Cousin Bat flog hilflos im Kreis. Vielleicht kann ich ihn hochheben, dachte er, als er Brazils zerschlagenen und blutenden Körper im Schlick liegen sah. Er ist nicht sehr groß, und ich habe mit meinen Beinen schon schwere Steine geschleppt.
Er wollte es versuchen, als eine Gruppe von Murnies das Tal hinaufstürmte. Sie erreichten den Bewußtlosen, bevor Bat etwas tun konnte, und die Fledermaus dachte: Es ist alles vorbei. Sie werden ihn in Stücke hacken und auffressen.
Aber sie taten es nicht. Vier von den Wilden blieben bei Brazil, während zwei andere zur höher gelegenen Prärie hinaufliefen. Bat blieb fasziniert, wo er war, und balancierte auf den Luftströmungen.
Die beiden kamen kurze Zeit später mit einer Tragbahre aus zwei Stangen und geflochtenem Gras zurück und legten Brazil vorsichtig darauf. Sie stiegen mit ihrer Last den Hang hinauf, und Bat folgte ihnen, in der Dunkelheit noch immer unsichtbar.
Auch auf der Ebene war es wieder dunkel geworden. Bat sah fassungslos Hunderte, vielleicht Tausende von Murnies auf eine große rauchende Fläche ungefähr tausend Meter vom Tal entfernt einschlagen, eine wohlgeübte Feuerwehr, die mit Häuten die letzten Funken löschte, während eine anscheinend endlose Kette der Wesen Eimer vom Fluß zur Brandstätte reichte.
Das sollen Wilde sein? fragte sich Bat verwundert. Die Zusammenarbeit und geschickte Bekämpfung des Brandes schien nicht vereinbar zu sein mit den primitiven Fleischfressern.
Brazil wurde in ein kleines Lager abseits der Brandstätte geschleppt. Ein besonders großer Murnie, dessen hellgrüne Haut mit dunkelbraunen Flecken übersät war, untersuchte den Mann und bellte Befehle.
Der hünenhafte Murnie holte einen Eimer Wasser und begann, Brazils Wunden mit einer für die Fledermaus erstaunlichen Sanftheit zu säubern. Andere brachten einen großen Koffer aus Häuten und eine Anzahl Blätter. Der große Murnie öffnete die Verschnürung des Koffers, zog verschiedenfarbige Töpfe heraus, die mit Schlamm gefüllt zu sein schienen, und andere Blätter, die in den Töpfen offenbar in irgendeine Lösung gelegt waren.
Der Murnie bestrich die offenen Wunden Brazils mit dem Schlamm und machte aus den Blättern eine Kompresse für den Kopf des Mannes.
Er ist ein Arzt, begriff Cousin Bat plötzlich. Sie pflegen ihn.
Die Wunden waren groß, wie er sehen konnte. Brazil hatte viel Blut verloren und vermutlich Brüche, eine Gehirnerschütterung und einen Schock davongetragen. Selbst wenn der Medizinmann von Blutübertragung gehört hatte, gab es keinen, der das Blut spenden konnte.
Brazil würde in wenigen Stunden tot sein, begriff Bat traurig, gleichgültig, was dieses Wesen zu tun vermag. Aber was kann ich tun? Und wenn sie ihn auf irgendeine Weise heilen — was wird er dann sein? Gefangener? Haustier? Spielzeug? Sklave?
Der Medizinmann gestikulierte, ein kleinerer Murnie führte eine große Antilope mit Geweih heran. Sie muß betäubt sein, dachte Bat, so willig ließ sich das Tier führen. Er sah entgeistert, daß das hirschähnliche Tier einen Kragen aus sorgfältig zusammengedrehter Haut trug, an dem ein kleiner Stein hing.
Das Tier hat einen Eigentümer, begriff Bat. Züchten diese Wilden ihre Nahrung selbst?
Aus verschiedenen Richtungen kamen fünf weitere Murnies ins Lager, alle so groß wie der Medizinmann, ebenso gefärbt.
Sechs, dachte Bat. Natürlich. Die Primitiven hielten viel von magischen Zahlen, und wenn eine Zahl hier Bedeutung hatte, dann war es gewiß diese.
Sie stellten das Tier vor Brazil hin, alle sechs Murnies traten nah heran. Drei legten die rechten Hände auf die Antilope und ergriffen mit der linken die rechten Hände der drei anderen, die ihrerseits ihre linken Hände auf Brazils Körper legten.
Bat war in der Luft geblieben, solange er konnte, aber nun mußte er landen. Er flog durch das Tal und suchte sich eine Stelle, in deren Nähe keine Murnies zu sehen waren, dann landete er schwer atmend und überlegte, was er tun konnte.
Nach wenigen Minuten war er wieder bei Atem und entschied sich für einen Plan, dessen Aussichten lächerlich gering waren.
Er mußte es versuchen.
Keine Flucht mehr, dachte er. Wenn ich es kann, tue ich es.
Er flog zurück zum Lager und sah, daß es günstig stand. Die Antilope war an einem Pfosten angebunden und lag schlafend am Boden.
Brazil wog um die fünfzig Kilo, schätzte er. Die Bahre? Noch einmal fünf? Zehn? Ich schaffe es nicht, dachte er plötzlich angstvoll. Ein solches Gewicht, über eine solche Strecke!
Plötzlich dachte er an Wuju. Er hatte ihre Spur verloren, konnte sie jetzt aber nicht suchen.
Du hast gut gegessen, sagte Bat sich streng. Du bist so groß und kräftig und gesund, wie du es nur sein kannst. Wenn sie es schafft…
Ohne weiter zu überlegen, fegte er auf Brazil hinunter, packte die Bahre an einer Seite und klappte sie um, damit er beide Stangen mit den Füßen umklammern konnte, während Brazil in die Bahre eingewickelt war. Er schaute sich schnell um. Konnte er abheben, ohne Startplatz, ohne Anlauf?
Er begann, heftig mit seinen großen Schwingen zu schlagen, unterstützt von einem Wind, der sich plötzlich erhob. Er stieg hoch und flatterte noch wilder. Zu tief! dachte er nervös. Brauche Höhe!
Das heftige Klatschen weckte Murnies, die aus ihren Zelten stürmten, unter ihnen der Medizinmann.
»Nein! Nein! Komm zurück!«schrie der Arzt, aber der Wind wurde stärker, und Bat war im Flug, über den Fluß und an ihm entlang. Cousin Bat hielt nichts von Göttern oder Gebeten, aber jetzt betete er, als er sich mühte, Geschwindigkeit, Höhe und Gleichgewicht zu halten. Betete darum, daß er Czill und moderne Medizin erreichen würde, ohne Brazil oder sich oder sie beide zu töten.
Der Medizinmann sah Bat entsetzt und bedrückt in der Dunkelheit verschwinden.
»Ogenon!«rief er mit tiefer, rauher Stimme.
»Ja, Eure Heiligkeit?«erwiderte eine schwächere Stimme.
»Hast du gesehen?«
»Der ehrenvolle Krieger ist von dem Fliegenden entführt worden«, erwiderte Ogenon.
