlichen Aliens. Die öffentliche Meinung tendierte zuerst sehr gegen sie, aber …«

»… auf mysteriöse Weise«, führte Desjani seinen Satz auf Verdacht fort, »ist die Information an die Öffentlichkeit gelangt, dass diese Tänzer die Bombardierung eines von Menschen bewohnten Planeten vereiteln?«

»Ja, auf sehr mysteriöse Weise«, stimmte Timbale ihr zu. »Auch die Syndiks. Alles, was Ihnen im Gebiet der Syndiks widerfahren ist, gilt als streng geheim, aber …«

»Sie haben verdammt viele undichte Stellen auf Ihrer Station.«

»Niemand kann beweisen, dass irgendetwas von dieser Station aus verbreitet worden ist.« Timbale sah Geary an. »Ist Ihnen klar, wie wichtig in den letzten Jahrzehnten ein gutes Verhältnis zur Presse war, um bis in diese obersten Dienstränge befördert zu werden? Nicht? Gut, ich werde Sie mit dieser Information nicht belasten. Es gibt im Übrigen auch Meldungen über Sie, die haben nichts mit Ihren Berichten zu tun. In einem Beitrag heißt es, Sie hätten im Sprungraum eine direkte Mitteilung von den rätselhaften Lichtern empfangen. Diese Geschichte macht in zig Varianten die Runde. Die Lichter haben Sie zu den Kiks und den Tänzern geführt. Die Lichter haben Ihnen gesagt, was Sie tun sollen. Die Lichter haben Sie aufgefordert, erneut die Allianz zu retten …«

»Erneut die Allianz zu retten? Vor wem denn bitte?«

»Wenn Sie die Nachrichten verfolgt hätten, könnten Sie ein paar der möglichen Antworten auf Ihre Frage bereits erahnen«, meinte Timbale und grinste ihn schief an. »Die recht große Zahl an VIPs, die Sie aus der Gefangenschaft befreit haben, hat für zusätzliche Verwirrung gesorgt. Und die sechstausend Gefangenen, die Sie zudem noch mitgebracht haben, sind wie ein Geschenk des Himmels für die Regierung, weil sie diese Leistung für sich beanspruchen kann.«

Dann wurde er wieder ernst. »Insgesamt läuft es darauf hinaus, dass viel Ungewissheit herrscht. Drei fremde Rassen, von denen eine mit uns reden will. Niemand will den Kampf mit den Syndiks wieder aufnehmen, aber das machen sich die Syndiks zunutze. Ihre eigenen Absichten, Admiral, sind immer noch extrem wichtig, und es wird unverändert intensiv darüber diskutiert. Ihre Flotte ist übel zusammengeschossen worden, aber Sie haben einige wichtige Gefechte für sich entschieden. Dabei fällt mir ein: Wie bezahlen Sie eigentlich all diese Reparaturen? Von den Erbsenzählern, die die Budgets überwachen, habe ich nämlich noch keinen Ton gehört.«

»Wir bedienen uns sehr effizient aller verfügbaren Ressourcen«, antwortete Geary.

»Ha! Gut so. Je weniger ich weiß, desto besser. Ach, es gibt auch eine gute Neuigkeit. Bislang ist nichts über Captain Bradamonts Rolle bei den Frachtern von Midway an die Öffentlichkeit gedrungen. Es gibt nur die weitestgehend akzeptierten Berichte, dass die Syndik-Schiffe hergekommen sind, um ein paar Gefangene abzuholen. Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der mehr weiß als nur das, bislang eine Idee hatte, wie er diese Informationen nutzen kann.«

Sie hatten eine Hochsicherheitsschleuse erreicht, auf die Admiral Timbale nun zeigte. »Viel Glück.«

»Tanya, halten Sie hier draußen die Augen offen, solange ich da drin bin?«

»Wieso glauben Sie eigentlich, mich das erst noch fragen zu müssen?« Desjani salutierte. »Sagen Sie ihnen, Sie wollen einen freien Tag haben.«

»Werde ich machen.«

Die Delegation des Großen Rats erwartete ihn und Rione wieder an einem langen Tisch sitzend. Einige Gesichter erkannte Geary wieder, andere waren ihm fremd. Er war froh, Senator Navarro zu sehen, und beim Anblick von Senator Sakai verspürte er einen Anflug von verhaltenem Optimismus. Als Gegengewicht war Senatorin Suva anwesend, die zu keinem Zeitpunkt einen Hehl aus ihrem Misstrauen gegenüber Geary und der Flotte gemacht hatte. Und dann war da auch noch Senatorin Costa, die ihrerseits fast schon offen zu ihrer Verachtung für Senatorin Suva und zu ihrer eigenen Bereitschaft stand, absolut alles zu tun, was sie für notwendig hielt. Geary fragte sich, ob Costa – die sich vor langer Zeit dafür eingesetzt hatte, Admiral Bloch das Kommando über die Flotte zu übertragen, obwohl (oder gerade weil) sie wusste, dass der Mann einen Staatsstreich geplant hatte – wohl bereits Kontakt mit Bloch aufgenommen hatte, seit der von den Syndiks freigelassen worden war. Vielleicht hoffte sie ja, durch ihn die auf wackligen Beinen stehende Allianz-Regierung weiter zu destabilisieren.

»Warum ist sie hier?«, wollte Senatorin Suva wissen und zeigte auf Rione, noch bevor es eine formale Begrüßung gegeben hatte.

