8

Richard wachte auf, als er Kahlan zurückkommen und Holz aufs Feuer werfen hörte. Das erste Licht kroch gerade über die Gipfel der fernen Berge und tauchte sie in einen rosigen Schimmer. Die dunklen Wolken dahinter ließen die schneebedeckten Bergspitzen um so deutlicher hervortreten. Zedd lag mit weit offenen Augen auf dem Rücken und schnarchte. Richard rieb sich den Schlaf aus den Augen und gähnte.

»Wie war’s mit etwas Tavawurzbrei?« flüsterte er, um Zedd nicht zu wecken.

»Klingt gut«, flüsterte sie zurück.

Richard zog die Wurzeln aus seinem Bündel und machte sich daran, sie mit seinem Messer zu schälen, während Kahlan einen Topf holen ging.

Nach dem Kleinschneiden warf er die Wurzeln ins Wasser, das sie aus einem Schlauch in den Topf geschüttet hatte. »Das sind die letzten. Wir müssen heute abend wieder nach Wurzeln graben, aber ich bezweifle, ob wir Tava finden. Nicht in dieser felsigen Gegend.«

»Ich habe ein paar Beeren gepflückt.«

Sie wärmten sich die Hände am Feuer. Mehr als eine Königin, überlegte er. Er versuchte sich eine Königin in feinen Gewändern und mit einer Krone beim Beerenpflücken vorzustellen.

»Ist dir auf deiner Wache irgend etwas aufgefallen?«

Sie schüttelte den Kopf. Dann schien ihr etwas einzufallen, und sie hob den Kopf. »Da war ein seltsames Geräusch. Hier unten, dicht beim Lager. Wie ein Knurren, gefolgt von einem unterdrückten Schrei. Ich hätte dich fast geweckt, aber es war so schnell wieder vorbei, wie es angefangen hatte, und ich habe danach nichts mehr gehört.«

»Tatsächlich.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Hier unten. Ich frage mich, was das gewesen sein kann. Wahrscheinlich war ich so müde, daß ich nichts davon mitbekommen habe.«

Als die Wurzeln gar waren, zerstampfte Richard sie und gab ein wenig Zucker hinzu. Kahlan verteilte den Brei und streute eine große Handvoll Beeren über jeden Teller.

»Warum weckst du ihn nicht?« meinte sie.

Richard grinste. »Paß auf.«

Er schlug ein paarmal mit dem Löffel gegen die Blechschüssel. Ein kurzes Schnaufen, dann saß Zedd blitzartig kerzengerade.

Der alte Mann blinzelte. »Frühstück?«

Die beiden kicherten, mit dem Rücken zu ihm.

»Du bist heute morgen gut gelaunt«, meinte sie und sah zu ihm hinüber.

»Zedd ist wieder bei uns«, antwortete er.

Richard ging hin und reichte Zedd eine Schale mit Brei, dann ließ er sich mit seiner Portion auf einem niedrigen Felsvorsprung nieder. Kahlan machte es sich auf dem Boden bequem, schlug sich eine Decke um die Füße und balancierte dabei die Schale in einer Hand. Zedd wickelte sich zum Essen nicht einmal aus der Decke. Richard aß langsam und wartete auf eine günstige Gelegenheit, derweil Zedd seinen Brei hinunterschlang.

»Gut!« verkündete Zedd und stand auf, um sich eine zweite Portion aus dem Topf zu holen.

Richard wartete, während sein Freund sich seinen Nachschlag aus dem Topf löffelte, dann sagte er: »Kahlan hat mir gesagt, was geschehen ist. Sie hat mir erzählt, daß du sie gezwungen hast, dir von Shota zu erzählen.«

Kahlan erstarrte wie vom Blitz getroffen.

Zedd zuckte hoch und wirbelte zu ihr herum. »Wieso hast du ihm davon erzählt! Ich dachte, du wolltest nicht, daß er…«

»Zedd … ich habe kein Sterbenswörtchen…«

Zedd verzog das Gesicht. Langsam drehte er sich zu Richard um, der sich über seine Schale beugte und den Brei in den Mund löffelte.

Er sah nicht einmal auf. »Sie hat mir nichts verraten. Aber du gerade eben.«

Richard schob den letzten Löffel in den Mund, schluckte, leckte den Löffel sauber und ließ ihn klirrend in die Blechschale fallen.

