Zedd lag wach im ersten Licht der Dämmerung, den Kopf voller Sorgen. Über Nacht waren Wolken aufgezogen, es sah aus, als sollte die vor ihnen liegende Reise feucht werden. Kahlan lag dicht neben ihm auf der Seite, das Gesicht ihm zugewandt, atmete langsam. Sie schlief fest. Chase stand irgendwo Wache.
Die Welt zerbrach in Stücke, und er fühlte sich machtlos. Wie ein Blatt im Wind. Als Zauberer sollte er eigentlich nach all den Jahren einen gewissen Einfluß auf die Entwicklung haben. Aber er war kaum mehr als ein Zuschauer, der daneben stand und mit ansah, wie andere verletzt, getötet wurden, während er versuchte, diejenigen zu führen, die das Zünglein an der Waage werden konnten und taten, was getan werden mußte. Als Zauberer der ersten Ordnung war er eigentlich klug genug, nicht nach D’Hara zu ziehen, doch welche Möglichkeit blieb ihm sonst? Wenn irgendeine Chance bestand, Richard zu retten, mußte er dorthin. Drei Tage waren es noch bis zum ersten Tag des Winters. Darken Rahl hatte erst zwei Kästchen. Er würde sterben. Wenn sie Richard nicht dort rausholten, würde Rahl ihn vorher töten.
Er dachte noch einmal über die Begegnung mit Darken Rahl vom Vortag nach. Er begriff es nicht, sosehr er es auch versuchte. Sie war äußerst bizarr gewesen. Offenbar war Rahl verzweifelt auf der Suche nach dem Kästchen, so verzweifelt, daß er ihn nicht einmal getötet hatte, als sich ihm die Gelegenheit bot. Den Zauberer, der seinen Vater getötet hatte, nach dem er gesucht hatte — und dann findet er ihn und unternimmt nichts. Aber auch sein anderes Verhalten widersprach jeder Vernunft. Sein Anblick mit Richards Schwert an seiner Seite ließ Zedd frösteln. Warum sollte Darken Rahl, Beherrscher der Magie beider Welten, das Schwert der Wahrheit tragen? Was noch wichtiger war, was hatte er Richard angetan, um das Schwert von ihm zu bekommen? Am beunruhigendsten war sein Verhalten, als er Kahlan mit dem Schwert bedroht hatte. Noch nie in seinem Leben war Zedd sich hilfloser vorgekommen. Der Versuch, ihm mit magischem Schmerz beizukommen, war dumm gewesen. Wer die Gabe besaß und die Schmerzprüfung überlebt hatte, würde auch diese Berührung überstehen. Aber was hätte er tun sollen? Es hatte weh getan, mit ansehen zu müssen, wie Darken Rahl ihr das Schwert der Wahrheit an die Kehle gehalten hatte. Einen Augenblick lang war er sicher gewesen, daß Rahl sie umbringen würde, und schon im nächsten Augenblick, noch bevor Zedd etwas, wenn auch noch so Fruchtloses, hatte tun können, waren Rahl die Tränen in die Augen getreten und er hatte das Schwert weggesteckt. Wieso sollte Rahl sich die Mühe machen, das Schwert zu benutzen, wenn er sie oder einen der beiden töten wollte? Er könnte sie mit einem Fingerschnippen töten. Warum sollte er das Schwert benutzen wollen? Und es dann doch nicht tun?
Schlimmer noch war, daß er die Klinge weiß gefärbt hatte. Als Zedd das gesehen hatte, wäre er am liebsten aus der Haut gefahren. In den Prophezeiungen war die Rede davon, jemand würde das Schwert der Wahrheit weiß färben. Daß es Darken Rahl sein sollte, ließ ihn bis ins Mark erschaudern. An sich war es schon entsetzlich genug, daß Richard es sein sollte, aber Darken Rahl…
Der Schleier, wie er in den Prophezeiungen hieß, der Schleier zwischen der Welt des Lebens und der Unterwelt. Wenn der Schleier durch die Magie der Ordnung zerrissen wurde, durch einen Agenten, dann, so hieß es in den Prophezeiungen, könne nur der ihn wiederherstellen, der das Schwert der Wahrheit weiß gefärbt hatte. War er dazu nicht in der Lage, würde die Unterwelt auf die Welt der Lebenden losgelassen. Das Wort ›Agent‹ hatte eine grauenhafte Bedeutung, die Zedd größte Sorge bereitete. Es konnte bedeuten, daß Darken Rahl nicht aus eigenem Antrieb handelte, sondern als Beauftragter. Als Beauftragter der Unterwelt. Daß er die subtraktive Magie, die Magie der Unterwelt, gemeistert hatte, deutete darauf hin. Das hieß auch, sollte Rahl scheitern und würde er getötet, könnte die Magie der Ordnung nach wie vor den Schleier zerreißen. Zedd versuchte, sich nicht auszumalen, was diese Prophezeiungen bedeuteten. Die Vorstellung, die Unterwelt könne freigesetzt werden, schnürte ihm die Kehle zu. Lieber würde er vorher sterben. Am besten würden alle vorher sterben.
Zedd drehte den Kopf zur Seite und beobachtete Kahlan im Schlaf. Die Mutter Konfessor. Die letzte aus der Schöpfung der alten Zauberer. Ihre Qual tat ihm in der Seele weh. Auch weil er ihr nicht hatte helfen können, als Darken Rahl ihr das Schwert an die Kehle gehalten hatte. Ihn quälte, was sie für Richard empfand und was er ihr nicht erzählen durfte.
Wäre es bloß nicht Richard gewesen. Jeder, nur nicht Richard. Nichts war jemals einfach.
Zedd setzte sich wie gehetzt auf. Etwas stimmte nicht. Es war schon zu hell, und Chase war noch nicht zurück. Er berührte Kahlans Stirn mit dem Finger. Sie war sofort hellwach.
Seine Sorgen spiegelten sich in Kahlans Gesicht. »Was ist?« flüsterte sie.
Zedd saß regungslos da und spürte die Umgebung nach Leben ab. »Chase ist noch nicht zurück. Sollte er aber.«
Sie sah sich um. »Vielleicht ist er eingeschlafen.« Zedd zog eine Braue hoch. »Vielleicht gibt es einen triftigen Grund. Vielleicht ist es auch nichts.«
»Unsere Pferde sind verschwunden.«
Kahlan sprang auf und griff nach ihrem Messer. »Kannst du spüren, wo er sich befindet?«
Zedd zuckte zusammen. »Es ist jemand in der Nähe. Leute, die von der Unterwelt berührt worden sind.«
Er sprang auf die Beine. Im selben Augenblick wurde Chase ins Lager gestoßen, stolperte und stürzte aufs Gesicht. Man hatte ihm die Arme fest auf den Rücken gebunden, und er war voller Blut. Einer Menge Blut. Er stöhnte. Zedd spürte die Gegenwart von vier Männern, die sie umzingelten. Vier Männer. Was er von ihnen spürte, ließ ihn zurückweichen.
