Zwei

Es sollte ungefähr zwei Wochen dauern, den von den Herrschern von Midway vorgeschlagenen Plan umzusetzen und zum Abschluss zu bringen. Zwei Wochen, die die Allianz-Flotte hätte nutzen sollen, um nach Hause zu fliegen. Aber mit Blick auf die sehr lange Liste aller noch erforderlichen Reparaturen auf vielen seiner Schiffe versuchte Geary, das Beste aus der Wartezeit zu machen.

»Was ist eigentlich aus diesen Plänen geworden, auf Raumschiffen vollautomatische Reparatursysteme auf Nanobasis zu installieren?«, fragte Geary an Captain Smythe gerichtet, den befehlshabenden Offizier des Hilfsschiffs Ta n u k i und Senioringenieur der Flotte.

Smythe verdrehte die Augen und grinste. »Das, was aus vielen Plänen wird, nämlich nichts. Soweit ich weiß, liegt der letzte Test ungefähr fünf Jahre zurück. Die zweite Generation der Nanos begann, die ›gesunden‹ Teile des Testschiffs anzugreifen. Ein Teil der Nanos entwickelte sich zu einer Art Nanokrebs und begann, völlig unkontrolliert Teile zu replizieren und wichtige Systeme zu beschädigen. Das Reparatursystem benötigte ungefähr zwei Tage, um das Schiff in ein Wrack zu verwandeln.«

»Also das gleiche Problem wie vor hundert Jahren«, sagte Geary.

»Und wie auch schon lange davor. Wir arbeiten ja immer noch daran, dass die Reparatur- und Immunsysteme in unserem Körper nicht durchdrehen und uns umbringen«, betonte Smythe. »Und die hatten ein paar Millionen Jahre Zeit, um sich zu entwickeln. Es ist halt nicht so einfach, ein System zu entwickeln, das diejenigen Dinge behebt, die falsch laufen, aber gleichzeitig nichts von dem beschädigt, das in Ordnung ist.«

»Was ist mit dem letzten Testschiff geschehen?«

»Ein automatischer Schlepper hat es weggebracht und sich mit ihm in den nächsten Stern gestürzt. Lebt wohl, ihr kleinen Nanos. Niemand wollte riskieren, dass andere Schiffe infiziert werden. Man könnte mühelos eine ganze Flotte verlieren, ehe man weiß, wie einem geschieht.«

»Wie lange noch, bis wir aufbrechen können?«, wechselte Geary das Thema.

»Heute … oder morgen … oder in ein paar Monaten. Admiral, meine Hilfsschiffe arbeiten so schnell sie können. Unsere Flotte hat zum Teil Schäden erlitten, die nur in einem Raumdock richtig behoben werden können. Je länger wir hier bleiben, umso günstiger ist das für den Allgemeinzustand all unserer Schiffe, aber eine hundertprozentige Reparatur wird erst möglich, wenn wir wieder zu Hause sind.« Smythe legte den Kopf schräg und sah Geary an. »Erwarten Sie, dass wir in weitere Auseinandersetzungen verwickelt werden, bevor wir zu Hause sind?«

»Ich habe keine Ahnung. Ich will es nicht hoffen, aber ich kann es nicht ausschließen. Immerhin sind wir mit dem größten Gefahrenmagnet unterwegs, den man im von Menschen besiedelten Weltraum je zu sehen bekommen hat.«

»Ah, die Invincible.« Smythe wirkte unglücklich und begeistert gleichzeitig. »Sind Sie schon an Bord gewesen? Dieses Schiff stellt einen vor so viele Rätsel. Ich wünschte, wir könnten uns mit ein paar davon beschäftigen.«

»Das können wir nicht riskieren, Captain.«

»Vielleicht würde es mir gelingen, einen Teil des Schiffs vom Rest zu isolieren, dann könnten wir uns wenigstens mit den Funktionsweisen befassen«, versuchte Smythe ihn zu überreden. »Meine Leute werden auch in ihrer Freizeit daran arbeiten. Es juckt ihnen in den Fingern, sich mit der Kik-Ausrüstung zu beschäftigen.«

»Schicken Sie mir Ihren Vorschlag rüber«, lenkte Geary zögerlich ein, »dann werde ich darüber nachdenken.«

Sind Sie schon an Bord gewesen? Nein, das war er nicht. Ich hatte die Chance, ein Raumschiff zu betreten, das von einer intelligenten, nichtmenschlichen Spezies geschaffen worden ist, und ich habe mir das Superschlachtschiff nur aus der Perspektive Dutzender Marines angesehen, als sie das Schiff eroberten.

Wenn wir die Invincible erst mal nach Hause geschafft haben, dann wird man das Schiff völlig von der Außenwelt abschirmen, und es werden nur hochrangige Wissenschaftler an Bord gehen dürfen. Die Invincible wird man in irgendein entlegenes System bringen, in das es mich wahrscheinlich nie verschlagen wird.

Er rief Tanya. »Ich will mir die Invincible ansehen.«

Desjani, die im Kommandosessel der Dauntless saß, nickte gedankenverloren. »Es sind genügend Systeme installiert worden, dass Sie auf der Stelle einen virtuellen Rundgang machen können.«

»Nein, ich möchte das Schiff persönlich besuchen.«

Sie zuckte überrascht hoch, dann zählte sie stumm bis zehn, was an ihren Lippenbewegungen abzulesen war, und zitierte in einem mechanischen, gelangweilten Tonfall: »Ich muss Sie auf die Gefahren hinweisen, die mit dem körperlichen Besuch auf einem Kriegsschiff nichtmenschlicher Herkunft verbunden sind, da sich an Bord unbekannte Gefahren befinden können; beispielsweise mögliche Pathogene, die in der Lage sind, menschliche Wirtskörper zu infizieren. Die Funktionsweise der auf dem Schiff befindlichen Geräte ist uns nicht bekannt, wir wissen nicht, ob sie sich irgendwann von selbst wieder einschalten und welche Konsequenzen das nach sich ziehen kann. Außerdem könnten Aliens die Schlacht überlebt haben und sich irgendwo versteckt halten, wo sie unseren Sensorabtastungen entgangen sind. Sie könnten aus ihrem Versteck kommen und einen Angriff unternehmen, wenn das Ziel bedeutend genug ist.«

»Ihre Bedenken habe ich hiermit zur Kenntnis genommen«, erwiderte Geary.

»Aber Sie wollen trotzdem auf das Schiff.«

»Das dürfte meine einzige Gelegenheit sein, es mir anzusehen, Tanya. Wenn wir erst zurück im Allianz-Gebiet sind, wird man die Invincible ganz sicher unter strenge Quarantäne stellen.«

Sie setzte eine übertrieben erstaunte Miene auf. »Meinen Sie nicht, dass es auch einen guten Grund dafür gibt, dieses Schiff unter Quarantäne zu stellen?«

Als er merkte, dass Desjani weiter dieser durchaus begründeten Argumentation folgen würde, spielte er seinen letzten Trumpf aus. »Tanya, an Bord dieses Schiffs befinden sich derzeit Matrosen und Marines, die von mir hingeschickt wurden. Wollen Sie etwa sagen, dass ich selbst etwas vermeiden sollte, was ich den meinem Kommando unterstellten Leuten befehle?«

Diesmal zog sie die Brauen zusammen und sah ihn finster an. »Sie drehen mir einen Strick aus den Prinzipien für gute Führungskräfte? Das ist schäbig.«

»Na ja, wenn es Ihnen lieber ist, dass ich eine schlechte Führungskr–«

»Ach, jetzt hören Sie schon auf!« Sie tippte etwas auf ihrer Konsole ein. »Sie werden ein Shuttle der Dauntless nehmen.« Es klang nicht nach einer Frage, sondern nach einer Feststellung.

»Natürlich.« Er wusste nur zu gut, dass er besser nicht noch betonen sollte, dass er sie zum Einlenken gebracht hatte. »Soll ich Ihnen ein Souvenir mitbringen?«

»Von dem Ding da?« Ihr Schaudern kam ihm nicht gespielt vor. »Nein, vielen Dank.«

Admiral Lagemann erwartete ihn an der Hauptschleuse, die in den besetzten Bereich an Bord der Invincible führte. Er salutierte zackig und grinste Geary an. Neben ihm stand ein Major der Marines, der ebenfalls salutierte. Bei ihm wirkte die Geste sehr viel glatter und präziser. »Willkommen an Bord der Invincible, Admiral Geary«, sagte Lagemann. »Das ist der Befehlshaber meiner Marines-Einheit, Major Dietz. Ich muss gestehen, das Schiff ist noch nicht ganz für eine Inspektion bereit. Es gibt da ein paar Abweichungen.«

»Abweichungen? Tatsächlich?«, fragte Geary und griff Lagemanns scherzhaften Ton auf, während er selbst versuchte, sich so zu geben wie gewisse aufgeblasene Inspektoren, mit denen er zu seiner Zeit zu tun gehabt hatte.