Er hob den Kopf und blickte dem Zauberer ruhig und mit einem triumphierenden Blick in die Augen. »Das erste Gesetz der Magie«, verkündete Richard mit dem Anflug eines Lächelns. »Man beginnt etwas zu glauben, wenn man möchte, daß es wahr ist … oder es befürchtet.«

»Ich hab’s dir doch gesagt«, fauchte Kahlan Zedd an. »Ich habe dir gesagt, er wird dahinterkommen.«

Zedd achtete nicht auf sie. Er stand immer noch da und starrte Richard mit schiefem Blick an.

»Ich habe über gestern abend nachgedacht«, erklärte Richard und stellte die Schale weg. »Ich denke, du hast recht. Du solltest wissen, was Shota gesagt hat. Schließlich bist du ein Zauberer. Vielleicht kann uns irgend etwas helfen, Darken Rahl aufzuhalten. Du würdest ohnehin keine Ruhe geben, bis du nicht weißt, was geschehen ist. Eigentlich hatte ich es dir heute erzählen wollen, aber dann dachte ich, du würdest es doch irgendwie aus Kahlan herausbekommen.«

Kahlan ließ sich lachend auf die Decke fallen.

Zedd richtete sich auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Mist! Richard, weißt du eigentlich, was du gerade getan hast?«

»Zauberei«, grinste Richard. »Ein gut ausgeführter Trick ist Zauberei.« Er zuckte mit den Achseln. »Hat man mir jedenfalls gesagt.«

Zedd nickte langsam. »Allerdings.« Er reckte einen seiner dünnen Finger in die Höhe, und in seine stechenden, haselbraunen Augen kam Leben. »Du hast einen Zauberer mit seinem eigenen Gesetz hereingelegt. Das ist keinem meiner Zauberer jemals gelungen.« Er kam näher. Er fing an zu strahlen. »Verdammt, Richard! Du hast es! Du besitzt die Gabe, mein Junge. Du kannst ein Zauberer der ersten Ordnung werden wie ich.«

Richard legte die Stirn in Falten. »Ich will aber kein Zauberer werden.«

Zedd achtete nicht auf ihn. »Du hast die erste Prüfung bestanden.«

»Du hast gerade selbst gesagt, daß kein anderer Zauberer das je geschafft hat. Wie können sie Zauberer sein, wenn sie die Prüfung nicht bestanden haben?«

Zedd machte ein verächtliches Gesicht. »Es waren Zauberer dritter Ordnung. Einer, Giller, ist ein Zauberer zweiter Ordnung. Keiner von ihnen hat die Prüfungen für einen Zauberer erster Ordnung bestanden. Ihnen fehlte die Gabe. Sie waren bestenfalls berufen.«

Richard grinste verlegen. »Es war doch bloß ein Trick. Mach die Sache nicht größer, als sie war.«

»Ein ganz besonderer Trick.« Zedd kniff die Augen zusammen. »Ich bin sehr stolz auf dich.«

»Und wie viele dieser Prüfungen gibt es, wenn dies die erste ist?«

Zedd zuckte mit den Achseln. »Oh, ich weiß nicht. Vielleicht ein paar hundert oder so. Aber du hast die Gabe, Richard.« Für einen Augenblick legte sich ein sorgenvoller Schatten über sein Gesicht, so als hätte er das nicht erwartet. »Du mußt es beherrschen lernen, sonst…« Sein Blick strahlte wieder auf. »Ich bringe es dir bei. Du könntest ein Zauberer erster Ordnung werden.«

Richard merkte, wie ihn Zedds Gerede einlullte. Er mußte den Kopf schütteln, um ihn wieder klar zu bekommen. »Ich habe dir doch gesagt, ich will kein Zauberer werden.« Leise fügte er hinzu: »Wenn das hier vorbei ist, will ich nie wieder etwas mit Magie zu tun haben.« Er spürte, wie Kahlan ihn anstarrte. Sein Blick schwankte zwischen den beiden erstaunten Gesichtern hin und her. »Es war nur ein dummer, kleiner Trick, mehr nicht.«

»Bei einem anderen wäre es das gewesen, ja. Aber nicht bei einem Zauberer.«

Richard verdrehte die Augen. »Ihr zwei seid…«

Zedd beugte sich aufgeregt vor und schnitt ihm das Wort ab. »Kannst du den Wind beherrschen?«

Richard lehnte sich ein Stück zurück. »Natürlich kann ich das«, ging er auf das Spiel ein. Er reckte beide Hände in den Himmel. »Komm zu mir, Bruder Wind! Sammle dich! Blas eine Böe nur für mich!« Er breitete theatralisch die Arme aus.

