2.

Es war nicht ein Drache; es waren vier - ein riesiges, langbeiniges, grünes Etwas, in dessen Nacken eine absurd kleine Gestalt hockte und sich mit Armen und Beinen festklammerte, und drei etwas kleinere, aber sehr viel massigere Echsenwesen, die das erste verfolgten, und in der Luft, eine halbe Meile über und zwei oder drei vor Skar und der kleinen Armee aus Satai und Quorrl, schwebten die dreieckigen Schatten zweier gewaltiger Daktylen, von denen mindestens eine einen Reiter trug. Die andere war zu hoch und bewegte sich zu schnell, als daß Skar sie deutlich erkennen konnte. Zweimal, seit sie den Felsgrat erreicht und angehalten hatten, war die Daktyle auf den flüchtenden Drachen heruntergestoßen, und jedesmal hatte die Gestalt in seinem Nacken die Hand gehoben, und ein fadendünner weißer Blitz hatte nach dem Drachenvogel geschlagen und ihn zurückgetrieben. »Was zum Teufel geht dort vor?« murmelte Del neben ihm. Sein Pferd bewegte sich unruhig. Wie das Skars und die der anderen witterte es die Drachen, und wie fast alle Warmblüter machte es die Nähe der titanischen Echsenwesen rasend. Seine Hufe scharrten nervös in der dünnen Schneedecke, die den Fels hier oben bedeckte.

»Sie kämpfen.« Del beugte sich im Sattel vor und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen, um mehr Einzelheiten erkennen zu können. Das grelle Licht der Morgensonne verwandelte sein Gesicht in eine Landschaft aus zerschrundenen Schatten und harten Linien, die Skar noch nie zuvor darin gesehen hatte. Zum allerersten Mal, seit sie sich wiedergesehen hatten, kam ihm Del so alt vor, wie er war. Skar schauderte. Es war nicht gut, die Zeit zu betrügen, dachte er. Er war plötzlich nicht einmal sicher, ob er dieses neue Leben überhaupt leben wollte.

»Drachen verfolgen Drachen!« Del schüttelte den Kopf, setzte sich wieder im Sattel auf und blickte ihn fast bestürzt an. »Was, verdammt noch mal, bedeutet das?!«

»Das finden wir bestimmt nicht heraus, wenn wir hier stehenbleiben und nur zusehen«, antwortete Skar.

Die Reaktion auf seine Worte war anders, als er erhofft hatte - Del nickte zwar, ganz automatisch und ohne ihn anzuschauen, aber weder er noch einer seiner Begleiter machten irgendwelche Anstalten, die Pferde anzutreiben und den Steilhang hinunterzureiten. Ein rasches, heftiges Gefühl von Zorn machte sich in Skar breit.

»Was ist los?« fragte er. »Worauf warten wir?«

»Es sind Drachen, Herr«, antwortete einer der Männer neben Del. »Und sie haben Scanner.«

Wie, um seine Worte zu bestätigen, züngelte in diesem Moment wieder ein dünner, grausam weißer Blitz aus der Hand der winzigen Gestalt im Nacken des flüchtenden Drachen und brannte eine Narbe aus grellem Licht in den Himmel. Skars Zorn verstärkte sich zu reiner Wut, aber da war auch ein Gefühl von ... ja, beinahe Entsetzen, auf jeden Fall aber Erschrecken. Es war ein Satai, der diese Worte gesprochen hatte, und sie waren fast zweihundert!

Einen Moment lang starrte er den Mann voller unverhohlener Verachtung an, dann riß er sein Pferd ohne ein weiteres Wort herum und galoppierte los. Del rief ihm irgend etwas nach, das er nicht verstand, und er hörte, wie sich nun auch die anderen in Bewegung setzten, aber er sah sich nicht einmal um. Tief über den Hals seines Pferdes gebeugt, jagte er an der Felskante entlang, schlug einen engen, sehr riskanten Bogen um ein eisverkrustetes Stück Fels und preschte schließlich den schneebedeckten Hang hinunter, der sich dem Felsabbruch anschloß.

Für Minuten verlor er den grünen Drachen und seine Verfolger aus den Augen, denn er mußte seine ganze Konzentration dazu aufwenden, nicht aus dem Sattel geschleudert zu werden oder mitsamt dem Pferd zu stürzen. Der Hang war sehr steil, und die dünne Decke aus Pulverschnee verlieh ihm ein trügerisch falsches Aussehen: Unter dem flockigen Weiß verbargen sich Steine und Erdspalten und das Geäst erfrorener Büsche, die sein Pferd mehr als einmal zum Straucheln brachten. Der Hang war so steil, daß das Tier gegen seinen Willen immer schneller wurde. Der Augenblick war abzusehen, an dem es einfach so schnell wurde, daß es seine Bewegungen nicht mehr koordinieren konnte und über seine eigenen Beine stolperte, oder in eine der zahllosen Fallen unter dem Schnee trat und sich ein Bein brach.

