Richard verschränkte die Arme und lehnte sich an einen Felsen. »Das reicht!«
Zedd und Kahlan drehten sich um, als hätten sie vergessen, daß er auch da war. Wenigstens eine halbe Stunde lang hatte er ihrer Streiterei am Feuer gelauscht, jetzt war er es leid. Genaugenommen war er einfach nur müde. Das Abendessen war längst erledigt, und sie sollten etwas schlafen, statt dessen versuchten sie zu entscheiden, was sie morgen tun sollten, wenn sie Tamarang erreicht hatten. Jetzt hörten sie endlich mit der Streiterei auf und legten ihm ihre Standpunkte dar.
»Ich schlage vor, wir spazieren einfach rein, und ich kümmere mich um Giller. Er ist mein Schüler. Ich werde ihn dazu bringen, mir zu verraten, was gespielt wird. Ich bin immer noch Zauberer der ersten Ordnung. Er wird tun, was ich sage, und mir das Kästchen geben.«
Kahlan holte ihr Konfessorenkleid aus dem Rucksack. »Wir werden Giller hiermit beikommen. Er ist mein Zauberer und wird tun, was ich sage, denn er kennt die Konsequenzen.«
Richard atmete tief durch und rieb sich die Augen. »Ihr wollt beide ein Huhn verspeisen, das wir noch nicht einmal gerupft haben. Wir wissen noch nicht einmal, wem es gehört.«
»Was soll das heißen?« fragte Kahlan.
Richard beugte sich vor. Wenigstens hörten sie ihm endlich zu. »Selbst im allergünstigsten Fall wird Tamarang D’Hara wohlwollend gesonnen sein. Im schlimmsten Fall ist Rahl selbst dort. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Vielleicht haben sie etwas dagegen, wenn wir einfach hereinspazieren und sagen, was wir wollen. Tamarang verfügt über ein komplettes stehendes Heer, um uns klarzumachen, wie sehr sie etwas dagegen haben. Was dann? Sollen wir uns zu dritt auf eine Auseinandersetzung mit ihrer Armee einlassen? Wie kommen wir auf diese Weise an das Kästchen? Wie sollen wir auf diese Weise auch nur an Giller herankommen? Wenn wir kämpfen müssen, dann besser auf dem Weg nach draußen und nicht schon auf dem Weg nach drinnen.«
Richard erwartete einen Einwand von den beiden, die dasaßen, als müßten sie eine Standpauke über sich ergehen lassen, doch niemand sagte etwas, also fuhr er fort.
»Vielleicht wartet Giller sogar darauf, daß jemand kommt, dem er helfen kann, mit dem Kästchen zu fliehen. Andererseits ist er vielleicht gar nicht bereit, sich so ohne weiteres davon zu trennen. Aber das wissen wir erst, wenn wir bis zu ihm vorgedrungen sind, oder?« Er wandte sich an Zedd. »Du hast gesagt, das Kästchen besäße eine Zauberkraft, die ein Zauberer oder Rahl spüren kann. Andererseits kann ein Zauberer dies durch ein magisches Netz vereiteln und so verhindern, daß das Kästchen entdeckt wird. Vielleicht hat Königin Milena deswegen einen Zauberer haben wollen, damit sie das Kästchen vor Rahl verbergen und als Tauschobjekt benutzen kann. Wenn wir große Verwirrung stiften und Giller Angst einjagen können — egal, wie er über uns denkt, Angst hat er vielleicht trotzdem –, könnten wir diese Gelegenheit zur Flucht nutzen. Vielleicht wartet Rahl ja auch nur darauf, daß das Wild aus seinem Versteck gescheucht wird, damit er zuschlagen kann.«
Zedd wandte sich an Kahlan. »Ich denke, der Sucher hat in einigen Punkten durchaus recht. Vielleicht sollten wir ihn ausreden lassen?«
Kahlan lächelte schwach. »Ich glaube, du hast recht, guter Zauberer.« An Richard gewandt, fragte sie: »Wie lautet dein Vorschlag?«
»Du hattest schon mit dieser Königin Milena zu tun, richtig? Was ist sie für ein Mensch?«
Kahlan brauchte nicht lange nachzudenken. »Tamarang ist ein kleines und recht unbedeutendes Land. Königin Milena dagegen ist so prunksüchtig und überheblich, wie eine Königin nur sein kann.«
»Nur eine kleine Schlange, die jedoch zur tödlichen Gefahr für uns werden kann«, merkte Richard an.
Kahlan nickte. »Aber mit einem großen Kopf.«
»Kleine Schlangen müssen vorsichtig sein, solange sie nicht wissen, mit wem sie es zu tun haben. Als erstes müssen wir sie beunruhigen. Vielleicht ist sie dann so verunsichert, daß sie vergißt, uns zu beißen.«
»Wie meinst du das?« wollte Kahlan wissen.
»Du sagst, du hättest schon mit ihr zu tun gehabt. Konfessoren bereisen die Länder, um Beichten abzunehmen, Gefängnisse zu inspizieren, um alles mögliche herauszufinden. Sie würde doch die Grenzen nicht für einen Konfessor schließen, oder?«
»Nicht, solange sie noch halb bei Verstand ist«, gluckste Zedd.
