14. Der Safe mit dem Bleifutter

Lieutenant Tsuya kochte vor Wut, als wir schweigend die Stadthalle verließen und zur Elevatorplattform marschierten. »Sir«, sagte Harley Danthorpe bedrückt, »ich hoffe, Sie verstehen meines Vaters .«

»Das reicht jetzt, Danthorpe«, bellte der Lieutenant. »Ich will keine Entschuldigungen hören.«

»Aber ich wollte ihn ja gar nicht entschuldigen, Sir. Er ist ein Geschäftsmann. Sie müssen das verstehen.«

»Ich verstehe nur, daß er ein Mörder ist!« röhrte der Lieutenant.

Harley Danthorpe blieb stehen. »Er ist mein Vater, Sir!«

Lieutenant Tsuya zögerte. »Tut mir leid, Danthorpe«, murmelte er nach einem Augenblick. »Diese Sache geht allmählich an meine Nerven.« Er sah sich um, und ich wußte, was in seinem Kopf vorging. Hier waren die Menschenmengen und die prunkvollen Gebäude einer blühenden Stadt. Und doch, wenn die Vorhersagen stimmten, dann war dies alles, Menschen und Gebäude, in ein paar Tagen von der See zerquetscht, total vernichtet. Wenn die Tiefsee-Felsen nur einmal ein wenig den Kopf schüttelten, dann wurde die Edenit-Haut des Krakatau Dome glatt abgerissen. Und dann schlug die See zu mit ihrem ungeheuren Druck von drei senkrechten Meilen und ließ nichts mehr übrig. Eine Woche später konnten dann die Riesenkraken in den Ruinen, die einmal die stolze Tiefsee-Stadt Krakatau Dome waren, neue Höhlen beziehen.

Und wir konnten diese Katastrophe nicht abwenden.

Die Stadt selbst wollte nichts tun, um das Leben ihrer Einwohner zu retten.

»Danthorpe!« rief der Lieutenant unvermittelt. Harley stand stramm. »Gehen Sie schnellstens zu einem Telefon. Übermitteln Sie dem Kommandanten meine ergebensten Grüße und berichten Sie ihm, daß die Stadt meine Empfehlungen in den Wind geschlagen hat. Und sagen Sie ihm, ich schlage vor, daß er sofort durch die Flotte die nötigen Maßnahmen ergreift.«

»Aye aye, Sir!« schnappte Harley Danthorpe und rannte zum nächsten Telefon.

»Die Flotte kann ja im Moment und rechtzeitig auch nichts mehr tun«, brummte der Lieutenant und schaute ihm nach. »Aber vielleicht kann noch ein Teil der Bevölkerung gerettet werden.«

»Jawohl, Sir«, sagte ich. »Falls ich etwas tun kann .«

»Können Sie, Eden. Sobald Harley Danthorpe zurück ist. Wir müssen alle Möglichkeiten überprüfen, daß diese Beben künstlich erzeugt werden.«

»Gut, Sir!« rief ich. »Ich werde Sie zu diesem Sammelbek-ken führen, wo ich das MOLE sah. Sir, wir brauchen das Becken gar nicht zu leeren. Ich habe es mir genau überlegt. Wir können tauchen. In Thermoanzügen .«

»Bißchen bremsen, Eden«, empfahl mir der Lieutenant und lächelte dünn. »Sie machen einen Fehler. Ich werde diese Ermittlungen nicht im Sammelbecken beginnen. Sondern ... im Büro Ihres Onkels.«

Wir fuhren zum Deck Vier Plus hinab, sobald Harley zurück war. Keiner von uns sprach; es war auch nichts zu sagen. Die Stadtbewohner schienen von einer Panik wenig zu halten. Auf Radiall Sieben rumpelten die schweren Elektrolaster, die Fabriken und Lagerhäuser waren überaus geschäftig. Es roch scharf nach Tang, der getrocknet und in Ballen gelagert wurde.

Ich führte den Lieutenant und Harley die steile Treppe zum Büro meines Onkels im Dachboden des Lagerhauses hoch. Unsere Schritte hallten in dem langen Korridor. Vor der Tür zögerte ich.

»Na, weiter«, befahl mir Lieutenant Tsuya scharf. Ich stieß die Tür auf und ging, gefolgt von den anderen, hinein.

Gideon Park saß an dem sehr mitgenommenen Holztisch in dem nackten kleinen Vorzimmer und tippte mühsam auf einer uralten mechanischen Schreibmaschine. Er schaute auf, sah mich und warf fast den Tisch um.

»Jim!« rief er, »Junge, Junge, wir hatten so sehr gehofft, du würdest kommen!« Erst jetzt sah er, daß ich nicht allein war. Sein glücklich lachendes Gesicht legte sich in ausdruckslose Falten. Sorgfältig deckte er die Maschine zu und verbarg damit das, was er geschrieben hatte. Dann stand er betont höflich auf.

»Das ist Lieutenant Tsuya, Gideon«, sagte ich.

»Es freut mich, Lieutenant, Sie kennenzulernen«, begrüßte ihn Gideon höflich.

