Meine Hände umfassten die schmalen, hohlen Zangen des Goldenen Käfers und versuchten sie auseinanderzulegen. Doch der Druck nahm weiter zu. Die Spitzen waren mir schon unter die Haut gedrungen, und zu meinem Entsetzen spürte ich ein seltsames Ziehen und begriff, daß das Wesen zu saugen begonnen hatte. Aber ich war Mensch und nicht Priesterkönig, und ich begann mich zu wehren. Ich hieb gegen die grausigen Saugzangen, stemmte sie unter Aufbietung meiner ganzen Kräfte auseinander. Das Wesen zischte, als ich die beiden gebogenen Kiefernspitzen immer weiter auswärts drängte, bis sie plötzlich mit lautem Schnappen abbrachen und zu Boden fielen.
Das Zischen hörte auf.
Der Käfer taumelte, sein goldener Panzer erzitterte, und der Kopf verschwand unter dem Schutzrand. Das Tier wich vor mir zurück. Ich folgte ihm, legte beide Hände unter den Rückenpanzer und hievte es langsam auf den Rücken. Als es dann hilflos vor mir lag, mit ohnmächtig wirbelnden Beinen, zog ich mein Schwert und stach wieder und wieder in den schutzlosen weichen Bauch, bis das Ding sich nicht mehr rührte.
Mich schauderte. Der Geruch des Goldenen Käfers war übermächtig, und ich beschloß, mich davonzumachen.
In diesem Augenblick begann die Mul-Fackel zu zischen.
Ich fragte mich, wie viele andere Goldene Käfer in der Nähe lauerten.
Dann überlegte ich, wo ich mein Schwert reinigen konnte.
Mein Blick fiel auf Vika, die noch nichts zum Kampf beigetragen hatte.
Ich riß ein Stück Stoff aus ihrem Rock und reinigte damit Hände und Klinge.
Ich lächelte, als ich daran dachte, daß dieses Mädchen nach den goreanischen Gesetzen jetzt mir gehörte – ihre Freiheit war also nur kurz gewesen. Ich konnte mir ihre Wut vorstellen, wenn ihr die Wahrheit dämmerte.
Aber jetzt kam es darauf an, aus dem Tunnelsystem herauszukommen und einen Zufluchtsort für das Mädchen zu finden, wo es sich von dem Angriff des Goldenen Käfers erholen konnte.
Wo war ein solches Versteck zu finden?
Inzwischen wusste Sarm bestimmt, daß ich Misk nicht umgebracht hatte, und das Nest war kein sicherer Ort mehr für mich und für alle, die mit mir zu tun hatten.
Ob ich wollte oder nicht, meine Taten hatten mich mit Misks Schicksal verbunden. Als ich mein Schwert einstecken wollte, hörte ich vor mir im Gang ein leises Geräusch. Im Lichte der langsam verlöschenden Mul-Fackel wartete ich reglos.
Es näherte sich kein zweiter Käfer, obwohl es sicherlich noch weitere Exemplare im Tunnelsystem gab, sondern ein anderer Bewohner dieser düsteren Felsenwelt – der weißliche, lange, blinde Schleimwurm.
Sein winziger Mund an der Unterseite des Körpers berührte hier und dort den Steinboden wie der tastende Finger eines Blinden, und der lange, weißliche gummiartige Körper zog sich zusammen und rückte vor, bis das Wesen nur noch einen Meter von mir entfernt war.
Der Schleimwurm hob das vordere Ende seines langen Körpers, und der winzige rote Mund an der Unterseite schien mich anzustarren.
»Nein«, sagte ich, »der Goldene Käfer hat hier noch keine Beute gemacht.«
Keine Reaktion. Ich schüttelte mich, steckte mein Schwert ein und beugte mich zu Vika hinab. Ich war lange genug hier unten gewesen.
Ich nahm das Mädchen auf die Arme und küßte es auf die Wange. Die Mul-Fackel flackerte ein letztes Mal und tauchte uns in Dunkelheit.
Ich spürte das Leben, das in den Körper des Mädchens zurückgekehrt war, und war glücklich.
Langsam wandte ich mich um und wanderte durch den Tunnel.
In der Schwärze hinter mir hörte ich die Freßgeräusche des Schleimwurms.
