Den Priesterkönigen haftet kein Geruch an, der für menschliche Nasen erspürbar wäre, obwohl es ein bestimmtes Duftspektrum gibt, an der sie einen Artgenossen erkennen, und eine Variante dieses Nestduftes, die eine Identifizierung einzelner Wesen möglich macht.
Was ich in den Korridoren für den Duft der Priesterkönige gehalten hatte, waren eigentlich nur die Überbleibsel von Duftsignalen, mit denen sich die Priesterkönige, ähnlich wie gewisse Insekten unseres Planeten, miteinander verständigen. Der leicht säuerliche Geruch ist dabei ein gemeinsamer Nenner all dieser Signale so wie auch die menschliche Stimme Gemeinsamkeiten hat, ob sie nun einem Engländer, einem Buschmann, einem Chinesen oder einem Goreaner gehört.
Die Priesterkönige haben auch Augen, die über viele Facetten verfügen – aber sie bedienen sich dieser Organe kaum. Sie gebrauchen ihre Augen als sekundäre Sinnesorgane, etwa wie wir Nase und Ohren einsetzen, wenn wir mit unserem Hauptsinn – dem Sehvermögen – nicht weiterkommen. Entsprechend sind die beiden beweglichen goldenen Fühler, die über den scheibengleichen Augen von ihrem kugelförmigen Kopf ausgehen, die wichtigsten Sinnesorgane der Priestergötter. Wie ich erfahren sollte, sind sie nicht nur geruchsempfindlich; gewisse Härchen können auch Schallwellen empfangen und in verständliche Signale umsetzen. So riechen sie mit diesen Ausläufern nicht nur, sondern vermögen in gewisser Weise auch damit zu hören. Allerdings scheint dieses Gehör – an der Menge der dafür geeigneten Härchen gemessen – von untergeordneter Bedeutung zu sein. Seltsamerweise haben mir viele Priesterkönige, die ich danach fragte, versichert, daß sie gar keinen klaren Unterschied zwischen Hören und Riechen machen. Ich finde das unglaublich, habe jedoch keinen Grund, die Angaben zu bezweifeln. Und wenn ich die Begriffe Hören und Riechen gebrauche, bin ich gar nicht sicher, ob sie im Falle der Priesterkönige auch wirklich zutreffend sind – empfindet ein Priesterkönig und ein Mensch dasselbe, wenn beide mit demselben Duft konfrontiert werden? Ich glaube nicht – denn zum Beispiel ist die Musik dieser Wesen, die aus Duftrhapsodien spezieller Instrumente besteht, für meine Nase kaum erträglich.
Die Verständigung durch Duftsignale kann sehr vorteilhaft sein. Zum Beispiel vermag ein Duft viel weiter zu tragen als der Ruf eines Mannes.
Außerdem kann ein Priesterkönig seinen Artgenossen Nachrichten in Zimmern oder Korridoren hinterlassen, wenn darüber nicht zuviel Zeit vergeht. Der Nachteil ist hier natürlich, daß die Gerüche auch für Fremde zu deuten sind, und wenn man sich in den Tunnels miteinander unterhält, muß man sich vorsehen, denn die Worte halten sich in der Luft, bis sie schließlich nach längerer Zeit zu einem bedeutungslosen Duftrest verwischen.
Wenn die Priestergötter eine Nachricht für längere Zeit aufzeichnen wollen, bedienen sie sich mehrerer Methoden. Die einfachste und auch faszinierendste besteht in einem chemisch behandelten Streifen aus einer Art Tuch, das die Priesterkönige mit den Düften der Botschaften tränken. Das aufgerollte Band wahrt die Düfte, und wenn ein anderer Priesterkönig die Nachricht lesen will, rollt er die Faser langsam auf und tastet sie mit seinen Fühlern ab.
Wie zu erfahren ist, gibt es in der Sprache der Priesterkönige dreiundsiebzig Phoneme – oder jedenfalls Duft-Äquivalente – gegenüber etwa fünfzig gebräuchlichen Phonemen in der englischen Sprache. Die Morpheme ihrer Sprache – kleinste bedeutungstragende Informationsstücke – sind natürlich – wie im Englischen – außerordentlich zahlreich. Das normale Morphem – das ist bei den Priesterkönigen nicht anders als bei uns – besteht aus einer Folge von Phonemen. Ich weiß nicht, ob es mehr Morpheme in der Sprache der Priesterkönige oder im Englischen gibt. Beides sind lebendige Sprachen, bei denen also eine reine Morphemzählung nicht weiterhilft, weil viele Kombinationen möglich und gebräuchlich sind. Die Übersetzungsbänder sind übrigens etwa gleich lang, was jedoch nichts besagen will. Ein englischer Ausdruck, für den es in der anderen Sprache kein entsprechend klares Wort gibt, ist seltsamerweise das Wort ›Freundschaft‹ und alle Abteilungen. Dagegen gibt es einen Begriff, der sich etwa mit ›Nestvertrauen‹ übersetzen lässt und der etwa die Rolle einer Freundschaft zu spielen scheint.
