Die Baronie Azkfru, akkafisches Reich

Vardia kam langsam zu sich. Selbst mit Hilfe einer Lampe, die wie eine Höhensonne aussah, dauerte es fast eine halbe Stunde, bis sie sich bewegen konnte.

Cannot stöhnte leise neben ihr. Sie sah, daß es der Meerjungfrau ebenso schwer fiel, sich zu bewegen.

»Hurensohn, verdammter!«fluchte die Umiau in makelloser Konföderations-Sprache.

Vardia hätte geächzt, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre.

»Sie — sind — von — der — Konföderation«, sagte sie mühsam.

»Natürlich«, knurrte die Meerjungfrau. »Darum geht es ja. Ich bin Elkinos Skander.«

Vardia dehnte und reckte sich.

Die Umiau starrte sie eine Weile an.

»Sie meinen, Sie haben wirklich keine Ahnung davon, was hier gespielt wird?«

Vardia schüttelte den Kopf.

Skander war wie vor den Kopf geschlagen. Sie war nie auf den Gedanken gekommen, daß nicht jeder zumindest teilweise Bescheid wußte.

»Hören Sie«, sagte sie, »Sie sind Vardia, nicht? Sie sind mit den Leuten von Dalgonia gekommen?«Als Vardia nickte, fuhr sie fort:»Ich war ein paar Wochen früher da.«

»Dann sind es Ihre Spuren gewesen, denen wir folgten«, entfuhr es Vardia.

»Allerdings«, erwiderte Skander und erzählte ihr die ganze Geschichte — die Entdeckung, die Öffnung des Portals, sogar die Morde. Nur hatte die Schilderung sich hier geändert. »Ich kehrte ins Lager zurück, statt dort zu bleiben«, log Skander. »Bis ich ankam, hatte dieser Halunke Varnett sie schon umgebracht. Es gab keinen Ausweg, also flog ich zum Portal zurück. Ich hatte einen Wahnsinnigen auf meinen Fersen, deshalb blieb mir nichts anderes übrig. Als ich ankam, war das Portal noch nicht offen, und Varnett holte mich ein. Wir kämpften miteinander, und das Portal ging unter uns auf.«Er schilderte, wie sie getrennt, mehrere Tage lang verhört und dann einzeln durch das Portal geschickt worden seien, das auch Vardia betreten hatte. »Ich weiß nicht, was aus Varnett geworden ist«, schloß Skander. »Ich wachte als Umiau auf und wäre in den ersten Stunden beinahe ertrunken. Ich wurde entdeckt und eingesperrt, bis ich mich eingewöhnt hatte, und erfuhr von der einzigartigen Situation hier. Als ich vom Zentrum und den Kontakten zu euch hörte, beschlossen wir, uns zu einigen und die Probleme des Planeten ein für allemal zu lösen, und wem das gelingt, der wird auf jeden Fall diese Welt beherrschen, wenn nicht sogar alle Welten.«

»Aber von unserem Volk hat niemand Macht gewünscht«, wandte Vardia ein.

»Alle suchen Macht«, sagte Skander. »Nur wenige bekommen jemals Gelegenheit, sie zu ergreifen.«

»Ich kann mir immer noch nicht vorstellen, daß meine Rasse die Welt beherrschen will«, meinte sie hartnäckig.

»Ihr Volk ist mir ein Rätsel, wie das meine euch«, sagte Skander achselzuckend. »Vielleicht wollten sie nur zum Wissensschatz beitragen. Vielleicht hätten sie sich ohne den einen Faktor überhaupt nicht beteiligt.«

»Welchen meinen Sie?«

»Varnett, versteht sich. Er ist dort draußen, er hat dieselbe Formel wie ich für den Kontakt mit dem Gehirn, und er ist mindestens ebenso schlau wie ich, wenn nicht schlauer. Wir können das Risiko nicht eingehen. Wenn jemand das letzte Rätsel löst und das Gehirn dieser Welt beherrscht, dann sollten es die Umiau sein — und die Czillaner, versteht sich.«

»Wie sind wir dann hierhergeraten?«

»Weil ich dumm war«, sagte Skander rauh. »Jemand ist dahintergekommen, wer ich bin — wie, das weiß ich nicht. Ich hatte das halbe Rätsel schon gelöst und hoffte, den Rest bewältigen zu können. Ich habe Sie angefordert, um mit Ihnen über das Portal auf Dalgonia und Ihre eigenen Erfahrungen reden zu können.«

»Warum sollten das andere gewesen sein als die Ihren?«

»Weil das Portal sich hinter uns hätte schließen sollen«, sagte Skander erregt. »Wir — Varnett und ich — öffneten es, als wir den Code entschlüsselten. Unser Denken öffnete es. Aber es gibt keinen Grund, warum es aktiv geblieben ist — wenn es so war. Das Versorgungsschiff hätte bald nach euch kommen und sich genauso verhalten müssen — dann wären die meisten Insassen hier gelandet.«

Vardia dachte nach und erzählte von dem sonderbaren Notrufsignal. »Und noch etwas. Ich — ich möchte schwören, daß Ihre beiden Schiffe verschwanden — einfach nicht mehr da waren —, bevor das Portal aufging.«

»Verschwanden!«sagte die Umiau plötzlich aufgeregt. »Ja, das würde es erklären. Aber wer war noch bei Ihnen? Ich habe damals nicht so genau aufgepaßt.«

»Ein großer, häßlicher dicker Mann. Seinen Namen weiß ich nicht mehr. Er stellte sich als Schwamm-Händler heraus, und er hatte ein Mädchen bei sich, Wu Soundso, die süchtig war.«

»Sonst niemand? Kein Pilot?«

»Doch, doch, Nathan Brazil. Ein komischer kleiner Mann, nicht größer als ich. Aber alt — sein Patent stammte aus der Zeit vor der Konföderation!«

Skander lachte plötzlich und klatschte in die Hände.

