12. Vorhersage: Ärger!

Ich kam erst nach 24 Uhr ins Quartier zurück, brauchte dringend ein heißes Bad und eine trockene Uniform, noch dringender aber einen Menschen, der mir versicherte, meine Augen seien Lügner, und nichts von dem, was ich gesehen hatte, sei wahr.

Aber ich meldete mich auf Station K. Lieutenant Tsuya war schon wieder im Dienst und befahl mir sofortigen Bericht.

Er saß an seinem großen Arbeitstisch und musterte finster seine seismische Spannungs-Karte. Er schwang sich auf seinem hohen Hocker herum und schaute mich an. Sein rundes Gesicht wirkte verkniffen und besorgt, bevor ich ihm noch erzählte, was ich erlebt hatte.

Er saß danach lange schweigend da und starrte seine Karte an, ohne etwas darauf zu sehen. »Ich wollte, die Computerabteilung würde sich beeilen«, sagte er schließlich.

»Sir?« Ich war verwirrt. Er schien geistesabwesend zu sein, obwohl ich ihm doch von den tödlichen Ereignissen im Abwasserbecken erzählt hatte!

Er schüttelte den Kopf und schien sich erst allmählich wieder meiner zu erinnern. »Oh, ja. Eden. Sie erzählten mir von ... äh .«

»Sir, vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt«, fiel ich ihm ins Wort. »Sie haben ein MOLE! Und es ist mit Wasserstoffbombenzündern beladen!«

»Hm. Ich verstehe.« Er nickte ernst, doch ich fand sein Verhalten recht merkwürdig. Entweder er glaubte mir nicht, oder ... Was konnte es sonst sein?

»Eden«, sagte er so gereizt, wie ich es bei ihm noch nie erlebt hatte, »Sie kommen da herein mit einer so phantastischen Geschichte, wie ich sie noch nicht gehört habe, und Sie erwarten auch noch, daß ich sie Ihnen glaube. Lächerlich, Mann! Es gibt keine sechs MOLEs auf der ganzen Welt, und ich garantiere Ihnen, höchstens ein Seismologe von der höchsten Rangstufe kann seine Hand darauf legen. Niemand sonst! Hätten Sie mir gesagt, Vater Tide stecke in der Sache - das hätte ich eher für möglich gehalten. Aber auch da bestünde nur eine winzige Chance, Eden. Aber Bob Eskow? Unsinn!«

Er schüttelte den Kopf, dann sprach er in einem ganz anderen Ton weiter. »Eden, ich möchte, daß Sie genau nachdenken, ehe Sie meine nächste Frage beantworten. Haben Sie irgendeinen Beweis für das, was Sie mir da erzählt haben?«

Damit hatte er mich. Ich war darauf nicht vorbereitet. Hätte er die Sicherheitsabteilung angerufen, oder angeordnet, Bob Eskow sei noch in dieser Nacht zu erschießen, oder wenn er nur hinausgerast wäre, um zusammen mit mir diese Grube zu inspizieren - alles hätte ich für vernünftiger gehalten als diese Frage.

Er schien also an dem zu zweifeln, was ich ihm erzählt hatte, und mehr noch: es war ihm auch offensichtlich egal.

»Sir, sicher gibt es da einen Beweis. Schauen Sie ...« Ich zeigte ihm meine verdorbene Uniform. Aus meinen Schuhen lief noch immer eisiges Seewasser. Er schaute und schüttelte den Kopf.

»Sie sind naß, Kadett Eden«, sagte er und kniff die Augen zusammen. »Einen besseren Beweis haben Sie wohl nicht?«

»Nein, Sir«, antwortete ich hoffnungslos. »Nur ... ich glaube nicht, daß Bob Eskow von seinem Ausgang zurückkommt, ehe diese Maschine unter dem Seeboden wieder da ist.«

»Und auch das wäre kein schlagender Beweis. Er kann doch irgendwo sein. Irgendwo sonst. Das wäre viel logischer ...« Er holte tief Atem. »Eden, ich muß Ihnen schon sagen, daß ich das, was Sie mir eben berichtet haben, nicht glauben kann. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, ist etwas Wahrheit dahinter -vielleicht falsch verstanden -, oder haben Sie das alles nur zusammengekocht, um Ihren Onkel zu schützen.«

Diese Anschuldigung verschlug mir den Atem. »Sir ...«

»Wenn ich mich irre, werde ich mich zu gegebener Zeit bei Ihnen entschuldigen, aber jetzt ... Moment mal!«

An seinem Tisch blinkte ein rotes Licht, und ein Alarm schrillte. Lieutenant Tsuya vergaß mich vollständig und tauchte nach dem Ausgabeschlitz, weil der Alarm eine eben ankommende Nachricht signalisiert hatte. Ich sah die Kapsel, die Lieutenant Tsuya schnell packte und öffnete. Ich las den Absender darauf: Computer-Abteilung.

