Vierzehn

»Ich bin offiziell davon in Kenntnis gesetzt worden, dass ich mit meinen Marines bis auf Weiteres bei Ihrer Flotte bleiben soll«, sagte General Carabali.

Gearys Lächeln verriet ihr, wie er darüber dachte. »Es freut mich, das zu hören, General. Ich habe bereits alle Schiffe autorisiert, die Flotte bis auf Weiteres zu verlassen und ihren Besatzungen so viel Landurlaub wie möglich zu gewähren. Sie haben die Erlaubnis, mit Ihren der Flotte unterstellten Marines genauso zu verfahren.«

»Danke, Admiral. Wenn ich das richtig verstanden habe, gilt das aber nicht für die Marine-Einheiten an Bord der Dauntless, richtig?«

»Bedauerlicherweise nein.«

»Sie werden ohnehin eine besondere Aufgabe zu erledigen haben. Die Alte Erde ist auch das Zuhause der Marines. Die Einheiten werden für eine kleine Zeremonie anlässlich dieses besonderen Augenblicks verantwortlich sein.«

Nach dem Gespräch mit Carabali schaute Geary betrübt auf die immer länger werdende Liste an eingehenden Nachrichten. Die Marines waren nicht die Einzigen, die an einer speziellen Zeremonie interessiert waren, wenn sich die Dauntless auf den Weg zur Alten Erde machte. Die Anfragen für Feierlichkeiten aller Art stürmten von allen Seiten auf ihn ein.

Obwohl ein leichtes Vibrieren die Dauntless durchfuhr, da alle von der bevorstehenden Reise vor Begeisterung kaum noch zu bändigen waren, kam ihm sein Quartier seltsam ruhig vor. Die Enttäuschung der Crew, nicht nach Kosatka reisen zu dürfen, von wo der größte Teil der Besatzung stammte, war schnell vergessen, als klar wurde, dass man die alte Heimat besuchen würde. Das Ansehen der Crewmitglieder auf Kosatka, das schon davon profitiert hatte, dass die Dauntless zu Black Jacks Flaggschiff auserkoren worden war, würde astronomische Höhen erreichen, wenn sie von einem persönlichen Besuch im Sol-Sternensystem heimkehrten.

Dieser Gedanke brachte ihn auf die Frage, wieso er heute noch nichts von Tanya gehört hatte. Er rief sie in ihrem Quartier.

»Guten Tag, Admiral«, begrüßte ihn Desjani mit einem flüchtigen Lächeln.

»Es tut mir leid, dass wir unseren freien Tag nicht bekommen haben.«

»Vielleicht klappt das ja auf der Alten Erde. Wir könnten irgendeinen berühmten Ort besuchen, zum Beispiel die Tranquility Base Site.«

»Klingt romantisch«, meinte Geary.

Sie ging auf seinen Humor nicht ein, sondern schaute ernst auf ihren Schreibtisch. »Es gibt noch viel zu tun. Die Dauntless hat von den Gefechten viele Narben zurückbehalten, aber das ist in Ordnung so. Sie hat sich jede Einzelne ehrenvoll verdient. Allerdings muss alles andere perfekt sein.«

»Ich meine, mich daran erinnern zu können, dass mir mal ein Vortrag zu dem Thema gehalten wurde, eben nicht nach Perfektion zu streben«, gab Geary zurück. »Die Dauntless hat höchste Priorität beim Austausch der überalterten Systeme erhalten, also ist sie jetzt praktisch so gut wie neu. Und selbst davor war sie der beste Schlachtkreuzer der ganzen Flotte.«

»Sie war und ist immer der beste Schlachtkreuzer«, korrigierte Desjani ihn, dann wurde sie wieder ernst. »Können wir es uns leisten, die Reparaturarbeiten der Flotte von Smythe überwachen zu lassen, während wir weg sind?«

»Admiral Timbale wird Captain Smythe auf die Finger schauen. Tanya, sind Sie sich ganz sicher, dass da nicht noch etwas anderes ist außer den Vorbereitungen für diese Reise? Ich weiß, es ist kein angenehmer Gedanke, drei Senatoren an Bord zu haben, aber Sie werden von denen nicht sehr behelligt werden.«

»Nicht, wenn meine Gebete erhört werden.« Einen Moment lang vergrub sie das Gesicht in ihren Händen, dann sah sie Geary wieder an. »Ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«

»Um was geht es?«

Sie verhielt sich ungewöhnlich zögerlich. »Es kommt jemand an Bord, um sich mit mir zu treffen. Jemand, der extra nach Varandal gereist ist in der Hoffnung, die Flotte noch hier anzutreffen. Sie möchte zu mir … und ich kann das nicht ablehnen. Ich weiß auch, sie würde Sie gern sehen. Könnten Sie das einrichten?«

»Tanya, wenn ich von irgendetwas entschieden zu wenig habe, dann ist es Zeit. Aber wenn es jemanden gibt, der oberste Priorität bei der Verteilung dieser Zeit hat, dann sind Sie das. Auch wenn ich noch tausend Dinge erledigen muss, von denen die Hälfte schon gestern hätte fertig sein müssen.« Wenn er als Befehlshaber der Flotte schon zu kaum noch etwas kam, wie sollte das dann erst aussehen, wenn er sich tatsächlich zum Diktator über die Allianz aufschwingen würde. Kein vernünftiger Mensch würde so einen Posten noch haben wollen, wenn er erst einmal wusste, wie viel Aufwand damit verbunden war.

Aber Admiral Bloch war Geary auch nicht wie ein Mann vorgekommen, der sich allzu viele Gedanken über die möglichen Konsequenzen seines Handelns machte.

»Ich weiß, jeder will etwas von Ihnen«, redete Desjani weiter. »Aber für mich ist das hier wirklich wichtig. Bitte, Jack.«

So sprach sie ihn selten an, selbst dann, wenn sie mit ihm allein war. Er sah sie verdutzt an. »Tanya, ich habe bereits zugesagt. Um was geht es? Wer ist diese Frau?«

»Um was es geht?« Ihre Hand berührte das Band des Flotten kreuzes auf ihrer Brust. »Darum geht es. Und wer sie ist? Sie ist die Tochter eines Mannes, den ich in den Tod geschickt habe.«

Greta Milam war eine hochgewachsene, dünne Frau, deren Gesichtsausdruck selbst dann noch ernst wirkte, wenn sie versuchte zu lächeln. Auch wenn sie vermutlich erst Anfang zwanzig war, erschien sie deutlich älter. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen, Admiral«, sagte sie und setzte sich in Desjanis Quartier auf den Platz, den Tanya ihr anbot.

