20

Draußen traf ich Mul Al-Ka und Mul Ba-Ta, die aus gutem Grund nicht sehr guter Stimmung zu sein schienen.

»Wir haben Anweisung«, sagte Mul Al-Ka, »dich zum Priesterkönig Misk zu bringen, den du töten wirst.«

»Anschließend sollen wir dir bei der Beseitigung der Leiche helfen«, fügte Mul Ba-Ta hinzu.

Ich lächelte und betrat die Transportscheibe, auf der die beiden Muls standen. Sie wandten mir ostentativ den Rücken zu. Mul Al-Ka betätigte den Beschleunigungsstreifen und lenkte die Scheibe in einen breiten Tunnel.

»Eure Anweisungen seid ihr nun losgeworden«, sagte ich nach kurzem Schweigen und schlug den beiden auf die Schultern. »Jetzt sagt mir, was ihr wirklich wollt.«

»Du merkst bestimmt, wir haben uns so hingestellt, daß du uns mühelos von der Scheibe stoßen kannst.«

»Die Absicht habe ich nicht.«

»Oh«, sagte Mul Al-Ka.

»Es schien uns eine gute Idee zu sein«, bemerkte Mul Ba-Ta.

»Warum wollt ihr von der Scheibe gestoßen werden?« fragte ich.

»Damit du Zeit zur Flucht hast und dich verstecken kannst«, sagte Mul Ba-Ta.

»Aber ich soll doch mit Ehren und Reichtümern belohnt werden.«

Die beiden Muls schwiegen. Eine seltsame Traurigkeit schien sich ihrer bemächtigt zu haben, eine Stimmung, die ich eigentlich rührend fand, die jedoch auch etwas Komisches hatte, da beide gleichermaßen davon befallen waren.

»Schau, Tarl Cabot«, sagte Mul Al-Ka plötzlich, »wir möchten dir etwas zeigen.«

Mit diesen Worten schwang er die Transportscheibe ruckartig herum und raste in einen Seitentunnel. Eine Zeitlang schössen wir mit Höchstgeschwindigkeit dahin, bis wir elegant vor einem großen Stahlportal zum Stillstand kamen.

»Was soll das?« fragte ich.

»Wir haben Anweisung, nicht mit dir zu sprechen«, sagte Mul Al-Ka.

»Habt ihr Anweisung, mich hierher zu bringen?«

»Nein«, sagte Mul Ba-Ta. »Es hat mit den Ehren und den Reichtümern und den Priesterkönigen zu tun.«

Der Saal, in dem wir uns nun befanden, war leer und unterschied sich eigentlich nicht von der Anlage, in der ich ›behandelt‹ worden war.

Allerdings gab es keine Beobachtungsschirme sondern nur eine schwere kugelförmige Apparatur hoch über unseren Köpfen. Die Kugel war an gegliederten Halterungen befestigt, die aus der Decke kamen.

Zahlreiche Drähte, von der Kugel ausgehend, verschwanden in der Decke.

Ich hatte das Gefühl, von diesem Gerät schon einmal gehört zu haben.

Eine Tür öffnete sich, und zwei plastikbekleidete Muls schoben eine auf Gas schwebende Scheibe herein. Sie platzierten sie unmittelbar unter dem Kugelgerät an der Decke. Auf der Scheibe befand sich eine Art Plastikblock und darin ein Mädchen, in die traditionelle Robe der Verhüllung gekleidet. Nur ihr Kopf war frei, so daß sie atmen konnte.

»Seid gegrüßt, ehrenwerte Muls«, sagte einer der beiden Wächter.

»Seid gegrüßt«, erwiderte Mul Al-Ka.

»Wer ist dieser Mann?« fragte der andere.

»Ein Freund von oben«, sagte Mul Al-Ka »Aber Freundschaft zwischen Muls ist verboten.«

»Das wissen wir«, sagte Mul Al-Ka, »aber wir gehen sowieso in die Vernichtungskammern.«

»Das tut mir leid.«

»Uns auch«, sagte Mul Ba-Ta.

Ich starrte meine Begleiter verblüfft an.

»Was war euer Vergehen?« fragte der erste Wärter.