Der Große, der Chase ins Lager gestoßen hatte, trat vor. Sein kurzes blondes Haar stand struppig in die Höhe und war durchzogen von einem schwarzen Streifen. Seine kalten Augen, sein Grinsen ließen den Zauberer gefrieren.
Kahlan stand halb geduckt. »Demmin Nass«, zischte sie.
Er hakte seine Daumen in den Gürtel. »Aha. Du hast also schon von mir gehört, Mutter Konfessor.« Sein boshaftes Grinsen wurde breiter. »Auf jeden Fall habe ich schon von dir gehört. Dein Freund hier hat fünf meiner besten Männer getötet. Ich werde ihn später, nach den Feierlichkeiten, exekutieren. Ich möchte, daß er in den Genuß kommt, sich anzuschauen, was wir mit dir machen.«
Kahlan sah sich um, als drei weitere Männer, nicht ganz so groß wie Demmin Nass, aber größer als Chase, aus dem Wald traten. Sie waren umzingelt, doch das war für einen Zauberer kein Problem. Die Männer waren alle blond, muskelbepackt und trotz der Kühle in der Luft schweißbedeckt. Im Augenblick hatten sie ihre Waffen weggesteckt; offenbar waren sie sich ihrer Sache sehr sicher. Ihre Dreistigkeit nervte Zedd. Ihr Grinsen machte ihn wild. Im frühen Licht wirkten die vier blauen Augenpaare noch stechender.
Zedd wußte sehr wohl, daß es sich um ein Quadron handelte, und er wußte ebensogut, was sie mit Konfessoren machten. Sehr gut sogar. Das Wissen brachte sein Blut in Wallung. Auf keinen Fall würde er zulassen, daß Kahlan etwas zustieß. Nicht, solange er lebte.
Demmin Nass und Kahlan starrten sich an.
»Wo ist Richard? Was hat Rahl mit ihm gemacht?« wollte sie wissen.
»Wer?«
Sie knirschte mit den Zähnen. »Der Sucher.«
Demmin grinste. »Also, das geht nur Meister Rahl und mich etwas an. Dich nicht.«
»Raus damit.« Sie starrte ihn haßerfüllt an.
Sein Grinsen wurde breiter. »Du hast jetzt wichtigere Sorgen, Konfessor. Du wirst meinen Männern gleich eine Menge Freude machen. Ich möchte, daß du deine Gedanken darauf konzentrierst und alles tust, damit sie ihren Spaß haben. Der Sucher braucht dich nicht zu interessieren.«
Zedd beschloß, daß es an der Zeit war, dem ein Ende zu machen, bevor noch mehr passierte. Er hob die Arme und setzte das stärkste Lähmungsnetz frei, das er zustande brachte. Das Lager erglühte mit einem lauten Krachen in grünem Licht, das gleichzeitig in vier Richtungen davon schoß, auf jeden der blauäugigen Männer. Das grüne Licht traf mit einem dumpfen Schlag gegen jeden der Männer.
Bevor der Zauberer Zeit hatte zu reagieren, liefen ihm die Dinge grausam aus der Hand.
So schnell es sie getroffen hatte, so schnell wurde es von jedem zurückgeworfen. Zu spät erkannte Zedd, daß sie durch irgendeinen Zauber geschützt waren — einen Unterweltzauber, den er nicht hatte sehen können. Das Licht traf ihn aus vier Richtungen gleichzeitig. Sein eigenes Netz lahmte ihn auf der Stelle. Er wurde starr wie Stein. Hilflos. Was er auch tat, er konnte sich nicht bewegen.
Demmin Nass nahm den Daumen aus seinem Gürtel. »Schwierigkeiten, alter Mann?«
Mit zornerfülltem Blick streckte Kahlan die Hand aus und legte sie ihm auf die glatte Brust. Zedd bereitete sich auf die Freisetzung ihrer Kraft vor, auf den Donner ohne Hall.
Nichts geschah.
Kahlans überraschtem Gesichtsausdruck entnahm er, daß das nicht hätte passieren dürfen.
Demmin Nass schlug mit seiner Faust zu und brach ihr den Arm.
Kahlan sackte mit einem Schmerzensschrei auf die Knie. Sie kam wieder hoch, mit ihrem Messer in der anderen Hand, und ging auf den Mann vor ihr los. Er packte ihr Haar mit der Faust und hielt sie sich vom Leib. Sie bohrte ihm das Messer in den Arm, mit dem er sie gepackt hielt. Er riß das Messer heraus, drehte es ihr aus der Hand und schleuderte es in einen Baum. Dann hielt er sie am Haar und drosch ihr ein paarmal mit dem Handrücken übers Gesicht. Hart. Sie trat um sich, kratzte und schrie, er lachte bloß. Die anderen drei kamen hinzu.
»Tut mir leid, Mutter Konfessor, ich fürchte, du bist nicht mein Typ. Aber keine Sorge, die Jungs hier werden sich glücklich schätzen, dir die Ehre zu erweisen. Und beweg deinen Arsch«, grinste er fies, »das mag ich nämlich.«
Demmin schleuderte sie am Haar zu den anderen dreien. Sie stießen sie hin und her, ohrfeigten sie, schlugen sie, schleuderten sie so schnell herum, bis sie zum Stehen zu schwindlig war und vom einen Armpaar in das nächste torkelte. Sie war so hilflos wie eine Maus, mit der drei Katzen spielen. Das Haar hing ihr ins Gesicht. Kahlan schlug mit den Fäusten nach ihnen, zu orientierungslos, um jemanden zu treffen. Sie lachten nur noch mehr.
Einer von ihnen rammte ihr die Faust in den Magen. Kahlan knickte zusammen, sackte auf die Knie, wand sich vor krampfartigen Schmerzen. Ein anderer zog sie am Haar in die Höhe. Der dritte fetzte ihr die Knöpfe von der Hemdenbrust. Sie schleuderten sie derb hin und her, zerrissen ihr das Hemd, zerrten es mit jedem Mal ein Stück weiter herunter. Als sie es ihr über den gebrochenen Arm zerrten, schrie sie vor Schmerz auf.
Zedd konnte nicht einmal vor Wut beben. Er konnte nicht die Augen vor diesem Anblick verschließen, sich die Ohren gegen diesen Lärm zuhalten. Quälende Erinnerungen an eine ähnliche Szene legten sich über das gegenwärtige Geschehen. Die Erinnerungen raubten ihm den Atem. Er hätte sein Leben gegeben, um sich befreien zu können. Wenn sie sich doch nur nicht wehren würde, es machte alles nur noch schlimmer. Doch Konfessoren kämpften immer dagegen an. Mit allem, was sie hatten. Aber das würde nicht genügen.
