Elf

»Sagen Sie den Syndiks, dass wir den Bereich des Gefangenenlagers zweimal überfliegen werden«, wandte sich Geary an Rione, »weil wir die Shuttles zweimal losschicken müssen, um alle Gefangenen raufzuholen.«

Der Orbit der Flotte war mit großer Sorgfalt so berechnet worden, dass die Planetenoberfläche bei jeder Umkreisung ein Stück weit zur Seite rückte. Beim ersten Vorüberflug würde sich die Flotte unmittelbar westlich des Gefangenenlagers befinden. Die Syndik-Displays, die aufgrund dieser Daten die weitere Flugbahn der Flotte berechnen sollten, würden das Resultat liefern, dass die Allianz-Schiffe bei der nächsten Umkreisung genau über das Lager hinwegfliegen würden.

Die verschiedenen geöffneten Fenster neben Gearys Platz auf der Brücke der Dauntless zeigten Captain Armus von der Colossus und Captain Jane Geary von der Dreadnaught. »Sie haben jetzt Ihre anfänglichen Steuerbefehle, Captain Armus. Sobald sich Ihr Teil der Schlachtschiff-Streitmacht abgetrennt hat, will ich, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, um die Marines auf dem Planeten zu unterstützen. Dabei ist mir egal, wie viel von der umgebenden Landschaft Sie dabei in Trümmer schießen.«

Armus nickte ungerührt. Eine Mission, mit der er den Marines Feuerschutz geben sollte, war ganz nach seinem Geschmack.

»Captain Geary«, redete er weiter, »Ihre Rolle in dieser Streitmacht dient dem Zweck, diese vier Syndik-Gruppen von Armus’ Einheiten und von den Shuttles fernzuhalten, die runterfliegen, um die Marines abzuholen. Schätzen Sie die Reaktionen der Syndiks so ein, dass Sie immer vor ihnen dort sind, egal, wo die hinwollen. Deren Feuerkraft reicht nicht, um es mit Ihren Schiffen aufzunehmen, und falls sie es doch versuchen, haben Sie meine Erlaubnis, sie in Stücke zu schießen.«

»Das wird mir ein Vergnügen sein, Admiral«, erwiderte Jane Geary. Wenn es jemanden gab, der Schlachtschiffe in einer aktiven Verteidigungsrolle einzusetzen verstand, dann sie.

Desjani, die neben dem Admiral saß, versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie unzufrieden sie war, weil die Schlachtkreuzer eine unbedeutendere Rolle spielen sollten. Die Orion war zerstört worden. Die Relentless, die Reprisal, die Superb und die Splendid waren mit der Invincible vertäut und schleppten das Superschlachtschiff nicht nur ab, sondern schirmten es auch vor Angreifern ab. Damit standen Geary noch achtzehn Schlachtschiffe zur Verfügung, von denen viele bei den Kämpfen mit den Enigmas, den Kiks und den Syndiks erhebliche Schäden erlitten hatten. Hinzu kam die Tatsache, dass sie hinsichtlich der Manövrierfähigkeit und Schnelligkeit anderen Kriegsschiffen unterlegen waren. Dafür waren sie allesamt wuchtige Konstruktionen mit massiver Panzerung und einem Waffenarsenal, dem jeder Gegner eine deutlich überlegene Feuerkraft entgegensetzen musste, wenn er sie im Gefecht besiegen wollte.

Armus verfügte über die Colossus, Encroach, Amazon, Spartan, Gallant, Indomitable, Glorious und die Magnificent, während Jane Geary neben der Dreadnaught auch das Oberkommando über die Schiffe Dependable, Conqueror, Warspite, Vengeance, Revenge, Guardian, Fearless, Resolution und Redoubtable hatte.

Die Bilder der beiden Befehlshaber verschwanden, und Geary rief Carabali. »Sind Ihre Leute bereit zum Einsatz, General?«

Carabali salutierte förmlich. »Ja, Admiral. Neunundzwanzig Marines und eine Flotteningenieurin. Commander Hopper hat einen Schnellkurs im Umgang mit einer Tarnrüstung und im Verhalten bei der Erstürmung von planetaren Anlagen erhalten. Sie hat eine Notfallerlaubnis bekommen, dass sie für diesen Einsatz qualifiziert ist.«

Die Aussage, dass die Marine Scouts nicht sonderlich erfreut darüber waren, dass man einer Flotteningenieurin die Teilnahme an ihrem Einsatz gestattet hätte, wäre eine maßlose Untertreibung gewesen. Geary hätte fast schwören können, dass er den empörten Protest der Marines durch die Luftleere des Alls noch auf der Dauntless gehört hatte. Aber letztlich hatten sie zugeben müssen, dass nicht einer von ihnen auch nur einen Bruchteil von Hoppers Fachwissen und Erfahrung besaß, um der Herausforderung begegnen zu können, die der Auslöser für sie darstellte. Außerdem hatte Hopper die Anforderungen erfüllt, die der Simulator an sie gestellt hatte.

»Lassen Sie Ihre Leute plangemäß starten«, befahl Geary. Dann lehnte er sich zurück und versuchte sich zu entspannen, während er sein Display studierte. Die Kugel, die die bewohnte Welt in diesem System darstellte, kam allmählich wieder näher. Die Flotte hatte für die Operation wie auch für das Einschwenken in einen Orbit um den Planeten ihre Geschwindigkeit drastisch verringert. Damit hatten die Marines nach ihrem Start etwas weniger als zwei Stunden Zeit, um die Planetenoberfläche zu erreichen, sich zu ihrem Zielobjekt zu begeben, einzudringen und den Auslöser zu sichern, bevor die Flotte ein zweites Mal den Planeten umkreiste und dabei genau über das Gefangenenlager hinwegflog, unter dem eine Waffe von unvergleichlicher Zerstörungskraft lauerte.

»Tanya, ich möchte, dass Sie sich in Bereitschaft halten.«

Sie horchte auf und sah ihn an. »Wofür?«

»Für alle Fälle. Und für eine günstige Gelegenheit, falls sich eine bieten sollte. Ich werde die Schlachtkreuzer in Divisionen aus dem Verband lösen, damit sie sich diese Syndik-Kriegsschiffe vornehmen, die uns einfach nicht in Ruhe lassen wollen.«

»Damit bleiben nur noch die Eskortschiffe und die mit der Invincible vertäuten vier Schlachtschiffe übrig, um sie, die Sturmtransporter und die Hilfsschiffe zu beschützen«, machte sie ihm klar.

»Das hängt im Einzelfall von der Situation ab«, erwiderte Geary. »Außerdem lasse ich die Adroit als letzte Verteidigungslinie bei der Formation. Halten Sie sich auf jeden Fall bereit, sofort zum Angriff überzugehen, sobald ich den Befehl gebe.«

Desjani grinste ihn wölfisch an. »Dazu bin ich doch immer bereit. Oder ist Ihnen das noch nicht aufgefallen?«

Geary lächelte sie an, dann rief er Captain Tulev auf der Leviathan, Captain Badaya auf der Illustrious und Captain Duellos auf der Inspire, um ihnen die gleiche Warnung zu übersenden.

