John Norman Die Priesterkönige von Gor

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Ich, Tarl Cabot, ehemaliger Erdenbürger, bin den Priesterkönigen Görs bekannt.

Es geschah gegen Ende des Monats der En’Kara im 10117. Jahr seit Gründung der Stadt Ar, daß ich den Saal der Priesterkönige im Sardargebirge des Planeten Gor, der Gegenerde, erreichte.

Vier Tage zuvor war ich auf dem Rücken meines Tarn, meines riesigen, falkengleichen Flugtiers, an der schwarzen Palisade eingetroffen, die das gefürchtete Gebirge umschließt.

Der Markt des En’Kara, einer der vier großen Zusammenkünfte, die während des goreanischen Jahres am Fuße der verbotenen Berge abgehalten werden, war in vollem Gange. Ich wollte hier kurz Rast machen, um einem Mitglied der Kaste der Schriftgelehrten meinen Bericht über die Ereignisse in Tharna anzuvertrauen.[*] Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit gehabt, die Freuden dieses Marktes zu genießen, denn hier bietet sich für die goreanischen Menschen eine der wenigen Gelegenheiten, die ständigen Spannungen und Zwiste zwischen den einzelnen Stadtstaaten zu vergessen und von Mensch zu Mensch miteinander zu reden. Auch zur Förderung der Wissenschaften, zur Anknüpfung zarter Bande, zum Austausch von Erfahrungen und zum friedlichen Handel waren diese Märkte geeignet. Mein alter Freund Torrn, Angehöriger der Kaste der Schriftgelehrten, war schon viermal am Fuße des Sardargebirges gewesen und hatte mir allerlei berichtet.

Mir fehlte Torrn sehr, und ich fragte mich, ob ich ihn je wiedersehen würde, meinen weißhaarigen Lehrer, der mich in die Geheimnisse dieser Welt eingeweiht hatte. Nachdem meine Heimatstadt Ko-ro-ba von den Priesterkönigen vernichtet und ihre Einwohner * in alle Winde zerstreut worden waren, hatte ich wenig Hoffnung, ihm noch einmal zu begegnen. Nach dem Willen der Priesterkönige durften keine zwei Menschen aus Ko-ro-ba je wie der zusammenkommen, und ich wollte meinen Freund nicht in Gefahr bringen, indem ich auf dem Markt von En’Kara nach ihm suchte. Außerdem hätte er in seiner Wissbegierde sicherlich darauf bestanden, mich in das Sardargebirge zu begleiten – und das hätte ich ihm wirklich nicht erlauben können.

Denn noch nie war ein Mensch aus den verbotenen Bergen zu rückgekehrt.

Ich wanderte langsam durch die Straßen des ausgedehnten Geländes.

Ringkämpfe waren im Gange, Wettläufe und Wettkämpfe mit Bogen und Speer.


Auch Sänger und Dichter traten gegeneinander an, verteidigten im friedlichen Turnier die Farben ihrer Städte. Ich musste an meinen Freund Andreas aus der Wüstenstadt Tor denken, der auf einem solchen Markt eine goldgefüllte Schale gewonnen hatte. Auch tollten zahlreiche Jongleure, Puppenspieler, Musiker und Akrobaten in den belebten Straßen und bemühten sich auf ihre Art um die kupfernen Tarnmünzen der Passanten.

Mancherlei Objekte standen zum Verkauf. Ich sah Stände mit Wein und Textilien und Rohseide, Brokat, Kupfer- und.Keramikgeschirr, dazu Holz, Pelze, Felle, Salz, Waffen, Sättel und Rüstungen, Ringe und Schmuckstücke, Gürtel und Sandalen, Lampen und öle. Medizinen und Fleisch und Korn, wilde Tarns und Tharlarions als Zugtiere, und lange Ketten leidgebeugter Sklaven, Männer und Frauen.

