Sechs

»Wie war das gerade?«, fragte Desjani. »Hatten Sie etwas über die Invincible gesagt?«

»Ach, vergessen Sie’s.« Geary musste sich unterbrechen, um seinen Tonfall in den Griff zu bekommen, dann erwiderte er an Lagemann gerichtet: »Wo ist sie? Wissen wir, wo sich diese Befehlshaberin mit ihrer Bombe aufhält?«

Major Dietz antwortete grimmig: »Wir vermuten, dass sie sich irgendwo dort befindet.« Dabei deutete er auf einen Punkt fast mittschiffs nahe der Achse der Invincible. »Sie können sehen, dass unsere Streitkräfte jede Bewegung entlang dieser Linie blockieren, und sobald unsere Patrouillen den nächsten Abschnitt durchkämmt haben, rücken die anderen auf eine neue Position nach, um den Kreis enger und enger zu ziehen. Wir sind bislang keinen weiteren Syndiks begegnet, weder in kleinen Gruppen noch als Einzelpersonen. Deshalb nehmen wir an, dass diese Befehlshaberin auf den Gedanken gekommen ist, eine Panik verhindern zu können, wenn sie ihre Leute zusammenzieht.« Dietz hob einen Bereich von mehreren Abteilen hervor. »Wir glauben, sie hält sich hier auf. Von dort kam auch die Übertragung. Außerdem bildet dieser Block aus fünf Abteilen eine kompakte Verteidigungsposition, die von oben und unten nur schwer zu erreichen ist.«

»Und wann werden wir es mit Sicherheit wissen?«, hakte Geary nach.

»Ich habe die Patrouillen angewiesen, schneller vorzurücken und sich der vermuteten Position zu nähern. Wenn wir sie lokalisiert haben, kann ich ein paar Späher reinschicken, damit wir uns ein Bild davon machen können, wie groß dieser Trupp ist und ob sie tatsächlich eine Bombe haben.«

»In zehn Minuten?«, drängte Geary.

»Halbe Stunde«, gab Major Dietz zurück, der sich bei seiner Antwort sichtlich zusammenreißen musste.

Geary atmete gedehnt durch, während er über seine Optionen nachdachte. »Die Gesandten Rione und Charban sollen mit dieser Syndik-Offizierin Kontakt aufnehmen. Ihr Auftrag lautet, die Frau möglichst lange in Diskussionen und Verhandlungen zu verstricken.« Genau genommen konnte er weder Rione noch Charban einen Auftrag erteilen, da sie als Vertreter der Allianz-Regierung an Bord waren und nicht seinem Kommando unterstanden. Aber in jüngerer Zeit hatten sie nicht darauf gepocht, wenn er etwas von ihnen wollte, und er konnte sich nicht vorstellen, dass sie jetzt damit anfangen würden. »Soll diese Syndik ruhig glauben, dass wir im Begriff sind, ihren Forderungen nachzugeben, während Sie herausfinden, wo genau sie ist, damit Sie Ihre Leute in Position bringen und feststellen können, ob das mit der dritten Bombe vielleicht nur ein Bluff ist.«

Geistig zog er sich aus der Situation an Bord der Invincible zurück und rieb sich müde die Augen. »Tanya, wie sieht das Gesamtbild aus?«

»Bislang hat sich nichts ereignet, soweit wir das sagen können«, erwiderte sie. »Elf getarnte Shuttles wurden entdeckt und zerstört. Seit einer Weile haben wir nichts mehr aufspüren können, was bedeuten dürfte, dass wir sie wohl alle erwischt haben. Was ist auf der Invincible los?«

»Zwei Atombomben haben wir gefunden, aber es könnte noch eine dritte geben, und die Syndik-Befehlshaberin droht damit, sie hochgehen zu lassen.« Er wandte sich General Carabali zu. »Elf Syndik-Shuttles wurden bislang zerstört. Hilft das für eine Einschätzung, wie viele Syndiks an Bord gekommen sein könnten?«

»Wir kennen damit zumindest die Obergrenze«, sagte Carabali. »Die Shuttles sind vermutlich nicht bis auf den letzten Platz besetzt gewesen. Bei solchen Operationen nutzt man üblicherweise die Traglast nicht restlos aus, weil es bei einem der anderen Shuttles zu Problemen kommen kann. Leider verrät uns das nichts darüber, wie viele Sprengköpfe sie an Bord gebracht haben könnten.«

»Meinen Sie, die werden wirklich eine Atombombe zünden, wenn sie selbst noch an Bord sind?«

General Carabali zog die Stirn in Falten. »Admiral, wir haben es hier mit Spezialeinsatzkräften zu tun, nicht mit Fanatikern vom Syndik-Sicherheitsdienst.«

»Major Dietz meinte, es könnte sich auch um Fanatiker handeln.«

»Das war eine berechtigte Vermutung. Aber nach dem, was ich bislang von ihrer Ausrüstung und ihren Taktiken gesehen habe, sind das Soldaten. Syndik-Spezialeinsatzkräfte sind bestens ausgebildet und höchst zuverlässig, aber ich kann mich an keinen Vorfall im Krieg erinnern, bei dem sie sich vorsätzlich auf ein Selbstmordkommando eingelassen haben.«

»Dann glauben Sie nicht, dass sie ihre Drohung wahrmachen werden?«

»Ich weiß es nicht, Admiral. So etwas ist nicht typisch für derartige Syndik-Einheiten, aber ausschließen kann ich es nicht. Ein zusätzlicher Faktor ist natürlich der, dass die, ähm, Atmosphäre an Bord der Invincible extremes Unbehagen auslöst. Welche Auswirkungen das auf die Entscheidungen von Syndiks auch in einer größeren Gruppe haben kann, weiß ich nicht.«

»Stellen Sie sicher, dass wir ihnen die Kapitulation anbieten.«

Carabali nickte, zog aber eine skeptische Miene. »Sie können nicht davon ausgehen, dass wir sie wie Kriegsgefangene behandeln, wenn sie sich ergeben, Admiral.«

»Ich habe nicht zugelassen, dass …«

»Das ist richtig, Admiral. Aber das waren Gefangene, die zweifellos als militärisches Personal der Syndiks identifiziert werden konnten. Sie trugen Uniformen, sie gehörten zu Einheiten, sie führten alle notwendigen offiziellen Dokumente bei sich, um sich auszuweisen. Aber hier reden wir von einer Frau, die von sich behauptet, die Befehlshaberin dieser Gruppe zu sein, und die dabei nicht einmal ihren Dienstgrad nennt. Die von uns getöteten oder gefangen genommenen Syndiks tragen keine militärischen Abzeichen und geben keinen Hinweis auf ihre Identität. Sie sind mit der für Spezialeinsatzkräfte typischen Ausrüstung ausgestattet, aber bei dieser Ausrüstung hat man alles entfernt und abgefeilt, was auf ihre Herkunft schließen lassen könnte. Den Leuten hat man sogar die implantierten Chips herausgenommen, auf denen sich medizinische und andere Informationen befinden. Sie haben nichts an sich, was sie als Teil des Syndik-Militärs ausweist oder was ihnen in irgendeiner Weise einen offiziellen Status verleihen könnte.«

