Gegen Vikas Proteste machte ich mich auf den Weg. Mit entschlossenen Schritten trat ich in den Korridor hinaus. Ich sah Vikas weiße Tunika und die bleiche Schönheit ihrer Haut, als sie vor den gefährlichen Sensoren verharrte.
»Bitte geh nicht!« rief sie mir nach.
Ich antwortete nicht, sondern setzte mich in Bewegung.
»Ich habe Angst!« rief sie. Aber ich vermutete, daß die Gefahr für sie heute nacht nicht viel größer war als all die Nächte zuvor, und ging weiter.
Es war nicht an mir, sie zu trösten. Ich musste mich um die gefürchteten Bewohner dieser dämmrigen Tunnels kümmern; ich war kein Frauenbeschützer, ich war Krieger.
Als ich dem Korridor folgte, schaute ich in verschiedene andere Zimmer, die dem meinen sehr ähnlich waren. Nirgendwo gab es eine Tür, sondern nur die breiten Durchgänge, mit Sensoren gesichert.
Fast alle Zimmer waren leer.
In zwei Räumen lebten jedoch Kammersklavinnen, Mädchen wie Vika, gleich gekleidet, mit einem gleichen Kragen versehen, die sich nur durch die Nummer unterschieden.
Das erste Mädchen war klein und stämmig, mit breiten Fußgelenken und breiten Schultern; sie kam vermutlich vom Lande. Ihr Haar legte sich in einem breiten Zopf über ihre rechte Schulter. Ich fragte sie, ob sie die Priesterkönige gesehen habe.
»Heute nacht noch nicht«, sagte sie.
Das zweite Mädchen war groß und zierlich. Sie schien einer Hohen Kaste zu entstammen. Auch sie verneinte meine Frage.
Ich ging weiter, vermochte die Erinnerung an die beiden Kammersklavinnen und an Vika aber nicht abzuschütteln – vielleicht weil mich das Schicksal der Mädchen berührte, vielleicht auch, weil jede auf ihre Art schön war. Trotzdem freute ich mich, daß ich zu Vika gekommen war, die mir doch am attraktivsten erschien. Dabei fiel mir ein, daß sie in gewisser Hinsicht Lara, der Tatrix von Tharna, ähnelte, die mir einmal am Herzen gelegen hatte. Ich dachte an Vika, deren Lippen voll und verlockend waren, und fragte mich, ob sie vielleicht von Geburt an Sklavin war, ob sie nicht von klein auf zur Vergnügungssklavin erzogen worden war.
Als ich hierüber nachdachte, verstärkte sich das Gefühl, daß ich nicht zufällig in Vikas Raum gebracht worden war. Ich hatte das Gefühl, daß Vika schon die Herzen vieler Männer gebrochen hatte und daß sich die Priesterkönige vielleicht dafür interessierten, wie ich mit ihr zurechtkam.
Vielleicht hatte Vika von den Priesterkönigen den Befehl erhalten, mich zu unterwerfen – aber das erschien mir kaum wahrscheinlich. Dazu war sie trotz ihres Kragens zu wild, zu ungezähmt. Ich fragte mich, wie viele Männer ihr zu Füßen gesunken waren, wie viele Männer sich erniedrigt hatten, am Fuße der großen Steinplattform zu schlafen, im Schatten des Sklavenrings, während sie selbst auf den Fellen und Seidenlaken ruhte.
Einige Stunden später fand ich mich wieder im Saal der Priesterkönige und freute mich über den Anblick des Himmels.
Meine Schritte hallten laut durch den Riesensaal. Der leere Thron ragte furchteinflößend vor mir auf.
»Ich bin da!« schrie ich. »Ich bin Tarl Cabot! Ich bin Krieger aus Ko-ro-ba und fordere die Priesterkönige von Gor wie ein Krieger heraus. Laßt uns kämpfen! Machen wir Krieg!«
Meine Stimme hallte lange in dem Riesensaal wider, doch meine Rufe blieben ohne Antwort.
Ich beschloß, zu Vikas Zimmer zurückzukehren. In einer anderen Nacht wollte ich mich weiter umsehen, denn es gab noch viele Durchgänge, viele Portale, die zu erkunden ich Tage brauchen würde.
Ich machte mich also auf den Rückweg.
Etwa eine Ahn war vergangen. Ich befand mich in einem der langen, kaum erleuchteten Korridore, die in die Richtung ihres Zimmers führten, als ich etwas hinter mir spürte. Ich zog mein Schwert und wirbelte herum. Der Korridor hinter mir war leer.
