Am nächsten Morgen bildete Denna ihn nicht aus, sondern nahm ihn mit auf einen Spaziergang. Meister Rahl hatte gesagt, er wolle Richard nach der zweiten Andacht sehen. Als sie vorüber war und sie gerade gehen wollten, stellte sich Constance ihnen in den Weg.
»Du siehst heute überraschend gut aus, Schwester Denna.«
Denna sah sie ohne Regung an. Richard war wütend auf Constance, weil sie mit Meister Rahl über Denna gesprochen hatte, damit sie bestraft wurde, und mußte sich auf Dennas Zopf konzentrieren.
Constance drehte sich zu Richard. »Ich habe gehört, du sollst heute eine Audienz bei Meister Rahl bekommen. Wenn du danach noch lebst, werden wir uns häufiger sehen. Und zwar allein. Ich will sozusagen auch ein Stück von dir, wenn er mit dir fertig ist.«
Er sprach, ohne nachzudenken. »Das Jahr, in dem man Euch ausgewählt hat, Herrin Constance, muß ein Jahr verzweifelten Mangels gewesen sein, sonst hätte man niemals jemanden von so beschränkter Intelligenz zur Mord-Sith gemacht. Nur der Dümmste stellt seine eigenen armseligen Ziele über den Wert einer Freundin. Besonders wenn es sich um eine handelt, die so viel für Euch geopfert hat. Ihr seid es nicht wert, den Strafer von Herrin Denna zu küssen.« Richard setzte ein glattes, zufriedenes Lächeln auf, als sie wie vom Blitz getroffen dastand. »Ihr solltet darauf hoffen, daß Meister Rahl mich tötet, Herrin Constance, denn wenn er das nicht tut, werde ich Euch bei unserer nächsten Begegnung töten für das, was Ihr Herrin Denna angetan habt.«
Constance starrte ihn schockiert an, dann plötzlich ging sie mit ihrem Strafer auf ihn los. Dennas Arm war länger. Sie riß ihn hoch und rammte Constance ihren Strafer gegen den Kehlkopf, um sie zurückzuhalten. Constances Augen traten überrascht heraus. Sie hustete Blut, sackte auf die Knie und faßte sich mit beiden Händen an die Kehle.
Denna starrte einen Augenblick auf sie herab, bevor sie ohne ein Wort ging. Richard, angekettet, folgte ihr.
Denna hielt den Blick geradeaus gerichtet und verriet keine Regung. »Rate mal, wie viele Stunden dir das eingebracht hat.«
Richard mußte grinsen. »Herrin Denna, wenn je eine Mord-Sith einem Toten einen Schrei entlockt hat, dann Ihr.«
»Und wenn Meister Rahl dich nicht tötet, wie viele Stunden dann?«
»Herrin Denna, ein Leben hat nicht genug Stunden, um meine Freude über das, was ich getan habe, zu trüben.«
Sie lächelte ein wenig, sah ihn aber nicht an. »Ich bin nur froh, daß es dir das wert war.« Sie sah ihn schräg von der Seite an. »Ich begreife dich noch immer nicht. Deinen Worten zufolge können wir nicht mehr oder weniger sein, als wir sind. Ich bedauere, daß ich nicht mehr sein kann, als ich bin, und ich fürchte, du kannst nicht weniger sein. Wären wir keine Krieger, die in diesem Krieg auf verschiedenen Seiten kämpfen, ich würde dich mein Leben lang als Gatten behalten und alles daransetzen, dich an Altersschwäche sterben zu sehen.«
Ihr sanfter Ton erwärmte Richard. »Ich würde mein Bestes versuchen, für Euch ein langes Leben zu leben, Herrin Denna.«
Sie gingen weiter durch die Hallen, vorbei an den Andachtsplätzen, den Statuen, den Menschen. Sie führte ihn Treppen hinauf, durch gewaltige, erlesen dekorierte Säle. Vor einer Doppeltür mit Schnitzereien einer ausgedehnten Hügel- und Waldlandschaft, die mit Gold überzogen waren, blieb sie stehen.
Denna sah ihn an. »Bist du bereit, an diesem Tag zu sterben, mein Geliebter?«
»Noch ist der Tag nicht vorbei, Herrin Denna.«
Sie schlang ihm die Arme um den Hals und küßte ihn zärtlich. Dann nahm sie ihr Gesicht ein paar Zentimeter zurück und streichelte ihm über den Hinterkopf. »Verzeih mir, daß ich dir das antue, Richard, aber man hat mich dazu abgerichtet. Ich kann nicht anders, es ist mein Lebenszweck, dir weh zu tun. Ich tue es nicht aus freien Stücken, sondern weil man mich dazu abgerichtet hat, das solltest du wissen. Ich kann nichts anderes sein als das, was ich bin. Eine Mord-Sith. Solltest du an diesem Tage sterben, mein Geliebter, dann erfülle mich mit Stolz und stirb aufrecht.«
Er war der Lebensgefährte einer Wahnsinnigen, dachte er traurig. Und sie konnte nicht einmal etwas dafür.
Sie drückte die Tür auf und betrat einen imposanten Garten. Hätte Richard nichts anderes im Kopf gehabt, er wäre beeindruckt gewesen. Sie gingen einen Weg zwischen Blumen und Sträuchern entlang, vorbei an niedrigen, weinumrankten Steinmauern und kleinen Bäumen und erreichten eine weite Rasenfläche. Ein Glasdach ließ das Licht herein, damit die Pflanzen gesund blieben und in Blüte standen.
Ein gutes Stück entfernt standen zwei vollkommen gleich aussehende riesige Männer. Sie hatten die Arme verschränkt und trugen dicht über den Ellbogen Metallbänder mit spitzen Dornen. Seitlich von ihnen stand noch ein Mann. Die Muskeln auf seiner glatten Brust wölbten sich beeindrukkend. Sein kurzgeschorenes blondes Haar stand borstengleich in die Höhe und wurde von einem einzelnen, schwarzen Streifen durchkreuzt.
Nahe der Mitte des Rasens, dicht bei einem weißen Rund aus Sand, stand, beschienen vom warmen Licht der Nachmittagssonne, mit dem Rücken zu ihnen ein Mann. Das Sonnenlicht ließ seinen weißen Umhang und sein schulterlanges blondes Haar erglühen und brach sich funkensprühend am Gold seines Gürtels und am gebogenen Dolch an seiner Hüfte.
Als sie sich ihm näherten, fiel Denna auf die Knie und berührte mit der Stirn den Boden. Richard hatte Anweisungen bekommen, schob sein Schwert zur Seite und tat es ihr nach.
Zusammen intonierten sie: »Führe uns, Meister Rahl. Lehre uns, Meister Rahl. In deinem Licht werden wir gedeihen. Deine Gnade gebe uns Schutz. Deine Weisheit beschämt uns. Wir leben nur, um zu dienen. Unser Leben gehört dir.«
Sie intonierten den Gesang nur ein einziges Mal, dann warteten sie. Richard zitterte leicht. Er dachte daran, daß er Meister Rahl niemals hätte nahe kommen dürfen, daß er sich von ihm hatte fernhalten sollen, doch wer ihm das gesagt hatte, wußte er nicht mehr — nur daß es wichtig war. Er mußte sich auf Dennas Zopf konzentrieren, um die Wut über das, was Meister Rahl ihr angetan hatte, zu unterdrücken.
