19. Steinseen

»Schneller, Park!« brüllte Lieutenant Tsuya über den unbeschreiblichen Krach. »Wenn es was nützen soll, müssen wir in fünfzig Minuten unten an der Falte sein!«

»Aye, aye, Sir!« brüllte Gideon zurück und blinzelte mir zu. Er genoß die Sache, trotz der Widerwärtigkeiten und Gefahren. Mir fiel ein, wie er mich aus den Abwassern von Marinia gefischt hatte und welche Abenteuer wir danach bestehen mußten. Gefahr? Für Gideon war sie ein Aufmunterungsmittel.

Uns allen machte das Bewußtsein der Gefahr nichts aus. Wir konnten handeln, wir kämpften. Nur Harley Danthorpe schwieg und schien sich Sorgen zu machen.

Mir fiel seine tragische Miene ein, als er zur Station K zurückkehrte, nachdem er Vater Tide zum Tiefsee-Kai gebracht hatte. In diesem Moment war der MOLE durch die Mauer gebrochen, und da hatte ich nicht viel Gelegenheit gehabt, Harley zu studieren. Aber etwas stimmte hier ganz und gar nicht.

Ich stemmte mich gegen das Schaukeln des Schiffes ein, das sich durch den Fels fraß, und ging zu ihm. Doch auch dafür blieb keine Zeit, denn Gideon Park befahl: »Die Zünder bereitmachen zum Ablegen! Dieser alte Eimer hat schon zuviel hinter sich. Sobald wir sie ausgelegt haben, müssen wir schleunigst von hier weg.«

Die nächste Zeit konnte ich also nicht mit ihm reden. Jede goldene Kugel mußte sehr sorgfältig im Entladeport ausgelegt werden. Das war so ähnlich wie eine pneumatische Torpedoröhre der alten U-Boote, hier natürlich mit Edenit verkleidet. Diese Ports waren allerdings dazu bestimmt, ihre Last im Gestein abzulegen, nicht im Wasser. Jede Torpedoröhre hatte ein Schneidewerkzeug am äußeren Verschluß. Die Einstellung dieser Werkzeuge war überaus schwierig. Nur die tüchtigsten Mechaniker der Flotte wurden für diesen Job bestimmt. Aber außer uns war niemand da. Also mußten wir die Sache machen. Und das taten wir auch.

Damit war unsere Arbeit noch lange nicht zu Ende. Danach mußten ja die Zünder noch aktiviert werden. Die Edelstahlbänder, die sie umgaben, waren eine Art Spannvorrichtung. Durch die vielen Jahre im Wasser hatten die Instrumente natürlich gelitten und waren nicht gerade leicht einzustellen. Jedes dieser Bänder mußte so gespannt werden, daß innen ein Sicherheitsstift eingedrückt wurde. Solange eine bestimmte Stelle dieses Bandes auch nur den Bruchteil eines Millimeters von diesem Sicherheitsstift entfernt war, konnte nichts passieren; da konnten wir sie in den heißen Fels werfen, so weit wir nur wollten. Nur ein unwahrscheinlicher Zufall konnte sie zur Explosion bringen.

Das genügte aber nicht. Man mußte diesen Sicherheitsstift eindrücken ... Die Möglichkeit bestand natürlich, daß uns ein solches Ding, das durch das lange Liegen im Wasser gelitten haben konnte, vorzeitig losging, uns sozusagen mitten ins Gesicht.

Selbstverständlich wäre dies das Ende des MOLEs und unser eigenes.

Doch dies geschah nicht. Zwei der Kugeln waren zu sehr beschädigt, diese Stahlbänder ließen sich nicht mehr bewegen. Gideons Gesicht wurde immer länger, als er sah, daß wir zwei ausscheiden mußten. Zwei waren an Ort und Stelle, zwei hatten wir noch, und wenn die auch schadhaft waren ...

Sie waren es nicht. Die benötigten Kugeln brachten wir in Stellung, genau zwei Minuten, bevor Gideon berichtete, wir seien nun exakt im Brennpunkt des nächsten Bebens.

Der MOLE bockte ein wenig, röhrte und ging kreischend durch das Gestein.

»Zünder ab!« röhrte Gideon. Lieutenant Tsuya zeigte weiße Linien der Anstrengung um seinen Mund; er drückte auf das Auslöseventil. Im Port surrte der ortholythische Drill mit höchster Geschwindigkeit, dann ratterte Metall an den Fels, als der Port sich öffnete .

Und unsere erste kleine Atombombe war draußen.

Der MOLE hatte mit der neuen Crew das erste Ei gelegt. Zwei blieben noch.