Geary sah Carabali an. »Halten die sich für so was wie Piraten?«

»Private Individuen«, gab sie tonlos zurück, »die in privater Mission unterwegs sind. Mehr haben wir aus dem einen Gefangenen nicht herauskriegen können, der in der Lage ist zu reden.«

»Glauben Sie, sie werden bei dieser Version bleiben, auch wenn das bedeutet, dass ihnen als Terroristen die Todesstrafe droht?«

»Schwer zu sagen, Admiral. Wir bewegen uns auf unerforschtem Gebiet, wenn es um diese Dinge geht. Früher waren sie Syndiks, und wir befanden uns mit ihnen im Krieg. Sie stellten feindliche Kämpfer dar. Jetzt, da offiziell Frieden herrscht, sind offizielle Syndiks, die in Gefangenschaft geraten, besser geschützt als ›Freischaffende‹. Allerdings besitzen diese Leute hier nichts, womit sich im Ernstfall belegen ließe, dass sie einen offiziellen Status haben. Ich glaube, wir können davon ausgehen, dass die Syndik-CEOs in diesem Fall behaupten werden, von diesen Leuten und ihrer Mission keine Ahnung zu haben. Für uns bedeutet das, dass wir sie rechtmäßig hinrichten dürfen, ganz gleich was sie von sich behaupten.«

Und das war diesen Syndiks genauso klar. Hatten sie das gewusst, als sie diese Operation in Angriff genommen hatten? Oder war es ihnen erst klar geworden, als sie an Bord der Invincible in der Falle saßen, ihr Angriffsplan gescheitert war und sie immer weniger wurden, während die Kik-Geister ihnen zu schaffen machten?

»Bieten Sie ihnen die Chance zu überleben an«, sprach Geary bedächtig. »Sagen Sie ihnen, ich gebe ihnen ganz offiziell und vor Zeugen die Zusage, dass jedes Mitglied ihrer Einheit unversehrt bleiben wird, wenn er kapituliert und kooperiert.«

»Ich werde dafür sorgen, dass dieses Angebot sie erreicht«, sagte Carabali. Ihre Miene zeigte keine Regung, nur ihr Tonfall verriet, dass sie einer Vorgehensweise zustimmte, bei der sie davon überzeugt war, dass sie zu nichts führen würde. Dann hielt sie inne und drehte sich zur Seite, um sich einen Bericht anzuhören. »Admiral, der Gefangene, der von uns verhört wird, lässt Anzeichen dafür erkennen, dass er einer mentalen Manipulation unterzogen wurde.«

Unwillkürlich wunderte sich Geary, wieso ihn solche Enthüllungen eigentlich immer noch überraschen konnten. »Was für eine Art von mentaler Manipulation?«

»Das ist noch nicht klar. Sobald die Unterhaltung auf ein militärisches Thema gelenkt wird, liefert er Antworten, die zu einer mentalen Manipulation passen. Möglicherweise sind sie nicht fähig zuzugeben, dass sie zu einer Spezialtruppe gehören oder gehörten.« Carabali verzog den Mund. »Möglicherweise sind sie nicht in der Lage sich zu ergeben. Wenn sie das nicht können, werden wir alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen müssen.«

»Ich verstehe.« Nachdem er bei Commander Benan das Ausmaß derartiger Manipulationen erlebt hatte, konnte er gut verstehen, dass die so behandelten Syndiks nicht in der Lage waren, die Blockade zu überwinden, die man in ihrem Verstand implantiert hatte. Und er wusste auch, warum Carabali das Thema angesprochen hatte. Er war der Oberbefehlshaber, und es fiel in seine Verantwortung, zu entscheiden, ob alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden sollten oder nicht. »Ihre Befehle lauten, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Bedrohung zu eliminieren, die von diesen Syndiks für die Invincible und für unser an Bord befindliches Personal ausgeht.«

»Jawohl, Sir. Alle Vorbereitungen werden getroffen. Wir geben Ihnen Bescheid, bevor wir reingehen.«

Nachdem er das Gespräch mit General Carabali beendet hatte, lehnte sich Geary zurück und versuchte, seine angespannten Muskeln ein wenig zu lockern. Es war nicht nötig, vornübergebeugt dazusitzen, während er sich die Bilder ansah, die von den Kameras der Marines übertragen wurden. Und genauso musste er darauf gefasst sein, jeden Moment einen Satz zu machen und ins Geschehen einzugreifen. Aber es war eben nicht so leicht, die Instinkte zu überlisten. Außerdem fühlte es sich verkehrt an, in einer lässigen Pose dazusitzen und zuzusehen, wie Männer und Frauen ihr Leben riskierten.

»Wann gehen die Marines rein?«, fragte Desjani.

»Woher wissen Sie, dass sie reingehen werden?«

»Das kursiert auf allen inoffiziellen Kanälen in der Flotte. Schon ironisch, nicht wahr?«

»Was?«, fragte Geary verdutzt.

»Dass die Pläne der Syndiks durchkreuzt werden, weil die Kik-Geister ihnen Angst einjagen. Die Kiks helfen uns, das Schiff zu verteidigen, das wir ihnen abgenommen haben.«

»Nur zu schade, dass die Kiks keine Atombomben entschärfen können. Gab es irgendwelche Überlebende von den Shuttles?«

Desjani schüttelte den Kopf. »Nein, aber das ist auch nicht weiter verwunderlich. Wenn ein Shuttle von Kriegsschiffen beschossen wird, bleibt normalerweise nicht viel übrig. Ich habe trotzdem ein paar Zerstörer angewiesen, einige Trümmerteile zu bergen. Vielleicht finden wir ja einen Beweis dafür, dass die Syndiks das zu verantworten haben.«

»Schaden kann es nicht. Danke. Aber wundern Sie sich nicht, wenn sich nichts finden lässt. Sämtliche Ausrüstung der Syndik-Soldaten an Bord der Invincible wurde vollständig anonymisiert.«

»Es heißt, wir hätten mindestens einen Gefangenen.«

»Und die ersten Verhöre deuten darauf hin, dass man mit den Soldaten etwas Ähnliches gemacht hat. Mentale Blockaden.«

Sie sah ihn lange schweigend an. »Die Vorfahren mögen uns beistehen. Warum um alles in der Welt haben sich die Menschen der Syndikatwelten nicht dazu durchringen können, ihre verdammten CEOs in kleine Stücke zu reißen?«

»Wenn ich das wüsste.« Er musste an einige Sternensysteme denken, die sie zu sehen bekommen hatten. »Ich schätze, hier und da werden sie es schon gemacht haben. Vielleicht ist das ja der Grund, wieso die Syndik-CEOs uns mit allen Mitteln zu bekämpfen versuchen. Sie müssen schreckliche Angst davor haben, was jeden Einzelnen von ihnen erwartet, wenn sie auch nur die geringste Schwäche erkennen lassen.«

»Sie meinen, die versuchen mit heiler Haut davonzukommen, indem sie die Leute noch wütender auf sich machen? Ja, das dürfte funktionieren.«

Er teilte ihre Meinung, worauf die um sich greifenden Revolten gegen die Taktiken der Syndik-Regierung auf lange Sicht hinauslaufen würden. Aber für den Augenblick änderte das nichts an der Tatsache, dass diese Flotte sich mit den zunehmend verzweifelten und immer verschlageneren Taktiken der CEOs konfrontiert sah, die alles versuchten, um an der Macht zu bleiben.