»Wir wissen es nicht«, sagte Mul Al-Ka.

»Das ist immer unangenehm.«

»Ja«, bemerkte Mul Ba-Ta, »aber nicht wichtig angesichts des Wunsches der Priesterkönige.«

Die Wärter machten sich nun an ihre Arbeit. Einer kletterte neben dem Plastikzylinder auf eine Scheibe, während der andere zu einer Kontrolltafel an einer Wand des Raumes ging.

Das Mädchen tat mir leid, das sicherlich keine Ahnung hatte, daß nun eine Aufzeichnung ihrer Gehirnströme gemacht werden sollte, durch die die Sensoren am Ausgang ihres künftigen Quartiers aktiviert wurden.

Das Kugelgerät schwebte von der Decke herab und begann summend zu flackern, und einer der Wärter platzierte die Kugel über dem Kopf des Mädchens. Nach kurzer Zeit schwebte die Apparatur wieder nach oben, während sich die beiden Wärter mit geübten Bewegungen daran machten, das Mädchen unter der Plastik zu entkleiden und ihr die blaue Sklaventunika anzulegen.

Schluchzend schüttelte sie den Kopf. »Ich bin ein Geschenk der Wissenden von Ar an die Priesterkönige!« wimmerte sie.

Der Wärter neben ihr griff wortlos nach einem schlanken Metallkragen.

»Nein, nein – ihr versteht mich nicht!« sagte das Mädchen. Sie versuchte sich aus ihrer Plastikliege zu befreien. »Ich bin nicht in das Sardargebirge gekommen, um eine Sklavin zu sein!«

Der Kragen klickte, als er sich um ihren Hals schloß.

»Du bist ein Sklavenmädchen«, sagte der Mann leise.

»Bringt sie fort«, sagte sein Begleiter.

Gehorsam schob der andere die Scheibe mit dem Mädchen aus dem Saal.

Meine Hand krampfte sich um das Schwert.

»Du kannst doch nichts tun«, sagte Mul Al-Ka warnend.

Wahrscheinlich hatten sie recht. »Warum habt ihr mich hergebracht?« fragte ich aufgebracht.

»Na, hast du ihren Kragen nicht gesehen?« fragte Mul Al-Ka verblüfft.

»Hast du die Gravierung nicht gelesen?« fragte Mul Ba-Ta.

»Nein!« sagte ich wütend.

»Sie zeigte die Ziffer ›708‹«, sagte Mul Al-Ka.

Ich erschrak. 708 war die Nummer auf Vikas Kragen gewesen. Was sollte das bedeuten?

»Das war die Nummer Vikas aus Treve!« sagte ich.

»Genau – das Mädchen, das dir Sarm als einen Teil deiner Belohnung versprochen hat, wenn du Misk umbringst.«

»Wie du siehst«, sagte Mul Ba-Ta, »ist die Nummer neu vergeben !«

»Vielleicht hat sie einen neuen Kragen bekommen«, sagte ich verwirrt.

»Und das heißt«, fuhr Mul Al-Ka fort, »daß Vika aus Treve nicht mehr existiert.«

»Dann ist sie tot?« fragte ich.

»Nein.«

»So gut wie tot.«

»Was soll das heißen?«

»Sie ist in die Tunnel des Goldenen Käfers geschickt worden.«

»Aber warum?«

»Sie hatte ihren Zweck als Dienerin der Priesterkönige erfüllt«, sagte Mul Ba-Ta.

»Ich glaube, jetzt haben wir genug gesagt«, schaltete sich Mul Al-Ka ein.

»Das stimmt«, sagte Mul Ba-Ta. »Vielleicht hätten wir dir gar nicht soviel enthüllen dürfen, Tarl Cabot.«

Ich legte meine Hände auf die Schultern der beiden Muls.

»Ich danke euch, meine Freunde«, sagte ich. »Ich verstehe jetzt eure Motive. Ihr habt mir gezeigt, daß Sarm sein Versprechen nicht einhalten will.«

»Denk daran«, sagte Mul Al-Ka, »gesagt haben wir dir das nicht.«

»Das stimmt, aber ihr habt es mir gezeigt.«

»Wir haben Sarm nur versprochen, daß wir es dir nicht sagen würden.«

Ich lächelte die beiden Muls an, die meine Freunde waren.

