Ekh’l

Der Erahner und Der Rel und der Slelcronier in Vardias Körper betrachteten die hohen, schneebedeckten Berge, die bis zum Meer reichten. Sie entdeckten einen kleinen Strand mit schwärzlichem Sand. Draußen im Wasser sahen sie Felssäulen, Überreste früherer Vulkantätigkeit. Der Himmel war bleigrau, die Luft sehr kalt.

»Bald kommen Wolken«, sagte Hain unter ihnen. »Regen oder Schnee am ganzen Ufer. Wir sollten anfangen.«

»Schaffen wir es, ohne in die Berge zu gehen?«fragte der Slelcronier. »Wenn der Strand nun aufhört?«

»Freund Hain hier kann notfalls an senkrechten Wänden hinauflaufen«, erwiderte Der Rel zuversichtlich, »und uns auf diese Weise hinüberbefördern. Die Grenze mit Yrankhs liegt nur einige Meter hinter dem Wasser, so daß wir die Bewohner von Ekh'l kaum treffen werden — eine Art fliegender Affen, glaube ich. Den Yrankhs wollen wir nicht begegnen — sie sind alle Fleischfresser, aber sie atmen Wasser und werden uns kaum belästigen, wenn wir nicht schwimmen.«

»Der Nebel kommt«, sagte Skander. »Wir sollten uns auf den Weg machen.«

Sie gingen zum Strand hinunter und kamen ohne größere Schwierigkeiten voran. Der Strand verschwand zwar für einige Meilen, aber Hain fiel es nicht schwer, sie über die Felsen zu tragen.

Nach fast drei Tagen hatten sie drei Viertel des Weges zur Grenze nach Ghlmon zurückgelegt. Die einzigen Lebewesen, auf die sie stießen, waren Millionen Seevögel.

An einer besonders langen Unterbrechung des Strandes, die zu überwinden Hain über eine Stunde brauchte, kam es zum einzigen Zwischenfall. Hain machte sich mit dem Slelcronier und den Vorräten auf den Weg, während Erahner und Rel mit Skander auf dem Sandstrand blieben.

Skander kaute getrockneten Fisch und sah zu dem Wesen aus dem Norden hinauf, dann schob sie sich langsam zum Wasser.

Als sie noch fünf Meter zur Brandung hatte, wurde Der Rel aufmerksam und huschte auf Skander zu.

»Halt!«rief das Wesen. »Oder wir stoppen dich!«

Skander zögerte, dann sprang sie ins Wasser.

Die glühenden, zuckenden Lichter des Erahners wurden grell und gleißend, und unter der Sphäre schoß etwas heraus und zischte krachend vor der Meerjungfrau ins Wasser. Sie überschlug sich, kehrte aber nicht um.

Ein zweiter Blitz raste hinaus, traf Skander im Rücken, und sie erstarrte mit einem Aufschrei. Der Rel glitt auf sie zu.

»Ich habe mich schon gefragt, wie lange die alberne Hypnose bei Ihnen wirken wird«, sagte er ruhig. »Aber Sie haben die Lektion in Slelcron vergessen. Keine Sorge — Sie können sich bald wieder bewegen. Etwas mehr Stromstärke, und Ihr Herz wäre zum Stillstand gekommen. Sie sind nur am Leben, weil wir Sie brauchen. Das gilt für die anderen auch — Hain wegen des Transports, der Slelcronier, weil seine Kräfte im Notfall wichtig sein könnten. Sie werden bald zu sich kommen, aber vergessen Sie nicht, wenn Sie entwischen, nutzen Sie mir nichts mehr. Wenn wir wählen müssen, ob wir Sie verlieren oder töten, ist Ihr Schicksal besiegelt. Jetzt können Sie sich wieder bewegen — aber auf die richtige Weise. Und unseren Begleitern erzählen wir nichts, ja?«

Skander kapitulierte, als sie sich wieder bewegen konnte. Hain kam nach zwei Stunden zurück und schaffte sie nach kurzer Rast hinüber.

»Wir sind fast da«, sagte das Rieseninsekt. »Man sieht vom letzten Strandstück aus die Gegend schon. Sie scheint die Hölle zu sein.«

Hain hatte recht. Ghlmon sah aus wie etwas, vor dem man davonläuft, statt es zu suchen. Das Ufer zog sich nach Nordwesten, und das Land Ghlmon begann abrupt, wobei sich das Gebirge von Ekh'l noch ein wenig in das neue Hex hineinschob. Es war ein Land von wehendem Sand. Die Dünen reichten hinab bis zum Meer. Abgesehen vom Ozean schien es kein Wasser, keine Vegetation zu geben.

»Man muß wirklich verrückt sein, um da freiwillig hineinzugehen, nicht?«sagte Hain langsam, mehr zu sich selbst als zu den anderen.

»Überhaupt kein Wasser«, sagte Skander seufzend.

»Kein fruchtbarer Boden, nichts, nur Sand«, fügte der Slelcronier hinzu.

»Die erste wirklich angenehme Gegend, die wir im Süden gesehen haben«, sagte Der Rel.

»Nun, wie geht es weiter?«fragte Skander sarkastisch.

»Wir bleiben an der Küste«, erwiderte das Wesen. »Hain kann weiter Fische fangen. Der Slelcronier wird ein paar Tage ohne Vitamine auskommen müssen, aber genug Sonne bekommen. Nehmen Sie Wasser in dem Fluß dort hinten auf«, sagte er zu dem Pflanzenwesen.

Während der Slelcronier es tat, fragte Skander:»Was ist mit Ihnen, Rel? Oder essen Sie nicht?«

»Natürlich essen wir«, erwiderte Der Rel. »Silikon. Was sonst?«

Wenige Minuten später überschritten sie die Grenze.

Der Wind hatte eine Geschwindigkeit von fast vierzig Kilometern in der Stunde, die Temperatur lag um vierzig Grad Celsius. Es war, als trete man vom tiefsten Winter in den heißesten Hochsommer, und der wirbelnde Sand erschwerte die Sicht.

Sie konnten die Berge von Ekh'l immer noch sehen, als sie haltmachen mußten. Skander brach auf dem heißen Sand zusammen und schüttelte erschöpft den Kopf.

»Was für Wesen können in dieser Hölle leben?«stieß sie hervor.

Wie als Antwort auf die Frage tauchte in der Nähe ein winziger Kopf aus dem Sand. Er zuckte plötzlich herauf, und sie sahen einen kleinen, zweibeinigen Dinosaurier, ungefähr einen Meter hoch, mit kurzen Stummelarmen, die in winzige, aber sehr menschliche Hände ausliefen. Er besaß einen sehr langen Schwanz, mit dem er das Gleichgewicht zu halten schien.

Er war von dunklerem Grün als Vardia, schien aber eine kleine rostbraune Weste und Jacke zu tragen. Das Wesen kam auf sie zu und blieb stehen. Der flache Kopf und die vorstehenden Augen zu beiden Seiten eines spatenförmigen Mundes betrachtete sie mit schnellen, zuckenden Bewegungen. Plötzlich lehnte sich das Wesen auf seinen Schwanz zurück.

»Wenn ich fragen darf, Herrschaften«, sagte es plötzlich mit Tenorstimme, die tief aus seiner Kehle zu kommen schien — offenbar besaß es ein Übersetzungsgerät —»sind Sie die Guten oder die Bösen?«

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