»Der Fliegende weiß nichts von uns und unserer Art, sonst hätte er das nicht getan«, sagte der Medizinmann halb zu sich selbst, halb zu seinem Gehilfen. »Er ist nach Osten geflogen, will also nach Czill. Ich brauche einen starken Läufer, der zur Grenze muß. Sieh mich nicht so an! Ich weiß, wie schlecht die Luft dort ist, aber das muß sein. Die Czillaner müssen begreifen, wenn sie den Krieger sehen und die Geschichte des Geflügelten hören, aber wenn der Körper überlebt — was nicht wahrscheinlich ist — werden sie nichts vom Überleben der Substanz wissen. Geh!«
Ogenon fand einen Krieger, der bereit war, den Lauf zu unternehmen, und der Medizinmann prägte ihm ein, was er sagen sollte, und zu wem. Als der Läufer im Dunkeln verschwunden war, sah der Medizinmann seinen Gehilfen an, der unaufhörlich gähnte.
»Bleib' wach, Junge!«knurrte er. »Sag' mir, wo das Wesen mit den sechs Gliedmaßen ist.«
»Es wird im Kreis der Neun behandelt«, erwiderte Ogenon schläfrig. »Ich habe gesehen, wie es hingeschleppt wurde.«
»Gut. Du mußt zum Hauptlager und mir Grondel holen. Beschreib ihm die drei fremden Wesen und erzähl' ihm vor allem von dem geachteten Krieger und den Dingen, die geschehen sind. Er wird trotz seiner achtzig Jahre schneller hier sein als du.«
Ogenon entfernte sich murrend. Der Medizinmann konnte sein Gähnen nicht mehr unterdrücken, kehrte aber nicht in sein Zelt zurück, sondern setzte sich in der für ihn sehr kühlen Nachtluft auf den Boden. Nun konnte er nur noch warten.
Wuju durchlebte den Alptraum noch stundenlang, dann erwachte sie plötzlich.
Ich muß immer noch träumen, dachte sie. Alles war verschwommen, und sie fühlte sich schwindlig. Sie konnte nicht glauben, was sie sah.
Sie befand sich in einem Murnie-Lager, die Morgendämmerung kündigte sich an, und sie hörte gräßlich lautes Schnarchen. Vor ihr saß der größte Murnie, den sie je gesehen hatte. Seine Haut zeigte eine seltsame braune Verfärbung und nur noch vereinzelte hellgrüne Flecken.
Aus der Ferne hatten sie wie gehende rechteckige Büsche ausgesehen, aber in der Nähe sah sie, daß sie eine grobe Haut besaßen, die wie halbgeschmolzener Kunststoff überall an ihrem Körper herabhing. Sie sehen aus wie mächtige Rümpfe ohne Kopf, dachte sie. Die Augen, tellergroß, waren dort, wo die Brust hingehörte, und vielleicht dreißig Zentimeter darunter befand sich der riesige Mund, ein gewaltiger Schlitz, der den Leib fast in zwei Hälften zu teilen schien. Von Behaarung, Genitalien, Nase oder Ohren war nichts zu sehen.
Sie versuchte, sich zu bewegen, stellte aber fest, daß ihre Beine an tief in den Boden geschlagene Pfosten gefesselt waren und man ihre Hände auf den Rücken gebunden hatte. Sie bäumte sich auf, und der große braune Murnie wurde wach.
»Nicht wehren«, sagte das Wesen zu ihr. »Nicht wehren, habe ich gesagt.«Es stand auf und reckte sich auf sehr menschlich aussehende Weise. »Du bist nicht in Gefahr. Niemand tut dir etwas. Kannst du mich verstehen? Nicke, wenn du es kannst.«
Wuju nickte angstvoll.
»Gut, dann hör zu. Es ist schwer für mich, diese Sprache zu sprechen, und ich muß mich konzentrieren, um die Wörter hervorzubringen. Du kannst mich verstehen, aber ich kann dich nicht verstehen, glaube ich. Sag etwas.«
»Was — was bedeutet das alles?«schrie sie beinahe hinaus.
Der Murnie kratzte sich am Rücken.
»Das dachte ich mir. Ich verstehe kein Wort. Du hast keinen Dolmetscher. Du mußt dich konzentrieren, wie ich. Denk' nach, dann antworte. Welche Sprache spreche ich?«
Sie dachte kurz nach, dann begriff sie plötzlich.
»Konföderation!«rief sie entgeistert. »Sie sind ein Neuzugang!«
»Gut. Ich habe Konföderations-Sprache, aber nichts sonst. Das liegt daran, daß alle Neuzugänge in ihrer Ursprache weiterdenken. Du kannst mich verstehen, also kannst du sprechen wie ich, wenn du angestrengt nachdenkst und deinen Mund dazu bringst, das Wort zu bilden, das du denkst. Versuch' es ganz langsam. Sage mir deinen Namen und die Namen deiner Begleiter. Dann versuch' es mit einem einfachen Satz, Wort für Wort.«
Wuju konzentrierte sich, während Angst und Panik verebten.
»Ichbün-Wuju«, sagte sie, und es klang fast richtig. »Meunef Reunde sin Nathan Brazil un Kusenn Bäht.«
»Nathan Brazil!«rief der große Murnie erregt. Den Rest seiner Worte konnte sie nicht verstehen.
Mein Gott! dachte sie. Kennt auf diesem verrückten Planeten denn jeder Nathan?
Der Murnie kratzte sich plötzlich am Kopf.
»Aber der andere war der Beschreibung nach ein Mann der alten Kultur«, sagte er nachdenklich. »Du meinst, er sieht immer noch so aus?«
Sie nickte, und sein großer Mund öffnete sich überrascht. »Ich möchte wissen, warum er im Schacht nicht verändert worden ist.«
»Währ isd Nathan?«fragte sie.
»Tja, das ist ja das Problem«, erwiderte der Murnie. »Siehst du, er ist sozusagen an zwei Orten gleichzeitig.«
Er sei ein ehemaliger Frachterpilot wie Brazil, erklärte ihr der Murnie, zweihundert Jahre im Beruf, vor der vierten Verjüngung, die ganze Familie und alle Freunde tot, seine Welt so verändert, daß er nicht zurückkonnte. Er hatte Selbstmord begehen wollen, dann aber ein seltsames Notsignal mitten im Nirgendwo aufgefangen, den Kurs geändert, und auf einmal schien sein Schiff zu verschwinden, er war in den Zone-Schacht gefallen und als Murnie zu sich gekommen.
»Sie sind gute Leute«, sagte er. »Nur ganz andersartig. Sie können nichts gebrauchen, was nicht in der Natur zu finden ist oder von Hand gemacht wird. Überhaupt keine Maschinen. Sie sind zweigeschlechtlich, wie wir — obwohl ein Fremder nicht erkennen könnte, wer was ist. Enge Familien, hochentwickelte Volkskunst und Musik — Hirten, welche die Antilopen züchten, die wir essen. Aber sehr feindselig gegenüber Fremden — sie hätten euch gestern getötet.«
»Worruhm lähb ich dannoch?«fragte sie.
»Du lebst, weil ihr ungefähr zwei Dutzend Krieger getötet habt, direkt, meine ich, abgesehen vom Brand.«
Sie begriff nicht und sagte es ihm.