Skar verschwendete kaum einen Gedanken daran. Er raste innerlich vor Zorn. Das Zögern des Satai (Satai? Etwas in ihm sträubte sich selbst dagegen, dieses Wort auf den Mann an Dels Seite anzuwenden, und wenn er tausendmal den fünfzackigen Stern der Kriegerkaste auf der Stirn trug!) hatte etwas in ihm zum Überkochen gebracht. Was er in seinen Augen gelesen hatte, war Angst, ein Gefühl, auf das er ein Recht hatte wie jeder Mensch, aber nicht in diesem Moment und nicht so, und dieser Ausdruck hatte das letzte bißchen Verbundenheit zerstört, das er noch zu Dels Männern empfunden hatte. Das Gefühl tat weh, entsetzlich weh, aber es kam nicht einmal unerwartet, und obwohl sich etwas in ihm wie ein getretener Wurm krümmte, ohne diesem entsetzlichen Schmerz dadurch irgendwie entgehen zu können, funktionierte ein anderer Teil seines Denkens gleichzeitig mit fast phantastischer Klarheit: Der Satai in ihm war erwacht, und er fragte ihn spöttisch, was um alles in der Welt er allein und so gut wie unbewaffnet gegen drei Drachen ausrichten wollte, und ob er denn sicher war, daß er sich auf der richtigen Seite in diesen Kampf einmischte, und wer dieser Reiter war, der da auf sie zufloh, und warum.

Er fand auf keine dieser Fragen eine Antwort, aber er zögerte trotzdem keine Sekunde, sondern trieb das Pferd eher noch zu größerer Eile an, als sie die Ebene erreichten und sich der Schwung ihres rasenden Hangrittes allmählich aufzehrte. Flüchtig blickte er über die Schulter zurück. Dels Satai waren ihm gefolgt, aber er hatte einen Vorsprung von gut drei-, vielleicht sogar vierhundert Pferdelängen, und er wuchs noch beständig, denn die Männer in den schwarzen Mänteln ritten nicht halb so selbstmörderisch, wie er es getan hatte. Zudem hatte sich das Heer geteilt, denn die Quorrl waren noch weiter zurückgefallen, was in ihrem Falle aber wohl eher an ihrem Gewicht und ihrer Klobigkeit lag, die sie ein Pferd schon in normalem Gelände kaum halb so schnell reiten ließen wie ein Mensch. Er suchte nach Del, aber er fand ihn nicht. Seltsamerweise verspürte er nicht einmal mehr wirkliche Enttäuschung. Der Moment, in dem sie Seite an Seite in einen Kampf vorwärts stürmten, würde nicht mehr kommen. Er war ein Kindertraum, und sie waren beide keine Kinder mehr.

Er wandte sich wieder um und sah nach vorne. Die Sonne war im Laufe der letzten halben Stunde auch über die Berge geklettert, und ihre schräg einfallenden Strahlen ließen die Schneedecke über der Ebene in blendendem Weiß aufleuchten, so daß er im ersten Moment fast geblendet war. Aber dann erblickte er sie - ein Stück weiter nördlich und eine gute Meile näher, als er erwartet hatte: der riesige grüne Drache und die drei kleineren grauen Verfolger, die sich in fast irrwitzigem Tempo den Bergen näherten. Der Reiter auf dem flüchtenden Drachen mußte wahnsinnig sein, dachte Skar, oder schlichtweg blind vor Angst. Drachen waren unglaublich schnelle Läufer, aber miserable Kletterer. Spätestens am Fuße des Steilhanges wäre seine Flucht so oder so zu Ende gewesen.

Aber er bezweifelte ohnehin, daß er ihn noch erreichte. Der Abstand zwischen den drei Panzerechsen und dem grünen Läufer schmolz jetzt zusehends, und die beiden Daktylen stießen immer öfter auf den Fliehenden herab. Skar erkannte nun, daß auch auf dem Rücken des zweiten Drachenvogels ein Reiter saß; groß und dunkel und irgendwie mißgestaltet, ohne daß er genau sagen konnte, was es war, das an seiner Erscheinung einfach nicht stimmte.

