Die Baronie Azkfru, akkafisches Reich

Der Baron wirkte, wenn das möglich war, eher noch majestätischer, und Datham Hain war von ihrer wochenlangen Arbeit in den Dunggruben völlig zermürbt.

»Du hast deinen Namen jetzt wieder, Mar Hain«, erklärte der Baron in gottähnlichen Tönen.

Für Hain glich das der Erhebung zum höchsten Herrscher der Galaxis, und sie fühlte sich dem Baron, von dem alle Segnungen ausgingen, nur um so tiefer verbunden.

»Ich habe jetzt eine Aufgabe für dich«, sagte der Baron. »Sie erfordert Treue und Hingabe und deine ganze Intelligenz und Verschlagenheit. Wenn du versagst, bist du für ewig verloren. Wenn du Erfolg hast, wirst du als Hauptkonkubine nicht deines Barons, sondern des Herrschers vielleicht nicht nur über dieses Reich deinen Platz einnehmen. Paß gut auf, Mar Hain. Bald wirst du drei Fremde kennenlernen. Du bekommst ein Dolmetschgerät, damit du alles verstehen kannst. Zwei davon sind Neuzugänge und können sich vielleicht in der nicht übersetzbaren Sprache deines alten Lebens verständigen. Es ist also besser, wenn du Dummheit und Unwissenheit vortäuscht. Ihr werdet auf eine große Reise gehen. Du hast folgendes zu tun…«

»Diese scheußlichen Insekten!«rief Vardia, die sich jetzt Chon nannte, als sie mit den anderen auf eine Straße gestellt wurde, während sie davonflogen.

»Keine Rassenbeleidigung«sagte Hain streng. »Von Ihnen halten sie noch weniger, und es ist mein Volk.«

»Hört auf damit!«fauchte Skander. Da sie nicht gehen konnte, hatten sie einen Sattel gebaut, auf dem die Meerjungfrau unbequem auf Hains Rücken schaukelte. »Wir haben eine lange und schwere Reise vor uns. Unser Leben mag von jedem von uns abhängen, und ich will keine Streitereien.«

»Sehr richtig«, sagte Der Rel. »Bitte erinnert euch daran, daß wir ein gemeinsames Ziel haben, auch wenn ihr beiden entführt worden seid. Spart euch die Debatten auf, bis wir unser Ziel erreicht haben.«

Sie befanden sich an der kaiserlichen Grenze, die von gelangweilten Wächtern bemannt war.

»Setzt alle eure Atemmasken auf«, sagte Der Rel, der selbst keine benötigte. Sie wußten immer noch nicht, ob er überhaupt atmete. Hains Gerät war plump, und das große Insekt sah aus, als trüge es riesenhafte, verbogene Ohrenschützer hinter den Augen. Vardias Maske hing um ihren Hals und war an ihren Unterbeinen mit zwei Kabeln befestigt, auslaufend in Nadeln, die in ihrer Haut steckten. Skander hatte eine einfache Maske über Mund und Nase, mit Schläuchen, die zu einem Tank auf Hains Rücken führten. Nur Vardias Gerät enthielt reines Kohlendioxyd und kein Sauerstoffgemisch. Durch einen Mechanismus konnte die von ihr ausgeatmete Luft in ihrem Behälter gegen die von Skander und Hain ausgetauscht werden.

Das Hex, vor dem sie standen, war öde genug; der Himmel zeigte nicht die verschiedenen Blautöne, die es in vielen Gegenden der Welt gab, sondern ein fast aufreizend grelles Gelb.

»Schall pflanzt sich fort, aber langsam und stark verzerrt«, sagte Der Rel. »Die Atmosphäre enthält genug Spurenelemente, so daß wir mit so einfachen Geräten durchkommen, aber das liegt daran, daß aus den umliegenden Sechsecken stets etwas einströmt. Wir werden unterwegs unsere Tanks auffüllen können, weil wir Vorräte dabeihaben, aber ihr dürft unter keinen Umständen die Masken abnehmen. Es gibt hier Elemente, die nicht euer Äußeres schädigen, aber körperliche Schäden oder sogar den Tod hervorrufen, wenn sie durch die Lungen längere Zeit aufgenommen werden.«

Vardia blickte auf die Landschaft hinaus, soweit sie sie bei dem grellen Licht erkennen konnte. Eine schroffe, orangerote Landschaft voller Schluchten und sonderbar verwitterter Bogen und Pfeiler. Was verwittert sie? dachte sie. Und welche Wesen konnten in einer so feindseligen Umgebung existieren?

