5

Ein Geräusch. Leise, zart, fauchend.

Es ergab keinen Sinn, im Dunst halb zwischen Schlafen und Wachen, sosehr er auch versuchte, es einzuordnen. Erst langsam, dann mit zunehmender Dringlichkeit wachte er auf und bemerkte den Duft bratenden Fleisches. Sofort bedauerte er, bei Bewußtsein zu sein. Ihm fiel ein, was geschehen war, wie er sich nach Kahlan sehnte. Er hatte die Knie hochgezogen und den Kopf darauf gelegt. Die Borke des Stammes in seinem Rücken drückte sich schmerzhaft ins Fleisch, und seine Muskeln waren vom Schlafen in derselben Stellung die ganze Nacht hindurch steif. Mit dem Kopf auf den Knien konnte er fast nichts erkennen, außer daß es gerade begonnen hatte, zu dämmern.

Irgend jemand oder etwas war dicht neben ihm.

Er tat, als schlafe er weiter, und schätzte ab, wo sich seine Hände und wo sich seine Waffen befanden. Das Schwert war ein gutes Stück entfernt und mußte erst weit herausgezogen werden. Das Messer nicht. Seine Fingerspitzen berührten den Walnußgriff. Er streckte sie langsam, vorsichtig, bis er den Griff in der Hand hielt und fest zupacken konnte. Was immer es war, es befand sich links, dicht neben ihm. Ein Sprung und ein Stoß mit dem Messer, überlegte er.

Vorsichtig riskierte er einen Blick. Er erschrak, als er sah, daß es Kahlan war. Sie saß aufrecht an den Stamm gelehnt und sah ihn an. Über dem Feuer briet ein Kaninchen. Er richtete sich auf.

»Was tust du hier?« fragte er argwöhnisch.

»Können wir reden?«

Richard schob das Messer zurück in die Scheide, streckte die steifen Beine und massierte sie. »Ich dachte, wir hätten uns seit gestern abend nichts mehr zu sagen.« Sofort zuckte er unter seinen eigenen Worten zusammen. Kahlan blickte ihn unergründlich von unten herauf an. »Tut mir leid«, sagte er und mäßigte seinen Ton. »Natürlich können wir reden. Worüber möchtest du sprechen?«

Sie zuckte im schwachen Licht mit den Achseln. »Ich habe viel nachgedacht.« Sie hielt einen Birkenstock in der Hand, den er am Vorabend für das Feuer geschnitten hatte, und schälte die Rinde in Stücken herunter. »Gestern abend, nachdem ich gegangen war, na ja, ich wußte, daß du Kopfschmerzen hattest…«

»Woher?«

Sie zuckte wieder mit den Achseln. »Ich sehe dir immer an den Augen an, wenn du Kopfschmerzen hast.« Ihre Stimme war leise, zart. »Ich weiß, du hast in der letzten Zeit nicht viel geschlafen, und das war meine Schuld. Ich beschloß also, bevor ich aufbreche, für dich Wache zu halten, während du schläfst. Ich war dort drüben«, sie zeigte mit dem Ast in die Richtung, »zwischen den Bäumen, von wo ich dich sehen konnte.« Sie senkte den Kopf. »Ich wollte, daß du ein wenig schläfst.«

»Du warst die ganze Nacht hier?« In Richard regte sich eine bange Hoffnung.

Sie nickte, ohne aufzusehen. »Ich habe dich gesehen und beschlossen, eine Schlinge zu basteln, wie du es mir beigebracht hast. Ich wollte sehen, ob ich etwas fürs Frühstück fangen kann. Ich habe lange geweint. Der Gedanke, du könntest so über mich denken, war unerträglich. Das hat so weh getan. Und mich wütend gemacht.«

Richard entschied, es wäre das beste zu schweigen, solange sie mit den Worten rang. Er wußte ohnehin nicht, was er sagen sollte. Außerdem hatte er Angst, sie könnte wieder gehen, wenn er etwas sagte. Kahlan pflückte einen Ringel Birkenrinde ab und warf ihn ins Feuer, wo er zischend in Flammen aufging.

»Dann habe ich darüber nachgedacht, was du gesagt hast. Es gibt einiges, was ich dir sagen muß, wie du dich im Beisein der Königin verhalten mußt. Und dann fielen mir noch einige Einzelheiten ein, über die Straßen, die du meiden, die Orte, die du vielleicht aufsuchen solltest. Mir fielen einfach immer mehr Dinge ein, die du wissen mußt. Bevor ich mir richtig darüber im klaren war, merkte ich, daß du recht hattest. In allem.«

Sie schien den Tränen nahe, weinte aber nicht. Statt dessen spielte sie weiter an dem Stock herum und wich seinem Blick aus. Er schwieg immer noch. Dann stellte sie ihm eine unerwartete Frage.

»Findest du Shota hübsch?«

Er grinste. »Sicher. Aber nicht so hübsch wie dich.«

Kahlan mußte schmunzeln und warf ihr Haar über die Schulter. »Das würden sich nicht viele trauen gegenüber einer…« Sie fing sich wieder. Ihr Geheimnis stand zwischen ihnen wie eine dritte Person. Sie setzte erneut an. »Es gibt ein Altweibersprichwort, vielleicht hast du es schon gehört. ›Laß dir nie von einer schönen Frau den Weg zeigen, wenn ein Mann in ihrem Blickfeld steht.‹«

Richard mußte lachen und stand auf, um sich die Beine zu vertreten. »Nein, das kannte ich noch nicht.« Halb lehnte er sich an den Stamm, halb setzte er sich darauf und verschränkte die Arme. Kahlan brauchte wirklich keine Angst zu haben, Shota könnte sein Herz stehlen, schließlich hatte sie gesagt, sie würde ihn töten, wenn sie ihn noch mal sähe. Auch ohne diese Drohung hatte Kahlan keinen Grund zur Sorge.

Sie warf das Stöckchen fort, stellte sich neben ihn und lehnte sich an den Stamm. Sie sah ihn stirnrunzelnd an. »Richard« — sie sprach sehr leise, fast flüsterte sie — »ich habe gestern abend darüber nachgedacht, daß ich mich sehr dumm verhalten habe. Ich hatte Angst, die Hexe würde mich töten, und plötzlich wurde mir bewußt, daß es ihr fast gelungen wäre. Nur nehme ich ihr die Arbeit ab, wenn ich mir von ihr den Weg vorgeben lasse. Du hattest in jeder Hinsicht recht. Ich hätte es wissen müssen und auf den Sucher hören sollen.«

Sie sah zu Boden, bevor sie ihn erneut mit ihren grünen Augen ansah. »Wenn … wenn es noch nicht zu spät ist, dann hätte ich gerne meinen Posten zurück. Als dein Führer.«

Richard konnte es kaum fassen. In seinem ganzen Leben war er noch nie so glücklich, so erleichtert gewesen. Statt zu antworten, streckte er die Arme aus, zog sie an sich und drückte sie fest. Einen kurzen Augenblick legte sie den Kopf an seine Brust und schlang die Arme um ihn. Dann entzog sie sich ihm wieder.

»Richard, da ist noch etwas. Bevor du mich wieder aufnimmst, mußt du erst den Rest hören. Ich kann nicht mehr. Ich muß dir etwas über mich erzählen. Wer ich bin. Es zerreißt mir das Herz, denn angeblich bin ich doch dein Freund. Ich hätte es dir von Anfang an erzählen sollen. Noch nie hatte ich einen Freund wie dich. Ich will dich nicht verlieren.« Sie wich seinem Blick aus. »Aber jetzt kann ich nicht mehr anders«, fügte sie kaum hörbar hinzu.

»Kahlan, ich hab’ dir schon einmal gesagt, du bist mein Freund, und nichts kann daran etwas ändern.«

»Dieses Geheimnis schon.« Sie ließ die Schultern hängen. »Es geht um Zauberei.«

Richard war nicht mehr so sicher, ob er ihr Geheimnis erfahren wollte. Er hockte sich vor das Feuer und nahm den Bratspieß mit dem Kaninchen in die Hand. Funken stiebten in die aufkommende Dämmerung. Er war stolz auf sie, weil sie das Kaninchen allein gefangen hatte, so wie er es ihr gezeigt hatte.