Die vier Gruppen aus Syndik-Kriegsschiffen waren bis auf wenige Lichtsekunden herangekommen, um die Allianz-Schiffe zu ärgern und die Flotte auf diese Weise dazu zu zwingen, ihre dicht geschlossene Formation beizubehalten. Als Geary das Treiben beobachtete, musste er unwillkürlich lächeln. Nicht mehr lange, und ihr müsst auf uns reagieren. Dann bekommen wir vielleicht endlich die Gelegenheit, euch in die Zange zu nehmen.

Ein leises Signal machte Geary darauf aufmerksam, dass die Marine Scouts von verschiedenen Sturmtransportern zum Start angesetzt hatten. Dabei wurden sie über spezielle Rutschen ausgestoßen, ohne dass Energie oder irgendeine Art von Beschleunigern zum Einsatz kam, die von womöglich wachsamen Syndiks beobachtet und als Zeichen dafür gedeutet werden konnte, dass irgendetwas Ungewöhnliches geschah.

Sein Blick kehrte zurück zu dem Planeten unter ihnen, dessen Nordpol sich derzeit rechts hinter der Flotte befand, während der Südpol links vor ihnen lag. Die Stadt, in der das Kommando- und Kontrollzentrum der Syndiks untergebracht und der Zünder für die Weltuntergangswaffe versteckt war, zog rechts unten an ihnen vorbei. Am Horizont kam soeben das Gefangenenlager ein wenig links von Geary in Sichtweite. Auf dem Planeten selbst lagen Lager und Zünder weit voneinander entfernt, doch von hier oben konnte man sie beide gleichzeitig sehen.

Die Marines rasten unterdessen in ihren Schutzanzügen auf die Erde zu. Die Spezialmonturen sorgten dafür, dass sich ihr Fall allmählich verlangsamte und trotzdem kein bekannter Sensor ihre Annäherung wahrnehmen konnte. Allerdings waren diese Anzüge nicht vollkommen, denn wenn leistungsfähige Sensoren im richtigen Moment auf die richtige Stelle ausgerichtet waren, konnten die zumindest feststellen, dass sich da irgendetwas Ungewöhnliches abspielte. Doch im Augenblick waren sämtliche Syndik-Sensoren und die Blicke all ihrer Bedienmannschaften auf die Allianz-Flotte gerichtet, die Kurs auf das Umfeld des Lagers genommen und damit begonnen hatte, Shuttles loszuschicken.

Wie war das bloß für die Marines? Sie rasten Kilometer um Kilometer in die Tiefe, während das Land unter ihnen immer näher kam und sie wussten, dass Augen, Ohren und Waffen des Feindes nach Eindringlingen suchten. Das Innere der Rüstung wurde mit der Zeit immer heißer, da die Oberfläche alle Reibungshitze absorbierte, die nicht abgegeben werden konnte, weil sie sonst die Position ihres Trägers verraten hätte. Und dann sollten diese gepanzerten und massiv bewaffneten Marines auch noch so sanft auf dem Planeten landen, dass nicht einmal seismische Sensoren etwas Außergewöhnliches feststellen konnten.

Und mitten in dieser Gruppe befand sich Commander Hopper, die bis auf eine Sitzung im Simulator so etwas noch nie mitgemacht hatte. Diesmal konnte Geary nicht die Verbindung aktivieren, die es ihm erlaubte, das Geschehen aus dem Blickwinkel der Marines zu erleben. Die Scouts mussten fast völlige Funkstille wahren, ausgenommen die gelegentlichen niederenergetischen Mikroimpuls-Übertragungen, mittels derer sie sich untereinander verständigten.

»Alle Shuttles sind gestartet«, meldete Lieutenant Castries.

Geary nickte. »Sehr gut.« Er konnte nur hoffen, dass seine Stimme fest und gelassen klang, auch wenn er innerlich ein Nervenbündel war.

Achtzig Shuttles waren auf dem Weg zur Planetenoberfläche und bewegten sich dabei mit solcher Eleganz, dass sie ihren Spitznamen ›Vögel‹ durchaus verdient hatten. Im Gegensatz zu den Marine Scouts waren diese Shuttles nur mit der Standardausrüstung ausgestattet, die eine Entdeckung verhindern oder zumindest erschweren sollte. Davon abgesehen waren sie aber für eine Vielzahl von Sensoren klar und deutlich zu erkennen.

Er konzentrierte sich wieder auf die vier Syndik-Gruppen, die sich nach wie vor in der Nähe aufhielten, aber sich eben noch immer nicht ausreichend angenähert hatten. »Das hätte uns beim ersten Anlauf stutzig machen sollen. Warum hat keine von diesen vier Gruppen versucht, ein paar Shuttles abzuschießen oder zumindest die Operation zu stören? Weil sie nicht riskieren durfte, dass wir die Operation unterbrechen, die Flotte aufteilen und sie verfolgen.«

»M-hm«, machte Desjani.

»Ich könnte mir nicht mal vorstellen, so eine Operation wie diese Marine Scouts mitzumachen. Der Flug zum Planeten, das ständige Bemühen, nicht beim nächsten Schritt vom Feind entdeckt zu werden, einfach alles.« Geary wusste, er redete zu viel, aber das war die einzige Möglichkeit, seine Nerven ein wenig zu beruhigen, solange er nichts tun konnte, als dazusitzen und zuzusehen. »Ich weiß nicht, wie die dazu in der Lage sind.«

Desjani warf ihm einen Seitenblick zu. »Die sind dazu in der Lage, weil sie verrückt sind. Marine Scouts sind sogar noch verrückter als die anderen Marines.«

»Woher wissen Sie so viel über die verschiedenen Marines-Typen?«

Sie schaute wieder auf ihr Display. »Es gibt Dinge über meine Vergangenheit, die Sie vermutlich lieber nicht wissen wollen. Zum Beispiel mit wem ich alles ausgegangen bin.«

»Da … haben Sie wahrscheinlich recht.«

Er wurde davor bewahrt, noch mehr dazu zu sagen, da er in diesem Moment von der Geheimdienstabteilung gerufen wurde. »Admiral«, meldete sich Lieutenant Iger, »die Drohnen auf dem Planeten berichten von einem ungewöhnlichen Maß an Aktivitäten rund um die Position des Auslösers.«

Während er versuchte, sich von dieser Neuigkeit nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, sah er sich die Aufnahmen an, die Iger ihm mitschickte. »Ist da irgendein Alarm losgegangen? Wird da die Bewachung verstärkt?« Wenn die Syndiks festgestellt haben, dass die Marines auf dem Weg zu ihnen sind …

»Nein, Sir. Soweit wir das beurteilen können, herrscht nur ein verstärktes Kommen und Gehen. Sie bereiten sich eindeutig auf irgendetwas vor, aber erhöhte Sicherheitsaktivitäten sind nicht feststellbar. Vielmehr sind die Wachposten sogar ein wenig abgelenkt, weil sie so viele eintreffende und weggehende Besucher überprüfen müssen.«

