14.

Sie hatten noch lange geredet; Stunden, ohne zu einem irgendwie gearteten Ergebnis zu gelangen, und schließlich hatte Titch den Vorschlag gemacht, daß sie aufhören und versuchen sollten, noch ein paar Stunden Schlaf zu finden, um das Problem am nächsten Tag mit klarem Kopf noch einmal angehen zu können. Skar war aufgestanden und ohne ein Wort des Abschieds in seine Kammer zurückgegangen, und er war tatsächlich eingeschlafen, kaum, daß er sich auf seinem Lager ausgestreckt hatte.

Aber er schlief nicht sehr lange, und er wachte nicht von selbst auf. Was ihn weckte, war ein Geräusch, von dem er nicht einmal sicher war, ob er es überhaupt wirklich gehört hatte -, und das ungreifbare, aber sehr heftige Empfinden, nicht mehr allein im Zimmer zu sein.

Trotz seiner Erschöpfung waren alle seine Sinne sofort hellwach. Er selbst, sein bewußtes Denken und Überlegen, brauchte noch einige Augenblicke, um sich aus dem Gewirr des Alptraumes zu befreien, den er gehabt hatte, aber es war wie immer, wenn er sich in Gefahr befand - sein Denken schien sonderbar zweigeteilt zu funktionieren: Er fühlte sich noch immer benommen und verwirrt, es fiel ihm im allerersten Moment schwer, sich daran zu erinnern, wo er überhaupt war, und warum. Aber auf einer anderen, tieferen Ebene war er hellwach und angespannt; seine Instinkte waren erwacht, und wahrscheinlich waren auch sie es gewesen, die ihn überhaupt geweckt hatten, die Instinkte eines gejagten, sehr erfahrenen Raubtieres.

Vorsichtig öffnete er die Augen einen Spaltbreit und sah nichts als vollkommene Dunkelheit. Er erinnerte sich nicht, das Fenster geschlossen zu haben, aber jetzt lagen die Läden vor; das bißchen graues Sternenlicht, das durch die Ritzen sickerte, spendete nicht mehr Helligkeit als ein Muster aus gemalten waagerechten Streifen.

Und trotzdem verriet es ihm, daß er sich nicht getäuscht hatte. Ein Teil des Musters war unterbrochen, vielleicht ein Drittel des grauen Gitters ausgelöscht von einer finsteren formlosen Masse. Sie bewegte sich, ganz sacht nur, aber sichtbar. Er war nicht allein. Er überlegte, ohne die geringste Nervosität oder Hast, aber sehr schnell. Der Eindringling stand irgendwo in nicht zu schätzender Entfernung zwischen ihm und dem Fenster, vielleicht fünf Schritte entfernt, vielleicht auch nur einen halben; vielleicht waffenlos, vielleicht auch mit einem gespannten Bogen in der Hand, dessen Pfeil auf seine Brust zielte.

Skar erwog die Möglichkeit, daß es sich bei dem unbekannten Eindringling um keinen Feind handelte, nicht einmal eine halbe Sekunde lang. Wer immer hereingekommen war, hatte sich eingeschlichen, um ihn nicht zu wecken, und hatte das Fenster geschlossen, damit kein Licht nach draußen drang und ihn verriet; vielleicht auch, um nicht gesehen zu werden, falls Skar erwachte. Er lauschte, hörte sehr leise, schnelle Atemzüge und sog vorsichtig die Luft ein. Der Geruch verriet nichts; er konnte nicht sagen, ob es ein Mensch oder ein Quorrl war, der da vor ihm stand.

Dann bewegte sich der Schatten, und obwohl Skar mit fast übermenschlicher Schnelligkeit reagierte, entging er dem Tod diesmal nur um Haaresbreite. Etwas schrammte an seiner Schläfe entlang und grub sich mit entsetzlicher Wucht in das Kissen, auf dem gerade noch sein Kopf gelegen hatte. Skar warf sich herum, fiel halbwegs vom Bett und hechtete nach vorne und gleichzeitig zur Seite, um mit einer Rolle auf die Füße zu kommen.

Er war nicht schnell genug. Ein Hieb traf ihn mitten in der Bewegung zwischen den Schulterblättern. Aus seinem Sprung wurde ein haltloses Stolpern. Er schrie auf, prallte schmerzhaft mit der Hüfte gegen die Tischkante und glitt aus.

Der Sturz rettete ihm zum zweiten Mal das Leben. Die zollstarke Tischplatte zersplitterte unter einem fürchterlichen Hieb, und irgendwo dicht neben ihm klirrte Metall auf den Steinboden. Skar trat blindlings zu und traf, aber es gelang ihm nicht, seinen Gegner aus der Balance zu bringen. Immerhin hörte er, wie der Mann schmerzhaft keuchte und einen Schritt zurücktaumelte - und diesmal reichte die gewonnene Zeit Skar, auf die Füße zu kommen und nach seinem Schwert zu greifen.

Es zu ziehen, nicht mehr.

Sein Gegner war noch immer unsichtbar, aber Skar spürte, wie etwas auf ihn zustürzte. Ein Faustschlag traf seine Schulter und ließ ihn gegen die Wand taumeln, und eine zweite, erstaunlich starke Hand umklammerte sein Handgelenk und preßte es gegen die Mauer. Skar bäumte sich auf, bekam eine Hand frei und schlug mit aller Wucht zu. Aber er sah seinen Gegner nicht, und so traf der Handkantenschlag nicht dessen Hals, sondern prallte harmlos von einer metallgepanzerten Schulter ab, und das Blut, das plötzlich über Skars Hand lief, war sein eigenes.

Mit aller Gewalt stemmte er sich gegen den unsichtbaren Schatten, der ihn erbarmungslos gegen die Wand preßte, sammelte noch einmal alle Kraft - und ließ sich jählings zu Boden sinken.