Er kam auch nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, denn in diesem Augenblick entdeckte ihn der Reiter der zweiten Daktyle - und Skar sah, wie er sein bizarres Reittier mit unglaublicher Schnelligkeit herumzerrte und die Daktyle erschrocken die Schwingen ausbreitete; eine fünfzehn Meter messende Pfeilspitze aus Lederhaut und Knochen, die mit einem wütenden Schrei auf ihn herabstieß. Etwas blitzte in der Hand des Drachenreiters auf, und obwohl Skar nicht erkennen konnte, was es war, reagierte er ganz instinktiv, und ganz instinktiv richtig. Mit einem Ruck, der sein Pferd vor Schmerz und Schrecken aufschreien ließ, riß er das Tier in vollem Galopp herum und zur Seite, eine Sekunde, bevor neben ihm eine grelle Lichtnadel in den Boden stach und unter dem Schnee einen Vulkan zur Explosion brachte. Eine weißorangene Feuersäule, nicht dicker als sein Oberschenkel, aber zwanzig Meter hoch und heiß wie die Hölle, versengte den Schnee und schleuderte geschmolzenes Gestein und Flammen in den Himmel. Die Hitze streifte Skar wie eine glühende Hand. Sein Pferd kreischte vor Schmerz und stolperte, stürzte aber nicht, sondern fand im letzten Moment wieder Tritt und raste wie von Furien gehetzt weiter. Einen Augenblick später strich ein ungeheuerlicher Schatten über ihn hinweg, so dicht, daß er den scharfen Reptiliengeruch des Drachen spürte. Skar duckte sich ganz automatisch tiefer über den Hals des Pferdes. Wahrscheinlich war es diese Bewegung, die das Tier endgültig aus dem Gleichgewicht brachte. Es strauchelte, versuchte mit einem fast grotesken Hüpfer noch einmal auf die Beine zu kommen und stürzte vornüber. Skar wurde aus dem Sattel geschleudert; der Himmel und die weiße Ebene überschlugen sich drei-, vier-, fünfmal vor seinen Augen, ehe er selbst aufprallte und mit einem erstaunlich weichen Ruck zum Liegen kam.

Als er sich aufrichtete, waren die Drachen fast heran. Sie waren jetzt nahe genug, daß er das grüne Tier identifizieren konnte - einen Koloß von dreifacher Mannsgröße, der entfernt den schlanken Laufechsen ähnelte, die er bei seinem ersten Besuch in Elay kennengelernt hatte, nur daß er mehr als doppelt so gewaltig war. Mit seinen übergroßen, ungeheuer starken Hinterbeinen und dem lächerlich kleinen, runden Kopf, der auf einem meterlangen Schlangenhals pendelte, erinnerte er fast an einen Strauß, nur daß sein Leib von handgroßen grünen Schuppen bedeckt war und er keine Flügel hatte, dafür aber einen Schwanz, der fast so lang war wie sein ganzer Körper, und den er im Rennen steil erhoben hatte, um das Gleichgewicht zu halten. In seinem Nacken, die Beine hinter den winzigen Vorderärmchen des Drachen verhakt, saß eine Gestalt in einem erdbraunen Mantel. Skar konnte nur erkennen, daß es eine Frau war, deren langes blondes Haar von einem dünnen Stirnband zurückgehalten wurde, und daß sie von sehr schlankem, fast kindlichem Wuchs sein mußte. Er sprang auf, zog sein Schwert (angesichts des heranrasenden Berges aus Fleisch und Panzerplatten kam er sich dabei selbst fast lächerlich vor) und opferte eine weitere Sekunde dazu, auch die drei anderen Tiere genauer in Augenschein zu nehmen. Es waren Drachen von einer Art, wie er sie niemals zuvor gesehen hatte - sehr viel kleiner als die Rennechse, aber ungeheuer massig, und von schwer zu definierender Form: Ihre grauen Panzerplatten waren zu klumpigen Stachelgebilden verwachsen, zwischen denen die Gestalten ihrer Reiter wie aufgespießte Riesenkäfer aussahen. Ihr Laufen hatte nichts mit dem eleganten Gleiten der Rennechse gemein. Sie wirkten wie lebende Mauerrammen, die einfach alles niederwalzten, was sich ihnen in den Weg stellte. Über ihm erscholl ein krächzender Schrei, und der Laut riß ihn abrupt in die Wirklichkeit zurück. Er sah hoch, auf eine weitere Attacke gefaßt, aber diesmal war nicht er das Ziel des Angriffes. Die beiden Daktylen hatten sich geteilt - das Tier, das ihn gerade angegriffen hatte, schwenkte in einem engen Bogen herum und setzte zu einem neuen Sturzflug an, während der zweite Drachenvogel mit reglos ausgebreiteten Schwingen, aber sehr schnell, Dels Satai entgegenschoß. Hinter seinem häßlichen Hammerkopf blitzte es weiß und blendend auf, und ein dünnes Band aus Licht spannte sich für Sekundenbruchteile zwischen der Hand seines Reiters und einem Punkt irgendwo in dem heransprengenden Heer.