Vierzehn Minuten später, genau nach Plan, wurde unser kleines Schiff ordentlich durchgeschüttelt, und das Dröhnen sprengte uns fast die Trommelfelle, als wir durch den Fels flohen. Der MOLE war wie ein riesiges Tier, das sich mit unglaublicher Geschwindigkeit durch den härtesten Fels wühlte. Einmal flackerten die Lichter, gingen aus und kamen wieder zurück; sie waren viel schwächer als vorher. Einmal setzte der Drill für einen Sekundenbruchteil aus. Uns blieb auch fast das Herz stehen, denn wenn er nicht weiterging, waren wir unten im Fels begraben, und nichts konnte uns herausholen. Aber er fing sich wieder, und der MOLE war stark genug, auch die Schockwelle zu überleben.

»He, das war aber knapp!« schrie Gideon und lachte breit. »Beim nächsten Ding lassen wir uns ein bißchen mehr Zeit mit dem Zünder.«

»Ausgeschlossen«, wandte Lieutenant Tsuya sofort ein. »Wir können die Abschußports nicht mehr öffnen, also muß die Einstellung so bleiben, wie sie ist.«

Da sah ich, daß Gideon ihn anlachte, und einen Augenblick später lachte Tsuya auch. »Ich dachte schon, Sie meinen das ernst«, entschuldigte er sich.

»Es könnte schon ernst werden«, meinte Gideon trocken und lauschte dem Lauf des Drills. Bob Eskow neben mir flüsterte mir zu: »Ich höre es auch. Eines der Drillelemente muß sich gelockert haben.«

Ja, es stimmte. Da war etwas, doch ich war kein Fachmann und konnte nichts bestimmen. Es war nur eine Unebenheit im Lauf, fast so, wie wenn bei einem Verbrennungsmotor ein Zylinder nicht mehr ganz mittut. Der MOLE schien sich durch den Fels zu stottern, statt zu beißen.

Ich schaute Bob an. Er hob die Schultern. Wir sagten nichts. Tun konnten wir sowieso nichts.

Das zweite Ei ging nach Plan los, und die Explosion schüttelte uns ungefähr so wie die erste. Aber wir überlebten. Eigentlich erstaunlich, wenn man bedenkt, daß jeder dieser Zünder soviel Atomenergie freimachte, die genügte, eine ganze Stadt zu erschlagen. Aber selbst eine H-Bombe ist winzig im Vergleich zu den Energien, die bei einem Erdbeben freigesetzt werden. Die Explosion der Bomben wurde gemildert von Meilen soliden Gesteins zwischen ihnen und uns. Was uns gefährdete, war das von uns selbst ausgelöste Beben. Dagegen konnten wir nichts tun.

Lieutenant Tsuya nahm einen Bleistift und rechnete fieberhaft, aber er warf ihn dann bald weg. »Ich hatte gehofft, das letzte Beben würde vielleicht reichen, aber da bin ich nicht sicher«, erklärte er.

»Lieutenant, vertrauen Sie John Koyetsu!« rief Gideon durch den Lärm. »Wenn er sagt, wir brauchen acht Beben, dann brauchen wir sie auch.«

Sofort wurde Tsuya wieder ganz nüchtern. »Wenn man bedenkt«, seufzte er, »daß all dies rechtzeitig hätte getan werden können mit Extra-Mannschaften und zusätzlichen MOLEs -dieser elende Stadtrat! Ich bin ein friedlicher Mensch, aber denen wünsche ich, daß sie das kriegen was sie verdienen!«

»Sir«, ließ sich da Harley Danthorpe vernehmen, »Ihr Wunsch ging schon in Erfüllung. Sie haben es bekommen.«

Der Lieutenant drehte sich zu ihm um. »Wovon reden Sie da?«

Harley Danthorpes Gesicht zeigte kein Gefühl. »Genau das, was ich sagte, Sir«, erklärte er ruhig. »Sie bekamen das, was sie verdienten.« Einen Augenblick lang verzerrte sich sein Gesicht vor Bewegung, dann beruhigte es sich wieder. »Mein Vater und der Bürgermeister. Und drei oder vier vom Rat. Lieutenant, sie sind tot.