»Erhebt euch, meine Kinder.«
Richard stand Schulter an Schulter mit Herrin Denna, während ihn blaue Augen eindringlich musterten. Daß das Gesicht des Meisters Freundlichkeit, Intelligenz und Güte auszustrahlen schien, besänftigte weder Richards bohrende Sorgen noch seine Gedanken, die dicht unter der Oberfläche brodelten. Die blauen Augen schweiften zu Denna.
»Du siehst heute morgen überraschend gut aus, meine Gespielin.«
»Wenn es um Schmerzen geht, ist Herrin Denna im Nehmen ebenso gut wie im Geben, Meister Rahl«, hörte Richard sich sagen.
Die blauen Augen wandten sich ihm wieder zu. Die Ruhe, der Frieden in Rahls Gesicht ließen Richard erschaudern. »Meine Gespielin hat mir berichtet, daß du nichts als Ärger machst. Dem Anschein nach hat sie nicht gelogen. Das freut mich. Was mich nicht freut, ist, daß es der Wahrheit entspricht.« Er klatschte gelassen in die Hände. »Nun, wie auch immer. Schön, dich endlich kennenzulernen, Richard Cypher.«
Denna rammte ihm den Strafer mit einem heftigen Stoß in den Rücken, um ihn daran zu erinnern, was er zu sagen hatte. »Es ist mir eine Ehre, hier zu sein, Meister Rahl. Ich lebe nur, um zu dienen. Eure Gegenwart beschämt mich.«
Ein dünnes Lächeln umspielte Rahls Lippen. »Ja, davon bin ich überzeugt.« Einen unangenehmen Augenblick lang musterte er Richards Gesicht. »Ich habe einige Fragen. Du wirst sie mir beantworten.«
Richard spürte, wie er leicht zitterte. »Ja, Meister Rahl.«
»Knie dich hin«, sagte er leise.
Mit Hilfe des Strafers fiel Richard auf die Knie. Denna trat hinter ihn. Dann preßte sie ihm die Schenkel gegen die Schultern, um ihn zu stützen, um einen besseren Hebel zu haben, während sie sein Haar mit einer Faust packte. Sie zog seinen Kopf ein Stück nach hinten, so daß er gezwungen war, in die blauen Augen des Meisters zu blicken. Richard schluckte entsetzt.
Darken Rahl blickte ohne Regung auf ihn herab. »Hast du das Buch der Gezählten Schatten schon einmal gesehen?«
Irgendeine Macht in einem Winkel seines Verstandes riet Richard, nicht zu antworten. Als er schwieg, wurde Dennas Griff in seinem Haar fester, und sie bohrte ihm den Strafer in den Nacken.
In seinem Kopf explodierte ein überwältigender Schmerz. Dennas Griff in seinem Haar war alles, was ihn noch aufrecht hielt. Es war, als hätte sie den Schmerz eines ganzen Tages Ausbildung in diese eine Berührung gesteckt. Er war bewegungsunfähig, bekam keine Luft, konnte nicht einmal losbrüllen. Er befand sich jenseits allen Schmerzes. Der Schock raubte ihm sämtliches Sein und ließ an dessen Stelle nichts zurück außer alles verschlingenden Höllenqualen aus Feuer und Eis. Sie nahm den Strafer fort. Er wußte nicht, wo er war, wer er war, wer ihn hielt. Er wußte nur, daß er nie größeren Schmerz erfahren hatte und daß vor ihm ein Mann stand, der in einen weißen Umhang gehüllt war.
Blaue Augen blickten auf ihn herab. »Hast du das Buch der Gezählten Schatten schon einmal gesehen?«
»Ja«, hörte er sich sagen.
»Wo ist es jetzt?«
Richard zögerte, er wußte nicht, wie er antworten sollte. Er wußte nicht, was diese Stimme von ihm wollte. Wieder explodierte der Schmerz in seinem Kopf. Als er nachließ, liefen ihm die Tränen über die Wangen.
»Wo ist es jetzt?« wiederholte die Stimme.
»Bitte, tut mir nicht mehr weh«, jammerte er. »Ich verstehe die Frage nicht.«
»Was gibt es da nicht zu verstehen? Sag mir einfach, wo das Buch sich jetzt befindet.«
»Das Buch oder das Wissen aus dem Buch?« fragte Richard ängstlich nach.
Die blauen Augen verfinsterten sich fragend. »Das Buch.«
»Ich habe es den Flammen übergeben. Vor Jahren schon.«
Richard glaubte, die Augen würden ihn in Stücke reißen. »Und wo befindet sich das Wissen?«
Richard zögerte einen Augenblick zu lange. Als er wieder bei Bewußtsein war, riß Denna gerade seinen Kopf nach hinten, damit er wieder in die blauen Augen blickte. Richard hatte sich noch nie so allein gefühlt, so hilflos, so voller Angst.
»Wo befindet sich das Wissen, das in dem Buch stand?«
»In meinem Kopf. Bevor ich das Buch verbrannt habe, habe ich die Worte, das Wissen, auswendig gelernt.«
Der Mann stand da und starrte, regungslos. Richard wimmerte leise vor sich hin.
»Sag die Worte des Buches auf.«
Um nichts auf der Welt wollte Richard ein weiteres Mal den Strafer an seinem Hinterkopf spüren. Er zitterte vor Angst. »Die Wahrheit der Worte aus dem Buch der Gezählten Schatten, so sie von einem anderen gesprochen werden als dem, der über die Kästchen gebietet, kann nur bestätigt werden durch den Einsatz eines Konfessors…«
Konfessor.
Kahlan.
Der Name Kahlan schoß wie ein Blitz durch Richards Verstand. Die Kraft erwachte zum Leben mit Gebrüll, fegte den Nebel mit einem weißglühenden Aufflackern seiner Erinnerung fort. Alles stürzte auf ihn ein, zurückgeholt durch die in ihm aufsteigende Kraft. Richard wurde eins mit der Kraft, als er daran dachte, Darken Rahl könnte Kahlan besitzen. Oder ihr weh tun.
Darken Rahl wandte sich an die anderen Männer. Der mit dem schwarzen Streifen trat vor.
»Siehst du, mein Freund? Das Schicksal arbeitet für mich. Sie ist mit dem Alten bereits auf dem Weg hierher. Finde sie. Sorge dafür, daß man sie zu mir bringt. Nimm dir zwei Quadrone, aber ich will sie lebend, hast du verstanden?« Der Mann nickte. »Du und deine Männer, ihr steht unter dem Schutz meines Zaubers. Der Alte ist bei ihr, aber gegen einen Zauber aus der Unterwelt ist er machtlos, wenn er dann überhaupt noch lebt.« Rahls Stimme wurde härter. »Noch etwas, Demmin. Es schert mich nicht, was deine Männer mit ihr machen. Aber wenn sie hier eintrifft, sollte sie leben und in der Lage sein, ihre Fähigkeiten einzusetzen.«
Ein Teil der Farbe wich aus seinem Gesicht. »Ich verstehe. Es wird geschehen, wie Ihr es wünscht, Lord Rahl.« Er machte eine tiefe Verbeugung.
Er machte kehrt und ging, nicht ohne Richard kurz mit einem wissenden Lächeln in die Augen gesehen zu haben.
Darken Rahl fixierte Richard wieder mit seinen blauen Augen. »Fahr fort.«
Richard war so weit gegangen, wie er gehen wollte. Er erinnerte sich an alles.
Es war Zeit, zu sterben.