Er rannte los. Hinter ihm mischte sich orangeroter Feuerschein in das klare Licht des Morgens, und plötzlich übertönte ein ungeheures Dröhnen und Bersten das dumpfe Stakkato der Hufschläge; dann Schmerzens- und Angstschreie und der dumpfe Aufprall stürzender Körper. Skar widerstand der Versuchung, sich noch einmal umzusehen, und jagte im Zickzack auf die Laufechse zu. Auch die zweite Daktyle schoß jetzt wieder heran, aber Skar vermutete, daß er kein gutes Ziel bot: Er bewegte sich schnell und auf einem unberechenbaren Kurs, und Scanner waren zwar fürchterliche Waffen, aber schwer zu handhaben; vor allem vom Rücken eines bockenden Flugdrachen herab.

Der Abstand zwischen ihm und dem heranstampfenden Drachen schmolz jetzt rasend schnell, auch wenn das Tier viel von seiner natürlichen Eleganz verloren hatte; aus seinen federnden Sprüngen war ein ungeschicktes Hoppeln geworden, und bei jedem zweiten oder dritten Schritt taumelte es vor Erschöpfung. Seine Reiterin hatte Mühe, sich noch in seinem Nacken zu halten. Skar lief schneller, riß sein Schwert in die Höhe und begann hektisch damit zu winken. »Hierher!« schrie er mit vollem Stimmaufwand. »Zu mir!«

Er bezweifelte, daß die Errish seine Worte überhaupt hörte, denn das Stampfen der Drachen auf der einen und der fast zweihundert Pferde auf der anderen Seite war mittlerweile zu einem wahren Orkan aus Lärm angeschwollen; aber sie schien seine Bewegung zu bemerken. Ihr Kopf ruckte herum, und für einen Moment durchfuhr Skar ein eisiger Schrecken, als er erkannte, wie jung sie war. Großer Gott! dachte er. Das ist ein Kind! Das Mädchen war sechzehn, allerhöchstens achtzehn Jahre alt. Im Nacken der riesigen Echse sah sie aus wie ein lebendiges Spielzeug.

»Hierher!« schrie er noch einmal. »Zu den Reitern! Sie helfen dir!« Gleichzeitig schlug er einen Haken nach rechts, hetzte mit weit ausgreifenden Schritten an der Laufechse vorbei und direkt auf den ersten Verfolger zu. Etwas in ihm übernahm die Kontrolle über sein Handeln, ohne daß es seines bewußten Zutuns bedurfte. Die Drachen waren nicht einmal die schlimmste Gefahr - trotz ihrer Größe waren sie plump und schwerfällig, nicht annähernd so wendig wie ein Reiter oder gar ein Mann zu Fuß. Die Gefahr waren die Reiter, die auf ihren stacheligen Rücken saßen. Wenn sie mit denselben fürchterlichen Waffen ausgerüstet waren wie die Männer auf den Daktylen, konnte der nächste Schritt sein letzter sein ...

Der vorderste Drache walzte wie ein lebender Berg aus Stacheln und Panzerplatten auf ihn zu. Unter seinen gewaltigen Elefantenfüßen stob der Schnee in einer unablässigen Folge staubiger Explosionen in die Höhe, und Skar fühlte trotz der Entfernung den Boden unter seinen Füßen erzittern. Er versuchte, die Distanz abzuschätzen, die noch zwischen ihm und dem Ungeheuer lag, und die Zeit, die sie beide brauchten, um sie zu überwinden. Gleichzeitig sah er aus den Augenwinkeln, wie sich Dels Heer hinter ihm in Dutzende unterschiedlich großer Gruppen aufteilte, ein scheinbares Chaos, das trotzdem einem geordneten Plan folgte: Die Reiter bildeten eine gewaltige, doppelte Zange, die sich um die angreifenden Drachen schloß und gleichzeitig ihr Opfer von ihnen abschnitt. Vom Rücken der beiden Daktylen zuckten noch immer dünne weiße Fäden aus Licht herab, aber sie trafen jetzt kaum noch; es war ein Unterschied, blindlings in eine große Reitertruppe hineinzuhalten oder einen einzelnen, sich schnell bewegenden Mann zu treffen.