Kahlan raffte erwartungsvoll ihren Umhang um sich. Nichts geschah. Die beiden wirkten ein wenig enttäuscht.

»Was ist los mit euch beiden?« brummte er. »Habt ihr unreife Beeren gegessen?«

Zedd meinte zu ihr: »Das wird er noch lernen müssen.«

Kahlan ließ sich Zedds Worte durch den Kopf gehen und meinte zu Richard: »Nur wenige bekommen das Angebot, Zauberer zu werden, Richard…«

Zedd rieb sich die Hände. »Verdammt! Hätte ich doch bloß die Bücher bei mir. Ich wette einen Drachenzahn, daß sie etwas hierüber zu sagen hätten.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Und natürlich ist da noch die Sache mit den Schmerzen … Und…«

Richard wurde es langsam unbehaglich. »Was bist du eigentlich für ein Zauberer? Du hast ja nicht mal einen Bart.«

Zedd wurde aus seinen Gedanken gerissen und runzelte die Stirn. »Was?«

»Einen Bart. Wo ist dein Bart? Das frage ich mich schon, seit ich weiß, daß du ein Zauberer bist. Zauberer haben einen Bart, mußt du wissen.«

»Wer hat dir denn das erzählt?«

»Ich … ich weiß nicht. Das weiß doch jeder. Zauberer haben einen Bart. Das ist allgemein bekannt. Mich überrascht, daß du das nicht weißt.«

Zedd zog ein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen. »Aber ich kann Barte nicht ausstehen. Sie jucken.«

Richard zuckte mit den Achseln. »Offenbar weißt du doch nicht soviel über Zauberer, wenn du davon noch nie etwas gehört hast.«

Zedd verschränkte trotzig die Arme. »Einen Bart, ja?« Er rieb sich mit Daumen und Zeigefingern das Kinn. Mit einer zupfenden Bewegung schien er sich einen Schnäuzer aus der Oberlippe zu ziehen. Richard verfolgte mit großen Augen das Geschehen, bis der schneeweiße Bart bis auf Zedds Brust reichte.

Zedd warf seinen Kopf in den Nacken und sah Richard herausfordernd an. »Genügt das, mein Junge?«

Richard merkte, daß sein Mund offenstand. Er machte ihn zu, aber außer einem Nicken brachte er nichts zustande.

Zedd kratzte sich an Kinn und Hals. »Gut. Und nun gib mir dein Messer, damit ich dieses Ding wieder abrasieren kann. Es juckt wie tausend Ameisen.«

»Mein Messer? Wozu brauchst du mein Messer? Warum läßt du ihn nicht einfach ebenso verschwinden, wie du ihn herbeigezaubert hast?«

Kahlan lachte kurz auf, wurde aber sofort wieder ernst, als Zedd sie ansah.

»So funktioniert das nicht. Weiß doch jeder, daß das so nicht funktioniert«, spottete Zedd. Er wandte sich an Kahlan. »Oder etwa nicht? Sag du es ihm.«

»Mit Magie kann man nur etwas verändern, was bereits vorhanden ist. Man kann nichts ungeschehen machen.«

»Das verstehe ich nicht.«

Zedd blinzelte ihn scharf an. »Deine erste Lektion, solltest du dich doch noch entscheiden, Zauberer zu werden. Wir alle drei verfügen über magische Kräfte. Additive magische Kräfte. Diese Art der Magie benutzt, was bereits vorhanden ist, fügt ihm etwas hinzu oder verändert es auf irgendeine Weise. Kahlans Magie macht sich den Funken der Liebe in einem Menschen zunutze, wie klein er auch sein mag, und fügt ihm etwas hinzu, bis er zu etwas anderem geworden ist. Die Magie des Schwertes der Wahrheit macht sich deinen Zorn zunutze, fügt ihm etwas hinzu, gewinnt daraus eine Kraft, bis etwas Neues entsteht. Und ich tue das gleiche. Ich hole mir, was immer ich brauche, aus der Natur und verändere es. Ich kann einen Käfer in eine Blume verwandeln, eine Angst in ein Ungeheuer, ich kann einen gebrochenen Knochen zusammenwachsen lassen, die Hitze aus der Luft ziehen und sie vermehren, vervielfältigen, bis Zaubererfeuer entsteht. Ich kann meinen Bart wachsen lassen. Aber verschwinden lassen kann ich ihn nicht.« Ein Stein, so groß wie seine Faust, stieg in die Luft. »Ich kann Dinge hochheben. Sie verändern.« Der Stein zerplatzte zu Staub.