»Das werde ich nicht. Es gibt nichts, womit Ihr mich zwingen könntet, es Euch zu sagen. Ich heiße die Schmerzen willkommen. Und den Tod.«
Bevor der Strafer treffen konnte, zuckten Rahls Augen hoch zu Denna. Richard spürte, wie sich der Griff ihrer Faust in seinem Haar lockerte. Einer der Wachen kam heranmarschiert, packte sie mit seiner Pranke an der Kehle und drückte zu. Richard hörte, daß sie Mühe hatte, Luft zu bekommen.
Rahl funkelte sie an. »Du hast mir gesagt, er sei gebrochen.«
»Das war er auch, Meister Rahl.« Das Sprechen im Würgegriff bereitete ihr Mühe. »Ich schwöre es.«
»Ich bin sehr enttäuscht von dir, Denna.«
Richard hörte ihr gequältes Jammern, als der Mann sie von den Füßen hob. Die Kraft in seinem Innern verwandelte sich in weiße Glut. Jemand tat Denna weh. Bevor irgend jemand wußte, was geschah, war er auf den Beinen. Die magische Kraft jagte durch seinen Körper.
Richard schlang dem Mann einen Arm um seinen dicken Hals und packte die gegenüberliegende Schulter. Dann, schneller als ein Augenzwinkern, hatte er mit dem anderen Arm den Kopf des Mannes gepackt und versetzte ihm einen kräftigen Ruck. Das Genick des Mannes brach mit einem peitschenden Knall. Er sackte zu einem Klumpen zusammen. Richard wirbelte herum. Der andere Posten hatte ihn fast erreicht, streckte bereits die Hand aus. Richard packte ihn am Handgelenk und nutzte seine auf ihn zuschnellende Kraft, ihn in das Messer zu ziehen. Er stieß es bis zur Faust hinein und riß es mit voller Kraft nach oben und zerteilte seinen Leib bis zum Herz. Der Mann riß überrascht die Augen auf.
Richard strotzte vor Kraft. Am Rand seines Blickfeldes wurde alles weiß. Weiß von der Glut der Magie. Denna hielt sich vor Schmerz die Kehle.
Darken Rahl stand ungerührt da, befeuchtete sich die Fingerspitzen und betrachtete Richard.
Denna löste den magischen Schmerz aus und zwang Richard auf die Knie. Er hielt sich den Unterleib.
»Meister Rahl«, brachte Denna nach Luft schnappend hervor, »laßt ihn mich heute nacht noch einmal mitnehmen. Ich schwöre, morgen früh wird er alles beantworten, was Ihr ihn fragt. Wenn er dann noch lebt. Gestattet mir, meinen Fehler wiedergutzumachen.«
»Nein«, erwiderte Rahl, tief in Gedanken mit der Hand fuchtelnd. »Ich muß mich entschuldigen, meine Kleine. Der Fehler liegt nicht bei dir. Ich hatte keine Ahnung, mit wem wir es zu tun haben. Stell seine Schmerzen ab.«
Richard erholte sich und kam wieder auf die Beine. Der Nebel aus seinem Kopf war verschwunden. Es war, als erwachte er aus einem Traum, nur um sich in einem Alptraum wiederzufinden. Was von ihm übrig war, hatte die kleine, verriegelte Kammer in seinem Verstand verlassen, und er hatte nicht vor, es dort wieder wegzuschließen. Er wollte bei vollem Verstand sterben, mit all seiner Würde. Nach wie vor unterdrückte er seine Wut, aber sein Blick war voller Feuer. Feuer aus seinem Herzen.
»Hat dir das der Alte beigebracht?« fragte Rahl und legte interessiert die Stirn in Falten.
»Beigebracht? Was denn?«
»Deinen Verstand abzuteilen. Dadurch hast du verhindert gebrochen zu werden.«
»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet.«
»Man baut eine Trennwand auf, um den Kern zu schützen. Den Rest opfert man den Qualen. Keine Mord-Sith kann einen abgeteilten Verstand brechen. Quälen, ja. Nicht aber brechen.« Er wandte sich an Denna. »Ich möchte mich noch einmal bei dir entschuldigen, meine Gespielin. Ich dachte, du hättest mich im Stich gelassen. Aber das hast du nicht. Nur jemand mit größtem Talent konnte ihn so weit bringen. Du hast gute Arbeit geleistet, trotzdem ändert dies alles.« Lächelnd befeuchtete er seine Fingerspitzen und glättete seine Brauen. »Richard und ich werden uns jetzt unter vier Augen unterhalten. Solange er mit mir in diesem Zimmer ist, möchte ich, daß du ihn ohne den magischen Schmerz sprechen läßt. Das könnte meine Absichten stören. Solange er hier ist, muß er von deiner Kontrolle befreit sein. Du kannst in dein Quartier zurückgehen. Wenn ich mit ihm fertig bin und er noch lebt, werde ich ihn wie versprochen zu dir zurückschicken.«
Denna machte eine tiefe Verbeugung. »Ich lebe, um zu dienen, Meister Rahl.«
Sie drehte sich mit dunkelrotem Gesicht zu Richard, legte ihm einen Finger unters Kinn und hob es ein wenig an. »Enttäusche mich nicht, mein Geliebter.«
Der Sucher lächelte. »Niemals, Herrin Denna.«
Als sie ging, ließ er seinem Zorn freien Lauf, nur um ihn noch einmal zu spüren. Den Zorn auf sie und auf das, was man ihr angetan hatte. Denk nicht über das Problem nach, redete er sich ein, sondern über die Lösung. Richard drehte sich um und sah Darken Rahl ins Gesicht. Das Gesicht seines Gegenübers blieb gelassen, zeigte keinerlei Regung. Richard zwang sich zu der gleichen Haltung.