Der Trick funktionierte. Der Ansturm seines Gegners ging für einen Moment ins Leere, und Skar nutzte den Sekundenbruchteil, sich vollends loszureißen und unter den Beinen seines Widersachers hindurchzurollen. Diesmal beging er nicht den Fehler aufzuspringen, sondern blieb reglos und mit angehaltenem Atem liegen. Er schloß die Augen, um sich ganz auf die Geräusche zu konzentrieren, die der andere machte.

Und begriff, daß er abermals einen Fehler begangen hatte. Er selbst war so gut wie blind, aber der andere schien über die Sehkraft einer Katze zu verfügen. Eine Hand packte seine Schulter und riß ihn herum, dann fühlte er sich in die Höhe gezerrt und mit unmenschlicher Kraft quer durch den Raum geschleudert.

Skar versuchte den Anprall mit den Armen abzufangen, aber er war nicht schnell genug. Die Wand traf ihn wie eine steinerne Faust und ließ ihn bewußtlos zusammenbrechen. Der letzte Gedanke, der ihm durch den Kopf schoß, war der, wie lächerlich es doch war, nach allem auf diese Weise...

... sterben zu sollen.

Sterben?

Skar öffnete die Augen. Er war nicht tot. In seinem Kopf hämmerte ein quälender Schmerz, und die rechte Seite seines Gesichtes klebte vor halb geronnenem Blut, aber er war ganz eindeutig nicht tot, sondern hatte die zweite Hälfte dieses Gedankens gedacht, nachdem er erwacht war. Nach einer geraumen Weile erwacht war, wie ihm ein Blick zum Fenster bewies. Durch die geschlossenen Läden drang jetzt das helle, unnatürlich klare Licht des frühen Morgens, und aus der Schwärze im Zimmer war ein mattes Grau geworden.

Skar stöhnte. Der Laut hallte wie ein Schrei in seinem Kopf wider und ließ den Schmerz in seiner Schläfe zu zehnfacher Heftigkeit aufflammen. Keuchend hob er die Hand, preßte sie gegen seinen blutenden Schädel und wartete, bis das Hämmern darin wenigstens so weit abgeflaut war, daß er sich fähig fühlte, wenigstens einen halbwegs klaren Gedanken zu denken, wenn schon nicht, sich zu bewegen. Er lebte. Aus irgendeinem Grund hatte der Attentäter darauf verzichtet, ihn vollends umzubringen, obwohl er wehrlos gewesen war. Vielleicht hatte er ihn auch für tot gehalten - was Skar nicht weiter erstaunt hätte, bei all dem Blut, das sein Gesicht besudelte.

Vorsichtig zog er die Hand zurück, hob den Kopf und setzte sich vollends auf, als der erwartete Schmerz zwar nicht ausblieb, aber doch wesentlich milder war, als er befürchtet hatte. Trotzdem blieb er mehrere Minuten lang fast bewegungslos sitzen. In seinem Kopf drehte sich alles. Ihm war übel und heiß und kalt zugleich, und als er versuchte, sich in die Höhe zu stemmen, wurde ihm schwindelig. Skar war nicht sicher, daß er sich nicht den Schädel gebrochen hatte - weh genug dazu tat er weiß Gott - aber er hatte sich eine gehörige Gehirnerschütterung eingehandelt.

Mühsam hievte er sich in die Höhe, taumelte zum Fenster und stieß die Läden auf. Grellweißes Sonnenlicht flutete in den Raum und stach wie mit winzigen glühenden Nadeln in seine Augen, aber die frische Luft vertrieb auch fast sofort das Schwindelgefühl aus seinem Kopf. Schmerzen und Übelkeit blieben, aber auch sie ebbten allmählich ab.

Skar blieb lange schwer auf den Fenstersims gestützt stehen und atmete die eiskalte Morgenluft mit tiefen, gezwungen ruhigen Zügen ein und aus. Die Burg und die dahinterliegenden Berge verschwammen immer wieder vor seinen Augen, und in seinem Mund war Blutgeschmack. Als er die Hand hob, um wieder nach der Wunde an der Schläfe zu tasten, fuhr er schmerzhaft zusammen.

Verdammt, ich werde langsam alt! dachte er, wütend auf den unbekannten Angreifer, aber auch auf sich selbst. Vor zehn Jahren wäre mir das nicht passiert. Er wußte nicht einmal, ob das stimmte, aber er konnte sich nicht erinnern, jemals so schnell und gründlich verprügelt worden zu sein wie in dieser Nacht. Sein Gegner mußte entweder über übermenschliche Kräfte verfügt haben, oder eine zumindest ebensogute Ausbildung hinter sich gebracht haben wie er.

Nun - von beidem gab es in der Burg mehr als genug Auswahl, dachte er bitter. Wenn der Mann nicht einen dummen Fehler gemacht und eine deutliche Spur hinterlassen hatte, dann bestand wohl kaum eine berechtigte Aussicht, ihn zu identifizieren. Langsam drehte er sich vom Fenster weg und betrachtete zum ersten Mal bewußt das Durcheinander in seiner Kammer. Der Raum war auch vorher alles andere als ordentlich gewesen; Pendanterie hatte niemals zu Skars Fehlern gehört - aber jetzt glich er einem Schlachtfeld. Was von der spärlichen Einrichtung nicht während des gespenstischen Kampfes gegen den Schatten zerschlagen oder umgeworfen worden war, das hatte jemand hinterher aufs allergründlichste zerstört. Die große hölzerne Truhe, in der er seine wenigen Habseligkeiten aufbewahrt hatte, war umgeworfen und leer, seine Satteltaschen, der Mantel, sein Waffengurt und sogar seine Stiefel verschwunden - seine Geldkatze mit der Handvoll Münzen selbstverständlich auch -, und der Eindringling hatte sich sogar die Mühe gemacht, seine Matratze aufzuschneiden und die Strohfüllung herauszureißen. Aber irgendwie - trotz allem - überzeugte der Anblick Skar nicht. Nicht im allermindesten. Alles sah ganz genau nach einem Einbruch aus - aber verdammt, dies war keine Dorfschänke, in der man mit so etwas rechnen konnte, und er kein unbedarfter Reisender, dem man eins über den Schädel zog, um ihm seine Barschaft abzunehmen. Sicher - sie waren in der Gesellschaft eines halben Tausends dahergelaufener Tagediebe und Abenteurer; aber wer von ihnen würde wohl so schwachsinnig sein, ausgerechnet einen Mann ausrauben zu wollen, der als unbesiegbar galt?