»Die Ehre ist ganz meinerseits«, erwiderte er. »Ich hörte, Ihr Vater diente unter Captain Desjani.«

Offenbar war das eine sehr ungeschickte und dumme Bemerkung gewesen, da Desjani leicht zusammenzuckte und Milam bestürzt dreinschaute. Sie sah Tanya an, ihre Miene verriet ein wildes Durcheinander unterschiedlichster Gefühlsregungen. »Ja, auf der Fleche. Ich war Ihnen sehr dankbar für den Brief, den Sie mir nach dem Vorfall damals geschrieben haben, Captain, und in dem Sie mir schilderten, was mein Vater geleistet hat. Er hat meiner Mutter und mir sehr viel Trost gespendet.«

Als Desjani antwortete, klang es, als müsse sie mit ihren eigenen Gefühlen kämpfen. »Master Chief Milam war ein wahrer Held. Er hat das Flottenkreuz viel mehr verdient als ich.«

»Ich habe gehört, Sie haben darauf bestanden, dass er diese Auszeichnung erhält«, sagte Greta Milam. »Ich habe sie bekommen. Sie bedeutet mir sehr viel.«

»Das freut mich«, erklärte Desjani betreten.

»Ich habe mich immer etwas gefragt … Sie haben als Letzte mit ihm gesprochen?«

»Ja, das ist richtig.«

»Wie lauteten seine letzten Worte? In Ihrem Brief ist das nicht ausdrücklich erwähnt, deshalb habe ich darüber immer nachgegrübelt. Es ist schon eigenartig, auf welche Dinge sich die Menschen fixieren. Als kleines Mädchen fiel mir auf, dass darüber nichts im Brief steht, deshalb … habe ich immer gerätselt, was es gewesen sein könnte.«

Tanya blickte die Tochter von Master Chief Milam lange Zeit an, ehe sie antwortete: »Er sagte mir, ich hätte nur gut eine Minute.«

»Wie bitte?« Das war anscheinend ganz und gar nicht das, was Greta Milam erwartet hatte.

»Er hielt sich im Maschinenraum des Schweren Kreuzers der Syndiks auf, den wir geentert hatten«, erklärte Tanya. »Er stellte die Maschinen so ein, dass sie einen teilweisen Kollaps erleiden sollten. Ich befand mich in einem der Enterschläuche und kämpfte gegen die Syndiks, die von unserem Schiff auf ihr eigenes zurückkehren wollten, um das zu verhindern, was wir dort vorhatten. Er sagte … er sagte, bei ihm seien nur noch sechs überlebende Matrosen, und die Syndiks waren im Begriff, in das Abteil einzudringen. Er bat mich, Ihnen zu sagen, dass er eines ehrenvollen Todes gestorben ist. Das habe ich gemacht. Ich habe Ihnen gesagt, was er getan hat. Ich habe Ihnen gesagt, dass er das gesagt hat.«

Tanya sah einen Moment lang zur Seite, um sich zu sammeln, dann wandte sie sich wieder Greta Milam zu. »Ich wünschte ihm einen ehrenvollen Empfang inmitten der Lebenden Sterne, und dann sagte er zu mir, ich solle alle verbliebenen Matrosen zurück auf die Fleche bringen, und wenn wir es innerhalb einer Minute schafften, könnten wir vielleicht noch überleben, auch wenn die Fleche ein völliges Wrack war.«

»Wie viele Matrosen waren das?«, fragte Geary, der sich vorkam wie ein Eindringling, der hier nichts zu suchen hatte.

»Mit mir zusammen? Neun. Angefangen hatten wir mit hundert. Nein. Mit zweihundertfünfunddreißig. Hundert waren nur noch übrig, als die Syndiks unser Schiff enterten.«

Greta Milam blinzelte, um gegen ihre Tränen anzukämpfen. »Ich muss gestehen, Captain, ich habe es Ihnen eine Weile zum Vorwurf gemacht, dass Sie überlebt haben, während mein Vater sterben musste.«

»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken«, entgegnete Desjani. »Mir ist es nicht anders ergangen.«

»Aber ich habe bereits mit ein paar von den anderen Überlebenden gesprochen. Sie berichteten davon, dass sie alle damit rechneten, sterben zu müssen. Es war ein Wunder, dass es ein paar von ihnen doch noch geschafft haben, den Syndik-Kreuzer rechtzeitig zu verlassen. Aber sie sagten auch, dass Sie das getan haben. Mein Vater wäre so oder so gestorben, und ohne Sie hätten die Syndiks die Schlacht gewonnen. Dann hätte niemand jemals erfahren, wie er gestorben ist. Durch Sie hat er die Chance bekommen, mit seinem Tod etwas zu leisten, woran sich jeder erinnern würde. So konnten wir alle erfahren, was er getan hatte. Dafür möchte ich Ihnen danken, und ich wollte Sie um Verzeihung bitten, dass ich Ihnen die Schuld gegeben habe.«

Desjani nickte bedächtig. »Natürlich. Ich … ich habe mir oft gewünscht, ich hätte ihn retten können. Er hat mir und allen anderen das Leben gerettet.«

»Das ist schon ziemlich verworren, nicht wahr?«, meinte Greta Milam. »Wer ist wem für was zu Dank verpflichtet? Wer schuldet wem was? Aber jetzt ist der Krieg vorbei, und dafür können wir dankbar sein.«

»Trotzdem sterben immer noch Matrosen.«

Die junge Frau schwieg sekundenlang. »Es sollte nicht so klingen, als wäre mir das egal.«

Desjani schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Es fällt mir noch immer schwer, an diesen Tag zurückzudenken. Ich … rede normalerweise nicht darüber.«

»Das tut mir leid.«

»Das muss es nicht. Ihr Vater … ich hätte ihm das, was er getan hat, nicht befehlen können. Und selbst wenn, ich hätte es nicht getan. Er hat sich entschieden, ein Opfer zu bringen, damit viele andere überleben konnten, und ich bin mir sicher, in den letzten Augenblicken hat er an Sie und Ihre Mutter gedacht.«

Milam senkte den Kopf, konnte aber ihre Tränen nicht verbergen. Sie stand auf. »Ich … sollte jetzt gehen. Das hier war … wirklich nötig. Vielen Dank.«

Auf dem Weg aus dem Quartier fiel ihr Blick auf die Tafel neben der Luke, und Milam blieb noch einmal stehen. »Ich sehe da den Namen meines Vaters. Sind das alles … Freunde von Ihnen, die gestorben sind?«

»Ja«, antwortete Tanya leise. »Ich vergesse nicht einen Einzigen von ihnen.«

Nachdem Milam, von Master Chief Gioninni in Galauniform zu Ehren der Tochter eines gefallenen Master Chiefs begleitet, wieder gegangen war, ließ sich Desjani seufzend auf ihren Platz sinken. »Das war sehr hart.«

»Jetzt weiß ich zumindest etwas über das Gefecht, das Ihnen das Flottenkreuz eingebracht hat«, sagte Geary.