»Du kannst dir denken, daß ich wissen will, was sonst noch in dem Buch steht.«
»Tötet mich.«
Rahl lächelte. »Wir haben es wohl recht eilig, zu sterben, was?«
»Ja. Tötet mich. Genau, wie Ihr meinen Vater getötet habt.«
Darken Rahl runzelte die Stirn, das Lächeln noch immer auf den Lippen. »Deinen Vater? Ich habe deinen Vater nicht getötet, Richard.«
»George Cypher! Ihr habt ihn umgebracht! Versucht nicht, es zu leugnen! Ihr habt ihn mit dem Messer an Eurem Gürtel getötet!«
Rahl breitete in gespielter Unschuld seine Hände aus. »Oh, ich bestreite nicht, George Cypher getötet zu haben. Aber deinen Vater habe ich nicht umgebracht.«
Damit hatte er Richard auf dem falschen Fuß erwischt. »Wovon sprecht Ihr?«
Darken Rahl schlenderte um ihn herum. Richard versuchte, ihm mit dem Blick zu folgen. »Nicht schlecht. Wirklich. Das beste, das ich je gesehen habe. Der Alte hat es höchstpersönlich gewoben.«
»Aber was?«
Darken Rahl befeuchtete seine Finger und blieb vor ihm stehen. »Das magische Netz um dich. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Es ist so fest um dich gewickelt wie ein Kokon. Es ist ziemlich fein verwoben, ich glaube, nicht einmal ich könnte es entwirren.«
»Wenn Ihr versucht, mich zu überzeugen, daß George Cypher nicht mein Vater ist, so wird Euch das nicht gelingen. Und wenn Ihr mich davon überzeugen wollt, daß Ihr wahnsinnig seid, braucht Ihr Euch die Mühe gar nicht erst zu machen. Das weiß ich bereits.«
»Mein lieber Junge«, lachte Rahl, »es ist mir völlig egal, wen du für deinen Vater hältst. Nichtsdestotrotz hält das magische Netz die Wahrheit von dir fern.«
»Wirklich? Gut, ich spiele mit. Wer ist also mein Vater, wenn es nicht George Cypher ist?«
»Das weiß ich nicht.« Rahl zuckte mit den Achseln. »Das verbirgt das Netz. Aber nach dem, was ich gesehen habe, habe ich einen Verdacht.« Das Lächeln verschwand. »Was steht im Buch der Gezählten Schatten?«
Richard zuckte mit den Achseln. »Das ist Eure Frage? Ihr enttäuscht mich.«
»Wie das?«
»Nun, nach dem, was man Eurem Vater angetan hat, dachte ich, Ihr wolltet bestimmt den Namen des alten Zauberers wissen.«
Darken Rahl machte ein wütendes Gesicht und befeuchtete sich langsam die Fingerspitzen. »Wie lautet der Name des alten Zauberers?«
Jetzt war Richard an der Reihe, zu lächeln. Er breitete die Arme aus. »Schneidet mich auf. Es steht in meinen Gedärmen geschrieben. Ihr werdet dort danach suchen müssen.«
Richard behielt sein spöttisches Grinsen bei. Er wußte, daß er schutzlos war, und hoffte, Darken Rahl würde sich provozieren lassen, ihn zu töten. Mit seinem Tod würde auch das Buch sterben. Kein Kästchen, kein Buch. Rahl würde sterben, und Kahlan wäre in Sicherheit. Das war alles, was zählte.
»Der erste Tag des Winters ist in einer Woche. Bis dahin werde ich den Namen des Zauberers wissen und die Macht haben, ihn herbeizuschaffen, wo immer er sich aufhält.«
»In einer Woche seid Ihr tot. Ihr besitzt nur zwei der Kästchen.«
Darken Rahl befeuchtete sich ein weiteres Mal die Finger und strich sich damit über die Lippen. »Im Augenblick besitze ich zwei. Das dritte befindet sich jetzt, in diesem Augenblick, auf dem Weg hierher.«
Richard versuchte, ihm nicht zu glauben, sich nichts anmerken zu lassen. »Ein mutiger Bluff. Trotzdem eine Lüge. In einer Woche werdet Ihr sterben.«
Rahl zog die Brauen hoch. »Ich sage die Wahrheit. Man hat dich verraten. Und derselbe, der dich an mich verraten hat, hat auch das Kästchen an mich verraten. Es wird in ein paar Tagen hier sein.«
»Ich glaube Euch nicht«, sagte Richard tonlos.
Darken Rahl befeuchtete sich die Fingerspitzen, drehte sich um und umrundete den Kreis aus weißem Sand. »Nein? Ich will dir etwas zeigen.«
Richard folgte ihm zu einem weißen Steinblock, auf dem eine Granittafel lag, die von zwei gekehlten Säulen getragen wurde. Auf der Tafel standen zwei Kästchen der Ordnung. Eines war reich mit Juwelen verziert wie das eine, das Richard schon gesehen hatte. Das andere war schwarz wie der Stein der Nacht, die Oberfläche ein Vakuum im Licht des Raumes: das Kästchen selbst. Die Schutzhülle hatte man entfernt.
»Zwei der Kästchen der Ordnung«, verkündete Rahl und deutete mit der Hand auf sie. »Warum sollte ich das Buch haben wollen? Ohne das dritte Kästchen wäre das Buch für mich ohne Wert. Du hattest das dritte Kästchen. Das hat mir der preisgegeben, der dich verraten hat. Wäre das Kästchen nicht auf dem Weg hierher, wozu brauchte ich dann das Buch? Ich würde dich statt dessen aufschneiden, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren.«
Richard bebte vor Wut. »Wer hat mich und das Kästchen verraten? Sag mir den Namen.«
»Und wenn nicht? Willst du mich dann aufschlitzen und den Namen in meinen Eingeweiden lesen? Ich gebe den Namen dessen, der mir geholfen hat, nicht preis. Du bist nicht der einzige Mensch mit Ehrgefühl.«
Richard wußte nicht, was er glauben sollte. In einem Punkt hatte Rahl recht. Solange er nicht alle drei Kästchen hatte, brauchte er das Buch nicht. Tatsächlich hatte ihn jemand verraten. Es war unmöglich, und doch mußte es stimmen.
»Bringt mich einfach um«, sagte Richard mit schwacher Stimme und drehte sich um. »Ich werde es Euch nicht sagen, Ihr könnt mich genausogut umbringen.«
»Zuerst mußt du mich davon überzeugen, daß du die Wahrheit sprichst. Du könntest mich mit der Behauptung täuschen, das ganze Buch zu kennen. Vielleicht hast du bloß die erste Seite gelesen, bevor du es verbrannt hast, oder den Text erfunden.«
Richard verschränkte die Arme und blickte über die Schulter. »Und warum sollte ich wollen, daß Ihr mir glaubt?«
Rahl zuckte mit den Achseln. »Ich dachte, dir läge etwas an diesem Konfessor. Kahlan. Ich hatte geglaubt, dir läge etwas daran, was mit ihr geschieht. Solltest du mich nicht davon überzeugen können, daß du die Wahrheit sprichst, dann werde ich sie aufschneiden und einen Blick auf ihre Eingeweide werfen müssen, um festzustellen, ob sie etwas dazu zu sagen haben.«
Richard sah ihn wütend an. »Das wäre der größte Fehler, den Ihr machen könnt. Ihr braucht sie, um die Wahrheit des Buches zu bestätigen. Wenn Ihr ihr etwas antut, macht Ihr Eure eigene Chance zunichte.«
Rahl zuckte mit den Achseln. »Das sagst du. Wie soll ich wissen, daß du tatsächlich weißt, was in dem Buch steht? Könnte sein, daß sie auf ebendiese Weise seine Wahrheit bestätigt.«
Richard sagte nichts, seine Gedanken schwirrten in tausend Richtungen gleichzeitig. Denk an die Lösung, redete er sich ein, nicht an das Problem.
»Das Buch der Gezählten Schatten ist nicht die einzige Wissensquelle über die Kästchen. Es gibt andere Stellen, die mir dienlich sein können.« Er blickte auf das schwarze Kästchen herab. »Es hat einen ganzen Tag und all mein Können in Anspruch genommen, die Hülle abzubekommen.« Er schaute wieder auf, zog eine Braue hoch. »Sie wird nur durch Magie gehalten. Trotzdem habe ich es geschafft, und ich werde es auch bei den beiden anderen schaffen.«
Daß Rahl die Hülle abbekommen hatte, war entmutigend. Wollte man ein Kästchen öffnen, wenn man alle drei beisammenhatte, mußte die Hülle entfernt werden. Richard hatte darauf gehofft, Rahl wäre ohne das Buch nicht in der Lage, die Hüllen zu entfernen und die Kästchen zu öffnen. Diese Hoffnung war nun dahin.
