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In diesem Augenblick hörte ich ein leises Geräusch. Als ich aufblickte, entdeckte ich zwei flackernde Augen, die mich von einem der Tunnelausgänge her anstarrten.

Der Goldene Käfer war nicht ganz so groß wie ein Priesterkönig, doch entschieden gewichtiger. Er hatte etwa den Umfang eines irdischen Nashorns, und als erstes fielen mir zwei hohle, große Zangen auf, mit mehrfachen Spitzen versehen, die etwa einen Meter vor dem Körper zusammentrafen. Es schien sich um eine Art Mutation der Kieferwerkzeuge eines Käfers zu handeln. Die Sensorenantennen waren im Gegensatz zu denen der Priesterkönige nur sehr kurz. Sie bogen sich zur Seite und endeten in Quasten aus goldenem Haar. Ganz seltsam muteten mehrere Stränge goldenen Haares an, eine Art Mähne, die sich vom Kopf des Wesens über seinen gewölbten goldenen Rücken zogen und hinten fast bis zum Boden reichten. Der Rücken selbst schien in zwei Hälften geteilt, bei denen es sich vor Urzeiten um Hornflügel gehandelt haben mochte, doch nun waren die beiden Teile an den Berührungsstellen zusammengewachsen und bildeten einen einheitlichen starren goldenen Panzer. Der Kopf des Wesens war unter den Panzer gezogen, doch die Augen waren deutlich zu sehen, und natürlich die Kieferwerkzeuge.

Ich wusste, daß das Wesen Priesterkönige töten konnte.

Am meisten belastete mich die Sorge um die Sicherheit Vikas. Mit gezogenem Schwert machte ich mich zum Kampf bereih. Das Wesen schien verwirrt zu sein und machte keine Anstalten, anzugreifen. Zweifellos war ihm in seinem langen Leben Ähnliches noch nicht vorgekommen. Es wich ein Stück zurück und zog den Kopf noch tiefer unter den Panzer. Es hob die langen, röhrenförmigen Zangen vor die Augen, als wollte es sie vor dem Licht schützen.

Da fiel mir ein, daß das Licht der Mul-Fackel das Wesen vielleicht geblendet hatte. Vielleicht wirkte auch der Geruch des flackernden Lichts auf den empfindlichen Geruchssinn des Goldenen Käfers ein, so daß er sich vorübergehend nicht zurechtfand.

Offensichtlich begriff das Wesen noch nicht, was sich in seiner Höhle abgespielt hatte.

Ich ergriff die Mul-Fackel und schwenkte sie in Richtung Käfer, in der Erwartung, daß sich das Tier hastig zurückziehen würde, aber es geschah nichts, außer daß er die kneiferartigen Arme hob. Das kam mir sehr unnatürlich vor, als sei das Wesen blind, oder eine blinde, fleischfressende Pflanzenwucherung. Eins wurde mir klar: Der Käfer fürchtete mich oder die Flamme nicht.

Ich zog mich einen Schritt zurück, und das Wesen rückte auf sechs kurzen Beinen vor.

Ich überlegte, daß ich dem Wesen wahrscheinlich kaum zu schaden vermochte, besonders wenn es seinen Kopf unter den Panzer gezogen hatte. Dies bewirkte natürlich auch, wie ich hoffte, eine Einengung seiner Sinneswahrnehmungen – weniger das Sehvermögen, auf das sich die Priesterkönige und dieses Höhlenwesen wahrscheinlich ohnehin nicht verließen, sondern eher der Geruchssinn der kurzen Fühler, die ebenfalls ein Stück unter dem hornigen Panzerrand verschwunden waren.

Ich steckte das Schwert in die Scheide und kniete neben Vika nieder, ohne den Blick von dem Wesen zu nehmen, das etwa vier Meter vor mir verhielt.

Ich tastete auf Vikas Gesicht herum und schloß ihre Augen, damit sie nicht länger blind ins Leere starrte.

Ihr Körper war noch starr von dem Gift, das die Lähmung hervorgerufen hatte, aber schon kam sie mir wärmer und weniger steif und reglos vor – wahrscheinlich begann sich bereits auszuwirken, daß ich die Eier entfernt hatte.