»Gut, dann werden wir es so machen. Zieh dir dein Kleid an und tue deine Pflicht. Was man eben von einem Konfessor erwartet. Es gefällt ihr vielleicht nicht, aber sie wird dich gut behandeln wollen und dafür sorgen, daß du zufrieden bist. Sie wird dir zeigen, was du sehen willst, damit sie dich wieder loswird. Bestimmt wird sie jedes Aufsehen vermeiden wollen. Du inspizierst also ihr Verlies, lächelst oder machst ein besorgtes Gesicht, was auch immer, und bevor wir wieder aufbrechen, erklärst du ihr, du wolltest deinen früheren Zauberer sehen.«
»Meinst du wirklich, sie sollte alleine gehen?« protestierte Zedd.
»Nein. Wenn Kahlan ohne Zauberer reist, könnte die Königin versucht sein, das als Schwäche auszulegen. Und sie soll ja nicht auf dumme Gedanken kommen.«
Zedd verschränkte die Arme. »Dann spiele ich ihren Zauberer.«
»Nein, das wirst du nicht! Während wir hier sitzen und uns unterhalten, bringt Darken Rahl Menschen um, um dich zu finden.
Wenn du dich zu erkennen gibst, sitzen wir bis zum Hals in der Tinte, bevor wir mit dem Kästchen fliehen können. Wer weiß, welche Belohnung auf deine schrumpelige Haut ausgesetzt ist. Du wirst ihr Schutz sein, aber anonym bleiben. Du wirst…« Richard tippte nachdenklich gegen das Heft des Schwertes. Er senkte den Kopf. »Du wirst als Wolkenleser auftreten. Als Vertrauter des Konfessors in Abwesenheit eines Zauberers.« Richard registrierte Zedds Knurren mit einem Stirnrunzeln. »Ich bin sicher, du weißt, wie du das anzustellen hast.«
»Und dein Schwert willst du auch vor ihr verstecken und deine Identität?« wollte Kahlan wissen.
»Nein. Die Anwesenheit eines Suchers wird ihr zu denken geben, und sie wird ihre Krallen eingezogen lassen, bis wir wieder fort sind. Im Grunde soll sie mit einer ganz normalen Situation konfrontiert werden, einem Konfessor eben, damit sie keinen Alarm schlägt. Gleichzeitig soll sie etwas zum Nachdenken haben, einen Wolkenleser und einen Sucher, damit sie uns lieber ziehen läßt, als herauszufinden, welchen Ärger zu machen wir imstande sind. So wie du vorgehen willst, kommt es auf jeden Fall zum Kampf, bei dem einer oder alle von uns verletzt werden können. Auf meine Weise ist das Risiko gering, in einen Kampf hineingezogen zu werden, und sollte es doch dazu kommen, dann sind wir schon auf dem Weg nach draußen — und zwar mit dem Kästchen.« Er warf den beiden einen ernsten Blick zu. »Ihr erinnert euch doch an das Kästchen? Falls ihr es vergessen haben solltet, darum geht es, nicht um Gillers Kopf auf einem Silbertablett. Es spielt keine Rolle, auf wessen Seite er steht. Wir müssen nur das Kästchen beschaffen, sonst nichts.«
Kahlan verschränkte stirnrunzelnd die Arme, Zedd rieb sich das Kinn und starrte ins Feuer. Richard ließ sie eine Weile darüber nachdenken. So wie sie vorgehen wollten, würden sie auf jeden Fall Arger bekommen, und zwar sehr bald, das mußten die beiden einsehen.
Zedd wandte sich wieder an ihn. »Du hast natürlich recht. Ich bin einverstanden.« An Kahlan gewandt fragte er: »Mutter Konfessor?«
Sie musterte einen Augenblick lang sein Gesicht, bevor sie zu Richard aufschaute. »Einverstanden. Aber ihr beide müßt das Gefolge des Konfessors spielen. Zedd kennt das Protokoll, du nicht.«
»Ich bin hoffentlich nicht lange dort. Erklär mir einfach, was ich wissen muß, um mich eine Weile lang über Wasser zu halten.«
Kahlan atmete tief durch. »Nun, das Wichtigste wird sein, daß du aussiehst, als würdest du zu meiner Eskorte gehören, und daß du … dich respektvoll verhältst.« Sie räusperte sich und sah verlegen zur Seite. »Tu einfach so, als sei ich die wichtigste Persönlichkeit, der du je begegnet bist, und behandle mich dementsprechend, dann wird niemand Fragen stellen. Unter Konfessoren ist es üblich, daß sie ihrem Gefolge gewisse Freiheiten einräumen. Solange du dich respektvoll zeigst, wird sich niemand etwas dabei denken, wenn du etwas ein wenig Unpassendes tust. Auch wenn du mein Benehmen … seltsam finden solltest, spiel einfach mit. Einverstanden?«
Richard betrachtete sie eine Weile, während sie den Boden zu studieren schien. Er stand auf. »Es wäre mir eine Ehre, Mutter Konfessor.« Er verbeugte sich.