Bei einer normalen Operation hätte man diese Informationen und die Bilder an die Marines weiterleiten können. Aber bei einem getarnten Einsatz würde man durch den Aufbau der Komm-Verbindung nur riskieren, dass der Gegner die Anwesenheit der Marines feststellt. »Sorgen Sie dafür, dass General Carabali diese Bilder zu sehen bekommt.«

»Ja, Sir. Die Marines müssten inzwischen auf dem Planeten gelandet sein. Dass die Syndiks bislang keinerlei Reaktion darauf erkennen lassen, ist ein gutes Zeichen.«

Kaum war Igers Bild verschwunden, tauchte Rione an seiner Stelle auf. »Ich habe wieder eine Nachricht von CEO Gawzi erhalten. Eine ausdrückliche Warnung: Wenn wir diesmal nicht endgültig damit anfangen, die Gefangenen raufzuholen, könne sie für deren Sicherheit nicht länger garantieren. Das bestätigt, wie verzweifelt die Syndiks darauf hoffen, dass wir ihnen in die Falle gehen. Und die Tatsache, dass nicht CEO Gawzi selbst mit mir gesprochen hat, sondern ein digitaler Avatar, zeigt deutlich, dass spätestens jetzt die Innere Sicherheit da unten das Sagen hat.«

»Wie sicher sind Sie sich, dass es ein Avatar war?«, hakte Geary nach.

»Absolut sicher.«

Er zweifelte ihre Einschätzung nicht weiter an. Maschinen ließen sich von digitalen Avataren leicht täuschen, ein Mensch jedoch nur selten. Ganz gleich wie perfekt die Illusion auch sein mochte, einem Mensch fiel immer irgendeine Kleinigkeit auf, die eine Maschine nicht wahrnahm. Er hatte irgendwann einmal einen Artikel gelesen, in dem darüber spekuliert wurde, dass sich diese Fähigkeit bei den Menschen erst herausgebildet hatte, nachdem die nahezu perfekte Avatar-Technologie entwickelt worden war. Aber niemand konnte mit Gewissheit sagen, ob das wirklich so war oder ob die Menschen schon immer ein Gefühl dafür gehabt hatten, zwischen Realität und Täuschung zu unterscheiden.

»Gawzi könnte tot sein«, fuhr Rione fort. »So nervös, wie sie sich bei den letzten Gesprächen verhalten hat, kann sie mit dem, was die Syndiks hier veranstalten, nicht glücklich gewesen sein. Vielleicht hat sie ja sogar den Versuch unternommen, den Plan der Syndiks zu durchkreuzen. Vielleicht hatte sie auch eine Blockade und konnte das unglaubliche Entsetzen der Informationen nicht verarbeiten. Das könnte bewirkt haben, dass sie darüber den Verstand verlor.«

Überraschend verspürte Geary einen Anflug von Mitgefühl mit der älteren Syndik-CEO. Vielleicht waren ihr die Menschen in diesem Sternensystem doch wichtig gewesen; vergleichbar mit dem Mann auf der Bergbaueinrichtung in der Nähe des Gasriesen. Aber es war ihre Entscheidung gewesen, diesen Leuten nicht zu helfen und die Tragödie nicht zu verhindern. Sie hatte ein Leben lang treu einer Herrschaftsform gewidmet, von der sie am Ende kaltblütig verraten worden war. Vielleicht war es ein verdientes Schicksal für die Treue zu einem System, von dem sie gewusst haben musste, dass es zu solchen Gräueltaten in der Lage war. Andererseits hatte sie womöglich keine andere Wahl gehabt, hatte eventuell sogar alles getan, um den ihr unterstellten Leuten zu helfen. Ich habe keine Ahnung. Ich habe keine Veranlassung, über sie zu urteilen. Falls sie schon tot ist, sollte dieses Urteil von denjenigen gefällt werden, die weiser sind, als ich es jemals sein kann. Mein Job ist es, die Pläne der Syndiks zu vereiteln. »Danke für die Mitteilung. Die Marines müssten jetzt gelandet sein. Drücken Sie ihnen die Daumen. Die gehen da unten ein unglaubliches Risiko ein.«

Rione nickte bedächtig. »Ich werde für sie beten. So wie jeder in dieser Flotte. Ist es nicht erstaunlich, Admiral Geary, welche bemerkenswerten Anstrengungen manche Menschen zu unternehmen vermögen, um ihren Mitmenschen das Leben zu retten, während andere nicht weniger bemerkenswerte Anstrengungen unternehmen, nur um ihren Mitmenschen das Leben zu nehmen?«

Er suchte noch immer nach einer passenden Antwort, als Riones Bild längst verschwunden war. »Tanya, ich habe mich gefragt, wie ich das alles hier den Tänzern erklären soll. Jetzt frage ich mich, wie ich es überhaupt erklären soll.«

Desjani sah ihn verärgert an. »Ich sollte Sie grundsätzlich nicht mit dieser Frau reden lassen.«

»Sie ist eine Gesandte der Allianz-Regierung!«

»Und ich bin … die befehlshabende Offizierin Ihres Flaggschiffs! Die erste Welle Shuttles ist gelandet.«

Die Marines mussten nicht von ihm persönlich beaufsichtigt werden, um etwas zu erledigen, was inzwischen zur Routine für sie geworden war: die Bergung von Gefangenen unter widrigen Umständen. Er hätte sich in das Kommando- und Kontrollnetz der Marines einklinken können, um die Ereignisse im Gefangenenlager zu beobachten, doch das wollte er diesmal nicht. General Carabali wird sich schon melden, wenn da unten irgendwas nicht nach Plan verläuft, und von den Wachhabenden hier auf der Dauntless erfahre ich, wenn es Probleme bei den Shuttles gibt.

Anstatt sich also auf diese Dinge zu konzentrieren, sah er sich lieber andere Bereiche seines Displays an. Die vier Syndik-Gruppen hatten sich noch nicht gerührt, und daran sollte sich eigentlich auch nichts ändern, bis offensichtlich wurde, dass die Allianz-Flotte nicht nach den Regeln spielte, die die Syndiks sich für sie ausgedacht hatten. Dennoch waren diese gegnerischen Kriegsschiffe ein unberechenbares Element in seinen Überlegungen. Falls sie sich in Bewegung setzten, bevor vom Planeten unter ihnen irgendwelche Anzeichen für Probleme eingingen, dann wäre das ein Zeichen dafür, dass die Allianz in Schwierigkeiten steckte.

Der Plan der Marines sah eine halbe Stunde für die Scouts vor, um sich an der Position des Zünders zu sammeln und in das Bauwerk einzudringen, weitere zwanzig Minuten waren vorgesehen, um den Auslöser zu finden und unter ihre Kontrolle zu bringen, bevor die Flotte bei ihrer zweiten Umkreisung genau über das Lager hinwegflog. Wenn irgendetwas schieflief, würden Lieutenant Igers Drohnen ein Bild von den Ereignissen übermitteln, noch bevor die Marines Meldung machen konnten.