Richard starrte mit leerem Blick auf das juwelengeschmückte Kästchen. »Seite zwölf des Buches der Gezählten Schatten. Unter der Überschrift Abnehmen der Hüllen heißt es dort: Die Abdeckung der Kästchen darf von jedem entfernt werden, der über das Wissen verfügt, nicht nur von dem, der sie ins Spiel gebracht hat.« Richard streckte die Hand aus und hob das juwelenbesetzte Kästchen vom Granit. »Seite siebzehn, dritter Absatz von oben. Ist es nicht in den Stunden der Dunkelheit, sondern in den Stunden des Sonnenlichts, dann kann die Hülle des zweiten Kästchens auf folgende Art entfernt werden. Man halte das Kästchen so, daß die Sonne darauf fällt, und blicke nach Norden. Gibt es dort Wolken, so halte man das Kästchen dorthin, wo die Sonne darauf fallen würde, wären sie nicht vorhanden, blicke dabei aber nach Westen.« Richard hielt das Kästchen in das Licht des späten Nachmittags. »Man drehe das Kästchen so, daß die schmale Seite mit dem blauen Stein auf den Quadranten mit der Sonne gerichtet ist.« Richard drehte das Kästchen. »Mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf dem gelben Stein in der Mitte der Oberseite lege man den Daumen der rechten Hand auf den durchsichtigen Stein in der Ecke der Unterseite.« Richard faßte das Kästchen wie angegeben an. »Man lege den Zeigefinger der Linken auf den blauen Stein auf der abgewandten Seite, den Daumen der Linken auf den Rubin auf der nächstgelegenen.« Richard plazierte seine Finger. »Man befreie seinen Geist von allen Gedanken und setze an ihre Stelle nichts als Weiß mit einem schwarzen Quadrat in der Mitte. Man ziehe die beiden Hände auseinander und entferne mit ihnen die Hülle.«
Unter Rahls Blicken befreite Richard sich von allen Gedanken, stellte sich Weiß vor, mit einem schwarzen Quadrat in der Mitte, und zog. Die Abdeckung löste sich mit einem Klicken. Er hielt das Kästchen dicht über den Granit und zog die Hülle fort, so als schlage er ein Ei in die Pfanne. Jetzt standen zwei gleich schwarze Kästchen Seite an Seite und schienen das Licht des Raumes in sich aufzunehmen.
»Erstaunlich«, hauchte Rahl. »Und du kennst alle Teile des Buches so gut?«
»Jedes Wort«, sagte Richard mit wütendem Blick. »Was ich Euch gesagt habe, wird Euch allerdings bei dem Entfernen der dritten Hülle nichts nützen. Jede wird auf andere Art abgenommen.«
Rahl winkte geringschätzig ab. »Spielt keine Rolle. Ich werde es schon schaffen.« Er stützte den Ellenbogen in die Hand und berührte gedankenverloren mit der Fingerspitze das Kinn. »Du kannst gehen.«
Richard runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, ich kann gehen? Wollt Ihr nicht versuchen, das Buch aus mir herauszubekommen? Mich umzubringen?«
Rahl nahm es gelassen. »Es würde mir nichts nützen. Meine Art, dein Wissen aus dir herauszubekommen, würde dein Gehirn zerstören. Das Wissen wäre unzusammenhängend. Ginge es um etwas anderes, könnte ich die einzelnen Stücke zusammenfügen und mir zusammenreimen, aber ich sehe, daß das Buch dafür zu genau ist. Am Ende wäre das Wissen nur zerstört und für mich ohne Nutzen. Aus diesem Grund bist auch du im Augenblick für mich ohne Nutzen. Du kannst also gehen.«
Richard war beunruhigt. Dahinter steckte mehr. »Einfach so? Ihr müßt doch wissen, daß ich versuchen werde, Euch aufzuhalten.«
Rahl befeuchtete seine Finger. Er hob den Kopf. »Ich mache mir keine Sorgen über das, was du tun könntest. Aber in einer Woche, wenn ich die Kästchen öffne, mußt du hierher zurückkehren, vorausgesetzt, dich kümmert, was aus den Menschen wird.«
Richard kniff die Augen zusammen. »Was soll das heißen, wenn mich kümmert, was aus den Menschen wird?«
»In einer Woche, am ersten Tag des Winters, werde ich eines der Kästchen öffnen. Aus anderen Quellen als dem Buch der Gezählten Schatten, aus denselben Quellen, die mir verraten haben, wie man die Hülle entfernt, weiß ich, wie ich entscheide, welches Kästchen mich tötet. Darüber hinaus werde ich raten müssen. Wenn ich das richtige öffne, werde ich unangefochten herrschen. Öffne ich das andere, wird die Welt zerstört werden.«
»Das würdet Ihr riskieren?«
Rahl zog die Brauen hoch und beugte sich zu Richard. »Eine Welt oder keine, so wird es sein.«
»Das glaube ich Euch nicht. Ihr wißt nicht, welches Kästchen Euch vernichten wird.«
»Selbst wenn ich lügen sollte, ständen die Chancen, meinen Willen zu bekommen, immer noch zwei zu drei. Deine ständen nur eins zu drei. Es sieht schlecht aus für dich. Aber ich lüge nicht. Entweder die Welt wird zerstört, oder ich werde ihr Herrscher. Du mußt entscheiden, was dir lieber ist. Wenn du mir nicht hilfst und ich das falsche Kästchen öffne, werde ich zusammen mit allen anderen vernichtet, darunter auch die, um die du dich sorgst. Wenn du mir nicht hilfst und ich dasjenige öffne, das ich öffnen will, dann werde ich Kahlan Constance zur Ausbildung übergeben. Sie wird lange dauern. Du wirst es dir ansehen können, bevor ich dich töte. Dann wird Kahlan mir einen Sohn gebären, einen Erben. Einen Sohn, der Konfessor sein wird.«
Richard erstarrte unter Qualen, die schlimmer waren als alle, denen Denna ihn ausgesetzt hatte. »Soll das heißen, daß du mir eine Art Angebot machst?«
Rahl nickte. »Wenn du rechtzeitig zurückkommst und mir hilfst, erhältst du die Erlaubnis, dein Leben zu führen, wie es dir beliebt. Ich werde dich in Ruhe lassen.«
»Und was wird aus Kahlan?«
»Sie wird hier im Palast des Volkes wohnen und wie eine Königin behandelt werden. Sie wird allen Luxus haben, den sich eine Frau nur wünschen kann, ein Leben, wie es einem Konfessor gebührt. Etwas, was du ihr nie wirst bieten können. Sie wird in Frieden und Sicherheit leben, und sie wird mir den Konfessorsohn gebären, den ich mir wünsche. Wie auch immer, sie wird mir einen Sohn gebären. Das habe ich entschieden. Deine Wahl liegt im Wie: entweder als Constances Gespielin oder als Königin. Siehst du? Ich denke, du wirst zurückkommen. Und wenn ich mich irre…« Er zuckte mit den Achseln. »Eine Welt. Oder keine.«
Richard bekam keine Luft mehr. »Ich glaube nicht, daß Ihr wißt, welches Kästchen Euch vernichten wird.«
»Du mußt selbst entscheiden, was du glauben willst. Ich habe nicht das Bedürfnis, dich zu überzeugen.« Sein Ausdruck verfinsterte sich. »Triff einen weisen Entschluß, mein junger Freund. Die Möglichkeiten, die ich dir biete, mögen dir nicht gefallen, aber was geschieht, wenn du mir nicht hilfst, wirst du noch viel weniger mögen. Die Wahlmöglichkeiten im Leben können einem nicht alle gefallen, aber andere werden dir nicht geboten. Manchmal muß man sich eher für das entscheiden, was besser ist für die, die man liebt, als für einen selbst.«
»Ich glaube noch immer nicht, daß Ihr wißt, welches Kästchen Euch töten wird«, sagte Richard leise.