Zedd räusperte sich. »Ein bißchen tiefer, mein Junge. Du reist nicht einfach mit einem Konfessor. Du gehörst zum Gefolge der Mutter Konfessor höchstpersönlich.«
»Also schön«, seufzte Richard. »Ich werde mein Bestes tun. Schlaft jetzt etwas. Ich übernehme die erste Wache.« Er zog in Richtung Waldrand los.
»Richard«, rief Zedd ihm hinterher. Er blieb stehen und drehte sich um. »In den Midlands verfügt so mancher über magische Kräfte. Über viele verschiedene und gefährliche Arten von Zauberkraft. Unmöglich zu sagen, mit welcher Sorte Speichellecker Königin Milena sich umgeben hat. Achte auf das, was Kahlan und ich dir sagen, und tu dein Bestes, niemandem in die Quere zu kommen. Du wirst nicht wissen, wer oder was ihre Diener sind.«
Richard zog den Umhang um seinen Körper zusammen. »Rein und wieder raus mit dem geringstmöglichen Aufwand. Das ist mein Plan. Wenn alles klappt, haben wir morgen um diese Zeit schon das Kästchen und brauchen uns nur noch darum zu sorgen, ein Loch zu finden, in dem wir es bis zum Winter verstecken können.«
»Gut. Ich sehe, du hast begriffen, Junge. Gute Nacht.«
An einer Stelle mit lichtem Unterholz entdeckte Richard einen moosbedeckten Stamm, auf den er sich setzen konnte, während er das Lager und den umliegenden Wald im Auge behielt. Er sah nach, ob das Moos trocken war. Er hatte nicht vor, sich auf dem feuchten Moos einen Schnupfen zu holen. Das Moos war trocken, also legte er sein Schwert zurecht, setzte sich und zog den Umhang fest um sich. Der Mond war hinter Wolken verschwunden. Ohne den schwachen Schein, den das Feuer auf die Bäume ringsum warf, wäre es vollkommen finster gewesen. Man hätte glauben mögen, blind zu sein.
Richard saß da und grübelte. Der Gedanke, daß Kahlan ihr Kleid anziehen und sich in Gefahr begeben sollte, gefiel ihm nicht. Noch weniger gefiel ihm, daß es seine eigene Idee war. Besorgt dachte er darüber nach, was sie mit ›seltsamem Benehmen‹ gemeint hatte. Wesentlich mehr noch beschäftigte ihn, was sie damit gemeint hatte, er solle sich verhalten, als sei sie die wichtigste Persönlichkeit, der er je begegnet war. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte Kahlan immer zumindest als Freundin gesehen. Sie sich als Mutter Konfessor vorzustellen, behagte ihm gar nicht. Der Magie wegen konnten sie nicht mehr als Freunde füreinander sein. Sie so zu sehen wie alle anderen, als Mutter Konfessor, machte ihm angst. Jede Erinnerung an ihren Status, an ihre Magie trieb den Schmerz tiefer in sein Herz.
Ein leises Geräusch ließ ihn blitzartig auffahren.
Die Augen waren auf ihn gerichtet. Sie waren nah, und obwohl er sie nicht sehen konnte, spürte er sie. Da war etwas ganz in der Nähe und beobachtete ihn. Und das machte ihm eine Gänsehaut. Er fühlte sich nackt. Verletzlich.
Mit aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen starrte er geradeaus, wo sich dieses Etwas versteckt halten mußte. Die Stille war erdrückend, nur sein Herzschlag dröhnte in seinen Ohren. Richard hielt den Atem an und lauschte. Wieder dieses leise Geräusch eines Fußes, der sich verstohlen auf den Waldboden senkt. Es kam näher. Mit aufgerissenen Augen starrte Richard hektisch ms Dunkel und versuchte, eine Bewegung auszumachen.
Es war nicht mehr als zehn Schritte entfernt, als sich die gelben Augen dicht über dem Boden ins Blickfeld schoben. Die Augen funkelten ihn geradewegs an. Es blieb stehen. Richard hielt den Atem an.
Es stürzte sich auf ihn mit Geheul. Richard schnellte hoch, seine Hand griff zum Schwert. Als es abhob, erkannte Richard, daß es sich um einen Wolf handelte. Den größten Wolf, den er je gesehen hatte. Seine Füße schienen den Boden kaum zu berühren. Dann warf er sich auf ihn. Er kam nicht mal mehr mit der Hand zum Griff. Die Vorderpfoten des Wolfs trafen seine Brust. Der mächtige Aufprall schleuderte ihn nach hinten über den Baumstamm, auf dem er gesessen hatte.
Die Luft wurde ihm aus den Lungen getrieben. Im Fallen sah er hinter sich etwas Beängstigenderes als den Wolf.
Einen Herzhund.
Die riesigen Kiefer wollten sich gerade in seine Brust schlagen, als der Wolf den Herzhund erreichte und sich in seiner Kehle verbiß.
Richard schlug mit dem Kopf gegen etwas Hartes. Ein kurzes Aufheulen, dann das Geräusch von Zähnen, die Sehnen zerfetzen. Alles wurde schwarz.
Er öffnete die Augen. Zedd stand über ihn gebeugt und berührte mit den beiden Mittelfingern rechts und links seine Stirn. Kahlan hatte eine Fackel in der Hand. Er war benommen und wackelig auf den Beinen, rappelte sich aber trotzdem auf, bis Kahlan ihn auf den Stamm setzte.