Navarro sah Suva mit zusammengekniffenen Augen an. »Weil Victoria Rione neben anderen Gründen von der Allianz-Regierung zur Gesandten für Admiral Gearys Mission bestimmt worden war.«

»Da war die Callas-Republik auch noch ein Teil der Allianz«, hielt Suva dagegen. »Da wir noch vor unserer Abreise von Unity gehört haben, dass die Callas-Republik die formale Bitte geäußert hat, die Allianz zu verlassen – also eine Bitte, der gemäß den Beitrittsverträgen zwischen der Republik und der Allianz stattgegeben werden muss –, ist Rione nicht länger eine Bürgerin der Allianz.«

Alle Blicke richteten sich auf Rione, deren flüchtiges Zucken Geary nicht entgangen war, als sie von den Absichten der Callas-Republik hörte. Aber sie wahrte eine neutrale Miene und hob eine Hand, als wolle sie auf sich aufmerksam machen, obwohl die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sie gerichtet war. »In diesem Fall möchte ich darum bitten, dass der Große Rat mir Asyl gewährt.«

Es schloss sich Schweigen an, das so lange währte, bis sich Navarro zu Wort meldete, während er sich ein Grinsen zu verkneifen schien. »Sie möchten eine legale Bürgerin der Allianz werden? Das könnte man als Flüchtlingsstatus einordnen.«

»Oder als Treuebruch«, ergänzte Senatorin Costa, die keinen amüsierten Eindruck machte. »Oder als Verrat an der Callas-Republik.«

»Die Kriegsschiffe der Callas-Republik«, warf Geary ein, der aufpassen musste, dass er sich nicht zu früh in diesem Treffen von seiner Verärgerung mitschleifen ließ, »haben loyal und tapfer für die Allianz gekämpft. Selbst wenn die Callas-Republik formal nicht länger zur Allianz gehört, betrachte ich sie immer noch als unsere Freunde, und ich hoffe, dass sie von uns genauso denken.«

»Und warum haben Sie dann deren Schiffe weggeschickt?«, wollte ein kleiner, schmaler Senator in schroffem Tonfall wissen. Geary hatte den Mann noch nie gesehen.

»Sie müssen repariert werden, und für diese Reparaturen sollte die Callas-Republik aufkommen. Außerdem haben die Besatzungen sich etwas Zeit daheim verdient, nachdem sie über so lange Zeit derartig viele Entbehrungen hinnehmen mussten«, erklärte er. Da er mit dieser Frage von Anfang an gerechnet hatte, war er darauf vorbereitet gewesen und hatte seine Antwort ein paar Mal geprobt, damit er sie auch richtig rüberbrachte.

»Senator Wilkes«, sagte Sakai zu dem schmächtigen Mann, bevor der weiterreden konnte. »Wir müssen uns auf die wesentlichen Themen konzentrieren. Was die Anwesenheit der Gesandten Rione angeht, möchte ich darauf hinweisen, dass sie als jemand zu diesem Treffen eingeladen wurde, der uns am meisten über die als Tänzer bezeichneten Aliens sagen kann. Sie ist diejenige Person, die am häufigsten mit ihnen zu tun hatte.«

»Die Allianz«, warf Navarro mit Nachdruck ein, »braucht diese Person.«

Eine sichtlich unzufriedene Suva richtete ihre Aufmerksamkeit auf Geary. »Wir haben Ihren Bericht gelesen. Sie wurden auf eine Erkundungsmission geschickt.«

»Und die habe ich absolviert, Senatorin.«

»Sie haben zwei neue Kriege begonnen«, hielt Senator Wilkes dagegen. »Sie wurden losgeschickt, um Neues zu erkunden, aber Sie haben zwei neue Kriege begonnen!« Er ließ eine Pause folgen, als erwarte er Applaus.

Senator Navarro verzog das Gesicht. »Die Aufzeichnungen besagen deutlich, dass die Enigmas bereits die Menschheit bekämpft haben, als wir von Ihrer Existenz noch nicht einmal wussten. Admiral Geary hat mit ihnen keinen Krieg begonnen. Aus den offiziellen Berichten ergibt sich, dass er vielmehr versucht hat, weitere Kämpfe zu verhindern und mit den Enigmas zu verhandeln.«

»Die Berichte stammen von den Syndiks, Senator.«

»Das gilt aber nicht für die Aufzeichnungen unserer Schiffe, Senator. Die zeigen uns, dass er versucht hat, mit ihnen zu reden und eine einvernehmliche Lösung zu finden. Aber die Enigmas beharrten auf weiteren Angriffen.«

»Selbst für den Fall, dass die Enigmas wirklich nicht mit uns reden wollten«, sagte Senatorin Suva, »und angesichts des wahrscheinlichen Verhaltens der Syndiks und des provozierenden Verhaltens unserer eigenen Streitkräfte …«

»Provozierendes Verhalten?«, ging Senatorin Costa dazwischen. Mittlerweile kannte Geary Costa gut genug, um zu wissen, dass sie weniger ihn verteidigen wollte, sondern vielmehr reflexartig Suva attackierte.

»Wir sind ohne Erlaubnis in fremdes Gebiet vorgedrungen«, argumentierte Suva.

»Haben Sie sich nicht dafür starkgemacht, dass Admiral Gearys Flotte genau diese Mission aufgetragen bekommt?«, herrschte Costa sie an.

Einen Moment lang fragte sich Geary, ob es wohl jemandem auffallen würde, wenn er jetzt einfach aufstand und den Raum verließ. Die Senatoren waren so in ihren verbalen Schlagabtausch vertieft, dass sie sich längst gegenseitig anbrüllten.

»Das hat mir wirklich nicht gefehlt«, merkte Rione. Sie stützte den rechten Ellbogen in die linke Handfläche und legte ihr Kinn in die rechte Hand, dann schloss sie die Augen. »Wecken Sie mich, wenn die fertig sind.«

»Sie können dabei schlafen?«

»Das ist hundertmal besser, als es im wachen Zustand mitzumachen.«

Eine plötzliche Stille ließe Geary aufhorchen. Er sah zum Tisch und stellte fest, dass sich die verschiedenen Senatoren immer noch wütend anschauten, aber aufgehört hatten zu brüllen. Senator Sakai war aufgestanden und sah auf seine Amtskollegen herab. Normalerweise ließ seine Miene keine Gefühlsregung erkennen, doch jetzt zeigte sie eindeutig Missbilligung.

»Gibt es irgendwelche Fragen, die an Admiral Geary gerichtet werden sollen?«, fragte er und nahm wieder Platz.