Geary musterte sein Display. Die Flotte entfernte sich vom Hypernet-Portal, die Zerstörer und die Leichten Kreuzer waren nach wie vor um die Invincible geschart. Auf dem Weg, den die Flotte nehmen würde, befand sich kein Hindernis … jedenfalls nichts, was für ihn erkennbar gewesen wäre, korrigierte sich Geary. Da waren nur ein paar Handelsschiffe unterwegs, von denen das nächstgelegene immer noch über zwanzig Lichtminuten entfernt war. »Tanya, berechnen Sie einen Kurs zum Sprungpunkt nach Simur. Ich will einen weiten Bogen fliegen. Auch wenn es dann länger dauert als eigentlich nötig, will ich vermeiden, dass uns auf dem direkten Weg weitere Hindernisse erwarten.«

»Kein Problem, Admiral. Sollen wir dann auch sofort auf diesen Kurs einschwenken?«

»Nein, warten Sie damit noch. Ich möchte nicht mit der Invincible durch das System fliegen, solange die Marines ihre Arbeit noch nicht erledigt haben.«

Sein Blick kehrte zum Display zurück. Sobek verfügte nur über einen Sprungpunkt. Wer also durch das Hypernet-Portal hier eintraf und den Kurs auf sein nächstes Ziel nicht auf gleichem Weg nahm, der konnte nur nach Simur weiterreisen. Von dort konnte die Flotte nach Padronis springen und von dort nach Atalia, von wo aus das im Allianz-Gebiet gelegene Varandal-Sternensystem erreicht werden konnte. Kein allzu langer Weg, aber zu berechenbar für den Fall, dass die Syndiks weitere Fallen gestellt hatten. Es ist nicht nur Sobek, es ist auch das Problem, dass wir von Sobek aus keine Alternativen haben. Von Sobek nach Simur, von dort nach Padronis, wenn wir nach Hause gelangen wollen. Als wir das letzte Mal in Atalia waren, hat man dort mit der Syndik-Regierung nicht mehr zusammengearbeitet. Aber bis Atalia ist jedes System für uns ein Spießrutenlaufen.

Ein weiteres eingehendes Gespräch holte ihn aus seinen düsteren Gedanken über ihren Heimweg. Rione hatte wieder diesen frostigen Gesichtsausdruck, den sie immer dann zur Schau stellte, wenn sie extrem frustriert war. Zum Glück betraf ihre Laune nicht ihn.

»Wenn Sie erwarten, dass sich die Situation an Bord der Invincible mit Diplomatie oder Verhandlungen lösen lassen wird, dann sollten Sie andere Optionen in Erwägung ziehen«, sagte sie.

»Ich habe das nicht erwartet, ich habe das eher so gesehen, dass ein Versuch nicht schaden kann«, räumte Geary ein. »Sie sehen also keinen Grund für die Hoffnung, dass sich die Lage mit Worten anstelle von Taten lösen lässt?«

Rione schüttelte den Kopf. »Es mag an dieser Umgebung liegen, vielleicht auch an der Tatsache, dass diese Gruppe in einer ausweglosen Situation steckt. Auf jeden Fall will die Frau, mit der ich gesprochen habe, keinen Millimeter nachgeben, auch wenn sie einen verunsicherten Eindruck macht. Es ist so, als würde man mit Leuten reden, die mit dem Rücken zur Wand stehen. Sie wissen, sie können nicht entkommen, aber sie wollen auch nicht aufgeben. Mir ist zu Ohren gekommen, dass Sie ihnen versprechen wollten, sie wie militärische Gefangene zu behandeln, sollten sie sich ergeben. Ich bin mir nicht sicher, dass Sie dieses Versprechen halten könnten, wenn wir mit ihnen erst einmal ins Allianz-Gebiet zurückgekehrt sind, aber das hat nichts bewirkt. Sie scheinen Versprechen von hochrangigen Offiziellen keinen Glauben zu schenken.«

»Natürlich nicht. Es sind Syndiks. Hat General Carabali Ihnen von den Hinweisen darauf erzählt, dass diese Leute mental manipuliert worden sein könnten?«

»Ja, allerdings kann ich aus meinen Gesprächen nicht ableiten, ob das stimmt oder nicht«, sagte Rione und ergänzte: »In Fällen wie diesen ist es eigentlich nicht möglich, einen Unterschied festzustellen, ob jemandem eine mentale Blockade implantiert wurde oder ob jemand von seiner Sache so überzeugt ist, dass er damit seinen eigenen Verstand blockiert.«

Geary fuhr sich durchs Haar und überlegte, was er tun konnte. »Glauben Sie, die haben tatsächlich eine Atombombe? Und falls ja, glauben Sie, die werden sie zünden?«

»Das sind gute Fragen, auf die ich keine guten Antworten habe«, entgegnete Rione.

Was auch sonst? »Hatten Sie den Eindruck, dass sie immer noch glauben, dass jemand kommt und sie rettet? Wissen sie, dass wir all ihre Shuttles zerstört haben?«

»Sie wissen das, was wir ihnen gesagt haben, Admiral. Dass sie es uns auch glauben, halte ich für unwahrscheinlich.«

Erschöpft nickte Geary. »Reden Sie bitte weiter mit ihnen.«

»Da Sie mich so freundlich bitten, werde ich das machen.« Sie verzog angewidert den Mund. »Ich werde mit ihnen reden, bis sie von den Marines getötet werden. Vielleicht wird sie das ja ablenken, und die Marines haben leichteres Spiel. Haben Sie schon mal mit jemandem in dem Moment gesprochen, als er starb?«

»Nein«, antwortete Geary.

»Ich auch nicht. Aber vielleicht ist es ja heute so weit. Ich habe den Verdacht, dass ich bald erfahre, wie sich das anfühlt.«

Er kniff die Augen zu und verzog den Mund, nachdem Rione das Gespräch beendet hatte. Dann straffte er die Schultern und konzentrierte sich wieder auf die Situation der Marines. An Bord der Invincible hatten die Marines ihren sphärenförmigen Kordon um den Bereich enger gezogen, den Major Dietz als den wahrscheinlichen Standort der Syndiks bestimmt hatte. Die Gänge und Abteile ringsum sowie oberhalb wie auch unterhalb der vom Feind besetzten Sektion waren bereits hermetisch abgeriegelt. Auf Gearys Bild vom Deckplan der Invincible waren fünf Abteile als vom Gegner eingenommen markiert zu erkennen. »Wissen wir, dass sie dort sind?«, fragte Geary an Major Dietz gewandt.