»Erste Welle Shuttles wird beladen, keine Probleme damit, die Gefangenen zurückzuhalten«, rief Lieutenant Castries. »Gefangene berichten, dass seit vierundzwanzig Stunden kein Syndik mehr im Lager oder in der Nähe zu sehen gewesen ist.«

Die Flotte hatte den nächtlichen Süden des Planeten hinter sich gelassen und rückte jetzt wieder auf die von der Sonne beschienene Seite vor. Die vollbesetzten Shuttles würden sich mit der Flotte treffen, sobald die Schiffe den Nordpol erreichten und wieder Richtung Süden flogen – natürlich auf einer Flugbahn, die darauf abzielte, in geringer Höhe über das Lager hinwegzufliegen.

Die Syndiks, die sich diesen Schlag ausgedacht hatten, mussten jetzt dasitzen und jede Bewegung der Flotte so berechnend beobachten, wie es Glücksspieler taten, die keine umgedrehte Karte aus den Augen ließen. Flieg einfach so weiter. Vollende den Orbit. Geh in Stellung. Und dann …

»Admiral!«, rief ein aufgeregter Lieutenant Iger. »Sehen Sie doch!«

Geary betrachtete das Bild, das einen der Syndik-Wachposten nahe dem Auslöser zeigte.

Die Wachen waren nicht an ihrem Platz.

»Die Wachleute müssen etwas bemerkt haben«, erläuterte Iger. »Und die Marines haben sie ausgeschaltet, bevor sie den Alarm auslösen konnten.«

»Aber wieso ertönt kein Alarm? Der sollte doch wohl automatisch anspringen, sobald den Wachposten etwas zustößt, oder nicht?«

»Ja, Sir. Der Alarm kann getäuscht werden …«

Das Bild von der Drohne wurde einen Moment lang komplett weiß.

»… aber nicht für lange«, redete Iger weiter, als das Bild wieder auftauchte. »Die Syndiks haben soeben Störsender aktiviert, und unsere Drohne musste erst einen Weg finden, um diesen Sender zu umgehen.«

Zusätzliche Sicherheitslichter waren in der Umgebung des Auslösers aufgeflammt, aus Düsen wurde ein feiner Nebel in den Raum gepumpt, um getarnte Eindringlinge entdecken zu können. Geary konnte keinen Alarm hören, aber er wusste, dass die Sirenen in diesem Moment gellen mussten. Bodentruppen und Wachleute der Syndiks liefen mit feuerbereiten Waffen hin und her. »Wo sind die Marines?«

»Wir sehen keinen Marine, der mit einem der Syndiks kämpft, Sir. Das ist ein gutes Zeichen. Das heißt, sie befinden sich im Inneren.«

Im Inneren eines Bauwerkes, über dessen Struktur man gar nichts wusste, ein Bauwerk mit unbekannten Sicherheitsvorkehrungen und besetzt von bewaffneten Verteidigern.

Geary sah wieder zum Display. Wie lange, bis die Syndik-Kriegsschiffe eine Reaktion zeigten? Die Syndiks mussten in diesem Moment zusätzliche Bodentruppen auf den Weg geschickt haben, um herauszufinden, was passiert war, ob es sich um eine echte Bedrohung handelte und wie gravierend sie gegebenenfalls war …

»Shuttles docken an«, meldete Lieutenant Yuon. »Die Gefangenen werden in versiegelte Frachträume gebracht und unter Quarantäne gestellt, bis eine umfassende medizinische und Sicherheitsuntersuchung stattgefunden hat. Die erste oberflächliche Untersuchung während des Rückflugs hat nichts ergeben. Geschätzte Zeit bis zur Rückkehr der Shuttles auf den Planeten liegt bei zwei Minuten.«

»Warum sollten sie sich auch die Mühe machen, die Gefangenen zu verseuchen, wenn sie sie sowieso in ihre Atome zerlegen wollen?«, merkte Desjani an.

Geary erwiderte nichts, sondern betrachtete den Planeten, der unter ihnen vorbeizog. Das Gefangenenlager befand sich fast genau vor der kompakten Formation seiner Flotte.

Dabei kam ihm zum ersten Mal der Gedanke, dass sie gar nicht wussten, ob die Partikelstrahlen gerade nach oben gerichtet waren oder womöglich einen Winkel aufwiesen, sodass eine Formation bereits erwischt werden konnte, noch bevor sie sich genau über dem Lager befand.

Es wird Zeit. »Captain Armus, Ihre Streitmacht kann sich jetzt aus der Formation lösen, um die zuvor erteilten Befehle auszuführen. Captain Geary, Ihre Streitmacht kann sich jetzt aus der Formation lösen, um die zuvor erteilten Befehle auszuführen. An alle Einheiten der Ersten Flotte: Drehen Sie sofort fünf Grad nach Steuerbord.« Das würde die Flotte mit genügend Abstand passieren lassen, sollten doch noch Partikelstrahlen in den Orbit gejagt werden. Gleichzeitig würde sie nicht zu weit vom Kurs abweichen, sodass die Shuttles ohne Weiteres ein zweites Mal das Lager anfliegen konnten, um die Gefangenen abzuholen.

Achtzehn Schlachtschiffe lösten sich in einer majestätischen Drehung aus der Flottenformation, wobei Captain Armus seine acht Schlachtschiffe in einer grob kreisförmigen Anordnung dicht beieinanderhielt. Sobald sie ihre Position über der Stelle erreicht hatten, an der sich der Auslöser befand, würden sie in der Lage sein, den größten Teil ihrer Waffen auf die Planetenoberfläche abzufeuern. Jane Geary brachte zwei ihrer Schlachtschiffe oberhalb von Armus’ Formation in Stellung, die übrigen acht wurden paarweise um sie herum angeordnet.

»Shuttles starten«, meldete Lieutenant Yvon. »Zweite Welle ist unterwegs.«

Alarmsirenen erwachten zum Leben, um auf eine ganze Reihe von Problemen hinzuweisen: Auf der Revenge war die Energieversorgung einer Höllenspeer-Batterie ausgefallen; bei der Colossus hatte sich bei den Schilden ein Teilausfall ereignet; der vordere Teil der Fearless litt unter punktuellen Ausfällen der Energieversorgung an etlichen Positionen gleichzeitig.

Mit finsterem Blick betrachtete Geary sein Display. Er wusste, dass diese Systemausfälle die Folge einer zu großen Belastung von überalterten Komponenten auf Schiffen waren, die man nicht für eine so lange Lebensdauer ausgelegt hatte. Ich kann wohl froh sein, dass nicht noch mehr passiert ist. »An alle Schiffe der Ersten Flotte: Fahren Sie alle Systeme auf volle Leistung hoch.« Falls noch mehr ausfallen sollte, sollte es lieber jetzt passieren, damit noch Zeit blieb, um Reparaturen vorzunehmen oder um etwas zu improvisieren.

Etwas lenkte Gearys Aufmerksamkeit auf sich. Er sah zur Seite und beobachtete auf dem von der Drohne übertragenen Bild Explosionen, die sich rings um die Einrichtung ereigneten.