Wilkes meldete sich als Erster zu Wort. Obwohl er eben zurechtgewiesen worden war, zeigte er sich unverändert aggressiv. »Wir befinden uns jetzt im Krieg mit zwei anderen Spezies. Ich nehme an, dem wird niemand widersprechen wollen. Warum bestand unser erstes Zusammentreffen mit den Bov-Ursoiden in einer Schlacht auf Leben und Tod?«

»Bov-Ursoide?«, fragte Geary. »Reden Sie von den Kiks?«

»Das ist eine beleidigende Formulierung. Ich werde den Gebrauch dieses Begriffs nicht tolerieren.«

Costa lachte abfällig. »Niemand interessiert sich dafür, ob Sie beleidigt sind, weil wir einem Volk von Verrückten einen Spitznamen gegeben haben.«

Es sah ganz nach dem nächsten verbalen Schlagabtausch aus, doch der wurde in dem Moment erstickt, als Sakai sich vorbeugte und einen frostigen Blick über die Anwesenden wandern ließ.

Geary blickte kurz zu Rione, dann antwortete er: »Wir haben alles versucht, was möglich war, um eine Kommunikation mit ihnen zu erreichen. Ihre erste Reaktion bestand darin, uns in dem Augenblick anzugreifen, als sie uns entdeckten. Wir ergriffen alle erforderlichen Maßnahmen, um uns zu verteidigen, und solange wir uns in ihrem Sternensystem aufhielten, versuchten wir weiter, mit ihnen zu reden. Es gab von ihrer Seite keine Reaktion, außer dass sie uns weiter attackierten.«

»Sie alle haben die Berichte gesehen«, ergänzte Rione in nüchternem Tonfall. »Sie haben uns angegriffen und verfolgt, sie sind uns sogar in ein anderes Sternensystem gefolgt, um uns weiter anzugreifen. Selbst als ihre Niederlage und damit ihr Tod unausweichlich war, kam es zu keiner Kommunikation, stattdessen bevorzugten sie den Selbstmord. Sie können nicht mit jemandem reden, der sich weigert zu antworten und stattdessen mit den Versuchen, Sie zu töten, einfach nicht aufhört.«

»Vielleicht hatten sie Angst vor uns!«, gab Wilkes zu bedenken.

»Ja, vielleicht. Sie mögen aus ihrer Sicht berechtigte Gründe dafür gehabt haben, nicht mit uns zu reden und lieber bis zum Tod zu kämpfen«, erwiderte Rione. »Allerdings fühle ich mich nicht verpflichtet, mich von jemandem töten zu lassen, nur weil der einen guten Grund dafür hat.«

»Wären Sie nicht mit feuerbereiten Waffen in deren System geplatzt …«

»Wir haben nicht als Erste das Feuer eröffnet«, betonte Geary.

»Admiral«, sagte Senator Navarro. »Sind Sie in das Sternensystem … wie hieß es noch gleich … Honor auf die gleiche Weise eingeflogen wie bei den Enigmas und bei dieser anderen Spezies, die Sie besucht haben?«

»Ja, Senator. In einer defensiven Formation.«

»Und bei Honor wurden Sie von den Vertretern der Tänzer willkommen geheißen?«

»Sie haben dort unserer Flotte geholfen!«, rief Senatorin Costa triumphierend dazwischen.

»Aber …«, begann ein anderer Senator, »… diese Tänzer, die sind so …«

Costa grinste weiter. »Was ist los, Tsen? Wäre es politisch unkorrekt, sie als abgrundtief hässlich zu bezeichnen?«

»Wir dürfen sie nicht nach ihrem Aussehen beurteilen!«

»Aber genau das machen Sie gerade, wie? Und es macht Ihnen schrecklich zu schaffen, nicht wahr?«

»Senatorin Costa«, warf eine große, dunkle Frau ein. »Sie würden mehr Sympathien für sich verbuchen, wenn es Ihnen nicht solch offensichtliche Freude bereiten würde, Ihren Kontrahenten die Arme abzureißen und dann mit den blutigen Stümpfen auf sie einzuschlagen.«

»Ich möchte eine Erklärung abgeben«, verkündete Senatorin Suva.

»Wir haben noch so gut wie keine Fragen gestellt, Senatorin«, konterte die dunkle Frau. »Könnten wir dieses Mal mit einer alten Tradition brechen und erst einmal etwas über ein Thema in Erfahrung bringen, ehe wir dazu Erklärungen abgeben?«

»Da hat Senatorin Unruh allerdings recht«, fand Navarro.

Bevor irgendwer etwas sagen konnte, explodierte Wilkes ein weiteres Mal und zeigte dabei auf Geary: »Warum haben Sie alle aus der Hand der Enigmas befreiten Menschen den Syndiks übergeben?« Der Tonfall des Mannes war so anklagend, als hätte Geary ein Kapitalverbrechen begangen.

»Sie waren alle Bürger der Syndikatwelten«, antwortete Geary und gab sich Mühe, nicht so zu klingen, als würde er sich rechtfertigen.

»Sie hätten uns wichtige Informationen über die Enigmas liefern können!«

»Sie wussten nichts über die Enigmas!« Geary bändigte seine Wut, ehe er weiterredete. »Rein gar nichts. Wenn Sie meinen Bericht lesen, dann …«

»Sie haben sie einfach …«

»Ich bin mit meiner Antwort NOCH NICHT fertig, Sir!« Alle starrten sie ihn an. Na gut, sollten sie ruhig machen. Er hatte zu viel durchgemacht und musste sich so etwas wie das hier nicht antun. »Bevor Sie mir Fragen stellen, lesen Sie die Ihnen zur Verfügung gestellten Informationen, damit Sie wissen, wovon Sie eigentlich reden. Und wenn Sie mir dann Fragen stellen, gestatten Sie mir, darauf zu antworten, ohne unterbrochen zu werden. Jede Person, die wir aus dem Gefängnisasteroiden der Enigmas geholt hatten, war ein Bürger der Syndikatwelten. Ich besaß gar nicht das Recht, sie gegen ihren Willen festzuhalten und hierher mitzubringen. Keiner von ihnen wusste irgendetwas über die Enigmas. Sie hatten noch nie einen von ihnen gesehen und auch nie mit ihnen gesprochen. Sie hatten ja nicht mal einen von deren Avataren gesehen. Sie wussten weniger über die Enigmas als wir, noch bevor wir in deren Gebiet vorgedrungen sind. Aber der wichtigste Faktor bei meiner Entscheidung war der, dass ich kein Recht hatte, sie festzuhalten. Sie besaßen die Freiheit, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen und selbst über ihr Schicksal zu entscheiden.«