»Die Murnies akzeptieren den Tod als etwas Natürliches«, erläuterte er. »Wir fürchten ihn nicht und beschäftigen uns nicht damit. Wir leben für den Tag, das ist viel angenehmer. Was am meisten respektiert und geachtet wird, sind Ehre und Mut, und die habt ihr gestern nacht bewiesen. Wenn ihr euch ergeben hättet, wäret ihr trotzdem getötet worden, aber sie fanden dich und Brazil bewußtlos an verschiedenen Stellen im Fluß. Es wäre feige und unehrenhaft gewesen, euch zu töten. Ihr habt euch Achtung erworben, deshalb seid ihr in Lager gebracht und gepflegt worden. Unsere Medizin ist ziemlich hochstehend — das ist ein rauhes Hex.«
»Nathan!«rief sie. »Üßt ärr amm Lähben?«
»Er hat viel mehr mitgemacht als du«erwiderte der Murnie ernsthaft. »Du wirst ein wenig Schmerzen haben, wenn das Kräutermittel in seiner Wirkung nachläßt, hast aber nicht mehr als vier oder fünf tiefe Schürfwunden davongetragen. Wir haben sie behandelt, doch sie werden wehtun. Aber Brazil ging es viel schlechter. Ich weiß nicht, wie er weitermachen konnte. Er sollte tot sein oder zumindest völlig gelähmt, doch er lief noch fast einen Kilometer durch den Fluß, bevor er zusammenbrach. Was für einen unglaublichen Willen muß er haben! Die Murnies werden Jahrhunderte von ihm und seinen Taten singen! Zu den vielen kleineren Brüchen, dem enormen Blutverlust und dem völlig kaputten Bein hatte er sich Rücken und Hals gebrochen und lief trotzdem noch einen Kilometer weit.«
Sie dachte an den armen Nathan, und es wurde ihr so übel, daß sie geraume Zeit brauchte, um sich wieder auf den Murnie konzentrieren zu können.
»Lähbterr noch?«fragte sie stockend.
»Er lebt noch«, erwiderte der Murnie. »Sozusagen.«
»Ährr isd pöh — böwußtloss?«
»Bewußtlos, ja. Aber die Ärzte hier — es sind wirklich Ärzte — besitzen enorme Kräfte, die sie ein halbes Leben lang entwickelt haben. Als Brazil ins Lager gebracht wurde, war er schon das legendärste Wesen, das es hier jemals gegeben hat. Der Geheiligte, der ihn untersuchte, tat, was er konnte, aber er sah, daß der Tod nicht aufzuhalten sein würde. Er holte fünf andere — sechs ist hier aus naheliegenden Gründen eine magische Zahl — und sie nahmen eine Übertragung der Ehre vor. Das ist, seit ich hier bin, nur drei- oder viermal geschehen — es verkürzt das Leben der Geheiligten um ein Jahr oder mehr. Sie behalten es sich für den Gipfel an Ehre und Mut vor.«Er sah sie an und unterbrach sich. »Ich sehe, du begreifst nicht. Es ist schwer zu erklären. Hängst du einer Religion an?«
Der Gedanke an Religion war für sie sehr komisch, aber sie sagte nur leise:»Nein.«
»Wenige von uns tun es — oder taten es zu meiner Zeit, und jetzt wird es noch schlimmer sein. Aber hier lernt man, daß man von den meisten Dingen nichts weiß. Man mag es mechanisch nennen, wenn man will, einen Teil der Kräfte des markovischen Gehirns, aber man muß es akzeptieren: Was wir sind, unsere Erinnerungen, unsere Persönlichkeit, was auch immer, kann nicht nur verwandelt, sondern auch weitergereicht werden. Sieh mich nicht so an — ich bin nicht wahnsinnig. Ich habe es gesehen.«
»Wohlennsüh mirr sahken, daßn Athan jötzt ein Murnie isst?«fragte sie ungläubig.
»Kein Murnie«, erwiderte er ruhig. »Das würde verlangen, daß sein — nun, nennen wir es sein ›Wesen‹ — auf jemand anderen übertragen wird. Nein, wenn jemand so hochgeachtet ist, daß ihm eine Übertragung der Ehre zugebilligt wird, gelangt er in den besten Vollblut-Antilopenhirsch oder in ein Reh. Sieh mich nicht so entsetzt an — sie sind von so hervorragenden Eigenschaften, daß sie sofort erkannt werden. Niemand würde sie töten oder auch nur belästigen. Wenn der Körper dann gesundgepflegt werden kann, was selten vorkommt, sonst würden die Geheiligten das Verfahren gar nicht anwenden — wird er wieder zurückgetauscht. Wenn nicht, wird er verehrt, versorgt und führt ein glückliches und friedliches Leben auf den Ebenen.«
»Nathan üßt einne Ahntiloppe?«ächzte sie.
»Ein wunderschöner Vollblut-Hirsch«, bestätigte der Murnie. »Ich habe ihn gesehen. Er ist noch betäubt. Ich wollte nicht, daß er aufwacht, bevor wir beide dort sind und es ihm erklären können.«
»Bestött ürrgeneine Ausücht, daß ein Kärrper amLähben bleipt?«
»Ob sein Körper am Leben bleibt? Ich weiß es nicht. Ich bezweifle es sehr, aber ich nehme an, der Ausgang hängt davon ab, was mit ihm noch geschieht.«Er berichtete von der Entführung des Körpers durch Cousin Bat. »Er konnte uns offenbar nicht als zivilisiert betrachten und mußte Brazil für das Opfer primitiver Medizin ansehen. Er bringt Brazils Körper nach Czill, wo es ein modernes Krankenhaus gibt. Wenn der Körper die Reise überlebt, werden die Czillaner wissen, was geschehen ist. Einer unserer Leute unterrichtet sie heute für alle Fälle. Sie können die Funktionen des Körpers, wenn er noch lebt, unbegrenzt aufrechterhalten, auch wenn er nur eine leere Hülse ist. Ihre Computer wissen von der Übertragung der Ehre. Wenn sie den Körper zu heilen vermögen, kann er zur Rückübertragung hierhergebracht werden, aber ich würde meine Hoffnungen nicht daran knüpfen. Ich habe in meinen achtzig Jahren drei Übertragungen erlebt, und keiner der Körper hat die Nacht überstanden.«
Nathan Brazil erwachte mit einem merkwürdigen Gefühl. Alles sah ganz anders aus.
Er befand sich auf der Murnie-Prärie — und es war Tag.
Ich habe also wieder einmal überlebt, dachte er.
Allerdings sah alles höchst sonderbar aus, wie durch ein Fischauge-Kameraobjektiv gesehen. Sein Gesichtsfeld war etwas größer als vorher, es war ein Rundbild, das starke Verzerrungen aufwies. Am Rand schien alles ganz nah zu sein, aber zum Mittelpunkt hin entfernte sich alles, wie durch einen langen Tunnel gesehen. Und die ganze Welt war braun — eine unfaßbare Anzahl von Braun- und Weißtönen.
Brazil drehte den Kopf und schaute sich um. Verzerrung und Farbenblindheit blieben.
Und er kam sich eigenartig vor. Sein Gehör war unglaublich scharf. Er hörte alles kristallklar, sogar Stimmen und Geräusche in weiter Entfernung. Murnies gingen hin und her, und sie erschienen ihm alle hellbraun, obwohl er sie grün in Erinnerung hatte. Plötzlich hörte er Schritte und sah einen großen dunkelbraunen Murnie auf sich zukommen.
Ich muß mit Drogen betäubt sein, dachte er. Das sind die Nachwirkungen irgendeiner Droge.
Der große Murnie kam auf ihn zu.
Ich muß auf einem Gestell stehen, dachte Brazil. Ich bin so groß wie er, und er ist mindestens zwei Meter groß.
Zwei riesenhaft vergrößerte Murniehände ergriffen seinen Kopf und drückten ihn ein wenig herab, damit das Wesen direkt in Brazils Augen blicken konnte.