Dann war der Drache heran, zehnmal schneller, als er geglaubt hatte, und plötzlich kam er Skar gar nicht mehr klein und plump vor, sondern gigantisch, ein fünf Tonnen schwerer Koloß, der sich mit der Unaufhaltsamkeit einer Lawine heranwälzte und die Welt vor ihm von einem Ende zum anderen auszufüllen schien. Seine kleinen, pupillenlosen Augen musterten Skar voller stummer Wut, und darunter, absurd dicht darunter und absurd groß, klaffte plötzlich ein dunkelroter Schlitz in den Gewächsen aus Horn und Panzerplatten, in dem zwei Reihen gewaltiger Reißzähne blitzten. Skar begriff beinahe zu spät, daß dieses Ungeheuer kein stumpfsinniges Monster war, das nichts anderes konnte als Laufen und Niedertrampeln, sondern eine Bestie, die mindestens so intelligent wie ihre größeren Verwandten war, aber zehnmal so boshaft.

Im letzten Moment hechtete er zur Seite, überschlug sich zwei-, dreimal hintereinander im Schnee und verbarg den Kopf zwischen den Armen, als der Drache vorüberstampfte. Ein horngepanzerter Gigantenfuß krachte neben ihm in den Schnee, nicht durch Zufall oder im rasenden Rhythmus der Schritte, sondern in einem gezielten Tritt, mit dem ihn das Monster zermalmen wollte wie ein lästiges Insekt. Er fuhr hoch und herum, sah den stacheligen Schwanz der Drachenbestie auf sich zupfeifen - einen Schwanz, der halb so dicht wie deren eigener Körper mit halbmeterlangen hornigen Dornen bewachsen war -, brachte sich mit einem verzweifelten Hechtsprung in Sicherheit und sprang abermals hoch. Weniger als einen Meter hinter ihm spritzten Schnee und Erdreich unter dem Hieb dieser lebendigen Keule auseinander, aber für eine Sekunde hatte er Luft, denn das Ungeheuer rannte, vom Schwung seiner eigenen Masse einfach vorwärtsgerissen, noch ein gutes Stück weiter, ehe es seine fünf Tonnen Körpergewicht in eine Drehung zwang. Wie eine blitzartige Vision aus einem Alptraum sah er ein halbes Dutzend Quorrl-Krieger vorüberpreschen, die mit angelegten Lanzen auf einen zweiten Drachen zurasten.

Skar wartete nicht, bis das Ungeheuer die Wendung vollendet hatte und wieder heranstampfte, um dieses Mal vielleicht ein bißchen besser zu zielen. Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen hetzte er hinter der Panzerechse her, warf sich mit einem gewaltigen Sprung nach vorne und bekam einen der armlangen Stachelfortsätze zu fassen, die aus seiner Flanke wuchsen. Der Drache brüllte auf wie unter Schmerzen, warf sich zur Seite und wieder zurück und begann schließlich zu bocken wie ein zu groß geratenes Pferd, aber Skar klammerte sich mit aller Macht fest. Er wurde mitgeschleift. Spitze Steine und Dornen unter der Schneedecke zerrissen seine Hose und hinterließen blutige Kratzer in seiner Haut, aber er biß die Zähne zusammen, versuchte sich an der Flanke des tobenden Ungeheuers in die Höhe zu ziehen und betete darum, daß der Drache nicht auf die Idee kam, sich einfach auf die Seite fallen zu lassen und ihn unter sich zu zerquetschen. So weit reichte die Intelligenz des Drachen denn doch nicht, aber dafür geschah etwas anderes: Über dem stacheligen Rücken des Ungeheuers erschien der gepanzerte Kopf seines Reiters, und plötzlich stieß eine lange eiserne Stange mit stumpfem Ende nach Skars Händen.

Der erste Hieb verfehlte ihn, aber er hinterließ einen langen, sehr tiefen Kratzer im eisenharten Horn des Drachenpanzers. Eine einzige, nur flüchtige Berührung dieser metallenen Stange mußte ihm einfach die Finger zerquetschen, das begriff Skar, und dann war es um ihn geschehen.

Er setzte alles auf eine Karte. Als die Stange das zweite Mal auf seine Hand herabstieß, versuchte er nicht, ihr auszuweichen, sondern griff im Gegenteil danach und zerrte mit aller Kraft daran.