Aus dem Gefängnis seines scheinbar zu Stein erstarrten Körpers ging Zedd mit allem, was er hatte, gegen seine Hilflosigkeit an, mit jedem Zauber, jedem Trick, jeder Macht, die er besaß. Es reichte nicht. Er spürte, wie ihm die Tränen die Wangen herunterliefen.
Kahlan kreischte, als einer der Männer sie an ihrem gebrochenen Arm in die kräftigen Hände der anderen beiden schleuderte. Das Gesicht zur Grimasse verzerrt, die Zähne zusammengebissen, wand sie sich und trat nach ihnen, während sie sie an Armen und Haaren festhielten. Der dritte Kerl löste ihre Gürtelschnalle und riß die Knöpfe auf. Sie spie ihn an. Verfluchte ihn brüllend. Lachend riß er ihr die Hosen von den Beinen und zerrte sie ihr umgestülpt über die Füße. Die anderen zwei hatten alle Hände voll damit zu tun, sie festzuhalten, fast wurden sie mit ihr nicht fertig. Wäre ihr Arm nicht gebrochen gewesen, sie hätten sie vielleicht nicht festhalten können. Einer verdrehte ihn brutal, bis sie schrie.
Die zwei, die sie hielten, rissen ihr den Kopf an den Haaren nach hinten, während der dritte Zähne und Lippen an den Hals legte und zubiß. Während er sie mit einer Hand betatschte, löste er mit der anderen seinen Gürtel und öffnete seine Hose. Er drückte ihr seinen Mund auf die Lippen und erstickte so ihre Schreie, während seine plumpen Finger von ihren Brüsten glitten und in der Dunkelheit zwischen ihren Beinen verschwanden.
Seine Hose fiel, er drückte ihre Schenkel auseinander. Sie stöhnte vor Anstrengung, als sie versuchte, ihn an seinem Vorhaben zu hindern. Sie schaffte es nicht. Seine feisten Finger krallten und bohrten sich in ihren Körper. Sie riß die Augen auf. Ihr Gesicht war wutentbrannt, ihr Busen wogte vor Zorn.
»Legt sie auf den Boden und haltet sie fest«, brummte er mit belegter Stimme.
Kahlan rammte ihm das Knie in den Unterleib, hart. Er knickte stöhnend ein, während die beiden anderen lachten. Feuer loderte in seinen Augen, als er sich wieder aufrichtete. Mit der Faust schlug er ihr die Lippen auf. Das Blut floß ihr übers Kinn.
Chase, dessen Arme noch immer fest hinter seinem Rücken zusammengebunden waren, rammte dem Mann seinen Schädel krachend in den Leib. Sie gingen beide zu Boden. Der Mann war über seine heruntergelassenen Hosen gestolpert. Chase hatte ihm die Beine um den feisten Hals geschlungen, bevor er reagieren konnte. Seine Augen traten vor. Der Grenzposten rollte auf die Seite und riß den Kopf scharf nach hinten. Ein lautes Krachen, und der Mann erschlaffte.
Demmin trat Chase in die Rippen und gegen den Kopf, bis er sich nicht mehr rührte.
Scheinbar aus dem Nichts landete ein Knäuel aus Fell und Reißern auf Demmin. Unter wütendem Geknurre verbiß er sich in den kräftigen Mann. Sie stürzten zu Boden, überschlugen sich im Staub, rollten durchs Feuer. Ein Messer blitzte auf.
»Nein!« schrie Kahlan. »Brophy! Nein! Lauf weg!«
Zu spät. Das Messer bohrte sich in den Wolf, als die Faust, die es umklammert hielt, den Brustkorb rammte. Immer wieder stach Demmin zu. Augenblicke später war alles vorbei. Brophy lag ausgestreckt auf dem Boden, das Fell blutgetränkt. Seine Beine zuckten noch einmal, dann waren sie still.
Kahlan hing weinend an Armen und Haaren und rief schluchzend den Namen des Wolfes.
Demmin richtete sich keuchend auf. Der kurze, aber bestialische Kampf war anstrengend gewesen. Blut lief aus den Wunden an Brust und Arm. In seinen Augen flackerte Wut.
»Dafür wird sie bezahlen«, zischte er den beiden zu, die sie festhielten. »Gebt’s ihr, aber richtig.«
Kahlan wand sich, versuchte sich loszureißen. »Was ist los, Demmin«, kreischte sie. »Bist du nicht Manns genug, es selbst zu machen? Brauchst du richtige Männer, die das für dich erledigen?«
Kahlan, bitte, flehte Zedd sie stumm in Gedanken an, bitte halt den Mund. Bitte sag jetzt kein Wort mehr.
Demmins Gesicht erglühte tiefrot. Seine Brust hob sich. Er blickte sie wütend an.
»Wenigstens sind das echte Männer! Die haben wenigstens, was man braucht, um mit einer Frau fertig zu werden! Du wohl kaum! Bei dir reicht es gerade für kleine Jungen! Was ist, Kleiner? Hast du Angst, einer richtigen Frau zu zeigen, was du in der Hose hast? Ich werde dich auslachen, während ein paar echte Männer das tun, wozu du nicht in der Lage bist!«
Demmin trat einen Schritt näher, die Zähne fest zusammengebissen. »Halt’s Maul, du Schlampe.«
Sie spuckte ihm ins Gesicht. »Das würde dein Vater mit dir machen, wenn er wüßte, daß du mit einer Frau nicht fertig wirst. Du bist eine Schande für den Namen deines Vaters!«
Zedd fragte sich, ob Kahlan den Verstand verloren hatte. Er hatte absolut keine Ahnung, wozu sie das machte. Es war genau das richtige, wenn sie vorhatte, Demmin zu Schlimmerem zu provozieren.
Demmin sah aus, als wollte er jeden Augenblick explodieren, aber dann entspannte sich sein Gesicht, und sein Grinsen kehrte zurück. Er sah sich um und entdeckte, wonach er gesucht hatte.
»Hierher«, zeigte er. »Haltet ihr das Gesicht über den Stamm hier.« Er brachte sein Gesicht ganz dicht an ihres. »Du willst es von mir? Also schön, du Schlampe, kannst du haben. Aber du kriegst es auf meine Art. Jetzt wollen wir doch mal sehen, wie gut du mit dem Arsch wackeln kannst.«
Kahlans Gesicht war tiefrot vor Wut. »Große Worte, nichts dahinter. Du wirst dich blamieren. Deine Männer und ich werden etwas zu lachen bekommen. Und anschließend müssen sie dann die Arbeit für dich tun.« Ihr Mund verzog sich zu einem trotzigen Grinsen. »Ich warte, Kleiner. Mach’s mir, wie es dein Vater mit dir gemacht hat. Wir werden alle was zu lachen kriegen, wenn wir daran denken, wie du vor ihm gekniet hast. Zeig mir, wie er’s dir gemacht hat.«
Die Adern an seiner Stirn drohten zu platzen, seine Augen traten vor. Demmins Hand schnellte an ihre Kehle, packte zu und hob sie in die Höhe. Er zitterte vor Wut. Sein Griff wurde fester, schnürte ihr die Luft ab.