»Kahlan, es ist mir egal, was dein Geheimnis ist. Aber du bist mir nicht egal, und das ist alles, was zählt. Du brauchst es mir nicht zu erzählen. Komm, das Kaninchen ist fertig. Komm und iß etwas.«

Er schnitt mit dem Messer ein Stück ab und reichte es ihr, als sie sich neben ihn auf den Boden setzte und sich die Haare aus dem Gesicht strich. Das Fleisch war heiß. Sie hielt es vorsichtig zwischen den Fingerspitzen und pustete darauf, um es zu kühlen. Richard schnitt auch für sich ein Stück ab und lehnte sich zurück.

»Als du Shota zum ersten Mal gesehen hast, hat sie da wirklich ausgesehen wie deine Mutter?«

Er sah in Kahlans feuerbeschienenes Gesicht und nickte, bevor er einen Bissen nahm.

»Deine Mutter war sehr schön. Du hast ihre Augen und ihren Mund.«

Richard mußte an sie denken und lächelte. »Aber in Wirklichkeit war es nicht sie.«

»Du hast dich also geärgert, weil Shota vorgab, jemand anderes zu sein? Weil sie dich getäuscht hat?« Sie biß ein Stück Fleisch ab und sog die Luft durch den Mund ein, denn es war noch immer heiß. Sie betrachtete ihn genau.

Richard zuckte mit den Achseln, plötzlich tat es ihm leid. »Ich glaube ja. Es war nicht fair.«

Kahlan kaute eine Weile, schluckte. »Deswegen muß ich dir erzählen, wer ich bin, auch wenn du mich deswegen vielleicht hassen wirst. Du bist mein Freund gewesen, und das, obwohl ich dir nicht die Freundin war, die du verdient hättest. Das ist der zweite Grund, weshalb ich zurückgekommen bin. Ich wollte nicht, daß du es von jemand anderem erfährst. Wenn du willst, gehe ich, nachdem ich es dir erzählt habe.«

Richard blickte in den Himmel, der allmählich Farbe bekam. Plötzlich wünschte er, Kahlan würde ihm nicht erzählen, was sie war, und alles könnte beim alten bleiben. »Keine Angst, ich schicke dich nicht fort. Schließlich haben wir etwas zu erledigen. Erinnerst du dich noch, was Shota gesagt hat? Die Königin wird das Kästchen nicht mehr lange haben. Das kann nur bedeuten, daß es ihr jemand wegnimmt. Besser wir als Darken Rahl.«

Kahlan legte ihm die Hand auf den Arm. »Du sollst dich erst entscheiden, wenn du mich angehört hast, wenn du weißt, wer ich bin. Wenn du danach willst, daß ich gehe, werde ich es verstehen.« Sie sah ihm fest in die Augen. »Richard, weißt du, ich habe noch nie jemanden so gemocht wie dich, und das werde ich auch in Zukunft nicht. Aber mehr wird daraus nicht werden. Nichts Gutes jedenfalls.«

Er weigerte sich, das zu glauben. Es mußte einfach einen Weg geben. Richard atmete tief durch. »Also schön, erzähl es mir.«

Sie nickte. »Erinnerst du dich noch, wie ich dir erzählt habe, einige Bewohner der Midlands seien Zauberwesen? Und daß sie diesen Zauber nicht aufgeben könnten, weil er ein Teil von ihnen sei?« Er nickte. »Nun, ich bin eines dieser Wesen. Ich bin mehr als nur eine Frau.«

»Und was bist du dann?«

»Ich bin ein Konfessor.«

Konfessor.

Richard kannte das Wort.

Jeder einzelne Muskel in seinem Körper verkrampfte sich. Ihm blieb die Luft weg. Das Buch der Gezählten Schatten kam ihm in den Sinn. Werden die Worte des Buches der Gezählten Schatten von einem anderen gesprochen als von dem, der über die Kästchen gebietet, so kann ihre Wahrheit nur bestätigt werden unter Zuhilfenahme eines Konfessors

Seine Gedanken rasten, als blätterte er in Gedanken in den Seiten, als überflöge er die Worte in dem Versuch, sich an das gesamte Buch zu erinnern, ob vielleicht ein zweites Mal ein Konfessor erwähnt wurde. Nein. Er kannte in dem Buch jedes Wort, und Konfessor tauchte nur an einer einzigen Stelle auf, gleich zu Anfang. Er mußte daran denken, wie er gerätselt hatte, was ein Konfessor wohl sein mochte. Er war zuvor nicht sicher gewesen, daß es ein Mensch war. Er spürte das Gewicht des Zahnes um seinen Hals.

Kahlan musterte argwöhnisch den Ausdruck auf seinem Gesicht. »Weißt du, was ein Konfessor ist?«

»Nein«, brachte er hervor. »Ich habe es schon mal gehört … von meinem Vater. Aber ich weiß nicht, was es bedeutet.« Er hatte Mühe, seine Fassung wiederzugewinnen.

Kahlan zog die Knie hoch, schlang die Arme darum und zog sich ein Stück zurück. »Es handelt sich um eine Kraft, eine magische Kraft, die von der Mutter an die Tochter vererbt wird und die fast bis zur Entstehung der Länder zurückreicht, bis vor das finstere Zeitalter.« Richard wußte nicht, was mit dem ›finsteren Zeitalter‹ gemeint war, unterbrach sie aber nicht. »Wir werden damit geboren, der Zauber ist ein Teil von uns und kann von uns ebensowenig getrennt werden wie du von deinem Herzen. Eine Frau, die Konfessor ist, wird auch einen Konfessor gebären. Immer. Doch diese Kraft ist nicht bei allen von uns gleich, bei manchen ist sie schwächer, bei anderen stärker.«

»Du kannst dich also nicht davon lösen, selbst wenn du es wolltest. Aber was ist das für eine Kraft?«

Sie sah fort, ins Feuer. »Es ist eine Kraft, die durch Berührung heraufbeschworen wird. Sie ist immer da, in uns. Wir kehren sie nicht hervor, wenn wir sie benutzen wollen, im Gegenteil, wir müssen sie immer zurückhalten und benutzen sie, indem wir unseren Griff lockern und sie freisetzen.«

»So ähnlich wie den Bauch einziehen?«

Sein Vergleich brachte sie zum Lächeln. »So ähnlich.«

»Und was tut diese Kraft?«

Sie spielte verlegen mit dem Zipfel ihres Umhanges. »Das läßt sich mit Worten nur schwer ausdrücken. Ich hätte nie gedacht, daß eine Erklärung so mühsam wäre. Doch für jemanden, der nicht aus den Midlands ist, läßt es sich nur schwer in Worte fassen. Ich habe es bis jetzt noch nie tun müssen. Genaugenommen bin ich nicht einmal sicher, ob es überhaupt geht. Es ist ein wenig, als wollte man einem Blinden Nebel erklären.«

»Versuche es.«

Sie nickte und sah ihm kurz in die Augen.

»Es ist die Kraft der Liebe.«

Richard hätte fast losgelacht. »Und davor soll ich Angst haben? Vor der Kraft der Liebe?«

Kahlan richtete sich auf. Die Empörung war ihren Augen anzusehen. Empörung und dieser zeitlose Blick, mit dem ihn auch Adie und Shota angeblitzt hatten, und der ihm sagte, daß er sich im Ton vergriffen hatte und selbst sein zaghaftes Lächeln unverschämt war. Eine Haltung, die er von ihr nicht kannte. Eiskalt wurde ihm bewußt, daß Kahlan es nicht gewohnt war, daß jemand ihre Kraft oder ihre Person belächelte. Ihr Blick verriet mehr über ihre Kraft als alle Worte. Was immer diese Kraft war, sie hatte bestimmt nichts Lächerliches. Sein vorsichtiges Lächeln schwand dahin. Als sie sicher war, daß er sich nicht weiter respektlos benehmen würde, fuhr sie fort.