»Nur dass ich es gar nicht verdient habe, sondern Master Chief Milam. Ich weiß nicht, warum es mir ebenfalls verliehen worden ist.« Sie atmete tief durch und kniff gequält die Augen zusammen. »Habe ich Ihnen je von meinem Traum nach diesem Einsatz erzählt?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Sie haben mir weder etwas über den Einsatz noch über die Zeit danach erzählt.«

»Ich gebe Ihnen gern die Erlaubnis, die offiziellen Aufzeichnungen darüber aufzurufen, wenn Sie das wollen. Ich werde nicht darüber reden. Aber Sie verdienen es zu wissen …«

»Sie sprachen von einem Traum«, hakte er nach.

Ihr Blick war starr auf das Deck gerichtet, um ihm nicht in die Augen zu sehen. »Ich … stand unter Stress. Mein Schiff war zerstört, fast meine gesamte Crew war im Kampf Mann gegen Mann ausgelöscht worden. Ich war in schlechter Verfassung. Man gab mir Medikamente, damit ich schlafen konnte. Ich träumte. Ich träumte davon, dass ich Sie schlafen sah.«

»Was?«

Sie hob den Kopf und sah ihm in die Augen, als warte sie nur darauf, dass er ihre Worte infrage stellte. »Ich sah Sie schlafen. Ich wusste, Sie sind das. Black Jack.«

»Mich? Sie haben mich gesehen?«

»Nicht im eigentlichen Sinn«, räumte sie ein, redete aber mit fester Stimme weiter. »Ihr Gesicht konnte ich nicht ausmachen, es war im Schatten verborgen. Aber ich wusste, wer Sie waren. Sie lagen in der Dunkelheit da. Ich verstand das alles nicht. Black Jack sollte sich bei den Lebenden Sternen befinden, oder bei den Lichtern im Sprungraum, irgendwo an einem Ort, an dem das Licht gleißend hell strahlt. Aber um Sie herum war alles dunkel. Und kalt. Daran erinnere ich mich genau.«

Dunkel und kalt. Zu der Zeit hatte er im Kälteschlaf gelegen, tiefgekühlt an Bord einer beschädigten düsteren Rettungskapsel, die einsam durchs All trieb. Geary starrte sie an. »Sind Sie sich ganz sicher, dass Ihre Erinnerung nicht durch Erkenntnisse beeinflusst wird, die Sie gewonnen haben, nachdem Ihr Schiff mich an Bord geholt hatte?«

»Nein, ich habe nie ein Detail dieses Traums vergessen. Ich sah Sie in diesem Traum und ich brüllte Sie an.«

»Bei meinem Anblick haben Sie mich angebrüllt? Das glaube ich Ihnen aufs Wort.«

»Sehr witzig.« Sie fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar, ihr Gesichtsausdruck zeigte, dass sie ein altes Trauma noch einmal durchlebte. »Ich forderte Sie auf, sofort aufzuwachen und uns zu helfen. Aber dann war plötzlich Master Chief Milam da und gab mir zu verstehen, dass es noch zu früh sei. Daraufhin verblassten Sie beide langsam, bis Sie ganz verschwunden waren. Als ich später aufwachte, war das der einzige Traum, an den ich mich noch ganz genau erinnern konnte.« Wieder sah sie ihn an. »Und als wir Sie Jahre später fanden und Sie auf mein Schiff geholt wurden, da wusste ich es sofort. Ich musste nicht erst ein DNS-Testergebnis oder irgendwelche anderen Untersuchungen abwarten, ich wusste einfach, Sie waren der Mann aus meinem Traum. Sie waren endlich zurückgekehrt, um uns zu retten.«

Wieder erwachte dieses Unbehagen, in keiner Weise dem Mythos gerecht zu werden, der sich um den Helden herum entwickelt hatte, der er angeblich war. Ihr Glaube an diesen Helden war unverändert stark, aber irgendwie schaffte Desjani es, im Geiste diesen Helden von dem Mann zu trennen, der er in Wirklichkeit war. Sie betete Black Jack an, und sie liebte John Geary. Doch sie würde nie den Mann anbeten, und dafür konnte er nur zutiefst dankbar sein. »Tanya, inzwischen wissen Sie, wer ich wirklich bin.«

»Ich kannte Sie damals, und ich kenne Sie heute. Erinnern Sie sich an unsere erste Begegnung?«

»Ja, sehr deutlich.« Er war aus einem sehr tiefen und sehr langen Kälteschlaf erwacht, und eine Frau in der Uniform eines Captains stand über ihn gebeugt. An dieser Uniform trug sie unerklärlicherweise das Flottenkreuz. Als er bei Grendel gekämpft hatte, war dieses Abzeichen schon seit einer Generation nicht mehr verliehen worden. Dieser Anblick war für ihn der erste Hinweis darauf gewesen, dass er viel länger als vorgesehen im Kälteschlaf verbracht hatte. »Sie sahen mich an, als ob …«

»… als ob ich Sie kenne. Ich habe niemandem von diesem Traum erzählt. Ich wusste nicht, ob er vielleicht nur aus Fieber und Stress heraus entstanden war. Oder ob mir meine Vorfahren vielleicht eine Vision geschickt hatten, um mir zu sagen, dass ich eines Tages diesem Mann aus meinem Traum begegnen würde. Würde ich ihm dabei helfen, diesen langen und blutigen Krieg zu beenden? Und dann waren Sie auf einmal da, und ich wusste, ich hatte eine Rolle zu erfüllen.«

Kein Wunder, dass Tanya ihm jegliche Unterstützung angeboten hatte, dass sie ihm sogar ihre Ehre angeboten hatte, sollte er sie von ihr fordern. »Sie haben das alles gemacht, weil Sie dachten, das ist ein Auftrag, den Ihnen jemand erteilt hat?«