Navarro merkte ungewöhnlich sarkastisch an: »Wollen wir Admiral Geary dafür verurteilen, dass er sich an die Gesetze und Prinzipien der Allianz gehalten hat?«

»Da Sie gerade die Gesetze der Allianz ansprechen«, sagte Senatorin Costa, »und wir im Augenblick darüber reden, dass wir Leute bei den Syndiks zurücklassen – würde der Admiral uns in dem Zusammenhang erklären, warum er einen seiner Senioroffiziere bei den Syndiks zurückgelassen hat?«

»Einen meiner Offiziere?«, gab Geary zurück. »Wir haben viel zu viele Offiziere im Gefecht verloren, und den meisten von ihnen konnte eine ehrenvolle Bestattung im All zuteilwerden. Der einzige lebende Offizier, der die Flotte nicht nach Hause begleitet hat, ist Captain Bradamont. Sie ist als Verbindungsoffizierin der Allianz im Midway-Sternensystem geblieben.«

»Wer hat die Erlaubnis erteilt, eine Verbindungsoffizierin im Midway-Sternensystem zurückzulassen, Admiral?«, hakte Senatorin Costa nach.

»Den Befehl habe ich geschrieben«, erwiderte er in einem scheinbar ahnungslosen Tonfall. »Es war meine Idee.« Darauf hatten er und Rione sich geeinigt, und dabei blieb er jetzt auch. Möglicherweise hatte der eine oder andere anwesende Senator zu jenen gehört, die Bradamont wegen ihrer Arbeit für den Geheimdienst der Allianz während des Krieges hatten erpressen wollen. »Natürlich habe ich mir zuvor die Erlaubnis von den Vertretern unserer Regierung eingeholt, die die Flotte begleitet haben.«

»Damit meint er mich und den Gesandten Charban«, ergänzte Rione fröhlich.

»Ihre Anweisungen als Gesandte …«, begann Costa.

»… gewährten uns umfassende Befugnisse«, führte sie den Satz zu Ende. »Anweisungen, die uns vom gesamten Großen Rat erteilt wurden, wie ich betonen möchte.«

»Warum wurde Captain Bradamont für diesen Posten ausgewählt?«, wollte Senator Wilkes wissen. »Es kursieren Informationen über Bradamont, die ernsthafte Zweifel an ihrer Loyalität gegenüber der Allianz aufkommen lassen.«

Geary sah Wilkes sekundenlang starr in die Augen, erst dann erwiderte er: »Wie ich bereits gesagt und ich es auch in meinem Bericht geschildert habe, ist Captain Bradamont die Verbindungsoffizierin für das seit Kurzem unabhängige Midway-Sternensystem. Die Behörden und die Bewohner von Midway haben eine extrem feindselige Haltung gegenüber der Regierung der Syndikatwelten, was ich ebenfalls in meinem Bericht vermerkt habe. Ich habe keine Zweifel an der Loyalität von Captain Bradamont, und sollten Sie tatsächlich über Informationen verfügen, die ihre Ehre infrage stellen, dann sollten Sie die offenlegen. Ich versichere Ihnen und jedem anderen hier, dass ich mit den mir zur Verfügung stehenden Informationen jeden Vorwurf an ihre Adresse entkräften kann. Wenn es notwendig werden sollte, werde ich diese Informationen offenlegen.«

Senator Wilkes sah ihn wütend an und suchte sichtlich nach Worten, doch Navarro kam ihm zuvor. »Sie haben die Ehre eines Offiziers von Admiral Geary beleidigt«, tadelte er Wilkes, als hätte er ein Kleinkind vor sich. »Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Admiral sein Versprechen wahrmachen wird, um seine Offizierin zu verteidigen. Sind wir bereit, sämtliche Informationen in dieser Sache offen auf den Tisch legen zu lassen?«

»Existieren keine Einschränkungen zu dem, was diskutiert werden kann?«, fragte Costa.

»Was für Einschränkungen und in Bezug auf welche Informationen?«, wollte Senatorin Suva wissen.

Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen, während sich verschiedene Senatoren vielsagende Blicke zuwarfen, dann fuchtelte Wilkes gereizt mit einer Hand. »Wir können später darüber diskutieren. Allerdings sehe ich keinen denkbaren Nutzen für die Allianz, wenn sich ein Senioroffizier der Flotte tief in feindlichem Gebiet aufhält.«

»Wir haben von ihr bereits sehr wichtige Informationen erhalten«, widersprach Rione. »Dank Captain Bradamont wissen wir, dass die Syndiks einen Weg gefunden haben, den Zugang zu den einzelnen Portalen in ihrem Hypernet zu blockieren.«

»Ich habe das in Ihrem Bericht gesehen«, sagte Navarro und lehnte sich zurück, dann sah er Rione und Geary aufmerksam an. »Das ist von extremer Bedeutung. Wie stellen sie das an?«

»Das wissen wir noch nicht. Aber es ist zweifellos eine Sache, der sich unsere Hypernet-Experten widmen sollten.«

Senatorin Unruh schüttelte den Kopf. »Die von der Regierung finanzierte Hypernet-Forschung ist drastisch zusammengestrichen worden, um Geld zu sparen.« Sie sah ihre Amtskollegen betont vorwurfsvoll an. »Wie praktisch, dass Admiral Geary ein von den Syndiks entwickeltes System mitgebracht hat, mit dem sich verhindern lässt, dass Portale per Fernsteuerung zum Zusammenbruch gebracht werden. Und wie praktisch, dass die Syndiks weiter Geld in diese Forschung stecken, während die Allianz-Regierung beschlossen hat, dass dieser Bereich nicht so wichtig ist.«

»Wir haben das alles schon hundertmal durchgekaut«, beklagte sich Suva. »Wir müssen Prioritäten setzen.«

»Unsere Flotte hätte beinahe schon wieder in feindlichem Gebiet festgesessen«, warf Unruh ein. »Ich muss mich schon sehr wundern, dass unsere Prioritäten unseren Feinden solche enormen Vorteile bringen.«

Suvas Gesicht lief vor Wut rot an. »Wollen Sie etwa unterstellen, ich würde …«

»Ich bin mir sicher, Senatorin Unruh wollte niemandem irgendetwas unterstellen«, ging Navarro dazwischen.