Ich rammte die Klinge wieder in die Scheide und ging weiter. Kaum hatte ich einige Meter zurückgelegt, als ich wieder unruhig wurde. Diesmal drehte ich mich nicht um, sondern ging langsam weiter, wobei ich nach hinten zu lauschen versuchte. Als ich eine Biegung des Tunnels erreichte, versteckte ich mich hinter der Wandkrümmung und wartete.
Ganz langsam zog ich mein Schwert, um nur ja kein Geräusch zu verursachen.
Ich wartete, doch es geschah nichts; Ich habe die Geduld eines Kriegers, und so wartete ich sehr lange.
Wenn sich zwei bewaffnete Männer beschleichen, ist es gut, Geduld zu haben, große Geduld.
Natürlich redete ich mir hundertmal ein, daß ich mich wie ein Narr benahm, denn tatsächlich hatte ich nichts gehört. Und doch hatte ich das konkrete Gefühl, daß mich etwas durch den Korridor verfolgte – vielleicht ausgelöst durch ein winziges Geräusch, das ich bewußt gar nicht wahrgenommen hatte, das jedoch seine Spuren als vager Verdacht hinterlassen hatte.
Endlich kam ich zu dem Schluß, die Entscheidung zu erzwingen. Dies war zum Teil durch die Tatsache motiviert, daß es im Korridor nur wenige Verstecke gab und mein Verfolger mich wahrscheinlich erst dann sehen würde, wenn auch ich ihn entdeckte. Ich lächelte grimmig.
Wenn es sich bei dem Unbekannten um einen Priesterkönig handelte, dann hatte er sich sehr umsichtig verhalten. Was wusste ich schon von diesen Wesen? Vielleicht waren sie fähig, stundenlang wie ein Baum zu verharren? Wie ausgeprägt waren ihre Sinnesorgane? Hatte mein Verfolger gehört, daß meine Schritte verstummt waren, und wartete nun auf mich? Meine Muskeln schrien nach Betätigung. Ich lauerte jetzt schon fast eine Ahn lang und war in Schweiß gebadet.
Ich spannte die Muskeln an, wappnete mich für den Sprung ins Freie, horchte ein letztes Mal in die Stille des Korridors.
Dann stieß ich den Kriegsschrei von Ko-ro-ba aus und sprang los, mit erhobenem Schwert.
Ein Wutgebrüll löste sich von meinen Lippen, als ich den Korridor vor mir leer fand.
Außer mir vor Wut lief ich durch den schmalen Gang zurück, versuchte aufzuspüren, was mich bedrohte. Ich hatte vielleicht einen halben Pasang zurückgelegt, als ich schweratmend stehenblieb. Ich war wütend auf mich selbst.
»Kommt raus!« brüllte ich. »Laßt euch sehen!«
Die Stille im Korridor schien mich zu verhöhnen.
Ich erinnerte mich an Vikas Worte: »Wenn die Priesterkönige dich sprechen wollen, schicken sie nach dir.«
Wütend stand ich im Licht der verdunkelten Energielampen, das ungebrauchte Schwert nutzlos in der Faust.
Dann spürte ich etwas.
Meine Nasenflügel bebten, und langsam zog ich die Luft des Korridors ein.
Auf meinen Geruchssinn hatte ich mich bisher noch nie verlassen.
Gewiß – ich wusste einen guten Duft zu genießen, Blumen und Frauen, frisches Brot, Leder, das öl, das meine Schwertklinge schützte – doch nur selten hatte ich diesen Sinn so angewandt, wie man etwa die Augen oder die Fingerkuppen benutzt, und doch lagen hier Informationen, die man nur aufzunehmen und zu registrieren brauchte.
Und so versuchte ich die Düfte des Korridors zu erfassen, und meine Nase nahm ein Aroma wahr, wie ich es noch nie erlebt hatte. Soweit ich ausmachen konnte, handelte es sich um einen einfachen Duft, obwohl hier in Wirklichkeit eine Vielzahl von Düften zusammenwirkte, die jeder für sich viel komplizierter waren. Ich vermag den Duft nicht zu beschreiben – wie erklärt man jemandem, der eine Orange nicht kennt, den Geruch dieser Frucht? Der Duft hatte jedenfalls etwas Säuerliches, das meinen Geruchssinn kitzelte. Entfernt erinnerte er mich an den Pulvergeruch einer abgeschossenen Gewehrpatrone.
Ich wusste nun, daß ich nicht allein gewesen war. Ich hatte den Duft eines Priesterkönigs aufgefangen.
Ich steckte mein Schwert ein und kehrte in Vikas Raum zurück. Ich summte ein fröhliches Kriegerlied vor mich hin, denn aus irgendeinem Grunde war ich nun glücklich.