Vielleicht, beantwortete er seine Frage gleich selbst, jemand, der wußte, daß er es nicht war.

Er verschob die Lösung dieses Rätsels - wie die so vieler in letzter Zeit - auf später, unterdrückte im letzten Moment den Impuls, verwirrt den Kopf zu schütteln, und verließ die Kammer. Auf dem Wege nach unten begegnete ihm nur ein einzelner Mann, der ihn automatisch grüßte und dann erschrocken zusammenfuhr, als er seinen Zustand bemerkte. Skar ging rasch an ihm vorüber, schlug den Weg zu Dels Thronsaal ein und erreichte ihn, ohne auf ein weiteres lebendes Wesen zu treffen.

Del war nicht allein. Auf der großen Tafel rechts seines Thrones war ein opulentes Frühstück aufgetragen worden, an dem er und Kiina sich gütlich taten, wobei sie ausgelassener Stimmung waren - Skar hatte das glockenhelle Lachen des Mädchens schon von weitem gehört, und auch Del lachte, als Skar durch die Tür trat. Sein Gesicht hellte sich sogar noch mehr auf, als er ihn erkannte. »Skar!« rief er erfreut. »Du hast lange -« Er brach mitten im Wort ab, starrte ihn eine halbe Sekunde lang eindeutig entsetzt an und sprang dann so plötzlich von seinem Stuhl auf, daß auch Kiina erschrocken zusammenfuhr.

»Bei allen Göttern, was ist passiert?«

»Nichts«, knurrte Skar. »Ich bin aus dem Bett gefallen.« Sein Kopf schmerzte. Aus irgendeinem Grund machte ihn der Anblick Dels und Kiinas wütend, wie sie so friedlich zusammensaßen und offensichtlich bester Laune waren. Vielleicht war es Neid. Del kam mit zwei, drei weit ausgreifenden Schritten auf ihn zu und streckte die Hände aus, aber Skar schob seinen Arm grob beiseite. Er sah, wie Kiina sich im Sitz herumdrehte und ein zweites Mal und sehr viel heftiger erschrocken zusammenfuhr, bedachte auch sie mit einem finsteren Blick und ließ sich kommentarlos auf einen freien Stuhl an der Tafel sinken.

»Was ist passiert?« fragte Del noch einmal. »Bist du angegriffen worden?«

Skar starrte finster zu ihm hoch. Die Sorge auf Dels Gesicht war nicht gespielt, und er begriff plötzlich, daß er noch weitaus schlimmer aussehen mußte, als er bisher angenommen hatte, nackt bis auf den Lendenschurz, mit seinem blutüberströmten und vermutlich geschwollenen Gesicht, und einer verkrusteten Wunde an der Schläfe. Trotzdem griff er nach dem Krug, schenkte sich einen Becher voll Wein ein und stürzte ihn mit einem Zug hinunter, statt zu antworten. Er spürte erst jetzt, wie durstig er war.

Del setzte sich wieder. In seinem Gesicht arbeitete es, und Skar war sich insgeheim im unklaren, warum er seine Frage nicht einfach wahrheitsgemäß beantwortete. Aber er hatte den Gedanken kaum gedacht, da spürte er wieder diese brodelnde Wut, einen sinnlosen Zorn, der sich nur auf Del entlud, weil er zufällig in seiner Nähe war.

»Ich hatte einen Alptraum«, knurrte er.

»Du bist verwundet«, stellte Kiina fest, überflüssigerweise, aber in erstaunlich sachlichem Ton.

»Es war ein sehr realistischer Traum«, fauchte Skar. Kiina runzelte die Stirn. Aber sie widersprach nicht mehr, sondern stand wortlos auf, tunkte eine saubere Serviette in die Wasserschale, die zwischen ihr und Del stand, und kam damit um den Tisch herum auf ihn zu. Sehr behutsam und mit erstaunlich geschickten Bewegungen begann sie, das geronnene Blut von seiner Schläfe zu tupfen. Plötzlich kam sich Skar schäbig vor. »Danke«, murmelte er. Er legte den Kopf schräg, um Kiina ein wenig behilflich zu sein, und biß die Zähne zusammen, als sich ihr an sich sanftes Tupfen seiner Wunde näherte. Del stand auf, füllte seinen Weinbecher wieder und hielt ihn an Skars Lippen.

»Erzählst du uns von deinem Traum?«

»Jemand hat mich niedergeschlagen«, antwortete Skar gepreßt. »Ich weiß nicht wer, oder warum.«

»Wo?«

»In meinem Zimmer«, antwortete Skar. »Irgendwann heute Nacht. Ich hörte ein Geräusch und wollte hochfahren, aber ich war nicht schnell genug.« Die Lüge ging ihm so glatt von den Lippen, daß es Augenblicke dauerte, bis er überhaupt selbst merkte, was er gesagt hatte. Aber warum? Zum Teufel, er war doch kein Kind mehr, daß er sich schämte zuzugeben, einen Kampf verloren zu haben?!