Besorgt strich sie ihm mit den Fingern übers Gesicht. »Alles in Ordnung?«
»Glaube schon«, brachte er hervor. »Mein Kopf … tut weh.« Er glaubte, sich übergeben zu müssen.
Zedd nahm Kahlan die Fackel aus der Hand und leuchtete damit hinter den Stamm, wo der Kadaver des Herzhundes mit herausgerissener Kehle lag. Zedd blickte auf Richards Schwert, das immer noch in der Scheide steckte.
»Wieso hat der Hund dich nicht erwischt?«
Richard betastete seinen Hinterkopf, der schmerzte, als bohrte jemand mit Dolchen darin herum. »Ich … keine Ahnung. Es ging alles so schnell.« Langsam kam die Erinnerung zurück wie an einen Traum beim Erwachen. Er stand auf. »Ein Wolf! Uns ist ein Wolf gefolgt!«
Kahlan kam näher und legte ihm stützend einen Arm um die Hüfte. »Ein Wolf?« Ihr seltsam argwöhnischer Ton ließ ihn aufhorchen. Sie sah ihn durchdringend an. »Bist du sicher?«
Richard nickte. »Ich saß hier, und plötzlich wußte ich, daß er mich beobachtete. Er kam näher, und ich sah seine gelben Augen. Dann ging er auf mich los. Ich dachte, er würde angreifen. Er hat mich glatt vom Stamm gestoßen. Er hatte es auf den Herzhund hinter mir abgesehen, wollte mich beschützen. Den Herzhund habe ich erst gesehen, als ich nach hinten fiel. Er muß den Hund getötet haben. Dieser Wolf hat mir das Leben gerettet.«
Kahlan richtete sich auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Brophy!« rief sie in die Dunkelheit. »Brophy! Ich weiß, daß du da bist. Komm sofort her!«
Der Wolf trabte mit gesenktem Kopf und eingekniffenem Schwanz in den Schein der Fackel. Sein dichtes Fell war kohlrabenschwarz von der Nasen- bis zur Schwanzspitze. Im dunklen Schädel glommen wilde gelbe Augen. Der Wolf ließ sich auf den Bauch fallen und kroch zu Kahlans Füßen. Dort angekommen, wälzte er sich auf den Rücken und reckte winselnd die Pfoten in die Luft.
»Brophy!« schalt sie ihn. »Bist du uns etwa gefolgt?«
»Nur um Euch zu beschützen, Herrin.«
Richards Kiefer klappte herunter. Er fragte sich, wie hart es ihn wohl am Kopf getroffen hatte. »Er kann sprechen! Ich habe es gehört. Der Wolf kann sprechen!«
Zedd und Kahlan sahen seine aufgerissenen Augen. Zedd warf ihr einen Blick zu. »Hast du nicht gesagt, du hättest ihm alles erzählt?«
Kahlan zuckte leicht zusammen. »Wahrscheinlich habe ich ein paar Einzelheiten vergessen. Es ist nicht leicht, an alles zu denken, was er nicht weiß. Wir haben das ganze Leben lang damit gelebt. Man vergißt einfach, daß das bei ihm anders ist.«
»Kommt«, brummte Zedd. »Gehen wir zum Lager zurück. Alle zusammen.«
Der Zauberer ging mit der Fackel voraus, Kahlan folgte. An ihrer Seite schlich mit angelegten Ohren und eingekniffenem Schwanz der Wolf.
Als sie um das Feuer saßen, richtete Richard das Wort an den Wolf, der auf den Hinterbeinen neben Kahlan saß. »Wolf, ich denke…«
»Brophy. Ich heiße Brophy«
Richard lehnte sich ein Stück zurück. »Brophy Tut mir leid. Ich heiße Richard, und das hier ist Zedd. Brophy, ich möchte dir dafür danken, daß du mir das Leben gerettet hast.«
»Nicht der Rede wert«, knurrte er.
»Brophy«, meinte Kahlan tadelnd, »was tust du eigentlich hier?«
Der Wolf legte die Ohren an. »Ihr seid in Gefahr. Ich habe Euch beschützt.«
»Man hat dich freigelassen«, schimpfte sie.
»Warst du das gestern abend?« wollte Richard wissen.
Brophy musterte ihn aus seinen gelben Augen. »Ja. Jedesmal, wenn ihr euer Lager aufgeschlagen habt, habe ich das Gebiet von Herzhunden und ein paar anderen Widerwärtigkeiten gesäubert. Gestern nacht, kurz vor Morgengrauen, hatte sich einer bis dicht an das Lager geschlichen. Ich habe ihn erledigt. Dieser Herzhund heute nacht hatte es auf dich abgesehen. Ich wußte, meine Herrin Kahlan wäre sehr unglücklich, wenn er dich fressen würde, also habe ich ihn daran gehindert.«
Richard mußte schlucken. »Danke«, meinte er mit schwacher Stimme.