»Du verstehst nicht. Nimm es nicht auf die leichte Schulter.« Sie kniff die Augen zusammen. »Sobald du von ihr berührt wirst, bist du nicht mehr derselbe wie zuvor. Du bist für immer verändert. Darüber hinaus bist du demjenigen ergeben, der dich berührt hat, und zwar ausschließlich. Was immer du gewollt hast, was oder wer du gewesen bist, hat für dich alle Bedeutung verloren. Für den, der dich berührt hat, würdest du alles tun. Dein Leben gehört nicht mehr dir, sondern ihr. Dein altes Selbst existiert nicht mehr.«

Richard spürte die Gänsehaut auf seinen Armen. »Wie lange hält dieser Zauber, oder was es ist, an?«

»Solange derjenige lebt, den ich berühre«, sagte sie tonlos.

Richard spürte, wie die Kälte seinen restlichen Körper ergriff. »Man könnte also sagen, daß du Menschen verhext?«

Sie seufzte. »Nicht ganz so, aber wenn es dir hilft, könntest du es vermutlich so nennen. Aber die Berührung durch einen Konfessor ist viel mehr. Viel stärker und endgültiger. Verhexen kann rückgängig gemacht werden. Shota hat dich verhext, auch wenn du es nicht gemerkt hast. Es bedeutet einen Zuwachs. Hexen können nichts dafür, so sind sie eben. Aber dein Zorn und der Zorn des Schwertes haben dich beschützt. Die Berührung meiner Kraft ist einmalig und unwiderruflich. Nichts könnte dich schützen. Wenn ich jemanden berühre, kann dieser Mensch nicht mehr zurückgeholt werden, weil diese Person nach der Berührung nicht mehr existiert. Dieser Mensch ist für immer verloren. Wie auch sein freier Wille. Einer der Gründe, warum ich nicht zu Shota wollte, ist der, daß Hexen Konfessoren nicht ausstehen können. Sie sind wahnsinnig eifersüchtig auf unsere Macht. Und zwar weil sich ein Mensch nach der Berührung vollkommen hingibt. Er wird alles tun, was ein Konfessor von ihm verlangt.« Sie sah ihn stechend an. »Alles.«

Richard spürte, wie sein Mund trocken wurde, während seine Gedanken in alle Richtungen gleichzeitig schossen und er sich verzweifelt an seine Hoffnungen und seine Träume klammerte. Nur durch Fragen konnte er Zeit gewinnen und sie zusammenhalten. »Funktioniert es bei jedem?«

»Bei jedem Menschen. Bis auf Darken Rahl. Die Zauberer haben mich gewarnt, daß der Zauber der Ordnung ihn vor unserer Berührung beschützt. Er hat von mir nichts zu fürchten. Bei denen, die keine Menschen sind, funktioniert es hauptsächlich deswegen nicht, weil sie nicht über das nötige Mitgefühl verfügen, damit der Zauber sie verändern kann. Einen Gar zum Beispiel würde meine Berührung nicht verändern. Bei einigen anderen Wesen funktioniert es, wenn auch nicht wie bei Menschen.«

Er sah sie argwöhnisch an. »Und Shar? Sie hast du doch berührt, oder?«

Kahlan nickte und lehnte sich ein wenig zurück. Sie ließ wieder den Kopf hängen. »Ja. Sie lag im Sterben und war einsam. Sie litt darunter, von den anderen ihrer Art entfernt zu sein. Sie wollte nicht einsam sterben. Sie hat mich darum gebeten. Dadurch verlor sie ihre Angst. Sie wurde durch eine Liebe für mich ersetzt, die keinen Raum ließ für Qualen und Einsamkeit. Von ihr war nichts mehr übrig als ihre Liebe zu mir.«

»Und als wir uns kennengelernt haben, als uns das Quadron verfolgt hat? Da hast du doch auch einen der Männer berührt, oder?«

Kahlan nickte und ließ sich an den Stamm sinken. Sie raffte den Umhang um sich und starrte ins Feuer. »Obwohl sie geschworen hatten, mich zu töten, gehören sie mir, sobald ich sie berühre«, sagte sie entschieden. »Sie würden bis zum Tod kämpfen, um mich zu beschützen. Aus diesem Grund schickt Rahl auch vier Männer aus, um Konfessoren zu töten. Man erwartet, daß sie einen berührt, dann sind drei übrig, die diesen und den Konfessor töten können. Es braucht drei, weil der eine so wild kämpft, daß er gewöhnlich einen oder oft auch zwei tötet, aber dann bleibt immer noch einer, der den Konfessor töten kann. Ganz selten gelingt es ihm, die verbliebenen drei zu töten. Das ist mit dem Quadron passiert, das mich vor der Überquerung der Grenze verfolgt hat. Ein Quadron ist die beste Einheit, die man aussenden kann. Sie haben fast immer Erfolg, und wenn nicht, schickt Rahl einfach das nächste. Auf dem Grat wurden wir nur deswegen nicht getötet, weil du sie getrennt hattest. Der, den ich berührt habe, hat seinen Begleiter getötet, während du die beiden anderen beschäftigt hast. Dann ging er auf die beiden übrigen los. Aber du hattest einen vom Felsen gestoßen, also hat er sein Leben geopfert, um den Anführer in die Tiefe zu stürzen. Er tat es, weil er dann nicht mehr in einem Schwertkampf verlieren konnte. Damit verlor er zwar sein Leben, aber das war für ihn nach meiner Berührung ohne Bedeutung. Nur so konnte er sicher sein, mich zu schützen.«

»Kannst du nicht einfach alle vier berühren?«

»Nein. Die Kraft läßt nach der ersten Berührung nach. Es dauert, bis sie sich regeneriert hat.«

Er spürte das Heft des Schwertes an seinem Ellenbogen, und plötzlich kam ihm eine Idee. »Als wir durch die Grenze gingen, hat uns der letzte Mann aus dem Quadron verfolgt. Ich habe ihn getötet, aber … eigentlich habe ich dich damit gar nicht gerettet, stimmt’s?«

Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie antwortete. »Ein einzelner Mann, ganz gleich wie groß oder kräftig er ist, kann einem Konfessor nicht gefährlich werden, nicht einmal einem schwachen Konfessor, geschweige denn mir. Wärst du nicht gekommen … ich wäre mit ihm fertig geworden. Tut mir leid, Richard«, hauchte sie, »aber du hättest ihn nicht zu töten brauchen.«

»Schön«, meinte er trocken, »wenigstens habe ich dich davor bewahrt, es selbst tun zu müssen.«

Sie antwortete nicht, sondern sah ihn nur traurig an. Offenbar hatte sie keine tröstenden Worte für ihn.

»Wie lange dauert es?« fragte er. »Wie lange braucht ein Konfessor, um seine Kraft wiederzugewinnen?«

»Das ist bei jedem Konfessor anders. Bei manchen ist die Kraft schwächer, und es kann mehrere Tage und Nächte dauern, bis sie sich wieder erholt hat. Bei den meisten dauert es ungefähr einen Tag und eine Nacht.«

Richard sah sie an. »Und bei dir?«

Sie sah ihn an, als wünschte sie, er hätte die Frage nicht gestellt. »Ungefähr zwei Stunden.«

Er drehte sich zum Feuer. Die Antwort gefiel ihm nicht. »Ist das ungewöhnlich?«

Sie seufzte. »Das hat man mir jedenfalls gesagt.« Sie klang erschöpft. »Je schneller die Regeneration, desto stärker ist die Kraft. Sie wirkt stärker bei dem, den sie berührt. Deswegen konnten einige aus den Quadronen auch die drei anderen töten. Bei einem Konfessor mit einer schwächeren Kraft wäre das unmöglich. Die Stellung eines Konfessors bemißt sich nach ihrer Kraft, denn diejenigen mit der stärksten Kraft haben auch die besten Chancen, Töchter mit verstärkter Kraft zu bekommen. Kein Konfessor neidet einem anderen seine Kraft. Wer mehr davon hat, genießt tiefere Zuneigung und wird in schwierigen Zeiten mit mehr Hingabe unterstützt. Was zum Beispiel geschehen ist, seit Rahl die Grenze durchquert hat. Die unteren Ränge beschützen die oberen, wenn nötig mit ihrem Leben, um durch das Überleben derer mit der größten Kraft den Fortbestand unserer Schwesternschaft zu gewährleisten.«