»Unsere Leute sind eingedrungen und haben den Eingangsbereich gesichert«, meldete General Carabali, als ihr Bild auftauchte. »Die Situation weiter im Inneren ist unklar. Ich weiß nicht, ob wir die Kontrolle über den Zünder übernommen haben. Ich bitte um alle verfügbare Unterstützung durch die Flotte, und das so nah an der Einrichtung wie möglich.«

»Captain Armus«, befahl Geary. »Sie haben die Erlaubnis, jedes beliebige Ziel unter Beschuss zu nehmen und mit Sperrfeuer zu belegen. Feuern Sie nur nicht auf die Einrichtung, in der unsere Leute sind. General Carabali klinkt sich jetzt in Ihren Koordinierungskanal ein.«

»Verstanden«, sagte Captain Armus so beiläufig, als hätte Geary der Flotte soeben Nachtruhe befohlen. »Wir eröffnen das Feuer.«

Das Bild von der Drohne geriet ins Schwanken, als Dutzende Partikelstrahlen der Höllenspeere vom Himmel geschossen kamen und mit äußerster Präzision ins Ziel trafen. Gepanzerte Fahrzeuge und Bunker erzitterten, als die Höllenspeere riesige Löcher in ihre Hüllen rissen.

Alarmsignale leuchteten über die ganze Flotte verteilt auf, da es auf ein paar Dutzend Kriegsschiffen zu Teil- oder Totalausfällen von zweitrangigen, aber auch wichtigen Systemen kam. Es waren nicht annähernd so viele wie bei Honor, und in keinem Fall hatte ein Defekt die Kampfunfähigkeit eines Schiffs zur Folge. Grund zur Sorge war das Ganze dennoch. Ironisch, aber auch nachvollziehbar war dabei, dass viele der nun betroffenen Schiffe bei den vorangegangenen Kämpfen von schweren Schäden verschont geblieben waren. Da es keine Notwendigkeit gegeben hatte, etwas zu reparieren und im Gefecht erlittene Schäden zu beheben, waren die veralteten Systeme unangetastet geblieben, sodass ihr Versagen nur eine Frage der Zeit gewesen war.

Geary widmete sich wieder dem Bild, das von Igers Drohne übertragen wurde. Für den Moment war gar nichts zu sehen, da die von den Schlachtschiffen abgefeuerten Projektile beim Aufprall auf den Boden explodierten und dichte Rauch- und Staubwolken aufstiegen. Die Projektile waren nichts weiter als raketenförmige Objekte aus massivem Metall, ihre Sprengkraft verdankten sie der immensen Energie, die sich in ihnen aufbaute, während sie vom Orbit aus in Richtung Planetenoberfläche fielen.

Um mehr sehen zu können, wechselte Geary zu einem Bild, das von Armus’ Schlachtschiffen übertragen wurde. Staub und Trümmer erfüllten die Luft rings um die Einrichtung, doch multispektrale Sensoren waren in der Lage, die dichten Wolken zu durchdringen und in Bewegung befindliche Objekte aufzuspüren. Weitere Höllenspeere zuckten vom Himmel und zielten auf alles Mögliche, von individuellen Syndiks bis hin zu Fahrzeugen, die mit quietschenden Reifen am Rande des unter Beschuss liegenden Gebiets zum Stehen kamen. Noch mehr Steine wurden von den Schlachtschiffen abgeworfen, die nicht nur die Syndiks davon abhalten sollten, sich der Einrichtung zu nähern, sondern auch darauf abzielten, allen dort unten die Warnung zukommen zu lassen, sich von dem Gebäude zu entfernen. Trümmer von einstürzenden Häusern ließen die Flottensensoren irrtümlich glauben, es handele sich dabei um sich bewegende Objekte, die gleich wieder unter Beschuss genommen wurden.

Die Einrichtung selbst blieb unversehrt, wenn man davon absah, dass umherfliegende Splitter die eine oder andere Narbe in die unscheinbar wirkende Fassade riss. Darunter kam die massive Panzerung zum Vorschein.

Geary zwang sich, nicht weiter dieses Geschehen zu verfolgen, sondern sich wieder um die Syndik-Kriegsschiffe zu kümmern. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie ihren Einsatzbefehl erhielten?

Die Syndik-Führer standen im Augenblick zweifellos noch unter Schock und versuchten zu verstehen, was um sie herum geschah. Ihr Plan war mit einem Mal durchkreuzt worden, was umso verwirrender sein musste, da bis vor ein paar Sekunden alles noch genauso gelaufen war, wie sie es sich vorgestellt hatten – bis die Allianz-Flotte auf einmal die Spielregeln geändert hatte.

Die Flotte befand sich in sicherem Abstand zum Gefangenenlager, doch die Shuttles kehrten jetzt so schnell sie konnten dorthin zurück, wo dreitausend Allianz-Bürger noch darauf warteten, gerettet zu werden.

Wenn die Syndiks noch immer die Kontrolle über den Zünder hatten, dann würde das Gefangenenlager in Kürze von einer Apokalypse heimgesucht werden, der nicht nur die Gefangenen zum Opfer fallen würden, sondern auch die Shuttles und die Marines.

Ein Alarm ertönte, als sich alle vier Syndik-Gruppen schließlich in Bewegung setzten, um auf maximale Beschleunigung zu gehen. Zwei nahmen Kurs auf Armus’ Schlachtschiffe, die beiden anderen hatten es entweder auf die Flotte oder die Shuttles abgesehen, die bald wieder zu ihren Schiffen zurückkehren würden.

»Sie haben sich verrechnet«, sagte Desjani und grinste boshaft. »Sie teilen sich auf, und sie können nur etwas erreichen, wenn sie nicht länger am äußersten Rand unserer Feuerreichweite ausharren.«

»Ja, sie müssen schon näher kommen«, stimmte er ihr zu. »Berechnen Sie einen Abfangkurs für Gruppe Cable. Ich werde Duellos auch auf Cable ansetzen. Tulev und Badaya können sich Gruppe Delta vornehmen.«

Sie würden die vier Gruppen ausschalten und die Pläne der Syndiks vollständig über den Haufen werfen, um ihnen einen Schlag zu versetzen, den sie so bald nicht vergessen würden, wenn … ja, wenn nur nicht diese Superwaffe der Syndiks gezündet wurde …

»Ich empfange Nachrichten von den Scouts auf der Oberfläche«, meldete sich General Carabali. »Sie bitten darum, abgeholt zu werden.«

»Was ist mit dem Zünder?«

»Commander Hopper sagt, der Zünder sei Bravo Delta. Das ist ein Slangbegriff, Admiral, der so viel bedeutet wie …«

»Ich weiß, was das bedeutet. Der Zünder ist außer Betrieb genommen. Den Begriff gab es sogar schon vor meiner Zeit. Captain Geary, die Marines brauchen eine Mitfahrgelegenheit.«

»Bin schon unterwegs«, erwiderte Jane Geary.