»Wenn ich mit Misk fertig bin – sollt ihr mich dann umbringen?« fragte ich.

»Nein«, erwiderte Mul Al-Ka, »wir sollen dir nur sagen, daß Vika aus Treve dich in den Tunnels des Goldenen Käfers erwartet.«

»Und das ist die schwache Stelle in Sarms Plan«, sagte Mul Ba-Ta, »denn du würdest nie wegen eines weiblichen Mul in die Tunnels des Goldenen Käfers gehen!«

»Ja«, sagte Mul Al-Ka, »das ist der erste Fehler, den Sarm je gemacht hat. Denn ein Vorstoß in diese Tunnels bedeutet den Tod.«

»Aber ich werde gehen«, sagte ich.

Die beiden Muls sahen sich traurig an und schüttelten die Köpfe.

»Sarm ist klüger als wir«, sagte Mul Al-Ka.

»Sieh, wie er mit den Instinkten der Menschen spielt«, sagte Mul Ba-Ta.

Ich lächelte, denn ich fand es selbst kaum verständlich, daß ich ohne Zögern daran dachte, mein Leben für das hinterlistige Mädchen Vika aus Treve einzusetzen.

»Ich dachte, du Hasst sie«, sagte Mul Al-Ka.

»Aber ja«, erwiderte ich.

»Ist es menschlich, so zu handeln?« wollte Mul Ba-Ta wissen.

»Ja«, sagte ich. »Es gehört zum Wesen eines Mannes, eine Frau seiner Art zu beschützen, wer immer sie auch sein mag.«

»Genügt es, daß sie nur eine Frau ist?« fragte Mul Ba-Ta.

»Ja.«

»Auch wenn sie nur ein weiblicher Mul ist?«

»Ja.«

»Interessant«, bemerkte Mul Ba-Ta. »Dann sollten wir dich begleiten, denn wir möchten ja lernen, wie Menschen zu sein.«

»Nein«, sagte ich, »ihr dürft mich nicht begleiten.«

»Ach«, sagte Mul Al-Ka bitter, »du hältst uns noch nicht wirklich für Menschen.«

»Aber ja«, sagte ich. »Das habt ihr mir längst bewiesen, indem ihr mir Sarms Absichten verrietet.«

»Dann dürfen wir dich begleiten?«

»Nein«, sagte ich, »denn ich meine, daß ihr mir auf andere Art helfen könnt.«

»Das wäre schön«, sagte Mul Al-Ka.

»Aber wir haben nicht viel Zeit«, bemerkte Mul Ba-Ta.

»Das stimmt«, sagte Mul Al-Ka, »wir müssen uns bald in den Vernichtungskammern melden.«

Die beiden Muls sahen mich bedrückt an.

Ich überlegte einen Augenblick, zuckte schließlich die Achseln und sah sie mit einem Blick an, in den ich tiefe Enttäuschung zu legen versuchte.

»Ihr könnt natürlich gehen, wann ihr wollt«, sagte ich, »aber das wäre wirklich nicht sehr menschlich.«

»Nein?« fragte Mul Al-Ka, der sichtlich aufmerkte.

»Nein?« wolle auch Mul Ba-Ta interessiert wissen.

»Nein«, sagte ich, »ganz entschieden nicht.«

»Bist du sicher?«

»Ganz sicher?«

»Ich bin mir nicht ganz sicher«, sagte ich. »Es entspricht einfach nicht dem Wesen eines Menschen, loszugehen und sich in den Vernichtungskammern zu melden.«

Die beiden Muls starrten mich lange an, musterten sich gegenseitig und schienen schließlich zu einer Art Entschluss zu kommen.

»Also gut«, sagte Mul Al-Ka, »dann melden wir uns eben nicht.«

»Nein«, sagte Mul Ba-Ta entschlossen.

»Gut«, sagte ich.

»Was wirst du nun tun, Tarl Cabot?« fragte Mul Al-Ka.

»Bringt mich zu Misk.«

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