9. Eden Enterprises, Unlimited

Ich rückte meine Mütze zurecht, prüfte nach, ob mein Uniformrock auch ordentlich zugeknöpft war, und betrat das riesige Tor, dessen Säulen geformt waren wie Seewagen. Sie reichten vierzig Fuß in die Höhe und bestanden aus Seebasalt. Ein solcher Eingang war fast so eindrucksvoll wie der vom Tadsch Mahal, aber durch dieses Tor kam man zu den Büros von Barnacle Ben Danthorpe.

Ein blonder Eisberg am Empfangstisch musterte mich. Sie erweckte nicht den Verdacht, daß sie einmal auftauen könnte.

»Ich möchte zu Mr. Ben Danthorpe«, sagte ich und erntete Schweigen. »Ich bin ein guter Freund von Harley Danthorpe.« Wieder Schweigen. »Harley ist Mr. Danthorpes Sohn.«

Sie musterte mich nur vom Kopf bis zu den Füßen.

Dann zuckte sie nach einer ganzen Weile die Schultern. »Moment, Sir«, sagte sie und hob das Telefon ab.

Ich wartete. Hierher gehörte ich nicht, doch es war die einzige Stelle, wo ich eventuell eine Spur aufnehmen konnte.

War mein Onkel wirklich in Krakatau Dome, so strapazierte er meine Fähigkeit, ihn zu orten, über die Maßen. Ich hatte das Telefonbuch durchgesehen, die Hotels und die großen einschlägigen Unternehmen befragt, und niemand hatte je von ihm gehört. Also mußte ich mit Ben Danthorpe reden. Er hatte seinem Sohn gesagt, er wisse von einem Gerücht, daß Onkel Stewart hier sei. Diesem Gerücht mußte ich folgen.

Der blonde Eisberg hob die schneefarbenen Brauen. »Sie können hineingehen, Mr. Eden«, sagte sie eisig und nickte zu den Bürolifts hinüber. »Mr. Danthorpe ist auf Sub-Ebene A zu finden.«

Ben Danthorpe erwartete mich schon, als ich aus der Kabine stieg. Er schüttelte mir herzlich die Hand, richtig wie ein Kaufmann, der ein gutes Geschäft wittert. »Jim Eden!« rief er. »Harley hat mir über Sie eine ganze Menge erzählt. Und Ihr Onkel ... Stewart Eden und ich - viele Jahre, mein Junge, viele Jahre!« Er sagte nichts darüber, was in den vielen Jahren war, und ich erwartete es auch nicht. Ich wußte, daß er und mein Onkel nicht gerade gute Freunde gewesen waren. »Feinde«, das wäre ein treffenderer Ausdruck gewesen. Trotzdem war er der einzige Ausgangspunkt, den ich hatte.

Er führte mich in ein großes, schalldichtes Büro, dessen Wände getäfelt waren mit Holz aus versunkenen Schiffen. »Was ist los, Jim?« Er blinzelte ebenso wie sein Sohn. »Was kann ich für Sie tun?«

»Sie können mir helfen, meinen Onkel zu finden«, platzte ich heraus.

»Ah ... Sie wissen also nicht, wo er ist?«

»Nein, Sir«, erwiderte ich der Wahrheit entsprechend. »Ich hörte, er sei in Krakatau Dome. Ich hoffe, Sie können mir sagen, wo.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, Jim. Das kann ich nicht. Aber vielleicht .«

Er stand auf und lief in seinem Büro herum. »Über Ihren Onkel, Jim, habe ich seltsame Dinge gehört. Ich wußte ja, daß er immer am Erfinden ist, auch am Gründen und Stiften. Hat er vielleicht eine närrische Investition zuviel gemacht?« Er schüttelte den Kopf. »Das zahlt sich niemals aus, Jim. Man steckt nie das Geld da hinein, wo das Herz ist. Ihr Onkel neigte immer dazu, sehr riskante Abenteuer zu unterstützen, weil sie, wie er sagte, gut seien für die Leute von der See. Verrückt. Das hab’ ich ihm oft genug gesagt. Aber es sieht so aus, als habe er schließlich doch seine Lektion gelernt.«

»Ich weiß nicht, was Sie damit meinen, Sir.«

»Ah Jim!« Er lachte mich schlau an. »Junge, jetzt hat er endlich den heißen Draht nach drinnen! Das weiß doch jeder. Bei dem Beben gestern hat sein Makler Millionen für ihn gemacht. Millionen! Ich weiß es, denn mich hat er auch geschröpft.« Er schnitt eine Grimasse, doch seine scharfen Augen ließen mich nicht los. »Harley hat mir erzählt, ein Freund von Ihnen wußte, daß dieses Beben kommen würde. Könnte das etwas mit Ihrem Onkel zu tun haben, Jim?«

