Vika konnte gut kochen, und es schmeckte mir sehr.
Die Nahrungsmittelvorräte wurden in kleinen Wandschränken auf einer Seite des Raumes aufbewahrt. Die Türen dieser Kabinette ließen sich auf die gleiche Weise öffnen wie die Waschöffnungen, die ich schon gesehen hatte.
Auf meinen Befehl hin machte mich Vika mit den Öffnungsmechanismen und den Abfallvorrichtungen ihrer ungewöhnlichen Küche vertraut.
Die Temperatur des Wassers, das aus dem Wandhahn kam, hing von der Richtung ab, mit der der Schatten einer Hand auf eine lichtempfindliche Zelle fiel; die Wassermenge hatte einen Bezug zu der Geschwindigkeit, mit der die Hand am Sensor vorbeigeführt wurde.
Die Nahrung, die Vika aus den Vorratsbehältern holte, war nicht gekühlt, sondern mit einer Folie geschützt, die mich an blaues Plastik erinnerte.
Das Essen selbst schmeckte gut und frisch.
Zuerst kochte sie mir einen Kessel Sullage, eine auf Gor viel gegessene Suppe, die aus den Blättern des goldenen Sul, einer goldbraunen weinartigen Frucht, aus den ovalen Blättern des Tu-Pah, eines Baumparasiten, und aus den Wurzeln des Kes-Busches gemacht wird.
Das Fleisch war ein Steak vom Bosk, einer riesigen pelzigen Rinderart, die in großen Herden auf den goreanischen Prärien zu finden ist. Vika röstete das Fleisch auf einem kleinen Eisengrill über Holzkohlen, bis die Außenschicht schwarz angebrannt war und das rote, saftige Innere des Steaks schmackhaft schützte.
Außer der Sullage und dem Bosksteak gab es das unvermeidliche runde gelbe Sa-Tarna-Brot und dazu eine Handvoll Ta-Weintrauben und einen Schluck Wasser aus dem Wandhahn. Die Trauben waren purpurn und stammten vermutlich von den Weinbergen der Insel Cos, die einige hundert Pasang von Port Kar entfernt liegt. Erst einmal hatte ich solche Trauben auf Gor vorgesetzt bekommen – bei einem Fest, das mir zu Ehren in Tharna stattfand. Wenn es sich wirklich um Ta-Wein handelte, musste er mit Galeeren von Cos nach Port Kar und von dort mit einer Karawane zum Markt von En’Kara gebracht worden sein. Port Kar und Cos sind seit jeher verfeindet, doch solche Traditionen stehen natürlich nicht im Widerspruch zu den Profiten eines geregelten Schmuggelhandels. Vielleicht stammten die Trauben aber auch aus einer ganz anderen Gegend; sie schienen jedenfalls sehr frisch zu sein.
Ich dachte nicht weiter darüber nach. Ich fragte mich vielmehr, warum es nur Wasser zu trinken gab.
Ich sah Vika an.
Sie hatte sich selbst nichts zu essen bereitet, sondern kniete in der Haltung eines Turmsklaven, der in den goreanischen Wohnzylindern die Pflichten des Haushalts übertragen bekommt.
Auf Gor hat ein Stuhl übrigens eine besondere Bedeutung. Dieses Möbelstück ist in privaten Haushalten recht selten zu finden und ist gewöhnlich für besondere Gäste – wie etwa Administratoren oder Richter – reserviert. Ein Stuhl wird nicht für bequem gehalten. Und obwohl das schwer vorstellbar ist, liegt darin etwas Wahres. Nach meiner Rückkehr zur Erde brauchte ich einige Zeit, bis ich mich wieder an den einfachen Vorgang des Sitzens gewöhnt hatte. Einige Monate lang war mir immer recht unsicher zumute, wenn ich mich auf eine kleine Holzplattform mit vier schmalen Beinen niederließ.
Der goreanische Mann sitzt gewöhnlich mit untergeschlagenen Beinen, während sich die Frau hinkniet und dabei das Gewicht auf ihre Fersen legt. Bei der Stellung der Turmsklavin unterscheidet sich eigentlich nur die Handhaltung von dieser Position. Wenn sie nichts zu tun hat, sind die Handgelenke im Schoß gekreuzt, als warteten sie auf die Fessel ihres Herrn. Die Gelenke einer freien Frau nehmen niemals diese Stellung ein.
»Warum gibt es nur Wasser zu trinken?« fragte ich das Mädchen.
Sie zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich, weil die Kammersklavin so oft allein ist.«
Mit dieser Antwort konnte ich nichts anfangen.
Sie sah mich offen an. »Es wäre sonst zu einfach«, sagte sie.
Ich schalt mich einen Narren. Natürlich durfte den Kammersklavinnen nicht der Ausweg des Trinkens geboten werden, denn dadurch würde ihr Los erträglicher, und ihre Schönheit und ihre Verwendbarkeit für die Priesterkönige wäre um so schneller dahin – sie würden unzuverlässig und verlören sich in ihren Alkoholträumen.
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Nur zweimal im Jahr gibt es neue Nahrung«, sagte sie.
»Und sie wird von den Priesterkönigen gebracht?« fragte ich.
»Ich nehme es an«, sagte sie.
»Aber du weißt es nicht?«
»Nein. Wenn ich morgens aufwache, sind die neuen Vorräte da.«
»Dann wird Parp sie wohl bringen«, sagte ich.
Sie sah mich amüsiert an.
»Parp, der Priesterkönig.«
»Hat er dir das erzählt?« fragte sie.