Obwohl ich nur langsam vorankam, hatte ich keine Mühe, den Weg zum Ausgang des Tunnelsystems zu finden.
Als ich die Tunnels betreten hatte, hatte ich meinen Weg mit kleinen Pfeilen markiert, die ich mit dem Schwertgriff in Augenhöhe links an die Tunnelwände kratzte. Ich hatte diese Zeichen angebracht, da ich im Gegensatz zu vielen anderen, die hier herkamen, zurückzukehren gedachte.
Als ich das Portal erreichte, durch das ich eingetreten war, fand ich es verschlossen. Das überraschte mich nicht, auch nicht die Tatsache, daß es auf dieser Seite keinen Griff und auch keine sonstige Vorrichtung zum öffnen gab, denn angeblich gaben die Tunnels des Goldenen Käfers niemanden wieder frei. Die Portale wurden gelegentlich geöffnet, um dem Käfer Zutritt zum Nest zu gewähren, aber ich hatte keine Vorstellung, wann das wieder einmal fällig war.
Obwohl die Tür dick war, hätte man mein Klopfen auf der anderen Seite sicher gehört.
Andererseits hatten mir die Muls, die das Portal bewachten, erklärt, daß sie mir nicht öffnen dürften, nachdem ich einmal hindurchgeschritten wäre. Das wäre ein Gesetz der Priesterkönige. Ich wusste natürlich nicht, wie sie sich wirklich verhalten würden, aber ich hielt es für das beste, wenn sie in aller Ehrlichkeit berichten konnten, daß sie mich in die Tunnels hätten gehen sehen, ohne daß ich zurückgekehrt wäre.
Offensichtlich hatte es in Sarms Absicht gelegen, daß ich in den Höhlen umkam, also hielt ich es für gerechtfertigt, ihn in diesem Glauben zu belassen.
Ich wusste, daß die Tunnels des Goldenen Käfers ebenso wie sämtliche anderen Räumlichkeiten des Nests belüftet wurden, und hoffte die Belüftungsschächte zu benutzen, um mein Gefängnis unbemerkt zu verlassen. Wenn das nicht möglich war, wollte ich das Gangsystem weiter erkunden und einen anderen Ausgang suchen, und wenn es zum Schlimmsten kam, konnten Vika und ich bestimmt einige Zeit überleben.
Immerhin kannten wir jetzt die Gefahren und Schwächen des Goldenen Käfers. Und wenn das Portal wieder einmal geöffnet wurde, konnten wir vielleicht unbemerkt entfliehen.
Einige Meter vom Portal entfernt hatte ich einen Ventilationsschacht bemerkt, der in der Tunneldecke endete, etwa drei Meter über dem Boden. Ein Metallgitter verschloß die Öffnung, das mir jedoch nicht sehr widerstandsfähig zu sein schien.
Das Problem war Vika.
Ich spürte nur einen frischen Lufthauch, und langsam schritt ich in der Dunkelheit aus, bis der Luftstrom stärker wurde und direkt von oben zu kommen schien.
Dann lehnte ich Vika gegen die Felswand und machte Anstalten, in die Höhe zu springen.
Ein greller Blitz explodierte mir ins Gesicht und jagte schmerzend durch meinen Körper, als meine Finger das Gitter berührten. In dem kurzen Lichtschein hatte ich deutlich den Schacht und die Streben an den Schachtwänden gesehen, die von den Muls benutzt wurden, wenn sie von Zeit zu Zeit die Ventilationsanlage mit Desinfektionsmitteln reinigten.
Zitternd lag ich am Boden und versuchte wieder zu mir zu kommen. Ich rieb mir den Arm, ging ein wenig auf und ab und machte dann einen zweiten Versuch. Mit einigem Glück vermochte ich mich am Gitter festzuklammern.
Wieder sprang ich und hielt mich diesmal fest. Schmerzerfüllt schrie ich auf, als das Blitzen erneut begann und ein Feuersturm durch meinen Körper raste. Dann konnte ich nicht mehr loslassen, selbst wenn ich es gewollt hätte, und als sich schließlich die Halterungen lösten, fiel ich mit dem Gitter zu Boden.