»Alle Schiffssysteme sind funktionsuntüchtig«, erklärte Lagemann gut gelaunt. »Die meisten Bereiche weisen erhebliche Gefechtsschäden auf, die noch nicht repariert sind. Das Schiff kann sich nicht aus eigener Kraft von der Stelle bewegen, die Energie stammt ausschließlich aus unseren mobilen Notfallgeneratoren. Die Lebenserhaltungssysteme arbeiten nur in einem kleinen Teil des Schiffs, im Rest des Schiffs kann man sich nur in Schutzanzügen oder Gefechtsrüstung aufhalten. Die Mannschaft stellt nur einen winzigen Bruchteil dessen dar, was für die Sicherheit und Bedienung eigentlich erforderlich wäre. Wie Sie selbst merken, verfügen wir nicht über Schwerkraft. Und … tja … die Verzierungen sind nicht poliert worden.«

»Für alles andere habe ich ja Verständnis«, gab Geary mit gespieltem Unmut zurück. »Aber nicht polierte Verzierungen? Wo setzen Sie Ihre Prioritäten?«

»Meine Prioritäten waren schon immer falsch verteilt«, gestand Lagemann ihm. »Ich habe mich für den Dienst auf diesem Schiff freiwillig gemeldet, obwohl ich es auf der Mistral viel bequemer gehabt hätte. Allerdings habe ich einige Jahre in einem Gefangenenlager der Syndiks zugebracht, und das war noch viel unbequemer. Hier sind wenigstens keine Syndik-Aufseher, die einen auf Schritt und Tritt beobachten.«

Schließlich begann Geary zu lächeln. »Wie macht sich Ihre Crew?«

»Könnte schlimmer sein. Sie haben sich alle freiwillig gemeldet, und wenn sie sich zu laut beklagen, dann reibe ich ihnen das unter die Nase, und schon herrscht wieder Ruhe.«

»Und wie geht es den Marines, Major Dietz?«, wollte Geary wissen.

Der Major machte eine beiläufige Geste. »Die haben schon Schlimmeres erlebt, und außerdem haben sie sich ebenfalls freiwillig gemeldet, Admiral. Natürlich haben sie sich genau genommen schon an dem Tag freiwillig gemeldet, als sie ihren Dienst als Marines begonnen haben. Deshalb haben wir sie nicht zu dieser speziellen Mission befragt.«

Admiral Lagemann und Major Dietz führten Geary durch den Bereich des Schiffs, der von den Matrosen und Marines in Beschlag genommen worden war. Dabei hangelten sie sich in der Schwerelosigkeit von einem Haltegriff zum nächsten. Die Griffe waren zum Teil schon von den Kiks, zum Teil aber auch erst von der menschlichen Crew montiert worden. Überall hatte man Kabel verlegt, um Komm-Relais und Sensoren mit Strom zu versorgen. Große Schläuche verteilten Warmluft oder sorgten an anderen Stellen für Kühlung. Die Luft wurde permanent gefiltert und wiederaufbereitet, damit die Atmosphäre atembar blieb.

Lagemanns Warnung entsprechend trafen sie immer wieder auf Abschnitte mit niedrigen Decken, bei denen man Gefahr lief, sich den Kopf zu stoßen. Geary passierte zudem diverse Stellen, die so eng waren, dass er sich nur mit großer Vorsicht vorwärtsbewegen konnte. Schläuche für die Lebenserhaltung und dicke Kabelstränge sorgten dafür, dass es zum Teil noch beengter zuging. »Da wird einem erst mal richtig klar, wie klein die Bärkühe im Vergleich zu uns eigentlich sind«, merkte er an.

»Zum Glück«, erwiderte Lagemann, »ist es ohne Schwerkraft für uns etwas angenehmer, weil wir uns so durch höher gelegene Passagen zwängen können, die etwas breiter sind, die wir aber bei Schwerkraft gar nicht oder nur mit Mühe erreichen würden. Die Kiks sind zwar klein, aber für so kleine Kreaturen ist das hier ein verdammt großes Schiff. Ich habe etliche Schlachtschiffe und Schlachtkreuzer erlebt, darunter auch einen Syndik-Schlachtkreuzer, auf den ich nach meiner Gefangennahme gebracht wurde. Mancher Gang scheint sich da bis in die Unendlichkeit zu ziehen. Aber auf der Invincible … ich schwöre Ihnen, manchmal kommt es mir so vor, als würden sich Bug und Heck in zwei verschiedenen Sternensystemen befinden.«

Die kleine Gruppe hatte vor einer der temporären Luftschleusen angehalten, die in den Rest des Schiffs führte. »Wie behalten Sie denn das im Auge, was sich jenseits dieses Abschnitts hier befindet?«, wollte Geary wissen.

»Wir haben einen Teil des Schiffs mit Sensoren versehen«, antwortete Lagemann. »Im Rest sind Patrouillen unterwegs.«

»Dabei handelt es sich um Sicherheitspatrouillen«, ergänzte Major Dietz, »die den von unseren Systemen ausgearbeiteten Routen folgen. Diese Routen stellen sicher, dass spätestens alle paar Tage jedes Abteil und jeder Gang gesichtet wird. Manche Patrouillen sind über einen halben Tag unterwegs.«

»Wie groß sind diese Patrouillen?«

»Ein kompletter Trupp, dazu ein oder zwei Matrosen. Sie führen ständig umfassende Sicherheitsscans durch.«

Geary machte eine erstaunte Miene. »Das sind aber viele Leute, nur um ein leeres Schiff zu kontrollieren. Hat es irgendwelche Probleme gegeben?« Wenn er eine Sache als Junioroffizier sehr früh gelernt hatte, dann die Tatsache, dass Matrosen immer auf der Suche nach Abteilen oder verborgenen Ecken waren, in die sie sich für diverse Aktivitäten zurückziehen konnten, die den Vorschriften nach untersagt waren. Auf den meisten Schiffen ließen sich solche Ecken nur schwer ausfindig machen, aber auf der Invincible hatten sie praktisch die freie Auswahl.

Major Dietz und Admiral Lagemann sahen sich gegenseitig an. »Es hat keine Probleme damit gegeben, dass Personal allein durch das Schiff spaziert«, sagte Lagemann. »Nicht nach den ersten paar Tagen.«

»Wieso? Selbst wenn die Leute nichts Unzulässiges tun wollen, könnte ich mir vorstellen, dass sie sich umsehen und das Schiff erkunden möchten.«

»Nicht dieses Schiff«, verneinte der Major. »Die sind da draußen. In den Gängen.«

»Wer ist da draußen?«, fragte Geary und bemerkte eine leichte Gänsehaut.

»Die Kiks«, sagte Lagemann. »Ich glaube nicht, dass ich besonders abergläubisch bin, aber ich kann sie spüren. Tausende von ihnen sind auf diesem Schiff gestorben, und wenn Sie sich durch die Gänge bewegen, dann können Sie spüren, wie sie sich um Sie scharen. Die wissen, dass wir ihnen ihr Schiff abgenommen haben, und das gefällt ihnen überhaupt nicht.«

Major Dietz nickte. »Ich habe vom Feind aufgegebene Einrichtungen und Anlagen gesehen, jene Orte, an denen man das Gefühl hat, dass diejenigen, die von dort weggegangen sind, jeden Moment wiederkommen könnten und dann sehr verärgert darüber sein werden, dass man sich dort aufhält. Das ist immer ein bisschen unheimlich. Aber hier auf dem Schiff ist es um ein Vielfaches schlimmer. Wir schicken die Patrouillen in Trupps aus, weil es die minimale Anzahl an Leuten ist, die da draußen unterwegs sein kann, ohne dabei verrückt zu werden. Wir haben es mit einer Hand voll Marines versucht, aber die fingen nach einer Weile an, wie wild um sich zu schießen, und kamen im Eiltempo zu uns zurück. Sie erzählten von Hunderten Kiks, die sich immer noch auf dem Schiff aufhalten.«

»War es im Sprungraum schlimmer?«, wollte Geary wissen.

»Ja, Sir, jetzt, da Sie es erwähnen. Aber auch hier im Normalraum, in der Nähe eines Sterns, ist es unheimlich. Niemand zieht allein los. Jedenfalls nicht nach dem ersten Mal.«

»Das ist eigenartig. Wir bringen das Schiff nach Hause, dann sollen die Wissenschaftler mit den Technikern darüber diskutieren, was von den Kiks noch verblieben ist.«

»Wir haben schon überlegt«, fuhr Admiral Lagemann fort, »ob es sich vielleicht um einen Nebeneffekt irgendwelcher Kik-Ausrüstung handelt, die immer noch arbeitet, ohne dass wir das wissen. Vielleicht so etwas wie der Ton einer Hundepfeife, der einen Hund irritiert, während wir davon nichts merken. Es ist, als würden virtuelle Fingernägel über eine imaginäre Schiefertafel kratzen. Womöglich sind es Geister, ich habe keine Ahnung.«

»Denken Sie daran, dass Sie in Ihrem Bericht diese eventuell noch aktive Kik-Ausrüstung erwähnen, wenn Sie das Schiff verlassen«, wies Geary ihn an. »Könnte es sich um irgendeine letzte Verteidigungsmaßnahme handeln? Irgendein Gerät, das die Kiks aktiviert haben und das es ihren Feinden unmöglich macht, sich länger auf diesem Schiff aufzuhalten?«

Wieder sahen sich Dietz und Lagemann an, diesmal mit interessierten Mienen.

