Ich wollte Vika auf meinem Steinlager ruhen lassen, auf meinen Schlaffellen und seidenen Laken.
Das war ungewöhnlich, denn normalerweise schläft ein goreanisches Sklavenmädchen zu Füßen ihres Herrn, oft nur auf einer Strohmatte und mit einer dünnen baumwollähnlichen Decke.
Ich hatte Vika sanft auf die große Plattform gelegt und küßte sie nun zärtlich auf die Stirn.
Ihre Augen öffneten sich.
»War ich auf dem Korridor?« fragte sie.
»Ja«, erwiderte ich.
Sie sah mich lange an. »Wie kann ich dich gewinnen?« fragte sie. »Ich liebe dich, Tarl Cabot.«
»Du bist mir nur dankbar.«
»Nein«, erwiderte sie. »Ich liebe dich.«
»Das darfst du nicht.«
»Es ist aber wahr.«
Ich fragte mich, wie ich mich nun verhalten sollte, denn ich durfte sie nicht in dem Glauben lassen, daß wir uns lieben konnten. Im Haus der Priesterkönige durfte es keine Liebe geben – außerdem war da immer noch Talena, deren Erinnerung sich nie aus meinem Herzen löschen ließ.
»Aber du bist eine Frau aus Treve«, sagte ich lächelnd.
»Du hieltest mich für eine Vergnügungssklavin«, sagte sie.
Ich zuckte die Achseln.
Sie wandte den Kopf und sagte: »Du hattest sogar fast recht, Tarl Cabot.«
»Wie soll ich das verstehen?«
»Meine Mutter«, sagte sie verbittert, »war eine Vergnügungssklavin aus Ar.«
»Dann muß sie sehr schön gewesen sein.«
Vika musterte mich seltsam. »Ja«, sagte sie, »das nehme ich auch an.«
»Erinnerst du dich nicht an sie?«
»Nein«, sagte sie, »denn sie starb, als ich noch sehr jung war.«
»Das tut mir leid.«
»Egal – sie war ja nur ein Tier, das in den Vergnügungszentren Ars aufgezogen wurde.«
»Verachtest du sie so sehr?« fragte ich.
»Sie war eine geborene Sklavin«, sagte Vika.
Ich schwieg.
»Mein Vater dagegen«, sagte Vika, »dessen Sklavin sie war und der der trevischen Kaste der Ärzte angehörte, liebte sie so sehr, daß er sie zu seiner Freien Gefährtin machen wollte.« Vika lachte leise. »Drei Jahre lang widersetzte sie sich diesem Wunsch.«
»Warum das?«
»Weil sie ihn ebenfalls liebte«, sagte Vika, »und weil sie nicht wollte, daß er sich eine unwürdige Vergnügungssklavin zur Freien Gefährtin nahm.«
»Sie war eine sehr großherzige Frau«, sagte ich.
Vika machte eine angewiderte Handbewegung. »Sie war töricht«, sagte sie. »Wie oft bekommt eine geborene Sklavin schon die Chance geboten, die Freiheit zu erlangen?«
»Selten«, sagte ich.
»Aber schließlich stimmte sie doch zu, seine Freie Gefährtin zu werden.
Sie hatte wohl Angst, daß er sich selbst töten würde.« Vika musterte mich offen.
»Ich bin als freie Frau geboren«, sagte sie. »Du musst erkennen, daß ich keine geborene Sklavin bin.«
»Ich verstehe das. Vielleicht war deine Mutter nicht nur schön, sondern auch stolz und mutig.«
»Wie kann das sein? Ich habe dir doch gesagt, daß sie eine geborene Sklavin war, ein Tierwesen aus Ar.«
»Aber du hast sie nicht gekannt.«
»Ich wusste, was sie war.«
»Was ist mit deinem Vater?«
»Auf eine Weise ist er auch tot«, sagte sie.
»Was meinst du damit – ›auf eine Weise‹?«
»Nichts«, sagte sie.