»Wenn ich das vorhätte, würde ich meine Unterstellungen nicht auf eine einzige Senatorin eingrenzen«, sagte Unruh.

»Nach allem, was wir herausfinden konnten«, sagte Geary, um das betretene Schweigen zu überspielen, das Unruhs Erklärung folgte, »scheinen die Syndiks nicht zu wissen, wer gerade ein bestimmtes Portal benutzen will. Sie können wohl nur den Zugang zu einem Portal blockieren. Das ist aber nur dann wirklich von Nutzen, wenn sie wissen, wo wir sind und wohin wir müssen. Bei Midway hatten sie diesen Vorteil. Selbst wenn wir uns wieder in dieser Situation befinden sollten, wissen wir jetzt, dass wir mit Sprüngen andere Portale erreichen und dabei auf einem Zickzackkurs durch ihr Gebiet fliegen können, ohne dabei dem Weg folgen zu müssen, den sie uns aufzwingen wollen.«

»Nämlich einem Weg, der mit Fallen gepflastert ist«, brummte Costa.

»Herrscht jetzt eigentlich Frieden mit den Syndikatwelten oder nicht?«, wollte Suva wissen und klang dabei fast jämmerlich.

»Von unserer Seite aus ja«, erwiderte Navarro. »Vonseiten der Syndiks wohl eher nicht.«

»Wir haben zwei Gefangene mitgebracht, die wir auf der Invincible festsetzen konnten«, sagte Geary.

»Die uns überhaupt nichts erzählen können«, betonte Navarro mürrisch. »Beide sind mental so bearbeitet worden, dass der eine katatonisch und der andere kaum am Leben ist. Wir können bei keinem der Angriffe beweisen, dass die Syndiks offiziell in irgendeinen Angriff verstrickt waren.«

»Zum Teufel mit Beweisen! Wir kennen die Wahrheit! Sie müssen vernichtet werden! Wir müssen sie endgültig erledigen«, beharrte Costa.

»Wir können nicht gegen den Friedensvertrag verstoßen!«, konterte Senatorin Suva. »Das Volk würde das nicht mitmachen!«

Dann begannen sie alle gleichzeitig zu reden.

»Was denn für ein Frieden?«

»Fragen Sie die Menschen in der Allianz!«

»Wir können den Krieg nicht wiederaufleben lassen! Die Regierung würde zusammenbrechen!«

»Meine Mitsenatoren«, setzte Sakai mit ruhiger Stimme zum Reden an, die dennoch laut genug war, um von den anderen gehört zu werden. »Wie wir bereits festgehalten haben, müssen wir als Minimum die Freilassung aller Allianz-Bürger vorantreiben, die noch immer im Syndik-Gebiet oder im ehemaligen Syndik-Gebiet festgehalten werden. Solange das nicht geschehen ist, sollten wir den Syndiks keine rechtliche Handhabe bieten, um den Vertrag aufzukündigen. Vielleicht sollten wir jetzt zu einem anderen Thema wechseln.«

Geary wartete, während die Senatoren über Sakais Empfehlung nachdachten. Er fragte sich, ob irgendeiner von ihnen ihm seine Nervosität darüber anmerkte, dass ihn jemand danach fragen könnte, was er den Herrschern von Midway als Gegenleistung für die Syndik-Apparatur gegeben hatte, mit der sich verhindern ließ, dass ein Hypernet-Portal per Fernsteuerung kollabierte.

Aber der Große Rat verspürte offenbar kein Verlangen danach, weiter über das Hypernet zu reden.

»Nun«, sagte Navarro. »Es gibt gute Neuigkeiten, über die wir uns unterhalten müssen. In diesem erbeuteten Kriegsschiff steckt eine gewaltige Menge an … ähm … Kik-Technologie. Durch sie sollten wir in der Lage sein, mehr über diese Rasse zu erfahren.«

»Wir hätten mehr über sie erfahren können, wenn wir mit ein paar lebenden Individuen dieser Rasse reden könnten«, murmelte Senatorin Suva laut genug, um von allen gehört zu werden.

Rione machte eine knappe Geste, um Gearys reflexartiger Reaktion zuvorzukommen. »Wir haben es versucht«, sagte sie. »Wir haben es mit jeder denkbaren Methode versucht.«

»Die Spezialisten, von denen Sie begleitet wurden«, konterte Suva, »sagen, dass Sie mehrere Methoden unversucht gelassen haben, die hätten funktionieren können.«

»Einige von ihnen mögen das jetzt behaupten, aber zum betreffenden Zeitpunkt haben sie solche Methoden nicht vorgeschlagen«, machte Rione klar. »Ich persönlich habe sie wiederholt um Vorschläge gebeten. Wenn unsere akademischen Experten jetzt behaupten, ihnen seien andere Methoden bekannt gewesen, um mit den Kiks zu kommunizieren, dann kann es nur sein, dass sie diese Informationen absichtlich zurückgehalten haben. Vielleicht sollten Sie diese Leute fragen, warum sie das getan haben.«

Navarro verzog den Mund und tippte leicht mit der Hand auf den Tisch. »Meine Vermutung ist, dass diese Experten auch keine anderen Ideen hatten als Sie. Mir fällt jedenfalls nichts ein, was Sie nicht auch versucht haben. Vielleicht kommen wir ja noch auf eine Methode, wie wir die beiden lebenden Kiks aufwecken können.«

»Davon muss ich mit Nachdruck abraten«, warf Geary ein. »Sie werden sich das Leben nehmen.«

»Es kann sein, dass diese Entscheidung nicht in unseren Händen liegt, Admiral. Und was hat es mit diesen Geistern auf dem erbeuteten Schiff auf sich?«

»An Bord der Invincible geht etwas Seltsames vor«, erklärte er. »Es manifestiert sich auf eine Weise, als würden sich Kik-Geister um einen scharen. Ich kann niemandem empfehlen, sich irgendwo in diesem Schiff allein aufzuhalten. Das Gefühl stellt sich sehr bald ein und wird dann schnell stärker.«