»Hain, achten Sie darauf, Ihren Schnabel stets fest geschlossen zu halten«, erklärte Der Rel. »Sie sollen das Zeug nicht schlucken. Und Skander, Sie halten die Decke über Ihren Unterkörper, damit er nicht austrocknet. Das Gerät ist darauf eingestellt. Noch Fragen?«

»Ja«, sagte Vardia nervös. »Welchen Wesen werden wir begegnen, und wie können wir dieses Land durchqueren und am Leben bleiben?«

»Die Wesen sind im Grunde Automaten, Denkmaschinen«, erwiderte Der Rel. »Das ist ein Hoch-Tech-Hex hier, mehr als jenes, das wir verlassen. Sie koexistieren nur, weil die Akkafier hier nicht lange bestehen könnten, noch gibt es in der Nation etwas, das sie gebrauchen können, während die Bewohner dieses Sechsecks in einer Atmosphäre zusammenbrechen würden, wie ihr sie vertragen könnt. Kommt. Wir haben genug Zeit verloren. Wie wir überleben, werdet ihr sehen.«

Damit schwebten Der Erahner und Der Rel über die Grenze. Vardia folgte, dahinter kamen Hain und Skander.

Skander und Vardia hatten schlagartig das gleiche Gefühl: als befänden sie sich plötzlich in Kerosin. Der Geruch durchdrang ihre Körper und ihre Atmung. Die Luft wirkte schwer, beinahe flüssig und schien gegen ihre Haut wie eine Flüssigkeit zu klatschen, wiewohl sie unzweifelhaft ein Gas war. Außerdem brannte sie ein wenig, wie starker Alkohol. Sie brauchten einige Zeit, um sich daran zu gewöhnen.

Der Rel führte mit einer Geschwindigkeit, die Vardias schnellstem Schritt entsprach, und Hain folgte mit einer Geschwindigkeit zwischen acht und zehn Kilometern in der Stunde. Nach weniger als einer Stunde erreichten sie eine Straße, deren Pflasterung aussah wie ein einziges langes Band aus glattpolierter Jade. Auch auf dieser Straße gab es Verkehr.

Der erste Gedanke, den sie hatten, war, daß keine zwei Bewohner Der Nation gleich aussahen. Es gab hohe, dicke, dünne, kurze, sogar lange Exemplare. Sie bewegten sich auf Rädern, Raupen, zwei, vier, sechs und acht Beinen und hatten alle vorstellbaren und ein paar nicht vorstellbare Arten von Gliedmaßen oder Anhängseln. Obwohl alle offenkundig Maschinen aus stumpfsilbernem Metall waren, sahen sie alle so aus, als wären sie auf einen Schlag geschaffen worden. Keine Schrauben, Nieten oder sonstige Verbindungsstücke waren zu sehen; sie bogen und bewegten das Metall wie Haut, und in jeder Richtung, die ihnen behagte.

Vardia verstand und bestaunte es.

Jedes Exemplar war für einen einzigen Zweck geschaffen, um ein einzelnes Bedürfnis der Gesellschaft zu erfüllen. Es war die praktischste aller Gesellschaften, die sie gesehen hatte, dachte sie, die Vervollkommnung von Ordnung und Nützlichkeit.

Sie hätte nur gerne begriffen, was die Bewohner Der Nation eigentlich taten.

Es gab Gefüge, gewiß, immer mehr davon, als sie weiter eindrangen. Manche waren erkennbar als Gebäude, wenngleich so verschiedenartig und seltsam geformt wie die Bewohner dieses seltsamen Landes. Andere Gebilde schienen Skelette zu sein oder verkrümmte Metallformen. Nach ihrer Funktion konstruierte Arbeiter huschten hin und her. Manche bauten, andere schienen Löcher auszugraben und wieder zu füllen, während wieder andere Sandhaufen von einer Stelle zur anderen beförderten. Sinn ergab nichts davon.

Sie zogen stundenlang durch die Landschaft, ohne daß eines der Wesen auf sie geachtet hätte. Mehr als einmal mußten Hain und Vardia ausweichen, um nicht von einem Wesen oder seiner Last überrannt zu werden.

Sie kamen zu einem Gebäude, das aus demselben Material zu bestehen schien wie die Wesen selbst, äußerlich aber einer großen Scheune glich. Der Erahner und Der Rel überraschten sie damit, daß sie auf den Eingang zusteuerten und vor einem großen Knopf anhielten. Auf ein Zeichen hin drückte ihn Vardia hinein. Die Tür glitt zur Seite, und das sonderbare Wesen, das sie führte, schwebte hinein. Sie folgten ihm in eine große, nackte Kammer. Die Tür glitt zu, und sie befanden sich in völliger Dunkelheit, in der man nur die Lichter Des Erahners blinken sah.

Ringsum hörten sie ein Surren, Knacken und Rauschen, das einige Minuten anzuhalten schien, dann öffnete sich eine Innentür vor einer ähnlichen Kammer mit indirekter Beleuchtung an der Decke. Sie gingen hinein.

»Ihr könnt jetzt eure Atemapparate abnehmen«, sagte Der Rel. »Skander, helfen Sie Mar Hain? Danke. Hain, entfernen Sie jetzt ganz vorsichtig die beiden Schläuche aus den Beinen von Bürger Chon. Ja, gut.«

Sie atmeten alle frische Luft ein, die nur Vardia nicht zu schätzen wußte.