»Kommandant Nass«, warnte einer der Männer mit gesenkter Stimme. »Ihr bringt sie noch um.«
Demmin sah auf und blinzelte den Mann wütend an, lockerte jedoch seinen Griff. Er sah Kahlan an. »Was weiß denn eine Schlampe wie du?«
»Ich weiß, daß du ein Lügner bist. Ich weiß, daß dein Herr einem kleinen Jungen wie dir nicht erzählen würde, was mit dem Sucher gemacht worden ist. Du weißt überhaupt nichts. Du konntest es mir nicht sagen, weil du keine Ahnung hast und obendrein so feige bist, daß du es nicht einmal zugeben kannst.«
Das war es also. Jetzt begriff Zedd. Kahlan wußte, sie würde sterben, und sie war dazu bereit, alles, was Demmin ihr antun konnte, gegen das Wissen um Richards Zustand einzutauschen. Sie wollte nicht sterben, ohne zu erfahren, ob er in Sicherheit war. Angesichts der Ungeheuerlichkeit der Situation liefen Zedd die Tränen über die Wangen. Er hörte, wie Chase sich direkt vor ihm rührte.
Demmin ließ ihre Kehle los und gab den beiden Kerlen ein Zeichen, sie sollten sie loslassen. In einem plötzlichen Wutanfall schlug er sie mit der Faust. Sie landete unsanft auf dem Rücken. Er beugte sich vor und riß sie an den Haaren in die Höhe, als hätte sie kein Gewicht.
»Du weißt nichts! Deine Faust sagt alles. Dein Herr erzählt es vielleicht deinem Vater«, höhnte sie, »aber dem kleinen Mädchen deines Vaters würde er kein Wort erzählen.«
»Also gut, na schön. Ich werde es dir sagen. Dann macht es noch mehr Spaß, wenn ich es dir besorge, weil du dann weißt, was wir mit Ungeziefer wie dem Sucher machen. Vielleicht kapierst du dann, daß du deine Zeit verschwendest, wenn du gegen uns kämpfst.«
Kahlan stand nackt vor ihm, ihr Gesicht rot vor Wut. Sie war keine kleine Frau, aber vor Demmin Nass wirkte sie zierlich. Schwer atmend wartete sie, die Fäuste in die Hüften gestemmt, ihre Brust blutverschmiert.
»Vor fast einem Monat hat ein Künstler einen Zauber gezeichnet, damit der Sucher gefangen werden konnte. Er hat den Künstler getötet, aber gefangen wurde er trotzdem. Von einer Mord-Sith.«
Die Farbe wich aus Kahlans Gesicht. Sie wurde weiß wie eine Lilie.
Zedd fühlte sich, als hätte er einen Stich ins Herz bekommen. Hätte er gekonnt, er wäre vor Schmerz zu Boden gefallen.
»Nein«, flüsterte sie mit aufgerissenen Augen.
»Doch«, äffte er ihren Tonfall nach. »Von einer besonders bösartigen Mord-Sith übrigens. Denna ist ihr Name. Selbst ich mache einen großen Bogen um sie. Sie ist der Liebling von Meister Rahl, wegen ihres…« — er grinste — »Geschicks. Nach dem, was ich gehört habe, hat sie sich an dem Sucher regelrecht verausgabt. Ich habe sie sogar selbst an einem Tag gesehen, beim Essen. Sie war von Kopf bis Fuß mit seinem Blut verschmiert.«
Kahlan zitterte leicht, ihre Augen wurden feucht. Zedd war sicher, daß sie noch blasser wurde.
»Aber er lebt noch«, flüsterte sie mit gebrochener Stimme.
Demmin grinste selbstgefällig, er war glücklich, es ihr erzählt zu haben und ihre Reaktion zu sehen. »Um genau zu sein, Mutter Konfessor, als ich den Sucher das letzte Mal gesehen habe, kniete er vor Darken Rahl und hatte Dennas Strafer am Hinterkopf. Ich glaube, er wußte nicht mal mehr seinen eigenen Namen. Meister Rahl wirkte derzeit nicht gerade glücklich. Und wenn Meister Rahl unglücklich ist, gibt es immer Tote. Nach seinen Worten zu urteilen, als ich ging, hat sich der Sucher nie wieder von den Knien erhoben. Seine Leiche ist sicher mittlerweile verfault.«
Zedd weinte, weil er sie nicht trösten konnte, weil sie ihn nicht trösten konnte.
Kahlan wurde totenstill.
Langsam hob sie die Arme in die Luft, reckte die Fäuste gen Himmel. Ihr Kopf fiel in den Nacken.
Sie stieß einen unfaßbaren Schrei aus. Er fuhr durch Zedd wie tausend Nadeln aus Eis, hallte von den Bergen zurück, durch die Täler, ließ die Bäume ringsum erzittern. Raubte Zedd den Atem. Demmin und die beiden anderen torkelten ein paar Schritte zurück.
Wäre es nicht bereits passiert, die Angst vor dem, was sie jetzt tat, hätte ihn zu Stein erstarren lassen. Sie hätte dazu nicht fähig sein dürfen.
Sie holte tief Luft, reckte die Fäuste höher. Tränen strömten ihr übers Gesicht.
Kahlan schrie ein zweites Mal. Lang, durchdringend, wie aus einer anderen Welt. Der Ton wälzte sich wie eine Lawine durch die Luft. Kiesel tanzten über den Boden. Das Wasser tanzte in den Seen ringsum. Sogar die Luft tanzte, begann sich zu bewegen. Die Männer hielten sich die Ohren zu. Das hätte Zedd auch getan, hätte er es gekonnt.
Sie holte noch einmal tief Luft. Ihr Rücken bog sich, als sie sich in den Himmel reckte.
Der dritte Schrei war noch schlimmer. Sein Zauber zerschlug das Gewebe der Luft. Zedd fühlte sich, als würde sein Körper auseinandergerissen. Die Luft begann um sie zu kreisen, wirbelte Staub auf.
Finsternis senkte sich, die Magie des Schreis raubte sogar das Licht und zog die Dunkelheit an wie den Wind. Licht und Dunkelheit umwirbelten die Mutter Konfessor, als sie mit dem Schrei einen uralten Zauber freisetzte.
Zedd erstickte fast vor Angst. Er hatte dies zuvor erst einmal gesehen, und es hatte kein gutes Ende genommen. Sie verband die Magie des Konfessors, die additive Magie, die Liebe, mit seinem Gegenstück aus der Unterwelt, dem Haß.