»Richard«, fragte Zedd und rieb sich das Kinn, »die Herzhunde sind Monster aus der Unterwelt. Bis jetzt haben sie dich in Ruhe gelassen. Was hat sich verändert?«
Richard hätte sich fast verschluckt. »Nun, Adie hat Kahlan einen Knochen gegeben, den sie bei sich tragen soll. Er sollte uns durch die Grenze bringen und vor den Monstern aus der Unterwelt beschützen. Ich hatte einen alten Knochen, den mir mein Vater gegeben hat, und Adie meinte, er würde den gleichen Zweck erfüllen. Allerdings habe ich ihn vor ein oder zwei Tagen verloren.«
Zedd hatte sein Gesicht nachdenklich in Falten gelegt. Richard sah den Wolf an, in der Hoffnung, das Thema wechseln zu können. »Wieso kannst du sprechen?«
Brophy leckte sich die Lippen mit seiner langen Zunge. »Aus dem gleichen Grund wie du. Ich kann sprechen, weil…« Er schaute auf zu Kahlan. »Soll das heißen, er weiß nicht, wer ich bin?«
Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu. Er sackte zu Boden und legte den Kopf auf die Pfoten.
Kahlan faltete die Hände um ein Knie und tippte mit den Daumen gegeneinander. »Richard, kannst du dich erinnern, wie ich dir erzählt habe, daß sich im Verlauf der Beichte manchmal die Unschuld eines Menschen herausstellt? Und daß ganz selten jemand, der hingerichtet werden soll, um eine Beichte bittet, um seine Unschuld zu beweisen?« Richard nickte. Sie blickte auf den Wolf herab. »Brophy sollte wegen des Mordes an einem kleinen Jungen hingerichtet werden…«
»Ich töte keine Kinder«, knurrte der Wolf und kam auf die Beine.
»Möchtest du die Geschichte erzählen?«
Der Wolf sackte zurück. »Nein, Herrin.«
»Brophy wollte sich lieber von der Kraft eines Konfessors berühren lassen, als für einen Kindesmörder gehalten zu werden. Ganz zu schweigen davon, was man dem Kleinen sonst noch alles angetan hat. Er bat um einen Konfessor. Das kommt sehr selten vor. Die meisten Männer wählen den Henker, ihm jedoch war die Sache zu wichtig. Ich habe dir erzählt, daß wir einen Zauberer bei uns haben, wenn wir die Beichte hören. Zum einen als Schutz, aber es gibt auch noch einen anderen Grund. In einem Fall wie diesem, wenn jemand ungerechterweise beschuldigt wird und sich seine Unschuld herausstellt, bleibt dennoch die Wirkung der Berührung durch unsere Kraft bestehen. Niemand kann wieder der werden, der er einmal war. Also verwandelt der Zauberer sie in etwas anderes. Die Verwandlung verringert die Zauberkraft des Konfessors zum Teil und vermittelt ihnen genügend Interesse für sich selbst, um ein neues Leben beginnen zu können.«
Richard staunte. »Du warst unschuldig? Und doch sollst du für den Rest deines Lebens in diesem Zustand bleiben?«
»Völlig unschuldig«, versicherte Brophy
»Brophy« Kahlan sprach den Namen mit einer Schärfe aus, die Richard nicht unbekannt war.
Der Wolf sackte wieder zusammen. »Unschuldig, den Jungen getötet zu haben.« Er duckte sich unter Kahlans Blick. »Mehr habe ich nicht gemeint. Unschuldig, den Jungen getötet zu haben.«
Richard runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«
Kahlan sah ihn an. »Das heißt, er hat bei seiner Beichte noch zwei andere Dinge gestanden, die man ihm nicht zur Last gelegt hatte. Du mußt wissen, Brophy war mit sehr zweifelhaften Dingen beschäftigt.« Sie warf einen Blick auf den Wolf. »In der Grauzone des Gesetzes.«
»Ich war ein ehrlicher Geschäftsmann«, protestierte der Wolf.
Den Blick auf Brophy geheftet, sagte Kahlan zu Richard: »Brophy war Händler.«
»Das war mein Vater auch«, meinte Richard. Seine Wut stieg.