Aber der Lieutenant hatte keinen Magen für Höflichkeiten. »Wir möchten zu Stewart Eden«, erklärte er barsch. »Warum ist er nicht da?«

»Aber er ist doch da, Lieutenant«, erwiderte Gideo. »In seinem Privatbüro.«

»Gut.« Lieutenant Tsuya ging auf die andere Tür zu, doch schnell stellte sich Gideon davor.

»Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Mr. Eden kann im Moment nicht gestört werden. Verstehen Sie, er schläft.«

»Dann wecken Sie ihn auf.«

»Nein, Lieutenant. Ich fürchte, das geht nicht«, antwortete Gideon betont höflich. »Mr. Eden ist nicht gesund. Anordnung des Arztes, wissen Sie. Um diese Zeit muß er jeden Nachmittag ruhen. Ich würde vorschlagen, kommen Sie etwa in einer Stunde wieder.«

Jetzt explodierte der Lieutenant. »Sie verstecken etwas, Mr. Park! Gehen Sie mir aus dem Weg!«

Aber Gideon rührte sich nicht vom Fleck. Sein dunkles, breites Gesicht war noch immer ausdruckslos, und so stand er vor der Tür. Der Lieutenant kochte sichtlich. Ich fürchtete schon, es könnte zu Handgreiflichkeiten kommen. Aber dann trat Tsuya einen Schritt zurück.

»Verzeihung, Mr. Park«, sagte er ruhiger, »es handelt sich um eine sehr kritische Angelegenheit, und ich fürchte, ich bin zu aufgeregt. Aber ich komme im Auftrag der Tiefsee-Flotte.«

»Der Tiefsee-Flotte?« wiederholte Gideon.

»Es geht um eine wichtige Ermittlung, Mr. Park. Wenn Stewart Eden tatsächlich hier ist, wecken Sie ihn besser auf. Ich versichere Ihnen, er kommt sonst in große Schwierigkeiten.

Sie übrigens auch, Mr. Park. Sie beide sind es schon. Kadett Eden hat berichtet, daß Sie in eine sehr geheimnisvolle Sache verwickelt sind, die den Besitz eines MOLEs miteinschließt und sogar vermutlich nukleare Zünder.«

Gideon Park nickte. Langsam drehte er sich zu mir um. »Du bist uns also gefolgt, Jim«, sagte er leise.

Ich nickte. »Es stimmt, Gideon, was der Lieutenant sagt. Ich denke, du würdest gut daran tun, Onkel Stewart aufzuwecken.«

Gideon seufzte. »Vielleicht, Junge. Na, gut.«

Er klopfte an der Tür. Keine Antwort. Dann drückte er auf die Klinke. Die Tür sprang auf.

Mein Blick fiel auf den großen Stahltresor in der Ecke und auf das schmale Feldbett daneben. Neben dem Bett standen die Seestiefel meines Onkels, und darauf ...

Mein Onkel Stewart stützte sich auf einen Ellbogen und sah uns verschlafen entgegen. »Jim!« rief er, und seine Augen leuchteten auf. »Jim wie schön, dich zu sehen!«

Da erst bemerkte er, daß ich nicht allein war, und seine Miene veränderte sich ebenso wie vorher die Gideons. Ein Schleier schien zwischen uns herabgezogen zu werden, um das zu verbergen, was er fühlte. »Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte er.

»Sehr viel sogar nicht!« knurrte der Lieutenant. »Kadett Eden, ist dies Ihr Onkel?«

»Ja, Sir.«

»Dann möchte ich mich selbst mit ihm bekanntmachen. Ich bin Lieutenant Tsuya von der Tiefsee-Flotte und in einer offiziellen Sache hier.« Er sah sich gründlich jm Raum um und runzelte die Brauen, als er den Safe sah. »Mr. Eden, die Flotte hat Gründe, zu glauben, daß Sie an einem Plan zur Erzeugung künstlicher Beben beteiligt sind - aus finanziellen Gründen. Ich warne Sie: alles, was Sie sagen, kann als Beweis gegen Sie verwendet werden.«

»Ah, so« sagte mein Onkel und setzte sich auf. »Ich verstehe.« Er nickte und sah drein wie ein alter Buddha. Sehr besorgt schien er gerade nicht zu sein. Überrascht auch nicht. Im Gegenteil, diesen Besuch hatte er vielleicht schon lange erwartet. Er stand auf und ging langsam zum Stuhl hinter seinem schäbigen Tisch. Er setzte sich schwerfällig und sah den Lieutenant an.

»Was wollen Sie wissen?« fragte er schließlich.

»Sehr vieles. Über dieses MOLE, zum Beispiel. Und über Nukleargeräte, die Ihr Assistent benützte.«

Mein Onkel sah erst mich an, dann Gideon. Er nickte. »Ah, ich verstehe. Aber was hat das mit mir zu tun?«

Diese Frage kam äußerst überraschend. Nie hätte ich geglaubt, daß er eine Verantwortung von sich abschütteln würde für etwas, das Gideon tat. Aber Tsuya nickte.

»Gut, Mr. Eden. Dann wollen wir über ein paar Dinge reden, die Sie direkt betreffen.