»Ja, Sir«, meldete der Marine. »Wir haben den Bereich ein wenig auskundschaften können, aber da die Syndiks sich noch immer im Tarnmodus befinden, lässt sich ihre Zahl nicht exakt feststellen. Wir schätzen, dass es etwa zwanzig Leute sind, Admiral.«

»Guter Instinkt, was ihre Position betrifft, Major. Wissen wir auch, ob sie tatsächlich eine dritte Atombombe bei sich haben?«

Major Dietz errötete leicht, als er Gearys Lob hörte, dann zögerte er einen Moment lang. »Admiral, wir haben Sensormücken reingeschickt, die das Einzige waren, was wir durch die Gegenmaßnahmen der Syndiks hindurchschaffen konnten, mit denen sie alle Zugänge gesichert haben. Diese Mücken haben keine zusätzliche Strahlung auffangen können, die auf eine Atombombe hindeuten würde. Aber wegen ihrer Größe und der geringen Energievorräte können sie nur begrenzt Daten liefern. Und falls die Syndiks die Bombe zusätzlich abgeschirmt haben, hätten wir sogar mit leistungsfähigerer Ausrüstung Schwierigkeiten, etwas festzustellen.«

»Was wäre nötig, um absolut sicher zu sein?«

»Um absolut sicher zu sein?«, wiederholte Dietz. »Reingehen und nachsehen, Admiral.«

Admiral Lagemann betrachtete während des Gesprächs den Deckplan der Invincible, dann sagte er: »Ich habe gerade über etwas anderes nachgedacht. Wir haben einen guten Überblick darüber, wie die Invincible im Inneren aussieht, weil die Daten von unseren Patrouillen und den automatischen Kartographierungsdrohnen zusammengetragen wurden. Wir verfügen über einen sehr präzisen Plan der Decks. Und jetzt sehen Sie sich das an.« Auf dem Plan leuchteten verschiedene Punkte auf. »Jeder dieser Punkte steht für eine Syndik-Präsenz. Wenn Sie sich ansehen, wie sich die Entdeckung der Eindringlinge entwickelt hat, dann zeigt uns das, welchen Weg die Syndiks ursprünglich genommen haben.«

»Worauf basieren diese Entdeckungen?«, wollte Geary wissen.

»Versuchsweise getäuschte Lamarr-Sensoren und fragmentarische Hinweise, die von anderen Sensoren festgestellt wurden«, erklärte Lagemann. »Es ist kein perfektes Bild, aber es ist das Beste, was wir erwarten dürfen, wenn wir es mit getarnten Widersachern in einer Umgebung wie der Invincible zu tun haben. Sie sind gleichzeitig an der Pseudo-Maschinenkontrolle und auf der Pseudo-Brücke eingetroffen. Sie haben die unterschiedlichsten Routen genommen, die in einigen Fällen auf eine Zurückverfolgung hindeuten, da die Syndiks schließlich nichts über das Innenleben der Invincible wussten. Aber so breit gefächert sie auch ins Schiff vorgedrungen sind, waren sie nach unseren Beobachtungen doch alle zielstrebig auf dem Weg zu den zwei Bereichen. Nachdem sie die Pseudo-Bereiche besetzt hatten, sind sie wieder ausgeschwärmt dieser Achse hier gefolgt.«

Major Dietz nickte. »Das ist die grobe Richtung hin zu dem Bereich, in dem wir uns tatsächlich aufhalten. Die Emissionen der Esel haben geholfen, unsere wahre Position zu verschleiern. Nachdem die Esel abgeschaltet waren, müssen die Syndiks Hinweise auf unseren eigentlichen Aufenthaltsort entdeckt haben.«

»Worauf ich hinauswill«, fuhr Lagemann fort, »ist die Tatsache, dass sie ursprünglich nur zwei Ziele angesteuert haben. Es gab keine dritte Gruppe, die parallel versucht hat, die Waffenkontrolle zu erreichen, obwohl sie die auch hätten einnehmen müssen.«

»Was dafür spricht, dass sie in Wahrheit nur zwei Atombomben mitgebracht haben?«, folgerte General Carabali. »Diese Analyse leuchtet ein, die Frage ist nur, ob wir darauf unser letztes Hemd verwetten sollen.«

Lagemann grinste schief. »Wenn wir uns irren, und sie haben eine dritte Bombe, dann können Sie mein letztes Hemd gern haben.«

»Wir würden uns gar nicht in dieser Situation befinden, wenn die nicht versucht hätten, sich unser Schiff in ihre Hemdtasche zu stecken«, wandte Dietz ein.

»Sind Sie jetzt alle fertig?«, fragte Geary aufgebracht.

»Tut mir leid«, erwiderte Admiral Lagemann. »Das sind nicht gerade die neuesten Witze. Tut mir wirklich leid. Aber ich glaube, man kann mir ein bisschen Galgenhumor verzeihen, damit ich nicht die ganze Zeit über die möglichen Konsequenzen für mich und meine Crew nachdenke, dass ich Sie dazu gedrängt habe, die Marines an Bord zu schicken.«

Geary betrachtete wieder den Deckplan der Invincible. »Ist jemand der Meinung, dass wir auf Zeit spielen können?«

Nur Carabali antwortete. »Nein, Sir. Wenn diese Leute bereit sind, für ihre Mission zu sterben, und wenn sie wirklich eine Bombe haben, dann müssen wir so bald wie möglich zuschlagen, bevor diese Erscheinungen auf der Invincible sie so verrückt machen, dass sie die Bombe grundlos zünden.«

»In den Abteilen, in denen sie sich befinden, können sie die Geister auf jeden Fall spüren«, stimmte Major Dietz ihr zu. »Seit wir die meisten Geräte und auch die Lebenserhaltungssysteme abgeschaltet haben, sammeln sie sich um uns herum. Es hilft, dass sich hier genug Leute aufhalten, aber das unheimliche Gefühl bleibt.«

»Schalten Sie Ihre Geräte wieder ein«, befahl ihm Carabali. »Und auch die Lebenserhaltung. Wenn sich noch irgendwo Syndiks aufhalten, die bislang nicht festgestellt worden sind und die durch diese Geister noch nicht in den Wahnsinn getrieben wurden, dann werden sie sich in Ihre Richtung begeben, sobald die Emissionen stärker werden. Das gibt Ihnen die Chance, sie außer Gefecht zu setzen. Admiral, sobald wir fertig sind, möchte ich diese fünf Abteile stürmen, in denen sich die zwanzig Syndiks verschanzt haben.«

Geary musste kurz nachdenken. Er durfte sich nicht zu viele Gedanken über die Folgen machen, sollten die Syndiks tatsächlich eine dritte Atombombe haben und sie auch zünden. Allein die Vorstellung genügte, um ihn aus der Ruhe zu bringen. Eigentlich war er voller Wut auf die Syndiks und fest entschlossen, sie nach ihrem hinterhältigen Angriff hier bei Sobek nicht gewinnen zu lassen, in welcher Form auch immer.