Kahlan stand schreiend im Mittelpunkt eines Mahlstromes. Das Licht wurde in sie hineingesogen. Dunkelheit legte sich über alles. Wo Zedd stand, wurde es schwarz wie die Nacht. Das einzige vorhandene Licht leuchtete rings um Kahlan. Nacht umgab den Tag, Ein Blitz zerriß tosend die Schwärze des Himmels, zuckte rasend schnell in jede Richtung, gabelte, verdoppelte sich wieder und wieder, bis der Himmel brannte. Donner grollte übers Land, verschmolz zu steter Raserei, vermischte sich mit dem Schrei und wurde zu einem Teil von ihm.
Der Erdboden bebte. Der Schrei wurde zu mehr als einem Geräusch, zu etwas völlig anderem. Ringsum brach der Boden, formte Spalten. Aus den Spalten schossen violette Lichtbalken in die Höhe. Die blau-violetten Lichtvorhänge vibrierten, tanzten und wurden in den Wirbel hineingesogen, zu Kahlan. Sie wurde zu einer glühenden Lichtgesalt in einem Meer der Finsternis. Nur sie existierte noch, alles andere war pures Nichts, frei selbst von Licht. Außer Kahlan konnte Zedd nichts erkennen.
In der Luft ringsum gab es einen fürchterlichen Schlag. In einem kurzen, gewaltigen Aufzucken des Lichts sah Zedd, wie die umstehenden Bäume plötzlich ihrer Nadeln beraubt wurden, als jeder einzelne von ihnen inmitten einer Wolke aus Grün zu Boden gedrückt wurde. Eine Wand aus Staub und Sand prallte gegen sein Gesicht, als wollte sie ihm in ihrer explosionsartigen Ausdehnung die Haut von den Knochen reißen.
Die Heftigkeit der Erschütterung riß die Finsternis mit sich fort. Das Licht kehrte zurück.
Die Verbindung war abgeschlossen.
Zedd sah, daß Chase staunend neben ihm stand. Die Arme waren ihm noch immer auf den Rücken gebunden. Grenzposten, überlegte Zedd, waren zäher, als man es für möglich hielt.
Fahlblaues Licht verschmolz zu einer zerrissen-eiförmigen Gestalt um sie und nahm an Leuchtkraft, Wirkung und irgendwie auch Brutalität zu. Kahlan drehte sich um. Ein Arm, der gebrochene, hing an ihrer Seite. Der andere machte auf halbem Wege halt. Sie streckte die Hand nach dem Zauberer aus. Das blaue Licht strömte aus dem Ring, der sie umgab, und sammelte sich in dem Punkt, an dem sich ihre Faust befand. Es schien sich zu vereinigen und schoß, plötzlich freigesetzt, als Lichtbalken durch den leeren Raum zwischen den beiden. Es prallte deutlich spürbar gegen ihn und erleuchtete ihn im Augenblick des Aufpralls, als wäre er mit Kahlan durch einen Faden lebendigen Lichts verbunden. Es hüllte ihn in einen fahlblauen Glanz. Der Zauberer spürte die vertraute Berührung der additiven Magie und das unbekannte Prickeln der aus der Unterwelt. Er wurde einen Schritt zurückgeschleudert, und das Netz, das ihn gefesselt hatte, zerbarst. Er war frei. Der Lichtfaden erlosch wie von selbst.
Zedd drehte sich zu Chase um und zertrennte die Taue mit einem raschen Zauber. Chase stöhnte vor Schmerzen auf, als seine Arme plötzlich wieder frei waren.
»Zedd«, flüsterte er, »was im Namen der Propheten geht hier eigentlich vor? Was hat sie getan?«
Kahlan fuhr mit den Fingern durch das fahlblaue Licht, das sie umgab, streichelte es zärtlich, badete darin. Demmin Nass und einer seiner Männer beobachteten sie dabei, wichen jedoch nicht von der Stelle und warteten ab. Kahlans starrer Blick war auf Dinge gerichtet, die sie nicht sehen konnten. Ihre Augen waren in einer anderen Welt. Ihre Augen, das wußte Zedd, sahen die Erinnerung an Richard.
»Man nennt es Con Dar. Den Blutrausch.« Zedds Blick schwenkte langsam von Kahlan zum Grenzposten hinüber. »Nur die stärksten Konfessoren sind dazu in der Lage. Und eigentlich dürfte sie es überhaupt nicht können.«
Chase runzelte die Stirn. »Wieso nicht?«
»Weil es von ihrer richtigen Mutter gelehrt werden muß, nur die Mutter kann einem beibringen, wie es ausgelöst wird, wenn das Verlangen stark genug ist. Es handelt sich um einen uralten Zauber, so alt wie die Magie der Konfessoren, wird jedoch selten benutzt. Er kann nur gelehrt werden, wenn die Tochter ein gewisses Alter erreicht hat. Kahlans Mutter starb, bevor sie es ihr beibringen konnte. Das hat Adie mir erzählt. Kahlan dürfte das eigentlich gar nicht können. Und doch hat sie es getan. Daß sie dazu allein durch Instinkt und ihren Willen in der Lage war, spricht in den Prophezeiungen für große Gefahr.«
»Aber warum hat sie es dann nicht schon vorher getan? Warum hat sie nicht schon vorher all dem ein Ende gemacht?«
»Kein Konfessor kann den Zauber für sich allein beanspruchen, sondern nur für einen anderen. Sie hat ihn in Richards Namen erfleht. Aus Zorn über seine Ermordung. Wir stecken in größten Schwierigkeiten.«
»Wieso?«
»Der Con Dar wird aus Rache eingesetzt. Konfessoren überleben ihn nur selten, sie verschreiben ihr Leben einem Ziel, damit die Rache ausgeführt werden kann. Kahlan setzt ihre Macht gegen Darken Rahl ein.«
Chase war schockiert. »Du hast mir erzählt, ihre Macht kann ihn nicht erreichen, kann ihm nichts anhaben.«
»Bislang war es so. Ich weiß nicht, ob es sich jetzt geändert hat, aber ich habe meine Zweifel. Sie wird es nichtsdestotrotz versuchen.
Der Con Dar, der Blutrausch, hat sie in seiner Gewalt. Es ist ihr egal, ob sie dabei draufgeht. Sie wird es versuchen, sie wird Darken Rahl berühren, selbst wenn es sinnlos ist und sie dabei stirbt. Sie wird jeden umbringen, der sich ihr in den Weg stellt. Ohne zweimal nachzudenken.« Er beugte sich hinüber zu Chase, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Das gilt auch für uns.«
Kahlan hatte sich auf dem Boden zu einem Ball zusammengerollt, den Kopf eingezogen, die Hände auf die gegenüberliegenden Schultern gelegt. Das fahlblaue Licht hüllte sie ein. Sie streckte sich langsam, erhob sich und schälte sich aus dem Licht wie aus einer Schale. Frisches, noch feuchtes Blut rann ihr über die Brust und tropfte von ihrem Kinn. Doch ihr Gesicht war von anderen als körperlichen Schmerzen gezeichnet. Dann verschwand auch dieser Ausdruck, und übrig blieb nichts als das typische Gesicht eines Konfessors.