Ich folgte dem Priesterkönig durch endlose Korridore.
Trotz seiner Größe bewegte er sich mit raubtierhafter Anmut. Er war ziemlich leicht oder sehr stark, vielleicht auch beides. Er bewegte sich mit einer gewissen Elastizität, sein Schritt war königlich und fast hüpfend, als wollte sich das Wesen durch die Berührung mit dem Fußboden so wenig wie möglich beschmutzen.
Es schritt auf vier äußerst langen, schlanken Beinen mit vier Gelenken und trug seine weitaus muskulöseren Greifbeine, oder Arme, ziemlich hoch, fast in gleicher Höhe mit dem Kiefer. Jeder dieser Arme endete in vier kleinen mit Haken versehenen einziehbaren Ausläufern, deren Spitzen sich normalerweise berührten. Ich sollte später erfahren, daß sich am Ende der Arme in zwei Ballen, aus denen die kleinen beweglichen Ausläufer hervorschießen, je ein gekrümmtes, messerscharfes Gebilde befindet, das jederzeit vorspringen kann – auf jeden Fall, wenn das Vorderbein im letzten Gelenk herabgebeugt wird – dadurch wird sofort die Hornklinge entblößt, und die vier beweglichen Ausläufer ziehen sich in die geschützten Ballen zurück.
Der Priesterkönig blieb vor einer fugenlosen Wand stehen.
Eine Wand glitt zur Seite, und der Priesterkönig trat in eine Art geschlossenen Raum.
Ich folgte ihm, und die Tür schloß sich wieder.
Im nächsten Augenblick fiel mir der Boden unter den Füßen fort, und ich griff nach meinem Schwert.
Der Priesterkönig schaute auf mich herab, und seine Fühler zitterten, als sei er neugierig.
Ich steckte meine Waffe wieder ein.
Ich befand mich in einem Fahrstuhl.
Nachdem wir etwa vier oder fünf Minuten gefahren waren, stoppte der Lift, und der Priesterkönig und ich traten ins Freie.
Der Priesterkönig lehnte sich auf seine beiden hinteren Beine und begann mit einem kleinen Haken, der sich am Ende des dritten Vorderbeingelenks befand, seine Fühler zu kämmen.
»Dies sind die Tunnels der Priesterkönige«, sagte das Wesen.
Ich sah mich um und fand mich auf einer hohen, von einem Geländer eingeschlossenen Plattform, von der aus man einen ausgedehnten Felsenkessel überschauen konnte, der von Brücken und Terrassen gesäumt war. Überall in diesem Kessel und auf den Terrassen an den Flanken erhoben sich unzählige Bauwerke – große geometrische Gebilde – Zylinder, Kegel, riesige Würfel, Kuppeln, Kugeln und dergleichen – Gebilde verschiedener Größen, Farben und Beleuchtung; viele hatten Fenster und erhoben sich über viele Stockwerke, einige ragten sogar bis zu der Plattform empor, auf der ich stand, manche sogar noch darüber.
Meine Hände schlössen sich um das Geländer. Ich war überwältigt!
Energielampen an den Wänden und an der Domkuppel, wo sie wie Sterne wirkten, warfen ein helles, gleißendes Licht über den ganzen Kessel.
»Dies«, sagte der Priesterkönig, der sich noch immer um die goldenen Haare seiner Tentakel kümmerte, »ist das Vorland unseres Reiches.«
Von hier oben waren zahlreiche Tunnels auszumachen, die auf verschiedenen Ebenen abgingen und vielleicht zu anderen solchen Riesenhöhlen führten, in denen es weitere Häusermeere geben mochte.
Ich fragte mich, welchen Zweck die Gebäude haben mochten, ob es wohl Baracken, Fabriken oder Lagerhäuser waren.
