3. Feuer unter der See

Künstliche Seebeben! Und mein Onkel Stewart Eden beschuldigt, sie zu erzeugen. Beschuldigt von diesem merkwürdigen Priester, der sich selbst Vater Tide nannte. Gezeitenvater.

Das begriff ich nicht mehr. Ich war nicht mehr besorgt, sondern überaus zornig.

Er ließ mich im Kommandantenbüro, ohne daß er noch etwas sagte. An der Tür hielt ich ihn auf und bat um die Sachen aus meines Onkels Besitz.

Er zögerte und schaute den Kommandanten an, dann schüttelte er den Kopf. »Tut mir leid, Jim. Später wird es Ihnen sicher gehören. Aber das sind alles Beweise. Wird es nötig, daß die von mir eingeleiteten privaten Ermittlungen von der Tiefsee-Flotte weitergeführt werden, so wird man sie wohl überprüfen wollen.«

Mehr wollte er nicht sagen. Vermutlich ließ mich dann der Kommandant gehen, doch das weiß ich nicht.

Ich erinnere mich nur, daß ich in einer Telefonzelle stand und meinen Onkel in Thetis Dome zu erreichen versuchte. Es dauerte unendlich lange, bis die Verbindung kam, und dann erhielt ich aber von seiner Wohnung keine Antwort, auch nicht von seinem Büro. In meiner Verzweiflung ließ ich ihn in den Hotels und den Seewagen-Terminals ausrufen, und nicht nur ihn, sondern auch seinen treuen Helfer Gideon Park. Ich bekam keine Antwort.

Es stimmte also, was Vater Tide mir gesagt hatte: mein Onkel war spurlos verschwunden.

Ich starrte ins Leere und wußte selbst kaum mehr, wo ich war.

Allmählich erst kam mir zu Bewußtsein, was ich da anstarrte. Es war eine riesige Weltkarte der Mercator-Projektion; ich hatte sie in meinem ersten Akademie-Jahr unermüdlich studiert, weil sie in meinen Augen Glorie und Größe bedeutete. Für Landratten war es eine merkwürdige Karte, denn die Kontinente waren hier einfach schwarz eingezeichnet; nur die Ströme und ein paar von den größten Städten ließen sich erkennen. Aber die Ozeane!

Sie funkelten in strahlenden Farben. Blau und Grün in vielen Schattierungen bezeichneten die Wassertiefen und die Seegründe. Dünne Lagen aus Scharlachrot und Orange gaben die unterseeischen Bergzüge und Gipfel an. Leuchtendes Gold war für die Städte. Ein silbernes Spinnwebmuster zeigte die Rohrleitungen und Vakuumtunnels, die sie miteinander verbanden. Dunklere Flecken bedeuteten riesige Mineralvorkommen am Meeresgrund. Welch ungeheure Reichtümer lagen dort! Sie reichten aus, viele Millionen von Menschen zu Dollarmillionären zu machen. Aber immer wieder vernichteten unehrliche Männer das, was so mühsam von Forschern und Pionieren der Tiefen aufgebaut wurde, und zu jenen Pionieren gehörten mein Vater und mein Onkel Stewart.

Und doch: dieser Vater Tide hatte mehr oder weniger klar behauptet, mein Onkel sei einer dieser unehrlichen Männer!

Unvermittelt wurde ich aus meinen Tagträumen gerissen; ich schüttelte mich und wandte mich von der großen Landkarte der Tiefen ab.

Ich war in Dixon Hall, dem immer wieder aufregenden Museum der Akademie, wo die ganze Geschichte des Tiefsee-Diensts klar dargestellt war. Ich weiß nicht, wie ich dorthin kam. Jemand rief meinen Namen:

»Oh, hallo«, sagte ich. »Ich sah euch gar nicht kommen.«

Es war Bob mit Harley Danthorpe. »Du hast überhaupt nichts gesehen«, spöttelte Danthorpe. »Kannst du dir für deine Tagträume keinen besseren Platz aussuchen als diesen Abfallhaufen? Wir haben überall nach dir gesucht.«

Ich wartete darauf, daß Bob nun etwas sagen würde, denn ihm bedeuteten das Museum und die Geschichte, die es so lebendig darstellte, ungefähr ebenso viel wie mir. Doch er gab gar nicht acht auf das, was gesprochen wurde.