»Dann kannst du alles«, flüsterte Richard.

»Nein. Ich kann den Stein anheben, zermalmen oder schweben lassen, aber verschwinden lassen kann ich ihn nicht. Wo sollte er hin? Das nennt man subtraktive Magie, das Zunichtemachen von Materie. Meine Magie ist von dieser Welt wie die Kahlans oder des Schwertes. Alle Magie dieser Welt ist additiv. Darken Rahl beherrscht sie ebenso wie ich.« Zedds Gesicht verfinsterte sich. »Subtraktive Magie kommt aus der Unterwelt. Darken Rahl beherrscht auch sie. Ich nicht.«

»Ist sie ebenso mächtig wie additive Magie?«

»Subtraktive Magie ist das Gegenteil der additiven. Sie verhalten sich wie Tag und Nacht. Die Magie der Ordnung beinhaltet beides. Additive sowie subtraktive. Sie kann der Welt etwas hinzufügen oder die Welt in ein Nichts verwandeln. Um die Kästchen öffnen zu können, muß man beide Arten von Magie beherrschen. Die Menschen haben sich darüber niemals Gedanken gemacht, weil niemand in der Lage war, sich die subtraktive Magie zunutze zu machen. Darken Rahl jedoch beherrscht sie ebenso, wie ich die additive beherrsche.«

»Und wie ist es deiner Ansicht nach dazu gekommen?« erkundigte sich Richard stirnrunzelnd.

»Ich habe keine Ahnung. Aber ich mache mir deswegen große Sorgen.«

Richard atmete tief durch. »Ich glaube trotzdem, daß du dich umsonst aufregst. Ich habe doch nur einen harmlosen Trick angewandt.«

Zedd funkelte ihn ernst an. »Ich gäbe dir recht, wenn ich ein normaler Mensch wäre. Aber ich bin ein Zauberer. Die Magie schützt mich vor den Gesetzen der Magie. Du hättest meine Magie nicht durchdringen können, außer mit deiner eigenen Zauberkraft. Ich habe so manchen zum Zauberer ausgebildet. Was du gerade getan hast, hätte ich ihnen erst beibringen müssen. Sie hätten es nicht tun können, ohne es vorher gelernt zu haben. Ganz selten jedoch wird jemand bereits mit der Gabe geboren. Ich war so jemand. Und du, Richard, hast die Gabe auch. Früher oder später wirst du lernen müssen, sie zu beherrschen.« Er streckte die Hand aus. »Und jetzt gib mir das Messer, damit ich mich von diesem lächerlichen Bart befreien kann.«

Richard drückte Zedd den Griff in die Hand. »Die Klinge ist stumpf. Ich habe damit nach Wurzeln gegraben. Zum Rasieren ist sie zu stumpf.«

»Tatsächlich?« Zedd packte die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger und zog sie hindurch. Dann drehte er das Messer herum und hielt es vorsichtig mit Daumen und zwei Fingern. Richard sah verblüfft zu, wie er sich rasierte. Mit leichtem Schnitt fiel ein Bartbüschel zu Boden.

»Du hast gerade subtraktive Magie gebraucht! Du hast etwas von der Klinge weggenommen, um sie schärfer zu machen!«

Zedd zog eine Braue hoch. »Nein, ich habe benutzt, was bereits vorhanden war, und die Klinge umgestaltet, damit sie wieder scharf wird.«

Kopfschüttelnd machte Richard sich an das Einsammeln der Haare, während Zedd sich den Bart abrasierte. Kahlan half beim Wegräumen.