»Ah, wach, wie ich sehe«, sagte der Murnie in Konföderations-Sprache. »Noch nicht bewegen. Und nichts sagen. Sie können nicht.«Das Wesen setzte sich müde ins Gras. »Ich habe eineinhalb Tage nicht geschlafen«, sagte es. »Es tut gut, sich ausruhen zu können.«Es setzte sich bequemer und suchte nach Worten. »Also, Nate«, sagte es, »alles der Reihe nach. Sie wissen, daß ich ein Neuzugang bin, und ich höre, daß ich nicht der erste bin, den Sie gekannt haben, und auf den Sie hier wieder gestoßen sind. Wenn Sie neunzig Jahre zurückdenken können, erinnern Sie sich vielleicht an Shel Yvomda. Ja? Wenn ja, schütteln Sie den Kopf.«
Brazil dachte nach. Der Name war merkwürdig, aber er konnte sich nicht erinnern. Er bewegte den Kopf hin und her.
»Nun, macht nichts. Ich werde jetzt Alter Grondel genannt. Alter, weil ich hier über fünfzig Jahre lebe und das Achtung einbringt. Grondel ist ihr Name — bedeutet ›Der höfliche Esser‹, weil ich zivilisiert geblieben bin. Ich bin einer von zwei Leuten in Murithel, die noch die Konföderations-Sprache beherrschen. Wir hätten sie verlernt, sind aber zusammengetroffen und üben manchmal. Nun genug davon. Ich sollte Ihnen lieber sagen, was geschehen ist. Es wird Ihnen nicht gefallen, Nate.«
Brazil war wie vor den Kopf geschlagen, akzeptierte aber die Situation und begriff, warum sie es getan und für notwendig gehalten hatten. Er empfand sogar tiefe Zuneigung für Cousin Bat, obwohl er alles verpfuscht hatte.
Die Wirkung der Droge verflog gänzlich, und er konnte sich frei bewegen.
Er sah an sich hinunter und dachte: So etwas muß Wuju gesehen haben, als sie in Dillia auftauchte. Lange Beine mit Kurzhaarfell, viel graziöser als ihre, mit dunklen Hufen.
Er drehte den Kopf und sah sich in einem der Zelte gespiegelt.
Ein herrliches Tier bin ich, dachte er ohne Humor. Und das Geweih! Deshalb war ihm sein Kopf so schwer vorgekommen.
Er versuchte, sich vorwärts zu bewegen und blieb hängen. Der Mumie lachte und befreite ihn von der Fessel.
Er ging zum erstenmal auf vier Beinen, ganz langsam im Kreis, So fühlt man sich also, wenn man verwandelt ist, dachte er. Merkwürdig, aber nicht unbehaglich.
»Es gibt ein paar Haken dabei, Nate«, sagte Grondel. »Es ist nicht wie eine Verwandlung. Der Körper, den Sie haben, ist der eines großartigen Tieres, aber nicht einer beherrschenden Gattung. Sie haben keine Hände, Fühler oder sonst irgend etwas, um außer mit der Schnauze etwas aufzuheben, und Sie haben keine Stimme. Diese Antilopen sind völlig stumm. Und ihre einzigen Waffen sind Geschwindigkeit — die beträchtlich ist, im Durchschnitt fünfzehn Kilometer und mehr, auf kurze Strecken bis zu sechzig — und ein gewaltiger Tritt mit den Hinterbeinen. Und das Geweih. Es ist dauerhaft, es fällt nicht ab und wächst nicht.«
Brazil bemerkte plötzlich, daß er Gras kaute, und erstarrte.
»Ich kann mir denken, was Ihnen klargeworden ist«, sagte der Mumie. »Sie haben Gras gerupft, ohne darauf zu achten.«
Brazil nickte.
»Vergessen Sie nicht — Sie, alles von Ihrem Selbst — ist übertragen worden, aber auf das bemerkenswert schlichte Antilopengehirn und Nervensystem. Nur aufgeprägt, nicht ausgetauscht. Wenn Sie nicht direkt dagegen arbeiten, wird das Tier sich in jeder Beziehung wie ein Tier verhalten, automatisch und instinktiv. Sie sind nicht von einem Menschen zu einem Tier geworden, sondern Mensch plus Tier.«
Brazil dachte nach. Wie passe ich in diesen Schädel? fragte er sich. Alle meine Erinnerungen — mehr vielleicht, als jeder andere Mensch besitzt. Waren Erinnerungen nicht etwas Chemikalisches? Wie hatte dieses winzige Gehirn Platz für sie alle?
»Nate!«
Er drehte sich um. Grondel lief auf ihn zu. Er war, während er nachdachte, davongegangen, fast bis zur Herde. Er lief zurück ins Lager, erstaunt über die Leichtigkeit und Schnelligkeit seiner Bewegungen, wurde aber langsamer, als er begriff, daß er sich an diese Sehweise erst gewöhnen mußte. Er rannte den Murnie beinahe nieder.
Er wollte sich entschuldigen, aber kein Laut ließ sich hervorbringen.
»Ich weiß die Antwort nicht, Nate«, sagte der Murnie mitfühlend. »Aber gewöhnen Sie sich daran, bevor Sie etwas Unüberlegtes tun. Ihr Körper ist entweder tot oder wird noch gesünder, je länger Sie ihn in Czill lassen. He! Da fällt mir gerade etwas ein. Kommen Sie da herüber zu der Staubfläche.«
Brazil folgte Grondel neugierig.
»Sehen Sie«, sagte Grondel aufgeregt und zeichnete mit dem Fuß eine Linie in den Staub. »Jetzt Sie!«
Brazil begriff. Es war mühsam und sah nicht gut aus, aber nach ein wenig Übung konnte er die Buchstaben mit dem Huf in den Boden ritzen.
»WO IST WUJU?«schrieb er.
»Sie ist hier, Nate. Wollen Sie sie sehen?«
Brazil dachte nach, dann schrieb er mit großen Buchstaben: »NEIN.«
»Warum nicht?«fragte der Murnie.
»WEISS SIE BESCHEID?«
»Ja. Ich — ich habe es ihr gestern gesagt. Hätte ich das nicht tun sollen?«
»WILL NICHT«, begann er, als er Wujus Stimme hörte.
»Nathan?«rief sie. »Bist du das wirklich?«
Er hob den Kopf und sah sie an. Sie stand da und schüttelte ungläubig den Kopf.
»Er ist es«, versicherte ihr Grondel. »Sehen Sie? Wir haben uns verständigt. Er kann Buchstaben in den Boden ritzen.«
Sie blickte auf die Spuren und schüttelte traurig den Kopf.
»Ich — ich habe nie lesen gelernt«, sagte sie beschämt.
»Schade«, knurrte der Murnie. »Hätte vieles vereinfacht.«Er wandte sich an Brazil. »Hören Sie, Nate, ich kenne Sie gut genug, um zu wissen, daß Sie nach Czill wollen, sobald Sie sich das zutrauen. Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, aber Sie brauchen sie. Wir können nicht gehen und würden es nicht tun, wenn wir könnten. Und jemand muß wissen, daß Sie Sie sind, Sie vom Weglaufen abhalten und für Sie reden. Sie brauchen sie, Nate.«
Brazil starrte die beiden an und versuchte, seine eigenen Gefühle zu verstehen. Scham? Angst?
Nein, Abhängigkeit, dachte er.
Ich bin nie von jemandem abhängig gewesen, aber jetzt brauche ich einen anderen. Zum erstenmal in meinem Leben.
Er hing von Wuju ab, beinahe auf dieselbe Weise, wie sie zu Beginn ihrer Beziehung von ihm abgehangen hatte.
Er schrieb in den Staub:»ABER JETZT BIN ICH GRÖSSER ALS DU.«
Grondel lachte und las es ihr vor. Sie lachte auch.