»Diese Spezies verfügt doch über ein Gerät«, warf Unruh leise ein, »mit dem man Planeten vor einem Bombardement aus dem All schützen kann. Befindet sich irgendetwas an Bord dieses Schiffs, das uns zeigen kann, wie wir diese Technik auch anwenden können?«

Geary spürte förmlich die Welle der Hoffnung, die von den Senatoren ausgestrahlt wurde. Er schüttelte den Kopf, auch wenn es ihm noch so sehr zuwider war, diese Hoffnungen zu zerschlagen. »Das weiß ich nicht. Ihre Technologie und ihre Art, Ausrüstung zu konstruieren, unterscheidet sich grundlegend von unserer. Ich weiß, dass selbst die größten Kik-Schiffe wie die Invincible nicht in der Lage waren, kinetische Projektile auf diese Weise abzulenken. Die Flotteningenieure vermuten, dass diese Form der Verteidigung einen enormen Energiebedarf hat oder eine sehr große Masse benötigt, zum Beispiel die eines Planeten. Fazit ist aber, dass wir es einfach nicht wissen. Natürlich haben wir die Kik-Ausrüstung an Bord der Invincible nicht ausprobiert, weil wir nicht absehen konnten, was wir damit auslösen würden.«

»Müssen wir unbedingt weiter diese beleidigende Bezeichnung ›Kiks‹ benutzen?«, wandte Senatorin Suva ein. »Und warum beziehen Sie sich auf das Schiff, das wir ihnen abgenommen haben, indem Sie den Namen eines Schiffs unserer Flotte benutzen?«

»Ich kann sie auch Bärkühe nennen, wenn das angenehmer ist«, schlug Geary vor, da er keine Lust hatte, sich auf eine weitere sinnlose Diskussion einzulassen. »Wir wissen nichts darüber, wie sie sich selbst nennen. Dass ich das Schiff Invincible nenne, liegt daran, dass es als Invincible unsere Heimreise überstanden hat und dass mehr als ein Marine sein Leben dabei verloren hat, es als Invincible zu verteidigen.«

»Es wird sicher oberste Priorität für die Allianz sein, so viel wie möglich über die Technologie in Erfahrung zu bringen, die auf diesem Schiff zum Einsatz gekommen ist«, äußerte sich Senatorin Unruh in einem gefälligen Ton, mit dem sie dennoch deutlich machte, worauf sie hinauswollte. »Und was die Enigmas angeht – glauben Sie, da besteht Hoffnung auf Frieden?«

»Ich glaube, der Gesandte Charban liegt mit seiner Vermutung richtig, dass eine so sehr von ihrer Privatsphäre besessene Spezies unsere von Neugier getriebene Spezies als eine ernsthafte Bedrohung ansieht. Eine Zusicherung, nicht mehr über sie herausfinden zu wollen und auch nicht wieder in das von ihnen kontrollierte Gebiet zu fliegen, könnte als Grundlage hilfreich sein, um den Feindseligkeiten ein Ende zu setzen. Aber«, schränkte Geary sofort ein, »bislang haben die Enigmas auf unsere in diese Richtung gehenden Vorschläge nicht reagiert.«

»Und dann«, fuhr Unruh fort, »haben wir da noch die Tänzer.« Sie lächelte amüsiert. »Ich habe gesehen, wie sie ihre Schiffe bewegen. Das ist ein wirklich passender Name.«

»Sie haben einen von Menschen bewohnten Planeten gerettet«, warf Senatorin Suva wissbegierig ein. »Können sie uns zeigen, wie sie das gemacht haben?«

»Auch das weiß ich nicht«, sagte Geary. »Sie reden mit uns, sie erscheinen hilfsbereit und freundlich, aber sie verfügen auch über eine instinktive Fähigkeit, ihre Schiffe durchs All zu manövrieren, die über das hinausgeht, was wir Menschen mit unseren Sinnen und unserer Ausrüstung zu leisten imstande sind.«

»Aber können wir jemandem vertrauen, der so aussieht wie die?«, fragte Wilkes sichtlich angewidert.

Rione lächelte, als sie erwiderte: »Dann haben wir doch auf jeden Fall die Gewissheit, dass wir uns nicht von ihrer Schönheit blenden lassen werden.«

»Kommen die Verhandlungen gut voran?«, wollte Navarro wissen.

»Wir lernen immer noch, mit ihnen zu kommunizieren. In einer formalen Verhandlungsphase befinden wir uns derzeit nicht.« Rione ersetzte ihr Lächeln durch einen Gesichtsausdruck, der keine Deutung zuließ. »Nach unserer Ankunft hier in Varandal haben sie uns eine Nachricht übermittelt, die uns sehr überrascht hat. Der Gesandte Charban und ich haben die Mitteilung erst spät heute Nacht komplett verstanden. Sie wird also jetzt und hier zum ersten Mal publik gemacht. Ich wollte, dass der Große Rat als Erster davon erfährt.« Selbst die Senatorin, die Rione am liebsten mit Verachtung gestraft hätte, schien sich ein wenig aufzuplustern, weil die Bemerkung es so klingen ließ, als sei ihre Bedeutsamkeit hervorgehoben worden. »Die Tänzer haben uns mitgeteilt, dass sie irgendwo hinmüssen. Verhandlungen werden sie erst mit uns aufnehmen, wenn sie dort gewesen sind. Es wird nicht wie ein Ultimatum hingestellt, mehr als eine Wenn-Dann-Bedingung. Wenn wir sie annehmen, dann werden sie mit uns über andere Dinge reden.«

»Das haben sie uns gesagt?«, fragte Costa skeptisch. »Wie? Ich dachte, unsere Kommunikation mit den Tänzern verläuft noch in sehr grundlegenden Bahnen.«

»Sie haben uns gesagt, dass es einen Ort gibt, den sie aufsuchen müssen. Sie haben die Piktogramme für müssen und reisen benutzt, also ist keine andere Auslegung möglich«, erläuterte Rione. »Das Gleiche haben sie wiederholt mit Blick auf die Wenn-Dann-Bedingung für weitere Verhandlungen gemacht.«

Sie hielt ihr Datenpad hin, tippte auf eine Taste, dann entstand über dem Tisch ein Bild aus kantigen Buchstaben. »Und dann zeigten sie uns das. Es ist ein Wort, das aus den Buchstaben aus einer der antiken Sprachen der Menschheit gebildet wird. Deshalb konnten unsere Systeme es mühelos übersetzen. Selbst einer von uns kann das Wort aus der Herkunft unserer gegenwärtigen Sprachen herleiten.«

»Und was besagt das Wort?«, wollte ein erstaunter Senator Navarro wissen.