Die Invincible war von ungeheurem Wert für die Menschheit, selbst dann, wenn man außer Acht ließ, welchen Preis die Flotte bei der Einnahme des Superschlachtschiffs bereits bezahlt hatte. Konnte er es riskieren, dass dieses Schiff zerstört wurde und damit alles, was die Menschheit von der Invincible zu lernen imstande war?

Andererseits war da die Frage, ob er es wagen konnte, das Schiff aufzugeben. Was, wenn sich an Bord das Geheimnis für die planetare Verteidigung der Kiks finden ließ, die in der Lage war, anfliegende Objekte einfach abzudrängen – eine Technologie, über deren Funktionsweise die Menschen noch nicht das Geringste in Erfahrung hatten bringen können? Was, wenn die Syndiks in den Besitz dieses Geheimnisses gelangten? Jene Syndik-CEOs, die bereit waren, Selbstmordattacken anzuordnen, und die mit der Vernichtung der Invincible drohten, von der man so viel würde lernen können.

»Stürmen Sie, sobald Sie bereit sind«, sagte Geary. »Wenn Sie weitere Gefangene nehmen könnten, wäre das sehr schön, weil ich Überlebende gebrauchen kann, die aussagen, dass dieser Angriff von den Syndikatwelten befohlen wurde. Das Hauptziel ist aber, die Syndiks so schnell wie möglich zu überwältigen, damit keiner von ihnen noch Zeit genug hat, die Bombe zu zünden, sofern sie wirklich eine haben.« Er fragte lieber gar nicht nach den Erfolgsaussichten dieser Aktion, da das ohnehin nur wilde Vermutungen sein würden.

Major Dietz salutierte. »Fünf Minuten, Admiral. Wir haben den Angriffsplan bereits ausgearbeitet. Wir werden von allen Seiten gleichzeitig zuschlagen.«

»Gut.« Geary widmete sich daraufhin wieder der Gesamtsituation, während er versuchte, die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen, die ihm zeigten, was vielleicht schon bald passieren würde, wenn er die falsche Entscheidung getroffen hatte. »Immer noch alles ruhig?«, fragte er Desjani.

»Ja. Ich habe ein umfassendes Bombardement der primären bewohnten Welt angeordnet, das vor zehn Minuten begonnen wurde. Aber das wird erst in eineinhalb Tagen da ankommen, also gibt es momentan nichts Neues zu sehen.«

Er warf ihr einen mürrischen Blick zu. »Das ist nicht witzig. Gibt es einen bestimmten Grund dafür, wieso auf einmal jeder meint, er müsste schlechte Witze reißen?«

Sie sah ihm in die Augen. »Ja, weil wir Angst haben.«

»Oh.« Mehr wusste Geary darauf nicht zu erwidern.

»Wir werden auf untypische Weise angegriffen«, erklärte sie. »Keiner weiß, was als Nächstes kommt. Und wir wissen auch nicht, ob all die Opfer, die wir gebracht haben, um die Invincible zu kapern, vielleicht vergebens gewesen sein werden, weil die Gefahr besteht, dass in diesem Schiff ein kleiner Stern erglüht und es auslöscht. Wir wollen endlich nach Hause kommen, aber wir wissen nicht, welche Steine uns die verdammten Syndiks noch in den Weg legen werden. Reicht das?«

»Das reicht.« Er zuckte betreten mit den Schultern. »Ich war zu beschäftigt, um über diese Dinge nachzudenken.«

»Zu beschäftigt damit, die Flotte zu befehligen? Sie haben vielleicht Nerven.« Desjani lächelte flüchtig. »Wir müssten noch viel mehr Angst haben, wenn Sie nicht das Kommando hätten.«

»Die Marines stürmen gleich den Bereich, in dem sich die restlichen Syndiks verschanzt haben. Und zwar in … vier Minuten.«

»Sollten wir die Zerstörer ein Stück weit zurückziehen? Wegen des Suchmusters befinden sie sich sehr nahe beim Schiff.«

Darüber musste er erst einmal nachdenken, da es galt, das mögliche Risiko für die Zerstörer gegen die Folgen für die Moral derjenigen abzuwägen, die sich an Bord der Invincible befanden. Wenn die Leute ohnehin schon Angst hatten und wenn sie dann auch noch einen Beleg dafür sahen, dass sogar Geary mit dem Schlimmsten rechnete, würde das ihre Angst nur noch verstärken. »Nein, die Marines werden sich schon um die Bedrohung kümmern.« Außerdem sind vier Schlachtschiffe an der Invincible vertäut. Die Zeit reicht nicht, um diese Taue zu lösen und sich zurückzuziehen.

»Kümmern Sie sich ruhig wieder um Ihre Marines«, drängte Desjani ihn. »Ich habe die Flotte im Griff.«

Verwundert sah er sie an. »Augenblick mal. Sie agieren als meine Stellvertreterin?«

»Na klar. Fällt Ihnen das jetzt erst auf, Sir?«

»Und niemand hat etwas dagegen einzuwenden?«

»Warum sollte jemand was dagegen einwenden?« Nachdem sie ein paar Sekunden lang gewartet hatte, während Geary vergeblich nach einer unverfänglichen Antwort suchte, fuhr sie fort: »Badaya, Tulev, Duellos und Armus haben damit kein Problem, und solange die das akzeptieren, wird sich auch kein anderer beschweren.« Wieder legte sie eine kurze Pause ein. »Jane Geary hat auch keine Einwände, also habe ich die Gearys auf meiner Seite. Ich komme mir fast vor, als würde ich zur Familie gehören.«

»Hm … aha. Gut, dann … machen Sie weiter mit … mit dem, was Sie machen.«

»Ja, Sir, Admiral.« Sie schaute auf die Zeitanzeige. »Ihnen bleiben noch zwei Minuten, bis die Leute reingehen.«

»Danke.« Er konzentrierte sich wieder auf die Marines und suchte sich die Führer der Einheiten heraus, die sich in unmittelbarer Nähe zu den Syndiks aufhielten, dann wählte er einen davon zufällig aus.

Es dauerte ein paar Sekunden, bis er sich auf die Position der Marine-Lieutenant orientiert hatte, deren Kamerabild er nun sah. Schließlich wurde ihm klar, dass sich dieser Zug über den von den Syndiks besetzten Abteilen befand. Einige Gefechtsingenieure waren fast damit fertig, Hüllenbruch-Band auf dem Boden anzubringen, das einen großen Bereich in der Mitte des Abteils umfasste, in dem sich die Marines befanden. Der gesamte Zug schwebte mit feuerbereiten Waffen über der markierten Fläche.