Dann schrieb er:»ERKLÄREN SIE IHR DAS MIT DEM TIER.«Grondel begriff und erklärte, daß Brazil in Wahrheit zwei Wesen war — ein Mensch, ein Tier — und wie sich das tierische Verhalten auswirkte.
Sie begriff. Nachts würde er an einen Pfosten gefesselt werden müssen, damit er nicht davonlief. Und selbst konnte er das nicht machen.
Abhängigkeit. Das störte ihn, wie nie etwas zuvor, aber es war nicht zu ändern.
Er hoffte inbrünstig, daß sein Körper noch lebte.
Grondel war schließlich zusammengebrochen und lag laut schnarchend in einem Zelt.
Brazil und Wuju waren zum erstenmal allein, und er mußte die Schmach ertragen, angepflockt zu sein, damit er nicht davonwanderte.
Den ganzen Tag hatten sie daran gearbeitet, daß er sich an seinen Körper, an das veränderte Sehen, an das geschärfte Gehör und den Geruchssinn gewöhnte.
Einiges war einfacher geworden, gewiß. Sie brauchten kein Gepäck mehr, er konnte essen, was sie aß. Er konnte so schnell laufen, wie Cousin Bat zu fliegen vermochte, kurzzeitig vielleicht sogar schneller.
Wenn er nur hätte reden oder irgendeinen Laut von sich geben können.
Wuju sah ihn bewundernd an.
»Weißt du, du bist wirklich wunderschön, Nathan. Hoffentlich gibt es in Czill Spiegel.«Sie beherrschte die alte Sprache jetzt schon sehr gut. Sie kam heran, preßte ihren Leib an den seinen, begann, ihn zu streicheln.
Sein Inneres rebellierte, obwohl er sich nicht von ihr löste.
Ich werde erregt! dachte er überrascht. Und so, wie es sich anfühlte, gab es allerhand zu erregen bei ihm.
Er wollte sie aufhalten, aber statt dessen drehte er den Kopf zu ihr und wühlte mit seiner Schnauze an ihrem Hals. Sie beugte sich vor, damit das Geweih ihn nicht behinderte.
Ist es das Tier oder will ich das? dachte er dumpf, aber der Gedanke verflog als unwichtig, wie auch der, daß sie noch immer von völlig verschiedener Art waren.
Er streichelte ihren Pferderücken mit der Unterseite seiner Schnauze und erreichte das knochige Hinterteil. Sie seufzte und streifte ihm die Fessel ab. Sie machten weiter.
Das war eine verrückte, wahnsinnige Art, sich zu paaren, aber das Tier in ihm zeigte ihm, wie.
Wuju bekam von Nathan Brazil endlich, was sie wollte.
Brazil erwachte und fühlte sich so gut wie schon seit vielen Jahren nicht. Er blickte hinüber zu Wuju, die noch schlief, obwohl die Sonne vor einer Stunde aufgegangen war.
Ist es nicht seltsam? dachte er. Die Verwandlung, die Krise, die Art, wie diese Leute mir gedient haben, all das hat bewirkt, was nichts anderes zu erreichen vermocht hatte.
Er erinnerte sich.
Er erinnerte sich an alles, bis zurück zum Anfang.
Er begriff endlich, was er vorher getan hatte, was er jetzt tat, warum er überlebte.
Er dachte an das Gefäß, in dem er steckte. Nicht seine eigene Wahl, das verstand sich, aber brauchbar, wenn er nur eine Stimme bekommen konnte.
Was für eine grandiose Veränderung, alles zu wissen! Sein Verstand war völlig klar, nun, da alles vor ihm lag. Er beherrschte jetzt alles.
Komisch, dachte er, das ändert gar nichts. Wissen, Erinnerung, Weisheit beiseite, er war der Höhepunkt aller Erfahrungen in seinem unfaßbar langen Leben.
Nathan Brazil. Er schmeckte den Namen ab. Er gefiel ihm immer noch. Von den — wie vielen? — tausend oder mehr Namen, die er getragen, klang dieser am behaglichsten und rätselhaftesten.
Er ließ seinen Geist hinausschweifen. Ja, entschieden eine Art Zusammenbruch. Kein umfassender, aber schlimm. Die Zeit dämpft alle Mechanismen, und die unendliche Komplexität der Hauptgleichung mußte Fehler enthalten. Man kann die Unendlichkeit mathematisch darstellen, aber nicht als etwas Reales, als etwas, das man sehen und verstehen kann.
Und doch bin ich immer noch Nathan Brazil, dachte er, immer noch die Person, die ich gewesen bin, und ich bin hier in Murithel im Körper eines großartigen Tieres, und ich muß nach wie vor zum Schacht, bevor Skander oder Varnett oder sonst jemand hinkommt.
Czill. Wenn er richtig verstanden hatte, gab es dort Computer. Also ein Hex mit hochstehender Technologie. Man würde ihm eine Stimme geben — und das Neueste mitteilen können.
Grondel kam aus einem Zelt und ging zu ihm. Brazil zerrte an seiner Fessel, und der Murnie befreite ihn. Er ging sofort zu der Stelle, wo er seine Buchstaben einritzen konnte. Grondel folgte ihm.
»Was gibt es, Nate?«
»WIE WEIT VON HIER ZUM ZENTRUM IN CZILL?«schrieb Brazil.
»Schon, wie?«murmelte Grondel. »Ich wußte es. Nun, ungefähr hundertfünfzig Kilometer, vielleicht etwas mehr, zur Grenze, dann ebenso weit zur Hauptstadt in Czill. Genau weiß ich es nicht, weil ich dieses Hex nie verlassen habe. Wir kommen mit unseren Nachbarn nicht gut aus, was uns nur recht ist.«
»MUSS GEHEN«, scharrte er in den Staub. »HABE JETZT KONTROLLE. WICHTIG.«
»Hmm… Dachte mir schon, daß Sie nicht Urlaub machen wollen. Also gut, wenn es nicht anders geht. Und das Mädchen?«
»SIE KOMMT AUCH MIT. ARBEITE EINFACHEN CODE FÜR GRUNDLEGENDE DINGE AUS, ANHALTEN, WEITER, ESSEN, SCHLAFEN, ETC.«
Und so machten sie es. Brazil ließ sich möglichst viele Grundbegriffe einfallen und übersetzte sie in Stampfen mit dem rechten Bein, dem linken Bein. Zwölf Begriffe waren das Äußerste, was er ihr zumuten wollte.
Sie fraßen sich mit Gras voll. Grondel wollte auf Wuju bis zur Grenze mitreiten. Nathan war als gekennzeichnete Antilope ungefährdet, aber sie nicht. Ein Murnie in ihrer Begleitung konnte für sicheres Geleit sorgen.
Sie folgten dem Fluß, kamen an der Stelle vorbei, wo er im Schlick gelegen hatte. Sie kamen sehr schnell voran, und Brazil genoß seine Kraft und Geschwindigkeit, aber für einen Reiter war er nicht geeignet, und Wuju mußte Grondel tragen, was sie behinderte. Es spielte keine Rolle.
Am zweiten Tag kurz nach Einbruch der Dunkelheit erreichten sie die Grenze. Am Morgen des dritten Tages, nachdem Grondel Wuju den Code noch einmal eingeschärft hatte, verabschiedeten sie sich von ihm und gingen nach Czill hinein. Die Luft war außerordentlich schwül und feucht und stank nach Kohlendioxid.