»Oh, bitte! Ich wollte es machen. Ich wollte mich aber nicht in meinen vorgesetzten Offizier verlieben. Dagegen habe ich angekämpft, passiert ist es trotzdem. Aber in allen anderen Punkten war es meine freie Entscheidung. Die Lebenden Sterne können uns zu Aufgaben führen, aber nur wir können entscheiden, ob wir sie übernehmen wollen. Von allen Menschen im gesamten Universum sollte Black Jack derjenige sein, der das verstehen sollte.«

»Ja, das sollte er wohl.« Geary suchte vergeblich nach einer passenden Erwiderung, schließlich fragte er: »Geht es Ihnen gut?«

»Ja, alles bestens.« Sie straffte die Schultern, drückte den Rücken durch und sah Geary an, als hätten sie soeben irgendeine Routineangelegenheit besprochen. »Meine Mitleidsphase ist vorbei. Und was ist mit Ihnen? Ich war nicht so sehr mit mir selbst beschäftigt, dass ich nicht gemerkt hätte, dass Ihnen etwas zu schaffen macht.«

Wenn Tanya ihn beobachtete, war es regelmäßig sinnlos, die Wahrheit zu leugnen. »Es geht um den Großen Rat. Ich hatte noch nie den Eindruck, dass der Große Rat wie geschmiert läuft, aber es scheint seit unserer ersten Ankunft hier noch viel schlimmer geworden zu sein. Anstatt über ein Thema zu reden, attackieren sie sich ständig gegenseitig mit spitzen Bemerkungen.«

»War das nicht schon immer so?«

Es war klar, dass Desjani so reagieren würde. Ihre Meinung über die Politiker, die bei der Allianz das Sagen hatten, konnte vermutlich gar nicht noch schlechter werden. »Nicht so schlimm wie jetzt. So war es nicht mal bei meinem ersten Treffen mit dem Rat. Auch nicht beim zweiten Treffen, als ich den Auftrag erhielt, ins Gebiet der Enigmas vorzudringen. Da hatte ich das Gefühl, dass der Große Rat weitgehend einer Meinung war, was meine Befehle anging. Natürlich abgesehen davon, dass die verschiedenen Senatoren uns aus ganz unterschiedlichen Gründen auf diese Mission schicken wollten.«

Sie nickte und lächelte ihn humorlos an. »Einschließlich der Hoffnung, dass wir losfliegen und nie zurückkehren würden.«

»Ja, das auch«, bestätigte er. Wie viele von ihnen sich das gewünscht hatten, wusste er nicht, und er vermutete, dass nicht mal Rione die genaue Anzahl kannte. Es war definitiv keine Einstellung, die irgendjemand irgendwo schwarz auf weiß festgehalten wissen wollte. »Ich weiß nicht, wie wir die Allianz wieder zusammenschweißen, Tanya. Die Leute, die es wissen könnten, sitzen im Großen Rat, aber von ihnen scheint keiner daran interessiert zu sein.«

»Schon gut, dass Sie nicht der Diktator über diesen wilden Haufen sind, nicht wahr?«, meinte Desjani. »Apropos: Ist Ihnen aufgefallen, wer durch Abwesenheit glänzt?«

»Wer durch Abwesenheit glänzt?«, wiederholte er. »Tanya, ich habe keine Ahnung …«

»Doch, haben Sie.« Sie machte eine ausholende Geste. »Captain Badaya, der diejenigen vertritt, die der Ansicht sind, dass Black Jack nur den Zauberstab schwingen muss, und schon sind alle Probleme der Allianz gelöst.«

Geary wollte etwas erwidern, aber dann stutzte er. »Sie haben recht. Wieso ist er nicht hier?« Um zu verhindern, dass Badaya in Gearys Namen einen Staatsstreich versuchte, hatte Geary den Mann glauben lassen, er ziehe längst heimlich die Fäden in der Allianz. Aber wieso war Badaya nach der Heimkehr der Flotte nicht zu ihm gekommen, um ihn fragen, was Black Jack wegen der verdammten Politiker unternahm?

»Wenn Sie meine ehrliche Meinung wissen wollen, und ich weiß, das wollen Sie«, begann sie, beugte sich vor und stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch, »dann würde ich sagen, dass Captain Badaya allmählich begriffen hat, dass das Kartenhaus der Allianz noch schneller in sich zusammenfallen würde, wenn Black Jack das Kommando übernimmt. Er hat nachgedacht, auch wenn das bei ihm zugegebenermaßen untypisch ist. Aber er hat eins und eins zusammengezählt. Vermutlich wird ihm derzeit klar, dass Sie den Großen Rat immer nur leicht anstupsen, um ihn in die richtige Richtung zu dirigieren, und ihn ansonsten nach Kräften zu stützen versuchen, anstatt ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen.« Seufzend sah sie hoch. »Und nachdem Sie uns durch das Gebiet der Enigmas und der Kiks geführt haben und dabei die Enigmas, die Kiks und auch noch einmal die Syndiks besiegt haben, und nachdem Sie auch Badaya nicht einfach den Wölfen zum Fraß vorgeworfen haben, obwohl er sich in der Schlacht bei Honor einige kapitale Fehler geleistet hatte, dürfte er jetzt einer Ihrer engsten Verbündeten sein, ganz gleich was Sie auch machen. Das ist zwar sehr schade, weil ich den Mann einfach nicht ausstehen kann, aber die eigentliche Frage ist, was Sie machen werden.«

»Ich hoffe, Sie haben recht. Das Flottenhauptquartier gibt sich auch sonderbar schweigsam. Wir haben bislang noch keine Tobsuchtsanfälle von dort mitbekommen. Es gab auch keine Forderungen, sofort irgendwelche Schiffe oder Personal abzugeben, um es anderweitig einzusetzen. Bislang sind nur routinemäßige Empfangsbestätigungen für die von uns verschickten Berichte eingegangen.«

»Wollen Sie dazu auch meine Meinung wissen?«

»Sie wissen, dass ich das will.«

»Ja, ich weiß.« Desjani machte eine ausholende Geste in die grobe Richtung, in der sich in vielen Lichtjahren Entfernung das Flottenhauptquartier befand. »Ich glaube, die haben Angst vor Ihnen und überlegen, was sie als Nächstes tun sollen.«

»Tanya …«

»Das ist mein Ernst. Die dachten, die wären Sie los. Einzelne Gruppen im Flottenhauptquartier haben geglaubt, dass sie Ihnen einen Auftrag gaben, bei dem Sie einfach scheitern mussten. Die haben geglaubt, dass Sie bestenfalls auf allen vieren zurückgekrochen kommen, die Flotte in Stücke geschlagen, Ihr Ruf für alle Zeit hinüber. Stattdessen kommen Sie aber mit erhobenem Haupt zurück, haben mehr geleistet, als die Mission verlangt hat, die Flotte ist größtenteils intakt, und Sie haben einen Sieg für die Menschheit eingefahren!« Desjani nickte bestätigend. »Sie haben ihnen Angst eingejagt. Die stellen sich jetzt die Frage, ob es überhaupt möglich ist, Sie zu schlagen.«

Das waren keine guten Neuigkeiten, aber zumindest ließ sich so das mysteriöse Schweigen des Flottenhauptquartiers erklären – und vielleicht auch die deutlich geschwundene Einigkeit im Großen Rat.