Ein Timer im Helmdisplay der Lieutenant lief Sekunde um Sekunde zurück. »Noch eine Minute«, warnte sie ihren Zug. »Sie kennen Ihre Befehle. Falls möglich, Gefangene nehmen, aber wichtig ist, jeden daran zu hindern, die Bombe zu zünden.«

»Ich glaube, sie werden keine Schwierigkeiten haben, sich das zu merken, Lieutenant«, merkte der Zug-Sergeant an und sah sich mit etwas ruckartigen Bewegungen um. »Bringen wir’s hinter uns, und dann nichts wie runter von diesem Schiff.«

»Die sind nicht real, Sergeant«, erwiderte die Lieutenant in einem Tonfall, als versuche sie in erster Linie, sich davon zu überzeugen, dass es so war, wie sie sagte. »Und denken Sie alle daran«, ergänzte sie dann noch, »dass Sie auf keinen Fall irgendwelche Geräte anfassen. Das hier ist alles Kik-Technologie.«

»Kein Problem, Lieutenant«, gab ein Corporal zurück, der sich gleichermaßen nervös umschaute. »Ich will die ganz bestimmt nicht noch mehr verärgern.«

»Zehn Sekunden, Leute!«

Die Gefechtsingenieure hatten sich nach unten aufs Deck gezogen und hielten die Bandzünder bereit, während sie die Sekunden rückwärts zählten. »Die Lunte brennt!«, rief der eine Ingenieur, dann lösten er und sein Kollege gleichzeitig die Zünder aus.

Grelle Lichtblitze flammten dort auf, wo das Band verlegt worden war, und fraßen sich fast augenblicklich durch das Deck. Bei Schwerkraft wäre der herausgetrennte Bereich sofort in die Tiefe gestürzt, doch in der Schwerelosigkeit verharrte er an seinem Platz, bis sich der gesamte Zug Marines von der Decke abstieß und mit den gepanzerten Stiefeln auf das Deck traf, das daraufhin mit den Marines zusammen eine Ebene tiefer aufschlug.

Schüsse zuckten in alle Richtungen, als die nach außen gerichtet dastehenden Marines das Feuer eröffneten und ihre Salven auf alles richteten, was als Hinweis auf einen getarnten Feind angesehen werden konnte. Die herausgetrennte Sektion neigte sich zu einer Seite, da sie einen Syndik unter sich begraben hatte, dessen Tarnvorrichtung beim Aufprall des immensen Gewichts ausgefallen war.

»Wir haben einen Gefangenen!«, brüllte einer der Marines und hielt den Lauf seines Gewehrs auf den Helm des hilflosen Syndiks gerichtet.

Geary betrachtete die Energieblitze, die durch das Abteil zuckten und die durch die Luken auch in die benachbarten Abteile gelangten. Unwillkürlich fragte er sich, wie noch irgendjemand in diesem Mahlstrom aus tödlichen Schüssen leben konnte, doch dann sah er, wie ein Signal auf dem Monitor der Lieutenant rot aufblinkte, als sie einen Schuss abfeuern wollte. Dabei wurde ihm klar, dass die Technologie der Marine-Rüstung verhinderte, dass ihr Träger auf einen Punkt feuern konnte, an dem sich ein anderer Marine befand oder im nächsten Moment befinden würde.

Der ganze Einsatz dauerte weniger als eine Minute, in deren Verlauf immer mehr Marines in die Abteile stürmten, bis sie eine erdrückende Übermacht erreicht hatten. »Ist hier eine Bombe? Sucht die Bombe!«, befahl jemand.

»Feuer einstellen! Alle das Feuer einstellen! Alle Feinde sind ausgeschaltet!«

»Irgendwelche Überlebenden?«

»Nur einer, aber der redet nicht.«

Ein weiterer Schuss wurde abgefeuert. »Feuer einstellen, habe ich gesagt! Verdammt noch mal!«

»Ich dachte, ich hätte noch einen gesehen … das sind diese Geister, Sarge …«

»Waffen sichern! Sieht irgendjemand eine Bombe?«

»Abteil Alpha gesichert. Keine Bombe.«

»Abteil Bravo gesichert. Keine Bombe.«

»Abteil Cable gesichert. Keine Bombe.«

»Abteil Delta gesichert. Keine Bombe.«

»Abteil Echo gesichert. Keine Bombe.«

Geary ließ sich in seinem Sessel nach hinten sinken und atmete tief durch. Die Syndik-Befehlshaberin hatte nur geblufft.

Irgendwo in einem der Abteile lag diese Frau tot am Boden, zusammen mit den anderen, die ihr auf die Invincible gefolgt waren. Hatte Rione noch mit ihr gesprochen, als die Marines den Bereich gestürmt und ihrem Leben ein Ende gesetzt hatten? Das Kriegsschiff der Aliens hatte noch einige Narben und innere Schäden mehr abbekommen, aber es war immer noch intakt.

Euer Angriff ist fehlgeschlagen, dachte Geary, als würde er mit den Syndik-CEOs reden. Wie oft müssen wir euch eigentlich noch abwehren, bis ihr endlich damit aufhört, immer neue Versuche zu unternehmen?

Da waren immer noch die beiden erbeuteten Syndik-Atombomben, die sie loswerden mussten. Geary betrachtete die Symbole der Marines auf seinem Display und entschied sich abermals für Corporal Maksomovic.

Irgendjemand hatte einen Großteil des Staubs weggesaugt, der von den Sprunggranaten verteilt worden war. Ohne diese Reinigungsaktion hätte sich der Staub bis in alle Ewigkeit wie ein Sandsturm in Zeitlupe durch die Abteile und Korridore der Invincible bewegt und die Bereiche, in denen ohnehin keine Lebenserhaltungssysteme arbeiteten, nur noch unwirtlicher werden lassen.

Geary konnte zwar Maksomovics Gesicht nicht sehen, doch er spürte den Missmut und die Unzufriedenheit des Corporals, der gleich neben dem Nuklearsprengkopf der Syndiks im Raum schwebte. Wie lange passte Corporal Maksomovic jetzt schon auf diese infernalische Waffe auf?

»Corporal«, meldete sich Captain Smythe zu Wort, der sich inzwischen dazugeschaltet hatte und nun mit Maksomovic redete. »Commander Plant ist bei mir. Sie wird Ihnen Schritt für Schritt erklären, wie Sie die Syndik-Bombe unschädlich machen. Erkennen Sie das Modell, Commander?«

»Oh ja«, antwortete Commander Plant gut gelaunt. »Das erkenne ich. Eine Standard-Fusionsbombe Typ Fünf, Modifikation … Drei. Exakt so wie das Modell, das wir vorhin entschärft haben, während alle anderen damit beschäftigt waren, die letzten Syndiks zu eliminieren. Eine wirklich nette Waffe. Die Syndiks verstehen ihr Handwerk.«

»Können wir die Bombe sicher abschalten, Commander?«, wollte Admiral Lagemann wissen, der sich in die Unterhaltung einschaltete.

»Ja, natürlich. Jedenfalls größtenteils sicher.«

»Größtenteils sicher?«, hakte Corporal Maksomovic zögerlich nach. Dem Corporal musste nicht nur allzu deutlich bewusst sein, dass er in der Nähe einer Nuklearwaffe schwebte, sondern dass er bei der vor ihm liegenden Aufgabe von etlichen Senioroffizieren beobachtet und belauscht wurde.