»Ich weiß nicht, womit Händler in Westland handeln, in den Midlands jedoch handeln einige von ihnen mit magischen Gegenständen.«
Richard mußte an das Buch der Gezählten Schatten denken. »Und weiter?«
Kahlan zog eine Braue hoch. »Einige davon sind lebendig.«
Brophy stellte sich auf die Vorderpfoten. »Wie soll ich das wissen? Du erkennst das sofort. Manchmal denkt man, etwas sei bloß ein Kunstgegenstand, wie zum Beispiel ein Buch, für das ein Sammler ein hübsches Sümmchen zahlt. Manchmal ist es etwas anderes, ein Stein, eine Figur und ein Stab, oder vielleicht ein … woher soll ich wissen, ob diese Dinge lebendig sind?«
Kahlan hatte den Blick noch immer auf den Wolf geheftet. »Du hast außer Büchern und Figuren noch mit anderen magischen Gegenständen gehandelt«, warf sie ihm vor. »Bei diesen sogenannten harmlosen Geschäften ist er häufig mit Leuten aneinandergeraten. Zum Beispiel über die Besitzverhältnisse. Brophy war als Mann ebenso kräftig wie jetzt als Wolf. Gelegentlich hat er die Leute mit seiner Körpergröße von seinen Vorstellungen ›überzeugt‹. Stimmt das etwa nicht, Brophy?«
Der Wolf legte die Ohren an. »Das ist wahr, Herrin. Ich gerate schnell in Wut. Mein Zorn wird so mächtig wie meine Muskeln. Aber herausgelassen habe ich ihn nur, wenn man mich betrügen wollte. Viele Menschen glauben, man dürfte Händler einfach hereinlegen. Sie glauben, wir seien kaum besser als Diebe, die Angst haben, ihre Interessen zu wahren. Wenn ich eine Meinungsverschiedenheit mit meiner Wut geregelt habe, war der Fall meist entschieden.«
Kahlan lächelte den Wolf schwach an. »Brophys Ruf war zwar nicht ganz unbegründet, entsprach aber nicht ganz der Wahrheit.« Sie sah Richard an. »Sein Geschäft war gefährlich und daher sehr profitabel. Brophy verdiente genug Geld damit, um sein ›Hobby‹ finanzieren zu können. Bis ich ihn berührt und er seine Beichte abgelegt hatte, wußte fast niemand davon.«
Der Wolf legte die Pfote über die Ohren. »Herrin, bitte! Muß das sein?«
Richard runzelte die Stirn. »Was war das für ein ›Hobby‹?«
Kahlans Grinsen wurde breiter. »Brophy hatte eine Schwäche. Kinder. Auf seinen Reisen, wenn er nach Dingen suchte, die sich verkaufen ließen, besuchte er immer wieder Waisenhäuser und sorgte dafür, daß die alles bekamen, was sie für die Versorgung der Kinder brauchten. All das Gold, das er verdient hatte, landete am Ende in verschiedenen Waisenhäusern, damit man sich dort um die Kinder kümmern konnte und sie nicht zu hungern brauchten. Er drehte den Betreibern der Waisenhäuser die Arme auf den Rücken, um sich ihre Verschwiegenheit zu sichern. Er wollte nicht, daß jemand etwas davon erfuhr. Natürlich brauchte er die Arme nicht allzu fest zu verdrehen.«
Brophy hatte die Pfoten immer noch über dem Kopf und die Augen fest geschlossen. »Bitte, Herrin«, winselte er, »denkt an meinen Ruf.« Er öffnete die Augen und stellte sich auf die Vorderpfoten. »Und der ist wohlverdient! Ich habe genug Arme und Nasen gebrochen! Und ein paar üble Dinge getan!«
Kahlan zog eine Braue hoch und sah ihn an. »Allerdings. Grund genug, dich für eine Weile ins Gefängnis zu sperren. Aber nicht, um dir den Kopf abzuschlagen.« Sie sah Richard an. »Man kannte seinen Ruf und hatte ihn häufiger in der Nähe von Waisenhäusern gesehen, daher war niemand überrascht, als man ihn des Mordes an einem kleinen Jungen bezichtigte.«
»Demmin Nass«, knurrte Brophy. »Das war Demmin Nass.« Knurrend bleckte er seine langen Fänge.
»Wieso sind die Leute aus den Waisenhäusern nicht für dich eingetreten?«
»Wegen Demmin Nass«, knurrte Brophy. »Er hätte ihnen die Kehle aufgeschlitzt.«
»Wer ist dieser Demmin Nass?«
Kahlan und der Wolf tauschten einen Blick. »Kannst du dich erinnern, wie Darken Rahl zu den Schlammenschen kam und Siddin entführt hat? Und er sagte, Siddin sei ein Geschenk für einen Freund? Dieser Freund ist Demmin Nass.« Sie sah Richard bedeutungsschwer an. »Demmin Nass hegt ein sehr krankhaftes Interesse an kleinen Jungen.«
Beim Gedanken an Siddin, an Weselan und Savidlin verspürte Richard einen bangen, schmerzhaften Stich. Er mußte daran denken, daß er versprochen hatte, ihren Jungen wiederzufinden. Noch nie war er sich so hilflos vorgekommen.
»Sollte ich ihn jemals finden«, knurrte Brophy wütend, »werde ich ein paar Rechnungen begleichen. Er darf noch nicht sterben. Er muß erst büßen.«
»Laß bloß die Finger von ihm«, warnte ihn Kahlan. »Er ist gefährlich. Ich will nicht, daß du verletzt wirst.«
Der Wolf funkelte Kahlan einen Augenblick aus seinen gelben Augen an, bevor er sich beruhigte. »Ja, Herrin.« Er legte sich wieder hin. »Ich wäre meinem Henker erhobenen Hauptes entgegengetreten. Die Seelen wissen, daß ich es verdient hätte, aber nicht dafür. Ich wollte nicht zulassen, daß sie mich in dem Glauben hinrichten, ich hätte Kindern diese Dinge angetan. Also verlangte ich einen Konfessor.«
»Ich wollte seine Beichte nicht entgegennehmen.« Kahlan nahm einen Stock und stocherte verlegen im Staub. »Er hätte niemals einen Konfessor verlangt, wenn er nicht unschuldig wäre. Ich sprach mit dem Richter. Er meinte, angesichts des Verbrechens könne er die Strafe nicht umwandeln. Entweder der Tod oder eine Beichte. Brophy bestand auf der Beichte.« Richard sah, wie sich der Feuerschein in ihren feuchten Augen widerspiegelte. »Anschließend bat ich ihn, sich ein anderes Geschöpf auszusuchen, das er gerne sein wollte, wenn er die Wahl hätte. Er wählte den Wolf. Warum ausgerechnet den Wolf, weiß ich nicht.« Sie lächelte zaghaft. »Ich nehme an, er entspricht seinem Wesen.«
»Wölfe sind ehrenwerte Geschöpfe«, meinte Richard. »Du hast nie im Wald gelebt, sondern nur unter Menschen. Wölfe sind sehr gemeinschaftliche Lebewesen, sie gehen feste Bindungen und Beziehungen ein. Sie kämpfen wild entschlossen um ihre Jungen. Das ganze Rudel kämpft, um sie zu beschützen. Und alle kümmern sich um die Jungen.«
»Du verstehst mich«, sagte Brophy leise.