»Du bist im Schlaf überfallen worden?« Del gab sich nicht einmal Mühe, den Zweifel in seiner Stimme zu unterdrücken. »Und man hat dich so zugerichtet?« Sein ausgestreckter Zeigefinger stieß nach Skars Schulter. Skar biß die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerz aufzustöhnen.

»Laß das«, verbot ihm Kiina scharf. »Seine Wunde sieht übel aus. Jemand hat versucht, dich umzubringen, ist dir das klar? Du solltest Bra -«, sie brach ab, blickte einen winzigen Moment lang betroffen zu Boden und fuhr mühsam beherrscht fort, »einen von Titchs Heilkundigen bitten, dich zu verbinden.«

»Unsinn«, widersprach Skar - obwohl er ganz genau wußte, daß Kiina recht hatte. »Mach weiter. Du machst das sehr gut.« Kiina zuckte mit den Schultern und fuhr fort, an seinem Schädel herumzutupfen, wobei sie das Tuch immer wieder in die Schale tunkte, um es zu säubern. Das Wasser darin färbte sich allmählich rot.

»Erzähle«, forderte Del ihn auf. »Wie viele waren es? Hast du sie erkannt?«

»Ich weiß es nicht und nein«, antwortete Skar. »Es ging zu schnell. Ich bin aufgewacht, habe mich bewegt und eins über den Schädel bekommen, das ist alles. Jemand hat mich ausgeraubt.«

»Ausgeraubt?!« Del lachte fast. »Aber das ist... das ist völliger Unsinn. Das bißchen Geld -«

»Reicht nicht einmal aus, eine Woche in einem Gasthaus zu verbringen, ich weiß«, unterbrach ihn Skar. »Aber es sollen schon Leute für weniger getötet worden sein.«

»Leute«, bestätigte Del. »Nicht du. Nicht Skar, der Satai.«

»Irgend jemand scheint nicht gewußt zu haben, daß ich unbesiegbar bin«, antwortete Skar spöttisch.

Del wollte etwas erwidern, beugte sich aber dann statt dessen vor und hielt für einen Augenblick Kiinas Hand zurück, um sich die Wunde in Skars Schläfe genauer zu besehen. »Das Mädchen hat recht«, sagte er, nachdem er sich wieder aufgerichtet und Kiina mit Blicken zu verstehen gegeben hatte fortzufahren. »Das war kein Hieb, der dich betäuben sollte.« Er deutete auf die ansehnliche Sammlung von Blutergüssen und Prellungen auf Skars nacktem Oberkörper. »Und das da auch nicht. Er muß noch auf dich eingeschlagen haben, nachdem du besinnungslos warst. Jemand hat versucht, dich umzubringen.« Sein Gesicht verfinsterte sich. »Weiß sonst noch jemand davon?« fragte er. »Natürlich«, antwortete Skar. »Derjenige, welcher mich so zugerichtet hat.«

Del machte ein ärgerliches Gesicht. »Ich meine es ernst, Skar.«

»Nein«, antwortete Skar. »Oder doch. Ein Mann kam mir entgegen, oben auf der Treppe. Aber er hat mich nur gesehen. Er weiß nicht, was passiert ist.«

»Gut«, sagte Del. »Dann bleib hier, bis ich zurückkomme. Du kümmerst dich um ihn, Kiina.« Er wartete Kiinas und Skars Antwort nicht ab, sondern fuhr auf der Stelle herum und rannte mit wehendem Mantel aus dem Raum. Die Tür fiel krachend hinter ihm ins Schloß.

»Was hat er vor?« fragte Kiina.

»Ich weiß es nicht. Aber was immer es ist, es wird nichts nutzen«, antwortete Skar. »Wer immer mich heute im Schlaf besucht hat, war sehr gründlich.« Er versuchte zu lächeln. »Sie haben mir sogar meine Hosen gestohlen.«

Kiina lächelte, aber ihre Augen blieben ernst. »Sei froh, daß sie nicht deinen Kopf mitgenommen haben«, tröstete sie ihn. »Viel hätte nicht gefehlt. Halt jetzt still. Es wird weh tun.« Das war - vorsichtig ausgedrückt - untertrieben, fand Skar. Was immer sie tat, trieb ihm die Tränen in die Augen, und es dauerte ekelhaft lange. Skar hatte das Gefühl, daß sie mindestens eine Stunde lang mit angefeilten Fingernägeln in seiner Wunde herumgewühlt haben mußte, als sie endlich fertig war und damit begann, ein zweites Tuch in schmale Streifen zu reißen, um damit einen Verband zu improvisieren. Aber er ließ auch diesen Teil ihrer Behandlung - fast - klaglos über sich ergehen und bewegte sich erst, als sie es ihm mit einer Geste gestattete. Vorsichtig hob er die Hand und tastete über den schmalen, aber sehr straff angelegten Verband, der sich um seinen Schädel spannte.

»Sehr gut«, lobte er. »Wo hast du das gelernt?«

»Wo hast du gelernt zu kämpfen?« fragte Kiina.

Es war ein harmloser Scherz, aber es fiel Skar plötzlich schwer, sich zu beherrschen und den jähen Zorn zu dämpfen, den ihre Antwort in ihm wachrief.

»Ich bin ein Kind der Errish«, fügte Kiina rasch hinzu, als sie seinen Unmut bemerkte. »Zwar keine richtige Ehrwürdige Frau, aber man bekommt so einiges mit, wenn man zwanzig Jahre lang unter ihnen lebt, weißt du?«

Zwanzig? Skar war überrascht. Er hatte sie nie nach ihrem Alter gefragt, aber sie doch sehr viel jünger eingeschätzt. Verwirrt nickte er, schob seinen unbegründeten Zorn auf die Schmerzen, die er ausgestanden hatte, und griff zum dritten Mal nach dem Weinbecher. Diesmal trank er sehr vorsichtig, denn er wollte den Tag nach allem nicht auch noch mit einem Rausch anfangen, und nach ein paar Schlucken stellte er den Becher auch zur Seite und griff stattdessen nach dem Krug mit Wasser, aus dem Kiina getrunken hatte.