Kahlan drehte sich ein Stück zu einem der beiden Männer, die sie festgehalten hatten. Der andere war nirgends zu sehen. Ruhig hob sie eine Hand in seine Richtung. Er befand sich gut vier Meter entfernt.
Ein Aufprall in der Luft, der Donner ohne Hall. Zedd spürte den Schmerz bis in die Knochen.
»Herrin!« schrie der Mann und sank auf die Knie. »Wie lautet Euer Befehl? Was verlangt Ihr von mir?«
Sie musterte ihn kühl. »Ich will, daß du für mich stirbst. Jetzt.«
Er zuckte zusammen und stürzte mit dem Gesicht nach vorn in den Staub — tot. Kahlan drehte sich um und ging auf Demmin Nass zu. Er hatte ein Grinsen im Gesicht, die Arme verschränkt. Kahlans gebrochener Arm hing herab. Sie schlug ihm den anderen mit einem lauten Klatschen gegen die Brust. Dort verharrte sie, als sich ihre Blicke ineinander verschränkten. Er türmte sich vor ihr auf.
»Sehr eindrucksvoll, du Schlampe. Aber du hast nicht nur deine Macht verbraucht, ich bin obendrein noch durch Meister Rahls Zauber geschützt. Du kannst mich mit deiner Macht nicht berühren. Du mußt doch noch immer einiges lernen, und ich werde es dir beibringen, wie ich noch nie jemandem etwas beigebracht habe.« Er hob die Hand und packte ihr wirres, verfilztes Haar. »Bück dich.«
Kahlans Gesicht zeigte keinerlei Regung. Sie sagte nichts.
Wieder ein Aufprall in der Luft, der Donner ohne Hall. Wieder spürte Zedd den Schmerz bis ins Mark. Demmin riß die Augen auf. Sein Unterkiefer klappte herunter.
»Herrin!« hauchte er.
Chase beugte sich herüber. »Wie hat sie das gemacht? Den ersten hat sie nicht einmal berührt, außerdem können Konfessoren ihre Macht nur einmal einsetzen, dann müssen sie ruhen, um sich zu erholen.«
»Jetzt nicht mehr. Sie ist im Con Dar.«
»Bleib stehen und warte«, sagte sie zu Demmin.
Kahlan ging mit elegant geschmeidigen Bewegungen auf den Zauberer zu. Sie blieb stehen und zeigte ihm den gebrochenen Arm.
Ihre Augen hatten einen seltsamen Glanz. »Bitte bring das für mich in Ordnung. Ich brauche ihn.«
Zedd löste den Blick von ihrem Gesicht und betrachtete den Arm. Er nahm ihn sachte in die Hand und redete leise auf sie ein, um sie von den Schmerzen abzulenken, während er den Arm unter- und oberhalb der Bruchstelle faßte und den Knochen mit einem Ruck richtete. Sie schrie nicht, zuckte nicht einmal. Er fragte sich, ob sie es überhaupt gespürt hatte. Zärtlich umfaßte er die gebrochene Stelle mit den Fingern und ließ die Wärme der Magie in sie hineinströmen. Dabei sog er den kalten Schmerz in sich hinein, spürte ihn, litt unter ihm, entschlossen, ihn auf sich zu nehmen. Sein Atem stockte kurz unter der Schärfe des Stichs. Er spürte ihre ganze Qual, sie verschmolz mit seinem eigenen Schmerz und drohte, ihn zu überwältigen, bis er ihn endlich ablegen konnte. Er fühlte, wie der Knochen zusammenwuchs, und verströmte weiter magische Energie, um ihn zu schützen und zu stärken, bis er von selbst heilen konnte. Endlich löste er seine Hände von ihr. Er war fertig. Sie hob den Kopf und blickte ihn aus grünen Augen an. Die kalte Wut in ihnen war furchteinflößend.
»Danke«, sagte sie leise. »Warte hier.«
Sie ging zurück zu Demmin Nass, der wie befohlen an Ort und Stelle gewartet hatte.
Er hatte Tränen in den Augen. »Bitte, Herrin, befehlt mir.«
Kahlan ignorierte sein Flehen und zog ein Messer aus seinem Gürtel. Mit der anderen löste sie die dornenbesetzte Schlachtkeule von ihrem Haken. »Zieh deine Hose aus.« Sie wartete, bis er sie heruntergelassen hatte und wieder vor ihr stand. »Auf die Knie.«
Die Kälte ihrer Stimme ließ Zedd erschaudern. Er sah zu, wie der Mann vor ihr auf die Knie ging.
Chase packte ihn mit einer Faust am Umhang. »Zedd, wir müssen sie aufhalten! Sie wird ihn umbringen! Wir müssen ihn ausfragen! Sobald er uns erzählt hat, was wir wissen müssen, kann sie mit ihm machen, was immer sie will. Aber erst müssen wir ihn ausfragen.«
Zedd warf ihm einen unnachgiebigen Blick zu. »Ich bin durchaus deiner Meinung, aber es gibt nichts, was wir tun könnten. Wenn wir uns einmischen, bringt sie uns um. Sobald du zwei Schritte in ihre Richtung machst, wird sie dich töten, bevor du den dritten machen kannst. Mit einem Konfessor im Blutrausch kann man nicht reden. Es ist, als wollte man ein Unwetter zur Vernunft bringen, man wird bestenfalls vom Blitz erschlagen.«
Chase ließ den Zauberer mit einem verstimmten Brummen los und verschränkte resigniert die Arme. Kahlan drehte die Keule herum und hielt Demmin den Griff hin.
»Halte das für mich.«
Er nahm sie und ließ sie an der Seite herabhängen. Kahlan ging dicht vor ihm in die Knie.
»Mach die Beine breit«, befahl sie mit eiskalter Stimme. Sie griff zwischen seine Beine, packte ihn mit einer Hand. Er zuckte zusammen und verzog das Gesicht. »Keine Bewegung«, warnte sie. Er rührte sich nicht. »Wie viele kleine Jungen hast du geschändet und umgebracht?«
»Ich weiß es nicht, Herrin. Ich habe nie nachgezählt. Ich tue das schon viele Jahre, seit meiner Jugend. Ich bringe sie nicht immer um. Die meisten leben noch.«
»Dann rate eben.«
Er überlegte einen Augenblick. »Mehr als achtzig. Weniger als hundertundzwanzig.«
Zedd sah das Messer aufblitzen, als sie es unter ihn hielt. Chase verschränkte die Arme und richtete sich auf. Seine Kinnmuskeln spannten sich, als er hörte, was Demmin Nass verbrochen hatte.