Sie würde es ihm nicht sagen, wenn er nicht fragte, also tat er es. »Und wie ist dein Rang?«

Sie starrte ungerührt ins Feuer. »Alle Konfessoren folgen mir. Viele haben ihr Leben geopfert, um mich zu beschützen…« Ihre Stimme versagte einen Augenblick lang. »Damit ich überlebe und meine Kraft irgendwie dafür einsetze, daß Rahl aufgehalten wird. Im Augenblick folgt mir natürlich niemand. Ich bin die letzte, die übrig ist. Alle anderen sind von Darken Rahl umgebracht worden.«

»Das tut mir leid, Kahlan«, sagte er leise. Erst allmählich dämmerte ihm, wie bedeutend diese Frau war. »Hast du einen Titel? Wie nennen die Leute dich?«

»Ich bin die Mutter Konfessor.«

Richard erstarrte. Der Klang der Worte ›Mutter Konfessor‹ vermittelte die Kälte fürchterlicher Autorität. Richard war ziemlich überwältigt. Er hatte immer gewußt, daß Kahlan jemand Wichtiges war, aber auch schon als Waldführer hatte er mit wichtigen Persönlichkeiten zu tun gehabt und gelernt, sich nicht von ihnen beeindrucken zu lassen. Aber noch nie war er einer so herausragenden Persönlichkeit begegnet. Mutter Konfessor. Es war ihm egal, ob er nur ein Waldführer war und sie so wichtig. Damit konnte er leben. Und sie bestimmt auch. Er würde sie deswegen nicht verlieren oder wegschicken. »Ich weiß nicht, was das bedeutet. Ist das vergleichbar mit einer Prinzessin oder einer Königin?«

Kahlan zog eine Braue hoch und sah ihn an. »Königinnen verneigen sich vor der Mutter Konfessor.«

Jetzt war er endgültig eingeschüchtert.

»Du stehst höher als eine Königin?« fragte er erschrocken.

»Das Kleid, das ich bei unserem ersten Treffen trug — es war das Kleid eines Konfessors. Wir alle tragen diese Kleider, damit kein Zweifel entsteht, wer wir sind. Die meisten Leute aus den Midlands würden uns allerdings in jedem Fall erkennen, egal wie wir uns kleiden. Alle Konfessoren tragen unabhängig von ihrem Alter ein schwarzes Konfessorenkleid, bis auf die Mutter Konfessor — ihr Kleid ist weiß.« Kahlan wirkte etwas genervt. Offenbar war es ihr unangenehm, ihre hohe Stellung erläutern zu müssen. »Mir ist sehr seltsam dabei zumute, dir dies alles zu erklären, Richard. In den Midlands weiß das jeder, ich brauche also nie darüber nachzudenken, wie ich es in Worte fassen sollte. Es klingt so … ich weiß nicht, so arrogant, wenn ich es ausspreche.«

»Nun, ich bin nicht aus den Midlands. Versuch es einfach, ich muß es verstehen.«

Sie nickte und sah ihn wieder an. »Könige und Königinnen sind Herrscher ihres Landes, sie alle haben ihr eigenes Reich. In den Midlands gibt es eine ganze Menge davon. Andere Länder werden auf andere Art regiert, zum Beispiel von Räten. Wieder andere beherbergen magische Kreaturen. Die Irrlichter, zum Beispiel. In ihrem Land leben keine Menschen.

Das Land der Konfessoren, meine Heimat, wird Aydindril genannt. Es ist gleichzeitig die Heimat der Zauberer und des Zentralrats aller Länder. In Aydindril ist es wunderschön. Es ist lange her, seit ich zu Hause war«, sagte sie wehmütig. »Konfessoren und Zauberer sind eng miteinander verbunden. Ganz so, wie der alte Zedd mit dem Sucher verbunden ist. Niemand erhebt einen Anspruch auf Aydindril. Das würde kein Herrscher wagen. Sie haben alle Angst vor den Konfessoren und Zauberern. Die Länder der Midlands tragen alle zur Unterstützung von Aydindril bei. Sie alle zahlen Steuern. Konfessoren stehen über den Gesetzen der einzelnen Länder, ganz so, wie auch der Sucher letztendlich nur sich selber verpflichtet ist. Gleichzeitig aber dienen wir allen Völkern der Midlands durch den Zentralrat.

In der Vergangenheit sind machtsüchtige Herrscher immer wieder darauf verfallen, die Konfessoren ihren Anordnungen zu unterwerfen. In diesen Zeiten gab es weitsichtige, jetzt als Legende verehrte Konfessoren, die erkannten, daß sie entweder den Grundstein für unsere Unabhängigkeit legen oder sich auf ewig unterwerfen mußten. Die Mutter Konfessor überwältigte die Herrscher also mit ihrer Kraft. Man stieß die Herrscher von ihren Thronen und ersetzte sie durch neue, die wußten, man muß die Konfessoren gewähren lassen. Die alten Herrscher, die man überwältigt hatte, wurden in Aydindril kaum besser als Sklaven gehalten. Die Konfessoren nahmen diese gestürzten Herrscher auf ihre Reisen in andere Länder mit, ließen sie die Vorräte und das Gepäck tragen. Damals war der Umgang mit den Konfessoren sehr viel feierlicher als heute. Wie auch immer, es machte den gewünschten Eindruck.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte Richard. »Könige und Königinnen sind mächtige Herrscher. Hatten sie denn keinen Schutz? Hatten sie keine Truppen oder andere Soldaten, die für ihre Sicherheit sorgen? Wie kann ein Konfessor in die Nähe einer Königin oder eines Königs gelangen, um ihn zu berühren?«

»Doch, sie haben Leute, die sie beschützen, eine Menge sogar. Aber es ist nicht so schwer, wie es klingt. Ein Konfessor berührt einen Menschen, sagen wir einen Posten, dann hat sie einen Verbündeten. Der bringt sie zum nächsten, er wird überwältigt, und kurz darauf ist sie drinnen. Jeder, den sie berührt, kann sie zu dem nächsthöheren Rang bringen und verschafft ihr neue Verbündete. Wenn sie sich so durch Vertrauensstellungen und Berater hocharbeitet, ist sie schneller bei der Königin oder dem König, als man meinen möchte. Manchmal schneller, als jemand Verdacht schöpft oder gar Alarm schlägt. Jeder Konfessor kann das. Mutter Konfessor und eine Schar ihrer Schwestern fegen durch einen Palast wie die Pest. Ganz gefahrlos ist es jedoch nicht. Viele sind dabei umgekommen, doch das Ziel war es wert. Deswegen steht den Konfessoren jedes Land offen, selbst wenn es für alle anderen tabu ist. Die Grenzen für Konfessoren zu schließen käme einem Schuldgeständnis gleich und wäre ein ausreichender Grund, dem Herrscher seine Macht zu entreißen. Das ist der Grund, weshalb mich zum Beispiel die Schlammenschen in ihr Land lassen, obwohl sie oft andere Fremde abweisen. Einen Konfessor abzuweisen, würde Fragen und Verdacht aufkommen lassen. Jeder Herrscher, der irgendwelche Intrigen plant, würde einem Konfessor nur zu gerne freien Zutritt gewähren, weil er dadurch seine Beteiligung an einem Staatsstreich verbergen könnte.