Ich löste meine Finger von dem Metall, kroch in der Dunkelheit an eine Felswand und lehnte mich erschöpft dagegen. Ich weiß nicht, ob ich das Bewußtsein verlor, doch das muß wohl geschehen sein, denn als ich wieder denken konnte, war der Schmerz verschwunden. Unsicher stand ich auf, trat unter den Schacht und atmete in vollen Zügen die frische Luft ein, die auf mich herabströmte. Ich schüttelte mich und bewegte versuchsweise Arme und Beine.
Dann sammelte ich meine Kräfte, sprang zum dritten Mal, erreichte mühelos eine der Sprossen im Entlüftungsschacht, hielt einen Augenblick fest und ließ mich wieder fallen. Dann trat ich zu Vika.
Ich hörte deutlich ihren Herzschlag, und ihr Puls war schon recht kräftig.
Die frische Luft half ihr sichtlich.
Ich schüttelte sie. »Wach auf!«
Doch sie rührte sich nicht. Trotzdem hatte ich das Gefühl, daß sie ahnte, was rings um sie vorging.
Es schien nur eine Möglichkeit zu geben.
Ich nahm meinen Schwertgürtel ab, schloß die Schnalle und machte eine Schlinge daraus, die ich über die untere Leitersprosse im Schacht wand.
Dann entfernte ich die Riemen aus meinen Sandalen. Mit einem band ich mir die Sandalen um den Hals. Mit dem anderen fesselte ich Vikas Handgelenke, legte mir ihre Arme um Hals und linke Schulter. Ich hob sie hoch und kletterte an meinem Schwertgürtel hinauf und erreichte bald die erste Sprosse. Als ich in den Schacht vorgedrungen war, legte ich den Gürtel wieder um und setzte meinen Aufstieg fort.
Nachdem ich vielleicht sechzig Meter zurückgelegt hatte, erreichte ich eine Abzweigung, von der zwei horizontale Tunnels abgingen. Ich schob Vikas Arme über meinen Kopf und trug sie in den Tunnel, der nach meiner Schätzung in die Richtung des Hauptteils der Höhlenwelt führte.
Ein Stöhnen kam über die Lippen des Mädchens. Sie kam wieder zu sich.
Vielleicht eine Ahn lang trug ich sie durch das Netzwerk der Ventilationsschächte, zuweilen horizontal, zuweilen auch durch senkrechte Schächte. Manchmal passierten wir gittergeschützte Öffnungen, durch die ich Teile des Nests erkennen konnte. Das Licht, das durch diese Öffnungen hereindrang, war mir sehr willkommen.
Endlich entdeckte ich hinter einer solchen Öffnung eine Szene, wie ich sie erwartet hatte, einen ziemlich kleinen Raum, wo mehrere Muls, doch keine Priesterkönige zu sehen waren. An der entgegengesetzte Wand der hellerleuchteten Höhle befanden sich zahlreiche Reihen von Plastikkabinen, wie ich sie in Misks Unterkunft bewohnt hatte. In einigen dieser Kabinen wohnten weibliche oder männliche Muls. Im Gegensatz zu meiner Unterkunft waren die Kästen jedoch offensichtlich verschlossen. Fungus, Wasser und Nahrungstabletten wurden anscheinend von anderen Muls zugereicht.
Der Raum erinnerte mich an einen Zoo mit seinen Käfigen. Tatsächlich stellte ich bei genauem Hinsehen fest, daß nicht nur Menschen in den Abteilen wohnten, sondern auch andere Lebewesen, die mir zum Teil unbekannt waren. In einem Abteil tummelte sich ein Paar Sleens, daneben zwei Larls in Kabinen, die durch eine Schiebetür voneinander getrennt waren. In einem dritten Kasten sah ich ein humanoides Wesen, klein und mit fliehender Stirn, das wild herumsprang und mich an einen Affen erinnerte. In einem größeren Abteil, in dem offenbar echtes Gras wuchs, weideten zwei pelzige Langhorn-Bosks. Und in einer Ecke entdeckte ich eine kleine Herde Tabuks, die einhörnige goreanische Antilope.