Da begann ich allmählich Lieutenant Tsuyas Verhalten zu verstehen. Er schickte mich mit einem Auftrag weg, und als ich mit wichtigen Informationen zurückkam, zweifelte er an der Wahrheit meiner Worte und schien den Verstand verloren zu haben. Doch er hatte ihn nicht verloren.

Die Sache war ganz anders. Etwas ungeheuer Wichtiges war geschehen, und darüber mußte er die fehlende Geosonde und Bob Eskow zurückstellen und meine phantastische Geschichte vom MOLE im Drainagebecken, sogar meinen Bericht über die Nuklearzünder.

Computer-Abteilung. Das sagte eine ganze Menge!

Die Wissenschaft der Bebenvorhersage umfaßt eine Unzahl von Faktoren, und jeder muß auf seine Bedeutung hin untersucht werden, ehe man ihn in die Rechnung mit einbeziehen kann - sonst können die Computer mit den Daten nicht viel anfangen. In unglaublich kurzer Zeit kann ein Computer mathematische Wunder vollbringen, ganz gewiß. Aber ein Computer kann nicht selbständig denken, und vor allem weiß er nichts, was ihm nicht vorher eingegeben worden ist. Das sogenannte Know-how geht ihm ab. Er kann jedes Problem lösen, das sich der Mensch ausdenken kann, doch der Mensch muß es eben erst ausdenken. Die Ausarbeitung eines seismischen Programms mit einer Problemlösung erfordert eine Unmenge Vorarbeit. Die Lösung ist im Vergleich dazu kinderleicht. Aus diesem Grund setzt man Computer hier nicht ein -oder nur in einem Ausnahmefall.

Dieser Ausnahmefall tritt dann ein, wenn der Vorhersagende seinen eigenen Ergebnissen nicht glaubt. Er gibt dann alles dem Computer ein und hofft, einen mathematischen Fehler zu finden.

Ich sah dem Lieutenant an, daß er keinen Fehler in seiner Rechnung gefunden hatte. Er warf die Karte mit den Computerangaben auf den Tisch, ließ sich auf den hohen Hocker fallen und starrte ins Leere.

»Etwas nicht in Ordnung, Sir?« fragte ich.

»Nicht in Ordnung?« Er schien Mühe zu haben, sich von seinem Problem loszureißen. Er lächelte schief. »Hm. Ja, das könnte man sagen. Es gibt Hinweise darauf, daß sich die Spannungen sehr tief unten schnell intensivieren.«

»Aber die heutigen Beobachtungen ...«:, begann ich.

»Die Beobachtungen von heute abend zeigen den Aufbau gewaltiger Spannungen. Etwas braut sich da unten zusammen.«

Zum erstenmal, seit ich diesen Raum betreten hatte, warf ich einen Blick auf die Karten. Wenn seine Analyse richtig war, dann braute sich da wirklich einiges zusammen. Zwischen 9 und 21 Uhr war der Lageunterschied ungeheuer.

»Ich werde jetzt eine Prüfung mit der Geosonde anordnen«, sagte Lieutenant Tsuya sorgenvoll. »Wenn wir sie bis zu zweihundert Kilometer hinunterbringen könnten, hätten wir eine gesunde Basis für eine Bebenvorhersage. Aber ...«

Er brauchte den Satz nicht zu beenden. Ich kannte unsere Chance, eine Sonde in diese Tiefen zu bringen: sie war viel zu klein. Das heißt, der Druck war zu hoch. Neun von zehn Sonden wurden durch Implosionen vernichtet, meistens schon in viel geringeren Tiefen.

»Mit unseren besten Tiefendaten aus Reflexion und Refraktion bei zwanzig Kilometern ...«, dröhnte er weiter, dann brach er ab. Er drehte sich zu mir um.