»Das wäre auch denkbar«, räumte Lagemann ein. »Aber da es für uns einen Sinn ergibt, wird es wohl nicht der wahre Grund sein.«

»Verstehe«, sagte Geary und dachte daran, was er bislang von der Kik-Technologie zu sehen bekommen hatte. Der größte Teil der Ausrüstung bediente sich irgendwelcher Methoden, die für die menschlichen Denkweisen völlig fremdartig wirkten. »Wo sollte ich mich als Nächstes umsehen?«

Lagemann deutete auf die provisorische Luftschleuse. »Da draußen.«

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Ich glaube Ihnen das mit den Geistern. Oder zumindest, dass da draußen etwas ist, das an den Nerven zehrt.«

»Das wollen wir Ihnen nicht zeigen, sondern etwas, das sich die Marines in ihrer Freizeit ausgedacht haben.«

Ein halbes Dutzend Marines hatte sich zu ihnen gesellt, alle trugen Gefechtsrüstung. Gearys Überlegung, Lagemann und Dietz könnten ihn nur auf den Arm genommen haben, verflüchtigte sich schnell, als er sah, wie vorsichtig die Marines in den stillgelegten Bereich der Invincible vorrückten.

Warnsymbole flammten auf dem Gesichtsdisplay von Gearys Schutzanzug auf, während er sich mit den anderen von Griff zu Griff durch den Gang zog. Giftige Atmosphäre. Toxische Spurenelemente. Temperatur nur knapp innerhalb der Überlebensparameter für einen Menschen. Solche Faktoren sollten schon genügen, um jeden aus dieser Mannschaft davon abzuhalten, sich allein in diesen Bereichen aufzuhalten.

Aber er nahm auch noch etwas anderes wahr, etwas, das von den Sensoren seines Anzugs nicht erfasst wurde. Ein Gefühl, als ob sich irgendetwas direkt hinter ihm aufhielte und nur darauf wartete, ihn anzuspringen. Das Gefühl, dass sich wieder andere Dinge genau außerhalb seines Gesichtsfelds bewegten. Schatten, die durch die Lichter an den Schutzanzügen der Menschen zum Leben erweckt wurden.

Mit jedem Meter, den sie sich von dem besetzten Bereich entfernten, wurde der Eindruck stärker, dass sie von etwas Feindseligem umgeben waren.

Admiral Lagemann begann mit aufgesetzter Lässigkeit zu reden. Seine über den Komm-Kanal des Schutzanzugs verbreitete Stimme ließ erkennen, wie sehr er sich darum bemühte, entspannt zu klingen. »Wir hatten Zeit zum Nachdenken, Major Dietz und ich, und das sind unsere Überlegungen. Wir befinden uns hinter dieser gewaltigen Panzerung, und wir sind mit vier Schlachtschiffen verbunden, die uns schleppen. Dahinter haben wir die beeindruckend große Flotte, die allerdings ein paar Treffer hat einstecken müssen. Das ist gut. Aber die Invincible als das erste nichtmenschliche Artefakt, das nun der Kontrolle durch Menschen untersteht – ein unglaublich großes Artefakt, vollgestopft mit nichtmenschlicher Technologie –, ist das wertvollste Objekt in der gesamten Menschheitsgeschichte. Wer es sieht oder wer nur von seiner Existenz weiß, der wird es haben wollen. Oder er wird es zerstören wollen, um uns darin zu hindern, irgendwelche Erkenntnisse aus diesem Schiff und seiner Technologie zu ziehen.«

»Dem kann ich nicht widersprechen«, sagte Geary.

»Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber die Chancen, dass wir auf dem Rückweg einer Streitmacht aus Kriegsschiffen begegnen, die in der Lage ist, den Rest der Flotte zu zerstören und die Invincible in ihre Gewalt zu bringen, dürften gleichwohl null sein.«

»Auch damit liegen Sie richtig. Die Syndik-Werften arbeiten zwar wahrscheinlich auf Hochtouren, sodass sie mit der einen oder anderen Überraschung aufwarten könnten, aber selbst in dem Fall werden wir ihnen zahlenmäßig überlegen sein.«

»Wie sollte dann aber jemand versuchen, die Invincible anzugreifen und in seine Gewalt zu bringen?«

Noch während Geary überlegte, lieferte Major Dietz die Antwort: »Ein Enterkommando.«

»Ein Enterkommando?«, wiederholte er. »Wie sollte das gehen?«

»Mit genügend Tarnanzügen könnten die Syndiks eine Streitmacht an Bord dieses Schiffs bringen«, erläuterte Dietz. »Und dann schlagen sie zu, während wir ein Sternensystem durchqueren.«

»Sie wissen, wohin wir fliegen müssen«, machte Lagemann deutlich. »Sie könnten auf der Route zwischen einem Hypernet-Portal und einem Sprungpunkt eine ganze Reihe von getarnten Shuttles platzieren, die sich an uns hängen, sobald wir vorbeikommen.«

»Auf dem Weg von hier bis Varandal würden sich dafür aber nicht viele Gelegenheiten bieten«, wandte Geary ein, hielt dann aber inne, da ihm etwas einfiel. »CEO Boyen wies sehr eindringlich darauf hin, dass man uns Hindernisse in den Weg legen würde, um uns unsere Rückkehr zu erschweren.«

»Irgendeine Ahnung, was er damit gemeint haben könnte?«

»Nein. Aber was könnte ein Team bewerkstelligen, das dieses Schiff entert?«

Wieder antwortete Major Dietz: »Die Standardvorgehensweise beim Entern eines Schiffs besteht darin, zu den drei wichtigsten Kontrollzentren zu gelangen: Brücke, Maschinenkontrolle und Waffenkontrolle.«

»Auf diesem Schiff gibt es keine zentrale Maschinenkontrolle«, sagte Geary, fasste nach dem nächsten Griff und zog sich wieder ein Stück weiter den Gang entlang. »Es sei denn, Sie haben sie gefunden und mir nichts davon gesagt.«

Bei Lagemanns Antwort konnte er heraushören, dass der Mann grinste. »Nein. Es gibt acht Energiekerne und acht Kontrollstationen. Warum? Unsere Ingenieure sagen, dass das nicht effizient angeordnet ist. Zwei große Kerne hätten mehr geleistet. Aber die Kiks haben es nun einmal so gemacht. Alle Kerne wurden vollständig abgeschaltet, und keine der Kontrollstationen ist in Betrieb. Jedenfalls bekommen wir sie nicht ans Laufen. Aber wer weiß, wozu ein Kik in der Lage wäre? Und alle Hauptantriebssysteme wurden während der Schlacht bei Honor in Trümmer geschossen. Selbst wenn die Energieversorgung wiederhergestellt würde, kann sich die Invincible aus eigener Kraft nicht nennenswert bewegen.«

»Zwei Waffensysteme sind funktionstüchtig«, warf Major Dietz ein. »Partikelstrahl-Projektoren, die unseren Höllenspeeren ähnlich sind. Beide sind ohne Stromversorgung, und solange niemand die richtige Kontrollstation gefunden hat, sind sie zu nichts zu gebrauchen.«

»Und die Brücke ist ebenfalls unbrauchbar, richtig?«, vergewisserte Geary sich. »Richtig?«

»Richtig, Sir. Wir wissen noch immer nicht, was diese Stadionsitze im hinteren Teil der Brücke bezwecken sollen, aber keine der Kontrollstationen wird mit Energie versorgt. Es ist alles tot.« Dietz gab einen verärgerten Laut von sich, als sei er unglücklich darüber, dass er diese Formulierung verwendet hatte, wenn es ihnen allen so vorkam, als wären sie von Kik-Geistern umgeben.

»Und wo ist dann die Gefahr? Ich will nicht die Folgen für Sie verharmlosen, falls jemand das Schiff entern sollte, aber wie sollte derjenige die Invincible in seine Gewalt bringen? Sie müssten dann doch nichts weiter tun, als sie aufzuhalten, bis wir mit Verstärkungen eintreffen.«

Admiral Lagemann machte eine ausholende Geste. »Die Gefahr gilt dem wertvollsten Objekt der Menschheitsgeschichte. Was kann man unternehmen, um einen anderen davon abzuhalten, das Objekt zu benutzen, davon zu lernen und weitere Streitkräfte an Bord zu bringen, damit um die Kontrolle gerungen werden kann?«

Die Geister fühlten sich an, als wollten sie Geary bedrängen, während er auf die Antwort kam: »Man kann damit drohen, das Objekt zu zerstören.«

»Dieser Mann hat einen Preis verdient. Wenn die Syndiks Nuklearwaffen an Bord schaffen und zur Detonation bringen, dann können sie dieses Alien-Artefakt von unschätzbarem Wert in eine riesige gepanzerte Hülle verwandeln, die mit radioaktiver Schlacke gefüllt ist. Was sollten wir tun, um sie davon abzuhalten?«

Es gefiel ihm gar nicht, über die Kompromisse nachzudenken, die in dieser Situation erforderlich würden, vielleicht sogar bis dahin, die Invincible dem Gegner überlassen zu müssen, damit sie unversehrt blieb und man darauf hoffen konnte, sie irgendwie noch zurückzuerobern. »Meinen Sie, so was wird passieren?«

»Wir meinen«, betonte Major Dietz, »dass es die einzig machbare Methode ist, um uns die Kontrolle über das Schiff abzunehmen. Aber dazu müssten sie erst einmal meine Marines eliminieren, damit wir sie nicht länger an der Umsetzung ihres Plans hindern können.«

Geary zuckte gereizt mit den Schultern, als könnte er so die Geister abschütteln, von denen seine Sinne behaupteten, dass sie sich um ihn herum drängten. »Wollen Sie Verstärkung an Bord holen?«

»Verstärkung können wir nicht gebrauchen, Admiral«, erklärte Dietz. »Der gesicherte Bereich kann nicht noch mehr Leuten Platz bieten. Wir sind besser bedient, wenn wir eine kleine Streitmacht haben, die mit dem Schiff einigermaßen vertraut ist und da zuschlagen kann, wo die Angreifer am wenigsten damit rechnen.«

»Und wo würden sie am wenigsten damit rechnen?«, wollte Geary wissen.