Als er den Becher absetzte, sah er sein eigenes Spiegelbild in dem Rest Wasser, der noch darin schwappte, und plötzlich begriff er Dels und Kiinas Erschrecken sehr viel besser. Obwohl Kiina das meiste Blut bereits von seinem Gesicht gewischt hatte, bot er einen entsetzlichen Anblick: Seine Haut war bleich und glänzte unnatürlich, und unter seinen Augen lagen dunkle, schwere Tränensäcke. Die dünne gezackte Narbe auf seiner Wange leuchtete wie ein roter Strich und schien sich entzündet zu haben, und Kiinas Verband sah schlichtweg lächerlich aus - wie ein oben abgeschnittener Turban, der sich an einer Seite allmählich dunkel färbte.

»Gefällt es dir?« fragte Kiina spöttisch.

Skar machte: »Hm«, und aus Kiinas Lächeln wurde ein geradezu unverschämtes Grinsen.

»Du wolltest ja nicht zu den Quorrl«, hielt sie ihm vor. »Ich bin sicher, Titchs Heilkundige hätten es besser gemacht. Aber immerhin kannst du jetzt beruhigt in die Zukunft sehen.«

»Wieso?« fragte Skar verwirrt.

»Weil dir nichts mehr passieren kann«, antwortete Kiina ernsthaft. »Wer meine Hilfe überlebt, den bringt gar nichts mehr um, weißt du?«

Skar war nicht sehr nach Lachen zumute, aber er verzog pflichtschuldig die Lippen, denn ihm war klar, daß Kiina diesen Scherz nur machte, um ihn aufzumuntern. »Dein Mitleid scheint sich sehr in Grenzen zu halten«, spottete er.

»Es geht«, bestätigte Kiina. »Wenn ich ganz ehrlich sein soll, - es tut beinahe gut zu sehen, daß auch ein Mann wie du verwundbar ist. Bleibst du jetzt hier?«

Die Frage kam so unvermittelt, daß Skar ganz automatisch nickte, ehe er überhaupt begriff, was sie gesagt hatte. Als er es verstand, packte ihn wieder der Zorn, und diesmal konnte er ihn nicht ganz unterdrücken. Ärgerlich ballte er die Hand zur Faust, setzte zu einer geschrienen Antwort an - und beherrschte sich im allerletzten Moment. Was war nur mit ihm los? Geduld war nie seine Stärke gewesen, aber das? Dieser entsetzliche Jähzorn machte ihm angst, umso mehr, als er nicht verstand, woher er kam.

»Vorerst«, antwortete er mühsam. »Ich... denke schon. Wenigstens, bis...«

»Was hast du?« fragte Kiina, als er nicht weitersprach.

Skar zuckte fast hilflos mit den Schultern. »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Zorn. In mir ist so viel Zorn. Und ich weiß nicht einmal, warum.«

Kiina war nicht im mindesten überrascht. »Ihr müßt fort, Skar«, sagte sie, sehr leise, und sehr ernst. »Ich weiß, daß Del mir nicht glaubt, aber es ist dieser Ort.«

»Unsinn«, murrte Skar, aber das Wort klang nicht einmal in seinen eigenen Ohren überzeugend. »Ein Ort kann nicht böse sein. Böse sind nur denkende Wesen, Kind. Niemals ein Haus oder eine Stadt - oder eine Burg.«

»Er ist böse«, beharrte Kiina. »Ich weiß es. Ich kann es fühlen, Skar. Ich habe das alles schon einmal erlebt.«

Skar sah sie fragend an, und ein Schatten von Schmerz huschte über Kiinas Gesicht. »Ich habe das alles schon einmal erlebt«, wiederholte sie. »Es ist wie in Elay, Skar. Dort begann es genauso. Unsere Drachen haben sie geschlagen, aber der Sieg hat sie vergiftet.«

An jedem anderen Ort und aus jedem anderen Mund hätten die Worte einfach lächerlich geklungen, aber für einen kurzen Moment wußte Skar einfach, daß es ganz genau so war, wie Kiina behauptete - es war dieser Ort. Er hatte es selbst gespürt, gestern abend, als er gegen den Satai gekämpft hatte, diesen unbändigen, kaum mehr zu bezwingenden Drang zum Töten, diesen entsetzlichen Haß, den er plötzlich verspürte, und gerade eben erst, als er hereingekommen war und bei Dels und Kiinas Anblick nichts als Neid und Zorn gefühlt hatte, statt Erleichterung, zur Abwechslung einmal einen Menschen in dieser Burg zu sehen, der lachte. Und ganz plötzlich mußte er daran denken, wovor ihn Drask gewarnt hatte, kurz bevor er starb: Gebt acht, daß ihr euch nicht totsiegt, Satai.

Dels Rückkehr bewahrte ihn davor, antworten zu müssen. Der hünenhafte Satai kam im Sturmschritt in den Raum gerannt, wobei er die Türen so heftig aufstieß, daß sie gegen die Wand prallten und zitternd zurückfederten. Skar sah die Umrisse zahlreicher anderer Gestalten hinter ihm auf dem Gang. Aufgeregte Stimmen drangen an sein Ohr, und keine zwei Schritte hinter Del wuchs ein schuppiger Koloß in die Höhe, betrat das Zimmer aber nicht.