»Ich will hoffen, Sie irren sich. Ich möchte nämlich nicht, dass die Leute sich immer unmöglichere Dinge ausdenken, nur damit sie beweisen können, dass ich nicht unbesiegbar bin.«

Beim letzten Mal hatten sie die Orion, die Brilliant und die Invincible-vor-der-letzten-Invincible verloren, außerdem ein paar kleinere Kriegsschiffe. Er wollte nicht noch mehr Schiffe und ihre Besatzungen sterben sehen, nur weil verschiedene Leute unabhängig voneinander an einem Plan arbeiteten, wie sie ihn endlich loswerden konnten, anstatt sich zusammenzusetzen und an der Rettung der Allianz zu arbeiten.

Zwei Tage vor der Abreise musste Geary noch mal ein wenig von seiner knapp bemessenen Zeit abknapsen, um der Bitte des Seniorflottenarztes um ein Treffen nachzukommen. Er begrüßte Dr. Nasr, als der Arzt das Shuttle verließ und an Bord der Dauntless kam. Trotz ihrer zahlreichen Gespräche war es tatsächlich das erste Mal, dass sie sich leibhaftig gegenüberstanden.

Dr. Nasr wirkte müde und betrübt. Müde hatte Geary ihn oft gesehen, vor allem kurz nach einem Gefecht, wenn das medizinische Personal bis zur Erschöpfung gearbeitet hatte, um so viele Verletzte zu behandeln, wie es nur eben ging. Doch der traurige Ausdruck war ihm nicht vertraut.

»Was führt Sie auf die Dauntless?«, fragte Geary.

»Können wir unter vier Augen reden?«, entgegnete Dr. Nasr.

»Mein Quartier?«

»Es wäre mir eine Ehre, Admiral.«

Schweigend gingen sie durch die Korridore des Schiffs. Nasr trug eine Thermoskaraffe bei sich. In Gearys Quartier angekommen, wartete er, bis die Luke versiegelt war, dann nahm er den Deckel von der Karaffe, holte zwei kleine weiße Porzellantassen heraus und stellte sie auf den Tisch. Dann schenkte er eine dunkle, dampfende Flüssigkeit ein, wobei er keinen Tropfen vergoss; jede seiner Bewegungen war absolut sorgfältig und präzise.

Nasr bot eine Tasse Geary an. »Kaffee, Admiral. Eine spezielle Mischung. Werden Sie mit mir anstoßen?«

»Natürlich«, erwiderte er und nahm die schmale Tasse behutsam an sich. Sie fühlte sich warm an, aber nicht so sehr, dass man sich hätte verbrennen können. »Worauf stoßen wir an?«

»Auf unsere Anstrengungen, auf unser Scheitern, auf das ewige Streben der Menschen, immer das Richtige zu tun, auf den ewigen Streit darüber, was das Richtige ist, und auf den Tod der letzten beiden Bärkühe.«

Geary wollte schon zum Trinken ansetzen, da stutzte er. »Sie sind tot.«

»Ja. Bitte trinken Sie, Admiral.«

Er nahm einen Schluck Kaffee und schmeckte etwas Starkes, Bitteres und zugleich Sanftes auf der Zunge, dessen Weg er durch die Speiseröhre bis in den Magen mitverfolgen konnte.

»Was ist passiert?« Auch wenn er insgeheim mit dieser Nachricht gerechnet hatte und obwohl er wusste, er hätte daran nichts ändern können, verspürte er dennoch eine tiefe Traurigkeit. Jetzt verstand er auch Dr. Nasrs Laune.

»Das Shilling-Institut hat sie am Leben erhalten und dabei sehr gute Arbeit geleistet«, erklärte der Arzt. »Aber die Bärkühe wurden aus dem Institut geholt.«

»Die Regierung?«

»Nein, ein Gericht.« Nasr zuckte mit den Schultern. »Wohlmeinende Individuen, wohlmeinende Gruppen beharrten darauf, dass die Bärkühe eine Chance bekommen mussten, sich in eigener Sache zu äußern und ihre eigenen Wünsche auszudrücken, anstatt sie in einem Zustand zu belassen, den sie als einen lebendigen Tod bezeichneten. Ich kann es verstehen, ich war auch nicht glücklich darüber. Aber ich wusste, es war das Einzige, was wir tun konnten. Das Gericht tat, was es für seine Pflicht hielt. Es wurden Anwälte bestimmt, die als Vertreter der Bärkühe agierten und sich vor Gericht für sie einsetzten. Die Anwälte argumentierten sehr überzeugend, dass den Bärkühen die gleichen Rechte wie Menschen gewährt werden müssten.«

Geary ließ sich in seinen Sessel sinken und schüttelte den Kopf. »Aber sie sind keine Menschen. Das soll nicht heißen, dass sie weniger wert sind als ein Mensch, allerdings heißt es, dass man nicht den gleichen Maßstab anlegen kann. Sie denken völlig anders als wir.«

»Das war auch die Argumentation des Shilling-Instituts«, sagte Nasr und nahm Geary gegenüber Platz. »Ich wurde als Zeuge vorgeladen. Ich berichtete von meiner Erfahrung bei der Behandlung der Bärkühe. Ich legte meine medizinischen Unterlagen vor. Ich sagte ihnen: ›Wecken Sie sie auf, und sie werden sich allein durch Willenskraft das Leben nehmen. So einfach ist das.‹«

»Aber man hat Ihnen nicht geglaubt.«

Nasr verzog das Gesicht. »Es ist ein schwieriges Argument, Admiral, wenn man sagt, dass die beste Behandlung für ein denkendes Wesen darin besteht, es für alle Zeit bewusstlos zu lassen. Die Anwälte, das Gericht, die wohlmeinenden Gruppen und Individuen wollten mir nicht glauben. Sie wurden in die Obhut von vom Gericht bestellten Pflegern gegeben und in eine andere medizinische Einrichtung verlegt. Wohlmeinende Individuen scharten sich um sie, um eine neue Spezies zu begrüßen und ihr die Freundschaft der Menschheit anzubieten. Sie wurden aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt, die beiden Bärkühe erwachten und schlugen die Augen auf – und fünf Sekunden später waren sie tot.« Der Arzt schüttelte den Kopf. »Eine der wohlmeinenden Personen kam aus dem Raum, sah mich und schrie mich an: ›Warum?‹ Ich antwortete: ›Weil sie das sind, was sie sind, aber nicht das, was sie Ihrer Meinung nach hätten sein sollen.‹«

»Verdammt«, flüsterte Geary.