Sie stießen bald auf Czillaner, seltsam aussehende Wesen, die ihn an glatthäutige Kakteen mit zwei Stämmen und geschnitzten Kürbisköpfen erinnerten. Weder er noch Wuju hatten ein Übersetzungsgerät, so daß sie sich nicht verständigen konnten, aber im ersten Ort, den sie erreichten, konnten sie eine einfache Verbindung herstellen. Das Dorfzentrum glich einer riesigen, durchsichtigen, geodätischen Kuppel und war eines der über hundert Forschungszentren außerhalb der Hauptanlage. Die Czillaner waren überrascht, eine Dillianerin zu sehen — sie wußten, was Wuju war, aber nach ihrem Wissen hatte noch keine ihrer Rasse Czill je erreicht. Sie betrachteten Brazil als eine Kuriosität, als ein bloßes Tier.
Wuju konnte ihnen nicht viel mehr klarmachen als ihre Namen. Sie gab schließlich auf, und sie liefen auf der Straße weiter. Brazil kümmerte sich sehr um Wuju, und sie liebten sich jede Nacht. Sie war glücklich und fragte sich nicht einmal, wie Brazil, der die Führung übernommen hatte, an jeder Gabelung wußte, welchen Weg er zu nehmen hatte. Sie hatte ihn jetzt und wollte ihn nicht mehr verlieren.
Am Vormittag des zweiten Tages erreichten sie die Hauptstraße des Sechsecks und folgten ihr. Es dauerte noch eineinhalb Tage, bis sie das Zentrum erreichten, da es nicht, wie Grondel vermutet hatte, in der Mitte des Hexagons lag, sondern an der Meeresküste.
Sie kamen an, als es dunkel wurde, und Brazil zeigte durch Stampfen an, daß sie zuerst schlafen wollten. Als er sie in dieser Nacht liebte, war sie unruhig. Sein Denken ist schon in dem Gebäude, sagte sie sich, und das bedrückte sie. Das mochte ihre letzte Nacht sein.
Cousin Bat weckte sie in den frühen Morgenstunden, bevor es hell wurde.
»Brazil! Wuju! Wacht auf!«rief er aufgeregt. Wuju sah ihn und begrüßte ihn herzlich. Der ganze alte Argwohn war vergessen.
Bat starrte Brazil ungläubig an.
»Sind das wirklich Sie, Brazil?«
Brazil nickte.
»Er kann nicht sprechen, Cousin Bat«, sagte Wuju. »Er hat keine Stimmbänder. Ich glaube, das stört ihn mehr als alles andere.«
»Es tut mir leid«, sagte Bat ernst. »Das wußte ich nicht.«Er schnob. »Großer Held, der den Verletzten den Tod aus dem Rachen reißt. Ich habe alles verdorben.«
»Aber Sie sind ein Held«, tröstete ihn Wuju. »Das war etwas unglaublich Tapferes und Wunderbares.«Sie verstummte. Die Frage mußte gestellt werden. »Ist er — lebt sein Körper noch?«fragte sie leise.
»Ja, auf irgendeine Weise«, erwiderte Bat. »Aber — nun, es ist ein Wunder, daß er überhaupt noch lebt, und medizinisch gibt es keinen Grund dafür. Die Ärzte hier sind großartig, aber der Körper wird nur noch für Klonen geeignet sein. Wenn Brazil in ihn zurückkehrte, würde er nur dahinvegetieren.«
Sie sahen Brazil an, aber die Antilope zeigte keine Reaktion.
»Dann muß er ein Tier bleiben?«fragte sie.
»Sieht so aus«, erwiderte Bat langsam. »Man hat mir jedenfalls erklärt, die Verletzungen seien so schwer gewesen, daß ich keinen weiteren Schaden angerichtet habe. Sie können nicht verstehen, wie er die Hiebe der Murnies überstanden hat, die ihm Hals und Wirbelsäule an zwei Stellen brachen. Niemand hat jemals so etwas überlebt.«
Sie unterhielten sich, bis es hell wurde und die Czillaner im Sonnenschein erwachten. Bat führte sie ins Zentrum und zum medizinischen Flügel am Fluß.
Die Czillaner waren von Brazil fasziniert und bestanden darauf, ihn mit Elektroenzephalographen und anderen Geräten zu untersuchen. Er war ungeduldig, ließ das aber über sich ergehen. Wenn sie so weit fortgeschritten waren, konnten sie ihm vielleicht eine Stimme verschaffen.
Sie führten Nathan danach hinunter und zeigten ihm seinen Körper. Wuju kam mit, aber ein kurzer Blick genügte, und sie hastete davon.
Er schwamm in einem Tank, an Hunderte von Instrumenten und Lebenserhaltungssystemen angeschlossen. Die Monitore zeigten autonome Muskeltätigkeit, aber keinerlei Gehirnaktivität. Der Körper selbst war zusammengeflickt worden, sah aber aus wie durch einen Fleischwolf gedreht. Das rechte Bein fast abgerissen, jetzt wieder angenäht, aber leblos. Die Riesenhand, die das Bein abgerissen hatte, hatte ihn auch kastriert.
Brazil hatte genug gesehen. Er verließ den Raum und stieg vorsichtig die Treppe hinauf. In die Aufzüge paßte er nicht.
Der Arzt hatte von Bat erfahren, daß Brazil schreiben konnte. Da es in Czill genug weichen Boden gab, hatte er eine große Sandkiste beschafft.
»Was sollen wir tun?« fragte der Arzt.
»KÖNNT IHR MIR SPRECHGERÄT BAUEN?« fragte Brazil.
»Vielleicht. Sie wissen, daß die Übersetzungsgeräte, die wir aus einem anderen Hex einführen, eingepflanzt und an Neuralwege zwischen Gehirn und Stimmapparat des Wesens angeschlossen werden. In Ihrem alten Körper hatten Sie eines. Wir haben nun nichts, wo wir das Gerät bei Ihnen anbringen können, aber wenn wir ein kleines künstliches Zwerchfell einsetzen und die elektrischen Impulse von Ihrem Gehirn über Kabel dorthin übertragen, könnten wir einen Sprechkasten montieren. Es wäre nicht ideal, aber man könnte Sie verstehen. Ich sage den Labors Bescheid. Die Operation ist einfach, und wir könnten sie morgen oder übermorgen durchführen.«
»JE FRÜHER, DESTO BESSER«, schrieb Brazil und wollte sich entfernen, aber der Arzt hielt ihn zurück.
»Solange wir allein sind, möchte ich etwas besprechen, das Sie vielleicht nicht wissen. Unsere Untersuchungen zeigen, daß Sie körperlich etwa viereinhalb Jahre alt sind. Den Unterlagen zufolge liegt die durchschnittliche Lebenszeit der Murithel-Antilope zwischen acht und zwölf Jahren, so daß Sie damit rechnen müssen, viel schneller zu altern. Sie haben noch vier bis acht Jahre zu leben, nicht länger. Aber das ist um ebenso viele Jahre länger, wie Sie ohne die Übertragung gelebt hätten.«
Das Tier legte den Kopf auf die Seite, als wolle es mit den Achseln zucken. Brazil ging zurück zum Sandkasten.
»VIELEN DANK«, schrieb er. »NICHT VON BEDEUTUNG.«Er ging.
Der Arzt starrte ihm verwirrt nach. Er wußte, daß nach Meinung aller Brazil die älteste lebende Person sei, die es gab, und er hatte zweifellos unfaßbare, übermenschliche Lebenskraft bewiesen. Vielleicht will er sterben, dachte der Czillaner. Oder vielleicht meint er, er könnte es selbst jetzt nicht.