»Du hattest recht«, begann Del übergangslos. »Jemand hat gründliche Arbeit in deiner Kammer geleistet - sie sieht aus, als wären Titchs Quorrl hindurchgestürmt, fünfmal hintereinander.«

»Um das herauszufinden, hättest du nicht -«, begann Skar, wurde aber sofort von Del unterbrochen, der unbeirrt und jetzt in fast triumphierendem Tonfall weitersprach: »Trotzdem hat er einen Fehler begangen. Der Diebstahl war nur vorgetäuscht.«

»Ach?« sagte Skar spöttisch.

»Dein Schwert ist nicht da«, begründete Del seine Vermutung. »Das ist nur logisch«, meinte Kiina. »Ein Satai-Schwert ist unglaublich wertvoll.«

»Es ist nicht wertvoll«, berichtigte sie Del herablassend. »Es ist tödlich, Kind. Nicht einmal der dümmste Narr würde es einem Dieb abkaufen. Nur Satai dürfen Tschekal führen, und nur die Hohen Satai haben das Recht, ein Rubinschwert zu tragen. Niemand wäre so dumm, dieses Schwert zu stehlen.«

»Na, dann ist ja alles klar«, stellte Skar säuerlich fest. »Wir gehen einfach hinunter und fragen, wer ein solches Schwert in seinem Besitz hat, nicht wahr?«

Sein Spott prallte von Del ab, und eine Sekunde später begriff er auch, warum. »Genau das werden wir tun«, antwortete Del. »Aber sie werden fragen, nicht wir.« Er trat einen Schritt zur Seite und deutete mit der Hand hinter sich. Der riesige Quorrl trat einen halben Schritt in den Raum hinein, und er war nicht allein: An einer Kette, deren Glieder fast so dick waren wie Skars kleiner Finger, zerrte einer der nachtschwarzen Killerhunde. Es war das mit Abstand größte Exemplar dieser Tiere, das Skar jemals gesehen hatte - fast so groß wie ein Kalb, und so stark, daß selbst der titanische Quorrl Mühe hatte, ihn zu halten. Ganz offensichtlich hatte das Tier bereits Witterung aufgenommen. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, sich auszurechnen, daß es geradewegs aus Skars Kammer kam.

»Oh«, sagte Skar nur. Er mußte zugeben, daß die Idee so naheliegend war, daß er eigentlich von selbst hätte daraufkommen müssen. Gleichzeitig sträubte sich etwas in ihm gegen den Gedanken, diese Bestie einzusetzen, um die Spur des Attentäters aufzunehmen. Er hatte mehr Angst denn je vor diesen Tieren. Del lächelte übertrieben und machte eine ebenso übertriebene, einladende Geste. »Begleitest du uns, oder soll ich dir den Kopf des Burschen bringen?«

Seine Worte ließen etwas in Skar erschauern. Sie waren nicht ganz so spöttisch gemeint, wie sie klangen. Del auch? dachte er. Hatte Kiina recht?

»Woher willst du wissen, daß er überhaupt noch in der Burg ist?« fragte er, ohne Dels einladender Geste zu folgen. »Ich an seiner Stelle wäre jetzt schon zwanzig Meilen weit weg.«

»Sicher«, erwiderte Del trocken. »Aber du hättest fliegen müssen.« Er grinste. »Nachdem du es gestern abend so eilig hattest, uns zu verlassen, habe ich vorsorglich die Tore schließen lassen.« Skar starrte ihn an. Del hatte ihn eingesperrt? Ohne sein Wissen?! »Du hast mich -«

»Wieso«, unterbrach ihn Del mit leicht erhobener Stimme, »streiten wir uns nicht später darüber? Ich bin begierig darauf, den Mann kennenzulernen, dem es fast gelungen wäre, dich zu töten.«

»Woher willst du wissen, daß es ein Mann war?« fragte Kiina mit einem Blick auf den Quorrl.

Del zuckte die Achseln. »Ich habe eine ganz bestimmte Ahnung, weißt du? Sollte sie sich erfüllen, dann werde ich mich sogar bei Skar entschuldigen müssen, fürchte ich.«

Er hatte tausend Fragen an Del, und fast ebensoviele Einwände, aber er kam nicht einmal dazu, auch nur ein Wort mit ihm zu wechseln, bis sie den Hof erreicht hatten, denn der Hund, der ganz offensichtlich schon eine Witterung aufgenommen hatte, zerrte dermaßen an seiner Kette, daß sie alle Mühe hatten, überhaupt mit ihm Schritt zu halten. Unterwegs schlossen sich ihnen ein gutes Dutzend Satai an, die unweit des Thronsaals auf Del gewartet hatten. Jemand drückte Skar ein Schwert in die Hand; er ergriff es fast automatisch, obwohl er im Moment alles andere wollte, nur nicht kämpfen. Aber im Moment war auch nicht mehr er es, der das Kommando führte, nicht einmal mehr Del, sondern der schwarze Killerhund.

Auf dem Hof war das normale Lagerleben bereits wieder erwacht. Die meisten Feuer waren heruntergebrannt, und nur noch sehr wenige Gestalten lagen schlafend unter ihren Decken. Mehr und mehr Männer und auch Quorrl schlossen sich ihnen an, während sie dem Tier folgten. Der riesige Hund lief, die Nase dicht am Boden und lautstark schnüffelnd, aber trotzdem fast so schnell wie ein rennender Mann, quer über den Hof und näherte sich einem großen, ehemals weißen Zelt, das jetzt aber nurmehr aus schmutziggrauen und bunten Flicken bestand.

Del gab dem Hundeführer ein Zeichen, zurückzubleiben und sein Tier im Zaum zu halten, und Skar sah, wie der Quorrl die gespreizten Beine in den Boden stemmte und seine gewaltigen Muskeln spannte, um den Hund zu bändigen. Es gelang ihm kaum. Das Tier mußte unglaublich stark sein.