»Ich weise auf die Energielampen hin«, sagte der Priesterkönig. »Sie sind einzig und allein zum Wohle einer Rasse angebracht, die der deinen ähnelt. Priesterkönige brauchen kein Licht.«
»Dann gibt es hier also andere Wesen außer den Priesterkönigen«, sagte ich.
»Natürlich«, erwiderte das Wesen.
In diesem Augenblick näherte sich uns zu meinem Entsetzen ein etwa zweieinhalb Meter langes wurmartiges Wesen, das eine Höhe von einem Meter erreichte. Seine langen Stielaugen richteten sich auf uns.
»Es ist harmlos«, sagte der Priesterkönig.
Der seltsame Wurm blieb stehen, und die Augen beugten sich in unsere Richtung, und dann klickten die Greifwerkzeuge zweimal zusammen.
Ich griff nach meinem Schwert.
Ohne sich umzudrehen, huschte das Wesen rückwärts davon, und seine Schutzpanzer raschelten wie ein Plastikmantel.
»Jetzt hast du es erschreckt«, sagte der Priesterkönig.
Meine Finger ließen das Schwert los, und ich wischte mir den Schweiß von der Handfläche.
»Es sind schüchterne Wesen«, sagte der Priesterkönig, »und ich fürchte, sie haben sich nie richtig an den Anblick deiner Spezies gewöhnt.«
Die Fühler des Priesterkönigs erzitterten ein wenig, als sie mich musterten.
»Deine Spezies ist schrecklich häßlich«, sagte er.
Ich lachte – nicht wegen der Absurdität seiner Worte, sondern weil diese Meinung vom Standpunkt der Priesterkönige aus sogar stimmen konnte.
»Interessant«, sagte der Priesterkönig. »Was du eben gesagt hast, ist nicht übersetzt worden.«
»Ich habe gelacht.«
»Was ist das – ›gelacht‹?«
»Menschen lachen zuweilen, wenn sie belustigt sind.«
Das Wesen schien verwirrt zu sein.
Auch ich überlegte. Die Menschen hatten in den Tunnels der Priesterkönige wahrscheinlich keinen rechten Grund zum Lachen, so daß diese Wesen nicht daran gewöhnt waren. Doch ich hielt die Priesterkönige für intelligent und konnte mir kaum vorstellen, daß es eine völlig humorlose Rasse gab.
»Ich glaube, das verstehe ich«, sagte der Priesterkönig. »Das ist so etwas wie das Schütteln und Krümmen der Fühler!« »Vielleicht«, sagte ich.
Zu meiner Verblüffung legte sich das Wesen auf seine Hinterbeine zurück und begann am ganzen Körper zu zittern; die Vibration setzte sich nach vorn bis zum Hals und Kopf fort, wo schließlich auch die Tentakel zu zittern und sich umeinander zu winden begannen.
Schließlich stand der Priesterkönig wieder still, seine Fühler lösten sich widerstrebend, wie mir scheinen wollte, und wieder ruhte es auf seinen vier Beinen und starrte mich an.
»Danke«, sagte er und kämmte seine Fühlerhaare, »daß du mich im Fahrstuhl nicht angegriffen hast.«
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. »Oh, bitte sehr.«
»Ich hatte auch nicht angenommen, daß eine Narkose nötig sein würde.«
»Es wäre töricht gewesen, dich anzugreifen«, sagte ich.
»Unvernünftig«, stimmte mir der Priesterkönig zu. »Aber die niederen Spezies sind manchmal so. Jetzt kann ich in Ruhe der Wonne der Goldenen Käfer entgegensehen. Sarm hat gemeint, die Narkose wäre erforderlich.«
»Ist Sarm ein Priesterkönig?« fragte ich.
»Ja.«
»Dann kann sich ein Priesterkönig irren.« Dieser Umstand erschien mir bedeutsam – weitaus bedeutsamer als die einfache Tatsache, daß ein Priesterkönig das Lachen eines Menschen nicht begriff.
»Natürlich«, sagte das Wesen.
»Hätte ich dich töten können?« fragte ich.
»Möglich.«
Ich schaute über das Geländer und bestaunte die wundersame Welt, die sich unter uns ausbreitete.
»Aber daraufwäre es nicht angekommen«, sagte der Priesterkönig.
»Nein?«
»Nur das Nest ist wichtig.«
Mein Blick ruhte noch immer auf der Welt dort unten. Der Durchmesser der Kuppel mochte etwa zehn Pasang betragen.«
»Ist dies das Nest?« fragte ich.
»Der Anfang.«
»Wie heißt du?«
»Misk«, sagte das Wesen.