»Ich werde diese Dinger abschneiden. Dabei möchte ich von dir keinen Ton hören«, flüsterte sie. »Nicht den geringsten. Nicht einmal mit der Wimper zucken darfst du.«
»Ja, Herrin.«
»Sieh mir in die Augen. Ich will es in deinen Augen sehen.«
Sie spannte den Arm mit dem Messer an und riß ihn hoch. Als die Klinge wieder zum Vorschein kam, war sie rot.
Demmins Knöchel an der Keule waren weiß.
Die Mutter Konfessor erhob sich und blieb vor ihm stehen. »Halte deine Hand auf.«
Demmin hielt ihr zitternd die Hand hin. Sie drückte ihm das blutige Etwas in die Hand.
»Iß.«
Chase sah grinsend zu. »Das wird ihr guttun«, flüsterte er, ohne jemand Bestimmtes zu meinen. »Eine Frau, die weiß, was Gerechtigkeit ist.«
Sie stand vor ihm und sah zu, bis er fertig war. Sie warf das Messer fort. »Gib mir die Keule.«
Er reichte sie ihr. »Herrin, ich verliere eine Menge Blut. Ich weiß nicht, ob ich mich auf den Beinen halten kann.«
»Ich wäre äußerst ungehalten, wenn du es nicht schaffst. Bleib standhaft. Es wird nicht lange dauern.«
»Ja, Herrin.«
»Was du mir über Richard, den Sucher, erzählt hast, war das wahr?«
»Ja, Herrin.«
Kahlans Stimme war tödlich ruhig. »Wirklich alles?«
Demmin überlegte einen Augenblick, sicherheitshalber. »Alles, was ich Euch erzählt habe, Herrin.«
»Du hast mir also etwas verschwiegen?«
»Ja, Herrin. Ich habe dir verschwiegen, daß diese Mord-Sith, Denna, ihn zu ihrem Gatten genommen hat. Vermutlich, weil sie ihm so größere Schmerzen zufügen konnte.«
Die Stille schien ewig zu dauern. Kahlan stand regungslos über Demmin. Zedd bekam vor Qual kaum Luft, ein Kloß versperrte seinen Hals. Ihm zitterten die Knie.
Kahlans Stimme war so leise, daß Zedd sie kaum verstand. »Und du bist sicher, daß er tot ist?«
»Ich habe nicht gesehen, wie er getötet wurde, Herrin. Aber ich bin sicher.«
»Wie das?«
»Mir schien es, als wäre Meister Rahl in der Stimmung gewesen, ihn zu töten. Und wenn er es nicht getan hat, dann bestimmt Denna. Das ist die Aufgabe einer Mord-Sith. Der Gatte einer Mord-Sith lebt nicht sehr lange. Ich war überrascht, daß er noch lebte, als ich ihn verließ. Er schien in schlimmer Verfassung zu sein. Ich habe noch nie gesehen, daß ein Mann den Strafer so oft ins Genick bekommt und es überlebt. Er hat Euren Namen gerufen. Denna hat nur deswegen nicht zugelassen, daß er vor jenem Tag stirbt, weil Meister Rahl ihn vorher sprechen wollte. Ich habe es nicht mit eigenen Augen gesehen, Herrin, aber ich bin trotzdem sicher. Denna hat ihn durch die Magie des Schwertes an sich gebunden, es gab für ihn kein Entrinnen. Sie hatte ihn länger als gewöhnlich, sie hat ihm mehr als gewöhnlich weh getan, und sie hat ihn länger als üblich auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod wandern lassen. Aus irgendeinem Grund wollte Meister Rahl, daß der Sucher lange leidet. Deswegen hat er Denna ausgesucht. Keine genießt es mehr als sie, keine verfügt über mehr Talent, die Qualen in die Länge zu ziehen. Die anderen wissen nicht, wie sie ihre Opfer so lange am Leben lassen können. Wenn schon aus keinem anderen Grund, dann ist er jetzt tot, weil er der Gatte einer Mord-Sith war. Er kann unmöglich bis jetzt überlebt haben.«
Zedd sank auf die Knie, ihm brach das Herz vor Qual. Er weinte vor Schmerz. Er fühlte sich, als wäre dies das Ende der Welt. Er wollte nicht mehr. Er wollte sterben. Was hatte er bloß getan? Wie hatte er zulassen können, daß Richard in diese Sache hineingezogen wurde? Ausgerechnet Richard. Jetzt wußte er, warum Darken Rahl ihn nicht getötet hatte, als er die Gelegenheit dazu hatte. Er wollte, das Zedd zuerst litt. Das war seine Art.
Chase hockte sich neben ihn und legte den Arm um ihn. »Tut mir leid, Zedd«, flüsterte er. »Richard war auch mein Freund. Es tut mir so leid.«
»Sieh mich an«, sagte Kahlan, die Keule mit beiden Händen erhoben.
Demmin hob den Kopf und sah ihr in die Augen. Sie wuchtete die Keule mit aller Kraft nach unten. Sie grub sich mit einem ekligen Geräusch in seine Stirn, saß fest und wurde ihr aus den Händen gerissen, als er schlaff und gleitend niederging, so als hätte er keine Knochen.
Zedd unterdrückte seine Tränen und stand auf, als sie auf die beiden zukam. Unterwegs holte sie eine Blechschale aus einem Rucksack.
Sie reichte sie Chase. »Fülle sie zur Hälfte mit Giftbeeren vom Blutkehlenstrauch.«
Chase starrte ein wenig verwirrt auf die Schale. »Jetzt sofort?«
»Ja.«
Er bemerkte Zedds warnenden Blick und richtete sich auf. »Na schön.« Er drehte sich um und wollte gehen, machte jedoch kehrt, zog seinen schweren, schwarzen Umhang aus und legte ihn ihr über die Schultern, um ihre Blöße zu bedecken. »Kahlan…« Er starrte sie an, brachte schließlich doch kein Wort hervor und machte sich an seine Aufgabe.
Kahlan starrte mit leerem Blick ins Nichts. Zedd legte den Arm um sie und setzte sie auf eine zusammengerollte Decke. Dann sammelte er die Überreste ihres Hemdes ein und riß es in Streifen, die er mit Wasser aus einem Schlauch befeuchtete. Sie ließ es widerstandslos geschehen, als er ihr das Blut abwusch, einige ihrer Wunden mit Salbe, andere magisch versorgte. Als er fertig war, hob er mit den Fingern ihr Kinn und blickte ihr in die Augen.