Die Operation wurde mit örtlicher Betäubung durchgeführt. Das einzige Problem für den Chirurgen bestand darin, die richtigen Nervensignale in einem Tiergehirn, das für die Sprache so ungeeignet war, herauszuschälen. Man fand sie mit Hilfe der Computer in knapp einer Stunde. Dann blieb nur noch die Sorge des Bohrens im Geweih, aber dieses erwies sich als schmerzunempfindlich. Man verwendete ein kleines Transistorradio der Umiau, das viel aushielt und wasserdicht war. Man stellte Anschlüsse im Sockel des Geweihs her, und das winzige Radiogerät, nur an die sechzig Quadratzentimeter groß, wurde dort angeschraubt. Ein kosmetischer Eingriff und Plastik sorgten dafür, daß bis auf das Lautsprechergitter alles nahezu unsichtbar blieb.
»Sagen Sie jetzt etwas«, erklärte der Chirurg. »Tun Sie ganz so, als könnten Sie sprechen.«
»Wie ist das?«fragte Brazil. »Können Sie mich hören und verstehen?«
»Ausgezeichnet«, sagte der Chirurg begeistert. »Ein Markstein. Es gibt sogar Spuren von Betonung und Modulation.«
Brazil war hocherfreut, obwohl die Stimme hinter dem Gedanken ein wenig herhinkte, woran er sich erst noch gewöhnen mußte. Seine neue Stimme klang in seinen Ohren überaus seltsam und besaß nicht die innere Resonanz, die von Stimmbändern erzeugt wird.
Sie genügte. »Sie werden starke Kopfschmerzen haben, wenn die Narkose nachläßt«, sagte der Chirurg. »Im Geweih gibt es zwar keine Schmerzzentren, aber wir mußten in den Schädel eindringen, um die Anschlüsse herzustellen.«
»Das stört mich nicht«, erwiderte Brazil. »Den Schmerz kann ich verdrängen.«
Er ging hinaus, wo Wuju und die Fledermaus sorgenvoll warteten.
»Wie gefällt euch meine neue Stimme?«fragte er.
»Dünn, schwach und blechern, sehr mechanisch klingend«, sagte Bat.
»Sie klingt gar nicht nach dir, Nathan«, meinte Wuju. »Sie hört sich an wie ein winziges Taschenradio, wie der Computer sich anhört. Trotzdem ist etwas von dir daran — die Art, wie du Pausen machst, wie du etwas ausdrückst.«
»Jetzt kann ich an die Arbeit gehen«, sagte Brazils seltsame neue Stimme. »Ich muß mit dem Czill-Leiter des Skander-Projekts reden, mit einer maßgeblichen Person der Umiau, und ich brauche einen Atlas. Inzwischen besorgst du dir einen Dolmetscher, Wuju. Das ist bei dir wirklich ein leichter Eingriff. Ich will nicht plötzlich irgendwo dastehen, wo du mit keinem reden kannst.«
»Ich komme mit«, sagte die Fledermaus. »Ich kenne mich jetzt schon ganz gut hier aus. Die Stimme ist wirklich sonderbar, wissen Sie. Nicht nur, daß etwas so Wichtiges aus einem so großen Wesen kommt. Sie scheint keinen bestimmten Ursprung zu haben. Ich muß mich erst daran gewöhnen.«
»Das einzige von Wichtigkeit ist, daß Sie mich ein großes Wesen nennen«, sagte Brazil trocken. »Sie wissen nicht, was es bedeutet, durchs Leben zu gehen und kleiner zu sein als alle anderen.«
Sie gingen hinaus, und Wuju blieb allein und verwirrt zurück. Das lief ganz und gar nicht so, wie sie erwartet hatte. Er wirkte so kalt, so fern, so anders — das war nicht Nathan. Es lag nicht an der Stimme. Es war etwas in der Stimme, eine Manier, eine Kälte, eine Knappheit, die sie vorher nie gefühlt hatte.
»Besorg' dir einen Dolmetscher«, hatte er gesagt und war gegangen, ohne sich zu verabschieden oder ihr Glück zu wünschen.
»Ich will ein letztes Mal zum alten Körper hinunter«, sagte Brazil zu Cousin Bat, und sie stiegen in den Keller hinunter.
Auch Bat war eine Veränderung an ihm aufgefallen, und er machte sich Sorgen. Er fragte sich, ob die Verwandlung Brazils Gemüt verändert oder verwandelt hatte. Manche Formen des Wahnsinns und der Persönlichkeitsstörung sind organisch, dachte er. Wenn das Tiergehirn nun nicht das Richtige in ausreichenden Mengen liefert? Wenn er es nur zum Teil ist?
Sie betraten den Raum, wo sein Körper schwebte, nach all den Bildschirmen und Meßgeräten immer noch am Leben. Brazil stand am Tank und starrte den Körper lange an. Schließlich sagte er wehmütig:»Es war ein gutes Gefäß. Es hat mir lange, lange Zeit gedient. Nun, nicht zu ändern. Das neue ist auch gut zu gebrauchen. Laß es.«
Als er das letzte Wort aussprach, gingen alle Zeiger auf Null zurück, und die Schirme zeigten keine Lebenszeichen mehr an.
Wie auf Befehl war der Körper gestorben.
Brazil drehte sich um und ging wortlos hinaus.
»Es gibt keine Frage, daß Skander das Rätsel gelöst hat«, sagte der czillanische Projektleiter, der Manito hieß, zu Brazil und Cousin Bat. »Leider hat er die entscheidenden Erkenntnisse für sich behalten und den Computer gelöscht, als er fertig war. Was wir haben, ist nur das, was er schon enthielt, als er und Vardia entführt wurden.«
»In welcher Hauptrichtung forschte er?«fragte Brazil.
»Er war besessen von unserer Sammlung von Folklore und Legenden. Zumeist arbeitete er damit und gab den gemeinsamen Ausdruck ein: ›Bis Mitternacht am Schacht der Seelen‹.«
Brazil nickte. »Klar genug«, meinte er. »Aber Sie sagen, er hörte damit auf, als er zurückkam?«
»Kurz danach. Er erklärte, es sei die falsche Richtung, und begann, sich mit der Äquatorbarriere zu befassen.«
»Das ist schlecht«, sagte Brazil seufzend. »Das bedeutet, daß er wahrscheinlich dahintergekommen ist.«
»Sie sprechen so, als wäre Ihnen die Antwort auch bekannt«, erwiderte Manito. »Ich begreife nicht, wie. Ich habe alles Material, das Skander hatte, und finde mich nicht zurecht.«
»Das kommt daher, daß Sie ein Puzzle mit Millionen Teilen haben, aber keine Vorstellung von Form und Größe des Puzzles, um die Teile zusammensetzen zu können«, sagte Brazil. »Skander hatte schließlich die Grundgleichung. Die kann man hier nicht finden.«
»Ich verstehe nicht, warum Sie sich von ihm so ausnutzen lassen«, warf Bat ein. »Ihr habt ihm hundertprozentigen Schutz, Mitarbeit und Zugang zu allen Hilfsmitteln geboten, die er brauchte.«
Der Czillaner schüttelte traurig den Kopf.
»Wir glaubten, wir hätten die Sache in der Hand. Er war schließlich von den Umiau. Er konnte nicht außerhalb seines eigenen Ozeans existieren, weil er nicht darüber hinauskonnte. Und da war die andere — die verschwunden ist. Er war Mathematiker. Wessen Datenspeicher hat er benützt? War er genial genug, sie nicht zu brauchen? Wir konnten es uns nicht leisten, Skander nicht zu unterstützen!«
»Habt ihr eine Ahnung, wo sie sind?«fragte Brazil.