»Wirklich, Brophy?« fragte Kahlan.
»Ja, Herrin. Ich habe jetzt ein gutes Leben.« Sein Schwanz wedelte hin und her. »Ich habe eine Gefährtin! Eine schöne Wölfin. Sie duftet himmlisch, und wenn sie mich neckt, bekomme ich eine Gänsehaut, und sie hat die süßeste, kleine … nun, lassen wir das.« Er schaute zu Kahlan hoch. »Sie ist die Anführerin unseres Rudels. Mit mir an ihrer Seite, natürlich. Sie ist zufrieden mit mir. Sie sagt, ich sei der kräftigste Wolf, den sie je gesehen hat. Im Frühling hat sie sechs Junge geworfen. Sie sind wunderbar und fast schon erwachsen. Es ist ein schönes Leben. Hart zwar, aber schön. Danke, Herrin, daß Ihr mich befreit habt.«
»Ich bin sehr froh, Brophy Aber wieso bist du hier? Warum bist du nicht bei deiner Familie?«
»Auf dem Weg vom Rang’Shada-Gebirge seid Ihr an unserer Höhle vorbeigekommen. Ich habe Eure Nähe gespürt, Herrin. Ich konnte Euch riechen. Der Drang, Euch zu beschützen, war übermächtig. Ich weiß, daß Ihr in Gefahr seid, und werde in meinem Rudel erst Frieden finden, wenn Ihr in Sicherheit seid. Ich muß Euch beschützen.«
»Brophy«, protestierte sie, »wir kämpfen gegen Darken Rahl. Es ist zu gefährlich für dich, bei uns zu bleiben. Ich will nicht, daß du dein Leben verlierst. Du hast wegen Demmin Nass Darken Rahl bereits zuviel opfern müssen.«
»Herrin, als ich in einen Wolf verwandelt wurde, verschwand damit auch der größte Teil meines Bedürfnisses, Euch zu gefallen. Trotzdem würde ich noch immer mein Leben für Euch geben. Es behagt mir immer noch nicht, gegen Eure Wünsche zu handeln. In dieser Sache jedoch muß ich es tun. Ich werde Euch nicht allein der Gefahr überlassen. Ich muß Euch beschützen, oder ich werde nie meinen Frieden finden. Befehlt mir zu gehen, wenn Ihr wollt, doch ich werde es nicht tun. Ich werde Euer Schatten sein, bis Ihr vor Darken Rahl sicher seid.«
»Brophy«, sagte Richard, als der Wolf zu ihm herübersah, »ich will auch, daß Kahlan beschützt wird, damit sie ihre Aufgabe erledigen und dabei helfen kann, Rahl aufzuhalten. Es wäre mir eine Ehre, dich bei uns zu wissen. Du hast bereits deinen Wert und deinen Mut bewiesen. Wenn du helfen kannst, sie zu beschützen, höre einfach nicht auf sie und tue, was du für richtig hältst.«
Brophy sah sie an. Kahlan lächelte. »Er ist der Sucher. Ich habe bei meinem Leben geschworen, ihn zu beschützen, und Zedd auch. Wenn das seine Worte sind, dann muß ich gehorchen.«
Brophy klappte verblüfft die Schnauze auf. »Er kann Euch befehlen? Er befiehlt der Mutter Konfessor?«
»Ja.«
Der Wolf sah ihn in neuem Licht und schüttelte respektvoll den Kopf. »Wunder über Wunder.« Er leckte die Lippen. »Übrigens möchte ich Euch für das Futter danken, Sucher, das Ihr mir hinterlassen habt.«
Kahlan sah ihn fragend an. »Wie meinst du das?«
»Er hat mir immer etwas übriggelassen, wenn er etwas gefangen hat.«
»Wirklich?« fragte sie.