Ich sah mich um, betrachtete die Truhen an der Wand, die zerschmetterte Vorrichtung an der Decke, die zerbrochenen Sensoren, das große leere Portal, das in den Korridor führte.
»Er muß dich sehr geliebt haben, nachdem deine Mutter starb«, sagte ich.
»Ja«, antwortete Vika, »das stimmt wohl – aber er war trotzdem ein Narr.«
»Warum sagst du das?«
»Er ist mir ins Sardargebirge gefolgt, um mich zu retten«, sagte sie.
»Das bringt nur ein mutiger Mann über sich.«
Sie rollte von mir fort und starrte die Wand an. Nach längerem Schweigen sagte sie verächtlich: »Er war ein lächerlicher kleiner Mann«, sagte sie, »und fürchtete sich schon vor dem Schrei eines Larl.« Sie fuhr herum. »Wie hat meine Mutter ihn lieben können!«
»Vielleicht war er nett zu ihr«, sagte ich, »wenn andere sie grausam behandelten.«
»Warum sollte jemand eine Vergnügungssklavin freundlich behandeln?« fragte Vika.
Ich zuckte die Achseln.
»Was wurde aus ihm, als er hier ins Gebirge kam?«
Das wollte mir Vika nicht sagen.
»Weißt du es?« fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Frage mich nicht.«
Ich bedrängte sie nicht weiter. »Wie kommt es, daß er dich ins Sardargebirge reisen ließ?«
»Die Erlaubnis gab er mir nicht«, sagte Vika. »Er versuchte mich sogar zurückzuhalten, aber ich suchte die Wissenden von Treve auf und schlug mich als Opfer für die Priesterkönige vor. Natürlich verschwieg ich meine wahren Gründe.« Sie hielt inne. »Ich möchte wissen, ob sie meine Motive ahnten.«
»Es wäre denkbar.«
»Mein Vater wollte davon natürlich nichts wissen«, fuhr sie fort und lachte. »Er schloß mich in meinen Gemächern ein, aber der Höchste Wissende der Stadt schickte Krieger, die in unsere Wohnung eindrangen und meinen Vater verprügelten, bis er sich nicht mehr rühren konnte. Ich begleitete sie voller Freude. Oh, wie sehr es mich freute, als sie ihn schlugen und er schrie! Ich Hasste ihn – wie sehr ich ihn Hasste! Er war kein richtiger Mann, und obwohl er der Kaste der Ärzte angehörte, konnte er keinen Schmerz ertragen. Er ertrug ja nicht einmal den Schrei eines Larl.«
»Vielleicht fühlte er sich als Arzt besonders am Platze, weil er Schmerzen nicht ertragen konnte.«
»Vielleicht«, sagte Vika. »Er wollte immer helfen, immer das Leiden anderer Leute beenden, sogar von Tieren oder Sklaven.«
Ich lächelte.
»Wie du siehst, war er ein Schwächling.«
Sie räkelte sich auf dem Seidenlaken. »Du bist der erste Mann, der mit mir über solche Dinge spricht. Ich liebe dich, Tarl Cabot.«
»Ich glaube nicht«, sagte ich leise.
»Aber bestimmt!«
»Eines Tages«, sagte ich, »wirst du Liebe empfinden – aber wohl nicht für einen Krieger aus Ko-ro-ba.«
»Glaubst du, daß ich nicht lieben kann?« fragte sie.
»Eines Tages wirst du lieben, du wirst dich verzehren vor Liebe.«
»Kannst du lieben?« fragte sie herausfordernd.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich lächelnd. »Vor langer Zeit habe ich einmal geliebt – oder glaubte es jedenfalls.«
»Wer war das Mädchen?« fragte Vika nicht sehr freundlich.