»Ganz bestimmt«, sagte Commander Plant. »Sehen Sie einen Zugangsdeckel mit acht Verschlüssen irgendwo an der Oberseite? Der da. Ja, genau.«

»Das?« Der Corporal streckte die Hand nach dem besagten Zugang aus.

»Ja, richtig. Fassen Sie das nicht an.«

Geary sah, wie der Corporal die Hand zurückriss, als hätte soeben eine Kobra versucht, nach ihm zu schnappen.

»Suchen Sie nach einem ovalen Zugang mit fünf Verschlüssen. Der sollte ungefähr in der Mitte des Gehäuses zu finden sein. Da ist er!«

»Soll ich den anfassen?«, fragte Maksomovic.

»Ja. Ziehen Sie die Verschlüsse. Keine Sorge, die werden von den Syndiks äußerst selten mit Sprengfallen versehen.«

Die Hand des Corporals schien ganz leicht zu zittern, als er begann, die Verschlüsse zu öffnen.

»Und jetzt«, redete Commander Plant weiter, »öffnen Sie den Zugang. Nicht die Oberseite! Zuerst unten!«

Abermals zuckte Maksomovics Hand zurück. Er murmelte etwas Unverständliches, während er nach der Unterkante der Verkleidung griff und sie öffnete. Ein Wirrwarr aus Kabeln kam zum Vorschein, die oberhalb des Zugangs ihren Ursprung hatten und zu verschiedenen Bereichen unterhalb der Öffnung verliefen.

»Also gut«, sagte Plant. »Sie fassen jetzt rein, greifen so viele Kabel, wie Sie können, und reißen sie raus.«

Die Hand des Corporals erstarrte mitten in der Bewegung. »Wie bitte, Ma’am?«

»Sie fassen rein, greifen so viele Kabel, wie Sie können, und reißen sie raus. Ein Ruck.«

»Ähm … Ma’am, ich hatte eigentlich etwas detailliertere Anweisungen erwartet. Sie wissen schon … etwas in der Art, dass ich ein bestimmtes Kabel finden soll, das ich dann durchtrennen muss, ohne etwas anderes zu beschädigen.«

»Oh, ach so. Nein, nein, nein, das wäre viel zu gefährlich«, beharrte Commander Plant. »Es ist viel sicherer, wenn Sie alle Kabel gleichzeitig rausreißen. Dann wird es auch nicht explodieren. Okay, es könnte etwas explodieren, aber nicht sehr viel.«

»Ma’am, bei allem Respekt, aber diese Unterhaltung ist für meine Moral nicht sehr förderlich.«

»Vertrauen Sie mir. Ich sage Ihnen das, was ich auch tun würde, wenn ich an Ihrer Stelle wäre. Die erste Bombe ist schließlich auch nicht explodiert, nicht wahr?«

Trotz dieser erbaulich gemeinten Worte von Commander Plant schien der Corporal nicht davon angetan, ihre Anweisungen zu befolgen.

»Corporal Maksomovic, jetzt tun Sie schon, was sie sagt«, wies Major Dietz ihn an.

»Jawohl, Sir«, erwiderte der Corporal im Tonfall eines Mannes, dem mit vorgehaltener Waffe befohlen worden war, sich von einer Klippe zu stürzen. Geary konnte beobachten, wie die gepanzerte Faust des Mannes in die Öffnung fasste und einen dicken Kabelstrang umschloss. »Und jetzt einfach rausreißen?«, fragte er nochmals.

»Ja«, bestätigte Commander Plant. »Alle auf einmal. Reißen Sie daran. So kräftig, wie Sie können.«

Geary bemerkte am Rand des Gesichtsfelds des Corporals, wie seine Kameraden zögerlich zurückwichen, als könnte ein Meter Abstand mehr irgendetwas ausmachen, wenn diese Atombombe hochging.

»Alles oder nichts«, sagte Corporal Maksomovic, dann spannten sich seine Muskeln noch mehr. Die verstärkten Kräfte der Gefechtsrüstung eines Marine erlaubten es dem Corporal, viel energischer an den Kabeln zu ziehen als ein Mensch ohne diese Ausrüstung. Ein kräftiger Ruck, und er hielt einen Wust Kabel und Drähte in seiner Hand, während in der Öffnung der Bombe nur noch Kabelreste und zerrissene Verbindungsstücke zu sehen waren. Ein einzelner Funke zuckte über diese Komponenten.

Geary wurde bewusst, dass er den Atem anhielt, als er den Funken bemerkte, doch als sich weiter nichts ereignete, schaffte er es, tief durchzuatmen.

Der Marine Corporal hörte sich auch so an, als hätte er die ganze Zeit über die Luft angehalten. »Und jetzt, Ma’am?«

»Die Kabel können Sie wiederverwenden«, erwiderte Plant, als hätte sie dem Mann soeben bei etwas so Harmlosem wie der Reparatur eines Fahrrads assistiert. »Die Bombe sollten Sie auf einen Heber packen und an der Luftschleuse aus dem Schiff werfen. Eine kleine Explosion könnte es immer noch geben, und es wäre unsinnig, so was zu riskieren.«

»Eine kleine Explosion?«, fragte Admiral Lagemann, als wundere er sich darüber, welches Ausmaß an Zerstörung die Waffeningenieurin wohl noch als »klein« bezeichnete. Aber er hakte nicht weiter nach, vielleicht weil er es sich anders überlegt hatte. Stattdessen erkundigte er sich: »Benötigen Sie die Bombe nicht für weitere Untersuchungen?«

»Nein danke, Admiral. Wir haben schon ein paar von der Sorte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir hier irgendwelche neuen Erkenntnisse gewinnen würden.«

»Technische Erkenntnisse werden uns die Bomben auf keinen Fall liefern«, stellte Captain Smythe klar. »Aber wir sollten beide Sprengsätze auf Seriennummern und andere Daten untersuchen, durch die wir sie vielleicht zu einer bestimmten Syndik-Quelle zurückverfolgen können. Wenn Sie keine Einwände haben, Admiral Geary, schicke ich ein Shuttle von der Tanuki, das beide Bomben abholt.«

»Admiral Lagemann?«, fragte Geary.

»Ich glaube, ich spreche für jeden an Bord der Invincible, wenn ich sage, dass wir die Bomben gar nicht schnell genug loswerden können«, erwiderte er. »Captain Smythe kann sie gerne haben.«

»Gute Arbeit, Maksomovic«, lobte Major Dietz den Corporal.

»Vielen Dank, Sir. Ich muss sagen, ich wäre doch ziemlich nervös gewesen, wenn der Timer an der Bombe bis null zurückgezählt hätte, während ich daran arbeitete«, räumte Maksomovic ein, als wäre er die Ruhe selbst gewesen.

»Der Timer?«, wiederholte Commander Plant überrascht. »Ach, da hätten Sie sich keine Sorgen mehr machen müssen. Die Timer von Syndik-Bomben sind nur ein Täuschungsmanöver. Wenn Sie die Bombe scharfmachen und den Timer aktivieren, fliegt Ihnen das ganze Ding sofort um die Ohren.«

Ihren Worten schloss sich langes Schweigen an.