Als ich das Mädchen berührte, kam der Käfer einen weiteren Schritt näher.

Er begann zu zischen.

Dieses Geräusch schockierte mich einen Augenblick, denn ich war an das unheimliche Schweigen der Priesterkönige gewöhnt.

Jetzt begann das Insekt, seinen Kopf unter dem goldenen Panzer hervorzustrecken, und die mit Goldhaaren besetzten Antennen wanden sich hin und her und erkundeten die Höhle.

Mit dem rechten Arm hob ich Vika über meine Schulter und stand auf.

Das Zischen wurde lauter.

Offensichtlich wollte der Käfer nicht, daß ich Vika aus der Höhle trug.

Meine Last auf der Schulter, die Mul-Fackel in einer Hand, so ging ich langsam rückwärts auf einen Tunnelausgang zu.

Das Wesen folgte mir, verharrte jedoch, als es das Mooslager erreichte und zwischen den Oberresten der zertretenen Eier herumzusuchen begann.

Ich hatte keine Vorstellung, wie schnell der Käfer zustoßen konnte; trotzdem machte ich kehrt und eilte durch den Gang, so schnell ich konnte. In Anbetracht seines Gewichts und seiner dünnen Beine hoffte ich, daß das Insekt nicht allzu beweglich war.

Etwa eine Ehn später hörte ich aus der Höhle einen der seltsamsten und entsetzlichsten Laute, der mir je in den Ohren geklungen hatte – ein langer, wilder, verzweifelter Hauch, mehr ein Ausatmen, fast ein Zischen, fast auch ein Schmerzensschrei, ein Laut des Erkennens und der Qual.

Ich blieb stehen und lauschte.

Nun hörte ich deutlich, daß der Goldene Käfer die Verfolgung aufgenommen hatte.

Ich rückte Vika auf meiner Schulter zurecht und setzte meine Flucht fort.

Nach wenigen Ehn blieb ich wieder stehen. Offensichtlich traf meine Vermutung zu: der Käfer kam nur langsam voran. Und doch wusste ich, daß er sich dort hinten irgendwo bewegte, daß er seine Rache nicht so schnell vergessen würde. Langsam kam er, geduldig, unaufhaltsam wie der Anbruch des Winters.

Ich setzte Vika ab und lehnte die Mul-Fackel an die Felswand der Höhle.

Der Gedanke, daß der Käfer seine Beute in diesen Tunnels stundenlang, vielleicht über Tage hin verfolgte, erschien mir unwahrscheinlich, ein Rätsel der Natur. Aber ich hatte seinen Körper gesehen und wusste, daß dieses Insekt sich nicht längere Zeit mit großer Schnelligkeit bewegen konnte. Wie war es dann möglich, daß ein schwerfälliges Wesen, wie fürchterlich seine Kampfkraft aus der Nähe auch sein mochte, an eine so wachsame und schnelle Intelligenz wie die Priesterkönige herankam?

Ich bewegte Vikas Arme und Beine und rieb ihre Hände, um ihren Blutkreislauf anzuregen. Dann beugte ich mich über ihr Herz und stellte zu meiner Freude ein leises Pochen fest. Auch am Handgelenk spürte ich nun einen leichten Puls.

Die Luft in den Tunnels des Goldenen Käfers war schlecht.

Wahrscheinlich waren sie nicht so gut gelüftet wie das Nest der Priesterkönige. Plötzlich wurde mir der Sauerstoffmangel bewußt, und ich merkte, wie erschöpft und hungrig ich war. Ich setzte mich, um ein wenig auszuruhen; der Käfer war weit zurück. Jedenfalls hatte ich Zeit, kurz die Augen zu schließen.

Ich schreckte aus dem Halbschlaf. Der entsetzliche Geruch umgab mich.

Ich sah die schimmernden Augen. Die goldenen Haare auf dem Rücken standen hoch und zitterten, und von ihnen ging der Geruch aus.

Ich schrie auf, als ich die Berührung zweier langer, gebogener Objekte spürte.

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