Auf dem Display leuchteten neue Alarmsymbole auf. Die Bodentruppen auf dem Planeten hatten Kampfflugzeuge losgeschickt, altmodische Modelle, die durch den niedrigen Orbit gut auszumachen waren. Die Guardian, die fast die Stratosphäre berührte, schoss eine Maschine mit einer Serie von Höllenspeeren ab, dann schickte sie vier Shuttles los, die von einer regelrechten Wand aus Salven von der Guardian und den anderen Schiffen geschützt wurden.

Die Syndik-Gruppe Alpha, die bereits auf die Einrichtung zuhielt, änderte den Vektor leicht und streifte die Atmosphäre, wobei die Hüllen der Schiffe zu glühen begannen, da die Reibung ihre Schilde überstrapazierte, während sie die Shuttles der Guardian anvisierten.

Die Syndik-Gruppe Bravo, die in größerer Höhe unterwegs war, versuchte einen aussichtslosen Angriff auf Armus’ Schlachtschiffe. Jane Geary ließ die Conqueror, die Dependable, die Vengeance und die Revenge beidrehen, um Bravo in die Zange zu nehmen, sollten die Schiffe ihren Angriff nicht abbrechen.

Die Shuttles landeten unterdessen ein zweites Mal im Gefangenenlager.

Die Syndik-Gruppen Cable und Delta flogen in weitem Bogen um die Allianz-Flotte herum, ihr Ziel waren offensichtlich die Shuttles, die sie abzufangen gedachten, sobald sie starteten und mit den befreiten Gefangenen besetzt zur Flotte zurückkehrten.

»Jetzt, Tanya«, sagte Geary und schickte einen ähnlich lautenden Befehl an Duellos, Tulev und Badaya. »An alle Einheiten der Ersten Flotte: Verlagern Sie sofort Ihre Position hin zur Invincible. Admiral Lagemann, ergreifen Sie alle notwendigen Maßnahmen, um die Shuttles auf ihrem Rückflug zur Flotte zu beschützen.«

Zwar sollten derartige Maßnahmen nicht notwendig werden, aber falls Lagemann noch ein paar Schiffe aus der Formation entsenden musste, konnte er aus über zweihundert Schweren und Leichten Kreuzern sowie Zerstörern auswählen.

Desjani johlte, als sie die Dauntless, die Daring, die Victorious und die Intemperate im Steilflug auf Abfangkurs zur Syndik-Gruppe Cable gehen ließ. Hinter ihr begaben sich die anderen Schlachtkreuzer der Flotte auf ihre eigenen Jagdvektoren.

»Shuttles heben ab!«, rief Lieutenant Yuon.

Geary überprüfte das, um sich zu vergewissern, dass Yuon die Shuttles im Gefangenenlager meinte. Die anderen Shuttles, die die Marines abholen sollten, bahnten sich noch immer ihren Weg zur Planetenoberfläche, von wo Bodentruppen sie unter Beschuss nahmen, die von der Guardian aus sofort bombardiert wurden, sobald sie von einer neuen Stelle aus erneut das Feuer eröffneten.

Die Syndik-Gruppe Alpha hielt den Befehlen weit entfernter Vorgesetzter folgend weiter auf ihr Ziel zu, vermutlich immer noch unter automatischer Steuerkontrolle, als die Guardian und die Warspite das Feuer auf sie eröffneten. Da die Kraterlandschaft rings um die Einrichtung auf dem Planeten keine brauchbaren Ziele mehr lieferte, verlagerte Captain Armus den Beschuss durch vier seiner Schlachtschiffe ebenfalls auf die Alpha-Gruppe.

Die Schilde dieser Schiffe waren durch den Kontakt mit der Atmosphäre bereits erheblich geschwächt worden, und nun rasten sie auch noch frontal in das Feuer von gleich sechs Schlachtschiffen.

Der Schwere Kreuzer und vier Jäger explodierten sofort, da sie den Phantomen, Höllenspeeren und Kartätschen nichts mehr entgegenzusetzen hatten, als die in rascher Folge auf sie einhämmerten. Ein Leichter Kreuzer wurde von Treffern zerfetzt und sank noch tiefer in die Atmosphäre. Ohne Schilde und immer noch immens schnell verging das Schiff in einem Lichtblitz und zog als glühender Plasmaball eine Weile seine Bahn am Himmel entlang. Der zweite Leichte Kreuzer überlebte nur, weil er Sekunden vor dem Sperrfeuer auf einen neuen Vektor eingeschwenkt war und sich mit einem Satz nach oben in Sicherheit brachte.

Syndik-Gruppe Bravo, die es auf Armus’ Schiffe abgesehen hatte, wurde Zeuge des Schicksals, das Alpha ereilt hatte, und änderte ebenfalls in aller Eile ihren Vektor, um in einem weiten Bogen um die Allianz-Schiffe herumzufliegen. Der Schwere Kreuzer konnte die abrupte Bewegung jedoch nicht schnell genug vornehmen und glitt unaufhaltsam in die Waffenreichweite der Allianz-Schiffe. Die feuerten ein Dutzend Phantome auf ihn ab, von denen er in mehrere große Stücke zerrissen wurde. Einige dieser Bruchstücke schleuderten in die Tiefen des Alls davon, während andere in die Atmosphäre des Planeten unter ihnen stürzten.

»Die Shuttles für die Marines sind gelandet«, meldete Jane Geary.

»Die letzten Shuttles verlassen das Gefangenenlager«, fügte Lieutenant Yuon gleich darauf hinzu. »Die Hälfte der Shuttles ist überladen. Sie bitten darum, dass die Flotte abbremst, weil sie nicht schnell genug sind.«

»Admiral Lagemann«, rief Geary, nachdem er seine Komm-Kontrollen betätigt hatte. »Bremsen Sie die Formation so stark ab, dass die Shuttles Sie einholen können.«

Er verspürte ein Gefühl der Befreiung, obwohl auf dem Planeten unter ihm eine Schlacht tobte, die sich bis ins All auswirkte. Ich muss nicht jedes kleine Detail befehlen. Ich habe Befehlshaber, denen ich vertrauen kann und die sich um die Details kümmern, wenn ich ihnen die Richtung vorgebe. Ich muss nur sicherstellen, dass ich den Gesamtüberblick bewahre, damit alles koordiniert abläuft und jede Bedrohung identifiziert wird.

Die Syndik-Gruppen Cable und Delta hatten inzwischen erkannt, dass sie zu spät gekommen waren, um noch das Gefangenenlager zu bombardieren. Und ihnen war ebenso klar, dass die Schlachtkreuzer der Allianz darauf achteten, dass keines der Syndik-Kriegsschiffe bis zu den Shuttles vordrang, die auf dem Rückweg zur Flotte waren. Die Syndiks machten kehrt, die Gruppen lösten sich auf, und jedes Schiff folgte seinem eigenen Kurs, nachdem die Befehlshaber die automatische Steuerkontrolle deaktiviert hatten. Einer der erkennbar unerfahrenen Befehlshaber belastete bei dem Ausweichmanöver sein Schiff so sehr, dass die Struktur überbeansprucht und der Leichte Kreuzer zerrissen wurde. Die Trümmerstücke wirbelten in Richtung des Planeten davon.