In jenen Zeiten gab es unter den Konfessoren so manche, die mehr als bereit waren, ihre Kraft zu benutzen, um alles Übel an der Wurzel auszureißen, wie sie es sahen. Die Zauberer machten ihren Einfluß geltend, um dies unter Kontrolle zu bekommen, aber die Menschen wußten bereits, zu was ein Konfessor fähig war. Aber das waren andere, härtere Zeiten.«

Herrscher entmachten. Andere Zeiten oder nicht, Richard fand dies alles unglaublich, schwer zu rechtfertigen. »Wer gab den Konfessoren das Recht dazu?«

Sie blickte ihn hart an. »Was tun wir beide, du und ich, eigentlich jetzt? Ist das so anders als das, was man in der Vergangenheit getan hat? Einen Herrscher entmachten?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Noch heute haben die Herrscher der Länder einen gesunden Respekt vor den Konfessoren, wenn nicht sogar ausgesprochene Angst. Besonders vor der Mutter Konfessor. Sie alle sind darauf bedacht, nicht aufzufallen. Mit dem Sucher ist es ziemlich das gleiche. War es zumindest früher, bevor wir beide geboren wurden. Damals waren Sucher noch gefürchteter und respektierter als Konfessoren.« Sie sah ihn bedeutungsschwer an. »Auch sie haben Könige entthront. Jetzt jedoch, seit das Schwert zu einer politischen Gefälligkeit verkommen ist, ist ihr Ansehen gesunken. Sie gelten kaum mehr als Bauern oder Diebe.«

»Ich bin nicht sicher, ob sich das geändert hat«, meinte Richard mehr zu sich selbst als zu ihr. »Die meiste Zeit komme ich mir vor, als wäre ich nicht mehr als eine Figur, die von anderen herumgeschoben wird. Selbst von Zedd und…«

Er sprach nicht weiter. Das tat sie für ihn. »Und von mir.«

»So meine ich das nicht. Ich wünsche mir manchmal bloß, ich hätte nie vom Schwert der Wahrheit gehört. Gleichzeitig aber kann ich unmöglich zulassen, daß Rahl gewinnt. Ich bin also zum Handeln verdammt. Ich glaube, ich habe keine Wahl, und genau das hasse ich.«

Kahlan machte ein wehmütiges Gesicht und schlug die Beine übereinander. »Richard, hoffentlich begreifst du jetzt, daß es für mich genau dasselbe war. Auch ich habe keine Wahl. Bei mir ist es sogar noch schlimmer, denn ich wurde mit dieser Kraft geboren. Wenn alles vorüber ist, kannst du wenigstens das Schwert zurückgeben, wenn du willst. Ich bleibe mein Leben lang Konfessor.« Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Jetzt, wo ich dich kennengelernt habe, würde ich alles dafür geben, eine ganz normale Frau sein zu können.«

Richard wußte nicht, wohin mit seinen Händen. Er nahm ein Stöckchen und zeichnete Linien in den Sand. »Ich verstehe noch immer nicht, warum man euch ›Konfessoren‹ nennt. Was bedeutet das?« Er hatte große Schwierigkeiten, sie anzusehen.

Kahlan machte ein gequältes Gesicht. Sie tat ihm leid. »Das ist unsere Arbeit. Wir sind die endgültigen Gebieter über die Wahrheit. Aus diesem Grund haben uns die Zauberer in längst vergessener Zeit die Kraft gegeben. Auf diese Weise dienen wir den Menschen.«

»Endgültige Gebieter über die Wahrheit.«

Sie nickte. »Wir beide sind durch unsere Ziele verbunden. In gewisser Weise stellen wir die Kehrseiten desselben Zaubers dar. Die Zauberer in alter Zeit waren eher wie Herrscher. Die allgegenwärtige Korruption machte sie zunehmend unzufrieden. Sie haßten all den Lug und Trug. Sie suchten nach einer Möglichkeit, zu verhindern, daß die Korrupten ihre Macht benutzen, um das Volk zu täuschen und zu unterwerfen. Diese skrupellosen Herrscher brauchten ihre politischen Gegner nur eines Verbrechens zu bezichtigen und sie dafür hinrichten zu lassen. So hatten sie sie gleichzeitig entehrt und vernichtet. Die Zauberer suchten einen Weg, das zu beenden. Einen Weg, der keinen Raum für Zweifel ließ. Also schufen sie einen Zauber, dem sie ein Eigenleben einhauchten. Aus einer Gruppe ausgewählter Frauen schufen sie die Konfessoren. Die Frauen wurden sorgfältig ausgesucht, denn der Zauber führte ein Eigenleben, sobald er einmal in diesen Frauen zum Leben erweckt war — und er würde auf ihre Nachkommen übergehen, für immer.« Abwesend betrachtete sie den Stock, mit dem Richard Linien in den Staub zeichnete. »Wir benutzen unsere Kraft, um die Wahrheit herauszufinden. Vorausgesetzt, die Wahrheit ist wichtig genug. Heutzutage stellen wir damit meist sicher, ob ein zum Tode Verurteilter wirklich schuldig ist. Wir berühren die zum Tode Verurteilten, und wenn sie dann uns gehören, lassen wir sie gestehen.«

Richard hatte sich vorgebeugt. Der Stock bewegte sich nicht mehr. Er mußte sich zwingen, weiterzuzeichnen, als sie fortfuhr.

»Nach einer Berührung wird auch der übelste Mörder sich unserem Willen beugen und seine Verbrechen gestehen. Manchmal sind sich die Gerichte nicht sicher, ob sie den Richtigen haben. Man ruft also einen Konfessor, um die Wahrheit herauszufinden. In den meisten Ländern ist es Gesetz, daß niemand ohne Geständnis hingerichtet werden darf, damit auf jeden Fall der Richtige hingerichtet wird und man keinen Unschuldigen umkommen läßt. Einige Völker der Midlands bedienen sich nicht der Konfessoren, die Schlammmenschen zum Beispiel. Sie wollen keine Einmischung von außen, wie sie es sehen. Trotzdem fürchten sie uns, denn sie wissen, wozu wir fähig sind. Wir respektieren die Wünsche dieser Völker. Es gibt kein Gesetz, das ihnen die Inanspruchnahme unserer Dienste vorschreibt. Trotzdem werden wir sie im Falle des Verdachts einer Täuschung dazu zwingen. Die meisten Länder jedoch nehmen unsere Dienste in Anspruch. Sie finden es praktisch.

Konfessoren waren es, die als erste die Intrigen und den Verrat zu Rahls Gunsten aufgedeckt haben. Dazu haben Zauberer Konfessoren in erster Linie erschaffen, um die Wahrheit herauszufinden. Und den Posten des Suchers ebenfalls. Darken Rahl war gar nicht glücklich, daß wir ihm auf die Schliche gekommen sind.

In seltenen Fällen bittet ein ohne Konfessor zum Tode Verurteilter darum, einen zu rufen, damit er zum Beweis seiner Unschuld ein wahrheitsgemäßes Geständnis ablegen kann. Das ist überall in den Midlands das Recht der Verurteilten.« Ihre Stimme wurde sanfter, leiser. »Das hasse ich am meisten. Kein Schuldiger würde einen Konfessor rufen, er würde nur seine Schuld beweisen. Noch bevor ich diese Männer berühre, weiß ich, daß sie unschuldig sind, und doch muß ich es tun. Hättest du je den Blick in ihren Augen gesehen, wenn ich sie berühre … du würdest es verstehen. Wenn man uns also ruft und diese Männer unschuldig sind, läßt man sie…«

Es schnürte Richard die Kehle zusammen. Er versuchte zu schlucken. »Wie viele Geständnisse hast du … abgenommen?«

Sie schüttelte langsam den Kopf. »Unzählig viele. Mein halbes Leben habe ich in Gefängnissen und Verliesen verbracht, bei den abscheulichsten und bösartigsten Tieren, die du dir denken kannst, und doch sehen die meisten nicht anders aus als ein freundlicher Ladenbesitzer oder der eigene Bruder, Vater, Nachbar. Sobald ich sie berührt habe, beichten sie mir all ihre Untaten. Anfangs hatte ich lange Zeit solche Alpträume, daß ich Angst hatte, zu schlafen. Die Dinge, die sie getan hatten … du kannst es dir nicht vorstellen…«