»Ich habe keine Erlaubnis, über Bebenvorhersagen zu sprechen, Sir«, entgegnete ich steif. »Und Harley auch nicht.«

»Hm. Ich verstehe. Nun, Jim, das ist natürlich absolut richtig. Aber wenn Sie Ihren Freund wieder treffen, geben Sie ihm auch den heißen Draht. Sagen Sie ihm, er soll zu mir kommen.« Er nickte. »Wenn er wirklich mit seinen Vorhersagen so trifft, werde ich ihn reich machen.«

»Mr. Danthorpe«, drängte ich, »können Sie mir helfen? Ich muß unbedingt meinen Onkel finden.«

Ben Danthorpe blinzelte mich heftig an, als überlege er, ob er nicht zuviel gesagt habe.

»Vielleicht kann ich das, Jim. Wenigstens kenne ich den Makler Ihres Onkels.«

Er nahm ein Telefon ab. Es hatte eine Spezialsprechmuschel, so daß man das, was gesprochen wurde, nur als schwaches Wispern hörte, aber nichts verstand. Nach einem Moment legte er den Hörer zurück und runzelte die Brauen. »Ich habe die Adresse des Maklers Ihres Onkels«, sagte er, und nun klang seine Stimme merklich kühler. Er war nicht einmal mehr freundlich. »Die ist unten auf Deck Vier Plus, Radiale Sieben Nummer Achtundachtzig. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich muß wieder an meine Geschäfte zurück.« Damit eilte er zur Tür hinaus.

Bald wußte ich, weshalb er es so eilig gehabt hatte. Deck Vier Plus lag an der Grenze zwischen Finanzdistrikt und den Docks für die Tiefsee-Handelsflotte. Die meisten Gebäude waren Lagerhäuser und Schiffahrtsbüros. Ein Maklerbüro in dieser Gegend war nicht sehr eindrucksvoll, und dies schon gar nicht.

Daran lag mir jedoch nichts. Hier gab es keinen Gehsteig für Fußgänger, und in den Straßen drängten sich die Frachttransporter. Es roch nach Seekaffee und säuerlich nach Kopra und nach den modrigen Seeflachsballen. Nach großer Finanz roch es jedenfalls nicht, doch für mich war es ein aufregender Duft, der Geruch der See.

Ich wand mich zwischen den Wagen durch und gelangte zur Nr. 88. Es war eine Tür zwischen zwei Lagerhäusern. Eine dunkle Treppe führte innen nach oben. Ich kletterte hinauf zu einem langen, leeren Korridor im Oberstock über den Lagerhäusern, denn dort waren Büros untergebracht. Der einzige Mann, den ich sah, stand mit dem Rücken zu mir. Er hatte einen farbbeklecksten Overall an und malte auf eine Metalltür am Ende des Korridors

EDEN ENTERPRISES, UNLIMITED

Ich lief den trüben Korridor entlang. Jede Tür trug eine ähnliche Inschrift, und all diese hier angesiedelten Unternehmen schienen ein bißchen rätselhaft zu sein:

A. Yelverton, Consulting Benthologist and Siminski Submarine Engineering; The Sunda Salvage Company; Hong Lee, Oriental Importer, also eine Beraterfirma für TiefseeKonstruktionen, eine Bergungsfirma und ein Importeur für orientalische Waren. Sehr blühende Unternehmen konnten das nicht sein.

Das war mir egal. Ich fragte den Maler: »Entschuldigen Sie, ist Mr. Eden hier?«

Der Maler drehte sich um und gefährdete damit die Farbdose.

»Jim!« schrie er. »Du bist’s! Wie gut, dich zu sehen!«

Es war Gideon Park.

»Gideon!« schrie ich genauso laut und aufgeregt. Ich schüttelte ihm die Hand. Gideon Park, meines Onkels getreuer Freund und Helfer, der Mann, der mir in Marinia das Leben gerettet, der mit uns die großen Abenteuer in der Tiefsee bestanden hatte!