»Wenn sie kommen, sind es Syndiks. Oder sie sind als Syndiks ausgebildet worden. Das heißt, bei der Planung eines Angriffs befolgen sie bestimmte Standardabläufe.«

Geary schüttelte den Kopf. »Selbst den Syndiks wird klar sein, dass die Decks auf diesem Schiff grundlegend anders angeordnet sind als auf jedem Schiff der Allianz.«

»Ja, Sir«, sagte Major Dietz und fuhr dann in einem für einen Marine sehr diplomatischen Tonfall fort: »Der Plan für die Deckverteilung spielt eine sehr wichtige Rolle. Er wird von jemandem beim Syndik-Oberkommando ausgearbeitet, nicht von jemandem, der sich vor Ort befindet. Sondern von den obersten CEOs in der Militärhierarchie der Syndiks.«

»Was bedeutet«, ergänzte Admiral Lagemann, »dass jede Übereinstimmung zwischen dem Plan und der Realität purer Zufall sein wird.«

»So läuft das meistens«, stimmte Geary ihm zu. »Planer, die ganz oben sitzen und vom Ort des Geschehens weit entfernt sind, gehen von irgendwelchen Standardannahmen aus, damit eine Eingreiftruppe an Bord eines Schiffs geht und versucht, die drei entscheidenden Bereiche zu finden. Ich muss sagen, es fällt mir schwer zu glauben, dass es ihnen gelingen könnte, das Schiff zu entern, ohne von uns bemerkt zu werden.«

»Es ist machbar, Sir«, sagte Major Dietz überzeugt, aber ohne einen Hauch von Prahlerei. »Wie ich bereits angedeutet habe, könnten sie komplett getarnt in der Nähe unserer Flugroute auf uns warten, sodass sie nur wenig Energie aufwenden müssten, um dieses Schiff abzufangen. Ich habe es bei ihren Schiffen gemacht, ich weiß, wovon ich rede, Admiral.«

»Verstehe. Dann sind Sie in der Angelegenheit qualifizierter als ich.« Die Gruppe hatte eine weitere temporäre Luftschleuse erreicht, die ihnen den Weg versperrte. »Was ist das?«

»Das ist der Zugang zur Pseudo-Maschinenkontrolle«, antwortete Admiral Lagemann.

»Sie haben eine Pseudo-Maschinenkontrolle konstruiert?«

Lagemann öffnete die Schleusentür und ging hindurch.

Geary stutzte, als ihm auffiel, dass es auf der anderen Seite keine saubere Atmosphäre gab. »Auch noch eine Pseudo-Luftschleuse?«

»Ja, natürlich.« Der Admiral machte eine ausholende Geste. »Wir glauben, dass das hier ein Bereich war, in dem sich die Kiks sportlich betätigt haben. Der Raum war größtenteils leer, ausgenommen Objekte, die von ihrer Größe her wie Sportgeräte für Kiks wirkten. General Carabali hat auf Bitten von Major Dietz zwei Persische Esel rübergeschickt.« Er deutete auf ein gedrungenes Objekt, das in der Mitte des Raums stand. »Hier ist einer. Hat man Sie davon in Kenntnis gesetzt, was die Esel machen, Admiral?«

»Ja, wir haben sie seinerzeit bei Heradao eingesetzt.« Geary näherte sich dem Objekt, das keinerlei Ähnlichkeit mit einem echten Esel aufwies. »Täuschausrüstung der Marines. Die Dinger können ein umfassendes Spektrum an Signalen und Signaturen verbreiten, mit dem sich praktisch alles simulieren lässt.«

Major Dietz nickte. »Von einem ausladenden Hauptquartier bis hin zu weit verstreuten gepanzerten Bodentruppen, die auf den Feind zumarschieren«, sagte er. »Die Esel sind nicht sehr groß, aber in ihnen stecken Scharen von kleinen Nebenbei-Attrappen, die ausschwärmen und alle nur denkbaren Signaturen aussenden können, um die Anwesenheit von Personal zu simulieren. Kommunikationen, Bruchstücke von Unterhaltungen, Infrarot-Signaturen, seismische Stöße, die Schritte oder in Bewegung befindliches Gerät imitieren, Geräusche von Waffen oder Systemen – was immer Sie wollen. Dieser spezielle Esel ist so eingestellt worden, dass er den Eindruck erweckt, als ob dieses Abteil mit Ausrüstung zur Maschinenkontrolle vollgestopft ist und als ob es hier von Personal wimmelt, das diese Ausrüstung bedient.«

»Schön«, lobte Geary zufrieden. »Und wo ist der andere Esel?«

»Ein Stück weit von hier entfernt in einem Bereich, der von den Syndik-Sensoren als Brücke identifiziert werden wird«, entgegnete Dietz und wirkte ein klein wenig von sich eingenommen.

Geary lächelte, auch wenn die Geister um ihn herum das Ganze mit Missbilligung zu betrachten schienen. »Eine Pseudo-Brücke, eine Pseudo-Maschinenkontrolle. Diese Esel werden jeden, der sich an Bord schleicht, in Bereiche des Schiffs locken, an denen nicht das Geringste zu finden ist, was von Bedeutung für die Kontrolle des Schiffes ist. Können Sie sie auch entdecken, wenn sie sich hierherbegeben?«

»Nicht so leicht, wenn sie voll getarnt sind«, sagte der Major. »Darum haben wir die Zugangswege mit Sensoren gepflastert, die uns melden, wenn hier jemand vorbeikommt. Mit dem, was wir haben, können wir nicht das gesamte Schiff abdecken, aber wir haben die beiden Bereiche im Blick, die als Köder dienen.«

»Sensoren lassen sich überlisten«, gab Geary zu bedenken, da er sich daran erinnerte, was er bei Marines im Einsatz schon alles beobachtet hatte. »Können die Syndik-Truppen Ihre Sensoren entdecken und ausschalten oder irgendwie in die Irre führen?«

Diesmal hörte sich Major Dietz eindeutig überheblich an. »Das können sie, Admiral. Aber wir haben einen Sergeant bei uns, die in ihrer Freizeit ein Technikgenie ist. Sie bastelt immer an irgendwas herum. Sergeant Lamarr hat Täuschsensoren für uns konstruiert.«

»Täuschsensoren? Also Attrappen?«

»Nein, Sir. Besser als Attrappen. Sie sehen aus wie ganz normale Sensoren eines bestimmten Typs. Von außen betrachtet sind es normale Sensoren, auch wenn man noch so genau hinsieht. Wenn sie aktiv sind, dann senden sie die gleichen Signale wie ein normaler Sensor. Aber im Inneren sind sie nicht so konstruiert, um das zu tun, was ein Sensor üblicherweise tut. Vielmehr sind sie so angelegt, dass sie alles registrieren, was man bei einem solchen Sensortyp tun kann, um ihn zu umgehen, zu täuschen oder abzuschalten, ohne dass jemand alarmiert wird.«

Geary hätte fast gelacht. »Sie registrieren nichts anderes als die Methoden, mit denen man Sensoren überlistet? Methoden, die normalerweise nicht zu registrieren sind?«

»Richtig, Sir. Eigentlich wird so was bei einem Sensor mit draufgepackt, was bedeutet, dass diese Fähigkeiten eingeschränkt sind, weil es sich um sekundäre Funktionen handelt. Aber bei einem Lamarr-Sensor ist die Aufdeckung von Manipulationen die primäre und einzige Funktion. Ein Lamarr-Sensor nimmt nichts wahr, es sei denn, jemand will ihn außer Gefecht setzen.«

»Es gibt allerdings ein Risiko dabei«, ergänzte Lagemann. »Wenn man einen Lamarr-Sensor an einer Luke anbringt, und jemand öffnet einfach die Luke, ohne auf den Sensor zu achten, dann bekommt man keine Warnmeldung. Aber wenn dieser Jemand den Sensor entdeckt und ihn seiner Meinung nach abschaltet, dann wissen wir, dass er da ist. Oh, genau genommen sind es zwei Risiken. Es handelt sich außerdem um nichtautorisierte und ungeprüfte Veränderungen an militäreigenen Ausrüstungsgegenständen. Das Flottenhauptquartier könnte uns dafür auf die Finger klopfen.«

Geary atmete schnaubend aus. »Sergeant Lamarrs Vorgesetzte haben diese Art von Sensor nicht genehmigt?«

»Alle Befehlshaber waren von ihrer Entwicklung angetan«, sagte der Major. »Aber als die Idee im Hauptquartier mit der dortigen Bürokratie in Berührung kam, wurde sie rundweg abgelehnt.«

»Soll man gar nicht für möglich halten, nicht wahr?«, fügte Admiral Lagemann ironisch an.