»Glaube, was du willst, aber frage dich, ob du Kahlans Zukunft mit Constance auf diesen Glauben setzen willst. Selbst wenn du recht hättest, deine Chancen stehen nach wie vor eins zu drei.«
Richard fühlte sich leer, ausgelaugt. »Kann ich jetzt gehen?«
»Nun, es gibt noch einige andere Dinge, über die du vielleicht Bescheid wissen möchtest.«
Richard kam sich plötzlich vor wie gelähmt, so als hätten unsichtbare Hände ihn gepackt. Er konnte keinen einzigen Muskel bewegen. Darken Rahl griff in Richards Tasche und zog den Lederbeutel mit dem Stein der Nacht hervor. Richard kämpfte gegen die Kraft an, die ihn hielt, konnte sich aber nicht bewegen. Rahl ließ den Stein der Nacht in seine Hand fallen. Lächelnd hielt er ihn in die Höhe.
Schattenwesen nahmen Gestalt an. Sie scharten sich um Rahl, ihre Zahl wuchs. Richard wäre gerne zurückgewichen, konnte sich aber nicht rühren.
»Zeit, nach Hause zu gehen, meine Freunde.«
Die Schatten begannen um Rahl zu kreisen, schneller und schneller, bis sie zu einem grauen Schleier verschwammen. Geheul wurde laut, als sie in einem Wirbel aus Schatten und Formen in den Stein hineingesogen wurden. Stille. Sie waren verschwunden. Der Stein der Nacht verwandelte sich in Rahls Hand zu Asche. Er blies darüber, und die Asche verpuffte in der Luft.
»Der Alte hat dich die ganze Zeit über kontrolliert und den Stein der Nacht dazu benutzt, festzustellen, wo du steckst. Wenn er das nächste Mal nach dir schaut, wird er eine sehr unangenehme Überraschung erleben. Er wird sich in der Unterwelt wiederfinden.«
Richard war außer sich über das, was Darken Rahl Zedd antun wollte, und voller Zorn, daß er sich nicht rühren und nur hilflos zuschauen konnte.
Richard entspannte sich und löste sich von dem Gedanken, sich bewegen zu müssen. Er wurde ruhig. Er ließ seinen Geist leer werden, wurde weich, beweglich. Die Kraft zerschmolz. Er tat einen Schritt nach vorn und löste sich aus dem Griff, der ihn hielt.
Rahl lächelte freundlich. »Sehr gut, mein Junge. Du weißt, wie man ein magisches Netz zerreißt, wenigstens ein kleines. Trotzdem sehr gut. Der Alte wählt seine Sucher weise aus«, fügte er mit einem Nicken hinzu. »Aber du bist mehr als ein Sucher. Du hast die Gabe. Ich freue mich auf den Tag, an dem wir auf derselben Seite stehen. Es wird mir eine Freude sein, dich in meiner Nähe zu haben. Die, mit denen ich mich herumschlagen muß, sind sehr beschränkt. Nach der Zusammenführung der Welt werde ich dir noch mehr beibringen, wenn du möchtest.«
»Wir werden niemals auf derselben Seite stehen. Niemals.«
»Die Entscheidung liegt bei dir, Richard. Ich bin nicht nachtragend. Ich hoffe, wir werden Freunde.« Rahl musterte Richards Gesicht. »Noch etwas. Du kannst im Palast des Volkes bleiben oder ihn verlassen, ganz wie du willst. Meine Wachen werden sich um dich kümmern. Allerdings wird ein magisches Netz um dich gesponnen sein. Im Gegensatz zu dem, das du gerade zerrissen hast, wird es sich nicht auf dich auswirken, sondern auf die, die dich sehen. Deshalb wirst du es auch nicht zerreißen können. Man nennt es ein Feindesnetz. Wer dich sieht, wird in dir einen Feind sehen. Wer auf meiner Seite steht, der wird dich als den sehen, der du bist, denn im Augenblick bist du mein Feind und daher auch ihrer. Zumindest im Augenblick. Deine Freunde jedoch werden in dir denjenigen sehen, den sie am meisten fürchten, ihren schlimmsten Feind. Ich will, daß du siehst, wie die Menschen von mir denken, daß du die Welt mit meinen Augen siehst und erkennst, wie ungerecht ich beurteilt werde.«
Richard brauchte nicht einmal zu versuchen, seinen Zorn zurückzuhalten, es gab keinen. Er spürte einen seltsamen Frieden. »Kann ich jetzt gehen?«
»Natürlich, mein Junge.«
»Und Herrin Denna?«
»Sobald du diesen Raum verläßt, stehst du wieder unter ihrer Gewalt. Hat eine Mord-Sith einmal deine Zauberkraft, gehört sie ihr. Ich kann sie ihr nicht wegnehmen, um sie dir zurückzugeben. Du mußt sie dir selbst zurückholen.«
»Und inwiefern bin ich dann frei?«
»Ist das nicht deutlich genug? Wenn du gehen möchtest, mußt du sie töten.«
»Sie töten!« Richard war entsetzt. »Meint Ihr nicht, ich hätte sie längst getötet, wenn ich dazu imstande wäre? Meint Ihr, ich hätte das alles über mich ergehen lassen, wenn ich sie hätte töten können?«
Darken Rahl lächelte dünn. »Du warst immer in der Lage, sie zu töten.«
»Und wie?«
»Nichts, was existiert, hat nur eine Seite. Selbst ein Blatt Papier, so dünn es auch ist, hat deren zwei. Auch Magie ist nicht eindimensional. Du hast nur eine Seite gesehen, das tun die meisten. Betrachte das Ganze.« Er zeigte auf die Leichen seiner beiden Posten. Die Posten, die Richard getötet hatte. »Sie kontrolliert deine Zauberkraft, und doch hast du das hier getan.«
»Aber das ist etwas anderes, gegen sie funktioniert das nicht.«
Rahl nickte. »Doch, tut es. Aber du mußt es vollkommen beherrschen. Halbherzigkeiten können dir eine Menge Ärger machen. Sie kontrolliert dich mit nur einer Dimension deiner Zauberkraft, der Seite, die du ihr angeboten hast. Du mußt die andere Seite nutzen. Das hätten alle Sucher gekonnt, doch keinem ist es jemals gelungen, sie zu beherrschen. Vielleicht bist du der erste.«
»Und wenn nicht? Wenn es mir nicht gelingt?« Darken Rahl klang für Richards Empfinden zu sehr nach Zedd. Das war es, was Zedd ihm immer beigebracht hatte, er mußte für sich denken, die Antworten auf seine Art finden, mit seinem eigenen Verstand.