»Weißt du, Zedd«, meinte Richard, als er die Schale zusammenpackte, »ich glaube, du wirst zu eigenbrötlerisch. Du brauchst jemanden, wenn das alles vorüber ist. Jemanden, der sich um dich sorgt und dir den Kopf zurechtrückt. Der etwas Tageslicht in deine Phantasie läßt. Ich glaube, du brauchst eine Frau.«

»Eine Frau?«

»Bestimmt. Ich glaube, genau das brauchst du. Vielleicht solltest du dir Adie noch einmal genauer ansehen.«

»Adie?«

»Ja, Adie«, wiederholte Richard mit Nachdruck. »Du erinnerst dich doch an sie. Die Einbeinige.«

»Oh, Adie habe ich in sehr guter Erinnerung.« Er setzte eine Unschuldsmiene auf. »Aber Adie hat zwei gesunde Beine, nicht bloß eins.«

Richard und Kahlan sprangen auf. »Was?«

»Ja«, grinste Zedd und wandte sich ab. »Ist wohl nachgewachsen, wie es scheint.« Er bückte sich und holte einen Apfel aus Richards Rucksack. »Ganz plötzlich.«

Richard packte Zedd am Ärmel und zog ihn herum. »Zedd, hast du etwa…«

Der Zauberer lächelte. »Bist du ganz sicher, daß du kein Zauberer werden möchtest?« Er biß in den Apfel. Richards erstauntes Gesicht schien ihn zu amüsieren. Zedd reichte ihm das Messer, dessen Klinge so scharf war wie ehedem.

Kopfschüttelnd machte Richard sich an die Arbeit. »Ich will nur nach Hause und als Waldführer arbeiten. Sonst nichts.« Er überlegte kurz und fragte: »Zedd, ich bin in deiner Nähe aufgewachsen, und die ganze Zeit wußte ich nicht, daß du ein Zauberer bist. Du hast keine Magie benutzt. Wie hast du das ausgehalten? Warum hast du es nicht getan?«

»Nun ja, es ist nicht ganz ungefährlich, Magie zu benutzen. Und schmerzhaft.«

»Nicht ganz ungefährlich? Wieso?«

Zedd sah ihn einen Augenblick lang an. »Du hast doch auch schon Magie benutzt, mit dem Schwert. Erzähl mir, wie es war.«

»Aber das war das Schwert, das ist etwas anderes. Worin besteht die Gefahr für einen Zauberer, der Magie benutzt? Welche Schmerzen muß er erleiden?«

Zedd lächelte ihn schlau an. »Hat die erste Lektion gerade erst hinter sich, und schon will er die zweite.«

Richard richtete sich auf. »Gut, dann laß es eben.« Er wuchtete sich den Rucksack auf den Rücken. »Ich will nichts weiter, als Waldführer sein.«

Mit dem Apfel in der Hand zog Zedd in Richtung Pfad los. »Das hast du mir schon gesagt.« Er biß ein großes Stück vom Apfel ab. »Und jetzt möchte ich, daß du mir alles erzählst, was passiert ist, seit man mich bewußtlos geschlagen hat. Laß nichts aus, wie nebensächlich es dir auch vorkommen mag.«

Richard und Kahlan wurden rot und sahen sich an. »Ich erzähle es ihm nicht, wenn du es nicht tust«, flüsterte er.

Sie legte ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück. »Ich schwöre es, kein Sterbenswörtchen über das, was im Haus der Seelen geschehen ist.«

Ein Blick in ihre Augen genügte, um zu wissen, daß sie gewillt war, ihr Wort zu halten.

Den Rest des Tages marschierten sie über holprige Pfade und hielten sich fernab der Straßen. Dabei erzählten die beiden alles, was sich zugetragen hatte, seit jenem Tag, als sie an der Grenze angegriffen worden waren. An den unmöglichsten Stellen der Erzählung bat Zedd sie, zu früheren Ereignissen zurückzukehren. Mit gegenseitiger Unterstützung gelang es Richard und Kahlan, das Garn der Schlammenschengeschichte zu spinnen, ohne zu erwähnen, was zwischen ihnen im Haus der Seelen geschehen war.

Je näher sie Tamarang kamen, desto häufiger mußten sie Straßen überqueren. Auf ihnen waren viele Flüchtlinge unterwegs, die ihr Hab und Gut auf dem Rücken oder auf kleinen Karren fortschleppten. Richard achtete darauf, daß sie nie zu lange den Blicken der Menschen ausgesetzt waren, und schob sich vor Kahlan, so oft es ging. Die Mutter Konfessor sollte nicht erkannt werden. Er war jedesmal erleichtert, wenn sie wieder in den Wäldern waren. Im Wald fühlte er sich am wohlsten, obwohl es auch dort alles andere als ungefährlich war.