»Ja.«
Das Mädchen wollte offensichtlich nicht weiter über diese Angelegenheit sprechen, und ich verfolgte das Thema nicht. Ich hatte fast fertig gegessen. »Du hast gut gekocht«, beglückwünschte ich sie. »Das Essen ist ausgezeichnet.«
»Bitte«, sagte sie, »ich habe Hunger.«
Ich starrte sie verblüfft an. Sie hatte sich nichts bereitet, und da hatte ich angenommen, daß sie bereits gegessen hatte oder nicht hungrig war oder später essen wollte.
»Mach dir doch etwas«, sagte ich.
»Das kann ich nicht«, sagte sie einfach. »Ich darf nur essen, was du mir gibst.«
Ich verwünschte meine Unaufmerksamkeit.
War ich so sehr zum goreanischen Krieger geworden, daß mich die Gefühle eines Mitmenschen nicht mehr kümmerten – und noch dazu eines Mädchens, das meines Schutzes bedurfte? War es möglich, daß ich sie entsprechend dem Kodex meiner Kaste gar nicht mehr richtig wahrgenommen, sondern sie nur als rechtloses Tier angesehen hatte, als Untertan, als unwichtiges Instrument für meine Interessen und Lüste – eine Sklavin?
»Es tut mir leid«, sagte ich.
»Wolltest du mich nicht strafen?« fragte sie.
»Nein«, sagte ich.
»Dann ist mein Herr ein Narr«, sagte sie und griff nach dem Fleisch, das ich auf dem Teller hatte liegen lassen.
Ich packte ihr Handgelenk. »Aber jetzt habe ich die Absicht, dich zu strafen«, sagte ich.
Tränen stiegen in ihren Augen auf. »Gut denn«, sagte sie und zog die Hand zurück.
Vika würde heute Abend nichts zu essen bekommen.
Obwohl es nach dem Zimmerchronometer, das sich bei einer der Truhen im Deckel befand, schon Nacht war, bereitete ich mich darauf vor, den Raum zu verlassen. Leider herrschte Kunstlicht, so daß ich die Tageszeit nicht nach Sonne, Sternen und Monden bestimmen konnte. Mir fehlten diese Naturphänomene sehr. Seit meinem Erwachen hatten die Energielampen mit gleichmäßiger Helligkeit gebrannt.
Ich hatte mich nach besten Kräften im Wasserstrahl des Wandhahns gewaschen.
In einer der Truhen hatte ich zwischen mancherlei Kastenkleidung auch die Tunika eines Kriegers gefunden. Ich legte sie an, da mein eigener Umhang den Klauen des Larl zum Opfer gefallen war.
Vika hatte sich eine Strohmatte ausgerollt, die sie am Fuße der großen Steinplattform ausbreitete. In eine leichte Decke gehüllt, das Kinn auf die Knie gelegt, so beobachtete sie mich aufmerksam.
Ein schwerer Sklavenring war am Fußende meines Lagers angebracht, und ich hätte sie dort nach Belieben festketten können.
Ich gürtete mein Schwert.
»Du willst doch nicht den Raum verlassen?« fragte Vika – die ersten Worte, die sie seit dem Essen an mich richtete.
»Ja«, sagte ich.
»Aber das darfst du nicht.«
»Warum nicht?«
»Es ist verboten.«
Ich ging auf die Tür zu.
»Wenn die Priesterkönige dich sehen wollen, schicken sie nach dir«, sagte sie. »Bis es soweit ist, musst du warten.«
»Mir liegt nichts am Warten.«
»Aber dir bleibt nichts anderes übrig«, sagte sie und stand auf.
Ich kehrte um und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Du darfst die Priesterkönige nicht so fürchten«, sagte ich.
Sie merkte, daß sie mich nicht umstimmen konnte. »Wenn du gehen musst«, sagte sie, »dann kehre wenigstens vor dem zweiten Gongschlag zurück.«
»Warum das?«
»Um deinetwillen«, sagte sie und senkte den Blick.
»Ich habe keine Angst«, sagte ich.
»Dann meinetwegen«, sagte sie. »Ich habe Angst vor dem Alleinsein.«
»Aber du bist schon viele Nächte allein gewesen.«
Sie sah mich an, und ich vermochte den besorgten Ausdruck in ihren Augen nicht zu deuten. »Die Angst hört doch niemals auf«, sagte sie.
»Ich muß gehen.«
Plötzlich hörte ich aus der Ferne den tiefen Klang des Gongs, den ich schon einmal im Saal der Priesterkönige vernommen hatte.
Vika sah mich lächelnd an. »Siehst du«, sagte sie erleichtert. »Jetzt ist es zu spät. Jetzt musst du bleiben.«
»Warum?« fragte ich.
Sie schaute zur Seite, wich meinem Blick aus. »Weil bald die Energielampen verdunkelt werden«, sagte sie. »Das sind die Stunden, die zum Schlafen gedacht sind.«
»Warum muß ich hierbleiben?« fragte ich und verstärkte meinen Griff um ihre Schultern, schüttelte sie, um sie zum Reden zu bringen. »Warum?«
Angst flatterte in ihren Augen.
Dann ertönte der zweite Gongschlag, und Vika schien in meinen Armen zu erzittern.
Wieder schüttelte ich sie heftig. »Warum?« brüllte ich.
Sie konnte kaum sprechen. »Weil nach dem Gong . . .«, flüsterte sie.
»Nach dem Gong . . . streifen sie herum . . .«
»Wer?« fragte ich.
»Die Priesterkönige!« rief sie und wandte sich ab.
»Ich fürchte mich nicht vor Parp!« sagte ich.
Sie starrte mich an. »Parp ist kein Priesterkönig«, sagte sie leise.
Und dann klang der dritte Gongschlag auf, und im gleichen Augenblick verdunkelten sich die Energielampen in unserem Zimmer, und ich stellte mir vor, daß irgendwo in den langen Korridoren dieser unterirdischen Welt die Priesterkönige unterwegs waren.