Obwohl während des Marktes niemand zum Sklaven gemacht werden darf, ist doch der Handel mit diesem wichtigen Wirtschaftsgut gestattet, und die Sklavenhändler machen gute Geschäfte. Dies liegt nicht nur an der Qualität des Angebots, sondern insbesondere an der Tatsache, daß nach den Gesetzen der Priesterkönige jeder Goreaner, Mann oder Frau, einmal in seinem Leben eine Reise zum Markt am Fuße des Sardargebirges unternehmen muß. Obwohl die Karawanen natürlich gut bewacht werden, finden oft Überfälle statt, so daß jedes goreanische Mädchen mit dieser Wallfahrt das Risiko auf sich nimmt, zur Sklavin gemacht zu werden. Da die Überfälle nicht nur von Räubern oder Geächteten, sondern auch von den Soldaten feindlicher Städte durchgeführt werden, finden sich hier oft Kriegsgründe für die verfeindeten Städte, so daß das goreanische Leben eigentlich selten ohne Auseinandersetzungen abläuft.

Ich musste daran denken, als ich einige Männer aus Port Kar erblickte, einer wilden Küstenstadt am Tambergolf, die zwanzig frisch gebrandmarkte Sklavenmädchen zum Verkauf anboten. Sie stammten aus der Inselstadt Cos und waren wahrscheinlich auf See gekapert worden. Sie knieten in der üblichen Haltung der Vergnügungssklavinnen.

Wenn ein möglicher Käufer vor dem Stand stehenblieb, sorgte einer der bärtigen Sklavenaufseher mit der Peitsche dafür, daß die Mädchen den rituellen Satz des zum Verkauf stehenden Sklavenmädchens sagten: »Kauf mich, Herr.« Diese Mädchen waren als freie Frauen aufgebrochen, um ihre Pflicht gegenüber den Priesterkönigen zu erfüllen. Als Sklavinnen würden sie von hier gehen. Ich wandte mich ab.

Mein Anliegen galt den Priesterkönigen dieser Welt.

Ich war zum Sardargebirge gekommen, um mich den sagenumwobenen Priesterkönigen entgegenzustellen, deren unvergleichliche Macht das Schicksal der Städte und Menschen der Gegenerde bestimmte.

Es heißt, die Priesterkönige wissen alles, was auf ihrer Welt vorgeht, und eine Handbewegung dieser Götter genüge, um die Macht des Universums heraufzubeschwören. Ich selbst hatte die Macht der Priesterkönige erlebt und wusste, daß es diese Wesen geben musste.

Ich war schon zweimal in einem Raumschiff der Priesterkönige von der Erde auf diese Welt gebracht worden.

Es heißt, ihre Macht erstreckt sich auf die Gefühle der Menschen ebenso wie auf die Bewegungen von Atomen und Sternen. Es heißt, daß sie die Menschen ihrem Willen unterwerfen können. Diesen letzten Anspruch bezweifelte ich, denn ich hatte auf der Straße nach Ko-ro-ba einen Mann getroffen, einen Boten der Priesterkönige, der sich ihrem Willen widersetzt hatte.

Allerdings nicht lange. Denn die Priesterkönige hatten ihn vor meinen Augen vernichtet – so beiläufig, als entledigten sie sich eines abgelaufenen Schuhs. Das Wichtige war dabei für mich, daß der Mann sich gegen sie gewehrt hatte, daß dies möglich war, daß er ihre Befehle in der sicheren Erwartung des Todes, der ihm dafür drohte, nicht befolgt hatte. Damit hatte er seine Freiheit gewonnen, obwohl er zugleich, wie die Goreaner sagen, in die Stätte des Todes geschickt worden war.

Ich gehöre der Kaste der Krieger an, und zu unserem Ehrenkodex gehört die Gewissheit, daß der einzige Tod, der eines Mannes würdig ist, der Tod im Kampf ist. Hieran kann ich jedoch nicht mehr glauben, nachdem jener Bote der Priesterkönige vor meinen Augen zu Boden sank.

Mein Anliegen an die Priesterkönige ist einfach. Aus einem mir unbekannten Grunde haben sie meine Stadt Ko-ro-ba vernichtet und ihre Einwohner über den Planeten verstreut. Ich weiß nicht, was aus meinem Vater, meinen Freunden, meinen Kriegskameraden und meiner geliebten Talena geworden ist, der Tochter des früheren Ubar Marlenus – meiner süßen, wilden Freien Gefährtin, meiner Talena, die ewig in der einsamen Schwärze meiner Träume lebt. Ja, ich habe mit den Priesterkönigen abzurechnen.

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