Erstens«, zählte er an seinen Fingern ab, »ist da die Frage, was Sie bei der kürzlichen Eruption, in der Ihr Wagen verlorenging, beim Mount Calcutta zu suchen hatten.«

»Tiefsee-Bergung, Lieutenant, ist eines meiner Hauptanliegen«, erwiderte mein Onkel. »Wir hatten in einem der Canons unter dem Seeberg ein verlorenes Schiff entdeckt, und wir versuchten es zu bergen.«

Der Lieutenant hob eine Augenbraue. »Die Geschichte des Indischen Ozeans ist mir einigermaßen bekannt. Ich glaube nicht, daß in der Umgebung von Mount Calcutta im letzten Vierteljahr hundert ein Schiff verlorenging.«

Mein Onkel nickte. »Stimmt. Es war ein älteres Wrack.«

»Ah, ich verstehe«, meinte Lieutenant Tsuya skeptisch. »Und wenn die Tiefsee-Bergung Ihr Geschäft ist - warum haben Sie hier in Krakatau Dome ein Büro aufgemacht?«

»Bergung ist nur eines meiner Geschäfte. Deshalb heißt mein Firmenname ja auch EDEN ENTERPRISES, UNLIMITED. Das schließt alles mit ein, was sich irgendwie ergeben könnte.«

»Auch Börsenspekulationen?« knurrte Lieutenant Tsuya. »Ich hörte, bei dem letzten Beben machten Sie einen Millionenprofit.«

»Gelegentlich auch Börsenspekulationen, jawohl«, gab mein Onkel zu. »Seit dreißig Jahren handle ich mit den Reichtümern der See, Lieutenant. Als ich hier nach dem Verlust meines Seewagens am Mount Calcutta ankam, entdeckte ich, daß die

Versicherungen ungewöhnlich teuer waren. Ich war daher überzeugt, daß selbst ein kleines Beben eine Panik auslösen könnte und zweifelte nicht daran, daß es auch bald eines geben würde. Ich verkaufte also einiges auf dem Markt. Ist Ihre Frage beantwortet?«

Jetzt war der Lieutenant aber zornig. »Noch nicht alle!« schnappte er. »Und ich warne Sie! Ich lasse Ihnen keine Ruhe, bis alle beantwortet sind. Was ist in diesem Safe?«

»Lieutenant Tsuya«, erwiderte mein Onkel scharf, »so weit gehen Ihre Rechte nicht! Ich bin Bürger Marinias. Mein Visum gewährt mir den Schutz der Stadtregierung hier. Wenn Sie in diesen Safe schauen wollen, brauchen Sie einen Durchsuchungsbefehl.«

»Dafür habe ich keine Zeit.«

»Dann öffne ich ihn auch nicht.«

»Ich denke schon, daß Sie das tun werden, Mr. Eden. Aus mehreren Gründen. Erstens, dieses letzte Seebeben wurde am vorletzten Abend von Kadett Eskow vorhergesagt.

Zweitens, Eskow und Ihr ... Helfer hier wurden beobachtet, als sie sich zu einem ortholytischen Exkavator in einem Drainagebecken unter Krakatau Dome begaben.

Drittens, Eskow und Mr. Park wurden gesehen, wie sie ein MOLE mit Zündern für thermonukleare Bomben beluden.

Viertens, der Mann, der Eskow und Park folgte und das MOLE entdeckte und dessen Aussage Sie wohl kaum anzweifeln wollen, ist Ihr eigener Neffe, Kadett Eden.«

Mein Onkel war im Stuhl zusammengesunken und zuckte nun zurück, als sei ein Punkt nach dem anderen ein körperlicher Schlag. Sein Gesicht wurde rot vor Zorn, aber als der Lieutenant meinen Namen nannte, ließ er die Fäuste auf seine Knie fallen.

»Das reicht jetzt, Lieutenant. Sie haben gewonnen. Ich werde den Safe öffnen.« Er stand auf, hielt sich aber an der Stuhllehne fest, als fühle er sich nicht recht sicher auf den Beinen.

Dann kniete er nieder, so daß er die Kombination vor den Augen hatte. Dann klickten die Riegel. Mein Onkel stand mühsam auf und öffnete die Tür.

Ich folgte dem Lieutenant, um hineinzuschauen. Was ich sah, war ein Schlag für mich. Es war schon schlimm genug gewesen, daß Bob Eskow und Gideon Park in der Sache mit den künstlichen Beben und den Nuklearzündern steckte, aber nun dies noch ...

Der Safe war »gefüttert« mit einem dicken stumpfgrauen Bleibelag. Und dicke Bleiziegel bildeten innen noch eine zweite Tür.

Aber diese Bleiziegel reichten nicht bis ganz zum oberen Türrand. Licht fiel darüber hinein und spiegelte sich auf schweren goldenen Kugelflächen, und um jede Kugel lag ein breiter Streifen aus Edenstahl.

»Das sind ja verbotene Atomzünder!« rief der Lieutenant triumphierend. Wütend wirbelte er zu meinem Onkel herum. »Erklären Sie mir das, Mister!«

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