»Genau das habe ich mir gedacht«, murmelte Del. Er klang verärgert, irgendwie aber auch niedergeschlagen, und fast ein bißchen betroffen. Skar sah ihn fragend an, aber Del tat so, als bemerke er es nicht, zog stattdessen sein Tschekal aus dem Gürtel und öffnete die Zeltplane auf recht unkonventionelle Weise - nämlich indem er sie mit einem Schwerthieb in zwei Hälften schnitt. Dann gab er Skar und den Satai, die sie begleiteten, ein Zeichen, ihm zu folgen. Sie betraten das Zelt.

Das Zelt war sehr groß; trotzdem beherbergte es nur vier Männer, die bei ihrem Eintreten erschrocken auffuhren. Skar blinzelte in das ungewohnte Dämmerlicht und blickte in angsterfüllte, verwirrte Gesichter. Zwei der Männer hatten noch geschlafen, als sie hereinkamen, die beiden anderen waren wach und unterbrachen abrupt ihr Gespräch. Eines der beiden verschlafenen Gesichter, die unter ihren Decken hervorlugten, glaubte Skar schon irgendwo gesehen zu haben.

Aber er kam nicht dazu, es einzuordnen, und er kam auch nicht dazu, eine entsprechende Frage zu stellen, denn in genau diesem Moment erscholl von draußen ein schrilles, fast unbeschreibliches Jaulen, dann ein überraschter Schrei, gefolgt vom dumpfen Aufprall eines sehr schweren Körpers - und dann flog ein struppiger schwarzer Schatten durch die zerschnittene Zeltplane und stürzte sich auf einen der beiden Männer, die sie aus dem Schlaf gerissen hatten.

Alles schien gleichzeitig zu geschehen; auf jeden Fall aber so schnell, daß Skar nicht mehr in der Lage war, irgend etwas zu tun oder irgend etwas anderes zu empfinden als Erschrecken und Furcht: Der Hund rannte Del und ihn einfach über den Haufen, sprang mit einem bösartigen Heulen den Satai an, riß ihn wieder zu Boden und tötete ihn mit einem einzigen Zuschnappen seiner fürchterlichen Fänge. Der Entsetzensschrei des Satai ging in einem schrecklichen Gurgeln und dem Knirschen zerbrechender Knochen unter. Aber er ließ selbst dann noch nicht von seinem Opfer ab. Obwohl der Mann längst tot war, gruben sich seine Fänge immer wieder und wieder in seinen Hals und seine Schultern, und das Heulen des Hundes steigerte sich zu einem fast hysterischen Winseln.

Skar rappelte sich hoch, war mit einem Satz bei dem Tier, um es von seinem Opfer wegzuzerren, aber genausogut hätte er versuchen können, einen Felsbrocken von der Größe eines Hauses mit bloßen Händen zu bewegen. Del kam ihm zu Hilfe, und nach einer weiteren Sekunde auch die drei anderen Männer; aber das einzige Ergebnis ihrer Anstrengungen war ein tiefer Biß im Arm eines der Satai, als der Hund wütend um sich zu beißen begann. Schließlich hob Skar sein Schwert und schlug dem Hund den Knauf über den Schädel. Das Tier brach bewußtlos über seinem Opfer zusammen.

Mit einer zornigen Bewegung drehte er sich herum, sprang mit einem Satz aus dem Zelt und fuhr den Hundeführer an: »Bist du wahnsinnig geworden, Kerl? Wer hat dir gesagt, daß du diese Bestie auf den Mann hetzen sollst?«

»Das habe ich nicht getan«, verteidigte sich der Quorrl. Sein Blick war kalt, und in seiner Stimme war Respekt, aber nicht einmal die Spur von Furcht; oder auch nur Bedauern. »Er hat sich losgerissen, Herr.« Er hielt Skar die Kette hin, an der der Hund festgemacht gewesen war, und Skar sah, daß das letzte Glied aufgebogen und zerbrochen war. »So etwas kommt vor. Die Tiere sind stark.«

Skar setzte zu einer wütenden Antwort an, beließ es aber nach einem weiteren Blick in das flache Fischgesicht des Quorrl nur bei einem ärgerlichen Knurren.

Zwei von Dels Männern schleiften den bewußtlosen Hund an ihm vorbei ins Freie, als er wieder ins Zelt zurückging, die beiden anderen standen über den reglosen Satai gebeugt, obwohl selbst ein Kind hätte erkennen können, daß hier jede Hilfe zu spät kam. Der Hund hatte dem Mann nicht einfach die Kehle durchgebissen; er hatte ihm fast den Kopf abgetrennt. Sein Gesicht und seine Schultern waren eine einzige, entsetzliche Wunde. »Also?« fragte Skar herausfordernd, als Del sich zu ihm herumdrehte. »Dürfte ich jetzt vielleicht erfahren, was der Sinn dieser kleinen ... Hinrichtung war?«

»Es war keine Hinrichtung. Es war ein Unfall«, antwortete Del ruhig. Sein Blick wurde warnend, fast beschwörend, aber Skar reagierte nicht darauf. Er hatte es schon vorher gespürt, aber spätestens seit dem Gespräch mit Kiina wußte er, wie sinnlos es war, weiter Theater zu spielen. Jedermann hier in der Festung wußte, wie es zwischen Del und ihm stand.

»Ein Unfall, so?« fragte er höhnisch. »Und dabei ist leider Gottes ein Mann umgekommen. Aber das macht ja nichts - wir haben ja genug davon.«

Del preßte die Lippen zusammen, aber die scharfe Entgegnung, auf die Skar wartete, kam nicht. Statt dessen beugte er sich zu dem Toten hinab, hob ihn ohne sichtliche Anstrengung hoch und zur Seite und begann sein Gepäck zu durchwühlen. Er brauchte nur Augenblicke, um zu finden, wonach er gesucht hatte: einen gut meterlangen, schlanken Gegenstand, der in eine zerschlissene Satteldecke gewickelt war.