Das Ergebnis überraschte ihn selbst. Er spürte nur für eine Sekunde Widerstand, dann erscholl über ihm ein halb verwunderter, halb zorniger Schrei, und plötzlich fiel die Eisenstange neben ihm in den Schnee; dicht gefolgt von ihrem Besitzer, der mit wild rudernden Armen einen grotesken Salto in der Luft schlug, ehe er in einer Explosion stiebenden Schnees verschwand. Skar sparte sich die Mühe, ihm nachzublicken, sondern griff hastig kräftiger zu, fand endlich auch mit dem Fuß festen Halt auf den Stacheln und begann, an der Flanke des drei Meter hohen Ungetümes emporzuklettern. Er brauchte nur wenige Augenblicke dazu, aber sie kosteten ihn jedes bißchen Kraft, das er hatte, denn der Drache tobte wie ein durchgehendes Pferd. Trotzdem blieb ihm noch Zeit, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen. Was er sah, ließ ihn entsetzt aufstöhnen. Dels Angriff war gescheitert. Die Drachen hatten die dreifach gestaffelte Phalanx der Reiter einfach durchbrochen, wie eine Lawine einen Schutzzaun aus untauglichem Holz, und sie hatten einen entsetzlichen Blutzoll gefordert - Dutzende von toten oder verwundeten Kriegern lagen im Schnee oder flohen in heller Panik vor den tobenden Giganten, deren stahlharte Panzerung ihre Speere und Pfeile einfach abprallen ließ.

Dann hatte er die Krümmung des Drachenrückens erreicht und sah sich den anderen Reitern gegenüber.

Es waren zwei, wovon der eine mit weit gespreizten Beinen im Nacken des Drachen stand und sich mit der Hand an den hornigen Fortsätzen seiner Panzerung festhielt, während er mit der anderen an einem Zügel zerrte, mit dem er das außer Rand und Band geratene Tier zu beruhigen versuchte. Der zweite kroch, auf den Knien und beide Hände erhoben, direkt auf Skar zu. In seiner rechten Hand schimmerte das silberne Metall eines Scanners.

Es war wie ein Schlag in den Magen. Der Drachenreiter sah Skar direkt an, und im allerersten Moment glaubte Skar, dem Daij-Djan gegenüberzustehen. Ein Gefühl ungläubigen, lähmenden Entsetzens durchfuhr ihn, ehe er seinen Irrtum erkannte: Es war nicht der Daij-Djan, sondern ein ganz normaler Mensch, der lediglich in einer Rüstung steckte, die dem Äußeren der Sternenbestie nachgemacht war. Der Mann war schlank und nicht besonders groß, und von Kopf bis Fuß in einen Panzer aus einem mattschwarzen Material gehüllt, aus dem nur seine Hände herausragten, schlanke, in schwarzen Handschuhen steckende Hände, die sonderbar unpassend zu seiner übrigen Erscheinung wirkten. Auch der Helm war dem Nicht-Gesicht der Sternenbestie nachempfunden, ein glattes schwarzes Oval ohne erkennbare Konturen, in das zwei haarfeine Risse geschnitten worden waren, durch die er sehen konnte. Zumindest die Augen hinter diesen Sehschlitzen waren menschlich.

Skar erwachte endlich aus seiner Erstarrung, zog sich mit einem kraftvollen Ruck vollends auf den Rücken des Drachen hinauf und schlug gleichzeitig zu. Der Hieb war ungeschickt gezielt und ohne wirkliche Kraft, aber er schmetterte die Waffenhand des Schwarzgekleideten zur Seite. Der Scanner entlud sich mit einem peitschenden Knall, aber der grelle Lichtblitz ging harmlos ins Leere, und Skar gab ihm keine Gelegenheit zu einem zweiten, besser gezielten Schuß. Sich mit der linken Hand und beiden Beinen auf dem Rücken des bockenden Ungetüms festklammernd, packte er mit der anderen zu und verdrehte das Handgelenk des Kriegers mit einem harten Ruck. Ein dumpfer Schmerzlaut drang unter dem Insektenhelm des Drachenreiters hervor. Keuchend ließ er seine Waffe fallen, warf sich herum und versuchte das Schwert aus dem Gürtel zu zerren.

Es war nicht einmal ein wirklicher Kampf. Der Mann hatte keine Chance. Skar entrang ihm das Schwert, noch ehe er es halb aus der Scheide gezogen hatte, drehte die Waffe blitzschnell herum und versetzte ihm einen Hieb mit der stumpfen Seite, der ihn in hohem Bogen vom Rücken des Drachen herunterstürzen ließ.

Er wollte sich aufrichten, führte die Bewegung aber nicht einmal zu Ende, denn der Drache tobte mittlerweile so sehr, daß er vermutlich schon nach dem ersten Schritt nach vorne geschleudert und wie ein übergroßer Schmetterling auf den armlangen Stacheln aufgespießt worden wäre. Eher zornig als alles andere kroch er die wenigen Schritte auf den Mann am Zügel los, hob das Schwert und schlug nach dessen Brustpanzer.