»Schau mal«, sagte er und deutete.

Es war eine spitz zulaufende Metallröhre, etwa vier Zoll dick und drei Fuß lang, ausgestellt in einem Glaskasten.

Die polierten Röhrenwände schimmerten wie Edenit, die phantastische Beschichtung, die mein Onkel erfunden hatte, dieser Druckfilm, der die tödlichen Wasserdrücke in sich selbst zurückdrängt, so daß Menschen damit in große Tiefen vordringen können.

Doch es war kein Edenit, und gesehen hatte ich dieses Material auch noch nicht. Der Schimmer war auch nicht das helle Grün der Edenit-Beschichtung der Tiefsee. Dieser Schimmer hier wies winzige funkelnde Punkte bunten Feuers auf, das kam und ging wie eine Weihnachtsbaum-Festbeleuchtung, gesehen durch die sich bewegenden Äste eines Baumes.

»Schau mal, das ist ein Modellmaulwurf!« rief Bob. »Hier, das Zeichen!« Er deutete auf die Karte im Schaukasten:

Arbeitsmodell des Mechanischen ortholytischen Exkavators Versuchsmaschine dieses Typs, jetzt unter Test bei der Tiefsee-Flotte; verspricht Graduierten der Akademie neue Möglichkeiten. Mit diesem Gerät werden sich vermutlich direkte Forschungen unter dem Seeboden ermöglichen lassen.

»Unter dem Seeboden«, las ich laut und nachdenklich. »Heißt das wirklich im Meeresboden selbst?«

»Wenn du was über den Maulwurf wissen willst, kannst du mich ja fragen«, tat Harley Danthorpe überlegen. Er kam hinter uns heran und blinzelte das glänzende Modell an. »Mein Dad hat Geld im Versuchsmodell stecken«, prahlte er. »Im Grundgerät, dem ortholytischen Bohrer. Kapiert? Mechanischer ortho-/ytischer Exkavator. MOLE.« Er tätschelte den Schaukasten. »Dad sagt, er geht durch Basalt wie eine Kugel durch Butter. Und er sagt, bald wird die Zeit kommen, da automatische Bohrmaschinen durch die Felsen unter dem Seeboden kreuzen werden wie die Unterseeboote unter der Wasseroberfläche. Und MOLE, sagt er, wird dem, der Zugang dazu hat, Millionen verdienen.«

»Ist ja großartig«, antwortete Bob angewidert. »Eine solche Sache wie die, und du kannst nur daran denken, wie man Geld damit scheffeln kann.«

»Ist denn am Geld was nicht richtig?« fragte Danthorpe hitzig. »Schließlich, wenn es nicht .«

»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Ich erinnere mich, schon davon gehört zu haben. Da gibt es doch Schwierigkeiten, was? Das Modell ist fein, aber die großen Maschinen haben Mucken.«

Danthorpe gab es zu. »Nun ja, alle Atombohrer erzeugen eine Menge Hitze, und der ortholytische Drill schneidet viel schneller, macht aber natürlich auch mehr Hitze. Und die Erdkruste ist auch schon ziemlich heiß, wenn man ein paar Meilen unten ist. Das Problem der Kühlung macht ihnen ordentlich zu schaffen.«

»Mindestens das eine Problem«, gab ihm Bob recht. »Aber das werden sie schon lösen. Und dann: Päng und durch!«

Da deutete er unvermittelt auf die große Wanduhr unter dem Wahlspruch der Akademie: DIE GEZEITEN WARTEN NICHT!