Richard zuckte mit den Schultern. »Na ja, ich wußte, er war dort draußen. Ich wußte zwar nicht, was er war, war aber überzeugt, daß er uns nichts Böses wollte. Also habe ich ihm etwas zu essen liegengelassen, damit er wußte, daß wir ihm auch nichts Böses wollten.« Er lächelte den Wolf an. »Aber als du mich vorhin angegriffen hast, war ich überzeugt, ich hätte einen Fehler gemacht. Nochmals danke.«
Die Dankbarkeit schien Brophy verlegen zu machen. Er stand auf. »Ich war lange genug hier. Ich muß durch den Wald streifen. Vielleicht schleicht noch etwas herum. Solange Brophy seine Arbeit macht, braucht ihr nicht Wache zu stehen.«
Richard schob einen Ast ins Feuer und verfolgte, wie die Funken gen Himmel stiebten. »Brophy, wie war das, als Kahlan dich berührt hat? Als sie ihre Kraft in dich entlud?«
Keiner sagte etwas. Richard blickte dem Wolf in seine gelben Augen. Brophy drehte den Kopf zu Kahlan.
»Sag es ihm«, hauchte sie mit gebrochener Stimme.
Brophy legte sich wieder hin, legte eine Pfote über die andere, den Kopf hochgereckt. Lange schwieg er. »Es ist schwer, sich an alles aus dieser Zeit zu erinnern, aber ich will versuchen, es so gut wie möglich zu erklären.« Er legte den Kopf ein wenig auf Seite. »Schmerz. Ich erinnere mich an den Schmerz. Er war schlimmer als alles, was man sich vorstellen kann. Das erste, an was ich mich nach dem Schmerz erinnere, ist Angst. Überwältigende Angst, vielleicht falsch zu atmen und ihr damit zu mißfallen. An dieser Angst, ihr zu mißfallen, wäre ich fast gestorben. Und als sie mir dann sagte, was sie wissen wollte, durchströmte mich eine Freude, wie ich sie noch nie gekannt hatte. Freude, weil ich wußte, wie ich ihr gefallen konnte. Ich war überglücklich, daß sie mich um etwas gebeten hatte, was ich für sie tun konnte. Daran erinnere ich mich am besten, an das verzweifelte, panische Verlangen, das zu tun, was sie wollte, sie zufriedenzustellen und glücklich zu machen. Ich kannte keinen anderen Gedanken mehr, als ihr zu gefallen. In ihrer Gegenwart verspürte ich pure Wonne. Ich weinte vor Glück, in ihrer Nähe sein zu können.
Sie sagte mir, ich sollte die Wahrheit sagen, und ich war glücklich, denn das konnte ich. Ich sprach, so schnell ich könne, wollte ihr alles erzählen. Sie mußte mich ermahnen, langsamer zu sprechen, weil sie mich nicht verstand. Hätte ich ein Messer gehabt, ich hätte es gegen mich erhoben, wenn ich ihr mißfallen hätte. Dann meinte sie, es sei in Ordnung, und ich weinte, weil sie mit mir zufrieden war. Ich erzählte ihr, was geschehen war.« Er ließ ein wenig die Ohren hängen. »Ich erinnere mich, nachdem ich ihr erzählt hatte, daß ich den kleinen Jungen nicht umgebracht hatte, legte sie mir die Hand auf den Arm. Ich wäre fast vor Glück in Ohnmacht gefallen, und sie entschuldigte sich. Ich mißverstand. Ich dachte, es täte ihr leid, weil ich den Jungen nicht getötet hatte. Ich bat sie, mich einen anderen Jungen für sie töten zu lassen.« Dem Wolf liefen die Tränen aus den Augenwinkeln. »Dann erklärte sie mir den Irrtum. Und es täte ihr leid, weil ich unschuldig des Mordes angeklagt worden war. Ich weiß noch, wie ich geheult habe und gar nicht mehr aufhören konnte, weil sie so freundlich war. Ich tat ihr leid, sie sorgte sich um mich. Ich glaube, man könnte es Liebe nennen. Aber Worte sind so hohl, verglichen mit dem Verlangen nach ihrer Nähe.«
Richard stand auf. Nur mit Mühe konnte er sich dazu zwingen, Kahlan anzusehen. Sie weinte. »Vielen Dank, Brophy.« Er mußte einen Augenblick warten, weil er Angst hatte, seine Stimme würde versagen. »Es ist spät. Wir schlafen besser, morgen ist ein wichtiger Tag. Ich übernehme meine Wache. Gute Nacht.«
Brophy erhob sich. »Ihr drei schlaft. Ich stehe heute nacht Wache.«
Richard schluckte den Kloß in seinem Hals. »Ich weiß das zu schätzen, aber ich übernehme trotzdem meine Wache. Wenn du willst, kannst du mir den Rücken freihalten.«
Richard machte kehrt und wollte gehen.
»Richard«, rief Zedd ihm nach. Richard blieb stehen, ohne sich umzudrehen. »Was war das für ein Knochen, den dir dein Vater gegeben hat?«
Richards Gedanken rasten in panischer Angst. Bitte, Zedd, wenn du je eine meiner Lügen geglaubt hast, dann diese. »Du müßtest dich doch erinnern. So ein kleiner, runder. Du hast ihn doch gesehen, ich bin ganz sicher.«
»Oh. Ja, richtig. Gute Nacht.«
Das erste Gesetz der Magie. Danke, mein alter Freund, dachte er für sich, daß du mir beigebracht hast, wie ich Kahlans Leben beschützen kann.
Er ging hinaus in die Nacht. Sein Kopf pochte vor Schmerzen.