»Kansas.«

»Was?«

»Das antike Wort lautet Kansas«, sagte Rione. »Wir haben auf jede erdenkliche Weise nachgefragt, aber die Tänzer antworten auf jede erdenkliche Weise, dass sie nach Kansas reisen müssen.«

»Wo soll denn das sein?«, wollte Costa wissen. »Ich habe noch nie von einem Stern namens Kansas gehört.«

»Wir haben Kansas ausfindig gemacht«, sagte Rione. »Es ist kein Stern und auch kein Planet, sondern ein Ort auf einem Planeten. Es ist der alte Name für eine Provinz oder Region auf diesem Planeten.«

»Welcher Planet? Welcher Stern?«, fragte Senator Navarro.

»Die Alte Erde. Im Sternensystem Sol.«

Die anschließende Stille war so vollkommen, dass eine fallende Stecknadel sich wie ein Donnerhall angehört hätte. Als sich Navarro nach einer Weile zu Wort meldete, flüsterte er zwar, doch es klang so, als würde er brüllen. »Die Alte Erde? Sie wollen die Alte Erde besuchen?«

»Darauf bestehen sie«, erwiderte Rione.

»Warum?«

»Das können oder wollen sie uns nicht erklären. Nicht, solange wir sie nicht hinbringen.«

»Unmöglich«, verkündete Senatorin Costa. »Aliens ins Sol-Sternensystem bringen? Zur Alten Erde, zur Heimat unserer Vorfahren? Das können wir nicht zulassen.«

Sofort wandte sich Senatorin Suva gegen ihre erklärte ideologische Widersacherin Costa. »Sie sind Vertreter der ersten nichtmenschlichen intelligenten Spezies, die je Kontakt mit uns aufgenommen hat. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir sie nicht beleidigen.«

»Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir nicht einem Haufen Aliens die Gelegenheit geben, einen solaren Destabilisator auf Sol abzufeuern.«

»Diese Aliens haben uns geholfen, sie haben Menschen geholfen«, betonte Senatorin Unruh. »Es gibt keinen Beleg dafür, dass sie feindselig sind.«

»Aber sehen Sie sich die doch nur an!«, beharrte Wilkes. »Wir sollen die an den heiligsten Ort in der ganzen Galaxis führen? Diese … Dinger?«

»Beurteilen Sie sie nicht nach ihrem Aussehen, sondern nach ihrem Handeln«, ermahnte Geary ihn.

»Sie können uns aber nicht sagen, warum sie zur alten Erde wollen, oder? Und auch nicht, wie sie von diesem Ort namens Kansas erfahren haben?«

»Das kann ich nicht«, musste Rione einräumen.

»Einen Augenblick!«, rief Senator Sakai, als ein erneutes Stimmengewirr aufkommen wollte. »Sagen Sie, Admiral Geary. Sie haben die Schiffe der Tänzer gesehen. Könnten die die Alte Erde aus eigener Kraft erreichen?«

»Selbstverständlich«, antwortete er und fragte sich so wie immer, was Sakai mit seiner Frage bezweckte. »Sie verfügen über etwas Ähnliches wie unseren Sprungantrieb, der mindestens die gleiche Reichweite zu besitzen scheint wie unsere Technologie.«

»Man würde sie entdecken und aufhalten«, erklärte Costa abfällig.

»Die Tänzer verfügen über hervorragende Tarntechnologie«, gab Geary zurück. »Für Schiffe von ihrer Größe ist die Technologie unserer überlegen. Selbst wenn man sie entdecken würde, können sie jedem Abfangversuch ausweichen. Ich weiß nicht, wie lange sie bereits das Weltall mit Schiffen erkunden und wie lange sie über Sprungantriebe und Tarntechnologie verfügen. Das heißt, keiner von uns kann etwas darüber sagen, wann sie die Alte Erde zum ersten Mal besucht haben.«

Sakai nickte bedächtig. »Dann könnten die Tänzer jeden Punkt in unserem Territorium anfliegen? Und sie könnten den von Menschen besiedelten Teil des Weltalls längst erkundet haben?«

»Ja, Senator«, bestätigte Geary. »In meinem Bericht weise ich auf die Möglichkeit hin, dass sie mindestens die Außenbezirke des Allianz-Territoriums erkundet haben, da sie das Symbol der Allianz wiedererkannten.«

»Und dennoch bitten sie uns um Erlaubnis. Sie bitten uns, die Alte Erde aufzusuchen, obwohl sie auch so hinfliegen könnten.« Sakai sah sich um, da er festgestellt hatte, was es festzustellen gab. »Wie können wir herausfinden, was sie dort wollen? Indem wir sie hinbringen.«

»Und wenn sie in Wahrheit doch feindselig sind?«, wandte Costa finster ein. »Was soll dann sein? Sol verfügt über keinerlei Verteidigung. Unsere Heimat ist seit Jahrhunderten neutral und entmilitarisiert.«

»Wir würden die Tänzer-Schiffe eskortieren«, überlegte Sakai. »Diese Eskorte könnte die Tänzer verteidigen und im schlimmsten aller Fälle als Verteidigung gegen die Tänzer dienen.«

»Wir können keine Flotte aus Kriegsschiffen nach Sol schicken«, wandte Suva ein. »Das ist politisch unmöglich. Der Aufruhr würde uns alle das Amt kosten und alle von Menschen bewohnten Sternensysteme, die nicht zur Allianz gehören, gegen die Allianz aufbringen.«

»Und womit könnten wir durchkommen?«, fragte Navarro in die Runde. »Was wäre politisch hinnehmbar?«

Sakai wandte sich wieder an Geary. »Admiral, hat die Allianz vor dem Krieg jemals Kriegsschiffe ins Sol-Sternensystem geschickt?«

»Ja, Senator«, erwiderte Geary. In der letzten Zeit war es ihm leichter gefallen, den Verlust von allem, was er vor hundert Jahren noch gekannt hatte, zu verdrängen und zu vergessen. Diese Frage jedoch ließ ihn zwangsläufig in ein Leben zurückkehren, das sich einer Zeit abgespielt hatte, die für jeden in dieser Flotte die ferne Vergangenheit darstellte. »Alle zehn Jahre entsandte die Allianz ein Kriegsschiff, das an den Gedenkfeierlichkeiten teilnahm.«

»Ein Kriegsschiff?«, hakte Suva argwöhnisch nach.