Del warf ihm einen raschen, triumphierenden Blick zu, stand auf und begann, das Bündel mit übertrieben dramatischen Bewegungen auszuwickeln. Unter dem schmutzigen Stoff kam eine schlanke, beidseitig geschliffene Klinge zum Vorschein. Der Griff des Tschekal war mit einem daumennagelgroßen, blutroten Rubin geschmückt.

»Du hattest recht, Skar«, sagte er hart. »Es macht nichts - ich hätte den Mann sowieso hinrichten lassen. Er hat sogar Glück gehabt. Der Hund hat es sehr viel schneller erledigt, als ich es hätte tun können.«

»Aber -«

»Du weißt, welche Strafe einem Satai droht, der die Hand gegen seinen Herrn erhebt«, fuhr Del unbeirrt fort. Er warf die Fetzen zu Boden und hielt Skar das Tschekal hin. Skar machte keine Bewegung, um es entgegenzunehmen.

Dels linke Augenbraue rutschte ein Stück nach oben und verschwand fast unter seinem schwarzen Haar. »Was hast du?« fragte er. »Nimm es. Es ist nur dein Eigentum.«

Skar griff nun doch zögernd nach dem Schwert. Verblüfft blickte er auf den Toten herab, dann wieder auf die schlanke Klinge aus Sternenstahl in seiner Hand. Unmöglich! dachte er. Das ergab einfach keinen Sinn. Und er sprach diesen Gedanken auch laut aus.

Del sah ihn sehr ernst an, antwortete aber nicht, sondern ließ sich ein zweites Mal in die Hocke sinken und fuhr fort, das Gepäck des Toten zu durchsuchen. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf und hielt Skar einen schmalen Lederbeutel hin. »Und das gehört dir auch«, sagte er. »Wieviel Geld hattest du?« Skar zuckte mit den Achseln. »Sieben oder acht Dirne«, antwortete er.

Del öffnete mit steinernem Gesicht den Beutel, schüttete den Inhalt in seine ausgestreckte Hand und zählte leise acht der kleinen, sechseckigen Goldmünzen ab. Skar entging es nicht, daß er nur noch mit Mühe ein triumphierendes Lächeln unterdrückte.

»Aber das ist vollkommen ausgeschlossen!« beharrte er. »Del, überleg doch! Niemand wäre so wahnsinnig, mich zu überfallen, um mich zu bestehlen! Nicht mich!«

»Natürlich nicht«, pflichtete ihm Del ungerührt bei. »Aber um dich umzubringen, Skar. Das Schwert da hätte er weggeworfen, kaum daß er die Burg verlassen hätte, und das Geld kam ihm sicher nur recht. Und ich bin sicher, daß du auch alles andere bei seinen Sachen findest, was du vermißt. Die Idee war nicht einmal dumm - hätte er sich die Mühe gemacht, sich davon zu überzeugen, daß du wirklich tot bist, und hätte er nicht das Pech gehabt, daß ich gestern abend die Tore schließen ließ...« Er zuckte abermals mit den Achseln. »Wer weiß, vielleicht wäre ich sogar darauf hereingefallen. Es sah alles nach einem Raubüberfall aus.«

»Mich töten?«

Del deutete auf den Toten herab und machte eine bedauernde Handbewegung. »Ich kann ihn leider nicht mehr fragen, und du wirst ihn jetzt wohl kaum noch wiedererkennen - aber er war dabei, gestern abend.«

Es dauerte einen Moment, bis Skar überhaupt begriff. »Bei dem Kampf?« fragte er zweifelnd.

Del nickte. »Sicher. Ich bin sogar überzeugt davon, daß er derjenige war, der den Hund auf dich gehetzt hat.« Er lächelte schwach. »Wenn man es genau nimmt, war es so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit. Er hat seine Strafe bekommen.« Skar wollte widersprechen, aber Del brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen und wandte sich an die anderen Männer. »Verbrennt ihn. Seinen Besitz bringt ihr zu Skar. Es ist sicher noch das eine oder andere dabei, was ihm gehört.« Skar schüttelte fast hilflos den Kopf. »Das ist... Wahnsinn«, murmelte er. »Ich glaube es einfach nicht, Del!«

»Nein?« Del lachte leise, aber es klang nicht wirklich amüsiert, eher abfällig. »Was ist mit dir, Skar - erträgst du den Gedanken nicht, daß es jemand gewagt haben soll, die Hand gegen den Hohen Satai zu erheben? Oder ist dir diese Lösung einfach zu unkompliziert?«

»Nein«, antwortete Skar langsam. »Zu glatt, Del.«

Del sah ihn fragend an, aber Skar sagte nichts mehr. Er blickte abwechselnd die Geldbörse in seiner Hand und den Toten an; verstört und auch ein bißchen erschrocken, ohne ganz genau zu wissen, worüber. Aber er spürte, daß er der Lösung jetzt nahe war. Wer immer ihn in dieser Nacht überfallen hatte, es war nicht dieser Satai gewesen. Er wußte nicht, wer es statt dessen getan hatte, aber die einzelnen Bruchstücke begannen sich zu einem Ganzen zu formen. Nicht mehr sehr lange, und er würde endlich wissen, was hier vorging.

Er hoffte nur, daß es dann nicht bereits zu spät war.

Ohne ein weiteres Wort drehte er sich herum und verließ das Zelt. Del und die anderen folgten ihm nicht. Aber für einen Moment, einen ganz kurzen, zeitlosen Augenblick nur, glaubte er eine Gestalt in den Schatten neben dem Tor stehen zu sehen; eine kleine, schmale Gestalt mit eckigen Spinnengliedern, eine Gestalt ohne Gesicht und mit einer Haut aus schwarzem Chitin.

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