»Dann, mein junger Freund, steht dir eine harte Woche bevor. Denna hat es gar nicht gefallen, wie du sie blamiert hast. Am Ende der Woche wird sie dich zu mir bringen, und du wirst mir deinen Entschluß mitteilen: ob du mir helfen oder alle deine Freunde leiden und sterben lassen willst.«
»Verratet mir nur, wie ich die Magie des Schwertes benutzen, sie beherrschen kann.«
»Natürlich. Sofort, nachdem du mir dein Wissen aus dem Buch der Gezählten Schatten mitgeteilt hast.« Rahl grinste. »Das hätte ich nicht gedacht. Gute Nacht, Richard. Und vergiß nicht, eine Woche.«
Die Sonne ging unter, als Richard den Garten und Darken Rahl verließ. Ihm schwirrte der Kopf von den Dingen, die er erfahren hatte. Daß Darken Rahl wußte, welches Kästchen ihn töten würde, war unangenehm, aber vielleicht wandte er auch bloß das erste Gesetz der Magie an. Schlimmer war, daß Richard von einem seiner eigenen Leute verraten worden war. Das gefiel ihm überhaupt nicht. Noch weniger gefiel ihm, daß er genau wußte, wer dafür in Frage kam. Shota hatte ihm gesagt, daß Zedd und Kahlan ihre Macht gegen ihn benutzen würden. Es mußte einer der beiden gewesen sein. Das wollte einfach nicht passen, sosehr er es auch versuchte, es zu glauben, solange er auch darüber nachgrübelte. Keiner von beiden kam in Frage, und doch mußte es einer von ihnen gewesen sein. Er liebte die beiden mehr als sein Leben. Zedd hatte ihm erklärt, er müsse bereit sein, jeden zu töten, der den Sieg gefährdete, selbst dann, wenn bloß ein Verdacht bestand. Er zwang den Gedanken aus seinem Kopf.
Er mußte sich überlegen, wie er Denna entkommen konnte. Wenn ihm das nicht gelang, war er nutzlos, und alles andere wäre egal. Es nützte nichts, die anderen Probleme zu lösen, wenn er nicht fliehen konnte, und wenn ihm nicht bald etwas einfiel, würde Denna ihn quälen und er wäre zu keinem Gedanken mehr fähig. Was sie ihm antat, machte das Denken schwer, ließ ihn Dinge vergessen. Darauf mußte er sich zuerst konzentrieren, alles andere kam später.
Das Schwert. Denna kontrollierte die Zauberkraft des Schwertes. Er brauchte das Schwert doch überhaupt nicht. Vielleicht konnte er es irgendwie loswerden und damit auch die Zauberkraft, die sie kontrollierte. Er griff zum Heft, doch der magische Schmerz ließ ihn zurückzucken, noch bevor er es berühren konnte.
Er ging durch die Hallen, immer auf Dennas Quartier zu. Es war noch ein weiter Weg. Vielleicht konnte er einfach einen anderen Weg wählen und den Palast des Volkes verlassen. Darken Rahl hatte ihm versprochen, keiner der Posten würde ihn daran hindern. An der nächsten Kreuzung wollte er abbiegen. Der Schmerz zwang ihn auf die Knie. Unter großer Mühe gelangte er in die Halle zurück, durch die sein Weg zu Denna führte. Er mußte stehenbleiben und sich ausruhen, der Schmerz hatte ihm den Atem genommen.
Dicht vor ihm, in der Richtung, in der er ging, läutete die Glocke für die Abendandacht. Er beschloß hinzugehen, denn dort würde er Zeit zum Nachdenken gewinnen. Er kniete nieder und war erleichtert, daß der magische Schmerz nicht einsetzte. Es handelte sich um einen der Plätze am Wasser. Hier war es sehr friedlich. Gleich neben dem Wasser, mitten im Gedränge, legte Richard die Stirn auf den Plattenboden und begann mit dem Singsang, leerte seine Gedanken, wurde eins mit der Leere. Mit Hilfe des Gesangs brachte er seine Sorgen zum Schmelzen, seine Ängste, seine Befürchtungen. Er wies die Gedanken an alle Probleme von sich, ließ seinen Geist vollkommen frei umherwandern und seinen Frieden suchen. Die Andacht schien im Nu vorüber zu sein. Erfrischt und belebt erhob er sich und machte sich wieder auf den Weg in Dennas Quartier.
Die Hallen, die er durchquerte, die Räume und Treppenhäuser waren von atemberaubender Schönheit. Richard betrachtete sie staunend beim Hindurchgehen. Er fragte sich, wie jemandem, der so ekelhaft war wie Darken Rahl, daran gelegen sein konnte, sich mit derartiger Schönheit zu umgeben.
Nichts hat nur eine Dimension. Die zwei Seiten der Magie.
Richard mußte an die Augenblicke denken, als die seltsame Kraft in ihm erwacht war. Als er Mitleid mit Prinzessin Violet empfunden hatte, als die Wache der Königin versucht hatte, Denna etwas anzutun, als er unter Dennas Qualen gelitten hatte, beim Gedanken an Rahl, der Kahlan quält, als Rahls Wachen versucht hatten, Denna weh zu tun. Jedesmal war ein Teil seines Gesichtsfeldes weiß geworden.
Und jedesmal war es die Zauberkraft des Schwertes gewesen. In der Vergangenheit war die Zauberkraft des Schwertes auch immer Zorn gewesen. Doch hier handelte es sich um eine andere Art von Zorn. Er überlegte, wie er sich gefühlt hatte, als er das Schwert im Zorn gezogen hatte. Diese Wut, diese Raserei, dieser Wunsch, zu töten.
Dieser Haß.
Richard blieb wie vom Blitz getroffen mitten in einer ruhigen Halle stehen. Es war schon spät und niemand in der Nähe. Er war allein. Er spürte, wie eine eiskalte Woge ihn durchspülte, auf seiner Haut kribbelte.
Zwei Seiten. Er hatte verstanden.
Die Seelen mögen ihm helfen, er hatte verstanden.
Er ließ ihm freien Lauf, und alles überzog sich mit einem weißen Glanz.
Dumpf umwoben vom weißen Dunst der Magie drückte Richard fast wie in Trance die Tür zu Dennas Zimmer hinter sich ins Schloß. Ruhig hielt er die Kraft, hielt er ihre Weisheit, ihre Freude und Trauer. Der ruhige Raum wurde von einer Nachttischlampe erhellt, die der leicht parfümierten Luft einen flackernden Glanz verlieh. Denna hockte völlig nackt mitten auf dem Bett. Sie hatte die Beine untergeschlagen, den Zopf gelöst, das Haar ausgebürstet. Der Strafer hing an einer Goldkette um ihren Hals, baumelte zwischen ihren Brüsten. Die Hände lagen gefaltet in ihrem Schoß. Sie sah ihn aus großen, sehnsüchtigen Augen an.
»Bist du gekommen, mich zu töten, mein Geliebter?« flüsterte sie.