»Verstehen Sie, Eden, daß ich genug im Kopf haben muß und also keinen Märchen über Piraten-MOLEs lauschen kann, solange es keine Beweise für deren Wahrheitsgehalt gibt.«

»Sir«, erwiderte ich eifrig, »wenn es eine Sache der Beweise ist, dann muß etwas unten in der Grube zu finden sein. Wenn wir sie entleeren und den Fels untersuchen könnten .«

»Heute entleeren wir ganz bestimmt keine Grube«, unterbrach er mich scharf. »Und jetzt muß ich die Crew für die Sonarsonde zusammenstellen. Eden, abgetreten. Sehen Sie zu, daß Sie etwas Schlaf finden.«

Seine müden, besorgten Augen hingen schon wieder an den Karten, als ich den Raum verließ.

In jener Nacht fand ich aber sehr wenig Schlaf.

Ich stellte mich so lange unter die heiße Dusche, bis meine kältetauben Füße schmerzten und wieder lebendig wurden. Dann ging ich zu Bett und lag lange da und kämpfte verzweifelt mit Alpträumen.

Natürlich konnte ich es Lieutenant Tsuya nicht verdenken, wenn er glaubte, ich hätte die Geschichte nur erfunden, um meinen Onkel irgendwie zu schützen. Für mich war es wirklich schon hart genug, selbst das zu glauben, was ich gesehen hatte. Wie waren Bob Eskow, der alte Chinese und meines Onkels guter Freund Gideon Park überhaupt an eine MOLE geraten? Und wie sie an diese thermonuklearen Zünder gekommen waren, ließ sich überhaupt nicht begreifen. Wofür brauchten sie das alles? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Außer ... außer

Plötzlich saß ich kerzengerade im Bett.

Außer sie hatten irgend etwas zu tun mit den seismischen Störungen, die Lieutenant Tsuya so viel Kummer machten!

Was hatte Vater Tide gesagt? Jemand erzeuge künstliche Beben! Er schaffe sie, um den Aktienmarkt zu beeinflussen.

Die Reaktion war da. Aber das paßte doch alles gar nicht. Das ganze Muster war falsch. Es mußte Zufall sein.

Denn hier waren zwei verschiedene Dinge am Werk. Lieutenant Tsuyas Karten und Instrumente schienen einen Aufbau von Spannungen anzugeben, das Recken und Drehen von ungeheuren Felsmassen, die sich bereitmachten, nachzugeben und sich zu spalten - das gäbe ein Beben - doch nichts dergleichen geschah.

Selbst wenn es stimmte, daß Atomwaffen ein Beben auslösen konnten, war es schlechterdings unmöglich, daß sie jenes Muster erzeugten, das Lieutenant Tsuya so besorgt machte. Nein, das war ausgeschlossen. Eher konnten sie solche Spannungen abbauen als sie erzeugen. Ich würde sagen: das Muster konnte nicht stimmen.

Ich schob diese Gedanken von mir weg und schlief auch schließlich ein.

Ich träumte, daß ich einen Spalt in der Stadtkuppel entdeckt hatte. Ich beobachtete ihn, sah die Tropfen eisigen Wassers, die erst durchsickerten, dann zu einem Rinnsal, einem Bach und einem reißenden Strom wurden, schließlich eine Druckfontäne von etwa hundert Metern Breite. Ich versuchte meinen Onkel zu finden, damit er die Edenit-Schicht reparierte, aber der erste eisige Schwall hatte mich eingeschlossen und gelähmt. Ich war hilflos. Ich konnte nichts tun, und das Wasser stand mir schon bis zum Kinn .

Jemand packte mich und weckte mich ziemlich unsanft auf. Es war Harley Danthorpe. »Du hast ja ganz verzweifelt getan, Jim«, sagte er. »Hast du abends Muscheln gegessen? Oder einen Tintenfisch?« Er lachte dazu, denn dies war ein uralter Witz der Tiefsee-Leute. Dabei weiß jeder, daß ein Tintenfisch bestimmt keine Alpträume erzeugt, auch keine Muschel. »In dreißig Minuten sind wir zur Station K befohlen.«

Benommen tastete ich nach meiner Uhr.

»Fünf Uhr ist’s«, sagte Harley.

Da war ich schnell wach. Man wollte uns also drei Stunden früher im Dienst haben. Und das wiederum hatte zu bedeuten, daß sich etwas zusammenbraute.