Erinnern Sie sich, wie Sie mich mit Vater Tide zum Kai schickten? Ich sah es, als ich dort war. Meines Vaters TiefseeJacht war dort, ein wunderschönes Spezialschiff, für das er eine halbe Million Dollar hingeblättert hatte. Es war sein ganzer Stolz. Er ließ es eben erst überholen. Als ich es sah, dachte ich, er hätte es den Leuten von Krakatau für die Evakuierung zur Verfügung gestellt. Aber das war ganz und gar nicht der Fall.«

Er war sehr blaß, und da tat mir Harley plötzlich furchtbar leid. »Acht Mann«, erzählte er weiter, »gingen an Bord der Jacht. Acht, wo doch Platz für fünfzig war! In den übrigen Raum stopften sie Papiere. Aktien. Eigentumsnachweise. Schuldverschreibungen. Bargeld. Alles, was mein Vater an Reichtümern besaß und mitnehmen konnte. Er evakuierte sich selbst und ein paar Freunde, nicht die Leute von Krakatau! Der Bürgermeister war bei ihm. Ich sah, wie sie die Luken schlossen und in die Schleusen gingen. Und dann passierte es. Ich sah es, als sich die äußere Schleusentür öffnete.« Harley schluckte und schüttelte den Kopf. »Das Edenit hielt nicht. Als das Seewasser hineinströmte, wurde das Schiff plattgedrückt. Alle sind tot, Sir.«

Wir schwiegen eine ganze Weile.

Dann sagte Lieutenant Tsuya: »Das tut mir leid, Danthorpe. Ihr Vater .«

»Sie brauchen nichts zu sagen«, unterbrach ihn Harley grimmig. »Ich verstehe das schon. Aber ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Sie erinnern sich an die fehlende Geosonde?«

»Natürlich.«

»Sir, die habe ich weggenommen. Mein Vater bat mich darum. Ich weiß, ich habe gegen strenge Befehle schon dadurch verstoßen, daß ich darüber sprach. Noch mehr, als ich sie stahl. Ich ... ich habe keine Entschuldigung dafür, Sir. Aber ich habe es getan. Verstehen Sie, er wollte mehrere nach dieser einen bauen lassen und brauchte ein Modell dafür. Er wollte sich damit einen privaten Bebendienst aufbauen. Diese Stellung hatte er Doktor Koyetsu angeboten. Er wollte mit Spekulationen viel Geld verdienen.

Ich habe keine Entschuldigung«, wiederholte Harley, »und ich werde mich selbstverständlich der Untersuchungsbehörde stellen, wenn wir je hier herauskommen. Ich hoffe aber, doch noch eine Chance zu bekommen, Lieutenant.

Dieser heiße Draht nach innen - ich will nie mehr etwas davon hören, ihn nie mehr erwähnen. Wenn ich lebend aus dieser Sache herauskomme, will ich nur noch eines vom Leben: daß ich ein ordentlicher Kadett der Tiefsee-Flotte werde.«

Lieutenant Tsuya stand auf. »Kadett Danthorpe! Das sind Sie schon. Und damit ist die Sache abgeschlossen.«

Es war ein sehr dramatischer Moment.

»Schaut doch mal auf die Uhr!« brüllte Gideon von den Kontrollen her. »Beeilt euch da unten! Wir sind in Position. Legt euer letztes Ei, so daß wir endlich in unsere Scheune heimkehren können!«

Diesmal blieb uns kaum Zeit, dem Beben aus dem Weg zu gehen. Wir fraßen uns eine steile Platte hinauf, und unser MOLE mußte erbittert kämpfen, um am Leben zu bleiben. Als die Schockwelle uns traf, gingen die meisten Lichter aus. Aber der Rumpf blieb ganz, wenn er auch unheildrohend ächzte.

Dies war ein Moment größten Triumphes. »Wir haben es geschafft!« schrie Bob und boxte mich in den Rücken. »Ich hätte es nie geglaubt!«

»Wir haben es noch nicht geschafft!« brüllte Gideon. »Bob, komm sofort her zu mir und hilf mir bei den Instrumenten!«

Das letzte Beben hatte das gesamte Druckknopf system wirkungslos gemacht, denn die Stromkreise waren unterbrochen. Gideon mußte also die umständlichen Hebel für die ortholytischen Elemente bedienen. Das konnte ein Mann allein nicht schaffen. Mit einem Fingerdruck ließen sich Geräte, die sich durch härtesten Fels fraßen, nicht steuern, dazu brauchte man Kraft.

Es ging sehr knapp her mit der zur Verfügung stehenden Energie, die überanstrengten Drillelemente verloren einiges von ihrer Beißkraft und kauten nur noch mühsam am nackten Gestein herum. Das Licht war so schwach, daß wir einander nur als Schatten sahen. Ich wollte etwas zu Bob sagen und entdeckte, daß es Lieutenant Tsuya war. Harleys und Gideons Gesichter ließen sich kaum mehr erkennen. Die Hitze nahm zu, da auch das Kühlsystem abgeschaltet werden mußte, um alle Energie für Panzerung und Drill aufzusparen.