»Ja, Senatorin. Eines. Natürlich war die Flotte zu der Zeit auch noch viel kleiner. Trotzdem war es üblicherweise ein großes Schiff, um den Respekt vor der Heimat zu bekunden. Ein Schlachtschiff oder ein Schlachtkreuzer.«

»Ein Schlachtkreuzer?« Navarro nickte lächelnd. »Die Dauntless ist ein Schlachtkreuzer, das Flaggschiff Ihrer Flotte. Ein ausgezeichnetes Schiff, dessen Crew heldenhaft und ehrbar gehandelt hat.«

Alle schienen darauf zu warten, dass Geary etwas sagte, also erwiderte er das Nicken. »Ich würde dieser Charakterisierung der Dauntless und ihrer Crew nicht widersprechen wollen.«

»Und zweifellos auch nicht ihres Captains«, fügte Costa grinsend hinzu.

»Ein Schiff, das groß genug ist«, redete Sakai weiter, ohne auf Costas spitze Bemerkung zu Gearys privater Beziehung mit Desjani einzugehen, »um ausgewählte Vertreter unserer Regierung auf diese Reise mitzunehmen, damit alle das Gefühl haben, ausreichend repräsentiert zu werden, und damit alle notwendigen Verhandlungen mit den Tänzern geführt werden können, zu denen sie nach dem Eintreffen an diesem Ort namens Kansas bereit sein sollten.«

»Ein Schlachtkreuzer?«, wiederholte Costa mit berechnender Miene. »Und alle … Interessen … wären vertreten? Damit könnte ich mich einverstanden erklären.«

»Wenn Senatorin Costa mitkommt«, warf Suva ein, »dann werde ich auch mit dabei sein. Darüber lasse ich nicht mit mir verhandeln.«

»Ich bin mir sicher, dass wir alle sehr erfreut darüber sind, Sie bei uns zu haben«, konterte Costa und grinste sie gehässig an.

»Können wir uns darauf einigen?«, fragte Navarro, als glaube er ohnehin daran, dass irgendeine Form von Einigung möglich war.

»Nicht nur diese beiden«, protestierte Senatorin Unruh.

»Jemand, der von allen akzeptiert wird«, stimmte Navarro zu. »Ich weiß, damit schließe ich mich aus. Was ist mit Senator Sakai? Irgendwelche Einwände?« Niemand meldete sich zu Wort. »Dann sind wir uns also einig, dass die Senatoren Sakai, Suva und Costa an Bord des Schlachtkreuzers Dauntless mitreisen werden, der die sechs Tänzer-Schiffe zur Alten Erde begleiten soll. Der Befehl an die Dauntless lautet, die Tänzer-Schiffe zu eskortieren und zu beschützen, es sei denn, die Tänzer zeigen unerwartet ein feindseliges Verhalten. In diesem Fall wird die Dauntless die Alte Erde und den Rest des Sol-Sternensystems beschützen. Admiral Geary wird mitreisen, ebenso die Gesandte Rione …«

»Sie?«, rief Suva. »Wofür denn das?«

»Um mit den Tänzern zu reden«, sagte Unruh unüberhörbar gelangweilt.

»Was ist mit dem anderen? Charban?«

»Die Tänzer kommunizieren vorzugsweise mit uns beiden«, erklärte Rione.

Geary wusste, dass die Tänzer in Wahrheit den Kontakt mit Charban bevorzugten, aber da er wollte, dass Rione mitkam, nickte er nur, als würde er zustimmen.

»Es ist ohnehin besser, zwei Verbindungsleute zu den Tänzern zu haben«, merkte Sakai an. »Eine Einzelperson könnte bei zu häufigen Anfragen ermüden. Rione und Charban sollten beide mitkommen.«

»Aber nicht als Gesandte!«, beharrte Suva.

»Nein, das ist nicht nötig, denn es sind ja Vertreter des Großen Rats an Bord. Die beiden benötigen allerdings einen Titel. Botschafter? Sprecher?«

»Wie wär es mit Delegat?«, schlug Navarro vor.

»Damit wäre ich einverstanden.«

Widerwillig stimmten auch Suva und Costa zu, gefolgt von den übrigen Senatoren.

Navarro lächelte Geary aufmunternd an. »Dann wäre das ja entschieden. Treffen Sie alle Vorbereitungen für diese Reise. Ich beneide Sie, das gebe ich offen zu. In den letzten Jahrzehnten hat sich nie der Luxus einer Reise zur Alten Erde ergeben, obwohl dort vor langer Zeit ein Hypernet-Portal eingerichtet wurde. Sie, die Dauntless und ihre Crew haben sich um die Gelegenheit verdient gemacht, die Heimat unserer Vorfahren zu besuchen. Außerdem werden Sie sich so von den Strapazen Ihrer letzten Mission erholen können. Diese Reise zur Alten Erde wird für Sie alle eine längst überfällige Verschnaufpause darstellen, nachdem Sie in der letzten Zeit so viel mit Blut und Feuer konfrontiert wurden.«

Nachdem sie beide den Raum verlassen hatten und wieder mit Timbale und Desjani zusammengetroffen waren, wandte sich Rione an Geary: »Glauben Sie eigentlich an Flüche, Admiral?«

Er beschrieb eine vage Geste. »Ich glaube, manchmal können sie wirklich real sein. Wieso fragen Sie?«

»Weil ich wünschte, Senator Navarro hätte diese letzten Worte besser für sich behalten. Es ist nie gut, das Schicksal herauszufordern.«

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