Als wir zur Station kamen, war Lieutenant McKerrow im Dienst. Er tat düster und gereizt. Lieutenant Tsuya hatte immer den Dienst mit einem kurzen Gespräch über die Kräfte begonnen, die sich auf das Gestein unter unserer Dienststelle auswirkten. Die Mühe machte sich Lieutenant McKerrow nicht. Die übermüdete Crew an der Geosonde machte neue Versuche, und wir sollten dabei helfen.

Bob Eskow war nicht auf der Station, auch im Quartier war er nicht gewesen. Insoweit stimmte das also, was ich Lieutenant Tsuya berichtet hatte. Sehr interessiert war er aber daran anscheinend nicht. Er befand sich jetzt in seinem kleinen Kartenraum, der zur Station gehörte, und schlief dort auf dem schmalen Feldbett, während wir den neuen Test mit der Sonarsonde beendeten.

Es war kein besonders erfolgreicher Test. Der Endpunkt, wo die Implosion der Sonde erfolgte, lag bei siebzigtausend Fuß unter der Station K, also bei ungefähr zwanzig Kilometern.

Doch schon diese Ergebnisse waren, als wir sie umrechneten, beunruhigend genug. Sie zeigten einen scharfen Anstieg der negativen Schwerkraftanomalien. Angenommen, die Sensorelemente der Sonde hätten sehr genau aufgezeichnet, so konnte das bedeuten, daß plötzlich ein Fluß heißeren und daher weniger dichten Gesteins in eine Zone unter der Station eindrang.

Heißer und weniger dichter Stein. Zum Beispiel flüssiges Magma.

McKerrow sah müde und überanstrengt aus, als er die Karten studierte. Er nickte und hatte die Augen halb geschlossen. »Ungefähr so wie es Tsuya erwartet hat«, murmelte er. »Ansteigend. Eden, Danthorpe, Sie beide machen sich sofort an die Analyse. Jeder für sich. Ich möchte sehen, ob Sie beide getrennt voneinander zu gleichen Ergebnissen kommen. Wenn Sie begriffen haben, was es heißt, Beben vorherzusagen, dann können Sie das jetzt beweisen.«

So machten wir uns also an die Arbeit, Harley und ich, jeder an seinem Tisch.

Ich skizzierte die Druckisobaren, die Isogeothermen der Temperatur, die Milligale der Schwerkraftanomalien, die Kraftvektoren; die Veränderungen bei den früheren Analysen gab ich dem Computer ein und projizierte sie in die Zukunft. Dabei bediente ich mich zur Errechnung der Spannungen der geodynamischen Gleichungen, die von Vater Tide entwickelt worden waren. So lokalisierte ich die wahrscheinlichen Fehlerebenen. Ich maß die Gezeitendrücke und schätzte die anderen Auslösefaktoren ab. Schließlich baute ich meine Zahlen in die Gleichungen der möglichen Zeit und Kraft ein.

Das Ergebnis, das ich bekam, gefiel mir ganz und gar nicht.

Ich besah mir noch einmal meine Zahlen, dann schaute ich zu Harley Danthorpe hinüber. Offensichtlich hatten ihn seine Berechnungen zu ähnlich beunruhigenden Resultaten geführt. Er sah sehr blaß aus und blinzelte mehr als sonst. Er radierte heftig und malte seine Ziffern neu.

Die Bebenvorhersage ist, genaugenommen, keine Wissenschaft, wie es auch die Wettervorhersage nicht ist.

Man versteht die Ursachen und Wirkungen der großen daran beteiligten Prozesse sehr gut, aber ein Mensch ist nun einmal nicht darauf eingerichtet, restlos alle Daten zu sehen, um alle Tatsachen berücksichtigen zu können.

Ich glaube, wenn man eine absolut genaue Bebenvorhersage machen will, müßte man eingehende Informationen vielleicht über jedes Molekül der Erdkruste haben; man müßte die Temperaturen und die Schmelzpunkte kennen, die chemischen Zusammensetzungen und Unreinheiten, die Drücke, die Trenn-und Fliehkräfte, die magnetischen und elektrostatischen Einflüsse, die Radioaktivität - alles und noch viel mehr. Weiß man dies alles, dann müßte man doch noch ein gutes Stück mehr erfahren, denn man müßte auch noch wissen, wie sich in welcher Stärke und in welchem Zeitraum die einzelnen Daten, Zusammensetzungen und Kräfte verändern, ob sie nach oben oder unten gehen, wie schnell, gleichmäßig ansteigend oder abfallend, oder ungleichmäßig und in welchem Ausmaß ...