Es gab andere Wesen, die ich jedoch nicht einzuordnen wusste. Nur einen Tarn entdeckte ich nicht, ein Exemplar der gewaltigen Raubvögel dieses Planeten, die von den Goreanern als Flugtiere gezüchtet werden.
Allerdings war es schwer vorstellbar, daß ein Tarn, der sich nur im Fluge wirklich frei fühlt, in Gefangenschaft lange überleben würde.
Als ich diese seltsame Sammlung von Lebewesen überschaute, wurde mir klar, daß dies eines der Vivarien sein musste, von denen Sarm gesprochen hatte. Eine solche Anlage konnte mir nur recht sein.
Ich hörte Vika stöhnen und drehte mich um. Sie lehnte seitlich an der Schachtwand, etwa drei Meter vom Gitter entfernt. Das Licht, das durch die Streben fiel, zeichnete ein hübsches rechteckiges Schattenmuster auf ihren Körper.
Ich trat zur Seite und ein wenig zurück, um von draußen nicht gesehen zu werden, und beobachtete sie.
Vikas Handgelenke waren noch gefesselt. Sie war sehr schön, und die kurze zerrissene Kleidung verhüllte keine Linie ihres schönen Körpers.
Sie kämpfte sich auf Hände und Knie, den Kopf gesenkt, so daß ihr das Haar über das Gesicht fiel und den Boden des Schachtes berührte.
Langsam hob sie den Kopf und schüttelte ihn, eine kleine anmutige Bewegung, die ihr Gesicht freimachte. Ihr Blick fiel auf mich, und sie riß ungläubig die Augen auf.
Ihre Lippen zitterten, doch sie sagte nichts.
»Ist es Sitte bei den stolzen Frauen von Treve, so knapp gekleidet vor ihren Männern zu erscheinen?« fragte ich.
Sie sah an sich herab, und als sie mich wieder anblickte, flüsterte sie: »Du hast mich aus den Tunnels des Goldenen Käfers geholt!«
»Ja.«
Wie sich Vika nun erholte, wurden mir plötzlich die Probleme bewußt, die damit auf mich zukamen. Bei unserem letzten Zusammentreffen hatte diese Frau versucht, mich zu überlisten – im Auftrag meines Erzfeindes Sarm. Ich wusste, daß sie bösartig und treulos sein konnte – wegen ihrer Schönheit gefährlicher als ein vollbewaffneter Gegner.
Als sie mich nun ansah, leuchtete in ihren Augen ein Licht, das ich nicht deuten konnte. Mit zitternden Lippen sagte sie: »Es freut mich, daß du am Leben bist.« Sie hob die gefesselten Arme. »Aber du hast auch viel riskiert. Deine Rache muß dir sehr wichtig sein.«
Ich schwieg.
»Ich sehe, daß ich dir nicht mehr bedeute als eine niedrige Tavernensklavin Ars.«
»Bist du denn mehr?«
Ihre Antwort verblüffte mich. »Nein«, sagte sie und senkte den Kopf.
»Bringst du mich jetzt um?«
Ich lachte.
»Ich verstehe«, sagte sie.
»Ich habe dein Leben gerettet.«
»Ich werde gehorsam sein.«
Ich hob die Hände, und ihr Blick richtete sich auf mich, und sie legte ihre gefesselten Handgelenke auf meine Finger, kniete vor mir nieder, neigte den Kopf zwischen die Arme und sagte leise: »Ich, Vika aus Treve, ergebe mich dem Manne Tarl Cabot aus Ko-ro-ba.«
Sie blickte auf. »Jetzt bin ich dein Sklavenmädchen und muß dir gehorchen.«
Ich lächelte. »Aber ich habe keinen Kragen.«
»Trotzdem bin ich schon immer deine Sklavin gewesen«, sagte sie zögernd.
»Das verstehe ich nicht.«
Sie senkte den Kopf.
»Sprich, Sklavenmädchen!«
Sie begann zögernd, stockend, und das stolze Mädchen aus Treve musste sich sichtlich überwinden. »Seit unserer ersten Begegnung habe ich davon geträumt, deinen Sklavenkragen zu tragen.« Ihre Augen wurden feucht. »Das heißt«, fuhr sie noch leiser fort, »daß ich dich liebe.«
Ich löste ihre Handfesseln und küßte sie.