Sein ganzes schwarzes Gesicht lachte. »Jim, mein Junge, ich dachte, du bist in Bermuda.« Er entzog mir seine Hand und musterte die meine. »Da siehst du, Jim.« Er reichte mir einen Lappen und rieb sich mit einem anderen die Farbe von den Fingern. »Ich fürchte, ich bin kein sehr guter Maler.«

»Das spielt wirklich keine Rolle, Gideon«, sagte ich. »Aber was tust du hier? Vor zwei Monaten waren wir im TongaGraben und haben gegen die Saurier gekämpft. Ich dachte, du bist in Marinia.«

»Sieht ganz so aus, als hätten wir beide danebengeraten. Aber komm doch ‘rein, Jim. Viel Büro ist es nicht, aber wir können dort sitzen.«

»Gut, Gideon. Aber erst noch - was ist mit meinem Onkel?«

Er musterte mich ernst. »Dachte ich mir doch, daß du mich das gleich fragen wirst. Weißt du, allzu gut geht es ihm nicht. Das weißt du ja wohl. Aber er ist noch nicht gekentert, noch lange nicht! Einen Stewart Eden kann man nicht versenken, egal, wer’s auch versucht.«

Ich zögerte, weil mir Vater Tide einfiel. »Gideon, ich hörte etwas, meines Onkels Seewagen sei ein Wrack, irgendwo unten im Indischen Ozean, vor ein paar Wochen. Stimmt das?«

Er wandte sich von mir ab, wischte die Pinsel ab und nickte dann zur Bürotür. »Komm doch ‘rein, Jim. Und sag mir, was du davon weißt.«

Das Büro von Eden Enterprises, Unlimited, bestand aus zwei nackten, kleinen Räumen. Sie waren frisch gemalt; seegrün. Diese Farbe hatte Gideon auch im Gesicht. Aber die Farbe war das einzige, was frisch war. Die Möbel sahen recht dürftig aus. Es war da ein alter, recht hergenommener Tisch mit ein paar wackeligen Stühlen, vermutlich von den vorigen Mietern zurückgelassen, weil das Zeug nicht wert war, mitgenommen zu werden. Nur ein Stück war neu: ein schwerer Safe. Und der Firmenname darauf, EDEN ENTERPRISES, UNLIMITED, war von einer geübteren Hand als der Gideons aufgemalt worden.

Gideon setzte sich und deutete auf den anderen Stuhl. Gespannt hörte er mir zu, was ich vom Gezeitenvater zu erzählen wußte.

»Es ist wahr, daß wir einen kleinen Unfall hatten«, sagte er, nachdem ich geendet hatte. »Aber wir wollen nicht, daß es die ganze Welt erfährt. Dein Onkel kümmert sich auch nur um seine eigenen Angelegenheiten.

Natürlich mußte es Vater Tide herausfinden!« Er lachte nun doch über den Scharfsinn des Jesuiten, den er offensichtlich bewunderte. »Jim, dieser Mann scheint immer überall zu sein. Wo es Stunk gibt, findest du ihn, bewaffnet mit seinem Glauben und im allerbesten Edenit.«

Doch dann wurde er wieder ernst. »Manchmal macht er mir aber Sorgen. Du sagst, er hat dir erzählt, jemand erzeuge künstliche Seebeben?«

Ich nickte.

»Und er dachte, daß dieser Jemand dein Onkel sei?«

»Ja, das stimmt, Gideon.«

Er schüttelte den Kopf.

»Es kann auch gar nicht wahr sein, Gideon«, platzte ich heraus. »Onkel Stewart ist solcher Dinge gar nicht fähig!«

»Natürlich nicht. Nur ... Jim, deinem Onkel geht es nicht besonders gut. Wir wurden von diesem Beben im Indischen Ozean erwischt. Der Seewagen wurde so beschädigt, daß er nicht mehr zu reparieren ist. Also gaben wir ihn auf. Aber wir hingen sechzig Stunden lang in unseren Überlebensgeräten, Jim, ehe uns ein Tiefsee-Frachter aufpickte, weil er unser Notsignal gehört hatte. Sechzig Stunden! Selbst ein so junger Mensch wie du brauchte einige Zeit, über eine solche Anstrengung wegzukommen, und so jung ist ja dein Onkel nicht mehr. Er hat sich noch nicht recht erholt davon. Aber er ist hier, in Krakatau Dome. Ich ließ ihn heute im Hotel, damit er ausruhen kann.«