»Es war unvermeidbar, Admiral. Sie und ich, wir haben uns was vorgemacht. Wir haben für sie das getan, was wir sonst für Menschen tun würden. Wir haben sie am Leben erhalten und nach einer Lösung gesucht. Aber es gab keine Lösung, jedenfalls keine, die wir hätten finden können. Sie wissen, dass manche Ihnen einen Vorwurf machen, weil Sie so viele Bärkühe abschlachten ließen, um das Schiff zu erobern. Ich war über diese Kämpfe ebenso nie glücklich, aber ich wusste auch, dass wir alles versucht hatten, um ein solches Gemetzel zu verhindern. Einige Kommentatoren außerhalb der Flotte geben uns dennoch die alleinige Schuld am Tod der Bärkühe und an allen Feindseligkeiten mit ihnen.«

»Ich weiß«, sagte Geary. »Ich habe davon gehört. Die eine Hälfte der Kritiker gibt uns die Schuld, weil sie der Regierung nicht über den Weg traut. Die andere Hälfte macht genau das Gleiche, weil sie dem Militär nichts Gutes zutraut. Es scheint nur ein paar Leute zu geben, die überhaupt die Überlegung in Erwägung ziehen, dass die Kiks ihre eigenen Gründe für ihr Verhalten gehabt haben könnten.«

»Das sind nicht nur ein paar«, hielt Nasr dagegen. »Vielen sind unsere Bemühungen aufgefallen, mit den Bärkühen zu reden und jeden Kampf zu vermeiden. Das Problem ist dabei nur, dass sie nicht so stimmgewaltig sind wie die anderen.« Sein Tonfall klang verbittert, als er nach einem Moment weiterredete: »Mir sind noch nie Kunstfehler unterlaufen, bis heute nicht. Aber vor Gericht wurde mir gesagt, ich müsse den Tod der anderen Bärkühe wohl dadurch verursacht haben, dass ich irgendwie eine Einstellung ausgestrahlt hätte, die den aus der Bewusstlosigkeit erwachenden Bärkühen das Gefühl gegeben habe, sie müssten sofort Selbstmord begehen.«

»Man gibt Ihnen die Schuld?« Geary war empört. »Niemand hat sich engagierter für das Schicksal dieser Kreaturen eingesetzt als Sie.«

»Aber man braucht einen Bösewicht, Admiral.« Nasr seufzte frustriert. »Ich durfte nicht mit in den Raum, ich durfte mich nicht mal in der Nähe aufhalten, als die Bärkühe aufgeweckt wurden. Von denjenigen, die anwesend waren, habe ich gehört, dass die wohlmeinenden Individuen mit breitem Lächeln dastanden, um die aufwachenden Bärkühe zu begrüßen.«

»Mit breitem Lächeln? Hat denn keiner von denen unsere Berichte gelesen? War diesen Leuten nicht klar, dass sie auf die Bärkühe gewirkt haben müssen wie eine Horde Fleischfresser, die sie verspeisen wollte?«

»Fakten, die nicht zu einer bestimmten Einstellung passen, werden gern ignoriert«, sagte der Arzt. »Das ist schon immer ein großes Problem gewesen, und zwar auf jedem Gebiet, auch in der Medizin, und sogar bei den Leuten, die es besser wissen sollten.«

Geary schloss kurz die Augen und versuchte, zur Ruhe zu kommen, anstatt vor Wut lautstark zu schimpfen. Der Kaffee lag ihm mit einem Mal schwer im Magen. »Dann sind die beiden letzten Kiks also eigentlich nicht bloß gestorben, sondern durch vorsätzliche Ignoranz ermordet worden.«

»Das ist ein zu harsches Urteil, Admiral. Sie haben es nur gut gemeint, so wie wir auch. Der Unterschied ist der, dass unsere Absichten durch unsere Ideale und durch das, was wir gesehen haben, begründet waren. In ihrem Fall begründen sich die Absichten auf deren Idealen und auf dem, was sie sehen wollten. Ich sollte wohl erwähnen, dass wir von ein paar Leuten bereits beschuldigt werden, dass wir auch an diesen letzten beiden Todesfällen schuld sind, obwohl der Tod der Bärkühe bislang noch weitestgehend unter Verschluss gehalten wird. Einige Kritiker sind inzwischen davon überzeugt, dass wir die Wahrheit gesagt haben, aber die Meinung teilen längst nicht alle. Die selbst erzeugten Gifte in den Körpern der Bärkühe sind der unwiderlegbare Beweis dafür, aber natürlich nicht für diejenigen, die keinen Beweis akzeptieren können, der dem widerspricht, was ihrer Meinung nach die Wahrheit sein muss.«

Geary nickte. »Ich wünschte … verdammt, ich wünschte, es hätte eine andere Antwort gegeben. Ich weiß, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende getan haben.«

»So wie Sie auch, Admiral.« Dr. Nasr stand auf. »Ich habe genug von Ihrer Zeit beansprucht.«

»Doctor«, sagte er und erhob sich ebenfalls, um den Arzt zurückzuhalten. »Die Tänzer haben darum gebeten, an einen Ort in unserem Territorium eskortiert zu werden. Ich bin mir sicher, Sie haben bereits davon gehört. Hätten Sie Lust, an Bord der Dauntless mitzureisen?«

»Ihr Angebot ehrt mich, Admiral. Ist es tatsächlich das Ziel, das mir zu Ohren gekommen ist?«

»Ja, die Alte Erde.«

Nasr ließ sich Zeit, ehe er antwortete. »Ich verstehe. Ja, eine wirklich große Ehre. Ich werde auf jeden Fall mitkommen, Admiral. Vielleicht liefert die Alte Erde ein paar Antworten auf die Fragen, mit denen wir uns abmühen.«

»Das wäre schön«, stimmte Geary ihm zu, auch wenn er nicht daran glaubte.