»Es wird gleich besser werden, Bürger Chon«, versicherte Der Rel. »Die Atmosphäre besteht fast nur aus Sauerstoff, mit Spuren von Kohlendioxyd, aber letzteres wird durch unsere Begleiter und auf künstliche Weise hinzugefügt werden.«

Es zischte wieder, dann kam eines der metallenen Wesen aus einer kaum sichtbaren Seitentür. Es war humanoid, ungefähr so groß wie Vardia, 150 Zentimeter, und bis auf einen dreieckigen Schirm am Kopf ohne Merkmale.

»Ich hoffe, alles ist zufriedenstellend«, sagte es mit einer freundlichen und unerwartet melodischen Stimme.

»Der Grüne da, der Czillaner, ist eine Pflanze, nicht ein Tier«, sagte Der Rel. »Er benötigt mindestens nullkommafünf Prozent Kohlendioxyd. Würden Sie dafür sorgen?«

»Oh, das tut mir sehr leid. Wird sofort behoben.«

Vardia spürte augenblicklich eine zunehmende Besserung, vermochte leichter zu atmen und sah keine Schwärze mehr vor ihren Augen.

»Welche Umwelten benötigen Sie?«fragte das Wesen.

»Typ Zwölf, Einunddreißig, Einssechsundzwanzig und Dreizehnvierzig«, sagte Der Rel. »Nebeneinander, mit privater Sprechanlage, bitte.«

»Wird vorbereitet«, sagte der Roboter und verbeugte sich ein wenig.

»Was für ein Ort ist das überhaupt?«fragte Skander scharf.

Der Roboter zuckte zurück, und Vardia hätte schwören mögen, daß auf dem leeren Gesicht Betroffenheit zu erkennen war.

»Das ist natürlich ein Hotel ersten Ranges für Durchreisende, versteht sich«, erwiderte er. »Was sonst?«


* * *

Sie wurden einzeln von kleinen Roll-Robotern, die Platz für Gepäck und dergleichen hatten, in ihre Zimmer geführt.

Starke Hände hoben Skander vorsichtig aus dem Sattel und auf eines der Fahrzeuge. Die Wissenschaftlerin wurde mit hoher Geschwindigkeit durch einen beleuchteten Tunnel gefahren und vor einem Raum abgesetzt. Die Tür öffnete sich automatisch, der Wagen glitt hinein und hielt.

Skander war fassungslos. Es war ein Schwimmbecken mit Rutschbahn, die sanft in blaues Wasser führte, das immer tiefer wurde, je mehr es der Rückwand zuging — das Becken war etwa fünfzehn mal zehn Meter groß. Im Wasser schwammen, deutlich sichtbar, mehrere der kleinen Fische, die den Umiau am besten schmeckten, und Büschel von dem blaugrünen Tang, von dem sie sich ebenfalls ernährten.

Skander rollte sich vom Wagen und sprang glücklich ins Wasser. Es war an der tiefsten Stelle nur vier Meter tief, aber herrlich.

Zwei kleine Wagen gemeinsam beförderten als nächstes Hain zu einer Tür daneben; das Zimmer war mit den besten Pelzen ausgelegt und verfügte über eine beträchtliche Menge an saftigen weißen Würmern.

Danach wurde Vardia in einen Raum mit fettem, schwarzem Boden und starkem künstlichem Sonnenlicht geschafft. Von der Decke hing eine Kette mit der czillischen Aufschrift: ›Ziehen, wenn Dunkelheit gewünscht wird. Alle Gäste werden acht Stunden nach Eintritt der Dunkelheit oder zwölf Stunden nach dem Betreten des Raumes geweckt.‹ In einer Ecke gab es ein kleines Becken mit klarem Wasser, und in einer anderen sogar einen kleinen Schreibtisch mit Papier und Schreibstift.

Als Vardia sich umsah, krächzte es leise, dann hörte sie, wie die drei anderen, die Stimme des Rel.

»Bitte, genießt diese Nacht auf Kosten des Barons«, sagte sie. »Morgen sorge ich für Transport, der uns zur Grenze bringt. Später werden wir es nicht mehr so behaglich haben, also genießt es. Ab morgen wird es hart.«

Vardia trank durstig, dann senkte sie ihre Wurzeln in den Boden und drehte das Licht ab.

Skander schlief als letzte, da sie die Unbeschwertheit im Wasser genoß. Endlich kroch auch sie an den Beckenrand und löschte das Licht.

Sie schliefen alle fest (mit Ausnahme vielleicht von Erahner und Rel, die keinen Schlaf zu brauchen schienen) und wurden nicht nur durch das automatische Einschalten der Beleuchtung, sondern auch durch die Stimme des Rel geweckt. Sie klang unerwartet erregt.

»Es stimmt etwas nicht«, sagte Der Rel schnell. »Wir werden aus irgendeinem technischen Grund aufgehalten. Wir können heute nicht fort.«

»Soll das heißen, daß wir festgenommen sind?«fragte Skander ungläubig.

»Es hat den Anschein«, erwiderte Der Rel. »Ich kann es nicht begreifen.«

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