»Ich bin schockiert«, gab Geary im gleichen Ton zurück und musste dabei an die Probleme denken, die das Flottenhauptquartier ihm bereitet hatte. Sosehr er sich auf seine Heimkehr freute, so sehr fürchtete er sich davor, wieder mit dem Hauptquartier zu tun zu haben. »Als Flottenbefehlshaber autorisiere ich hiermit angesichts der besonderen Umstände offiziell einen Feldversuch der modifizierten Ausrüstung. Das liegt doch im Rahmen meiner Kompetenzen, oder?«

»Ich glaube schon, aber Sie müssen gar nicht den Zorn des Hauptquartiers auf sich lenken«, protestierte Lagemann. »Ich gehe an dem Tag in den Ruhestand, an dem wir wieder zu Hause sind, deshalb habe ich kein Problem damit, wenn man den Sensor mit meinem Namen in Verbindung bringt.«

»Ich glaube, man sollte den Sensor wohl eher mit Sergeant Lamarrs Namen in Verbindung bringen.«

»Das stimmt, und es ist auch völlig richtig. Auf jeden Fall ist die Invincible bereit«, sagte der Admiral und tätschelte liebevoll das nächstbeste Schott, »jedem Versuch zu trotzen, sie am Erreichen des Allianz-Gebiets zu hindern. Sie halten uns die Kriegsschiffe vom Hals, und sollten die Syndiks das Einzige versuchen, was funktionieren dürfte, und getarnt an Bord kommen, dann werden wir sie uns vornehmen.«

»Gute Arbeit. Wirklich gute Arbeit«, lobte Geary. Ihm war nie die Möglichkeit in den Sinn gekommen, dass jemand versuchen könnte, die Invincible zu entern. Allerdings hatte er auch nicht die Zeit gehabt, sich solche Gedanken zu machen, aber genau das war ja auch der Grund, aus dem ein Befehlshaber gute Untergebene benötigte. Hinzu kam, dass die Montage dieser Pseudo-Zentralen neben den routinemäßigen Patrouillengängen dafür gesorgt hatte, dass Major Dietz’ Marines beschäftigt waren und keine Langeweile aufkommen konnte. Zwei Dinge machen mir vor allem Sorgen, hatte einer von Gearys früheren Vorgesetzten einmal zu ihm gesagt. Zum einen sind es die großen Geister im Flottenhauptquartier und die Frage, was sie als Nächstes für eine gute Idee halten. Zum anderen sind es gelangweilte Marines und die Frage, was sie für eine gute Idee halten könnten.

Der Weg durch die Schwerelosigkeit zurück zum gesicherten Bereich an Bord der Invincible kam ihm viel länger vor als der Hinweg zum Pseudo-Kontrollzentrum. Da Admiral Lagemann und Major Dietz nun nichts mehr zu erzählen hatten, gab es für Geary keine Ablenkung von dem eigenartigen Gefühl, dass unsichtbare Wesen ihn umgaben. Er musste ständig gegen den Wunsch ankämpfen, sich umzudrehen und hinter sich zu schauen, obwohl sich immer wieder aufs Neue Gänsehaut auf seinem Rücken ausbreitete. Das Gefühl, nicht willkommen zu sein, ein unerwünschter Eindringling zu sein, schien die giftige Luft ringsum zu erfüllen. Wenn das die Auswirkung irgendwelcher Kik-Ausrüstung an Bord des Schiffs war, dann vermochten die Kiks wohl Dinge auszuhalten, die für Menschen auf Dauer unerträglich waren. Falls es sich um einen Abwehrmechanismus handelte, der Feinden die Freude an ihrer Eroberung nehmen sollte, dann erzielte er genau die gewünschte Wirkung.

Die Invincible war kein fröhliches Schiff. Üblicherweise bezog sich eine solche Formulierung auf die Moral der Besatzung. Aber hier schlugen sich die Matrosen und die Marines gut, und es war das Schiff selbst, das missgelaunt und ärgerlich wirkte. Shuttlepiloten ließen üblicherweise die Zugangsluken offen stehen, während sie auf die Rückkehr ihrer Passagiere warteten, weil sie die Zeit oft nutzten, um sich ein wenig die Beine zu vertreten und mit dem Personal an der Luftschleuse zu reden. Aber diesmal war der Pilot in seinem Shuttle geblieben und hatte die innere und die äußere Luke geschlossen, sodass Geary erst noch warten musste, bevor er in das Shuttle einsteigen konnte. Die Zeit bis dahin nutzte er für eine Unterhaltung mit dem Trupp Marines, die hier Wache hielten. Normalerweise wurde eine Luftschleuse von ein oder höchstens zwei Marines bewacht, doch nachdem Geary mit der Invincible nähere Bekanntschaft geschlossen hatte, wunderte er sich nicht über die große Zahl an Wachen.

»Etwas an der Luft in der Schleuse dieses Schiffs hat sich nicht so angefühlt, wie es sein sollte«, entschuldigte sich der Pilot über Interkom, nachdem Geary im Passagierabteil Platz genommen hatte.

»Haben Ihre Sensoren irgendwelche Verunreinigungen festgestellt?«, wollte Geary von dem Mann wissen, auch wenn er die Antwort bereits erahnte.

»Nein, Sir. Die Anzeigen waren alle in Ordnung. Aber es hat sich seltsam angefühlt«, wiederholte er. »Ich hielt es für das Beste, die Luken bis zu Ihrer Rückkehr geschlossen zu lassen.«

»Sie hatten keine Lust, sich auf einem Kriegsschiff einer nichtmenschlichen Spezies umzusehen?«, hakte Geary nach.

»Nein, Sir. Das heißt … eigentlich schon, Sir. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, und die Marines meinten auch, ich sollte mich eine Weile umschauen. Aber als ich dann vor der Luftschleuse stand, die ins Schiffsinnere führt, da … also … Es fühlte sich eigenartig an. Vor allem, weil diese Marines darauf beharrten, ich solle allein reingehen.«

Gelangweilte Marines. Eindeutig etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte.

Die Zahl der Personen in der Flotte, die den wahren Grund dafür kannten, wieso die Flotte noch für Wochen bei Midway bleiben würde, belief sich auf vier: Geary, Desjani, Rione und Charban. Die anhaltenden Reparaturarbeiten waren die ideale Rechtfertigung für den verlängerten Aufenthalt, doch die Rückmeldungen, die Geary von den untergebenen Offizieren erhielt, machten ihm deutlich, dass die Leute zunehmend rastlos wurden.

Diese Erkenntnis erfuhr kurz darauf eine beunruhigende Bestätigung durch einen Vorfall auf einem der Sturmtransporter.

Dr. Nasr wirkte erschöpft, aber das war schon seit einer Weile so. »Wir hatten einen Zwischenfall mit einem Marine, und ich wollte sicherstellen, dass Sie darüber informiert sind.«

»Corporal Ulanov«, erwiderte Geary. »General Carabali hat mir bereits davon erzählt. Ulanov hat eine Waffe an sich genommen und dann versucht, sein Truppenabteil in Stücke zu schießen. Aber das hat nicht geklappt, da sein Zugführer alle ihm zur Verfügung stehenden Waffen deaktiviert hatte.«

»Ja, genau. Corporal Ulanov.« Nasr starrte einen Moment lang vor sich hin, ehe er sich wieder auf Geary konzentrierte. »Ich dachte, es würde Sie interessieren, was die medizinische Untersuchung ergeben hat.«

Geary seufzte und hob hilflos die Hände. »Er hat zu viele Gefechte mitgemacht und möchte nach Hause.«

»Ja und nein.« Nasr lächelte ihn humorlos an. »Er will nach Hause. Aber der wahre Grund für seine versuchte Zerstörungsaktion ist der, dass Corporal Ulanov auch Angst davor hat, nach Hause zu kommen.«

»Angst?« Wenn eine Information so grundlegend von dem abwich, was man erwartete, dann dauerte es eine Weile, ehe man sie wirklich verarbeitet hatte. Geary stellte fest, dass er sich wiederholte. »Angst? Er hat Angst davor, nach Hause zu kommen?«

»Wir beobachten mehrere Fälle dieser Art, nur ist es bei Ulanov am schlimmsten«, ließ Nasr ihn wissen. »Admiral, was geschieht, wenn wir heimgekehrt sind? Was wird dann aus dem Schiff und aus diesen Marines?«

»Soweit ich weiß, werden sie weiter meinem Kommando unterstellt bleiben.«

»Aber vielleicht auch nicht.«

»Das kann sein, aber das weiß ich nicht.«

»Genau das ist das Problem«, redete Nasr weiter. »Sie wissen es nicht, ich weiß es nicht. Niemand weiß es. Corporal Ulanov hat seinem medizinischen Betreuer immer wieder gesagt, dass er Angst hat. Es dauerte eine Weile, bis sich herausstellte, dass sich Ulanov vor der Ungewissheit fürchtet. Es gefällt ihm, ein Marine zu sein. Er weiß, er kann ins Gefecht ziehen, auch wenn die körperliche und geistige Belastung dieser Gefechte bei ihm längst Schäden hinterlassen haben, die er aber nicht einsieht. Doch er befürchtet, wie eine Maschine ausgemustert zu werden, für die man keine Verwendung mehr hat. Er will schon nach Hause, aber er fürchtet sich auch davor, was aus ihm werden könnte, wenn er erst mal wieder zu Hause ist. Dieser innere Konflikt hat ihn ausrasten lassen.«

Geary sackte in sich zusammen, als er über Ulanov und die vielen anderen in der Flotte nachdachte, die alle von den gleichen Zukunftsängsten geplagt wurden. »Ich kann sie nach Hause bringen. Wir werden hier nicht mehr lange ausharren müssen. Aber ich kann nicht viel daran ändern, dass sie sich Sorgen wegen ihrer Zukunft machen. Ich kann ihnen keine Antworten liefern.«