»Fünf Minuten vor siebzehn Uhr!« rief er. »Schnell, wir müssen zum Büro des Kommandanten.«

Wir standen stramm wie Stöcke, während der Kommandant um seinen großen Schreibtisch herumging und uns mit Augen, die so kalt waren wie arktische Gewässer, kritisch musterte. Er sagte nichts von der Szene in seinem Büro von ein paar Stunden vorher, und nicht mit einem Blick oder einer Geste verriet er, daß es sie gegeben hatte. Und dafür war ich ihm ungeheuer dankbar.

Er ging wieder hinter seinen Tisch und setzte sich umständlich.

»Gentlemen«, sagte er, und seine Stimme war so hart wie sein narbiges Gesicht, »Sie nähern sich nun dem Ende eines Trainigskurses. Sie haben einen Grad der Ausbildung erreicht, da ausgewählte Kadetten für bestimmte Aufgaben abgestellt werden, die Teil dieser Ausbildung sind. Diese Gelegenheit möchte ich dazu benützen, Sie an Ihre vielen Pflichten und Ihre ganz besonderen Gelegenheiten zu erinnern.«

Gelegenheiten!

Für ihn war das eine ungewohnte Ausdrucksweise. Ich sagte nichts, ich bewegte mich nicht einmal. Aber ich hörte, daß Bob den Atem anhielt.

»Die Tiefsee-Flotte«, sagte der Kommandant im Ton einer Vorlesung, »war ursprünglich dazu bestimmt, die amerikanischen Interessen unter der See zu schützen. Das war vor der Zeit, da die Waffen der Welt direkt der Aufsicht der Vereinten Nationen unterstellt wurden. Wir hielten Ausschau nach amerikanischen Städten, amerikanischen Minen, nach amerikanischen Schiffen. Das ist auch jetzt noch ein wichtiger Teil unserer Pflichten. Aber die Tiefsee-Flotte hat jetzt wesentlich größere Aufgaben.

Unsere Feinde unten in den Tiefen sind heutzutage selten Menschen. Es ist sogar eine Tatsache, daß die alte Institution Krieg in den Tiefen ertrank. Für jeden ist da Platz und Reichtum genug.

Um beides zu gewinnen, ist enge Zusammenarbeit nötig. Edenit war eine amerikanische Erfindung ...« Bildete ich mir das nur ein, oder schaute er mich wirklich dabei an? »Aber die Briten entwickelten die Techniken der Tiefsee-Farmen. Der ortholytische Drill war ursprünglich eine deutsche Idee. Die Japaner waren und sind die Pioniere in der Vorhersage von Seebeben.

Alle Menschen kämpfen geschlossen gegen die Unbilden der See.«

Er machte eine Pause und schaute uns nacheinander an.

»Die Gezeiten warten nicht!« Seine Stimme tönte laut, als er das Motto der Akademie aussprach. »Das heißt, daß die Tiefsee-Flotte nicht in der Vergangenheit lebt. Wir erkennen die Tatsache ständiger Veränderungen an. Wir bedienen uns schnell und gründlich der neuen Technologien.«

»Gentlemen«, sagte er mit seiner kalten Kommandostimme, »auf der Grundlage Ihrer ungewöhnlichen Fähigkeiten, die sich in zahlreichen psychologischen Tests und Ihren sonstigen Leistungen hier an der Akademie bewiesen haben, wurden Sie für eine Mission ausgewählt, welche die Anwendung eines solchen neuen Feldes wissenschaftlicher Entwicklung vorsieht.

Sie werden hiermit zu einem Sonderauftrag abgestellt.

Heute um 21 Uhr werden sie zum Abflug bereit sein. Sie reisen über New York und Singapur nach Krakatau Dome. Dort melden Sie sich beim kommandierenden Offizier der Flottenbasis für einen Spezialtrainingsauftrag.

Gentlemen, Sie sind hiermit entlassen.«

Wir salutierten, machten kehrt und marschierten hinaus.

»Ich hab’s euch doch gesagt«, zischte Harley Danthorpe, als wir das Büro des Kommandanten verlassen hatten. »Ich hab’ doch den Draht nach drinnen.«

Aber nicht einmal Danthorpe konnte uns sagen, wie dieses Spezialtraining aussehen sollte.

Загрузка...