»Ein schlankes, dunkelhaariges Wesen«, sagte ich. »Sie hieß Talena.«
»War sie schön?«
»Ja.«
»So schön wie ich?«
»Ihr seid beide sehr schön.«
»War sie eine Sklavin?«
»Nein«, sagte ich, »sie war die Tochter eines Ubar.«
Wut entstellte Vikas Züge, und sie sprang auf und rannte auf und ab, und ihre Finger kämpften mit dem verhassten Sklavenkragen. »Ich verstehe!« sagte sie. »Und ich – Vika – bin nur ein Sklavenmädchen!«
»Sei nicht wütend«, sagte ich.
»Wo ist sie?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie lange hast du sie nicht mehr gesehen?«
»Über sieben Jahre ist das jetzt her.«
Vika lachte grausam. »Dann ist sie längst in den Städten des Staubes!«
»Vielleicht«, sagte ich.
»Ich –Vika – bin hier.«
»Ich weiß«, sagte ich und wandte mich ab.
Ich hörte sie an meiner Schulter. »Ich werde dafür sorgen, daß du sie vergisst.«
In ihrer Stimme schwang die grausame, eiskalte, selbstbewusste, leidenschaftliche Drohung einer trevischen Frau, die gewohnt war, alles zu bekommen, was sie sich wünschte, deren Wünsche nicht missachtet wurden.
Wieder wandte ich mich zu Vika um, und ich sah vor mir nicht mehr irgendein Mädchen, sondern eine Frau aus Hoher Kaste, eine Frau aus dem Königreich Treve, die trotz ihres Kragens Befehle zu geben verstand.
Gelassen griff Vika an die Schnalle, die ihre Tunika zusammenhielt und ließ das Kleidungsstück zu Boden sinken. Sie trug ein Brandmal. »Küsse mich«, sagte sie.
»Nein«, sagte ich.
Sie lachte. »Du kannst mich nicht zurückweisen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich das nicht zulassen werde. Du musst wissen, Cabot, ich habe beschlossen, daß du mein Sklave sein sollst.«
Sie kam auf mich zu, und ich stieß sie zurück.
»Na gut!« rief sie mit blitzenden Augen. »Gut, Cabot, dann werde ich dich bezwingen!« Und sie nahm meinen Kopf in die Hände und drückte ihre Lippen auf meinen Mund.
In diesem Augenblick nahm ich erneut den leicht säuerlichen Geruch wahr, den ich schon einmal im Korridor gespürt hatte. Ich preßte meinen Mund auf den ihren, bis meine Zähne ihre Lippen ritzten und ich sie zurückgebeugt hatte, so daß schließlich nur noch mein Arm sie vor dem Sturz bewahrte. Ich hörte ihren überraschten Schrei und warf sie ärgerlich auf die Strohmatte am Fußende meines Bettes.
Es wollte mir scheinen, als durchschaute ich nun endlich das teuflische Spiel – aber sie waren zu früh gekommen! Vika hatte keine Gelegenheit gehabt, ihre Arbeit zu tun. Das mochte ihr zum Verderben werden, aber mir war es egal.
Noch immer wandte ich dem breiten Portal den Rücken zu, obwohl der Duft stärker geworden war.
Vika kauerte erschreckt auf der Sklavenmatte. »Was ist los?« fragte sie nervös.
»Du wolltest mich also für sie bezwingen?« fragte ich.
»Was meinst du?« stammelte sie.
»Du bist ein armseliges Werkzeug der Priesterkönige!«
»Nein«, jammerte sie, »nein!«
»Wie viele Männer hast du für die Priesterkönige schon weich gemacht?« fragte ich, griff in ihr Haar und zerrte grausam ihren Kopf in die Höhe. »Wie viele?« brüllte ich.
»Bitte!« weinte sie.
Ich fühlte mich in Versuchung, ihren Kopf gegen die Steinkante zu schlagen. Sie war eine grausame, bösartige Verräterin, die Kragen und Peitsche mehr als verdient hatte!
»Du verstehst mich nicht«, sagte sie. »Ich liebe dich!«
Angewidert stieß ich sie von mir. Noch immer drehte ich mich nicht um.