»Sie können etwas für sie tun, Admiral. Sagen Sie den Leuten, dass Sie sich nach Kräften für ihr Wohlergehen einsetzen werden. Das mag Ihnen nicht als viel erscheinen, aber den Leuten wird es sehr viel bedeuten.« Nasr verzog einen Mundwinkel zu einem betrübten Lächeln. »Als Arzt neigt man leicht dazu, Menschen als eine Ansammlung von Körperteilen anzusehen, die entweder ordentlich funktionieren oder die ersetzt oder repariert werden müssen. Dabei vergisst man den Menschen selbst und konzentriert sich zu sehr auf die Bestandteile. Ich habe Befehlshaber erlebt, die einzelne Menschen nur als einen Teil des Organismus sehen, über den sie die Befehlsgewalt haben. Wenn ein Private fällt, wird er durch einen anderen Private ersetzt. Weiter nichts. Dabei fürchten wir uns doch alle davor, als ein austauschbarer, entbehrlicher Teil angesehen zu werden, nicht wahr?«

»Ja, das stimmt, Doctor, weil wir alle gesehen haben, wie so etwas anderen widerfährt, und weil wir manchmal merken konnten, wie es sogar uns selbst trifft. Also gut, ich werde mir überlegen, wie ich allen Leuten klarmachen kann, dass sie nach unserer Rückkehr nicht einfach ausgemustert und vergessen werden.«

Er wollte das Gespräch eben beenden, da redete der Doctor überraschend weiter.

»Haben Sie die Berichte von den Schiffen der Callas-Republik und der Rift-Föderation gesehen?«

Geary nickte. »Ich habe sie überflogen. Es scheint auf deren Schiffen keine Probleme zu geben. Ich weiß, sie wollen von dieser Flotte getrennt werden, sobald wir zurück sind. Ich werde tun, was ich kann, damit das auch geschieht.«

»Es scheint keine Probleme zu geben«, wiederholte Nasr. »Aber es gibt sie. Diese Männer und Frauen waren davon ausgegangen, nach Hause zurückkehren zu können, als der Krieg zu Ende war. Sie dachten, sie können sich auf den Weg zu ihrer Republik beziehungsweise ihrer Föderation begeben. Momentan sieht es nach außen so aus, als ob alles in Ordnung ist. Aber wissen Sie, dass ein Mensch seine Arbeit verrichten kann, ohne dass er irgendwelche Anzeichen für mögliche Probleme erkennen lässt, und dann auf einmal bricht er unter dem verborgenen Stress zusammen? Das beschreibt den Zustand dieser Schiffsbesatzungen. Behalten Sie auch sie gut im Auge, Admiral.«

»Das werde ich machen, Doctor.« Nach dem Gespräch mit Nasr saß er eine Weile da und dachte nach. Ich kann wegen der Schiffe der Callas-Republik und der Rift-Föderation nichts weiter tun, und ich habe schon alle Dienstvorgesetzten gewarnt, sie sollen ihre Leute aufmerksam beobachten und jeden einer Bewertung unterziehen lassen, der ihnen auffällig erscheint. Ich muss den Vorgesetzen die Arbeit wohl irgendwie erleichtern.

Er setzte sich gerader hin und straffte die Schultern, dann betätigte er die Aufnahmetaste seiner Komm-Einheit. »Hier spricht Admiral Geary. Ich möchte Sie alle über die aktuelle Situation auf dem Laufenden halten. Wir werden in Kürze Midway verlassen und die Heimreise antreten. Zu Hause angekommen, werden wir erst einmal für längere Zeit dort bleiben, denn auch wenn Sie alle Erstaunliches bei der Reparatur unserer Schiffe geleistet haben, wird diese Flotte erst einmal eine Weile in den Docks bei Varandal bleiben müssen, um alle erlittenen Schäden zu beheben.«

Wie formuliere ich den Rest?

»Ich möchte die Gelegenheit nutzen und Ihnen allen sagen, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, damit Sie nach unserer Heimkehr so behandelt werden, wie Sie es nach Ihrem Dienst für die Allianz verdienen.«

Das genügt nicht. Natürlich werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, das fällt schließlich in meine Verantwortung. Aber ich kann keine Versprechen machen, dass nach unserer Rückkehr niemand mit irgendeinem Problem konfrontiert werden wird. Was kann ich noch sagen, damit sie wissen, dass ich sie nicht im Stich lassen werde?

Ach, verdammt, warum nicht einfach so?

»Wir haben im Gebiet der Aliens niemanden allein zurückgelassen, und das wird auch nicht passieren, wenn wir wieder zu Hause sind.«

Er beendete die Aufnahme, dann rief er die Brücke. »Tanya, könnten Sie sich etwas für mich ansehen?«

»Sie meinen, weil ich weiter nichts zu tun habe, als einen Schlachtkreuzer und seine Crew im Auge zu behalten?«, gab Desjani zurück.

»Es dauert auch nicht lange«, versprach er ihr.

»Wow, den Spruch hab ich ja noch nie gehört. Na gut, Admiral, ich werde das erledigen. Werden Sie bald wieder auf die Brücke kommen?«, fügte sie nachdrücklich hinzu.

Er sah auf die Uhr. »Es wird noch ein bisschen dauern. Es gibt doch keinen Grund zur Eile, oder?«

»Nein, natürlich nicht«, versicherte ihm Desjani.

Keiner von ihnen wusste genau, wann sich etwas ereignen würde. Es gab einfach zu viele Unwägbarkeiten, was die Reisezeiten innerhalb der anderen Sternensysteme anging, die von einem bestimmten Schiff durchquert werden mussten.

Aber irgendwann innerhalb der nächsten zwölf Stunden würde der von General Drakons Repräsentanten vorgeschlagene Plan entweder zum Erfolg oder zum Fehlschlag führen.

Geary unternahm auf dem Weg zur Brücke demonstrativ einen Rundgang durch die Dauntless, wobei er immer wieder stehen blieb, um mit Crewmitgliedern zu reden. Die meisten von ihnen wollten sinngemäß wissen, wann die Flotte denn nun aufbrechen würde, und Geary erwiderte sinngemäß, dass das bald so weit sein würde.

Auf der Brücke nickte Desjani ihm zu und zeigte auf ihr Display. »Gute Ansprache, Admiral. Wollen Sie sie senden?«

»Haben Sie keinen Vorschlag, was ich noch verbessern könnte?«, wollte er wissen, während er in seinem Sessel Platz nahm und sein eigenes Display aktivierte, das ihm die momentane Situation im Sternensystem anzeigte.

»Nein. Das ist einer von diesen Momenten, da sind die von Herzen kommenden Worte am besten, wenn sie nicht erst noch bearbeitet worden sind.«

»Dann senden Sie es bitte an die Flotte, Captain.«

»Wird erledigt, Admiral.«

»Irgendwas Neues von CEO Boyens?«

Sie reagierte mit einer beiläufigen Geste. »Nur eine weitere Beschwerde, weil wir provozierende Manöver geflogen sein sollen. Er scheint sich bedroht zu fühlen, weil Sie so viele Kriegsschiffe in einen Orbit gebracht haben, der nur zehn Lichtminuten vom Hypernet-Portal entfernt ist.«

»Und nur acht Lichtminuten von seiner Flotte«, ergänzte Geary. »Haben wir unsere Standardantwort geschickt, dass die Behörden von Midway uns volle Bewegungsfreiheit im gesamten System gewähren?«

»Das müssen Sie unsere Gesandten fragen«, gab Desjani zurück und klang auf einmal herablassend.

»Das werde ich tun«, sagte Geary. Seine Verärgerung über Boyens hatte sich seit ihrer Ankunft im System zunehmend vertieft. Der Syndik-CEO schickte immer wieder Mitteilungen, bei denen es angeblich um Unterhandlungen ging, doch jedes Mal entpuppten sich die Benachrichtigungen als kaum verhüllter Spott über Gearys Unvermögen, Boyens aus diesem Sternensystem zu vertreiben.

Aber während die Syndik-Flotte stur auf ihrer Position nahe dem Hypernet-Portal geblieben war, hatte die Präsenz der Allianz in der Nähe des Portals immer wieder Zuwachs bekommen und belief sich inzwischen auf sieben Schlachtschiffe und elf Schlachtkreuzer, dazu Dutzende Schwere und Leichte Kreuzer sowie achtzig Zerstörer. Nur wenige dieser Kriegsschiffe waren in tadellosem Zustand, aber bei allen waren Antrieb, Schilde und Waffen voll funktionstüchtig, sodass sie in der Lage waren, sofort zum Angriff überzugehen, sollte das erforderlich werden.

Geary hatte diesen Schiffen die Bezeichnung »Formation Alpha« gegeben und sie so angeordnet, dass sie wie eine einzige riesige Faust auf Boyens’ Syndik-Flotte ausgerichtet waren.

Als die Allianz-Schiffe ihre Positionen einnahmen, hatte Kommodor Marphissa ihre verbliebenen Kriegsschiffe der Midway-Flotte ein Stück weit verlegt, sodass sie nicht nur jede Bewegung der Syndiks in Richtung des Sterns unmöglich machten, sondern den Gegner in seiner Mobilität weiter einschränkten, indem die direkte Route zum nächsten Sprungpunkt bedroht wurde.