»Tatsächlich?«, fragte Admiral Lagemann nach einer Weile. »Ich hatte Gerüchte darüber gehört, aber …«

»Die Gerüchte treffen zu. Überlegen Sie mal, Admiral. Es gibt da ein Objekt, das so wichtig ist, dass Sie eine Atombombe an Bord schmuggeln. Würden Sie das Risiko eingehen, dass jemand vorbeikommt und es schafft, die Bombe zu entschärfen, während die Zeit läuft?«

»Und was geschieht mit demjenigen, der die Bombe platziert und den Timer startet?«

Die Frage schien Commander Plant zu verwirren. »Derjenige steht zehn Zentimeter von einer Kernreaktion entfernt, Admiral. Derjenige hat nicht mal Zeit genug, um zu begreifen, was mit ihm geschieht, wenn das Ding hochgeht. Von dem armen Teufel bleibt nichts übrig. Und das meine ich so, wie ich es sage. Da bleibt nichts übrig. Außer vielleicht ein bisschen Plasma. Ein paar geladene Partikel. Aber mehr auch nicht.«

»Aber …«, begann Corporal Maksomovic ungläubig. »Über solche Waffen verfügen wir auch.«

Diesmal folgte eine noch längere und sehr betretene Pause.

»Wir sind keine Syndiks«, erklärte Captain Smythe mit übertrieben wirkender Lässigkeit. »Und jetzt sollten wir aufhören zu diskutieren und lieber dafür sorgen, dass die Bomben von Bord geschafft werden, nicht wahr?«

Getreu der alten Redewendung, dass man lieber keine Fragen stellen soll, wenn man die Antworten darauf nicht hören will, beendete Geary die Verbindung und drehte sich zu Desjani um. »Alles klar. Die Situation an Bord der Invincible ist vollständig unter Kontrolle. Jetzt können wir eine ordentliche Formation einnehmen und den Sprungpunkt nach Simur ansteuern. Welchen Kurs haben Sie ausgearbeitet?«

Grinsend schickte sie das geplante Manöver auf sein Display. Geary warf einen Blick darauf, dann einen zweiten. Schließlich nickte er anerkennend. »Anstatt am Rand des Sternensystems entlangzufliegen, wollen Sie auf den Stern zufliegen und erst dann Kurs auf den Sprungpunkt nehmen?«

»Das dauert zwar eine Lichtstunde mehr, aber auf dieser Route können uns die Syndiks keine weiteren unerfreulichen Überraschungen mehr bereiten«, erklärte Desjani überzeugt.

»Sie haben recht. Ich wäre von der optimalen Flugbahn nicht so weit abgewichen, aber genau das könnten die Syndiks für einen weiteren Angriff nutzen. Ja, so werden wir es machen. Da ist nur eine Sache, um die ich mich erst noch kümmern muss.«

Wieder rief er Captain Smythe. »Wir machen uns bereit, diese Region zu verlassen. Haben Ihre Ingenieure die Untersuchung des Hypernet-Portals abgeschlossen?«

Von Smythe war ein schwerer Seufzer zu hören. »Ja, Admiral, und ich muss Ihnen zu meinem Bedauern mitteilen, dass das Portal erheblich beschädigt worden ist. Sonderbarerweise ließen sich diese Schäden nur aus allernächster Nähe feststellen, aber sie genügen, um das Portal kollabieren zu lassen. Das wird in siebenunddreißig Minuten und zwanzig Sekunden geschehen.«

»Das ist eine bemerkenswert präzise Schätzung«, sagte Geary.

»Ich bin ja auch ein bemerkenswert präziser Ingenieur, Admiral. Ich habe hier einen Bericht, den Sie an die Syndiks weiterleiten können. Darin habe ich besonders die Tatsache betont, dass Trümmer der Orion und einiger Kurierschiffe für diese Schäden verantwortlich sind. Und machen Sie sich keine Gedanken darüber, dass die Syndiks auf die Idee kommen könnten, diesen Bericht zu analysieren und daraus die falschen Schlüsse zu ziehen. Den Bericht hat Lieutenant Jamenson verfasst und dabei ihre Fähigkeiten in vollem Umfang ins Spiel gebracht.«

»Vielen Dank, Captain Smythe.« Lieutenant Jamenson war eine Offizierin, die die besondere Gabe besaß, Texte so sehr zu verdrehen, dass sie technisch exakt das aussagten, was sie aussagen sollten, dabei aber eigentlich völlig unverständlich waren. Die Syndiks würden ihnen niemals einen Strick aus dem drehen können, was Jamenson formuliert hatte. »Dann werden wir mal die Flotte in Bewegung setzen.«

Rund siebenunddreißig Minuten später war die Flotte – die wieder begonnen hatte, auf 0,1 Licht zu beschleunigen – immer noch damit beschäftigt, jedes Schiff an seinen neuen Platz innerhalb der Formation zu bringen. Gleichzeitig konnte Geary mitansehen, wie hinter ihnen das Hypernet-Portal allmählich zusammenbrach. Die als Trossen bezeichneten Objekte, die die Energiematrix kontrollierten, schalteten sich nacheinander oder in kleinen Gruppen ab, was sich in einer komplexen Sequenz abspielte, weil verhindert werden musste, dass sich die Matrix in einem einzigen Impuls entlud, der alles Leben in diesem Sternensystem auslöschen würde. Das An- und Abschwellen der gewaltigen Kräfte im Inneren des kollabierenden Portals erzeugte dabei Verzerrungen im Raum, die mit dem bloßen Auge zu beobachten waren.

Geary hatte diese Kräfte aus nächster Nähe zu spüren bekommen, als sie bei Sancere alles darangesetzt hatten, den Zusammenbruch des dortigen Hypernet-Portals zu verhindern. Er verspürte kein Verlangen danach, je wieder einem im Kollaps befindlichen Portal so nah zu sein. Sogar jetzt, auf diese große Entfernung, bereitete der Anblick ihm großes Unbehagen. Das war nichts, was ein menschliches Auge jemals erblicken sollte. Es war eine Sache, wenn die Wissenschaft erklärte, wie unsicher die »Realität« sei, und wie bizarr das war, das sich jenseits des stofflichen Universums befand. Aber es war etwas ganz anderes, das Befremdliche und Instabile hinter dem Vorhang mit eigenen Augen zu erblicken.

Dennoch verspürte Geary eine große Genugtuung, das Portal zusammenbrechen zu sehen. Es würde zwar die Orion nicht wieder zum Leben erwecken, aber so bezahlten die Syndiks wenigstens einen Preis, den sie sich eigentlich nicht leisten konnten.

Der Todeskampf des Hypernet-Portals erlebte seinen Höhepunkt, die Verzerrung im All schrumpfte rapide zusammen, noch während das Energieniveau im Inneren beängstigend anstieg. Dann kollidierten die letzten Energiewellen und hoben sich gegenseitig auf, bis nichts weiter übrig war als die verstreut durchs All treibenden, nutzlos gewordenen Trossen.

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