Später waren sie gezwungen, die Straße zu nehmen, um den Callisidrin zu überqueren. Zum Durchwaten war er zu breit und reißend, daher benutzten sie die große Holzbrücke. Zedd und Richard nahmen Kahlan schützend in die Mitte, als sie sich durch die Menschenmenge auf der Brücke schoben. Kahlan behielt die Kapuze ihres Umhanges auf, damit niemand ihr langes Haar sehen konnte. Die meisten Menschen strömten Richtung Tamarang, wo sie Schutz und Sicherheit vor den plündernden Horden zu finden hofften, die angeblich aus Westland in das Land eingefallen waren. Nach Kahlans Ansicht konnten sie Tamarang Mitte des nächsten Tages erreichen. Von nun an waren sie die meiste Zeit gezwungen, die Straße zu benutzen. Richard wußte, wenn sie nachts vor Menschen sicher sein wollten, würden sie sich weit von der Straße entfernen müssen. Er behielt die Sonne im Auge, damit sie genügend Zeit hatten, sich tief im Wald zu verstecken, bevor es zu dunkel wurde.

»Fühlt sich das gut an?«

Rachel tat, als würde Sara antworten, und stopfte noch ein wenig Gras um ihre Puppe, um ganz sicherzugehen, daß ihr warm genug war. Das in das Tuch geknotete Brot legte sie daneben.

»Jetzt bist du erst mal warm. Ich muß etwas Holz sammeln, bevor es zu dunkel wird, und dann machen wir uns ein Feuer. Damit wir nicht frieren müssen.«

Sie ließ Sara und das Brot in der Launenfichte zurück und ging nach draußen. Die Sonne war untergegangen, aber es war noch hell. Die Wolken hatten eine hübsche rosa Farbe. Ab und zu blieb sie stehen, klemmte die Zweige unter den freien Arm, und betrachtete sie. Sie sah in ihrer Tasche nach, ob der Feuerstab noch da war. Gestern abend hätte sie ihn fast vergessen. Sie bekam Angst, wenn sie nicht nachsah und sich vergewisserte, daß sie ihn nicht liegengelassen hatte.

Sie hob den Kopf und sah die hübschen Wolken. Im selben Augenblick huschte ein großes, dunkles Etwas ein kleines Stück weiter den Hügel hinauf über die Wipfel der Bäume. Ein großer Vogel, dachte sie. Raben waren groß und schwarz. Es mußte einer dieser lärmenden Raben sein. Sie sammelte noch ein paar Äste. Dann entdeckte sie auf dem Boden einer Lichtung einige Blaubeersträucher. Es war bereits recht spät im Jahr, und die Beeren waren schon ziemlich trocken und verschrumpelt, aber immer noch genießbar. Eigentlich schmeckten sie köstlich. Für jede, die sie aß, steckte sie eine ein. Auf Händen und Knien rutschend, pflückte sie Beeren, naschte und steckte sie in ihre Tasche. Es wurde dunkler. Ab und zu hob sie den Kopf und betrachtete die hübschen Wolken. Sie waren dunkler geworden. Violett.

Als sich ihr Bauch langsam besser fühlte und ihre Tasche voll war, hob sie die Äste auf und ging zurück zur Launenfichte. Drinnen angekommen, knotete sie das Tuch um das Brot auf und schüttete die Beeren aus ihrer Tasche in das Tuch. Dann setzte sie sich hin, klaubte die Beeren aus dem Tuch, plauderte mit Sara und bot ihr an, die Beeren mit ihr zu teilen. Sara hatte keinen großen Hunger. Rachel hätte gerne einen Spiegel gehabt. Zu gerne hätte sie ihr Haar im Spiegel betrachtet. Ein paar Stunden zuvor hatte sie sich in einem dunklen Teich gesehen. Ihr Haar sah so wunderschön aus. Es war wirklich nett von Richard gewesen, es ihr zu schneiden.

Sie vermißte Richard. Sie wünschte, er wäre jetzt hier, würde mit ihr zusammen fortlaufen, sie an sich drücken. Wenn er einen drückte, war das das Schönste, was man sich vorstellen konnte. Er könnte Kahlan auch in den Arm nehmen, wenn sie nicht so gemein wäre. Kahlan würde schon merken, wie wunderbar das war. Aus irgendeinem Grund vermißte Rachel sie ebenfalls. Ihre Geschichten, ihre Lieder, die Finger, die sie an der Stirn berührt hatten. Warum mußte sie so gemein sein? Warum wollte sie Giller etwas antun? Giller war einer der nettesten Menschen auf der Welt. Er hatte ihr Sara geschenkt.