»Er muss wissen, was wir hier machen«, merkte Desjani an, deren Haltung und Tonfall zu jemandem passte, der nicht damit rechnete, dass heute noch etwas passieren würde, nachdem gestern und vorgestern schon nichts geschehen war. »Boyens ist nicht dumm, auch wenn es sich bei ihm nur um einen Syndik-CEO handelt.«

»Er glaubt, wir wollen ihn mit Drohgebärden bluffen, damit er von hier verschwindet«, sagte Geary.

»Ist das denn nicht genau das, was wir hier machen?«, fragte sie mit gespielter Ahnungslosigkeit.

Er hätte unweigerlich zu prusten begonnen, hätte er soeben etwas getrunken. Zum Glück erledigte sich gleich darauf die Notwendigkeit einer Antwort.

»Ein weiteres Schiff ist durch das Portal gekommen«, meldete Lieutenant Castries, deren Stimme etwas höher wurde, als ihr die Identität des Neuankömmlings klar wurde. »Das ist der Schwere Kreuzer von Midway, der den anderen Kreuzer durch den Sprungpunkt Richtung Kane begleitet hat.«

»Er ist durch das Portal zurückgekommen?«, rief Lieutenant Yuon. »Das ist aber nicht …«

»Nicht besonders helle«, sagte Desjani, die immer noch ruhig und gefasst war. »Sie werden wohl gedacht haben, dass die Syndik-Flotte inzwischen das System verlassen hat. Sehen Sie mal, sie drehen bei und nehmen Kurs auf den Rest der Midway-Flotte.«

»Aber sehr langsam«, stellte Lieutenant Castries fest. »Captain, unsere Sensoren schätzen, dass der Schwere Kreuzer eine Hauptantriebseinheit verloren hat. Schäden lassen sich nicht erkennen, das heißt, es könnte Ausrüstung ausgefallen sein.«

»Syndik-Schiffe verfügen über erheblich weniger Bestände, um Reparaturen aus eigener Kraft durchzuführen«, gab Desjani zu bedenken.

»Der Kreuzer ist in Schwierigkeiten«, meldete Lieutenant Yuon. »Die Steuersysteme schätzen bei der momentanen Geschwindigkeit, dass es den Syndiks gelingen könnte, den Kreuzer zu erreichen, bevor die Midway-Flotte ihm zu Hilfe eilen kann.«

»Lieutenant, Sie klingen besorgt«, sagte Desjani. »Wie kommt das?«

»Ich …«, begann sie und beschrieb eine hilflose Geste. »Es kommt mir einfach so vor, als wären sie auf unserer Seite, Captain. Auch wenn es ein Syndik-Kreuzer ist. Beziehungsweise gewesen ist.«

»Das ist kein Syndik-Kreuzer mehr«, stimmte Geary ihr zu. »Die Syndiks haben ihn gebaut, aber er gehört ihnen nicht mehr. Und die Kreuzer, die nach wie vor den Syndik-Behörden unterstehen, haben die Verfolgung dieses Schiffs aufgenommen.« Dafür musste er nicht die Schlussfolgerungen des Steuersystems abfragen. Allein die Bewegungen der Syndik-Schiffe und -Jäger, die sich aus der Formation um das Schlachtschiff lösten, machten deutlich, dass sie mindestens eine halbe Stunde eher in Feuerreichweite sein würden als der Rest der Midway-Flotte.

Geary betätigte seine Komm-Kontrollen. »Alle Einheiten der Formation Alpha in Gefechtsbereitschaft gehen.«

Er spürte die erschrockenen Blicke der übrigen Brückencrew, und sogar Desjani täuschte Erstaunen vor. Doch im Gegensatz zu ihr wussten die anderen nicht, warum er diesen Befehl erteilt hatte. Noch nicht. Noch können wir die Katze nicht aus dem Sack lassen.

»Volle Gefechtsbereitschaft«, befahl Desjani ihren Wachhabenden. Sirenen ertönten und forderten die gesamte Crew auf, in Aktion zu treten.

Unterdessen beobachtete Geary die Bewegungen der anderen Schiffe und wartete auf den richtigen Zeitpunkt für seine nächste Mitteilung. »Captain Desjani, wie ich sehe, wollen die Kreuzer und Jäger der Syndiks den neu eingetroffenen Midway-Kreuzer abfangen. In acht Minuten werden sie sich in Feuerreichweite zu ihrem Ziel befinden.«

»So besagen es unsere Gefechtssysteme«, bestätigte Desjani.

»Stellen Sie eine Verbindung zum Syndik-Flaggschiff her.«

Das Syndik-Schlachtschiff mit CEO Boyens an Bord war acht Lichtminuten von der Dauntless entfernt. Der Abstand der Schweren Kreuzer und Jäger zum Schlachtschiff betrug fast genau eine Lichtminute, während sie sich von oben rasch dem vor ihnen davonfliegenden Midway-Kreuzer näherten. Die Midway-Flotte hatte sich zwar in Bewegung gesetzt, aber sie hinkte den Syndiks um etliche Lichtminuten hinterher, die ihren auf sich allein gestellten Kameraden angreifen wollten.

Jetzt, dachte Geary und betätigte die Kontrolle, die die Verbindung zu CEO Boyens herstellen würde. Er hatte einen verdutzten und wütenden Gesichtsausdruck aufgesetzt, und die gleiche Kombination aus Gefühlsregungen schwang nun auch in seiner Stimme mit. »CEO Boyens, hier spricht Admiral Geary von der ersten Flotte der Allianz. Sie haben Einheiten auf den Weg geschickt, um ein Schiff abzufangen, das von der Regierung der Allianz gechartert wurde und in deren Diensten steht. Sie werden hiermit aufgefordert, alle gegen ein unter der Flagge der Allianz fliegendes Schiff gerichteten Absichten sofort abzubrechen und Ihre Einheiten unverzüglich zurückzuziehen. Geary Ende.« Er verzichtete absichtlich auf die formale Verabschiedung, um der Aufforderung einen barscheren Tonfall zu verleihen.

Die Brückencrew warf ihm erneut erstaunte Blicke zu, doch dann betraten die Gesandten Rione und Charban die Brücke und lenkten alle Aufmerksamkeit auf sich.

»Admiral«, sagte Rione scheinbar ungläubig. »Wir haben dieses Schiff für Zwecke der Allianz-Regierung gechartert. Warum wird es von Kriegsschiffen der Syndikatwelten verfolgt?«

»Ich weiß es nicht, Madam Gesandte«, erwiderte Geary. »Ich habe die Syndiks vom Status dieses Schiffs in Kenntnis gesetzt und sie zum Rückzug aufgefordert.«

Desjani tat abermals so, als fühle sie sich von den Ereignissen überrollt. »Wir haben diesen Midway-Kreuzer gechartert? Wir, die Allianz-Regierung?«

»Das ist korrekt«, sagte Charban. »Wir fanden, es ist im Interesse der Allianz, wenn wir gute Beziehungen zur Heimatwelt dieses Schweren Kreuzers unterhalten.«

»Aber wenn er unter Allianz-Flagge unterwegs ist, dann zählt er in dieser Zeit als Allianz-Eigentum. Wenn die Syndiks ihn angreifen …«

»Dann attackieren sie ein Allianz-Schiff«, ging Geary dazwischen. »An alle Einheiten der Formation Alpha: Beschleunigen Sie sofort auf 0,2 Licht, drehen Sie drei zwei Grad nach Steuerbord und null sechs Grad nach oben.«

»Sie werden eingreifen müssen, wenn die das Allianz-Schiff angreifen«, pflichtete Rione ihm bei und klang so überzeugend erbost, dass niemand Verdacht schöpfen konnte, dass das Ganze längst besprochen war.

Den Zeitpunkt für seine Nachricht an Boyens hatte er so genau gewählt, wie es nur ging. Die Schweren Kreuzer und die Jäger waren zweifellos mit dem Befehl losgeschickt worden, den einzelnen Midway-Kreuzer anzugreifen. Nachdem Boyens zuvor schon einmal bloßgestellt worden war, würde er diesmal nicht wollen, dass ihm seine Beute schon wieder entkam. Sie würden angreifen, wenn Boyens seinen Befehl nicht widerrief. Aber Geary hatte seine Nachricht so gesendet, dass sie eintraf, bevor die Syndiks das Feuer eröffneten, aber so spät bei Boyens einging, dass der seinen Schiffen nicht mehr rechtzeitig den Rückzugsbefehl zukommen lassen konnte. Es war alles nur eine Frage der Geometrie. Die drei Seiten des Kommunikationsdreiecks ergaben zusammen weniger Zeit, als Boyens mindestens benötigte.

CEO Boyens würde das ungefähr … jetzt begreifen, überlegte Geary und musste lächeln, als er sich vorstellte, wie der Syndik-CEO machtlos mitansehen musste, wie die Falle zuschnappte.

»Die Schweren Kreuzer der Syndiks haben Raketen abgefeuert!«, meldete Lieutenant Castries, gleichzeitig wurden ihre Worte vom Alarm der Gefechtssysteme der Dauntless untermalt.

»CEO Boyens muss Ihre Aufforderung erhalten haben, bevor diese Schiffe das Feuer eröffnet haben«, erklärte Desjani, die wusste, dass diese Aussage in den offiziellen Aufzeichnungen enthalten sein würde.