Der Mann sah die Bewegung im letzten Moment und wich ihr aus - und besiegelte damit sein eigenes Schicksal. Das nächste Bocken des Drachen brachte ihn vollends aus dem Gleichgewicht; er taumelte zurück, stand einen Moment lang in fast absurder Neigung da, nur noch von der Leine gehalten, die ihn mit dem Nacken des Riesentieres verband - und stürzte mit einem krächzenden Schrei nach hinten, als Skars Klinge ein zweites Mal hochzuckte und das fingerdicke Tau durchtrennte. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig, und so schnell, daß Skar eigentlich erst hinterher begriff, was er getan hatte: Der Krieger stürzte, aber er hatte weniger Glück als seine Kameraden - gleich ein halbes Dutzend tödlicher Horndolche durchbohrten seinen Panzer und töteten ihn auf der Stelle, und im gleichen Augenblick glaubte er so etwas wie einen gedanklichen Todesschrei zu hören, ein lautloses Brüllen tief in seinem Inneren, wie von etwas ungeheuer Großem, ungeheuer Starkem, das sich unter Höllenqualen wand.

Und der Drache hörte auf zu toben. Der Gigant rannte noch ein paar Schritte weiter, ganz einfach, weil er zu plump und zu schwer war, um seine Masse sofort anzuhalten, aber seinen Bewegungen fehlte plötzlich die wütende Raserei, mit der er den winzigen Angreifer abzuschütteln versucht hatte, und schließlich blieb er gänzlich stehen. Ein tiefes, unruhiges Knurren drang aus seiner Brust, der stachelige Schwanz und die riesigen Tatzen scharrten im Schnee, und sein droschkengroßer Schädel bewegte sich verwirrt hin und her, als hätte er von einem Augenblick auf den anderen die Orientierung verloren.

Und genau das war es auch.

Ein Teil von Skar wußte sofort, was geschehen war, ohne daß dieses Verstehen seinem bewußten Denken im allerersten Moment schon zugänglich gewesen wäre. Verstört - und jeden Moment auf einen neuen, entsetzlichen Ruck gefaßt, der ihn vom Rücken des Drachen herunter und geradewegs unter seine Klauen schleudern würde - richtete er sich auf, blickte den toten Drachenreiter an und dann wieder das Ungeheuer, und endlich begriff er.

Mit einem Satz sprang er auf die Füße und bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund. »Die Reiter!« schrie er. »Greift die Reiter an!«

Seine Stimme ging im Brüllen der Drachen und dem Lärm der bizarren Schlacht hoffnungslos unter, aber irgendwie schien das, was er sagte, doch verstanden zu werden; vielleicht hatte der eine oder andere Mann auch einfach beobachtet, was geschehen war, und die richtigen Schlüsse gezogen - so oder so änderten Dels Satai und die Quorrl jedenfalls ihre Taktik: Aus dem selbstmörderischen Anrennen gegen die beiden horngepanzerten Kolosse wurde ein rasend schneller Rückzug, und plötzlich flogen Pfeile und Speere zu den Rücken der Drachen hinauf. Deren Reiter fanden in dem Gewirr aus Stacheln und Panzerplatten zwar gute Deckung, aber Skar erkannte auch, wie gleich ein halbes Dutzend Quorrl seinem Beispiel zu folgen versuchte und an den Flanken der Riesentiere emporkletterte. Zwei, drei der schuppigen Riesenkrieger wurden abgeworfen und verschwanden unter den stampfenden Beinen der Drachen, aber die anderen kletterten verbissen weiter.

Skar sah nicht weiter zu. Jetzt, wo sie die Achillesferse der Angreifer gefunden hatten, war der Kampf praktisch schon entschieden. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch die beiden anderen Tiere unschädlich gemacht waren. Und die Opfer? wisperte eine Stimme hinter seiner Stirn. Aber es sind ja nur Quorrl, nicht wahr?

Er verscheuchte den Gedanken, richtete sich vorsichtig auf dem Rücken des Drachen auf und suchte nach der grünen Laufechse. Etwas stimmt nicht, flüsterte die Stimme in ihm. Du hast etwas vergessen, Bruder.

Skar ignorierte auch diesen Gedanken, sprang mit einem federnden Satz vom Rücken des Drachen herunter und glitt im Schnee aus. Hastig rappelte er sich wieder hoch, lief ein paar Schritte und blieb erneut stehen, als jemand seinen Namen rief. Er sah auf und erblickte Del, der auf ihn zugeprescht kam, ein zweites, reiterloses Pferd am Zügel mit sich führend. Ungeduldig wartete er, bis Del bei ihm angekommen war und die beiden Tiere zum Stehen gebracht hatte, dann schwang er sich in den Sattel, riß das Pferd herum und stürmte los.