Richard warf das Stöckchen fort, nahm ihre Hand und drückte sie leicht. Sie fing an zu weinen. »Kahlan, du brauchst doch nicht…«

»Ich kann mich noch an den ersten Mann erinnern, den ich getötet habe.« Ihre Lippen bebten. »Er verfolgt mich immer noch in meinen Träumen. Er hat mir gestanden, was er seinen Nachbarn und den drei Töchtern angetan hat … die älteste war gerade fünf … nachdem er mir die grausigsten Dinge gebeichtet hatte, die du dir vorstellen kannst, sah er mich aus großen Augen an und sagte: ›Wie lautet dein Wunsch, Herrin?‹…. und ohne nachzudenken sagte ich: ›Ich wünsche mir deinen Tod.‹« Mit zittrigen Fingern wischte sie sich eine Träne von der Wange. »Er brach auf der Stelle tot zusammen.«

»Was haben die Leute gesagt?«

»Was könnten sie einem Konfessor sagen, auf dessen Befehl hin gerade ein Mensch vor ihren Augen tot zusammengebrochen war? Sie alle wichen zurück und machten Platz, als wir abzogen. Nicht jeder Konfessor bringt so etwas fertig. Sogar meinem Zauberer hatte es vor Angst die Sprache verschlagen.«

Richard runzelte die Stirn. »Dein Zauberer?«

Sie nickte und wischte sich die restlichen Tränen aus dem Gesicht. »Die Konfessoren haben ihre Macht von den Zauberern. Das war zu einer Zeit, als sie noch mehr mit der Verwaltung der Länder befaßt waren. Zu jener Zeit versuchten sie sich als Herrscher, sie wollten sämtliche Länder regieren. Mit der Zeit ließen sie davon wegen katastrophaler Fehlentwicklungen ab und wurden mehr Schutzherren als Regierende für die Völker. Für die Konfessoren fühlten sie sich trotzdem verantwortlich, denn sie konnten ihnen die Bürde der Kraft nicht nehmen, die sie ihnen aufgelastet hatten, noch sahen sie vorher, daß der Zauber, den sie geschaffen hatten, zu einer fürchterlichen Fehlentwicklung werden würde. Sie sahen es als ihre Pflicht an, uns zu schützen, da wir überall gefürchtet und gehaßt wurden. Fast immer reisen Konfessoren unter dem Schutz eines Zauberers. Rahl ist es gelungen, uns von den Zauberern zu trennen, und nun gibt es auch keine Zauberer mehr. Bis auf Zedd und Giller.«

Richard nahm das Kaninchen. Es wurde bereits kalt. Er schnitt ein Stück ab und reichte es ihr, dann riß er ein Stück für sich selbst ab. »Warum sollte jemand die Konfessoren fürchten oder hassen?«

»Die Verwandten und Freunde eines Verurteilten hassen uns oft, weil sie nicht glauben, daß ihre Lieben die Dinge getan haben, die sie uns beichten. Lieber glauben sie, wir bringen sie durch einen Trick zu einem Geständnis.« Sie knabberte an dem Fleisch, riß kleine Stücke ab und kaute sie langsam. »Ich habe festgestellt, daß die meisten Menschen nicht gerne an die Wahrheit glauben. Meist bedeutet sie ihnen nicht viel. Einige haben versucht, mich umzubringen. Aus diesem Grund ist immer ein Zauberer bei uns. Er soll uns beschützen, bis unsere Kraft sich regeneriert hat.«

Richard schluckte seinen Bissen hinunter. »Das scheint mir als Grund nicht ganz zu reichen.«

»Es geht nicht einfach nur um das, was wir tun. Für jemanden, der nicht damit aufgewachsen ist, muß das alles sehr fremd klingen. Die Sitten der Midlands mit ihrer Magie müssen dir sehr seltsam vorkommen.« Seltsam war wohl kaum das richtige Wort, dachte er. Beängstigend käme der Sache schon näher.

»Konfessoren sind unabhängig, und dagegen haben die Menschen was. Die Männer haben etwas gegen uns, weil uns keiner von ihnen beherrschen oder sagen kann, was wir tun sollen. Frauen haben etwas gegen uns, weil wir nicht das gleiche Leben führen wie sie, die traditionelle Frauenrolle. Wir versorgen keinen Mann und ordnen uns auch keinem unter. Wir gelten als privilegiert. Unser Haar ist lang, ein Symbol unserer Macht. Sie zwingt man, die Haare kurz zu tragen als Zeichen der Unterwerfung unter ihren Mann und jede andere Person, die im Rang höher steht als sie. Dir kommt das vielleicht unbedeutend vor, aber in unserem Volk ist nichts unbedeutend, das mit Macht zu tun hat. Eine Frau, die sich die Haare über die für ihren Status schickliche Länge wachsen läßt, muß als Strafe einen Teil ihres Status aufgeben. In den Midlands gelten lange Haare bei einer Frau als Zeichen der Macht, das fast schon an Herausforderung grenzt. Es ist das Zeichen, daß wir tun dürfen, was uns beliebt, und daß niemand uns Befehle geben kann. Wir sind für alle eine Bedrohung. Dein Schwert signalisiert den Menschen so ziemlich dasselbe. Kein Konfessor würde das Haar kurz tragen, und es nagt an den Menschen, daß uns niemand dazu zwingen kann. Ironischerweise sind wir unfreier als sie, doch diesen Aspekt sehen sie nicht. Wir erledigen die unappetitlichen Aufgaben für sie, und doch steht es uns nicht zu, frei über unser Leben zu entscheiden. Wir sind Gefangene unserer Kraft.«

Kahlan aß den Rest des Fleisches, das er ihr gegeben hatte, während er über die Ironie des Ganzen nachdachte. Die Konfessoren brachten den verhaßtesten Kriminellen die Liebe, nicht aber jenen, denen sie sie gerne schenken wollten. Offensichtlich überlegte sie immer noch, wie sie es ihm erklären sollte.

»Ich finde dein langes Haar schön«, sagte er. »Mir gefällt es, wie es ist.«

Kahlan lächelte. »Danke.« Sie warf die Knochen ins Feuer, sah einen Augenblick zu, dann blickte sie auf ihre Hände und tickte die Daumennägel zusammen. »Und dann ist da noch die Geschichte, daß wir uns einen Gatten suchen müssen.«

Richard aß sein Stück Fleisch und schmiß den Knochen ins Feuer. Er lehnte sich an den Stamm. Das gefiel ihm überhaupt nicht. »Einen Gatten suchen? Was soll das heißen?«

Sie betrachtete ihre Hände, als könnte sie dort Zuflucht finden. »Wenn ein Konfessor das Alter erreicht, in dem sie Mutter werden kann, muß sie sich einen Gatten erwählen. Ein Konfessor kann sich jeden Mann aussuchen, den sie will, sogar einen, der bereits verheiratet ist. Sie darf durch die Midlands streifen, um einen geeigneten Vater für ihre Töchter zu suchen, einen, der stark ist und in ihren Augen vielleicht gutaussehend. Was immer sie will. Männer haben entsetzliche Angst vor einem Konfessor, der einen Gatten sucht, weil sie nicht erwählt und nicht von ihr berührt werden wollen. Frauen haben entsetzliche Angst, weil sie nicht wollen, daß ihr Mann, ihr Bruder oder ihr Sohn erwählt wird. Sie alle wissen, in dieser Angelegenheit haben sie nichts zu sagen. Wer sich einem Konfessor bei der Gattenwahl in den Weg stellt, wird von ihm erwählt. Die Menschen haben Angst vor mir, erstens, weil ich die Mutter Konfessor bin, und zweitens, weil ich den Zeitpunkt der Wahl längst überschritten habe.«

Richard klammerte sich noch immer hartnäckig an seine Hoffnungen und Träume. »Aber was ist, wenn du jemanden magst und er dich auch?«

Kahlan schüttelte traurig den Kopf. »Konfessoren haben keine Freunde außer anderen Konfessoren. Das Problem stellt sich nicht, niemand würde etwas für einen Konfessor empfinden. Jeder Mann hat Angst vor uns.« Sie verschwieg, daß sich das Problem jetzt sehr wohl stellte. Ihre Stimme stockte. »Von klein auf hat man uns beigebracht, der Mann, den wir erwählen, müsse stark sein, damit die Kinder, die wir bekommen, ebenfalls stark sind. Aber es darf niemand sein, für den wir etwas empfinden, denn wir würden ihn zerstören. Deswegen kann auch nichts aus … uns beiden werden.«

»Aber … warum?« Er spürte, wie er gegen ihre Worte, ihre Kraft, anzukämpfen begann.