Man kam sich da ungefähr so vor wie in einem riesigen Theater mit einer Million Zuschauern, und jemand schrie »Feuer!« Es gibt keine Möglichkeit, genau vorherzusagen, was die Menge in einem solchen Fall tut. Man müßte vorher wissen, wie jede einzelne Person reagieren wird, denn ein einziges kopfloses Individuum kann alle Vorsichtsmaßnahmen über den Haufen werfen. In einem solchen Fall läßt sich also nichts vorhersagen, und so ist es im Grund auch bei den Beben. Selbst wenn man alle Daten hätte, könnte man höchstens von Möglichkeiten oder Wahrscheinlichkeiten sprechen.

Man muß also immer von dem ausgehen, was man hat. Die Daten sammelt man. Da man nicht jedes Felsstückchen messen kann, nimmt man hier und dort ein Muster, um - hoffentlich -ein durchschnittliches Bild zu bekommen. Selbst Instrumente sind Fehlern unterworfen, da sie unter ungeheuren Drücken arbeiten, auch unter zum Teil sehr hohen Temperaturen oder großen Temperaturschwankungen. Diese Instrumentendaten liest man also ab, bringt sie zueinander in Relation und legt sie aus. Diese Auslegung ist ungeheuer wichtig, fast noch wichtiger als die Daten selbst.

Und dann ist es ja schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich, mit den Sonden zum Bebenherd hinabzukommen; das heißt natürlich, zum vermutlichen oder voraussichtlichen Bebenherd. Viele Beben kommen aus einer Tiefe von hundert Meilen und mehr unter der Oberfläche. Zwanzig Meilen, die wir bestenfalls messen können, sind lächerlich wenig, der Rest ist Theorie, ein bißchen Erfahrung, indirekter Beweis - und Vermutung.

Ausgehend von diesem Wissen, rechnete ich meine ganze Arbeit noch einmal nach, fütterte noch einmal den Computer mit den Gleichungen. Ich prüfte alles nach, was nur irgendwie möglich war, ich warf die Ziffern der Schwerkraftanomalien aus, die mir unwahrscheinlich hoch erschienen und setzte sie wieder ein, als die letzten drei Versuche mit der Geosonde die gleiche rasche Zunahme negativer Anomalien ergaben. Meine neu gewonnenen Ziffern kamen in die Gleichungen der möglichen Zeit und der möglichen Kraft - und ich kam zu denselben Ergebnissen.

Natürlich ließ sich nie eine eindeutige Antwort errechnen, etwa der Art: es gibt kein Beben, aus dem ganz einfachen Grund, weil es jederzeit und überall ein Beben geben kann. Davon gingen auch die Gleichungen aus.

Die beste erreichbare Möglichkeit war die, daß kein meßbares Beben sich in vorhersehbarer Zeit ereignen werde. Unter solchen Bedingungen ist die Ziffer für die mögliche Kraft: Null, und die für die mögliche Zeit heißt: Unendlich.

Aber diese Antworten bekam ich nicht.

Harley Danthorpe blinzelte mich besorgt an. »Jim? Bist du schon fertig?« fragte er mit heiserer Stimme.

Ich nickte.

»Was kriegst du heraus?«

Ich holte tief Atem und sagte es ihm. »Mögliche Stärke: Zehn, plus oder minus zwei als Toleranz. Mögliche Zeit: Sechsunddreißig Stunden, plus oder minus vierundzwanzig.«

Er legte seinen Radiergummi weg und sah mich fast erleichtert an.

»Ich dachte, ich hätte meinen ganzen Ballast verloren«, flüsterte er. »Aber es stimmt. Ich kam zum gleichen Ergebnis. Ganz genau.«

Einen Augenblick lang saßen wir nur so da. Es war eine unheimliche Stille, die uns umgab. Die Wände schwitzten Wasser; Wasser tröpfelte und gluckerte überall um uns herum. Über unseren Köpfen waren zwei Meilen Fels und drei weitere Meilen See.

»Das heißt also, es könnte in zwölf Stunden schon passieren«, sagte Harley. Seine Stimme klang atemlos, ein wenig heiser. »Und das Beben könnte Stärke Zwölf haben.« Er drehte sich zur Uhr um. »Und nichts«, sagte er nun noch leiser, kaum hörbar, »und gar nichts kann ein Beben der Stärke Zwölf überstehen.«

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