Minuten vergingen. Unsere Instrumente zeigten an, daß wir nun eigentlich genau am Rand der Station K sein mußten, fast genau dort, wo sich der MOLE Stunden vorher durchgefressen hatte. Aber die Instrumente logen, sie widersprachen einander. Nur dem Trägheits-Richtungs-Rechner konnte man noch trauen, und die Energie, die ihn antrieb, wurde immer schwächer; da ließ auch seine Genauigkeit nach.

Und dann kreischte der Drill und drehte in der Nase leer durch.

»Wir sind aus dem Gestein heraus!« schrie Gideon überglücklich, und wir alle schrien vor Erleichterung mit. Dann hatten wir also unsere Mission erfüllt. Wir waren ...

Wir waren zu voreilig, denn plötzlich machte das Metall klang-klang-klang, und Gideon schaute erst verdutzt, dann sehr besorgt drein.

»Unsere Beschichtung ist aufgebrochen.« Er sah auf die Instrumente. »Wir sind in Wasser geraten«, erklärte er tonlos. »Der Thermalschock hat unsere Beschichtung beschädigt. Das Wasser ist kalt, die Beschichtung war sehr heiß ... Aber das ist noch nicht das Schlimmste. Die Instrumente zeigen richtig an. Wir sind genau da, wo wir sein wollten. In Station K. Aber die ist geflutet.«

Eine Sekunde lang starrten wir einander entgeistert an, aber wir hatten keine Zeit, darüber nachzudenken, was dies bedeutete. Station K geflutet! Mein Onkel und Dr. Koyetsu - was war aus ihnen geworden? Wenn die Station vernichtet war, dann konnte die ganze Kuppel ebenso zerstört sein. Vielleicht waren all unsere Anstrengungen umsonst gewesen .

Aber für solche Überlegungen hatten wir keine Sekunde Zeit. »Wir müssen hier ‘raus!« drängte Lieutenant Tsuya. »Wenn unsere Panzerung schadhaft ist ...«

Mehr brauchte er nicht zu sagen.

War die Beschichtung dahin, so waren wir der See ausgeliefert, dem ungeheuren Druck. Für eine ganz kurze Zeit konnte der Film noch halten, aber das hing davon ab, wie sorgfältig der Rumpf darunter gebaut war. Er mußte ungeheuer glatt und ohne erkennbare Nahtstellen sein, denn an jeder Unebenheit war der Film besonders gefährdet. Und riß er ...

Drei Meilen Wasser würden uns zusammenstampfen wie ein schwerer Stiefel eine winzige Ameise.

»Schnell, helft mir!« rief Gideon. »Wir müssen irgendwo im Fels eine Luftblase finden. Weiß der Himmel, wo! Aber wenn die Kuppel .«

Er brauchte nicht weiterzureden. Der MOLE war zu sehr strapaziert und würde niemals mehr ein Seewagen sein können. Die Maschinen hatten zu wenig Kraft. Wir konnten nur blind das zu durchbohren versuchen, was sich noch durchbohren ließ und auf eine Luftblase hoffen. Es war eine sehr winzige Hoffnung und alles, was wir hatten.

Ein paar Minuten später war uns auch die genommen. Der MOLE hatte einen Schock zuviel erlebt.

Die Hitze schwächte uns und machte uns benommen. Das ungleichmäßige Kreischen des Drills war eine Qual für unsere Ohren. Mit den uns verbliebenen schwachen Kräften konnten wir kaum mehr die Hebel bedienen.

Ich sah, wie Lieutenant Tsuya einfach vom Sitz rutschte und weg war. Erst wunderte ich mich noch, was er am Boden suchte.

Dann wußte ich, daß es die Hitze war. Die Luft war angereichert mit dem von uns ausgeatmeten Kohlendioxid und schwer von den chemischen Gerüchen der beschädigten Maschinen. Er war ohnmächtig. Die lange Schlaflosigkeit und Überanstrengung waren zuviel gewesen.

Harley Danthorpe fiel als nächster aus. Ich taumelte nach vorne und wunderte mich, was Bob Eskow auf dem Deck tat. Er schlief. »Bob, aufwachen!« schrie ich und rüttelte ihn. »Was ist denn los mit dir!«

»Jim!« rief da Gideon voll Angst. »Komm, hilf mir, ich kann nicht mehr halten .«

Jeder Schritt war eine unendliche Anstrengung. Der MOLE tat einen Satz und machte eine schleifenartige Wendung, so daß ich selbst auf dem Deck lag. Was war mit dem MOLE? Ich wußte es nicht.

Es spielte auch keine Rolle mehr. Ich lag auf dem heißen, harten Metalldeck und wußte nur noch, daß es sehr wichtig war, sofort aufzustehen, etwas zu tun, das Schiff wieder in die Hand zu bekommen.

Ich hatte keine Kraft mehr. Das letzte Licht ging für mich aus. Ich war ohnmächtig.

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