»Sie haben die falsche Person entführt«, gluckste sie.

»Sehr interessant, Dr. Skander, aber wie stehen wir da?«sagte eine unheimliche, unirdische und doch ruhige Stimme, die aus Pulsschlägen und Glockenklängen zu bestehen schien, obwohl beide Entführte alles verstanden. Sie drehten sich um, als Der Erahner und Der Rel aus einer Nische glitten.

»Wer, zum Teufel, sind Sie?«fragte Skander aufgebracht.

»Wir stecken leider hinter der groben Behandlung, die Ihnen zuteil geworden ist«, erwiderte Der Rel.

»Sie sind nicht von der Umgebung Czills«, sagte Vardia vorwurfsvoll. »So etwas wie Sie gibt es weit und breit nicht.«

»Wir sind von der nördlichen Halbkugel«, erläuterte Der Rel. »Als wir von Dr. Skanders Mission erfuhren, waren wir jedoch gezwungen, ein Bündnis zu schließen. Sie befinden sich im akkafischen Reich, auf der anderen Seite des Ozeans von Czill.«

»Die großen Käfer«, sagte Vardia. »Die durch das Glas kamen — sie sind nicht…«

»Doch«, sagte Der Rel. »Ich verstehe nicht, warum Sie das beunruhigt. Bis jetzt haben wir wenig Unterschied bei den südlichen Rassen gefunden.«

»Wenig Unterschied!«sagte Vardia empört. »Sehen Sie uns beide doch an. Und wie können Sie uns mit diesen Insekten vergleichen?«

»Die Form bedeutet nichts, nur der Inhalt«, erklärte Der Rel. »Die meisten eurer Handlungen und Reaktionen erscheinen mir unbegreiflich, aber konsequent. Was diese Käfer angeht, werden wir einen davon lange Zeit bei uns haben, fürchte ich. Ich habe es so eingerichtet, daß wir nur das schwächste Glied dieser Gesellschaft erhalten, aber es bedarf keines Scharfsinns, um davon auszugehen, daß das Wesen uns mit unglaublicher Tapferkeit verteidigen wird, bis zu dem endgültigen Augenblick, in dem wir an der Steuerung dieses Planetengehirns stehen. Dann wird es uns natürlich alle töten.«

Skander öffnete ihren Mund, sagte aber nichts. Es war alles ganz klar, bis auf Rolle und Haltung von Erahner und Rel.

»Alles schön und gut«, sagte Vardia schließlich, »aber werden die Leute hier nicht auch daran denken?«

»Oh, sie werden tun, was man ›auf beiden Schultern tragen‹ nennt«, erwiderte Der Rel. »Aber die Talente Des Erahners sind echt. Wir werden es schaffen — alle, bis auf einen von uns. Wir werden es tun.«

»Und wer wird das sein?«fragte Skander.

»Ich weiß es nicht, und Der Erahner auch nicht. Vielleicht einer von euch oder der Akkafier. Vielleicht wir selbst, da kein Erahner seinen eigenen Untergang voraussagen kann.«

Nach einer langen Pause meinte Skander:»Ihr sagt, ihr seid nicht wie wir. Aber ihr habt mich entführt und verfolgt dasselbe Ziel wie alle anderen Rassen. Es geht nach wie vor um Macht.«

»Ihr mißversteht uns«, sagte Der Rel. »Wir haben Macht. Wir besitzen Kräfte, die wir jetzt noch nicht preisgeben. Wir wünschen nicht, uns in eure kleinlichen Bestrebungen, Kriege, Sex, Politik oder sonst irgend etwas einzumischen. Unser Ziel ist ganz einfach: Wir wollen dafür sorgen, daß niemals mehr jemand in das Kontrollzentrum des Gehirns gelangt.«

»Sagen Sie«, erwiderte Skander skeptisch. »Aber im Augenblick sind Sie unsere einzige Hoffnung, daß wir hier herauskommen.«

»Denkt daran«, sagte Der Rel, »ich bin euer einziger Schutz. Übrigens empfehle ich, daß die Czillanerin Vardia für die ganze Expedition ihren Namen wechselt, und daß ihr ihn beide benutzt. Ich sorge dafür, daß unser Begleiter eure Identität nicht erfährt.«

»Aber warum?«fragte Vardia verwirrt. »Wer ist der Begleiter?«

»Ein zutiefst veränderter und geistig präparierter Datham Hain, der dicke Mann aus Ihrer Gruppe«, sagte Der Rel. »Es wäre besser, wenn er nicht wüßte, daß jemand in der Gruppe seine ganze Vergangenheit kennt. Obwohl zum Sklaven gemacht, ist Hain zuinnerst immer noch Hain.«

»Oh«, stieß sie hervor, »dann nenne ich mich Chon. Das ist in Czill ein sehr häufiger Name, und man kann ihn sich leicht merken.«

»Gut«, sagte Der Rel. »Denkt daran. Wir gehen bald. Inzwischen noch einige Hinweise. Dr. Skander, es gibt in diesem Land nur wenig Wasser. Die Leute hier können in der Stunde bis zu zehn, in der Luft doppelt soviele Kilometer zurücklegen, und sie haben gefährliche Stacheln. Und Chon, wenn Sie aus dem Sonnenlicht treten, verwurzeln Sie sich. Das wissen Sie. Nur die Lampe hält Sie wach. Das Licht hier ist nicht stark genug, damit Sie wach bleiben könnten.«Damit glitt das Wesen hinaus.

Skander hieb mit den Fäusten auf den harten Boden, und Vardia hatte wie sie begriffen, daß es kein Entkommen gab.

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