Zedd sprach leise. »Er ist nicht umsonst gestorben, meine Liebe. Er hat das Kästchen gefunden und alle gerettet. Behalte ihn in deiner Erinnerung als jemand, der das getan hat, was niemand sonst hätte tun können.«
Leichter Nebel aus den dicken, dicht über dem Boden ziehenden Wolken legte sich allmählich feucht auf ihre Gesichter.
»Ich werde immer nur daran denken, daß ich ihn geliebt habe und es ihm nie habe sagen können.«
Zedd verschloß die Augen angesichts der Bürde, ein Zauberer zu sein.
Chase kehrte zurück und reichte ihr die Schale mit giftigen Beeren. Sie bat um etwas, mit dem sie sie zerstoßen konnte. Mit ein paar raschen Schnitten hatte Chase einen dicken Ast zurechtgeschnitzt, mit dem sie zufrieden war. Sie machte sich an die Arbeit.
Sie hielt inne, als wäre ihr etwas eingefallen. Sie hob den Kopf und sah Zedd an, ihre Augen glühten. »Darken Rahl gehört mir.« Es war eine Warnung. Eine Drohung.
Er nickte. »Ich weiß, meine Liebe.«
Sie zerquetschte die Beeren weiter. Eine Träne lief ihr die Wange hinunter.
»Ich werde Brophy begraben«, meinte Chase leise zu Zedd. »Die anderen können von mir aus verfaulen.«
Kahlan zerdrückte die Beeren zu einer Paste, indem sie ein wenig Asche aus dem Feuer hinzufügte. Als sie fertig war, mußte Zedd ihr den kleinen Spiegel halten, während sie sich mit der Paste das Zeichen des Con Dar aufmalte: Doppelblitze. Die Magie führte ihr die Hand. Sie setzte auf beiden Seiten an der Schläfe an. Die beiden Blitze waren einander Spiegelbilder, der obere Teil des Blitzes verlief im Zickzack über je eine Braue, das jeweilige Mittelstück über ein Lid und der untere Teil über die Wangenknochen, bis sie schließlich in den Grübchen einer jeden Wange endeten.
Der Effekt war furchteinflößend — und sollte es auch sein. Es war eine Warnung an die Unschuldigen. Und für die Schuldigen ein Gelübde.
Nachdem sie sich die Zotteln aus dem Haar gebürstet hatte, holte sie das Konfessorkleid aus ihrem Rucksack, legte den Umhang fort und zog es über. Chase kam zurück. Kahlan reichte ihm seinen Umhang und bedankte sich bei ihm.
»Trag du ihn«, meinte Chase, »er ist wärmer als deiner.«
»Ich bin die Mutter Konfessor. Ich trage keinen Umhang.«
Der Grenzposten widersprach nicht. »Die Pferde sind verschwunden. Alle.«
Sie sah ihn gleichgültig an. »Dann gehen wir eben zu Fuß. Wir werden nachts nicht anhalten, sondern weitermarschieren. Du kannst mitkommen, wenn du willst, vorausgesetzt, du hältst mich nicht auf.«
Chase reagierte erstaunt auf die unbeabsichtigte Beleidigung, ließ es aber dabei bewenden. Kahlan machte kehrt und ging los, ohne etwas von ihren Sachen zusammenzusuchen. Chase warf Zedd einen Blick zu und stieß geräuschvoll einen Seufzer aus.
Er bückte sich, um seine Sachen einzusammeln. »Ohne meine Waffen breche ich nicht auf.«
»Wir sollten uns beeilen, bevor sie einen zu großen Vorsprung hat. Sie wird nicht auf uns warten.« Der Zauberer schnappte sich Kahlans Rucksack und stopfte hinein, was er fand. »Wir sollten zumindest etwas von unseren Vorräten mitnehmen.« Er strich eine Falte aus dem Rucksack. »Chase, ich fürchte, wir werden nicht wieder zurückkommen. Der Con Dar ist ein Selbstmordkommando. Du hast Familie. Du brauchst nicht mitzukommen.«
Chase sah nicht einmal auf. »Was ist eine Mord-Sith?« fragte er ruhig.
Der Zauberer mußte schlucken, er hielt den Rucksack so fest umklammert, daß seine Hände zitterten. »Mord-Siths werden von klein auf in der Kunst der Folter und im Gebrauch eines gnadenlosen Schmerzbereiters, dem Strafer, ausgebildet. Das war dieses rote Ding, das um Darken Rahls Hals hing. Die Mord-Sith sind durch Magie dagegen gefeit. Sie besitzen die Macht, einem Menschen die Zauberkraft zu nehmen und sie gegen ihn zu richten.« Zedds Stimme brach. »Richard hat das bestimmt nicht gewußt. Er hatte keine Chance. Der einzige Lebenszweck einer Mord-Sith, ihr einziges Ziel ist es, jemanden mittels dieser Zauberkraft zu Tode zu quälen.«
Chase rammte ein Stück Decke in den Rucksack. »Ich komme mit.«
Zedd nickte, er hatte verstanden. »Ich bin froh, daß du uns begleitest.«
»Können diese Mord-Siths uns gefährlich werden?«
»Dir nicht, du besitzt keine Zauberkräfte, und Zauberern ebenfalls nicht, ich bin gegen sie geschützt.«
»Und was ist mit Kahlan?«
Zedd schüttelte den Kopf. »Die Zauberkraft eines Konfessors funktioniert anders als alle anderen. Eine Berührung mit der Magie eines Konfessors bedeutet für eine Mord-Sith den Tod. Einen äußerst üblen Tod. Ich habe es einmal gesehen. Ich will es nicht noch einmal sehen.« Zedd ließ den Blick über das blutverschmierte Chaos schweifen und dachte daran, was sie Kahlan angetan hatten oder beinahe angetan hätten. »Ich habe wohl eine Menge Dinge gesehen, die ich nicht noch einmal sehen möchte.«
Zedd hievte gerade Kahlans Rucksack über die Schultern, als ein Beben die Luft erschütterte, der Donner ohne Hall. Die beiden rannten zum Pfad Kahlan hinterher. Sie waren erst ein kurzes Stück weit gekommen, als sie den letzten Mann, alle viere von sich gestreckt, quer über dem Pfad liegend fanden, dort wo er gelauert hatte. Sein eigenes Schwert ragte ihm aus der Brust. Er hielt das Heft mit tödlichen Griff umklammert.
Sie rannten weiter, bis sie sie eingeholt hatten. Sie schritt zielstrebig voran, die Augen geradeaus, ohne einen Blick für ihre Umgebung. Das Konfessorkleid flatterte hinter ihr wie eine Flamme im Wind. Zedd hatte immer angenommen, Konfessoren sähen in ihren Kleidern wunderschön aus, besonders, wenn es weiß war wie das der Mutter Konfessor.
Jetzt erkannte er, was es wirklich war. Eine Rüstung für die Schlacht.