Der grüne Drache war noch ein gutes Stück weitergerannt - was bei seiner enormen Körpergröße nicht weniger als eine gute Meile bedeutete -, ehe seine Reiterin ihn endlich zum Anhalten gebracht hatte. Skar konnte sie nur undeutlich erkennen, denn die Luft war voller hochgewirbeltem Schnee und Staub, und ihre Gestalt verbarg sich halb hinter dem muskulösen Hals des Riesentieres, aber er sah, daß sie vornübergesunken war, bewußtlos oder zumindest völlig erschöpft, und auch das Tier war am Ende seiner Kräfte. Seine Flanken zitterten, und der kleine, runde Kopf pendelte unablässig hin und her. Die dreifingrigen Pfoten an seinen kleinen Vorderläufen griffen haltsuchend hierhin und dorthin, sein Schwanz peitschte nervös. Die Muskeln in seinen riesigen Hinterläufen zuckten wie unter schnellen, unregelmäßig kommenden Krämpfen. Wenn er stürzte, dachte Skar erschrocken, würde er seine Reiterin einfach unter sich zermalmen. Auch Dels Gedanken schienen ähnliche Wege zu gehen, denn er spornte sein Pferd zu noch schnellerer Gangart an. Nebeneinander sprengten sie auf die riesige Echse zu.

Trotzdem waren sie nicht schnell genug. Skar begriff, was er vergessen hatte, als es zu spät war.

Das Mädchen auf dem Drachen hob müde den Kopf, und für einen Augenblick begegneten sich ihre Blicke. Trotz der Entfernung sah Skar, wie in ihren Augen eine Mischung aus Erleichterung und abgrundtiefem Entsetzen aufglomm, aber er verstand dieses Erschrecken nicht - bis sie den Arm hob und er das silberne Funkeln in ihrer Hand sah.

Del und er reagierten gleichzeitig. Für Bruchteile von Sekunden waren sie wieder das perfekt aufeinander eingespielte Team, das sie vor einem Menschenalter einmal gewesen waren - Del riß sein Pferd nach links und ließ sich gleichzeitig aus dem Sattel kippen, nur noch mit einer Hand und einem Fuß an Zaumzeug und Steigbügel hängend und den Pferdeleib als Deckung zwischen sich und dem Mädchen, eine Taktik, die gegen eine Waffe wie einen Scanner reichlich lächerlich anmutete, aber einfach zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen war, als daß er sie ändern konnte, und Skar tat das gleiche, während er in die entgegengesetzte Richtung auswich.

Aber er begriff auch fast im selben Moment, daß Del und er nicht das Ziel des Drachenmädchens waren.

Hinter ihnen jagten zwei monströse Schatten heran.

Die beiden Daktylen waren kaum mehr zehn Meter hoch, und sie flogen so dicht nebeneinander, daß sich ihre gewaltigen Schwingen fast zu berühren schienen. Der Luftzug der riesigen peitschenden Flügel wirbelte den Schnee auf und trieb eine gewaltige Bugwelle aus kochendem weißen Staub vor sich her. Die Reiter, die ihren Weg kreuzten, wurden schlichtweg aus den Sätteln gerissen oder mitsamt ihren Pferden zu Boden geworfen. Und auch in den Händen der beiden Daktylenreiter waren winzige silberweiße Funken zu erkennen.

Alles ging so ungeheuer schnell, daß Skar zwar registrierte, was geschah, aber nicht einmal mehr dazu gekommen wäre, irgend etwas zu unternehmen, wenn er es gekonnt hätte - was er nicht konnte.

Das Mädchen auf dem grünen Drachen feuerte seine Waffe ab, und eine der beiden Daktylen flammte plötzlich auf wie eine übergroße Motte, die dem Feuer zu nahe gekommen war. Für den Bruchteil einer Sekunde verwandelte sie sich in eine schwarze Silhouette, die in eine Kugel grausam hellen Lichtes getaucht war, dann schlugen Flammen aus ihren papierdünnen Flügeln, griffen in unglaublicher Schnelligkeit auf ihren Körper und den ihres Reiters über und rissen sie regelrecht in Stücke.

Fast im gleichen Augenblick schoß der Mann auf der zweiten Daktyle. Und auch er traf sein Ziel.

Eine dünne Nadel aus Licht bohrte sich in den Leib der grünen Echse, und plötzlich verschwand eines ihrer Hinterbeine in einer brodelnden Feuerwolke. Das Tier brüllte vor Schmerz und Angst, versuchte noch einen Schritt zu machen und brach zusammen.

Aber eine Sekunde vorher, während sich sein Körper noch wie eine gefällte Rieseneiche zur Seite neigte, griff das Höllenfeuer des Scanners auf die schmale Gestalt in seinem Nacken über und ließ ihren Mantel und ihr Haar wie trockenes Stroh aufflammen.

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