Er nickte langsam, ohne sie aus den Augen zu lassen. »Ja, Herrin.«
Sie lächelte zaghaft. »Das ist das erste Mal, daß du mich einfach ›Herrin‹ genannt hast. In der Vergangenheit hast du mich immer Herrin Denna genannt. Hat das etwas zu bedeuten?«
»Ja. Es bedeutet alles. Es bedeutet, daß ich dir alles vergebe.«
»Ich bin bereit.«
»Wieso bist du nackt?«
Der Schein der Lampe spiegelte sich in ihren feuchten Augen. »Weil alles, was ich zum Anziehen habe, Mord-Sith ist. Ich habe nichts anderes. Ich möchte nicht in den Kleidern einer Mord-Sith sterben. Ich möchte so sterben, wie ich geboren wurde. Als Denna. Nicht mehr.«
»Ich verstehe«, hauchte er. »Woher wußtest du, daß ich kommen und dich töten würde?«
»Als Meister Rahl mich auswählte, dich zu verfolgen, meinte er, er würde es mir nicht befehlen, ich müßte freiwillig gehen. Er meinte, die Prophezeiungen hätten einen Sucher vorhergesagt, der als erster in der Lage wäre, die Magie des Schwertes zu meistern. Die Weiße Magie. Er wäre in der Lage, die Klinge des Schwertes zur Weißglut zu bringen. Er meinte, solltest du dich als der herausstellen, von dem in den Prophezeiungen die Rede war, dann würde ich durch deine Hand sterben, vorausgesetzt, dies wäre deine Entscheidung. Ich bat darum, entsandt zu werden, deine MordSith zu sein. Manches, was ich dir angetan habe, habe ich keinem anderen angetan, denn ich hatte gehofft, du seist es, und du würdest mich dafür töten. Zum ersten Mal habe ich Verdacht geschöpft, als du Prinzessin Violet geschlagen hast. Bescheid wußte ich, nachdem du die beiden Posten getötet hattest. Das hättest du nicht können dürfen. Denn ich hatte dich in diesem Augenblick über die Magie des Schwertes in meiner Gewalt.«
Rings um die mädchenhafte Schönheit ihres Gesichtes wurde alles weiß. »Es tut mir leid, Denna«, hauchte er.
»Wirst du an mich denken?«
»Ich werde für den Rest meines Lebens Alpträume haben.«
Ihr Lächeln wurde breiter. »Das freut mich.« Sie schien aufrichtig stolz zu sein. »Du liebst diese Kahlan, stimmt’s?«
Er runzelte leicht die Stirn. »Woher weißt du das?«
»Manchmal, wenn ich Männern genug weh tue und sie nicht wissen, was sie reden, dann schreien sie nach ihren Müttern oder ihren Frauen. Du hast nach jemandem namens Kahlan geschrien. Wirst du sie zur Gemahlin nehmen?«
»Das kann ich nicht«, brachte er trotz des Kloßes in seinem Hals hervor. »Sie ist Konfessor. Ihre Macht würde mich zerstören.«
»Das tut mir leid. Tut es dir weh?«
Er nickte langsam. »Mehr als alles, was du mir angetan hast.«
»Gut.« Denna lächelte traurig. »Ich bin froh, daß die Frau, die du liebst, dir mehr weh tun kann als ich.«
Auf ihre verquere Art wollte Denna ihn damit trösten. Für sie war es ein Geschenk der Liebe, wenn sie darüber glücklich war, daß er mehr Schmerzen von einer anderen zugefügt bekam. Er wußte, manchmal hatte Denna ihm mittels Schmerzen ihre Zuneigung zeigen wollen. Zumindest in ihren Augen war es ein Beweis für ihre Liebe, wenn diese andere Frau ihm größere Qualen bereiten konnte.
Eine Träne lief ihm übers Gesicht. Was hatten sie diesem armen Kind bloß angetan.
»Es ist ein anderer Schmerz. In dem, was du mir angetan hast, bist du unerreichbar.«
Eine Träne des Stolzes lief ihr über die Wange. »Danke, mein Geliebter«, hauchte sie. Sie nahm den Strafer von ihrem Hals und hielt ihn erwartungsvoll in die Höhe. »Würdest du ihn tragen, als Andenken an mich? Um den Hals oder an der Kette wird er dir nicht weh tun, nur wenn du ihn selbst in die Hand nimmst.«
Richard beließ ihr Gesicht im weißen Glanz. »Es wäre mir eine Ehre, meine Gemahlin.« Er beugte sich vor und ließ ihn sich von ihr umhängen, ließ sich von ihr auf die Wange küssen.
»Wie willst du es tun?« fragte sie.
Er wußte, was sie meinte. Er schluckte den Kloß in seinem Hals herunter. Geschmeidig glitt seine Hand zum Heft des Schwertes.
Langsam zog er das Schwert der Wahrheit. Es klirrte nicht wie sonst.
Es sirrte. Ein weißglühendes Sirren.
Richard sah nicht hin, aber er wußte es. Er wußte, daß die Klinge sich weiß verfärbt hatte. Er blickte in ihre feuchten Augen. Die Kraft durchströmte ihn. Er hatte seinen Frieden gefunden. Aller Ärger, aller Haß, alle Bosheit war verschwunden. Dort, wo er früher all dies durch das Schwert gespürt hatte, verspürte er jetzt nichts als Liebe für dieses junge Mädchen, für dieses Gefäß, das andere mit Schmerz gefüllt hatten, für dieses Auffangbecken aller Grausamkeiten, diese unschuldige, gepeinigte Seele, die man dazu abgerichtet hatte, all das zu tun, was sie am meisten haßte. Anderen weh zu tun. Sein Mitgefühl war quälend. Sie tat ihm leid.
Er liebte sie.
»Denna«, hauchte er. »Wenn du mich einfach gehen lassen könntest, brauchte ich dies nicht zu tun. Bitte. Laß mich gehen. Zwing mich nicht, das zu tun.«
Sie hob stolz den Kopf. »Wenn du versuchst, zu gehen, werde ich dich mit dem magischen Schmerz daran hindern, bis es dir leid tut, daß du mir Arger gemacht hast. Ich bin eine Mord-Sith. Ich bin deine Herrin. Ich kann nicht mehr sein als das, was ich bin. Und du nicht weniger, mein Gemahl.«
Er nickte traurig und legte die Schwertspitze zwischen ihre Brüste. Die Tränen in seinen Augen und das weißen Gleißen machten es schwer, etwas zu erkennen.
Sachte ergriff Denna die Schwertspitze und schob sie ein paar Zentimeter weiter nach oben. »Hier ist mein Herz, mein Geliebter.«
Das Schwert gegen ihren Körper drückend, beugte er sich vor und schlang seinen linken Arm liebevoll um ihre zarten Schultern. Er mußte die Kraft mit aller Macht halten, als er sie auf die Wange küßte.
»Richard«, flüsterte sie. »Einen Gemahl wie dich hatte ich noch nie. Ich bin froh, daß ich keinen anderen mehr haben werde. Es gibt nicht viele wie dich. Du warst seit meiner Ernennung der einzige, dem es nicht gleichgültig war, daß ich Schmerzen hatte, und der etwas getan hat, um sie zu lindern. Ich danke dir für gestern nacht, als du mir gezeigt hast, wie es hätte sein können.«
Die Tränen tropften ihm vom Gesicht. Er drückte sie fest an sich. »Vergib mir, meine Geliebte.«
Sie lächelte. »Alles. Danke, daß du mich deine Geliebte genannt hast. Es tut gut, es einmal aufrichtig gemeint zu hören, bevor ich sterbe. Dreh das Schwert, damit es auch ganz bestimmt vorbei ist. Und Richard, eine Bitte. Nimmst du meinen letzten Atemzug? Wie ich es dir beigebracht habe? Ich möchte, daß du meinen letzten Atemzug nimmst.«
Wie in Trance legte er seinen Mund auf ihren, küßte sie und spürte nicht einmal, wie seine rechte Hand sich bewegte. Er stieß auf keinen Widerstand. Das Schwert drang durch sie hindurch, als wäre sie aus Gaze. Er spürte, wie seine Rechte das Schwert drehte, und nahm ihren letzten Atemzug.
Vorsichtig legte er sie zurück aufs Bett, legte sich neben sie und heulte wie ein Schloßhund, während er über ihr aschfahles Gesicht streichelte.
Voller Gram wünschte er sich, er könne seine Tat ungeschehen machen.