»Weil…« Sie sah fort. Sie konnte nicht verhindern, daß sich die Qual in ihrem Gesicht spiegelte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Weil die Kontrolle eines Konfessors im Kampf mit der Leidenschaft nachlassen würde. Sie würde sie, ohne es zu wollen, in ihn hineinströmen lassen, und dann wäre er nicht mehr der, für den sie etwas empfindet. Sie kann nichts dagegen tun. Nichts. Er wäre der ihre, aber es wäre nicht mehr dasselbe. Der, für den sie etwas empfindet, wäre bei ihr, aber nur wegen der Magie und nicht mehr aus freien Stücken, und schon gar nicht, weil er es so will. Er wäre nur eine Schale, die enthält, was sie hineingegeben hat. Kein Konfessor könnte das einem Mann wünschen, für den sie etwas empfindet. Deswegen haben sich Konfessoren seit längst vergessenen Zeiten von den Männern abgeschottet, denn sie haben Angst, sie könnten Zuneigung für einen entwickeln. Wir werden als herzlos bezeichnet, aber das ist nicht wahr. Wir alle fürchten, was unsere Berührung aus dem Mann machen würde, den wir lieben. Manche Konfessoren erwählen Männer, die unbeliebt sind oder gar gehaßt werden, nur um kein gutes Herz zu zerstören. Es sind zwar nur wenige, die diesen Weg gehen, aber es ist ihr gutes Recht. Kein Konfessor würde einen anderen deswegen kritisieren. Wir haben alle Verständnis dafür.« Sie sah ihn aus tränenüberströmten Augen an und flehte, er möge sie verstehen.

»Aber … ich könnte doch…« Er wußte nicht, wie er sein Herz schützen sollte.

»Ich nicht. Für mich wäre das, als wolltest du bei deiner Mutter sein, und statt dessen hättest du Shota, die vorgibt, deine Mutter zu sein. Nur daß es nicht stimmt. Begreifst du das?« schluchzte sie. »Wärst du damit wirklich glücklich?«

Richard fühlte, wie die Welt seiner Hoffnungen in den Flammen seines Begreifens verglühte. Er schluckte die qualvolle Hitze in seiner Kehle.

»Das Haus der Seelen«, fragte er mit belegter Stimme, »war es das, wovon Shota gesprochen hat? Hast du dort um Haaresbreite deine Kraft gegen mich verwendet?« Sein Ton war kühler, als er beabsichtigt hatte.

»Ja.« Ihre Stimme brach vor Mitgefühl, als sie versuchte, nicht zu weinen. »Tut mir leid, Richard.« Sie verknotete ihre Finger. »Nie zuvor habe ich für jemanden so etwas empfunden wie für dich. Ich wollte so sehr bei dir sein. Beinahe hätte ich vergessen, wer ich bin. Fast wäre es mir egal gewesen.« Die Tränen liefen ihr die Wange hinab. »Verstehst du nun, wie gefährlich meine Kraft ist? Siehst du, wie leicht ich dich vernichten könnte? Hättest du mich nicht daran gehindert … du wärst verloren gewesen.«

Sein Mitleid mit ihr, mit dem, was sie war und mit ihrer Ausweglosigkeit, machte sich qualvoll bemerkbar. Er spürte seinen eigenen schmerzlichen Verlust, auch wenn er jetzt erkannte, daß er gar nichts zu verlieren gehabt hatte. Sie hätte nie die seine, oder genauer, er der ihre werden können, es war alles nur eine Ausgeburt seiner Phantasie. Zedd hatte versucht, ihn zu warnen, ihm die Schmerzen zu ersparen. Warum hatte er nur nicht auf ihn gehört? Wieso mußte er so dumm sein und glauben, er wäre klug genug, es hinzubekommen? Er wußte, warum. Langsam erhob er sich und trat ans Feuer, damit sie seine Tränen nicht sah. Er schluckte, um wieder sprechen zu können.

»Wieso sprichst du immer von ›Töchtern‹? Warum immer Frauen? Was ist mit Männern, können Konfessoren keine männlichen Kinder gebären?« Seine Stimme klang wie ein Scharren auf Kies.

Lange lauschte er auf das Knacken des Feuers. Sie antwortete nicht. Er drehte sich um, als er sie weinen hörte. Sie schaute auf und streckte ihre Hand aus, damit er ihr aufhelfen konnte. Dann lehnte sie sich an den Stamm, strich sich die Haare aus dem Gesicht und verschränkte die Arme.

»Doch, Konfessoren können männliche Kinder gebären. Nicht so oft wie früher, aber es kommt noch immer vor.« Sie räusperte sich. »Aber die Kraft in ihnen ist stärker, sie brauchen keine Zeit, sich zu regenerieren. Manchmal wird ihnen die Kraft das Wichtigste und korrumpiert sie. Das ist der Fehler, den die Zauberer gemacht haben. Aus eben diesem Grund haben sie Frauen ausgesucht, doch haben sie nicht ausreichend bedacht, daß die Kraft ein Eigenleben entwickeln kann. Sie haben nicht vorhergesehen, daß die Kraft an Nachkommen vererbt werden und sich in Männern ganz anders zeigen würde. Vor langer Zeit vereinten einige männliche Konfessoren ihre Kräfte und errichteten ein grausames Regime. Es wurde die finstere Zeit genannt. Dieses Zeitalter glich ein wenig der heutigen mit Darken Rahl. Schließlich machten die Zauberer Jagd auf sie und töteten sie. Dabei starben auch viele Zauberer. Von da an zogen sich die Zauberer aus der Regierung der Länder zurück, es waren ohnehin zu viele umgekommen. Statt dessen versuchten sie nun, dem Volk zu dienen und zu helfen, wo sie konnten. Aber wenn sie es vermeiden können, lassen sie sich nicht mehr mit den Herrschern ein. Sie haben eine bittere Lektion gelernt.«

Kahlan wich seinem Blick aus, dann fuhr sie fort. »Aus irgendeinem Grund bedarf es des einzigartigen Mitgefühls einer Frau, die Kraft zu beherrschen und sich von ihrem korrumpierenden Einfluß frei zu machen. Den Grund dafür kennen auch die Zauberer nicht. Mit dem Sucher ist es ähnlich. Auch er muß genau der richtige sein, ausgewählt von einem Zauberer, oder er läßt sich von der Macht korrumpieren. Deswegen war Zedd auch so wütend, daß ihm der Rat der Midlands die Ernennung abgenommen hat. Die meisten männlichen Konfessoren, nicht alle, verlieren das Gefühl für die Ausgewogenheit ihrer Kraft. Ihnen fehlt die Fähigkeit, sie im entscheidenden Augenblick zurückzuhalten.« Sie sah ihn von unten an. »Wenn sie eine Frau wollten, haben sie einfach ihre Kraft benutzt und sie genommen. Viele. Ihnen fehlte jede Beherrschung oder Verantwortung für das, was sie taten. Nach dem, was man mir erzählt hat, waren die finsteren Zeiten eine einzige lange Nacht des Terrors. Das Regime herrschte viele Jahre. Die Zauberer mußten eine Menge Leute töten. Nach und nach töteten sie alle Nachkommen dieser Gier und verhinderten so, daß sich die Kraft unkontrolliert ausbreiten konnte. Zu behaupten, die Zauberer wären ungehalten darüber gewesen, wäre stark untertrieben.«