Die drei Senatoren, die den Großen Rat und die Allianz-Regierung repräsentierten, waren mit allem Prunk und allen Zeremonien an Bord der Dauntless gekommen, die in den Protokollvorschriften aufgelistet wurden. Auch Dr. Nasr war ein Quartier an Bord zugeteilt worden, während Rione und Charban mit neuem Titel in ihre alten Unterkünfte zurückgekehrt waren. Jedes Lagerabteil der Dauntless war mit allen erdenklichen Ersatzteilen und Materialien vollgestopft, mit denen sich andere Ersatzteile herstellen ließen, mit festen, flüssigen und matschigen Speisen und Getränken, außerdem mit allen Waffen, die für einen Schlachtkreuzer dieser Klasse vorgeschrieben waren.

Es war ein seltsames Gefühl, mit der Dauntless den Orbit zu verlassen und dabei nicht von der gesamten Flotte begleitet zu werden. Allein und würdevoll glitt der Schlachtkreuzer durch das Sternensystem auf das Hypernet-Portal zu. Die Tänzer-Schiffe würden sich ihnen am Portal anschließen, bis dahin vollführten sie noch eine ganze Reihe komplexer Flugmanöver fernab der anderen Einrichtungen im Varandal-System.

Der Rest der Ersten Flotte verharrte im Orbit und hing dort wie eine unerschütterliche Armada. Diese Kriegsschiffe hatten jeder Gefahr getrotzt, die ihnen unter Gearys Kommando vorgesetzt worden war. Er war jedoch zu der Erkenntnis gelangt, dass diese Schiffe höchst verwundbar waren, wenn es um den gleichen Druck ging, der auch die Allianz zu unterhöhlen versuchte. Die Flotte konnte nicht stärker sein als die Allianz, für die sie stand. Querelen, Zynismus, Unsicherheit und kurzsichtige politische Spielchen waren durchaus geeignet, das zu schaffen, was den Syndiks, den Enigmas und den Kiks nicht gelungen war: die Zerstörung der Flotte.

Am Abend zuvor hatte sich Geary mit den Captains Badaya, Duellos, Tulev, Armus und Jane Geary getroffen. »Ich werde morgen bekanntgeben, dass Captain Badaya für die Dauer meiner Abwesenheit als mein Stellvertreter das Kommando über die Flotte übernimmt. Ich hoffe, Sie vier werden ihn dabei in jeder Hinsicht unterstützen. Ganz gleich, was passiert, sorgen Sie dafür, dass diese Flotte stabil bleibt und sich auf ihre Pflicht konzentriert. Ich weiß, gemeinsam sind Sie dazu in der Lage.«

Badaya schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn ich das Kommando habe.«

»Das wäre ein Fehler«, stimmte Duellos ihm zu.

Geary sah die beiden ungläubig an. »Badaya ist der dienstälteste Captain, es gibt keinen Grund, ihn nicht als meinen Stellvertreter zu akzeptieren.«

»Ich habe nicht genug Rückhalt«, beharrte Badaya. »Es gibt eine Reihe von Befehlshabern, die mir mit ihren Schiffen ohne zu zögern folgen werden, aber es gibt genug, die mir nicht vertrauen.«

»Zwar nicht mehr so viele wie noch vor einer Weile«, ergänzte Duellos, »aber wenn sich etwas Gravierendes ereignet, wird es in einigen Ecken Zweifel an Captain Badayas Position geben.«

»Und an meiner Loyalität«, sagte Badaya. »Nennen wir es doch beim Namen. In der Vergangenheit hat es erhebliche Meinungsverschiedenheiten gegeben, welches der richtige Weg ist. Meine Ansichten sind noch heute bestens bekannt. Wenn die Flotte unter meinem Kommando mit einer ernsthaften Herausforderung konfrontiert wird, die eine politische Dimension besitzt, dann könnte es zu einem Bruch kommen.«

Geary sah die anderen an, aber jeder anwesende Captain nickte bestätigend. »Sie bringen mich in eine schwierige Situation«, meinte ein frustrierter Geary. »Wenn ich Captain Badaya nicht nehme, wird das so aussehen, als hätte ich ihn übergangen. Wenn ich ihn nehme, sagen Sie mir alle, dass es bei einer Krise zu Schwierigkeiten führen könnte.«

»Es wird nicht so aussehen, als wäre er übergangen worden«, äußerte sich Armus sehr bedächtig, »wenn bekannt ist, dass Sie Captain Badaya vorgesehen hatten, er das aber abgelehnt hat. Halten Sie morgen wie geplant eine Flottenbesprechung ab, sagen Sie, Badaya soll vorübergehend Ihr Stellvertreter werden, und dann erlauben Sie ihm, diese Ehre abzulehnen.«

Etwas verärgert, aber von den Argumenten durchaus überzeugt, nickte Geary. »Also gut. Sobald Captain Badaya abgelehnt hat, werde ich Captain Tulev …«

»Nein, Sir«, unterbrach Tulev ihn. »Ich muss auch ablehnen.«

Gearys Verärgerung begann sich zu steigern. Warum musste aus etwas so Einfachem etwas so Schwieriges werden? »Wieso?«, fragte er knapp.

»Weil ich ein Mann ohne Heimatwelt bin«, erklärte Tulev, ohne sich etwas von den Gefühlen anmerken zu lassen, die seine Worte bei ihm selbst auslösen mussten. »Während des Krieges haben die Syndiks meinen Planeten zerstört, wie Sie wissen. Teile der Flotte sehen mich nur noch als der Allianz zugehörig, ohne dass die Loyalität zu meiner Heimat ein Gegengewicht bilden könnte.«

Geary unterdrückte seinen Zorn. Wenn Tulev so ruhig und gelassen über etwas reden konnte, das für ihn persönlich sehr schmerzhaft sein musste, dann sollte er, Geary, in der Lage sein, sich nicht über Banalitäten zu ärgern. »Soll ich mir noch die Mühe machen, einen dritten Namen zu nennen, oder haben Sie alle beschlossen, mir die gleiche Antwort zu geben?«

»Das hier ist keine Meuterei«, stellte Duellos klar. »Sie haben entschieden, sich mit uns zu treffen, anstatt einfach Ihre Entscheidung der Flotte bekanntzugeben, weil Sie unserem Urteil vertrauen, und weil Sie von uns dieses Urteil bekommen. Sie wollten wissen, was wir dazu sagen, wenn Sie Captain Badaya zum stellvertretenden Befehlshaber der Flotte machen, nicht wahr?«

Nach kurzem Zögern nickte Geary. »Vermutlich ja. Wie lautet denn Ihr Ratschlag?«

»Es wäre hilfreich«, sagte Captain Tulev, »wenn der Flottenbefehlshaber weiterhin auf den Namen Geary hört.«

Zu Gearys Überraschung nickten die anderen, während Jane Geary unbehaglich dreinschaute. »Sie steht vom Dienstalter über keinem von ihnen«, wandte er ein.