»Richtig«, bekräftigte Geary. »Wir müssen davon ausgehen, dass er vorsätzlich ein Schiff der Allianz angegriffen hat, und wir müssen sicherstellen, dass wir den Syndiks eine solche Aggression nicht durchgehen lassen.« Er tippte wieder auf seine Komm-Kontrollen, diesmal war seine Verärgerung nur vorgetäuscht. »CEO Boyens! Ihre Streitkräfte haben auf das Schiff gefeuert, nachdem Sie davon in Kenntnis gesetzt worden sind, dass es unter der Flagge der Allianz fliegt! Das ist ein feindseliger Akt und eine eindeutige Verletzung des Friedensvertrags, der von den Syndikatwelten unterzeichnet wurde. Den Vereinbarungen dieses Vertrags entsprechend bin ich autorisiert, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Bürger und Eigentum der Allianz zu beschützen. Ich werde das machen, indem ich jede Gefahr für die Allianz in diesem System eliminiere! Geary Ende!«

Um CEO Boyens das Leben noch schwerer zu machen, erwachte die scheinbar ausgefallene Hauptantriebseinheit des einzelnen Midway-Kreuzers auf einmal zum Leben, woraufhin das Kriegsschiff massiv beschleunigte. »Das«, stellte Desjani fest, »wird den Raketen der Syndiks einige Schwierigkeiten bereiten, die ja bei ihrem Start von einer ganz anderen Maximalgeschwindigkeit des Schweren Kreuzers ausgegangen sind.«

»Trotzdem werden sie von zwei Dutzend Raketen verfolgt«, betonte Geary.

»Das werden sie schon schaffen«, sagte sie und beobachtete ihr Display. »Vorausgesetzt, sie hören auf Captain Bradamont. Sie ist doch an Bord dieses Schweren Kreuzers, oder?«

»Ja.« Es war problematisch gewesen, Bradamont auf den Schweren Kreuzer zu bringen, ohne dass jemand auf diesen Transfer aufmerksam wurde. Aber wenigstens ließen sich mit einer Fülle von routinemäßigen Abläufen auch viele Aktivitäten tarnen, die nicht zur Routine gehörten. »Ihre Anwesenheit auf dem Schweren Kreuzer belegt, dass das Schiff eindeutig und rechtmäßig vorläufiges Eigentum der Allianz ist. Die Behörden auf Midway«, fügte Geary an, »haben außerdem einem Kapitan-Lieutenant Kontos das Kommando über den Kreuzer übertragen, während er die Flagge der Allianz führt.«

»Kontos?«, gab sie zurück. »Kennen wir ihn?«

»Er ist derjenige, der die Idee hatte, das Schlachtschiff mit der Anlage der mobilen Streitkräfte zu vertäuen, damit es die Anlage aus der Flugbahn des Enigma-Bombardements ziehen konnte.«

»Ach, er«, sagte sie und lächelte verstehend. »Und jetzt kann uns Captain Bradamont detaillierte Berichte über diesen Kapitan-Lieutenant liefern, der so ein schneller und innovativer Denker ist?«

»Ganz genau«, bestätigte Geary.

»Gut gemacht, Admiral.« Sie betätigte ihre Waffenkontrollen. »In fünfundvierzig Minuten werden wir in Reichweite kommen, sofern wir weiter mit 0,2 Licht fliegen.«

Geary nickte und sah auf sein eigenes Display. Was soll ich machen, wenn Boyens nicht die Flucht ergreift, sondern sich uns in den Weg stellt? Ich muss dieses Schlachtschiff angreifen und die begleitenden Schweren und Leichten Kreuzer sowie die Jäger ausschalten. Das wird ein Massaker werden, aber sie können immer noch einige von meinen Schiffen beschädigen. Wenn ich heimkehre, wird es schwieriger sein, die Auslöschung einer Syndik-Flotte zu erklären, als wenn ich nur zu berichten habe, dass wir sie aus dem System verscheucht haben.

Boyens blieb nur ein kleines Zeitfenster, um zu reagieren. Schlachtschiffe waren hinsichtlich Feuerkraft und Panzerung deutlich überlegen, nicht jedoch, wenn es ums Beschleunigen ging. Wenn Boyens dem Vergeltungsschlag der Allianz entkommen wollte, dann musste er schon bald Kurs auf das Hypernet-Portal nehmen.

»Das Portal ist seine einzige Option«, merkte Desjani an. »Wenn er Kurs auf den einzigen Sprungpunkt nimmt, den er erreichen könnte, ohne uns in die Quere zu kommen, dann sieht er sich mit der Midway-Flotte konfrontiert.«

»Das nenne ich doch mal einen glücklichen Zufall«, sagte Geary.

»Wir müssen weiter auf ihn zuhalten«, fügte sie leise an. »Boyens wird nicht durch das Portal fliehen, wenn er den Eindruck bekommt, wir könnten den Angriff abbrechen. Wir müssen unsere Geschwindigkeit beibehalten, bis er sich zurückzieht. Wenn wir in irgendeiner Weise ein Zögern erkennen lassen, wird er das Portal nicht benutzen, und dann müssen wir ihn zerstören.«

»Ja, Sie haben recht.« Er hatte versucht, den Zeitpunkt zu berechnen, an dem seine Flotte den Angriff abbrechen konnte, doch Desjanis Einschätzung war völlig richtig. »Er wird so lange wie möglich warten, um zu sehen, ob wir tatsächlich das Feuer eröffnen.«

»Sie können sich schon mal darauf gefasst machen, das Feuer zu eröffnen«, meinte Desjani.

»Ich hoffe, in dem Punkt haben Sie nicht recht.«

Aber die Minuten verstrichen, und Boyens’ Flaggschiff bewegte sich nicht aus seinem Orbit. Geary überprüfte die Anzeigen der Gefechtssysteme und sah, wie die Abstandsanzeige kontinuierlich nach unten korrigiert wurde, je näher sie der Feuerreichweite der vordersten Allianz-Kriegsschiffe kamen. Eine Anzeige für die Phantome, eine für die Höllenspeer-Partikelstrahlen, eine dritte für die Kartätschen, die erst bei geringer Entfernung zum Einsatz kamen, und schließlich die Zeitanzeige für die Nullfeld-Generatoren, die sich an Bord der Schlachtkreuzer und der Schlachtschiffe der Allianz befanden und nur in unmittelbarer Nähe zum Zielobjekt Wirkung erzielten.

Desjani schüttelte den Kopf. »Wenn er sich in den nächsten fünf Minuten nicht in Bewegung setzt, dann holen wir ihn ein, bevor er das Portal erreichen kann.«

Rione, die auf der anderen Seite Gearys stand, fragte sich: »Warum hat CEO Boyens bislang nicht versucht, mit uns zu reden? Warum wirft er uns nicht vor, dass wir ihm eine Falle gestellt haben? Warm versucht er nicht, sich zu entschuldigen? Ah, ich weiß.«

»Werden Sie mich in Ihre Erkenntnisse einweihen?«, fragte Geary.

»Gewiss, Admiral.« Rione hielt ihre Hand mit der Innenfläche nach oben. »Syndik-CEOs bewahren ihre Macht, indem sie Angst verbreiten. Untergebene wissen, sie können sich nicht mit ihren CEOs anlegen. Aber wenn ein CEO Schwäche zeigt, dann sehen seine Untergebenen in ihm eine verletzte Beute.«

»Und eine Entschuldigung oder irgendein anderer Versuch, unseren Angriff aufzuhalten, würde Boyens schwach erscheinen lassen.«

»Extrem schwach, und außerdem sehr dumm.« Rione ballte die Faust. »Er weiß, wir haben ihn reingelegt. Und wenn er zugibt, dass er in eine Falle gelaufen ist, dann unterschreibt er damit sein eigenes Todesurteil.«

»Glauben Sie, er wird den Kampf suchen?«

»Das wäre Selbstmord.« Sie machte eine vage Geste. »Aber der Preis des Versagens wird für ihn sehr hoch ausfallen, und seine Verärgerung darüber, dass er sich schon wieder blamiert hat, könnte ihn dazu treiben, sich in einen aussichtslosen Kampf zu stürzen. Ich weiß es nicht.«

»Noch zwei Minuten«, warf Desjani ein. »Innerhalb der nächsten dreißig Sekunden müssen wir sehen, wie die Syndik-Schiffe ihre Steuerdüsen zünden, um sich zum Portal hin auszurichten.«

Dreißig Sekunden, in denen sich zeigen würde, ob der geschickte Plan, den sich die Herrscher von Midway ausgedacht hatten, zu einem Schlag ins Wasser werden würde oder nicht. Auf dem Planeten, der viele Lichtstunden vom Hypernet-Portal entfernt war, würden Präsidentin Iceni und General Drakon das Resultat erst zu sehen bekommen, wenn hier längst alles vorüber war.

Dreißig Sekunden, um sich zu fragen, was die beiden wohl denken würden, wenn sie später sahen, wie die Zeit verrann.

CEO Boyens musste vor Wut und Frustration außer sich sein, da er wusste, dass er in eine Falle gelaufen war und von seinen Vorgesetzten für sein Scheitern bestraft werden würde. Sollte er jedoch dieses Schlachtschiff verlieren, dann würde man ihn ganz sicher mit dem Tod bestrafen.

Dreißig Sekunden, um sich zu fragen, wie Boyens sich entscheiden würde.

Zehn Sekunden.

Fünf.

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