»O ja, wir wissen, wo sie sind, aber das nützt uns nichts. Sie werden zur Zeit in einer Nation von Robotern festgehalten, die sich einfach ›Die Nation‹ nennt. Wir haben unseren ganzen Einfluß geltend gemacht, um sie dort solange wie möglich festzuhalten.«
»Sind sie noch dort?«fragte Brazil erregt. »Können wir sie herausholen?«
»Sie sind noch dort, aber nicht mehr lange«, sagte Manito. »Die Akkafier regen sich maßlos auf. Ihr Botschafter, ein Baron Azkfru, hat damit gedroht, Die Nation zu bombardieren, und er könnte allerhand Schaden anrichten. Sie werden heute freigelassen.«
»Wer gehört zu der Gruppe?«fragte Bat. »Wir könnten vielleicht doch etwas erreichen.«
»Abgesehen von Vardia und Skander eine Akkafierin — das sind Rieseninsekten, die fliegen können und gefährliche Stachel haben — namens Mar Hain und ein Wesen vom Norden, über das wir wenig wissen, als daß es Der Erahner und Der Rel heißt. Ob sie einer oder zwei sind, kann ich nicht sagen.«
»Hain!«rief Brazil. »Natürlich. Der Halunke muß natürlich mittendrin sein!«
»Sie kennen ihn?«fragte Bat.
Brazil nickte. »Der ganze Haufen ist offenbar versammelt. Haben Sie den Atlas mitgebracht?«fragte er Manito.
»Ja.«
Der Czillaner hob ein großes Buch auf den Tisch. Brazil blätterte mit der Nase um, dann mit der breiten Zunge. Er fand die Karte der südlichen Halbkugel und studierte sie.
»Ärgerlich«, sagte er. »Antilopen brauchen nicht sehr gut zu sehen. Aber ich erkenne schon, wo wir sind, und wo sie sind. Ungefähr gleichauf — zwei Sechsecke auf dieser Seite zum Ghlmon-Hex an der Nordspitze des Meeres. Sie sind zwei auf der Ostseite fast zur selben Stelle hinaufgekommen.«
»Wie können Sie das wissen?«fragte Manito entgeistert. »Sind Sie schon einmal hier gewesen?«
»Nein«, sagte Brazil. »Nicht hier.« Er blätterte weiter, studierte die Karte eines bestimmten Sechsecks, eines zweiten, eines dritten. Insgesamt betrachtete er fünf Sechsecke mit großer Sorgfalt, dann hob er den Kopf.
»Können Sie mich mit einer maßgeblichen Person der Umiau bekanntmachen?«fragte er. »Sie sind uns für Skander etwas schuldig. Sie haben Slelcron, ein nicht-technologisches Hex, was von unserem Standpunkt aus gut ist, und Ekh'l, das heutzutage alles mögliche sein kann. Wir haben Ivrom, das mir gar nicht gefällt, aber es ist nicht zu umgehen, und Alisstl, gegen das Murithel harmlos war. Mit Ivrom werden wir fertig, hoffe ich, aber wenn wir mit irgendeinem Boot durch das Umiau-Hex fahren würden, könnten wir das Unangenehme meiden und vielleicht sogar etwas Zeit gewinnen. Wenn sie in der Nähe der Küste bleiben — und das nehme ich an —, könnten wir sie hier an der Nordspitze der Bucht, in Ghlmon, abfangen.«
»Nur aus Neugier«, sagte die Fledermaus. »Sie erklärten, die Umiau wären das erstemal vor einem Versuch gewarnt worden, Skander zu entführen. Jetzt haben Sie gehört, daß Sie in Der Nation sind. Wer sagt Ihnen das?«
»Das wissen wir nicht«, erwiderte Manito. »Die Tips kamen über die Druckmaschinen in unseren Botschaften in Zone.«
»Ja, aber wer hat sie geschickt? Gibt es denn noch eine dritte Gruppe, die beteiligt ist?«
»Ich hatte gehofft, daß Sie mir das sagen können«, meinte Brazil.
»Ich? Also gut, ich gebe zu, daß ich davon wußte, daß Sie in Dillia sind, und habe mich Ihnen absichtlich angeschlossen. Aber ich vertrete niemanden außer mich selbst und die Interessen meines Volkes. Wir haben von den Dingen auf dieselbe Weise erfahren wie Czill und Umiau, wo Sie sein würden, ungefähr wann, und daß Sie hinter Skander und Varnett her seien. Wir konnten nicht herausfinden, von wem das kam, sagten uns aber, daß wir auch betroffen seien. Doch mit der dritten Gruppe habe ich nichts zu tun. Sie wissen, daß ich ganz auf Ihrer Seite stehe.«
»Sehr schade«, sagte Brazil. »Ich hätte gern gewußt, wer unser geheimnisvoller Helfer ist, und woher er seine Informationen bezieht.«
»Jedenfalls scheint er auf unserer Seite zu stehen.«
»Niemand steht auf irgendeiner anderen Seite als der seinen«, knurrte Brazil. »Wir werden es schwer genug haben, mit der Gruppe um Skander zurechtzukommen. Ich möchte nicht am Ziel erleben, wie der dritte Beteiligte unsere Überlebenden abmurkst.«
»Dann wollen Sie die Verfolgung aufnehmen?«fragte Manito.
»Natürlich. Darum geht es ja. Eine abschließende Frage — können Sie mir sagen, was Skander als letztes Hauptproblem in den Computer eingegeben hat?«
»Ja, ich denke schon.«Er kramte in seinen Unterlagen und zog zwei Blätter heraus. »Einmal die Zahl der Neuzugänge in Sechsecken an der Äquatorzone, auf beiden Seiten.«
»Und die Antwort?«
»Keine bekannt. Sehr seltsam. Es sind keine richtigen Hexagons, wissen Sie. Da die Äquatorbarriere sie in zwei Hälften spaltet, sind sie zwei aneinandergrenzende Halb-Sechsecke, auf beiden Seiten — also doppelt so breit wie ein normales Hex und halb so lang nach Norden und Süden, mit flachen Äquatorgrenzen.«
»Und die zweite Frage?«
»Äh, ob die Zahl sechs eine besondere Beziehung zu den Sechsecken in der Äquatorzone besitzt, im Hinblick auf Geographie, Biologie und so weiter.«
»Und die Antwort?«
»Noch im Computer, als der bedauerliche, äh, Zwischenfall eintrat. Wir haben sie aber abgefragt. Sechs von den doppelten Halb-Hexagons sind durch einen sehr tiefen Spalt bis hinauf zur Zonenbarriere geteilt, rund um den ganzen Planeten. Wenn man durch jeden Spalt von Zone zu Zone einen Strich zöge, würde man den Planeten in genau gleiche Sechstel teilen.«
»Verdammt!«rief Brazil. »Er hat die ganze Lösung! Mich überrascht gar nichts mehr!«
In diesem Augenblick kam ein anderer Czillaner herein und sagte:»Captain Brazil?«
Brazil drehte sich um.
Das Wesen glotzte ihn an. »Das glaube ich einfach nicht!«sagte es. »Sie sind wirklich Brazil?«
»Ja.«
»Oh. Ich — ich hätte nicht erwartet, daß Sie sich so verändert haben.«
»Und wer sind Sie?«
»Ich bin Vardia, Captain.«
»Aber Vardia ist doch von den Insekten entführt worden!«rief Cousin Bat verblüfft.
»Ich weiß«, sagte sie. »Das hat mich ja so erschreckt.«