»Aber was passiert denn nun?« fragte er matt. »Was geschieht; wenn ein Konfessor ein männliches Kind trägt?«

Sie räusperte sich und schluckte ihr Schluchzen hinunter. »Bringt ein Konfessor einen Jungen zur Welt, dann bringt man ihn an einen besonderen Ort in Aydindril, wo seine Mutter ihn auf den Stein setzt.« Sie verlagerte ihr Gewicht; offensichtlich fiel es ihr schwer, ihm das zu erzählen. Er nahm ihre zarte Hand in beide Hände, strich ihr über den Handrücken, auch wenn er zum ersten Mal das Gefühl hatte, kein Recht zu haben, sie in vertrauter Weise zu berühren. »Wie gesagt, ein Mann, der von einem Konfessor berührt worden ist, wird tun, was immer sie ihm sagt.« Er spürte, wie ihre Hand zitterte. »Die Mutter befiehlt ihrem Mann, was er zu tun hat … und er … legt dem Baby eine Stange auf die Kehle … und tritt auf beide Enden.«

Richard ließ ihre Hand los. Er raufte sich die Haare, drehte sich zum Feuer. »Jeden kleinen Jungen?«

»Ja«, gestand sie mit kaum hörbarer Stimme. »Auf keinen Fall darf riskiert werden, daß ein männlicher Konfessor überlebt, denn es könnte sein, daß er nicht in der Lage ist, die Kraft zu beherrschen, und sie zu seinen eigenen Zwecken mißbraucht. Es wäre die Rückkehr der finsteren Zeit. Die Zauberer und die anderen Konfessoren behalten jeden schwangeren Konfessor sorgfältig im Auge und tun alles, um sie zu trösten, sollte es sich um einen Jungen handeln, der dann…« Ihre Stimme versagte.

Plötzlich wurde Richard bewußt, daß er die Midlands haßte, und das mit einer Besessenheit, die nur der Darken Rahls nachstand. Zum ersten Mal begriff er, warum die Menschen in Westland ein Land ohne Magie gewollt hatten. Er wünschte sich dorthin zurück, fort von aller Zauberei. Tränen traten ihm in die Augen, so sehr vermißte er die Wälder Kernlands. Er schwor sich, sollte es ihm gelingen, Darken Rahl aufzuhalten, dafür zu sorgen, daß die Grenze wieder errichtet wurde. Zedd würde ihm zweifellos dabei helfen. Jetzt verstand Richard, warum Zedd aus den Midlands fortgewollt hatte. Und wenn die Grenze wieder errichtet wurde, würde Richard auf der anderen Seite sein. Sein Leben lang.

Aber da war noch die Geschichte mit dem Schwert. Er wollte es auf keinen Fall zurückgeben. Er nahm sich vor, es zu zerstören.

»Danke, Kahlan«, zwang er sich zu sagen, »daß du es mir erzählt hast. Ich hätte es nur ungerne von einem Fremden erfahren.« Seine Worte verwelkten zu Bedeutungslosigkeit. Der Sieg über Rahl war in seiner Vorstellung immer der Beginn eines neuen Lebens gewesen, ein Punkt, von dem aus es nur aufwärts ging und alles möglich war. Jetzt war es auf einmal das Ende. Nicht nur für Rahl, auch für ihn. Danach kam nichts mehr, danach war alles tot. Wenn er Rahl aufgehalten hatte und Kahlan in Sicherheit war, würde er in die Wälder Kernlands zurückkehren, allein. Sein Leben wäre vorbei.

Er hörte sie hinter sich weinen. »Wenn du mich verlassen willst, Richard, hab bitte keine Angst, es mir zu sagen. Ich würde es verstehen. Konfessoren sind daran gewöhnt.«

Er blickte einen Augenblick in das erlöschende Feuer, dann kniff er die Augen zu, zwang den Kloß in seiner Kehle hinunter, kämpfte gegen die Tränen an. Sprechen konnte er nicht. Ein Schmerz brannte in seiner Brust, jedesmal wenn er mühsam Luft holte.

»Bitte, Kahlan. Gibt es irgendeinen Weg«, fragte er, »egal, welchen …. daß wir … für uns…«

»Nein«, stöhnte sie.

Er rieb seine zitternden Hände. Er hatte alles verloren.

»Kahlan«, brachte er endlich hervor, »gibt es irgendeine Regel, ein Gesetz, das uns verbietet, Freunde zu sein?«

Sie antwortete unter lautem Schluchzen. »Nein.«

Wie betäubt drehte er sich zu ihr um und schlang die Arme um sie. »Im Augenblick könnte ich einen Freund gut gebrauchen«, sagte er leise.

»Ich auch«, sagte sie, weinend an seine Brust geschmiegt. Sie erwiderte seine Umarmung. »Aber mehr kann ich nicht sein.«

»Ich weiß«, sagte er, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Trotzdem, Kahlan, ich liebe…«

Sie legte ihm den Zeigefinger auf den Mund und brachte ihn zum Schweigen. »Sprich es nicht aus«, schluchzte sie. »Bitte, Richard, sprich es niemals aus.«

Sie konnte ihn daran hindern, es laut auszusprechen, aber nicht, es zu denken.

Sie klammerte sich schluchzend an ihn, und er mußte an die Launenfichte kurz nach ihrer ersten Begegnung denken, als die Unterwelt sie fast wieder zurückgefordert hatte. Auch da hatte sie sich so an ihn geklammert, und er hatte geglaubt, sie sei nicht gewöhnt, daß jemand sie so umarmte. Jetzt wußte er, warum. Er legte seinen Kopf an ihren.

Eine winzige Flamme des Zorns flackerte in seiner verglühten Welt auf. »Hast du schon einen Gatten erwählt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Im Augenblick habe ich wichtigere Sorgen. Aber wenn wir gewinnen und ich überlebe … muß ich es tun.«

»Versprich mir eins.«

»Wenn ich kann.«

Seine Kehle war so heiß, er mußte zweimal schlucken, um sprechen zu können. »Versprich mir, ihn erst zu erwählen, wenn ich wieder in Westland bin. Ich möchte nicht wissen, wer es ist.«

Ein kurzes Schluchzen, dann antwortete sie. Sie krallte sich noch fester in sein Hemd. »Ich verspreche es.«

Lange Zeit stand er nur da, hielt sie fest, versuchte, sich zu beherrschen, dann zwang er sich zu einem Lächeln. »In einem Punkt irrst du dich.«

»Und das wäre?«

»Du hast behauptet, kein Mann könne über einen Konfessor gebieten. Du irrst dich. Ich gebiete sogar über die Mutter Konfessor. Du hast geschworen, mich zu beschützen, und ich habe dich als Führerin in meine Pflicht genommen.«

Sie schmiegte sich an seine Brust und lachte kurz und gequält auf. »Ich glaube, du hast recht. Gratuliere, du bist der erste Mann, der das geschafft hat. Und was verlangt mein Herr und Gebieter von seiner Führerin?«

»Daß sie mir keinen Ärger mehr macht und nicht versucht, sich das Leben zu nehmen. Ich brauche sie. Und sie wird uns zur Königin bringen und zu dem Kästchen und dann wieder sicher zurück.«

Kahlan nickte. »Dein Wunsch sei mir Befehl, Mylord.« Sie löste sich von ihm, legte ihm die Hände auf die Oberarme und drückte sie. Sie lächelte tränenüberströmt. »Du schaffst es immer wieder, daß es mir in den schlimmsten Augenblicken meines Lebens bessergeht.«

Er zuckte mit den Achseln und zwang sich zu einem Grinsen. Obwohl er innerlich das Gefühl hatte zu sterben. »Ich bin der Sucher. Ich kann tun, was ich will.« Er wollte noch etwas sagen, aber seine Stimme versagte.

Sie begann zu strahlen. Und schüttelte den Kopf. »Menschen wie dich gibt es nicht viele, Richard Cypher«, flüsterte sie.

Er wünschte sich nur, allein zu sein, damit er losheulen könnte. Oder sterben.

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