Als Desjani sah, dass die Syndiks die Flucht ergriffen, schimpfte sie lautstark und ließ den Vektor der Dauntless ein wenig ändern und Kurs auf den einen Leichten Kreuzer der Syndiks nehmen, den sie vielleicht noch würde einholen können. »Wir haben nur einen Schuss«, warnte sie ihre Crew. »Sorgen Sie dafür, dass es ein Treffer wird.«

Die Dauntless raste am Abfangpunkt vorbei, Höllenspeere griffen nach dem Leichten Kreuzer, der unter den Treffern durchgeschüttelt wurde. Noch während er versuchte, sich in Sicherheit zu bringen, wurde er am Heck von zwei Phantomen erwischt, die die hintere Hälfte des Schiffs wegrissen.

Die Inspire erwischte einen Jäger, die Dragon ebenfalls. Die Daring und die Victorious nahmen einen Schweren Kreuzer unter Beschuss, dessen Antrieb jedoch unversehrt blieb, sodass er weiterfliegen konnte.

Nach der Auflösung ihrer Gruppen flohen die einzelnen Syndik-Kriegsschiffe und folgten dabei einem Dutzend unterschiedlicher Vektoren. »Die anderen können wir nicht mehr einholen«, sagte Geary.

Desjani, deren Gesicht vor Frust rot angelaufen war, nickte schnaubend. »Nicht, wenn sie einfach immer weiterfliegen.«

»Genau das werden sie aber machen. Bringen Sie Ihre Division zurück in die Formation.« Er rief Duellos, Tulev und Badaya und gab ihnen den gleichen Befehl, auch wenn er wusste, sie würden alle tiefe Enttäuschung empfinden. Aber über die physikalischen Gesetze, die die Faktoren Zeit, Entfernung und verfügbare Beschleunigung beinhalteten, konnte sich niemand hinwegsetzen, auch wenn er es noch so sehr wollte.

»Shuttles docken an«, meldete Lieutenant Yuon. »Bergung in schätzungsweise zwanzig Minuten komplett abgeschlossen.«

Geary sah nach dem Status der Shuttles von der Guardian, die sich aus dem Mahlstrom aus Staub und Trümmern emporkämpften, der durch das Bombardement der Allianz-Flotte ausgelöst worden war.

»Admiral?«, fragte General Carabali bei ihm an. »Meine Marines und Commander Hopper empfehlen, die Einrichtung, in der sich der Zünder befindet, dem Erdboden gleichzumachen. Commander Hopper sagt, dass eine Einebnung der Einrichtung nicht die Waffe auslösen wird. Aber für die Syndiks würde es dadurch erheblich mühseliger, den Zünder neu zu konstruieren.«

»Captain Armus«, befahl Geary daraufhin. »Zerstören Sie die Einrichtung.«

Ein weiteres Bombardement folgte, diesmal mit deutlich größeren Steinen, die unentrinnbar Kurs auf das eine Gebäude nahmen, das bizarrerweise so gut wie unversehrt mitten in einem Meer der Verwüstung stand.

Während die Guardian ihre Shuttles an Bord holte, schlugen die Steine ein und sorgten für eine wohltuende Serie von Explosionen, die riesige Staubwolken aufsteigen ließen und Ruinen und tiefe Krater hinterließen.

»Admiral, sehen Sie sich das an«, rief Desjani plötzlich.

Geary schaute auf sein Display und beobachtete, wie der einzige überlebende Leichte Kreuzer der Syndik-Gruppe Alpha mehrere Projektile abfeuerte – die alle auf den größeren Mond dieses Planeten zuhielten.

Ihr Ziel war die Luxuswohnanlage, in die sich die Führer der Inneren Sicherheit dieses Sternensystems zurückgezogen hatten, um in Sicherheit zu sein. Wenn die sich nicht längst in tief unter der Oberfläche gelegene Bunker zurückgezogen hatten, dann blieb ihnen jetzt immer noch genug Zeit, um sich an Bord ihrer Schiffe zu begeben und zu entkommen. Aber die Bombardierung an sich war und blieb ein eindrucksvoller symbolischer Akt.

»Ich würde sagen, es hat eine Meuterei gegeben«, merkte Geary an. »Eine erfolgreiche Meuterei, um genau zu sein. Es würde mich interessieren, ob man dieses Schiff auch per Fernsteuerung zerstören kann, wie wir es bei Midway erlebt haben, und ob es der Syndik-Crew gelungen ist, diese Vorrichtung zu deaktivieren. An alle Einheiten der Ersten Flotte: Kehren Sie in die Formation zurück. General Carabali, drücken Sie bitte Ihren Scouts meine tiefe Bewunderung darüber aus, mit welchem Können sie ihren Befehl ausgeführt haben. Gesandte Rione, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um die Leute in diesem Sternensystem darüber aufzuklären, welche Überraschung ihre Führer für sie vorgesehen hatten.«

Desjani sah sich lächelnd auf der Brücke um. »Das haben Sie alle gut gemacht. Ich glaube, wir haben den Syndiks noch einmal klargemacht, wer hier das Sagen hat. Und jetzt, Admiral?«

»Jetzt nehmen wir Kurs auf Padronis«, sagte Geary, der genau wusste, dass seine folgenden Worte in der gesamten Flotte verbreitet werden würden. »Ich will für die Syndiks hoffen, dass sie da nicht noch mal versuchen, sich mit uns anzulegen.«

Als sich die Flotte dem Sprungpunkt nach Padronis näherte, sahen sie mit an, wie der Leichte Kreuzer der meuternden Syndiks weit vor ihnen den gleichen Sprungpunkt benutzte.

»Sieht so aus, als hätten wir hier freie Bahn«, merkte Desjani an.

»Wir fliegen trotzdem vorsichtig rein«, stellte Geary klar. Als er ein Geräusch hörte, drehte er sich um und sah, dass Rione auf die Brücke gekommen war. »Haben wir noch irgendetwas von den Syndiks gehört?«

»Nein«, erwiderte Rione. »Es gab nur zwei bruchstückhafte Nachrichten vom Avatar von CEO Gwazi mit einer Beschwerde, weil wir sie grundlos angreifen, aber mehr war da nicht. Dass wir die Kriegsschiffe zerstört haben, können sie nicht zum Anlass für eine Beschwerde machen, weil sie behauptet haben, nicht der Kontrolle durch die Syndiks zu unterliegen. Ich vermute, die Syndiks bei Simur haben zu viel mit ihren inneren Angelegenheiten zu tun und werden daher keine Zeit haben, sich um Klagen über irgendwelche Ereignisse zu kümmern, an denen wir beteiligt waren.«

»Innere Angelegenheiten? Eine innere Revolte, wollten Sie wohl eher sagen.«

»Das meine ich damit, ja. Es lässt sich nichts darüber sagen, wer daraus als Sieger hervorgehen wird. Wir wissen nicht genug über die hiesigen Sicherheitskräfte der Syndiks und auch nichts darüber, was die Einheimischen auf die Beine stellen können. Sollte ich mich eigentlich umsehen, ob wir in diesem Sternensystem irgendwelche Vorräte finden können? Ich kann mir vorstellen, dass einige der Anlagen am Rand des Systems für einen Handel zu haben wären.«