Rachel brach die Äste, so gut es ging, damit sie zwischen die Steine paßten, die sie im Kreis zusammengelegt hatte. Nachdem sie sie sorgfältig gestapelt hatte, holte sie den Feuerstab heraus.

»Brenne für mich.«

Sie legte den Feuerstab neben die Beeren auf das Tuch, wärmte sich die Hände und aß ein paar Beeren. Dabei erzählte sie Sara von ihrem Kummer und wie gerne sie sich von Richard in den Arm nehmen lassen würde, wie sehr sie wünschte, daß Kahlan nicht so gemein wäre, daß sie hoffte, sie würde Giller nichts tun, wie gerne sie etwas anderes als Beeren zu essen hätte.

Ein Insekt stach ihr in den Hals. Sie stieß einen kleinen Quiekser aus und schlug es tot. Als sie ihre Hand zurückzog, klebte ein wenig Blut daran. Und eine Mücke.

»Sieh mal, Sara. Diese dämliche Mücke hat mich gestochen. Sie war schon voller Blut.«

Sara schien besorgt wegen des Stichs. Rachel aß noch ein paar Beeren.

Wieder stach ihr eine Mücke in den Hals. Rachel schlug sie tot, diesmal ohne zu quieksen. Auf ihrer Hand klebte wieder ein Blutfleck.

»Das hat weh getan!« meinte sie zu Sara. Mit finsterer Miene warf sie die zerquetschte Mücke ins Feuer.

Als die nächste Mücke ihr in den Arm stach, zuckte sie nur noch zusammen. Sie schlug sie platt. Rachel versuchte die Mücken zu verscheuchen, die ihr Gesicht umschwirrten. Wieder stachen ihr zwei in den Hals und hatten sich mit Blut vollgesogen, bevor sie sie totschlagen konnte. Die Stiche waren so schmerzhaft, daß ihr die Tränen in die Augen traten.

»Haut ab!« schrie sie und fuchtelte mit den Händen herum.

Einige waren unter ihr Kleid gesirrt, stachen sie in Brust und Rücken. Andere stachen sie in den Hals.

Rachel begann zu schreien, während sie auf die Mücken eindrosch und versuchte, sie loszuwerden. Tränen liefen ihr in Strömen über die Wangen. Eine Mücke stach ihr von innen ins Ohr, und sie schrie noch lauter. Kreischend und heulend versuchte sie, mit dem Finger das Sirren aus ihrem Ohr zu bohren, die Mücke herauszubekommen. Sie schrie und schlug wild um sich.

Schrill kreischend stolperte Rachel unter dem Baum hervor und wischte sich die Mücken aus den Augen. Mit den Armen um sich schlagend, rannte sie los, versuchte sich die Mücken vom Leib zu halten. Die Mücken folgten ihr unerbittlich.

Plötzlich blieb sie wie erstarrt stehen.

Mit aufgerissenen Augen blickte sie an dem riesigen pelzbedeckten Körper empor. Der Bauch war rosa und war voller Mücken.

Vor den fahlen Farben des Abendhimmels breitete das Ungetüm langsam seine riesigen Flügel aus. Die Flügel hatten keine Federn, sondern waren mit einer Haut überzogen. Rachel sah die fetten, pulsierenden Adern.

Sie nahm allen Mut zusammen und stopfte ihre zitternde Hand in die Tasche. Der Feuerstab war nicht da. Ihre Beine waren wie angewurzelt. Nicht einmal die Mücken, die sie stachen, spürte sie noch. Sie hörte ein Geräusch wie von einer schnurrenden Katze, nur viel lauter. Ihr Blick wanderte höher.

Grün glühende Augen funkelten sie an. Das Schnurren wurde zum tiefen Knurren.

Das Maul öffnete sich, das Knurren wurde lauter, hinter klaffenden Lippen wurden lange, gekrümmte Reißzähne sichtbar.

Davonlaufen konnte sie nicht. Sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Nicht einmal schreien konnte sie. Zitternd blickte sie mit aufgerissenen Augen in das eklige grüne Funkeln. Sie hatte vergessen, wie man die Füße bewegt.

Eine große Kralle langte nach ihr.

Etwas Warmes rann ihr die Beine hinab.

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