»Sie hat den Namen«, sagte Badaya. »Und eine beeindruckende Dienstakte. Und wir alle werden sie unterstützen. Das alles zusammen wird genügen, damit der Flotte bis zu Ihrer Rückkehr nichts passiert.«

Duellos betrachtete sehr aufmerksam seine Hand, während er mit gezielter Beiläufigkeit anmerkte: »Tanya ist auch der Meinung.«

Es wäre schön gewesen, wenn sie mir vorher etwas davon gesagt hätte.

»Diese Flotte sollte nicht auf der Grundlage irgendeiner familiären Hierarchie befehligt werden«, protestierte Geary.

»Damit hat das nichts zu tun«, betonte Duellos. »Jane hat sich das Recht auf diesen Posten verdient, und weil sie lange Zeit kein Teil dieser Flotte war, ist sie nicht vorbelastet, was frühere politische Streitigkeiten angeht. Aber der Name ist nicht nur für die Flotte von Bedeutung. Wenn jemand in der Regierung oder beim Flottenhauptquartier irgendwelche Überraschungen plant, nachdem sie und Tanya mit der Dauntless aufgebrochen sind, würde er sich seinen Plan nicht noch einmal überlegen, wenn er einen Captain Badaya, Tulev, Armus oder Duellos vor sich hätte. Aber bei einem Flottenbefehlshaber mit dem Namen Geary? Da wird das politische Risiko schon viel größer, weil ein Nachfahre von Black Jack bei der Bevölkerung einen Ruf genießt, mit dem außer Black Jack selbst es niemand aufnehmen kann.«

Jane Geary nickte, auch wenn sie nicht sehr glücklich dreinschaute. »Ich bin mein Leben lang vor dem Namen davongelaufen, weil ich wusste, welche Macht er besitzt. Das hier war nicht mein Vorschlag, und ich habe mich auch nur sehr widerwillig damit einverstanden erklärt. Aber ich muss auch sagen, dass die Argumente wirklich gewichtig sind.«

»Ich verstehe.« Und es gefällt mir nicht. Es verleiht mir und Jane zu viel Macht. Aber genau darum geht es ja. Es ist die Art von Macht, die jeden zurückschrecken lassen dürfte, der irgendwelche Dummheiten plant. »Also gut, morgen früh werde ich eine Zusammenkunft abhalten. Dabei wird Captain Badaya die Rolle des stellvertretenden Flottenbefehlshabers ablehnen und …«

»… und ich werde Captain Geary vorschlagen«, ergänzte Armus. »Ich gehöre keiner Gruppierung an, und jeder weiß, mir geht es nur darum, dass die Arbeit erledigt wird. Der Vorschlag klingt aus meinem Mund völlig unverdächtig.«

Die anderen nickten zustimmend, und am nächsten Morgen wurde der Beschluss exakt so in die Tat umgesetzt.

Als sich die Dauntless nun dem Hypernet-Portal näherte, kamen die sechs Tänzer-Schiffe von schräg unten herangeschossen und gingen in einem Ring um den Allianz-Schlachtkreuzer in Position. Die Senatoren Sakai, Suva und Costa kamen auf die Brücke, um dem Ereignis beizuwohnen. Der Captain begrüßte sie respektvoll, aber distanziert und formell, dann wandte sie sich wieder ihren Aufgaben zu.

Geary nickte ihr zu. »Geben Sie das Ziel ein, Captain Desjani.«

Ein seltsames Gefühl, so als würde das Schicksal über ihnen schweben, suchte Geary heim, während Tanya die simplen Kontrollen des Hypernet-Schlüssels bediente.

Sie lächelte ihn flüchtig an und warf ihm einen Seitenblick zu, als auf dem Hypernet-Display das Wort Sol auftauchte. »Ich hätte nie erwartet, einmal dieses Ziel einzugeben«, flüsterte sie und fuhr dann lauter fort: »Bitte um Erlaubnis, ins Hypernet überzuwechseln. Ziel ist das Sol-Sternensystem.«

Erneut nickte Geary. »Erlaubnis erteilt.«

Sie gab den Befehl ein, dann verschwanden die Sterne.

Diesmal waren sie nicht im Sprungraum unterwegs, sondern sie befanden sich buchstäblich nirgendwo.

Da war nichts außerhalb der Blase, in der die Dauntless und die sechs Tänzer-Schiffe existierten. Sie bewegten sich nicht von der Stelle, und doch würden sie nach einem gewissen Zeitraum einfach an ihrem Ziel wieder auftauchen. Dann würden sie von Varandal bis nach Sol gereist sein, ohne die Strecke (zumindest was die Physik anging) tatsächlich zurückgelegt zu haben. Es ergab keinen Sinn, aber wenn man erst einmal den schmalen Streifen der Realität verließ, auf dem sich die Menschheit für gewöhnlich bewegte, ergab vieles mit einem Mal keinen Sinn mehr.

Und da so wenig einen Sinn ergab, passte es nur, dass diese Reise weniger Zeit in Anspruch nehmen würde als eine kürzere Strecke im Hypernet. »Sechzehn Tage«, verkündete Desjani.

»Nur ein Sprung in ein entmilitarisiertes Sternensystem und dann wieder zurück«, sagte Geary. »Dieses eine Mal müssen wir uns wenigstens keine Gedanken darüber machen, dass irgendetwas schiefgehen könn–« Er brach ab, als er Desjanis wütenden Blick bemerkte, der ihm galt. »Was ist denn?«

»Wollten Sie das gerade wirklich sagen?«, fuhr sie ihn an.

»Tanya, was soll denn bitte …«

»Hören Sie auf! Ich will es nicht herausfinden, und Sie auch nicht!«

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