»Nein«, antwortete er sofort. »Von dem, was sie zu bieten haben, können wir nichts gebrauchen, und außerdem gibt es hier niemandem, dem wir trauen können. Selbst die Leute, die sich jetzt gegen die Sicherheitskräfte erheben, sehen in uns möglicherweise immer noch den Feind. So oder so möchte ich hier nicht noch länger bleiben. Damit würden wir den Syndiks bei Padronis nur noch mehr Zeit geben, um etwas für uns vorzubereiten. Was haben Sie eigentlich von den Tänzern gehört? Gesandter Charban sagt, dass die Tänzer keinerlei Interesse an den Geschehnissen in diesem System gezeigt haben.«

»Ja, seltsamerweise ist das tatsächlich so«, bestätigte Rione. »Entweder haben sie alles verstanden, ohne sich von uns etwas erklären lassen zu müssen, oder aber es war für sie so vollkommen fremdartig, dass sie gar nicht erst versucht haben, es zu verstehen.«

Geary sah auf sein Display, als von dort ein Signal ertönte. »Ah, der letzte Shuttletransport ist abgeschlossen. Ich dachte schon, wir finden niemals genug Platz, um so viele befreite Gefangene unterzubringen. Ich hoffe nur, wir werden nicht noch mal in ein Gefecht verwickelt, so vollgestopft wie unsere Schiffe jetzt sind.« Dabei fiel ihm etwas ein, und er rief die Tanuki. »Captain Smythe, wie geht es Commander Hopper? Ist sie wohlbehalten zurückgekehrt?«

Smythe grinste. »Und sie ist heilfroh, wieder zu Hause zu sein. Wir hatten einige Mühe, sie den Marines wieder abzunehmen, weil sie sie unbedingt behalten wollten. Ich glaube, das Ansehen der Flotteningenieure bei den Marines hat einen deutlichen Sprung nach oben gemacht. Die haben sie tatsächlich sehr nötig gehabt. Sie sagt, der Zünder war ein beeindruckendes Durcheinander aus falschen Schaltkreisen, Pseudomechanismen und jeder Menge Drähte, die beim Durchtrennen den Zünder ausgelöst hätten. Das Ganze sollte jeden in die Irre führen, der dem Ding mit Standardmethoden zu Leibe rückten wollte.«

»Ich würde gern Commander Hoppers abschließenden Bericht sehen, wenn sie ihn fertiggestellt hat«, sagte Geary. »Oh, und Sie können jetzt Lieutenant Jamenson wieder in Vollzeit für Ihre Aufgaben einsetzen. Sagen Sie ihr, sie soll alle Geheimdateien vernichten, die ihr geschickt wurden.«

»Natürlich«, versicherte Captain Smythe.

»Wir werden feststellen können, wenn sie das nicht macht«, fügte er beiläufig an. »Besondere Markierungen, die in die Dateien eingebettet sind.«

»Wieso sollte das ein Problem sein?«, fragte Smythe gut gelaunt. »Apropos Lieutenant Jamenson. Sie wird da von einem Typen namens Iger belästigt.«

»Belästigt? Hat sie das so formuliert?«

»Vermutlich nicht. Ich kann sie nicht erübrigen, Admiral.«

»Das verstehe ich, Captain, aber wir müssen auch an ihre Karriere und an ihr Wohl denken. Ich werde sie Ihnen nicht wegnehmen, aber wenn sie sich verändern möchte, dann hoffe ich, dass sie von uns beiden die Unterstützung erhält, die sie sich verdient hat.«

Smythe seufzte übertrieben. »Sie haben ja recht. Wenn man guten Leuten keine Möglichkeit gibt, sich zu entfalten, dann enden wir noch wie die Syndiks. Übrigens, die Reparaturen auf der Revenge, der Colossus und der Fearless sind fast abgeschlossen. Bevor wir springen, sind sie komplett fertig. Es sei denn, es geht was anderes kaputt – auf den Schiffen oder irgendwelchen anderen Schiffen.«

»Wir sind bald zu Hause, dann haben wir Zeit, an allem zu arbeiten«, sagte Geary. »An allem, außer an meinem Bericht über die Dinge, die sich seit unserer Abreise von Varandal ereignet haben. Den muss ich aber abliefern, sobald wir zurück sind. Das wird wahrscheinlich ein dicker Wälzer werden.«

»Zu schade, dass wir nicht so wie die Enigmas Nachrichten mit Überlichtgeschwindigkeit verschicken können, nicht wahr? Es wäre manchmal bestimmt ganz nützlich, wenn man nicht extra ein Schiff losschicken muss, um eine Mitteilung zu versenden.«

Das könnte aber auch nach hinten losgehen, wenn das Flottenhauptquartier in die Lage versetzt wird, mir über Lichtjahre hinweg in Echtzeit alles Mögliche vorzuschreiben. »Wenn Sie das Prinzip entdeckt haben oder wenn die Enigmas Ihnen verraten haben, wie sie das anstellen, lassen Sie es mich wissen.«

Nachdem er mit Smythe gesprochen hatte, wandte er sich schnell an Lieutenant Iger, weil er fürchtete, das sonst wieder zu vergessen. »Nur damit alle Formalitäten beachtet werden: Geben Sie mir Bescheid, wenn Lieutenant Jamenson alle Dateien vernichtet und alle Papiere unterschrieben hat, die sie zur Geheimhaltung verpflichten.«

Iger nickte eifrig. »Ich erwarte da keinerlei Problem, Admiral. Kleeblatt nimmt ihre Arbeit sehr ernst.«

»Kleeblatt?«

»Äh … Ich meinte natürlich Lieutenant Jamenson, Sir.«

Geary achtete darauf, dass ihm kein Lächeln anzusehen war. »Dann haben Sie also keine Vorbehalte mehr gegen sie?«

»Keinerlei, Sir! Lieutenant Jamenson hat darum gebeten, die Dauntless zu besuchen und sich die Geheimdienstabteilung anzusehen, wenn wir zurück in Varandal sind. Ihr Einverständnis, Admiral, und das von Captain Desjani selbstverständlich vorausgesetzt.«

Offenbar fühlte sich Jamenson gar nicht so belästigt. Kein Wunder, dass Smythe fürchtete, sie zu verlieren. Geary hoffte für Lieutenant Iger, dass ihr Interesse nicht allein der faszinierenden neuen Welt des Geheimdienstes galt. »Da sehe ich kein Problem, Lieutenant.«

Probleme gab es auch am Sprungpunkt nicht. Vielleicht waren den Syndiks in dieser Region die Minen ausgegangen.

Geary verspürte Erleichterung, als die Sterne von Simur verschwanden und das Grau des Sprungraums auftauchte. Nein, das war nicht nur Erleichterung, sondern auch ein Gefühl, dass sie für den Augenblick die letzte große Hürde genommen hatten.

Ob dieses Gefühl sich bewahrheiten sollte, das würde sich zeigen, wenn sie Padronis erreicht hatten.

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