»Ich muß ihn unbedingt sehen, Gideon!«

»Aber klar, Jim! Aber warte nur, bis er hereinkommt.«

Er setzte sich wieder und schaute besorgt drein. »Du kennst ja deinen Onkel. Er hat sein ganzes langes Leben damit verbracht, die See zu zähmen. Das brauche ich dir nicht zu erzählen. Er hat das Edenit erfunden und viele andere Dinge auch noch. Jim, er ist ein ganz großer Erfinder. Und er ist kein Theoretiker, der nur im Labor herumsitzt. Er hatte viele Seeberge erklettert und die Tiefen erforscht. Er hat Minenclaims abgesteckt unten am Seeboden und schwimmende Seefarmen oben angelegt. Und immer hat er anderen geholfen, immer und überall. Wieviele See-Prospektoren hat er ausgestattet! Und wieviele Männer sind mit neuen Erfindungen zu ihm gekommen, oder mit neuen, wilden Geschichten, denen er auf den Grund gehen wollte. Es waren Tausende, Jim. Für ihn gibt es keine begrenzten Interessen, wenn es um die See geht.«

Ich konnte nicht anders, ich mußte die schäbigen Möbel mustern.

Gideon sah es und sagte schnell: »Oh, ich weiß, dein Onkel ist seit einiger Zeit in seichtem Wasser. Vielleicht war er viel zu großzügig. Ich weiß nur, daß er etwas mehr ausgab als er einnahm - und das seit langer Zeit, Jim.«

»Und was war gestern, Gideon? Hast du nicht die Spekulationen an der Börse ... Waren da nicht Millionen drinnen?«

Gideon sah düster zu Boden. »Das muß dir dein Onkel selbst beantworten, Jim«, sagte er leise.

Ich wechselte das Thema. Was Gideon sagte, stimmte, und ich kannte ja meinen Onkel. Er war schon immer eher ein Träumer. Manchmal löschten seine Träume alle vernünftigen

Überlegungen aus.

»Ich nehme an, mein Onkel Stewart hat Fehler gemacht«, gab ich zu. »Einer meiner Lehrer an der Akademie behauptete immer, Stewart Eden sei nicht einmal ein Wissenschaftler, obwohl er das Edenit erfunden hatte. Er sagte, ein Wissenschaftler hätte das gar nicht getan, denn er hätte das Newton-sche Gesetz gekannt, daß jede Kraft von einer entgegengesetzten, gleichwertigen Kraft ausgewogen werden müsse. Er hätte sich nicht mit so verrückten Dingen wie dem Edenit abgegeben, das diesem Gesetz nicht zu gehorchen scheint. Ich denke, dieser Lehrer beneidete Onkel Stewart nur, weil er den Mut hatte, auch etwas Unwahrscheinliches zu wagen. Es klappte aber.«

»Ja, das klappte«, pflichtete mir Gideon bei. »Aber dein Onkel hat auch viele Dinge gestützt, die nicht klappten.«

»Und was stützt er jetzt wieder?«

Gideon schüttelte den Kopf. »Weißt du, Jim, ich würde es dir sagen, wenn ich es wüßte.«

Er hob seine breiten Schultern. »Du weißt ja, wie dein Onkel seine Geschäfte erledigt. Seine Bücher führt er im Kopf. Wenn er einen Mann finanziert, will er nie etwas Schriftliches mit Unterschriften. Ein Händedruck genügt für Stewart Eden. Er sagt, wenn ein Mann ehrlich ist, genügt ein Händedruck, und wenn nicht, dann hilft auch der schönste schriftliche Vertrag nicht. Sämtliche Anwälte der Tiefsee können einen Lumpen nicht zum ehrlichen Menschen umkrempeln. Und es gibt viele Dinge, die mir dein Onkel nicht sagt, Jim. Nicht weil er sich ihrer schämen müßte, sondern weil er immer so gelebt hat.

Und das, was er mir sagt, Jim, das kann ich nicht weitersagen. Er rechnet damit, daß ich das niemals tue. Nicht einmal bei dir, Jim.«

Ich entschuldigte mich, denn Gideon hatte recht. Mein Onkel vertraute ihm, und ich hatte kein Recht, Gideon zu drängen, dieses Vertrauen zu mißbrauchen.

Aber meine Gedanken waren nicht von der fröhlichsten Art. Ich dachte an das Lieutenant Tsuya gegebene Versprechen, für das ich den Paß bekommen hatte. Mit einfachen Worten: ich hatte versprochen, ein Spion zu werden.

Der Gedanke, es könnte mein Onkel Stewart sein, den ich ausspionieren mußte, war mir nicht gekommen; auch nicht, daß ich Bob Eskow beschatten sollte. Aber so war es doch.

»Jim, mein Junge!« tönte eine Stimme hinter mir.

Die Tür war aufgegangen, und herein kam mein Onkel Stewart Eden!

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