Vika lag mir zu Füßen, und Blut lief ihr über die Lippen, die noch die Spuren meines Kusses trugen. Sie schaute zu mir auf. Tränen standen in ihren Augen.
Der Duft war jetzt übermächtig. Ich wusste, daß der Priesterkönig ganz nahe sein musste. Warum merkte das Mädchen nichts? Warum wusste sie nicht Bescheid? Gehörte das nicht zum großen Plan?
»Bitte!« sagte sie flehend. »Ich liebe dich.«
»Sei still, Sklavenmädchen!«
Sie senkte den Kopf und begann zu weinen.
Ich wusste nun, daß das Unbekannte uns erreicht hatte.
Auch Vika schien etwas zu spüren, denn ihr Kopf hob sich, und ihre Augen weiteten sich entsetzt, und sie fuhr auf, schlug die Hände vor das Gesicht, als wollte sie sich schützen, und sie schauderte und stieß plötzlich einen wilden, durchdringenden Angstschrei aus.
Ich zog mein Schwert und fuhr herum.
Es stand im Portal.
Auf seine Art war es sehr schön, goldgelb und groß, hochaufragend, von dem massigen Portal umrahmt. Es war vielleicht einen Meter breit, doch der Kopf berührte fast den Torbogen, so daß ich seine Höhe auf fast fünf Meter schätzte.
Das Wesen hatte sechs Beine und einen Kopf wie eine goldene Kugel, in der große Scheibenaugen leuchteten. Die beiden Vorderbeine, die wachsam erhoben schienen, vollführten zierliche Bewegungen. Die Kiefer öffneten sich einmal und gingen wieder zu.
Vom Kopf gingen zwei zerbrechlich wirkende, gelenkige Fühler aus, die mit kurzem goldschimmerndem Haar bewachsen waren. Diese beiden Fühler bewegten sich wie Augen hin und her und schienen sich schließlich auf mich zu richten. Sie krümmten sich wie zierliche goldene Kneifer in meine Richtung, und jedes einzelne winzige Goldhaar an ihnen richtete sich auf und zeigte wie eine zitternde Goldnadel auf mich.
Um den Hals trug das Wesen ein kleines rundes Gerät, eine Art Übersetzer, der den mir bekannten goreanischen Apparaten zu ähneln schien.
Ich spürte neue Gerüche, die offenbar von dem Wesen ausgingen.
Fast sofort begann eine mechanisch erzeugte Stimme aus dem Übersetzer zu sprechen.
Sie gebrauchte die goreanische Sprache.
Ich wusste die Worte schon vorher.
»Lo Sardar«, sagte das Gerät. »Ich bin ein Priesterkönig.«
»Ich bin Tarl Cabot aus Ko-ro-ba«, entgegnete ich.
Kaum hatte ich gesprochen, als ich neue Düfte spürte, die aus dem kleinen Übersetzungsgerät kommen mochten.
Die beiden Fühler der Kreatur schienen diese Information aufzunehmen.
»Folge mir«, sagte die mechanische Stimme, und das Wesen drehte sich um.
Ich ging auf das Portal zu.
Das Wesen ging mit langen, zierlichen Schritten durch den Korridor.
Ich warf einen letzten Blick auf Vika, die den Kopf hob. »Geh nicht«, sagte sie.
Verächtlich wandte ich ihr den Rücken zu und folgte dem Wesen.
Hinter mir hörte ich ihr Weinen.
Laß sie doch klagen, sagte ich mir. Sie hat ihre Herren, die Priesterkönige, enttäuscht, und die Strafe wird nicht gering ausfallen.
Wäre ich nicht so in Eile gewesen, hätte ich sie selbst bestraft. Ich wollte doch sehen, wer hier wen bezwang!
Ich schüttelte diesen. Gedanken jedoch ab und setzte meinen Weg fort.
Ich musste das gefährliche Mädchen vergessen. Es gab Wichtigeres zu tun.
Ich hasste Vika.
Ich folgte einem Priesterkönig.